Gawyn stand auf einem Feld ganz in der Nähe der ersten Schlacht der Aes Sedai gegen die Trollocs. Sie hatten die Hügel verlassen und waren tiefer auf die Ebene von Kandor vorgedrungen. Bis jetzt hatten sie die Vorstöße der Tiermenschen aufhalten können, ihnen war sogar gelungen, die Hauptstreitmacht des Feindes ein Stück zurückzudrängen. Im Großen und Ganzen verlief diese Schlacht besser als erwartet.
Auf diesem offenen, namenlosen Feld kämpften sie nun schon seit einer Woche. Überall war der Boden aufgerissen, als wollte man dort etwas pflanzen. So viele Leichen lagen herum – hauptsächlich Schattengezücht –, dass nicht einmal der Hunger der Trollocs alle verschwinden lassen konnte.
In der einen Hand hielt Gawyn ein Schwert, in der anderen einen Schild; so hatte er sich vor Egwenes Pferd platziert. Es war seine Aufgabe, die Trollocs zu töten, die an den Angriffen der Aes Sedai vorbeikamen. Eigentlich zog er es vor, das Schwert mit beiden Händen zu führen, aber gegen die Bestien brauchte er diesen Schild. Manche Männer hielten ihn für einen Narren, weil er überhaupt ein Schwert benutzte. Sie bevorzugten Piken oder Hellebarden, solange die Waffen die Tiermenschen nur auf Abstand hielten.
Aber mit einer Pike konnte man kein Duell ausfechten. Als Pikenmann war man bloß ein Ziegel in einer großen Mauer. Man war weniger ein Soldat als vielmehr ein Hindernis. Eine Hellebarde war besser – sie hatte wenigstens eine Klinge, mit der man umgehen können musste –, aber nichts ließ sich mit einem Schwert vergleichen. Wenn Gawyn mit einer Klinge kämpfte, dann kontrollierte er den Kampf.
Schnaubend kam ein Trolloc auf ihn zu, dessen Antlitz eine Mischung aus Mensch und Widder darstellte. Der hier war etwas menschlicher als üblich, einschließlich eines widerwärtig menschlichen Mundes mit blutverschmierten Zähnen. Das Ding hielt einen Streitkolben mit der Flamme von Tar Valon auf dem Schaft. Von einem gefallenen Angehörigen der Burgwache erbeutet. Obwohl die Waffe für zwei Hände gedacht war, hielt die Kreatur sie mühelos in einer.
Gawyn wich zur Seite aus, dann riss er den Schild in die Richtung des zu erwartenden Schlages. Der Schild schüttelte sich unter mehreren Treffern. Eins, zwei, drei. Die übliche berserkerhafte Trolloc-Technik – schnell und hart zuschlagen und davon ausgehen, dass der Gegner dem nichts entgegenzusetzen hatte.
Auf viele traf das auch zu. Sie stolperten, oder der Ansturm betäubte ihren Arm. Darin lag der Wert von Pikenmauern oder Hellebardenformationen. Bryne benutzte beides, sowie eine neue improvisierte Linie, die sich zur Hälfte aus Speeren und Hellebarden zusammensetzte. Gawyn hatte davon in Geschichtsbüchern gelesen. Brynes Heer kappte auf diese Weise die Kniesehnen der Tiermenschen. Die Pikenreihen hielten sie auf Abstand, dann stießen die Hellebarden an ihnen vorbei und schlitzten die Beine auf.
Gawyn duckte sich zur Seite und überraschte damit Trolloc. Das Ungeheuer drehte sich viel zu langsam, als der Behüter ihm mit ›Wirbelwind in den Bergen‹ die Hand abhackte. Noch während es schrie, fuhr Gawyn herum und rammte sein Schwert in den Leib eines weiteren Trollocs, der an den Aes Sedai vorbeigekommen war.
Er riss die Klinge aus dem Leib und schlug sie dem ersten Tiermenschen in den Hals. Der tote Trolloc rutschte von der Waffe. Das war der vierte, den Gawyn heute getötet hatte. Sorgfältig wischte er das Schwert mit dem blutigen Tuch sauber, das er an den Gürtel gebunden trug.
Er sah nach Egwene. Vom Sattel aus riss sie scharenweise Trollocs mit der Einen Macht in Stücke. Die Aes Sedai kämpften nach einem Rotationssystem, bei dem zu jeder Zeit ungefähr fünfzig von ihnen im Feld waren. Der Einsatz von so wenigen von ihnen erforderte von den Soldaten, den größten Teil des Kampfes zu schultern, aber die Schwestern kamen zumindest immer ausgeruht auf das Schlachtfeld. Ihre Aufgabe bestand darin, Gruppen der Kreaturen auseinanderzureißen, die Linien zu zerstören und die Soldaten die versprengten Überreste erledigen zu lassen.
Da die Aes Sedai die Tiermenschen daran hinderten, in soliden Schlachtfeldformationen Aufstellung zu nehmen, war der Kampf zwar aufreibend, aber erfolgreich. Seitdem sie die Hügel hinter sich gelassen hatten, waren sie nicht ein einziges Mal zum Rückzug gezwungen gewesen und hatten den Vorstoß des Schattengezüchts eine ganze Woche lang aufgehalten.
Silviana saß neben Egwene auf einem Wallach und gab sich alle Mühe, den Feind daran zu hindern, zu nahe an sie heranzukommen. Das Gelände vor ihnen war völlig zerstört. Silvianas Angriffe hatten es auseinandergerissen und überall grabenähnliche Vertiefungen hinterlassen. Trotzdem kroch gelegentlich eine Bestie durch den Schlamm und stürzte sich auf Gawyn.
Der Behüter erspähte einen Schatten im vordersten Graben und setzte sich in Bewegung. Dort kauerte ein wolfszügiger Trolloc. Er knurrte ihn an und hangelte sich nach oben.
›Wasser fließt bergab‹.
Die Bestie fiel zurück in den Graben, und Gawyn wischte die Klinge an dem blutigen Lumpen ab. Fünf. Nicht übel für eine seiner zweistündigen Schichten. Die Aes Sedai konnten die Trollocs oft in Schach halten, und dann wartete er bloß die ganze Zeit an Egwenes Seite. Natürlich wurde sie heute von Silviana begleitet – sie kamen immer paarweise an die Front –, und es hätte Gawyn nicht überrascht, wenn die Bewahrerin der Chroniken gelegentlich einen oder zwei durchließ, damit er etwas zu tun hatte.
Eine Reihe Explosionen in der Nähe ließ ihn innehalten, und er warf einen Blick über die Schulter. Ihre Ablösung war eingetroffen. Gawyn salutierte Sleete mit dem Schwert, als der Mann zusammen mit Piava Sedais Behüter seine Position einnahm, um die Gegend zu überwachen.
