6 Ein Talent

Schlagartig wurde es still im Pavillon. Perrin hasste solchen Aufruhr, und die Gerüche der Menschen waren nicht viel besser. Frustration, Zorn, Furcht. Entsetzen.

Der größte Teil davon war auf die Frau gerichtet, die direkt im Eingang des Pavillons stehen geblieben war.

Mat, du gesegneter Narr, dachte Perrin und musste breit grinsen. Du hast es geschafft. Du hast es tatsächlich geschafft.

Zum ersten Mal seit Langem ließ der Gedanke an Mat die Farben in seinem Blickfeld wirbeln. Er sah Mat auf einem Pferd, wie er über eine staubige Straße ritt und an etwas herumspielte, das er in der Hand hielt. Perrin verscheuchte das Bild. Wohin war Mat jetzt schon wieder unterwegs? Warum war er nicht zusammen mit Moiraine zurückgekehrt?

Es spielte keine Rolle. Moiraine war wieder da. Beim Licht, Moiraine! Perrin setzte sich in Bewegung, um sie zu umarmen, aber Faile packte ihn am Ärmel. Er folgte ihrem Blick.

Rand. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren. Er stolperte von dem Tisch fort, als wäre alles andere in Vergessenheit geraten, und bahnte sich seinen Weg zu Moiraine. Zögernd hob er die Hand und berührte ihr Gesicht. »Beim Grab meiner Mutter«, flüsterte er, dann fiel er vor ihr auf die Knie. »Aber wie?«

Moiraine lächelte und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Das Rad webt, wie es das Rad will, Rand. Habt Ihr das vergessen?«

»Ich …«

»Nicht wie Ihr wollt, Wiedergeborener Drache«, sagte sie sanft. »Nicht wie wir wollen. Vielleicht webt es sich eines Tages selbst aus der Existenz. Ich glaube aber nicht, dass heute dieser Tag ist – oder er in absehbarer Zukunft kommt.«

»Wer ist diese Frau?«, verlangte Roedran zu wissen. »Und was redet sie da für einen Unsinn? Ich …« Er verstummte, als etwas Unsichtbares seinen Kopf traf und ihn zusammenzucken ließ. Perrin warf Rand einen Blick zu, dann bemerkte er das Lächeln auf Egwenes Lippen. Trotz der vielen Leute im Pavillon roch er deutlich ihre Zufriedenheit.

Nynaeve und Min rochen völlig schockiert. Wenn es dem Licht gefiel, würde Nynaeve eine Weile so bleiben. Im Augenblick würde es wenig hilfreich sein, Moiraine anzubrüllen.

»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, sagte Rand.

»Doch, habe ich«, erwiderte Moiraine liebevoll. »Es war nur nicht die Antwort, die Ihr wolltet.«

Rand warf den Kopf zurück und lachte. »Beim Licht, Moiraine! Ihr habt Euch kein bisschen verändert, oder?«

»Wir alle verändern uns jeden Tag«, erwiderte sie und lächelte dann. »Ich mich mehr als andere in letzter Zeit. Steht auf. Ich sollte es sein, der vor Euch kniet, Lord Drache. Das sollten wir alle.«

Rand stand auf und trat zurück, damit Moiraine ein Stück weiter in den Pavillon kommen konnte. Perrin nahm einen anderen Geruch wahr und lächelte, als Thom Merrilin hinter ihr ins Zelt schlüpfte. Der alte Gaukler blinzelte ihm zu.

»Moiraine«, sagte Egwene und trat vor. »Die Weiße Burg heißt Euch mit offenen Armen willkommen. Eure Dienste sind nicht in Vergessenheit geraten.«

»Nun ja«, meinte Moiraine. »Eine zukünftige Amyrlin entdeckt zu haben sollte ein gutes Licht auf mich werfen. Das ist eine Erleichterung, da ich zuvor auf dem Weg zur Dämpfung oder gar zur Hinrichtung war, wenn ich mich nicht irre.«

»Die Dinge haben sich geändert.«

»Offensichtlich.« Moiraine nickte. »Mutter.« Sie kam an Perrin vorbei, drückte mit einem Funkeln in den Augen seinen Arm.

Ein Herrscher der Grenzländer nach dem anderen nahm das Schwert und verneigte sich vor ihr oder machte einen Knicks. Jeder von ihnen schien sie persönlich zu kennen. Viele der anderen im Zelt sahen noch immer völlig verblüfft aus, obwohl Darlin offenbar wusste, wer sie war. Er erschien eher nachdenklich als verwirrt.

Bei Nynaeve zögerte Moiraine. Perrin konnte Nynaeves Geruch in diesem Augenblick nicht einfangen. Das erschien ihm unheilvoll. O Licht! Es geht los …

Nynaeve riss Moiraine in eine kräftige Umarmung.

Moiraine blieb einen Moment einfach stehen und roch definitiv schockiert, hielt die Hände steif ausgestreckt. Schließlich erwiderte sie die Umarmung auf eine irgendwie mütterliche Weise und tätschelte Nynaeve den Rücken.

Nynaeve ließ los, trat zurück, dann wischte sie sich eine Träne aus dem Auge. »Wagt es ja nicht, das Lan zu erzählen«, fauchte sie.

»Das fiele mir im Traum nicht ein«, erwiderte Moiraine und trat in die Mitte des Pavillons.

»Unerträgliche Frau«, grummelte Nynaeve, während sie sich eine Träne aus dem anderen Auge wischte.

»Moiraine«, sagte Egwene. »Ihr seid genau im richtigen Augenblick gekommen.«

»Das Talent habe ich.«

»Nun«, fuhr Egwene fort, während sich Rand wieder hinter den Tisch begab, »Rand … der Wiedergeborene Drache … hat sich entschieden, dieses Land zu erpressen, damit es seine Forderungen erfüllt. Er weigert sich, seine Pflicht zu tun, bevor wir uns seinen Launen unterwerfen.«

Moiraine schürzte die Lippen und ergriff den Vertrag für den Drachenfrieden, den Galad für sie auf den Tisch legte. Sie überflog die Zeilen.

»Wer ist diese Frau?«, sagte Roedran. »Und warum stehen wir hier und … Könnt Ihr das lassen!« Er hob die Hand, als wäre er von einem Strang Luft getroffen worden, dann starrte er Egwene finster an – aber dieses Mal roch einer der Asha’man in der Nähe zufrieden.

»Gut gemacht, Grady«, flüsterte Perrin.

»Danke, mein Lord.«

Natürlich würde Grady nur ihre Legende kennen, aber die Geschichten über Moiraine hatten sich unter Rands Anhängern verbreitet.

»Und?«, fragte Egwene.

»›Und es wird kommen eine Zeit, da das, was Menschen erbauten, zerstört werde‹«, flüsterte Moiraine. »›Und der Schatten wird sich auf das Muster des Zeitalters senken, und der Dunkle König wird noch einmal seine Hand auf alles Menschenwerk legen. Die Frauen werden weinen und die Männer verzagen, wenn die Nationen dieser Erde wie brüchiger Stoff zerrissen werden. Nichts wird erhalten bleiben oder überdauern.‹«

Die Anwesenden scharrten mit den Füßen. Perrin sah Rand fragend an.

»›Doch einer wird geboren werden, der dem Schatten gegenübertritt‹«, sagte Moiraine nun lauter. »›Wiedergeboren, wie er zuvor geboren worden war und unzählige Male wiedergeboren werden wird. Der Drache wird wiedergeboren, und es wird ein Weinen und ein Zähneknirschen sein bei seiner Wiedergeburt. In Sackleinen und Asche wird er die Völker kleiden, und er wird die Welt noch einmal zerbrechen durch seine Wiederkehr und alle Bande zwischen den Menschen zerreißen!

