Es handelte sich dabei nie um die offizielle Politik irgendeiner Einheit, die größer war als ein einzelnes Terrarium, und selbst diese ließen nur selten etwas Explizites über ihre Tiere verlautbaren – wo sie sie hinschickten, wie viele, wie man sie transportierte – nichts. Man geht davon aus, dass die Koordinierung, die es offensichtlich gegeben haben muss, vollständig offline stattgefunden hat, und sie ist bis heute nicht hinreichend dokumentiert. Im Rückblick scheint dieses Fehlen einer öffentlichen Stellungnahme nicht weiter überraschend, da wir inzwischen an Derartiges gewöhnt sind; doch damals handelte es sich um ein vergleichsweise neues Phänomen, und viele klagten, dass das Leben ohne öffentliche Bekanntmachungen im blanken Chaos enden würde. Da es keine Ordnung mehr im Sonnensystem gab, war die Balkanisierung nun vollkommen; die Geschichte der Menschheit war vorübergehend verschwunden, wie ein Strom von Schmelzwasser, der in eine Gletschermühle fällt und anschließend unter dem Eis weiterfließt. Niemand kontrollierte sie; niemand wusste, wohin sie unterwegs war; niemand wusste auch nur, was vorging
von Anfang an gab es Leute, die das Ganze in vieler Hinsicht für falsch hielten; für eine ökologische Katastrophe, bei der die meisten der Tiere sterben würden; dass Landstriche verwüstet und die Lebensräume vieler Pflanzen dem Erdboden gleichgemacht werden würden, dass man Menschenleben in Gefahr bringen und ihre Äcker ruinieren würde. Die Bilder von der Rückkehr der Tiere erinnerten manche an Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg oder an Alien-Invasionsfilme, und die Angst vor vergleichbaren Verlusten erzeugten mancherorts Traumata. Während des Sinkflugs wurden einige Tiere aus dem Himmel geschossen wie Tontauben. Und trotzdem landeten sie größtenteils, überlebten und fanden sich zurecht. Ein paar Wochen oder Monate hatte es den Anschein, als ob die Leute über nichts anderes redeten, und zwar aus vollem Halse brüllend. Die massive Bilderflut war ambivalent, um es vorsichtig auszudrücken. Manche riefen »Invasion«, andere »Wiedervereinigung«, Auswilderung, Migrationshilfe, der Aufstand der Tiere; schließlich bezeichnete man es als die Reanimierung, und dieser Begriff wurde kanonisiert, setzte sich durch, breitete sich aus und verdrängte all die anderen. Und letztlich kam es ohnehin nicht darauf an, welchen Namen die Menschen der Sache gaben: Die Tiere waren da
viele warfen den Terrarien vor, dass sie die Revolution auf der Erde anfachten. Andere bezeichneten es als eine Inokulation, und es gab Mikrobiologen, die von einer umgekehrten Transkription sprachen. Die Einführung neuer Populationen in eine leere ökologische Nische führt tatsächlich zur revolutionären Umwälzung in einem Biom. Schneller Wandel kann chaotisch, traumatisch sein. In diesem Fall starben die Tiere oft; irgendwann war die Nahrung aufgebraucht, worauf die Populationen kollabierten; Aasfresser hatten es gut, die Anzahl der Raub- und Beutetiere unterlag enormen Schwankungen, und das Pflanzenleben nahm unter dem Einfluss der Tiere ganz neue Formen an. Felder veränderten sich, Wälder veränderten sich, Vorstädte und Städte veränderten sich. Kampagnen zur Eliminierung mancher Arten fanden tatkräftige Unterstützung, trafen aber genauso auch auf Widerstand. Zuweilen kam es zu einer Art Krieg der Tiere, bei dem allerdings auf beiden Seiten immer Menschen die Speerspitze bildeten
selbst im Moment der Balkanisierung war die Erde für den Fortgang der menschlichen Geschichte entscheidend. Geschätzte 12000 Terrarien hatten mehr als ein Jahrhundert lang Populationen bedrohter Tierarten aufgezogen und dabei die genetische Vielfalt gestärkt, wobei es vor allem darum gegangen war, eine Art dezentralen Zoo oder eine Samenbank bereitzuhalten und auf den richtigen Augenblick zu warten, um die Tiere wieder in ihre waidwunde Heimat einzuführen. Dass dieser Augenblick gekommen sein sollte, erschien einigen der Menschen aus den Terrarien als übermäßig optimistische Annahme, aber letztlich folgten fast alle bereitwillig dem Aufruf und stellten eine beeindruckende Flotte von
ein Großteil der organisatorischen Vorbereitung zur Reanimierung wurde später zu einer Arbeitsgruppe zurückverfolgt, die mit der siebten Löwin des Merkur in Verbindung stand, welche einige Jahre vor den Ereignissen gestorben war. Man hatte Kontakt zu einigen Erdenregierungen aufgenommen, und diejenigen, die der Idee wohlwollend gegenüberstanden, hatten Genehmigungen ausgestellt. Die Migrationshilfe war ein bereits bekanntes Konzept, und die Welt war ohnehin bereits von invasiven Spezies umgestaltet worden; die Menschen hatten ohne Erfolg gegen das Massensterben angekämpft, und die zähesten Gewächse und Aasfresser hatten mittlerweile einen Großteil der Erde für sich in Anspruch genommen. Man redete von einer neuen Welt der Möwen und Ameisen, Kakerlaken und Krähen, Kojoten und Kaninchen – eine Flockenblumenwelt, entvölkert und verarmt – ein großer, kaputter Industriehof. Deshalb hießen viele Terraner die Wiederkehr verlorener Arten willkommen. Unvermeidlich hatte das auch politische Konsequenzen, handelte es sich doch um ein gemeinschaftliches Projekt der ganzen Menschheit; solche Projekte haben immer Konsequenzen
die zwölftausend Terrarien und ein paar Dutzend terranische Staaten waren sich anscheinend darin einig, den Plan in der ersten Hälfte des Jahres 2312 umzusetzen, aber da die meisten der Abmachungen unter der Hand getroffen wurden, handelt es sich bei dieser Angabe letztlich um Hörensagen. Im Großen und Ganzen sind die mündlichen Berichte der Beteiligten, die Jahre später aufgezeichnet wurden, die einzige Quelle
Nach der Reanimierung nahmen die Probleme auf der Erde einen ökologischen und logistischen Charakter an und kreisten in erster Linie um Transportwesen, Verteilung, Schadensbegrenzung, Wiedergutmachung und rechtliche und physische Abwehrmaßnahmen. Mit der Reanimierung selbst war die Sache noch lange nicht zu Ende; tatsächlich sollten viele Jahrzehnte vergehen, bevor man sie als Schlüsselmoment bei der letztlich folgenden