Dann gesellte er sich zu Egwene und Silviana, die das Schlachtfeld verließen. Er konnte Egwenes wachsende Erschöpfung fühlen. Sie trieb sich viel zu sehr an und bestand darauf, viel zu viele Schichten zu übernehmen.
Auf dem niedergetrampelten Gras passierten sie eine Gruppe der Gefährten aus Illian, die sich in den Kampf warfen. Gawyn fehlte der nötige Überblick über das Schlachtfeldgeschehen, um zu wissen, wo genau diese Abteilung gebraucht wurde. Mit einem Hauch von Neid blickte er ihnen nach.
Egwene brauchte ihn, das wusste er. Jetzt sogar noch mehr als je zuvor. In der Nacht schlichen sich Blasse in das Lager, um Aes Sedai mit in Thakan’dar geschmiedeten Klingen zu töten. Er bewachte Egwene persönlich, wenn sie schlief, und verließ sich darauf, dass sie ihm die Müdigkeit nahm, wenn sie ihn überwältigte. Er schlief dann, wenn sie sich mit dem Saal der Burg besprach.
Jede Nacht schlief sie in einem anderen Zelt; darauf hatte er bestanden. Gelegentlich überzeugte er sie davon, nach Mayene zu Reisen und im Palast in einem richtigen Bett zu schlafen. Das hatte sie schon seit mehreren Tagen nicht mehr getan. Sein Argument, dass sie die Gelben und ihre Heilarbeit überprüfen musste, trug immer weniger Gewicht. Rosil Sedai hatte die Dinge dort fest im Griff.
Sie näherten sich dem Lager. Einige Soldaten verneigten sich, größtenteils diejenigen, die zurzeit dienstfrei hatten, während andere zum Schlachtfeld eilten. Gawyn musterte ein paar von ihnen. Zu jung, zu frisch.
Andere waren Drachenverschworene, und wer vermochte schon zu sagen, was von denen zu halten war? Unter den Drachenverschworenen befanden sich auch Aiel, was ihm folgerichtig erschien, waren seiner Meinung nach doch alle Aiel im Grunde Drachenverschworene. Allerdings befanden sich in den Rängen der Drachenverschworenen auch Aes Sedai. Er hielt nicht viel von ihrer Entscheidung.
Kopfschüttelnd ging er weiter. Das Lager war gewaltig, obwohl es kein Mitglied des Trosses enthielt. Wagen brachten täglich Nahrungsmittel durch Wegetore – einige davon wurden sogar von diesen unzuverlässigen Metallmaschinen aus Cairhien gezogen. Bei der Rückreise nahmen die Wagen Kleidung zum Flicken, reparaturbedürftige Waffen und Stiefel mit.
Das machte dies zu einem sehr effizienten Lager; allerdings war es nicht besonders bevölkert, da so gut wie jeder viele Stunden auf dem Schlachtfeld kämpfte. Jeder außer Gawyn.
Er wusste, dass er gebraucht wurde und dass seine Arbeit wichtig war, trotzdem konnte er das Gefühl nicht unterdrücken, dass seine Talente hier verschwendet wurden. Er war einer der besten Schwertkämpfer des ganzen Heeres, und er stand jeden Tag zwei Stunden lang auf dem Schlachtfeld und tötete bloß ein paar Trollocs, die dumm genug waren, zwei Aes Sedai angreifen zu wollen. Im Grunde kämpfte er nicht gegen sie, sondern erlöste sie bloß von ihrem Elend.
Egwene verabschiedete sich mit einem Nicken von Silviana, dann lenkte sie ihr Pferd zum Befehlszelt.
»Egwene …«, sagte er.
»Ich will nur nach dem Rechten sehen«, erwiderte sie ruhig. »Elayne sollte neue Befehle übermittelt haben.«
»Du brauchst Schlaf.«
»Anscheinend ist das im Moment alles, was ich brauche. Schlaf.«
»Wenn du auf dem Schlachtfeld kämpfst, ersetzt du leicht tausend Soldaten«, sagte Gawyn. »Wären jeden Tag zweiundzwanzig Stunden Schlaf erforderlich, um dich in Form zu halten, damit du die Männer zwei Stunden lang beschützen kannst, dann würde ich vorschlagen, dass du das tust. Glücklicherweise ist das nicht nötig – es ist aber auch nicht nötig, dass du dich so verbissen antreibst, wie du das tust.«
Der Bund verriet ihm ihren Ärger, aber sie unterdrückte ihn. »Natürlich hast du recht.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Und du brauchst gar nicht überrascht zu sein, dass ich das laut zugebe.«
»Ich bin nicht überrascht.«
»Ich bekomme deine Gefühle mit, Gawyn.«
»Da ging es um etwas ganz anderes. Mir fiel nur gerade etwas ein, das Sleete vor ein paar Tagen sagte, einen Scherz, den ich eben erst begriffen habe.« Er sah sie ganz unschuldig an.
Das brachte ihm endlich ein Lächeln ein. Zwar nur eine Andeutung, aber das reichte. Sie lächelte wenig in diesen Tagen. So wie alle.
»Übrigens«, sagte er, nahm ihre Zügel und half ihr vom Pferd, als sie das Befehlszelt erreicht hatten, »habe ich nie besonders über die Tatsache nachgedacht, dass ein Behüter die Drei Eide natürlich ignorieren kann. Ich frage mich, wie oft Schwestern das recht nützlich fanden?«
»Ich hoffe, nicht zu oft«, bemerkte Egwene. Eine sehr diplomatische Antwort. Im Zelt schaute Gareth Bryne durch sein mittlerweile gewohntes Wegetor; eine unscheinbare Graue, die Gawyn nicht kannte, hielt es geöffnet. Bryne trat an seinen mit Karten übersäten Tisch, an dem Siuan Ordnung zu schaffen versuchte. Er machte ein paar Notizen, nickte zufrieden, dann schaute er auf, um zu sehen, wer da gerade eingetreten war.
»Mutter«, sagte der General und ergriff ihre Hand, um den Ring zu küssen.
»Die Schlacht scheint günstig für uns zu verlaufen«, meinte Egwene und nickte Siuan zu. »Wir haben uns gut gehalten. Ihr habt Pläne für einen Vorstoß?«
»Wir können hier nicht für alle Ewigkeit bleiben, Mutter«, sagte Bryne. »Königin Elayne hat mich darum gebeten, einen Vorstoß weiter nach Kandor hinein in Betracht zu ziehen, und ich glaube, das war klug von ihr. Ich mache mir Sorgen, dass sich die Trollocs in die Hügel zurückziehen und Stellungen aufbauen. Euch ist aufgefallen, dass sie jede Nacht immer mehr Leichen vom Feld holen?«
»Ja.«
Gawyn fühlte ihre Unzufriedenheit; es wäre so wünschenswert gewesen, wenn die Aes Sedai die nötige Kraft gehabt hätten, die Trolloc-Kadaver jeden Tag mit der Einen Macht zu verbrennen.