Wie die grellen Strahlen der Sonne bei ihrem Aufgang wird er uns blenden und uns verbrennen, doch wird der Wiedergeborene Drache in der Letzten Schlacht dem Schatten die Stirn bieten, und sein Blut wird uns das Licht bringen. Lasst die Tränen fließen, ihr Völker dieser Welt! Weint um eure Erlösung!‹«

»Verzeiht, Aes Sedai«, sagte Darlin, »aber das ist alles sehr düster.«

»Immerhin soll es eine Erlösung geben«, sagte Moiraine. »Verratet mir etwas, Euer Majestät. Die Prophezeiung befiehlt Euch, Tränen zu vergießen. Solltet Ihr weinen, weil Eure Erlösung von so viel Schmerz und Sorge begleitet wird? Oder solltet Ihr für Eure Erlösung weinen? Für den Mann, der für Euch leiden wird? Dem einzigen, von dem wir mit Sicherheit wissen, dass er sich nicht von diesem Kampf abwenden wird?«

Sie wandte sich Rand zu.

»Diese Forderungen sein ungerecht«, sagte Gregorin. »Er von uns verlangen, unsere Grenzen so zu behalten, wie sie sind!«

»›Er wird sein Volk mit dem Schwert des Friedens töten‹«, sagte Moiraine, »›und sie mit dem Blatt vernichten.‹«

Das ist der Karaethon-Zyklus, dachte Perrin. Ich hörte diese Worte bereits.

»Die Siegel, Moiraine«, sagte Egwene. »Er will sie brechen. Er widersetzt sich der Autorität des Amyrlin-Sitzes.«

Moiraine sah nicht überrascht aus. Vermutlich hatte sie draußen gelauscht, bevor sie eingetreten war. Das sah ihr ähnlich.

»Ach, Egwene«, sagte sie. »Habt Ihr es denn vergessen? ›Die makellose Burg zerbricht und beugt das Knie vor dem vergessenen Zeichen …‹«

Egwene errötete.

»›Uns kann weder Gesundheit innewohnen, noch kann etwas Gutes in uns gedeihen‹«, zitierte Moiraine, »›da das Land eins ist mit dem Wiedergeborenen Drachen und er eins ist mit dem Land. Mit einer Seele aus Feuer und einem Herzen aus Stein …‹«

Sie sah Gregorin an. »›… siegt er stolz und zwingt die Stolzen nachzugeben.‹«

Dann die Grenzländer. »›Er fordert die Berge auf, sich niederzuknien …‹«

Das Meervolk. »›… und die Meere, sich zu teilen.‹«

Perrin, dann Berelain. »›Und den Himmel selbst, sich zu verneigen.‹«

Darlin. »›Betet, dass sich das Herz des Steins an die Tränen erinnert …‹«

Und schließlich Elayne. »›… und die Seele aus Feuer an die Liebe.‹ Dagegen könnt ihr nicht ankämpfen. Das kann keiner von euch. Es tut mir leid. Glaubt ihr, er hat sich das selbst einfallen lassen?« Sie hielt das Dokument in die Höhe. »Das Muster ist Gleichgewicht. Es ist nicht gut oder böse, weder weise noch dumm. Für das Muster spielen diese Dinge keine Rolle, aber es wird ein Gleichgewicht finden. Das letzte Zeitalter endete mit einer Zerstörung der Welt, also wird das nächste mit Frieden beginnen – selbst wenn man ihn euch in den Rachen rammen muss wie einem schreienden Säugling seine Medizin.«

»Darf ich sprechen?« Eine Aes Sedai mit einer braunen Stola trat vor.

»Ihr dürft«, sagte Rand.

»Das ist ein kluges Dokument, Lord Drache«, sagte die Braune. Sie war eine stämmige Frau und wesentlich direkter, als Perrin von einer Braunen Schwester erwartet hätte. »Aber ich sehe darin einen gewaltigen Fehler, der bereits zur Sprache kam. Solange die Seanchaner davon ausgeschlossen sind, solange wird es bedeutungslos bleiben. Solange sie nicht mit ihren Eroberungen aufhören, wird es keinen Frieden geben.«

»Das ist ein Problem«, sagte Elayne. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. »Aber nicht das einzige. Rand, ich verstehe, was Ihr tun wollt, und ich liebe Euch dafür. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass dieses Dokument von Grund auf unhaltbar ist. Damit ein Friedensvertrag Bestand hat, müssen beide Seiten den Frieden wollen, und zwar, weil er Vorteile bringt.

Das hier räumt einem keine Möglichkeiten ein, Meinungsverschiedenheiten zu klären. Und die wird es geben, die gibt es immer. Ein solches Dokument muss eine Möglichkeit vorgeben, diese Dinge zu regeln; Ihr müsst einen Weg schaffen, einen Verstoß zu bestrafen, ohne dass die anderen Länder sofort in einen grenzenlosen Krieg verstrickt werden. Ohne diese Veränderung werden kleine Missstände gären und im Laufe der Jahre stetig Druck aufbauen, bis sie explodieren.

Das hier verlangt förmlich von den Nationen, sich auf den Ersten zu stürzen, der den Frieden bricht. Aber es hält sie nicht davon ab, in dem gestürzten Königreich eine Marionettenregierung einzusetzen, oder auch in einem anderen Königreich. Ich fürchte, dass dieser Vertrag im Laufe der Zeit als null und nichtig betrachtet wird; was nützt er, wenn er nur auf dem Papier beschützt? Das Ergebnis wird ein Krieg sein. Ein gewaltiger, alles verschlingender Krieg. Für eine Weile werdet Ihr Euren Frieden haben, vor allem so lange jene leben, die Euch verehren. Aber für jedes Jahr des Friedens, das Ihr gewinnt, werdet Ihr noch größere Zerstörung ernten, sobald das Ding auseinanderfällt.«

Rand legte den Finger auf das Dokument. »Ich werde mit den Seanchanern Frieden schließen. Wir fügen einen Zusatz hinzu. Falls ihre Kaiserin nicht unterzeichnet, dann ist das Dokument null und nichtig. Stimmt ihr dann alle zu?«

»Das löst das geringere Problem«, erwiderte Elayne leise, »aber nicht das größere, Rand.«

»Da gibt es ein noch viel bedeutenderes Problem«, sagte da eine neue Stimme.

Perrin drehte sich überrascht um. Aviendha? Sie und die anderen Aiel hatten nicht an der Diskussion teilgenommen. Sie hatten bloß zugesehen. Perrin hatte beinahe schon vergessen, dass sie auch da waren.

»Du auch?«, sagte Rand. »Bist du gekommen, um über die Splitter meiner Träume zu gehen, Aviendha?«

»Sei kein Kind, Rand al’Thor«, sagte die Frau, trat vor und legte die Finger auf das Dokument. »Du hast Toh

»Ich habe euch herausgelassen«, protestierte Rand. »Ich vertraue dir und allen Aiel.«

»Die Aiel sind davon nicht betroffen?«, sagte Easar. »Beim Licht, wie konnten wir das übersehen!«

»Das ist eine Beleidigung«, sagte Aviendha.

Perrin runzelte die Stirn. Sie roch nach tiefem Ernst. Von einer anderen Aiel hätte er erwartet, dass sie als Nächstes den Schleier befestigte und den Speer hob.