»Sie sammeln Proviant«, sagte Bryne. »Möglicherweise entscheiden sie sich, nach Osten zu gehen, um uns dann zu umgehen. Wir müssen sie hier zum Kampf zwingen, was bedeuten könnte, sie in diese Hügel zu treiben. Normalerweise würde uns das viele Männer kosten, aber jetzt …« Er schüttelte den Kopf und trat an das Wegetor, um seine Frontlinien zu betrachten. »Eure Aes Sedai dominieren dieses Schlachtfeld, Mutter. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen.«
»Es gibt einen Grund, warum der Schatten alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die Weiße Burg zu vernichten. Er wusste Bescheid. Die Weiße Burg hat die Macht, diesen Krieg zu beherrschen.«
»Wir müssen auf die Schattenlords aufpassen«, mahnte Siuan und suchte in einigen Papieren herum. Vermutlich Kundschafterberichte, nahm Gawyn an. Obwohl er Siuan Sanches Leben verschont hatte, wusste er nur sehr wenig über sie, aber Egwene sprach oft über die Gier dieser Frau nach Informationen.
»Ja«, sagte Egwene. »Sie werden kommen.«
»Die Schwarze Burg«, sagte Bryne stirnrunzelnd. »Vertraut Ihr den Worten von Lord Mandragoran?«
»Mit meinem Leben«, sagte Egwene.
»Asha’man, die für den Feind kämpfen. Warum hat der Wiedergeborene Drache nichts unternommen? Beim Licht, wenn sich alle Asha’man auf die Seite des Schattens schlagen …«
Egwene schüttelte den Kopf. »Bryne, ich möchte, dass Ihr Reiter in die Nähe der Schwarzen Burg schickt, wo man noch Wegetore erschaffen kann. Sie sollen schnell zu den Schwestern reiten, die noch immer vor der Schwarzen Burg lagern.«
»Ihr wollt sie angreifen lassen?«, fragte Gawyn erfreut.
»Nein. Sie sollen sich so weit zurückziehen, wie es sein muss, um Wegetore zu weben, und dann sollen sie hier zu uns stoßen. Wir können uns keine weiteren Verzögerungen mehr leisten. Ich will sie hier haben.«
Sie klopfte mit dem Finger auf den Tisch. »Taim und seine Schattenlords werden kommen. Von diesem Schlachtfeld haben sie sich bisher ferngehalten und sich stattdessen auf Lord Mandragoran konzentriert. Damit konnten sie ihr Schlachtfeld so dominieren wie wir hier das unsere. Ich werde weitere Schwestern zum Heer der Grenzländer schicken. Irgendwann müssen wir uns ihnen entgegenstellen.«
Gawyn sagte nichts, presste aber die Lippen aufeinander. Weniger Schwestern bedeutete noch mehr Arbeit für Egwene und die anderen.
»Und jetzt«, sagte Egwene, »muss ich …« Sie verstummte, als sie Gawyns Miene sah. »Ich schätze, ich muss schlafen. Falls ich gebraucht werde, schickt einen Boten zu … Licht, ich weiß gar nicht, wo ich heute schlafe. Gawyn?«
»Ich habe dich in Maerin Sedais Zelt untergebracht. Sie hat jetzt Dienst, also solltest du in Ruhe vier Stunden schlafen können.«
»Es sei denn, man braucht mich«, erinnerte Egwene ihn. Sie ging zum Zeltausgang.
»Natürlich«, versicherte ihr Gawyn und folgte ihr, sah aber zu Bryne und Siuan zurück und schüttelte den Kopf. Bryne lächelte nickend zurück. Auf dem Schlachtfeld gab es nur wenig, das die Aufmerksamkeit der Amyrlin unbedingt erforderte. Der Saal der Burg hatte die Aufsicht über ihre diversen Armeen.
An der frischen Luft seufzte Egwene und schloss die Augen. Er legte den Arm um sie und ließ sie gegen sich sinken. Der Augenblick dauerte nur wenige Sekunden, bevor sie sich zusammenriss, wieder aufrichtete und den Gesichtsausdruck der Amyrlin aufsetzte. Noch so jung, dachte er, und man erwartet so viel von ihr.
Natürlich war sie nicht viel jünger als al’Thor. Gawyn war erfreut und ein bisschen überrascht, dass der Gedanke an den Mann keinen Zorn in ihm entfachte. Al’Thor würde seinen Kampf führen. Was dieser Mann machte, ging ihn wirklich nichts mehr an.
Gawyn führte Egwene zu dem Sektor des Lagers, den die Grüne Ajah bewohnte, und mehrere der Behüter an der Grenze begrüßten sie mit einem respektvollen Nicken. Maerin Sedai hatte ein großes Zelt. Die meisten Aes Sedai durften mitbringen, was sie wollten, vorausgesetzt, sie konnten das dafür erforderliche Wegetor selbst öffnen und benutzten ihre eigenen Behüter für den Transport. Falls das Heer zum schnellen Abrücken gezwungen sein sollte, würde man die Sachen zurücklassen. Viele Aes Sedai hatten sich entschieden, nur wenige Dinge mitzunehmen, aber andere … nun, sie waren einfach nicht an primitive Unterbringung gewöhnt. Maerin war eine davon. Nur wenige hatten so viele Sachen mitgebracht wie sie.
Vor dem Zelt warteten Leilwin und Bayle Domon. Sie hatten Maerin Sedai darüber informiert, dass das Zelt gebraucht werden würde und sie niemandem verraten durfte, dass Egwene es benutzte. Falls jemand herumfragte, würde dieses Geheimnis schnell auffliegen – sie hatten sich auf dem Hinweg nicht gerade verborgen –, aber es würde Aufmerksamkeit erregen, falls sich jemand danach erkundigte, wo die Amyrlin schlief. Das war der beste Schutz, den Gawyn arrangieren konnte, da Egwene nicht dazu bereit war, jeden Tag zum Schlafen zu Reisen.
Als Egwene Leilwin sah, bekam sie sofort schlechte Laune.
»Du hast gesagt, du wolltest sie in der Nähe haben«, sagte Gawyn leise.
»Es passt mir nicht, dass sie weiß, wo ich schlafe. Falls ihre Attentäter tatsächlich im Lager nach mir suchen, könnte sie diejenige sein, die sie zu mir führt.«
Gawyn unterdrückte den Instinkt, mit ihr darüber zu debattieren. Egwene war eine kluge, durchtriebene Frau – aber bei allem, was die Seanchaner betraf, zeigte sie sich uneinsichtig. Er hingegen vertraute Leilwin immer mehr. Sie schien zu der Sorte zu gehören, die immer geradeheraus handelte.
»Ich behalte sie im Auge«, versprach er.
Mit einem Atemzug beruhigte sich Egwene, dann ging sie zu dem Zelt und passierte Leilwin wortlos. Gawyn folgte ihr nicht hinein.
»Die Amyrlin scheint die Absicht zu haben, mich hier nicht dienen zu lassen«, sagte Leilwin mit diesem typischen lang gezogenen seanchanischen Akzent.
»Sie vertraut Euch nicht«, sagte Gawyn offen.
»Gilt denn auf dieser Seite des Ozeans ein Eid so wenig?«, fragte Leilwin. »Ich habe ihr einen Eid geschworen, den niemand brechen würde, nicht einmal ein Muyami!«
»Ein Schattenfreund bricht jeden Eid.«
Die Frau musterte ihn kühl. »Langsam glaube ich, dass sie alle Seanchaner für Schattenfreunde hält.«
Gawyn zuckte mit den Schultern. »Ihr habt sie geschlagen und gefangen gehalten, habt sie zu einem Tier gemacht, das man an der Leine führt.«
»Ich war das nicht«, erwiderte Leilwin. »Wenn Euch ein Bäcker schimmliges Brot verkauft, nehmt Ihr dann an, dass sie alle Euch vergiften wollen? Bah. Sagt nichts. Das ist sinnlos. Wenn ich ihr nicht dienen kann, dann diene ich eben Euch. Habt Ihr heute schon etwas gegessen, Behüter?«
Gawyn zögerte. Wann hatte er das letzte Mal gegessen? Heute Morgen … nein, da war er zu begierig auf den Kampf gewesen. Sein Magen knurrte laut.
»Ich weiß, dass Ihr sie nicht allein lasst«, sagte Leilwin. »Erst recht nicht, solange eine Seanchanerin in der Nähe ist. Komm, Bayle. Holen wir diesem Narren etwas zu Essen, damit er nicht vor Schwäche umkippt, wenn die Attentäter kommen.« Sie stolzierte los, und ihr hünenhafter Ehemann aus Illian folgte ihr. Der Bursche warf einen Blick über die Schulter, der Leder gegerbt hätte.
Gawyn seufzte und setzte sich auf den Boden. Er zog drei schwarze Ringe aus der Tasche; er wählte einen aus und steckte die anderen zurück.
Gerede über Attentäter erinnerte ihn stets an diese Ringe, die er den Seanchanern abgenommen hatte, die Egwene tatsächlich hatten umbringen wollen. Die Ringe waren Ter’angreale. Mit ihrer Hilfe hatten sich diese Blutmesser so schnell bewegen und in Schatten verbergen können.
Er hielt den Ring ins Licht. Er sah überhaupt nicht wie ein Ter’angreal aus, jedenfalls keines, das er je zu Gesicht bekommen hatte, aber ein Gegenstand der Macht konnte jede mögliche Form haben. Die Ringe waren aus irgendeinem ihm unbekannten schweren schwarzen Stein gefertigt. Die Außenseite war zu Dornen geschnitzt, aber die Innenseite, die die Haut berührte, war völlig glatt.
Er drehte den Ring. Er hätte ihn Egwene geben müssen, das war ihm klar. Aber er wusste auch, wie die Weiße Burg mit Ter’angrealen verfuhr. Sie sperrten die Gegenstände weg und fürchteten sich davor, mit ihnen zu experimentieren. Aber das war die Letzte Schlacht. Falls es je einen Zeitpunkt gegeben hatte, um ein Risiko einzugehen …
Du hast dich dazu entschieden, in Egwenes Schatten zu stehen, dachte er. Du hast dich dazu entschieden, sie zu beschützen und das zu tun, was sie von dir verlangt. Sie würde diesen Krieg gewinnen, sie und die Aes Sedai. Wollte er jetzt auf sie eifersüchtig sein, so wie er es auf al’Thor gewesen war?
»Ist es das, wofür ich es halte?«
Gawyn riss den Kopf hoch und schloss die Faust um den Ring. Leilwin und Bayle Domon waren im Messezelt gewesen und hatten ihm eine Schüssel besorgt. Dem Geruch nach zu urteilen, war es wieder Gersteneintopf. Die Köche benutzten so viel Pfeffer, dass es fast schon Brechreiz hervorrief. Gawyn vermutete, dass sie das nur taten, weil die schwarzen Körner die Stücke der mitgekochten Getreidekäfer tarnten.
Ich kann nicht so tun, als täte ich etwas Verdächtiges, war sein erster Gedanke. Ich darf sie nicht zu Egwene gehen lassen.
»Das hier?«, fragte er und hielt den Ring hoch. »Das ist einer der Ringe, die wir den seanchanischen Attentätern abnahmen, die Egwene töten wollten. Wir halten sie für irgendeine Art von Ter’angreal, aber in der Weißen Burg sind sie unbekannt.«
Leilwin zischte leise. »Sie werden allein von der Kaiserin verteilt, möge sie …« Sie unterbrach sich mühsam und holte tief Luft. »Nur ein zum Blutmesser Ernannter, der sein Leben der Kaiserin geweiht hat, darf so einen Ring tragen. Ihn an Euren Finger zu stecken wäre schrecklich falsch.«
»Glücklicherweise trage ich ihn ja nicht«, erwiderte Gawyn.
»Die Ringe sind gefährlich. Ich weiß nicht viel über sie, aber angeblich töten sie ihre Träger. Bringt den Ring bloß nicht mit Eurem Blut in Kontakt, denn auf diese Weise werden sie aktiviert, und das könnte tödlich sein, Behüter.« Leilwin gab ihm den Eintopf und ging.
Domon folgte ihr nicht. Der Illianer kratzte sich an seinem kurzen Bart. »Sie sein nicht immer die anschmiegsamste aller Frauen, meine Ehefrau«, sagte er zu Gawyn. »Aber sie sein stark und weise. Ihr tätet gut daran, auf sie zu hören.«
Gawyn steckte den Ring ein. »Erstens würde Egwene mir niemals erlauben, ihn zu tragen.« Das war die Wahrheit. Falls sie darüber Bescheid gewusst hätte. »Sagt Eurer Frau, dass ich die Warnung zu schätzen weiß. Ich sollte Euch aber warnen, dass das Thema Attentäter noch immer ein ganz besonders wunder Punkt für die Amyrlin ist. Ich schlage vor, Ihr meidet das Thema Blutmesser oder ihre Ter’angreale.«
Domon nickte und ging hinter Leilwin her. Gawyn verspürte nur einen kleinen Stich der Scham über die Täuschung. Er hatte nicht gelogen. Er hatte bloß nicht gewollt, dass Egwene unbehagliche Fragen stellte.