»Aviendha«, sagte Rand lächelnd. »Die anderen wollen mich aufhängen, weil ich sie in das Dokument aufgenommen habe, und du bist wütend, weil ihr nicht dort steht?«

»Ich fordere meine Gunst«, sagte sie. »Das ist sie. Nimm die Aiel in dein Dokument auf als Teil deines ›Drachenfriedens‹. Sonst verlassen wir dich.«

»Du sprichst nicht für sie alle«, erwiderte Rand. »Du kannst nicht …«

Alle Weisen Frauen stellten sich hinter Aviendha auf, als hätten sie es geübt. Rand blinzelte.

»Aviendha trägt unsere Ehre«, sagte Sorilea.

»Seid nicht töricht, Rand al’Thor«, fügte Melaine hinzu.

»Das ist eine Sache der Frauen«, verkündete Sarinde. »Wir werden nicht zufrieden sein, bis wir den Feuchtländern gleichgestellt sind.«

»Soll das zu schwer für uns sein?«, fragte Amys. »Beleidigt Ihr uns, indem Ihr andeutet, dass wir schwächer als die anderen sind?«

»Ihr seid doch alle verrückt!«, erwiderte Rand. »Ist Euch eigentlich klar, dass dieser Vertrag euch verbietet, gegeneinander zu kämpfen?«

»Er verbietet nicht den Kampf«, sagte Aviendha. »Nur den Kampf um des Kampfes willen.«

»Der Krieg ist doch euer Daseinszweck«, meinte Rand.

»Wenn du das glaubst, Rand al’Thor«, erwiderte sie mit kalter Stimme, »dann habe ich dich wirklich schlecht unterrichtet.«

»Sie spricht weise«, meldete sich Rhuarc zu Wort und trat vor die Menge. »Es war unser Daseinszweck, uns darauf vorzubereiten, dass Ihr uns in der Letzten Schlacht braucht – es war unser Daseinszweck, dafür stark genug zu sein und auch so zu bleiben. Wir werden einen anderen brauchen. Ich habe für Euch Blutfehden begraben, Rand al’Thor. Ich würde sie nicht wieder aufleben lassen. Ich habe jetzt Freunde, die ich lieber nicht töten würde.«

»Wahnsinn«, sagte Rand kopfschüttelnd. »Also gut. Ich nehme die Aiel auf.«

Aviendha erschien zufrieden, aber etwas störte Perrin. Er verstand die Aiel nicht – Licht, er verstand nicht einmal Gaul, der so lange mit ihm gereist war und gekämpft hatte. Aber ihm war aufgefallen, dass die Aiel gern etwas zu tun hatten. Selbst wenn sie sich ausruhten, blieben sie hellwach. Wo andere Männer den Würfelbecher hervorholten, taten Aiel oft still und unbemerkt etwas Nützliches.

»Rand«, sagte er, trat vor und berührte seinen Arm. »Einen Moment, bitte.«

Rand zögerte, dann nickte er und machte eine Geste. »Wir sind abgeschirmt; sie können uns nicht zuhören. Worum geht es?«

»Nun, mir ist gerade etwas aufgefallen. Die Aiel sind wie Werkzeuge.«

»Schön. Und …?«

»Und Werkzeuge, die nicht benutzt werden, setzen Rost an.«

»Darum überfallen sie ja auch einander.« Rand rieb sich die Schläfe. »Um in Übung zu bleiben. Darum habe ich sie ja auch ausgeschlossen. Beim Licht, Perrin! Ich glaube, das wird eine Katastrophe. Wenn wir sie in dieses Dokument aufnehmen …«

»Ich glaube nicht, dass du jetzt noch eine andere Wahl hast. Die anderen werden niemals unterschreiben, wenn die Aiel ausgeschlossen bleiben.«

»Ich weiß nicht, ob sie überhaupt unterschreiben.« Rand schaute sehnsüchtig auf das Blatt Papier auf dem Tisch. »Es war so ein schöner Traum, Perrin. Der Traum, etwas Gutes für die Menschheit zu tun. Ich war davon überzeugt, sie fest in der Hand zu haben. Bis Egwene mich in die Enge trieb.«

Es war gut, dass die anderen nicht Rands Gefühle riechen konnten, sonst hätte jeder sofort gewusst, dass er sich niemals weigern würde, gegen den Dunklen König anzutreten. Er ließ sich nichts davon anmerken, aber Perrin wusste, dass er in seinem Inneren so nervös wie ein Junge vor seiner ersten Schafschur war.

»Rand, begreifst du nicht?«, sagte er plötzlich. »Die Lösung.«

Rand sah ihn nur stirnrunzelnd an.

»Die Aiel«, sagte Perrin. »Das Werkzeug, das benutzt werden musste. Ein Vertrag, der durchgesetzt werden muss …«

Zuerst zögerte Rand, dann grinste er breit. »Perrin, du bist ein Genie.«

»Wenn es um Schmiedearbeiten geht, weiß ich ein paar Sachen. Glaube ich zumindest.«

»Aber hier … hier geht es doch gar nicht um das Handwerk eines Schmieds …«

»Aber natürlich tut es das«, erwiderte Perrin. Wieso konnte Rand das nicht verstehen?

Rand drehte sich um und beendete zweifellos sein Gewebe. Er ging zu dem Dokument, dann hielt er es einem seiner Sekretäre im hinteren Teil des Pavillons hin. »Ich will, dass zwei zusätzliche Klauseln aufgenommen werden. Erstens: Dieses Dokument ist null und nichtig, wenn es nicht entweder von der seanchanischen Tochter der Neun Monde oder der Kaiserin unterzeichnet wird. Zweitens: Die Aiel mit Ausnahme der Shaido sollen als Vollstrecker des Friedens und Vermittler bei Disputen zwischen den Nationen in das Dokument aufgenommen werden. Jede Nation darf sich an sie wenden, wenn sie sich geschmäht fühlt, und die Aiel sorgen für Recht. Und nicht feindliche Heere. Sie können Verbrecher über nationale Grenzen verfolgen. Sie unterwerfen sich den Gesetzen der Nationen, in denen sie sich gerade aufhalten, aber sie sind keine Untertanen dieser Nationen.«

Er wandte sich Elayne zu. »Da habt Ihr Eure Vollstrecker, Elayne, die Methode, die verhindert, dass sich der von Euch erwähnte Unmut aufbaut.«

»Die Aiel?«, fragte sie skeptisch.

»Seid Ihr damit einverstanden, Rhuarc?«, wollte Rand wissen. »Bael, Jheran, der Rest von euch? Ihr behauptet, ihr würdet euren Daseinszweck verlieren, und Perrin sieht euch als Werkzeug, das etwas zu tun braucht. Übernehmt ihr diese Verantwortung? Kriege zu verhindern, jene zu bestrafen, die Verbrechen begehen, mit den Herrschern der Nationen zusammenzuarbeiten, damit der Gerechtigkeit Genüge getan wird?«

»Gerechtigkeit, wie wir sie sehen, Rand al’Thor«, fragte Rhuarc, »oder wie sie sie sehen?«

»Es wird nach dem Gewissen der Aiel gehen müssen«, sagte Rand. »Wenn sie euch rufen, werden sie wissen müssen, dass sie eure Gerechtigkeit empfangen. Das wird nicht funktionieren, wenn die Aiel zu Marionetten werden. Eure Unabhängigkeit wird dafür sorgen, dass das hier eine effektive Lösung ist.«

Gregorin und Darlin fingen an sich zu beschweren, aber Rand brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. Perrin nickte mit verschränkten Armen. Ihre Beschwerden waren jetzt schwächer als zuvor. Bei vielen von ihnen roch er … Nachdenklichkeit.