Dieser Ring und seine Gefährten repräsentierten etwas. Sie waren nicht der Weg des Behüters. An Egwenes Seite zu stehen und auf mögliche Gefahren für sie aufzupassen … das war der Weg des Behüters. Indem er ihr diente, würde er einen Unterschied auf dem Schlachtfeld machen, und nicht, indem er wie ein Held ins Getümmel ritt.
Während er seinen Eintopf aß, versicherte er sich das immer wieder. Als er fertig war, hatte er sich fast davon überzeugt.
Trotzdem erzählte er Egwene nichts von den Ringen.
Rand erinnerte sich an das erste Mal, als er einen Trolloc gesehen hatte. Nicht bei dem Angriff auf ihren Bauernhof in den Zwei Flüssen. Das wirklich erste Mal, dass er sie gesehen hatte. Irgendwann im letzten Zeitalter.
Es wird eine Zeit kommen, in der sie nicht länger existieren, dachte er, webte Feuer und Luft und erschuf eine explosive Flammenmauer, die mitten in einem Rudel Trollocs brausend zum Leben erwachte. In der Nähe hoben Männer von Perrins Wolfsgarde dankbar ihre Waffen. Rand nickte zurück. Bei diesem Kampf trug er für den Augenblick das Gesicht von Jur Grady.
Einst hatten keine Trollocs das Land heimgesucht. Diesen Zustand konnten sie wieder erreichen. Wenn er den Dunklen König getötet hatte, würde das dann sofort geschehen?
Die Flammen seiner Feuermauer hatten ihm Schweiß auf die Stirn getrieben. Vorsichtig zog er Kraft aus dem Angreal in Gestalt des fetten Mannes – er konnte es sich nicht leisten, zu mächtig zu erscheinen – und zerschmetterte hier auf dem Schlachtfeld direkt westlich vom Alguenya eine andere Gruppe Tiermenschen. Elaynes Streitkräfte hatten den Erinin und das Gebiet im Osten hinter sich gelassen und warteten darauf, dass die Brücken über den Alguenya fertiggestellt wurden. Sie waren fast vollendet, aber eine Vorhut Trollocs hatte sie eingeholt, und Elaynes Heer hatte sich verschanzen müssen, um sie bis zur Flussüberquerung aufzuhalten.
Rand half gern. Der echte Jur Grady ruhte sich in einem Lager in Kandor aus, erschöpft vom Heilen. Ein bequemes Gesicht, das Rand benutzen konnte, ohne die Aufmerksamkeit der Verlorenen zu erregen.
Die Schreie der brennenden Bestien waren befriedigend. Gegen Ende des Krieges der Macht hatte er diesen Laut geliebt. Er hatte ihm stets das Gefühl gegeben, etwas Sinnvolles zu tun.
Als er den Trollocs das erste Mal begegnet war, hatte er nicht gewusst, worum es sich bei ihnen handelte. Natürlich hatte er von Aginors Experimenten gehört. Lews Therin hatte ihn bei mehr als nur einer Gelegenheit als Verrückten bezeichnet. Trotzdem hatte er es nicht richtig verstanden; das hatten so viele von ihnen nicht. Aginor hatte seine Projekte viel zu sehr geliebt. Und Lews Therin hatte fälschlicherweise angenommen, Aginor würde genau wie Semirhage die Folter um ihretwillen genießen.
Und dann war das Schattengezücht gekommen.
Noch immer brannten die Ungeheuer mit zuckenden Gliedmaßen.
Insgeheim hatte Rand die Befürchtung, dass diese Dinger möglicherweise wiedergeborene Menschen waren. Aginor hatte für die Erschaffung der Trollocs und Myrddraal Menschen benutzt. War dies etwa das Schicksal von einigen von ihnen? Als eine derart abartige Schöpfung wiedergeboren zu werden? Die Vorstellung machte ihn krank.
Er überprüfte den Himmel. Die Wolken hatten angefangen, sich voneinander zu lösen, wie sie es immer in seiner Nähe taten. Er konnte sie zwingen, das nicht zu tun, aber … Nein. Menschen brauchten das Licht, und er konnte ohnehin nicht zu lange hier kämpfen, denn sonst würde es offensichtlich werden, dass einer der Asha’man viel zu stark für das Gesicht war, das er der Welt zeigte.
Rand ließ das Licht durch.
Auf dem ganzen Schlachtfeld am Fluss schauten Menschen zum Himmel, als Sonnenlicht auf sie fiel und die dunklen Wolken zurückwichen.
Schluss mit dem Versteckspiel, dachte Rand. Er ließ die Spiegelmaske fallen und hob die geballte Faust über den Kopf. Er webte Luft, Feuer und Wasser und erschuf eine Lichtsäule, die von ihm hoch in den Himmel stieg. Auf dem ganzen Schlachtfeld jubelten Soldaten.
Er würde nicht auf die Fallen warten, die der Dunkle König für ihn bereithielt. Durch ein Wegetor trat er zurück nach Merrilor. Er blieb nie lange an der Front, zeigte sich aber immer, bevor er ging. Er ließ die Wolkendecke aufbrechen und bewies damit, dass er da gewesen war, dann zog er sich zurück.
Min erwartete ihn auf dem Reisegelände. Er warf noch einen Blick zurück auf das sich schließende Tor, und die Leute kämpften ohne ihn weiter. Min legte eine Hand auf seinen Arm. Seine Leibgarde aus Töchtern wartete hier; widerstrebend ließen sie ihn allein kämpfen, weil sie wussten, dass ihre Anwesenheit ihn verraten würde.
»Du siehst traurig aus«, sagte Min leise.
Irgendwo aus dem Norden wehte eine heiße Brise. In der Nähe stehende Soldaten salutierten ihm. Hauptsächlich hatte er Domani, Tairener und Aiel hier. Die von Rodel Ituralde und König Darlin angeführte Angriffstruppe würde versuchen, das Tal von Thakan’dar zu halten, während er mit dem Dunklen König rang.
Es war fast so weit. Der Schatten hatte ihn an allen Fronten kämpfen gesehen. Nacheinander hatte er sich Lan, Egwene und Elayne angeschlossen. Mittlerweile hatte der Schatten den größten Teil seiner Heere im Süden in den Kampf geschickt. Nun war für Rand der Augenblick gekommen, am Shayol Ghul zuzuschlagen.
Er sah Min an. »Moiraine hält mich für verrückt, dass ich diese Angriffe durchführe. Sie sagt, dass selbst ein geringes Risiko den möglichen Erfolg nicht wert ist.«
»Vermutlich hat sie da recht«, sagte Min. »Das hat sie oft. Aber ich habe dich lieber als den Menschen, der das tut. Das ist der Mensch, der den Dunklen König besiegen kann, ein Mensch, der nicht herumsitzt und plant, während andere sterben.«
Rand legte den Arm um ihre Taille. Beim Licht, was hätte er bloß ohne sie gemacht? Ich wäre abgestürzt, dachte er. Während der dunklen Monate … Ich wäre auf jeden Fall abgestürzt.
Über Mins Schulter sah er eine grauhaarige Frau näher kommen. Hinter ihr blieb eine kleinere Gestalt in Blau stehen und wandte sich betont in die andere Richtung. Cadsuane und Moiraine gingen sich im Lager sichtlich aus dem Weg. Er glaubte sogar ein finsteres Funkeln in Moiraines Blick erkannt zu haben, als ihr klar wurde, dass Cadsuane ihn zuerst gesehen hatte.
Cadsuane trat zu ihnen, dann ging sie um ihn herum und musterte ihn von oben bis unten. Dabei nickte sie ein paarmal.
»Versucht Ihr Euch zu entscheiden, ob ich der Aufgabe gewachsen bin?«, fragte Rand und hielt seine Stimme frei von jeden Gefühlen – in diesem Fall Verstimmung.
»Das habe ich mich nie gefragt«, erwiderte Cadsuane. »Selbst vor Eurer Wiedergeburt habe ich mich nie gefragt, ob ich Euch zu dem Mann machen kann, der Ihr sein müsst. Darüber nachzugrübeln ist etwas für Narren. Seid Ihr ein Narr, Rand al’Thor?«
»Eine unmögliche Frage«, mischte sich Min ein. »Wenn er zugibt, dass er einer ist, dann macht er sich damit zum Narren. Bestreitet er es, dann deutet er damit an, dass er nicht länger nach Weisheit sucht.«
»Pff. Kind, Ihr lest zu viel.« Als Cadsuane das sagte, klang es durchaus Min zugetan. Sie wandte sich Rand zu. »Ich hoffe doch sehr, Ihr gebt ihr etwas Hübsches.«
»Was meint Ihr?«, fragte er.
»Ihr macht den Leuten als Vorbereitung auf den Tod Geschenke. Das tun alte Leute oft oder auch Männer, die in eine Schlacht ziehen, die sie nicht gewinnen wollen. Ein Schwert für Euren Vater, ein Ter’angreal für die Königin von Andor, eine Krone für Lan Mandragoran, Schmuck für das Aiel-Mädchen und für sie hier.« Mit dem Kopf deutete sie auf Min.
Rand versteifte sich. Irgendwie war ihm schon klar gewesen, was er da tat, aber es von ihr auf diese Weise erklärt zu bekommen war befremdlich.
Mins Gesicht verfinsterte sich. Ihr Griff wurde fester.
»Begleitet mich«, sagte Cadsuane. »Nur Ihr und ich, Lord Drache.« Sie sah ihn an. »Wenn Ihr so freundlich wärt.«
Min schaute zu ihm hoch, aber er klopfte ihr auf die Schulter und nickte. »Wir sehen uns im Zelt.«
Sie seufzte, aber dann tat sie ihm den Gefallen. Cadsuane war bereits weitergegangen. Er musste ein paar Schritte laufen, um sie einzuholen. Vermutlich gefiel ihr das.
»Eure Verzögerungen beunruhigen Moiraine Sedai«, sagte sie.
»Und wie ist Eure Meinung dazu?«
»Sie hat nicht ganz unrecht. Allerdings finde ich Euren Plan nicht völlig idiotisch. Aber Ihr könnt die Sache nicht mehr lange hinauszögern.«
Es war Absicht gewesen, keinem zu verraten, wann der Angriff auf den Shayol Ghul stattfinden sollte. Er wollte, dass alle darüber nachgrübelten. Wenn keiner aus seiner Nähe wusste, wann er zuschlug, dann standen die Chancen gut, dass es auch der Dunkle König nicht wusste.
»Trotzdem bin ich nicht hier, um mit Euch über Euer Zögern zu sprechen«, sagte Cadsuane. »Ich habe den Eindruck, dass Moiraine Sedai Eure … Erziehung in dieser Angelegenheit gut im Griff hat. Etwas anderes bereitet mir viel größere Sorgen.«
»Das wäre?«
»Dass Ihr zu sterben erwartet. Dass Ihr zu viel weggebt. Dass Ihr nicht einmal versucht zu überleben.«
Rand holte tief Luft. Hinter ihm befand sich eine Abteilung Töchter. Er passierte die Windsucherinnen in ihrem kleinen Lager, die dicht zusammengedrängt um die Schale der Winde herumstanden und etwas diskutierten. Sie sahen ihm und Cadsuane mit gelassenen Mienen entgegen.
»Lasst mich meinem Schicksal begegnen, Cadsuane«, sagte er dann. »Ich habe den Tod umarmt. Und ich werde ihn annehmen, wenn er kommt.«
»Das höre ich gern«, erwiderte sie, »und glaubt ja nicht, nicht einmal eine Sekunde, dass ich Euer Leben nicht für die Welt eintauschen würde.«
»Das habt Ihr ja von Anfang an ausgesprochen deutlich gemacht. Also warum jetzt diese Sorge? Dieser Kampf wird mich verschlingen. So muss es sein.«
»Ihr dürft nicht von der Voraussetzung ausgehen, dass Ihr sterbt«, sagte Cadsuane streng. »Selbst wenn es so gut wie unausweichlich ist, dürft Ihr das nicht als vollkommen unausweichlich betrachten.«
»Elayne sagte so ziemlich das Gleiche.«
»Dann hat sie zumindest einmal in ihrem Leben weise gesprochen. Ein besserer Durchschnitt, als ich bei einer wie ihr erwartet hätte.«
Rand verzichtete darauf, auf diese Bemerkung zu reagieren, und Cadsuane zeigte ein kleines Lächeln. Sie war darüber erfreut, wie sehr er sich jetzt unter Kontrolle hatte. Darum stellte sie ihn auf die Probe.
Würden diese Prüfungen denn niemals enden?
Nein, dachte er. Nicht bis zur letzten. Die, die wirklich zählt.