Sie betrachten das als Gelegenheit, wurde ihm klar. Für sie sind die Aiel Wilde, und sie glauben, man könnte sie leicht manipulieren, sobald es Rand nicht mehr gibt. Perrin grinste und stellte sich ihre Niederlage vor, sollten sie es jemals versuchen.

»Das kommt sehr plötzlich«, sagte Rhuarc.

»Willkommen zum Festmahl«, fügte Elayne hinzu, die Rand noch immer mit Blicken zu erdolchen schien. »Probiert die Suppe.« Seltsamerweise roch sie nach Stolz. Seltsame Frau.

»Ich warne Euch, Rhuarc«, sagte Rand. »Ihr werdet eure Sitten verändern müssen. In dieser Angelegenheit werden die Aiel gemeinsam handeln müssen; die Häuptlinge und Weisen Frauen werden sich zu einem Rat treffen müssen, um gemeinsam Entscheidungen zu fällen. Ein Clan kann keine Schlacht schlagen, während andere Clans anderer Ansicht sind und für die Gegenseite kämpfen.«

»Wir sprechen darüber«, verkündete Rhuarc und nickte den anderen Häuptlingen zu. »Das bedeutet für die Aiel das Ende.«

»Und einen neuen Anfang«, meinte Rand.

Die Clanhäuptlinge der Aiel und die Weisen Frauen versammelten sich in zwei Gruppen an der Seite und begannen leise zu debattieren. Aviendha blieb, während Rand besorgt ins Leere starrte. Perrin hörte ihn etwas flüstern, so leise, dass er nur Bruchstücke mitbekam.

»… dein Traum jetzt … wenn du aus diesem Leben erwachen wirst, werden wir nicht länger …«

Rands Sekretäre, denen die Hektik aus den Poren quoll, traten vor, um an den Zusatzklauseln des Dokuments zu arbeiten. Die Frau namens Cadsuane beobachtete alles mit strenger Miene.

Sie roch außerordentlich stolz.

»Fügt eine weitere Klausel hinzu«, sagte Rand. »Die Aiel wenden sich an andere Nationen um Hilfe, falls sie zu der Entscheidung kommen, dass ihre Zahl nicht ausreicht. Arbeitet formelle Wege aus, wie die Nationen bei den Aiel vorstellig werden, wenn sie wollen, dass man ihnen ihr Recht verschafft oder wenn sie die Erlaubnis brauchen, einen Feind anzugreifen.«

Die Sekretäre nickten und arbeiteten noch eifriger.

»Ihr tut so, als wäre das schon alles entschieden«, sagte Egwene zu Rand.

»Oh, davon sind wir noch weit entfernt«, warf Moiraine ein. »Rand, ein paar Worte.«

»Werden sie mir gefallen?«

»Ich fürchte nicht. Verratet mir, warum müsst Ihr die Heere persönlich anführen? Ihr werdet zum Shayol Ghul gehen, wo Ihr zweifellos mit niemandem Kontakt aufnehmen werden könnt.«

»Jemand muss den Befehl haben, Moiraine.«

»Was das angeht, da sind wir uns wohl alle einig.«

Rand nahm die Arme wieder auf den Rücken und roch beunruhigt. »Für diese Menschen habe ich die Verantwortung übernommen, Moiraine. Ich will dafür sorgen, dass man sich um sie kümmert, dass die Grausamkeiten dieser Schlacht so gering wie möglich ausfallen.«

»Ich fürchte, das ist kein guter Grund, um eine Schlacht anzuführen«, erwiderte Moiraine leise. »Man kämpft nicht, um seine Truppen zu schützen, man kämpft, um zu siegen. Dieser Anführer müsstet nicht Ihr sein, Rand. Ihr solltet es auch nicht sein.«

»Ich lasse nicht zu, dass diese Schlacht zu einem Chaos wird, Moiraine. Wenn Euch die Fehler bekannt wären, die wir das letzte Mal machten, die Verwirrung, die entsteht, wenn jedermann glaubt, den Befehl zu haben. Jede Schlacht ist ein Chaos, aber wir brauchen trotzdem einen obersten Befehlshaber, der Entscheidungen trifft, der versucht, das Chaos zu bewältigen.«

»Was ist mit der Weißen Burg?« Romanda kämpfte sich zu Egwene durch und stieß dabei beinahe alle anderen aus dem Weg. »Wir haben die Möglichkeiten, auf effiziente Weise zwischen den Fronten zu Reisen, wir bewahren kühlen Kopf, wo andere die Nerven verlieren, und uns gehört das Vertrauen aller Nationen.«

Die letzte Bemerkung ließ Darlin eine Braue heben.

»Die Weiße Burg erscheint tatsächlich als die beste Wahl, Lord Drache«, fügte Tenobia hinzu.

Rand schüttelte den Kopf. »Nein. Die Amyrlin ist sicherlich vieles, aber eine Schlachtenführerin … Ich halte das für keine gute Entscheidung.«

Seltsamerweise schwieg Egwene. Perrin musterte sie. Eigentlich hätte er angenommen, dass sie sich auf die Gelegenheit stürzen würde, die Heerscharen selbst anzuführen.

»Es sollte einer von uns sein«, sagte Darlin. »Aus denen auserwählt, die in die Schlacht ziehen.«

»Vielleicht wäre das möglich«, sagte Rand. »Solange ihr alle wisst, wer den Befehl hat, gebe ich in diesem Punkt nach. Aber Ihr müsst meine anderen Forderungen erfüllen.«

»Ihr besteht noch immer darauf, dass Ihr die Siegel brechen müsst?«, sagte Egwene.

»Sorgt Euch nicht, Egwene.« Moiraine lächelte. »Er wird die Siegel nicht brechen.«

Rands Miene verfinsterte sich.

Egwene lächelte.

»Ihr brecht sie«, sagte Moiraine zu Egwene.

»Was? Auf gar keinen Fall!«

»Ihr seid die Wächterin über die Siegel, Mutter«, sagte Moiraine. »Habt Ihr nicht gehört, was ich eben sagte? ›Und es wird kommen eine Zeit, da das, was Menschen erbauten, zerstört werde, und der Schatten wird sich auf das Muster des Zeitalters senken, und der Dunkle König wird noch einmal seine Hand auf alles Menschenwerk legen …‹ Es muss geschehen.«

Egwene erschien beunruhigt.

»Ihr habt es gesehen, nicht wahr?«, flüsterte Moiraine. »Was habt Ihr Geträumt, Mutter?«

Egwene antwortete nicht.

»Was habt Ihr gesehen?«, drängte Moiraine sie und trat näher an sie heran.

»Wie er sie zertritt«, sagte Egwene und starrte Moiraine in die Augen. »Rand tritt auf die Scherben des Dunklen Königs Kerker. In einem anderen Traum sah ich ihn, wie er darauf einschlägt, um ihn zu öffnen. Aber ich sah nicht, dass er ihn tatsächlich auch öffnet, Moiraine.«

»Die Splitter waren da, Mutter«, sagte Moiraine. »Die Siegel waren gebrochen.«

»Träume sind interpretierbar.«

»Ihr wisst, dass dieser Traum die Wahrheit sagt. Es muss getan werden, und die Siegel gehören Euch. Ihr werdet sie brechen, wenn der richtige Augenblick gekommen ist. Rand, Wiedergeborener Lord Drache, es ist Zeit, sie ihr zu übergeben.«

»Das gefällt mir nicht, Moiraine«, sagte er.

»Dann hat sich nicht viel verändert, oder?«, fragte sie leichthin. »Ich weiß, Ihr habt Euch oft geweigert, das zu tun, was Ihr tun solltet. Vor allem wenn ich es bin, der Euch darauf hinweist.«

Einen Moment lang ging er in sich, dann lachte er und griff in die Manteltasche. Er zog drei Scheiben aus Cuendillar hervor, von denen jede in der Mitte von einer Schlangenlinie durchzogen wurde. Er legte sie auf den Tisch.

»Wie wird sie den richtigen Zeitpunkt erkennen?«, wollte er wissen.

»Sie wird es«, sagte Moiraine.

Egwene roch skeptisch, und Perrin konnte es ihr nicht verübeln. Moiraine hatte stets daran geglaubt, den Geweben des Musters zu folgen und sich den Drehungen des Rades zu beugen. Perrin sah das nicht so. Seiner Ansicht nach erschuf man sich seinen eigenen Weg und vertraute auf die Kraft seiner Arme, alles Nötige zu tun. Man sollte sich nicht auf das Muster verlassen.

Egwene war Aes Sedai. Anscheinend war sie der Ansicht, dass sie es auf die gleiche Weise wie Moiraine betrachten musste. Entweder das, oder sie stimmte einfach nur zu, um die Siegel in die Hand zu bekommen. »Ich breche sie, wenn ich das Gefühl habe, dass es sein muss.« Sie nahm die Siegel an sich.

»Also unterzeichnet Ihr.« Rand nahm das Dokument, während sich die Sekretäre über die Eile beklagten, mit der sie hatten arbeiten müssen. Auf der Rückseite standen nun mehrere Zusätze. Einer der Sekretäre schrie auf und griff nach dem Sand, um die Tinte zu trocknen, aber Rand tat etwas mit der Einen Macht und trocknete die Schrift augenblicklich, während er Egwene das Dokument vorlegte.

»Das werde ich«, sagte sie und hielt die Hand für eine Schreibfeder hin. Sorgfältig las sie die Zusätze, und andere Schwestern blickten ihr dabei über die Schulter. Eine nach der anderen nickte.

Egwene setzte die Feder an und schrieb.

»Und jetzt der Rest«, sagte Rand und drehte sich um, um die Reaktionen einzuschätzen.

»Beim Licht, er ist schlau geworden«, flüsterte Faile an Perrins Seite. »Ist dir klar, was er getan hat?«

»Was denn?«, fragte Perrin und kratzte sich am Bart.

»Er brachte alle mit, von denen er wusste, dass sie ihn unterstützen würden«, flüsterte Faile. »Die Grenzländer, die praktisch alles unterschreiben würden, um Hilfe für ihre Heimat zu bekommen. Arad Doman, dem er erst kürzlich half. Die Aiel … nun gut, wer weiß schon, wie die Aiel reagieren? Trotzdem.

Dann ließ er Egwene die anderen einsammeln. Das ist genial, Perrin. Da sie diese Koalition gegen ihn mitbrachte, brauchte er eigentlich nur sie zu überzeugen. Sobald er sie auf seine Seite gebracht hat, würden die anderen als die Dummen dastehen, wenn sie nicht mitziehen.«

Und in der Tat, als die Herrscher anfingen, der Reihe nach zu unterzeichnen – Berelain war die Erste und Eifrigste –, wurden diejenigen, die Egwene unterstützt hatten, unruhig. Darlin trat vor und ergriff die Feder. Kurz zögerte er, dann unterschrieb er.

Gregorin folgte ihm. Dann die Grenzländer, ein Herrscher nach dem anderen, dann der König von Arad Doman. Selbst Roedran, der die ganze Sache noch immer als Fiasko zu betrachten schien, unterschrieb. Perrin fand das seltsam.

»Er bläst sich gern auf«, sagte er zu Faile, »aber er weiß, dass das seinem Königreich nur nutzen kann.«

Sie nickte. »Er benimmt sich wie ein Rüpel, um alle dazu zu bringen, ihn zu missachten. Dieses Dokument legt die derzeitigen Grenzen der Nationen auf Dauer fest. Für jemanden, der versucht, seine Herrschaft zu festigen, ist das eine gewaltige Gunst. Aber …«

»Aber?«

»Die Seanchaner?«, sagte Faile leise. »Falls Rand sie überreden kann, dürfen sie dann Länder behalten, die sie jetzt haben? Die Frauen, die Damane sind? Dürfen sie jeder Frau, die ihre Grenze überschreitet, einen dieser Kragen mit Leine um den Hals legen?«

In das Zelt kehrte Stille ein; vielleicht hatte Faile lauter als beabsichtigt gesprochen. Manchmal hatte Perrin Probleme, sich daran zu erinnern, was gewöhnliche Menschen hören konnten und was nicht.

»Ich kümmere mich um die Seanchaner«, versprach Rand. Er stand über den Tisch gebeugt und sah zu, wie sich jeder Herrscher das Dokument noch einmal durchlas, mit den mitgebrachten Beratern sprach und dann unterzeichnete.

»Wie denn?«, fragte Darlin. »Sie wollen keinen Frieden mit Euch schließen, Lord Drache. Ich glaube, sie werden dieses Dokument bedeutungslos machen.«

»Sobald wir hier fertig sind«, sagte Rand leise, »gehe ich zu ihnen. Sie werden unterschreiben.«

»Und wenn sie es nicht tun?«, verlangte Gregorin zu wissen.

Rand stützte seine Hand mit gespreizten Fingern auf den Tisch. »Möglicherweise muss ich sie dann vernichten. Oder zumindest ihre Möglichkeiten, in der näheren Zukunft Krieg zu führen.«

Totenstille breitete sich im Pavillon aus.

»Seid Ihr dazu fähig?«, fragte Darlin.

»Ich bin mir nicht sicher«, gestand Rand ein. »Falls ich es kann, könnte es mich in einem Augenblick schwächen, in dem ich meine ganze Kraft brauche. Licht, vielleicht ist das meine einzige Wahl. Eine schreckliche Wahl, als ich sie das letzte Mal verließ … Wir können einfach nicht zulassen, dass sie uns in den Rücken fallen, während wir den Schatten bekämpfen.« Er schüttelte den Kopf, und Min trat vor und nahm seinen Arm. »Ich finde eine Möglichkeit, mit ihnen zu verfahren. Irgendwie finde ich eine Möglichkeit.«

Die Unterzeichnung ging weiter. Manche taten es mit großem Gehabe, andere eher nüchtern. Rand ließ auch Perrin, Gawyn, Faile und Gareth Bryne unterschreiben. Er schien zu wollen, dass jeder der hier Anwesenden, der möglicherweise in eine Machtposition aufsteigen würde, seinen Namen unter diesen Vertrag setzte.

Schließlich war nur noch Elayne übrig. Rand hielt ihr die Schreibfeder hin.

»Ihr verlangt da eine schwierige Sache von mir«, sagte sie mit verschränkten Armen. Ihr blondes Haar glänzte im Licht seiner Lichtkugel. Warum hatte sich draußen bloß der Himmel bewölkt? Rand schien das nicht zu beunruhigen, aber Perrin fürchtete, dass die Wolken wieder den Himmel zurückerobert hatten. Ein gefährliches Zeichen, wenn sie ausgerechnet jetzt dort herrschten, wo Rand sie zuvor zurückgedrängt hatte.