Plötzlich blieb Cadsuane stehen, und er folgte notgedrungen ihrem Beispiel. »Habt Ihr auch ein Geschenk für mich?«
»Ich gebe sie nur jenen, an denen mir etwas liegt.«
Das ließ sie sogar noch breiter lächeln. »Unsere Beziehung ist nicht immer völlig reibungslos verlaufen, Rand al’Thor.«
»So kann man es auch ausdrücken.«
»Aber ich muss Euch sagen«, fuhr sie fort, ohne ihn aus den Augen zu lassen, »dass ich erfreut bin. Am Ende ist doch noch etwas Anständiges aus Euch geworden.«
»Also habe ich Eure Erlaubnis, die Welt zu retten?«
»Ja.« Sie schaute zum Himmel, wo die dunklen Wolken brodelten. Durch seine Anwesenheit rissen sie auseinander, denn er versuchte sich nicht zu verstecken oder sie zusammenzuhalten.
»Ja«, wiederholte sie. »Ihr habt meine Erlaubnis. Solange Ihr es bald tut. Die Dunkelheit wächst.«
Wie um ihre Worte zu unterstreichen, grollte der Boden. In letzter Zeit geschah dies immer öfter. Das ganze Lager erbebte, und Leute stolperten misstrauisch.
»Dort werden die Verlorenen sein«, sagte Rand. »Sobald ich eintreffe. Jemand wird ihnen entgegentreten müssen. Ich will Aviendha bitten, den Widerstand gegen sie anzuführen. Sie könnte Eure Hilfe brauchen.«
Cadsuane nickte. »Ich werde meinen Teil dazu beitragen.«
»Nehmt Alivia mit. Sie ist stark, aber es bereitet mir Sorgen, sie anderen zuzuteilen. Sie hat kein Gespür für Grenzen, wie sie es haben sollte.«
Wieder nickte Cadsuane, und bei dem Ausdruck in ihren Augen fragte er sich, ob sie das nicht schon bereits vorgehabt hatte. »Und die Schwarze Burg?«
Rand biss die Zähne zusammen. Die Schwarze Burg war eine Falle. Er wusste, dass es eine Falle war. Taim wollte ihn an einen Ort locken, wo er nicht durch ein Wegetor entkommen konnte.
»Ich schickte Perrin los, um dort zu helfen.«
»Und Eure Entschlossenheit, selbst zu gehen?«
Ich muss ihnen helfen. Irgendwie. Ich ließ zu, dass Taim sie um sich schart. Ich kann sie ihm nicht einfach überlassen …
»Ihr seid Euch noch immer nicht sicher«, sagte Cadsuane ungehalten. »Ihr würdet Euch selbst in Gefahr bringen, Ihr würdet uns alle in Gefahr bringen, wenn Ihr eine Falle betretet.«
»Ich …«
»Sie sind frei.« Cadsuane wandte sich von ihm ab und setzte sich in Bewegung. »Taim und seine Männer sind aus der Schwarzen Burg vertrieben worden.«
»Was?«, verlangte Rand zu wissen, machte einen großen Schritt und nahm ihren Arm.
»Eure Männer haben sich selbst befreit«, verkündete sie. »Obwohl sie dabei schwere Prügel bezogen haben, so wie ich es gehört habe. Nur wenige wissen es. Möglicherweise kann Königin Elayne sie die nächste Zeit nicht in der Schlacht einsetzen. Ich kenne keine Einzelheiten.«
»Sie haben sich selbst befreit?«
»Ja.«
Sie haben es geschafft. Oder vielmehr Perrin hat es geschafft.
Rand frohlockte, aber dann schlug eine Woge der Schuld über ihm zusammen. Wie viele waren umgekommen? Hätte er sie retten können, wenn er selbst gegangen wäre? Schon seit Tagen hatte er von ihrer Zwangslage gewusst, und dennoch hatte er sie sich selbst überlassen und Moiraines beharrlichem Rat gehorcht, dass das eine Falle war, in die er nicht hineintappen durfte.
Und jetzt waren sie ihr entkommen.
»Ich wünschte, ich hätte Euch eine Antwort darüber entlocken können, was Ihr dort eigentlich tun wolltet«, sagte Cadsuane. Sie seufzte, dann schüttelte sie den Kopf. »Ihr seid innerlich zerrissen, Rand al’Thor, aber Ihr werdet ausreichen müssen.«
Sie ließ ihn stehen und ging.
»Deepe war ein guter Mann«, sagte Antail. »Er überlebte den Fall von Maradon. Er stand auf der Mauer, als sie in die Luft flog, aber er überlebte und kämpfte weiter. Schließlich erwischten ihn die Schattenlords dennoch und schleuderten ihm eine Explosion entgegen, die ihm den Rest gab. Deepe verbrachte seine letzten Augenblicke damit, sie mit Geweben der Macht anzugreifen. Er starb ehrenhaft.«
Die Malkieri hoben Antail ihre Becher entgegen und salutierten dem Gefallenen. Lan hob ebenfalls den Becher, obwohl er außerhalb des Kreises um das Feuer herumstand. Er wünschte sich, Deepe hätte seinen Befehlen gehorcht. Dann schüttelte er den Kopf und trank seinen Wein. Obwohl es Nacht war, blieben seine Männer abwechselnd wach, um im Fall eines Angriffs sofort kampfbereit zu sein.
Lan drehte den Becher zwischen zwei Fingern und dachte wieder an Deepe. Er konnte einfach keinen Zorn auf den Mann heraufbeschwören. Deepe hatte einen der gefährlichsten Machtlenker des Schattens töten wollen. Lan vermochte nicht zu sagen, ob er eine ähnliche Gelegenheit verstreichen ließe, wenn sie sich ihm böte.
Die Männer hoben ihre Becher für andere Gefallene. Das war jeden Abend zur Tradition geworden und hatte sich in sämtlichen Lagern der Grenzländer ausgebreitet. Lan fand es ermutigend, dass die Männer anfingen, Antail und Narishma als Kameraden zu betrachten. Die Asha’man waren zurückhaltend, aber Deepes Tod hatte eine Verbindung zwischen ihnen und den einfachen Soldaten geschmiedet. Jetzt hatten sie alle die Metzgerrechnung bezahlt. Die Männer hatten Antail trauern gesehen und ihn eingeladen, auf das Wohl des Gefallenen zu trinken.
Lan verließ das Feuer und ging durch das Lager, blieb bei den Pferdeseilen stehen, um nach Mandarb zu sehen. Der Hengst hielt sich wacker, auch wenn er eine große Wunde auf der linken Flanke hatte, wo das Fell nie wieder wachsen würde; sie schien gut zu verheilen. Die Pferdeknechte sprachen noch immer in gedämpftem Ton darüber, wie das verletzte Pferd nach dem Kampf, der Deepe das Leben gekostet hatte, aus der Nacht erschienen war. Nur sehr wenige Pferde waren den Trollocs entkommen und hatten es ins Lager zurückgeschafft.