»Ich weiß, es ist schwierig«, sagte Rand. »Vielleicht, wenn ich Euch etwas im Gegenzug gebe …«

»Was denn?«

»Den Krieg.« Rand wandte sich an die Herrscher. »Ihr wolltet, dass einer von Euch die Letzte Schlacht anführt. Würdet Ihr Andor und seine Königin in dieser Rolle akzeptieren?«

»Zu jung«, sagte Darlin. »Zu neu. Das soll keine Beleidigung sein, Eure Majestät.«

Alsalam schnaubte. »Ihr habt es gerade nötig, Darlin. Die Hälfte der anwesenden Monarchen sitzt nicht einmal ein Jahr auf ihrem Thron.«

»Was ist mit den Grenzländern?«, fragte Alliandre. »Sie kämpfen ihr ganzes Leben schon gegen die Fäule.«

»Wir werden überrannt«, sagte Paitar. Er schüttelte den Kopf. »Das kann keiner von uns bewerkstelligen. Andor ist eine genauso gute Wahl wie alle anderen.«

»Andor hat gerade selbst mit einer Invasion zu kämpfen«, bemerkte Darlin.

»Das gilt für euch alle, oder zumindest bald«, sagte Rand. »Elayne Trakand ist die geborene Anführerin; sie hat mir viel von dem beigebracht, was ich über Führung weiß. Sie hat von einem Großen Hauptmann über Taktik gelernt, und ich bin davon überzeugt, dass sie sich bei allen Großen Hauptmännern Rat holt. Jemand muss der Befehlshaber sein. Seid ihr alle bereit, sie in dieser Position zu akzeptieren?«

Die anderen nickten zögernd. Rand wandte sich Elayne zu.

»Also gut, Rand«, sagte sie. »Ich werde es tun, und ich unterschreibe auch, aber Ihr solltet besser einen Weg finden, die Seanchaner zur Vernunft zu bringen. Ich will den Namen ihrer Herrscherin auf diesem Dokument sehen. Vorher ist keiner von uns sicher.«

»Was ist mit den Frauen, die von den Seanchanern gefangen gehalten werden?«, fragte Rhuarc. »Ich muss zugeben, Rand al’Thor, dass es unsere Absicht war, in dem Augenblick, in dem die dringenderen Schlachten gewonnen sind, diesen Invasoren eine Blutfehde zu erklären.«

»Wenn ihre Herrscherin unterzeichnet, werde ich um Handelsbeziehungen bitten im Austausch für die Machtlenkerinnen, die sie geraubt haben. Ich werde versuchen, sie dazu zu überreden, die von ihnen annektierten Länder zurückzugeben und in ihre Heimat zurückzukehren.«

Egwene schüttelte den Kopf. »Und wenn sie sich weigern? Sollen sie unterschreiben, ohne in diesen Punkten nachzugeben? Tausende sind versklavt, Rand.«

»Wir können sie nicht besiegen«, sagte Aviendha leise. Perrin warf ihr einen Blick zu. Sie roch frustriert, aber entschlossen. »Wenn wir gegen sie in den Krieg ziehen, wird das unser Untergang sein.«

»Aviendha hat recht«, sagte Amys. »Die Aiel werden nicht gegen die Seanchaner kämpfen.«

Überrascht sah Rhuarc die beiden nacheinander an.

»Sie haben schreckliche Dinge getan«, sagte Rand, »aber bis jetzt haben die von ihnen übernommenen Länder von ihrer starken Führung profitiert. Falls ich dazu gezwungen werde, bin ich bereit, ihnen die Länder zu überlassen, die sie bis jetzt haben, solange sie sich nicht weiter ausbreiten. Was die Frauen angeht … was geschehen ist, ist geschehen. Wollen wir uns erst einmal um die ganze Welt kümmern, danach tun wir, was wir für diese Gefangenen tun können.«

Elayne hielt das Dokument einen Moment in der Hand, vielleicht um der Dramatik willen, dann beugte sie sich vor und fügte schwungvoll ihren Namen hinzu.

»Es ist vollbracht«, sagte Moiraine, als Rand das Blatt nahm. »Dieses Mal bekommt Ihr Euren Frieden, Lord Drache.«

»Zuerst müssen wir überleben«, sagte er und hielt das Dokument andächtig in der Hand. »Ich überlasse euch euren Schlachtvorbereitungen. Ich muss noch einige Aufgaben zum Abschluss bringen, die Seanchaner eingeschlossen, bevor ich mich zum Shayol Ghul begebe. Allerdings habe ich noch eine Bitte an euch. Es gibt da einen lieben Freund, der unsere Hilfe braucht …«


Wütende Blitze durchzuckten den bewölkten Himmel. Trotz des Schattens floss der Schweiß Lan in den Nacken und klebte sein Haar unter dem Helm fest. Schon seit Jahren hatte er keinen mehr getragen; als Moiraines Begleiter hatte er unauffällig sein müssen, und Helme waren das nun wirklich nicht.

»Wie … wie schlimm ist es?« Andere verzog das Gesicht, hielt sich die Seite und lehnte sich an einen Felsen.

Lan betrachtete die Schlacht. Das Schattengezücht rottete sich wieder zusammen. Die Ungeheuer erweckten den Anschein, als würden sie miteinander verschmelzen, und zwar zu einer finsteren, heulenden Masse aus purem Hass so dick wie die Luft selbst – sie speicherte die Hitze und Luftfeuchtigkeit, so wie ein Kaufmann feine Teppiche hortete.

»Schlimm«, erwiderte Lan.

»Das wusste ich«, sagte Andere. Zwischen seinen Fingern sickerte Blut hervor, während er immer schneller atmete. »Nazar?«

»Nicht mehr unter uns«, sagte Lan. Der weißhaarige Mann war in demselben Kampf gefallen, der auch um ein Haar Andere das Leben gekostet hätte. Lan hatte sie nicht schnell genug retten können. »Ich sah, wie er einem Trolloc den Bauch aufschlitzte, während die Bestie ihn tötete.«

»Möge die letzte Umarmung der Mutter …« Andere verkrampfte sich vor Schmerzen. »Möge die letzte …«

»Möge die letzte Umarmung der Mutter dich daheim willkommen heißen«, vollendete Lan leise den Satz.

»Seht mich nicht so an, Lan«, sagte Andere. »Wir alle wussten, wie das hier endet, als wir … als wir uns Euch anschlossen.«

»Darum habe ich auch versucht, Euch davon abzuhalten.«

Andere runzelte die Stirn. »Ich …«

»Friede, Andere«, sagte Lan und erhob sich. »Mein Wunsch war selbstsüchtig. Ich kam, um für Malkier zu sterben. Ich habe nicht das Recht, anderen dieses Privileg zu verweigern.«

»Lord Mandragoran!« Prinz Kaisel kam angeritten; seine einst so kostbare Rüstung war voller Beulen und blutverschmiert. Der Kandori-Prinz sah noch immer zu jung für diese Schlacht aus, aber er hatte sich als genauso kaltblütig wie jeder erfahrene Veteran erwiesen. »Sie formieren sich wieder.«

Lan trat zu dem Pferdeknecht, der Mandarb hielt. Die Flanken des schwarzen Hengstes wiesen Schnitte von Trolloc-Waffen auf. Dank dem Licht waren sie nur oberflächlich. Lan legte dem Hengst die Hand auf den Hals, und Mandarb schnaubte. In der Nähe hob sein Standartenträger, ein kahlköpfiger Mann namens Jophil, die Flagge von Malkier. Der Goldene Kranich. Das war sein fünfter Standartenträger seit dem Vortag.

Lans Truppe hatte den Pass mit ihrem Sturmangriff erobert und das Schattengezücht zurückdrängen können, bevor es ins Tal strömte. Das war mehr, als Lan je erwartet hatte. Der Pass war ein langes, schmales Stück felsiges Terrain zwischen zerklüfteten Felswänden und Gipfeln.

Diese Position zu halten erforderte keine clevere Taktik. Man hielt stand, man starb und man tötete – so lange, wie man dazu imstande war.

Lan kommandierte Kavallerie. Für diese Aufgabe war sie nicht unbedingt ideal – Kavallerie funktionierte eigentlich am besten, wenn sie sich ausbreiten konnte und ordentlich Platz für einen Sturmangriff hatte –, aber der Weg durch den Tarwin-Pass war schmal genug, dass immer nur eine kleine Anzahl Trollocs auf einmal passieren konnte. Das verschaffte Lan eine Chance. Zumindest fiel es den Tiermenschen schwerer, ihre gewaltige zahlenmäßige Überlegenheit zu nutzen. Für jeden gewonnenen Zoll würden sie eine Metzgerrechnung bezahlen.

Trolloc-Kadaver bedeckten den Schluchtboden wie eine Felldecke. Jedes Mal, wenn die Kreaturen den Durchgang erneut erzwingen wollten, hatten Lans Männer mit Lanzen und Stangenwaffen, Schwertern und Pfeilen Widerstand geleistet, Tausende erschlagen und sie für ihre Artgenossen aufgeschichtet, damit sie über sie hinwegklettern mussten. Aber jeder Zusammenstoß reduzierte auch Lans Mannstärke.

Jeder Angriff zwang sie, sich wieder ein Stück zurückzuziehen. Zum Passeingang. Nun trennten sie nicht einmal mehr hundert Fuß davon.

Lan spürte die Müdigkeit tief in seinen Knochen.

»Unsere Streitkräfte?«, fragte er Prinz Kaisel.

»Vielleicht noch sechstausend, die reiten können, Dai Shan.«

Weniger als die Hälfte dessen, womit sie am Vortag begonnen hatten. »Sagt ihnen, sie sollen aufsitzen.«

Kaisel sah entsetzt aus. »Wir treten den Rückzug an?«

Lan wandte sich dem Jungen zu.

Kaisel erbleichte. Man hatte Lan erzählt, sein Blick könne jedem Mann den Mut rauben; Moiraine hatte gern gescherzt, er könne einen Stein in einem Wettstreit im Blinzeln schlagen und habe die Geduld einer Eiche. Nun, er fühlte sich nicht so selbstsicher, wie die Leute dachten, aber dieser Junge hätte es besser wissen sollen, als zu fragen, ob sie sich zurückziehen sollten.

»Natürlich«, sagte Lan, »und dann greifen wir an.«

»Angreifen?«, wiederholte Kaisel. »Wir sind in der Defensive!«

»Sie werden uns hinwegfegen«, sagte Lan und zog sich auf Mandarbs Sattel. »Wir sind erschöpft, ausgelaugt und fast gebrochen. Bleiben wir hier stehen und lassen sie noch einmal auf uns zukommen, fallen wir ohne ein Wimmern.«

Lan erkannte ein Ende, wenn er es sah.

»Gebt die Befehle weiter«, sagte er zu Prinz Kaisel. »Wir ziehen uns langsam aus dem Pass zurück. Ihr lasst den Rest der Truppen auf der Ebene Aufstellung nehmen, aufgesessen und bereit, das Schattengezücht anzugreifen, wenn es durch den Pass kommt. Ein Sturmangriff wird großen Schaden anrichten; sie werden gar nicht wissen, was sie getroffen hat.«

»Werden wir nicht eingekreist und überrannt, wenn wir den Pass verlassen?«

»Das ist das Beste, was wir mit den uns noch zur Verfügung stehenden Kräften erreichen können.«

»Und dann?«

»Und dann brechen sie irgendwann durch, hauen unsere Armee in Stücke und überrennen uns.«

Kaisel saß für einen Moment da, dann nickte er. Wieder war Lan beeindruckt. Er hatte angenommen, der Junge hätte ihn begleitet, um den Ruhm der Schlacht kennenzulernen, um an der Seite Dai Shans zu kämpfen und ihre Feinde hinwegzufegen. Aber nein. Kaisel war ein echter Grenzländer. Er war nicht wegen des Ruhms hier. Er war gekommen, weil er es musste. Guter Junge.

»Gebt den Befehl. Die Männer werden froh sein, wieder auf den Pferden zu sitzen.« Zu viele von ihnen waren gezwungen gewesen, wegen des beengten Raums zu Fuß zu kämpfen.

Kaisel gab die Befehle, und diese Befehle brannten sich durch Lans Männer wie ein Herbstfeuer. Lan sah, wie Bulen Andere in den Sattel half.

Lan trieb Mandarb zum Schritt an, bis er an seiner Seite war. »Andere? Ihr seid nicht in der Verfassung zu reiten. Gesellt Euch zu den Verwundeten im hinteren Lager.«

»Damit ich daliege und mich von den Trollocs abschlachten lasse, nachdem sie Euch erledigt haben?« Andere beugte sich leicht schwankend im Sattel vor, und Bulen sah besorgt zu ihm hoch. Andere winkte ab und zwang sich in eine aufrechte Position. »Wir haben den Berg bereits bewegt, Lan. Bewegen wir noch die Feder und bringen es hinter uns.«

Lan wusste dem nichts entgegenzusetzen. Er rief den Männern, die vor ihm im Pass waren, den Befehl zu, sich zurückzuziehen. Sie scharten sich um ihn und wichen langsam zur Ebene zurück.

Die Trollocs johlten und brüllten vor Aufregung. Sie wussten, dass sie diesen Kampf mühelos gewinnen würden, sobald sie die einengenden Wände los waren.

Lan und seine kleine Streitmacht verließ den schmalen Pass; die zu Fuß rannten auf ihre Pferde zu, die am Passeingang festgebunden waren.

Dieses eine Mal brauchten die Trollocs kein Einpeitschen durch die Myrddraal, um anzugreifen. Ihre Schritte ließen den steinigen Boden erbeben.

Mehrere Hundert Fuß hinter dem Passeingang zügelte Lan sein Pferd und drehte sich um. Mühsam lenkte Andere sein Tier neben Lan, weitere Reiter gesellten sich zu ihnen und stellten sich zu langen Kavalleriereihen auf. Bulen drehte sein Pferd und galoppierte an der anderen Seite herbei.

Das Schattengezücht näherte sich dem Passende, eine anstürmende Streitmacht aus Tausenden Trollocs, die gleich in die Freiheit platzen würde – zum ersten Mal, seit die Schlacht begonnen hatte.

Lans Streitmacht stand stumm um ihn herum aufgereiht. Es waren viele ältere Männer dabei, die letzten Reste ihres untergegangenen Königreichs. Auf der viel größeren Ebene erschien das Heer, dem es gelungen war, die schmale Lücke zu sperren, auf einmal winzig.

»Bulen«, sagte Lan.

»Ja, Lord Mandragoran?«

»Ihr behauptet, mich vor vielen Jahren im Stich gelassen zu haben.«

»Ja, mein Lord. Es …«

»Jedes Versagen Eurerseits ist vergessen«, sagte Lan mit nach vorn gerichtetem Blick. »Es erfüllt mich mit Stolz, Euch Euren Hadori gegeben zu haben.«

Kaisel ritt heran und nickte Lan zu. »Dai Shan, wir sind bereit.«

»So ist es am besten«, sagte Andere. Mit verzerrtem Gesicht hielt er sich die Wunde und konnte sich kaum im Sattel halten.

»Es ist, was es sein muss«, sagte Lan. Es war kein Widerspruch. Jedenfalls nicht direkt.

»Nein«, erwiderte Andere. »Es ist mehr als das, Lan. Malkier ist wie ein Baum, dessen Wurzeln Weißwürmern zum Opfer gefallen sind und dessen Äste langsam verdorren. Ich würde lieber von einem Blitz weggebrannt werden.«

»Ich würde lieber angreifen«, sagte Bulen mit fester Stimme. »Ich würde lieber jetzt angreifen, als sie uns überrennen lassen. Lasst uns beim Angriff sterben, während unsere Schwerter heimwärts gerichtet sind.«

Lan nickte, drehte sich um und hob das Schwert hoch über den Kopf. Er hielt keine Rede. Die hatte er bereits gehalten. Seine Männer wussten, worum es hier ging. Ein letzter Sturmangriff, solange sie noch Kraft hatten, würde etwas bedeuten. Weniger Schattengezücht, das in zivilisierte Länder strömen konnte. Weniger Trollocs, die jene töteten, die sich nicht wehren konnten.

Der Feind erschien endlos. Eine geifernde, tobende Horde ohne Schlachtreihen oder Disziplin. Zorn, die leibhaftige Zerstörung. Abertausende von ihnen. Sie kamen wie eine plötzlich entfesselte Flutwelle, wogten aus der Schlucht.

Lans kleine Streitmacht war wie ein Kieselstein, der ihnen im Weg stand. Die Männer hoben stumm die Schwerter in seine Richtung. Ein letzter Salut.

»Jetzt!«, rief Lan. Jetzt, wo sie ausschwärmen. Das wird den größten Schaden anrichten. Lan stieß Mandarb die Stiefel in die Flanken und führte den Weg an.

Andere galoppierte an seiner Seite, klammerte sich mit beiden Händen an sein Sattelhorn. Er versuchte gar nicht erst, eine Waffe zu heben; bei dem Versuch wäre er aus dem Sattel gestürzt.

Nynaeve war viel zu weit weg, um viel von ihr durch den Behüterbund zu spüren, aber manchmal konnten mächtige Gefühle trotz der Entfernung hervorstechen. Lan versuchte Zuversicht zu übermitteln, für den Fall, dass es sie erreichte. Stolz auf seine Männer. Seine Liebe für sie. Er wünschte sich von ganzem Herzen, dass das die letzten Dinge waren, an die sie sich von ihm erinnerte.

Mein Arm ist das Schwert …

Ihre Hufe trommelten über den Boden. Die Trollocs vor ihnen grölten entzückt, weil sie erkannten, dass ihr Wild den Rückzug in einen Angriff verwandelt hatte, der die Männer direkt in ihre Fänge bringen würde.

Meine Brust ist ein Schild …

Lan vernahm eine Stimme, die diese Worte sprach, die Stimme seines Vaters. Das war natürlich albern. Beim Untergang von Malkier war Lan noch ein Säugling gewesen.

Um die Sieben Türme zu verteidigen …

Er hatte die Sieben Türme nie zu Gesicht bekommen, das Bollwerk gegen die Fäule. Er kannte sie nur aus Geschichten.

Um die Dunkelheit zurückzudrängen …

Der Hufschlag wurde zu einem Donnern. So laut, lauter, als er für möglich gehalten hätte. Er hielt sich gerade, das Schwert nach vorn gestreckt.

Ich werde stehen, wenn alle anderen fallen.

Die herankommenden Trollocs senkten die Speere, als die Distanz zwischen den beiden gegnerischen Streitmächten abnahm.

Al Chalidholara Malkier. Für meine süße Heimat Malkier.

Das war ein Eid, den ein Malkieri-Soldat bei seiner ersten Stationierung an der Grenze leistete. Lan hatte ihn nie gesprochen.

Jetzt tat er es im Herzen.

»Al Chalidholara Malkier!«, schrie Lan. »Lanzen senken!« Beim Licht, was waren diese Hufe laut! Konnten sechstausend so viel Lärm machen? Er warf einen Blick nach hinten.

Hier ritten mindestens zehntausend.

Was?

Trotz seiner Überraschung trieb er Mandarb weiter an.

»Der Goldene Kranich nach vorn!«

Stimmen, Rufe, Schreie der Freude und der Macht.

Links voraus schnitt unvermittelt ein vertikaler Strich die Luft entzwei. Ein drei Dutzend Schritt breites Wegetor – diese Größe hatte Lan noch nie gesehen – öffnete sich, als käme es direkt aus der Sonne. Helligkeit strömte heraus, explodierte förmlich. Männer in voller Rüstung brachen aus der Öffnung hervor und setzten sich an Lans Flanke. Die Flagge von Arafel flatterte an ihrer Spitze.

Mehr Wegetore. Drei, dann vier, dann ein Dutzend. Ein jedes war genau koordiniert und teilte das Feld auf, Reiter galoppierten mit angelegten Lanzen heraus, führten die Flaggen von Saldaea, Arafel. Kandor. In wenigen Sekunden verwandelte sich sein Angriff der Sechstausend in einen Angriff der Hunderttausend.

Die Trollocs in der Frontlinie schrien auf, einige blieben stehen. Viele blieben fest, die Speere schräg gehalten, um die heranstürmenden Pferde aufzuspießen. Hinter ihnen stauten sich andere erzürnte Horden und drängten weiter – ihnen fehlte die Sicht auf das, was an der Front gerade geschah –, schwenkten gewaltige Schwerter mit sensenartigen Klingen und Doppeläxten.

Die Trollocs in der ersten Reihe explodierten plötzlich einfach.

Irgendwo hinter Lan webten Asha’man Gewebe, um den Erdboden aufzureißen; sie vernichteten die ersten Reihen der Tiermenschen. Als die Kadaver zusammenbrachen, standen die mittleren Reihen völlig entblößt da und sahen einen Sturm aus Hufen, Schwertern und Lanzen auf sich zukommen.

Lan galoppierte mit Mandarb in die knurrenden Bestien hinein, schlug mit dem Schwert zu. Andere lachte.

»Zurück, Ihr Narr!«, brüllte Lan ihn an, während er auf einen Trolloc einschlug. »Führt die Asha’man zu unseren Verwundeten; sie sollen das Lager beschützen!«

»Ich will Euch lächeln sehen, Lan!«, gab Andere zurück und klammerte sich am Sattel fest. »Zeigt wenigstens ein Mal mehr Gefühle als ein Stein! Dieser Anblick hat das gewiss verdient!«

Lan betrachtete die Schlacht, die er nie geglaubt hatte zu gewinnen, sah ein letztes Gefecht, das sich auf einmal zu einem vielversprechenden Kampf entwickelte, und er konnte einfach nicht anders. Er lächelte nicht nur, er lachte.

Andere gehorchte seinem Befehl und ritt los, um sich Heilen zu lassen und die hinteren Linien zu organisieren.

»Jophil!«, rief Lan. »Hebt mein Banner in die Höhe! Heute lebt Malkier weiter!«

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