Lan tätschelte Mandarbs Hals. »Bald ruhen wir uns aus, alter Freund«, sagte er leise. »Ich verspreche es.«
Mandarb schnaubte in der Dunkelheit, und in der Nähe wieherten mehrere Pferde leise.
»Wir schaffen es nach Hause«, sagte Lan. »Der Schatten wird besiegt, Nynaeve und ich werden Malkier für uns beanspruchen. Wir bringen die Felder wieder zum Blühen, reinigen die Seen. Grüne Weiden. Keine Trollocs mehr, die man töten muss. Kinder werden auf deinem Rücken reiten, alter Freund. Du kannst deine Tage in Frieden verbringen, Äpfel essen und dir Stuten aussuchen.«
Es war sehr lange her, dass Lan auch nur mit so etwas Ähnlichem wie Hoffnung an die Zukunft hatte denken können. Schon seltsam, sie jetzt zu finden, an diesem Ort, in diesem Krieg. Er war ein harter Mann. Manchmal hatte er das Gefühl, mehr mit den Felsen und dem Sand gemein zu haben als mit den Männern, die am Feuer gemeinsam lachten.
Dazu hatte er sich selbst gemacht. Das war der einsame Kämpfer, der er sein musste, der eines Tages nach Malkier reiten und die Familienehre aufrechterhalten konnte. Rand al’Thor hatte angefangen, diese Schale zu knacken, danach hatte Nynaeves Liebe sie völlig zerstört.
Ich frage mich, ob Rand es je gewusst hat, dachte Lan, zog einen Striegel hervor und fing an, Mandarbs Fell zu bürsten. Er wusste, wie das war, von Kindheit an dazu bestimmt zu sein, für eine Sache zu sterben. Er wusste, wie es war, die Richtung der Fäule gezeigt und gesagt zu bekommen, dass er dort sein Leben opfern würde. Beim Licht, das wusste er. Vermutlich würde Rand al’Thor niemals erfahren, wie ähnlich sie sich doch waren.
Obwohl er völlig erschöpft war, striegelte er Mandarb eine Weile. Nynaeve hätte ihm befohlen zu schlafen. Im Kopf spielte er diese Unterhaltung durch und gestattete sich ein Lächeln. Sie hätte gewonnen und erklärt, dass ein General seinen Schlaf brauchte und es genug Pferdeknechte gab, die sich um die Tiere kümmern konnten.
Aber Nynaeve war nicht da. Er arbeitete weiter.
Jemand näherte sich den Pferdeseilen. Natürlich hörte er die Schritte lange, bevor derjenige eintraf. Lord Baldhere holte sich aus dem Posten der Knechte eine Bürste, nickte einem der dort stationierten Wächter zu und ging dann zu seinem eigenen Pferd. Erst da bemerkte er Lan.
»Lord Mandragoran?«
»Lord Baldhere.« Lan nickte dem Kandori zu. Königin Ethenielles Schwertträger war schlank und hatte weiße Strähnen in dem ansonsten schwarzen Haar. Auch wenn er nicht zu den Großen Hauptmännern zählte, war er ein ausgezeichneter Kommandant und hatte Kandor seit dem Tod seines Königs gut gedient. Viele waren davon ausgegangen, dass die Königin ihn heiraten würde. Das war natürlich völlig albern gewesen; Ethenielle betrachtete ihn wie einen Bruder. Außerdem hätte jeder, der genau hinsah, wissen müssen, dass Baldhere offensichtlich Männer Frauen vorzog.
»Es tut mir leid, Euch zu stören, Dai Shan«, sagte Baldhere. »Ich habe nicht gewusst, dass sonst noch jemand hier ist.« Er machte Anstalten zu gehen.
»Ich bin fast fertig«, sagte Lan. »Lasst Euch von mir nicht stören.«
»Die Knechte leisten gute Arbeit«, sagte Baldhere. »Ich bin nicht hier, um sie zu überprüfen. Aber manchmal hilft mir etwas Einfaches und Vertrautes zu tun beim Denken.«
»Ihr seid keineswegs der Einzige, dem das aufgefallen ist«, sagte Lan und striegelte Mandarb weiter.
Baldhere kicherte, dann schwieg er eine Weile. Schließlich sagte er: »Dai Shan, seid Ihr wegen Lord Agelmar besorgt?«
»Wieso?«
»Ich mache mir Sorgen, dass er sich zu sehr antreibt«, sagte Baldhere. »Manche seiner Entscheidungen … sie verblüffen mich. Es ist nicht die Rede davon, dass seine taktischen Entscheidungen schlecht sind. Sie erscheinen mir bloß als zu aggressiv.«
»Es herrscht Krieg. Ich wüsste nicht, dass man zu aggressiv sein könnte, wenn man seinen Feind besiegen will.«
Eine Weile schwieg Baldhere. »Natürlich. Aber ist Euch der Verlust von Lord Yokatas beiden Kavallerieschwadronen bekannt?«
»Das war unglücklich, aber Fehler passieren nun einmal.«
»So ein Fehler hätte Lord Agelmar nicht passieren dürfen. Er war schon zuvor in ähnlichen Situationen, Dai Shan. Er hätte das sehen müssen.«
Das war kürzlich während eines Sturmangriffs auf die Trollocs geschehen. Die Asha’man hatten Fal Eisen und die umliegende Gegend in Brand gesteckt. Yokata hatte laut Agelmars Befehl seine Kavallerie um einen großen Hügel herumgeführt, um die rechte Flanke des feindlichen Heeres anzugreifen, das auf die Asha’man vorrückte. In einem klassischen Zangenmanöver wollte Agelmar weitere Kavallerie gegen die linke Flanke des Angreifers schicken, und die Asha’man sollten umdrehen und die Tiermenschen direkt von vorn angehen.
Aber die Befehlshaber des Schattens hatten das Manöver durchschaut. Bevor Agelmar und die Asha’man reagieren konnten, war eine zahlenmäßig große Kompanie Trollocs über den Hügel gekommen, um Yokatas rechte Flanke anzugreifen, während der Rest seine Kavallerie frontal in ein Gefecht verwickelte.
Die Kavallerie war bis zum letzten Mann getötet worden. Sofort danach hatten sich die Trollocs auf die Asha’man gestürzt, die sich nur mühsam hatten retten können.
»Er ist erschöpft, Dai Shan«, sagte Baldhere. »Ich kenne ihn. Wäre er frisch und ausgeruht, hätte er so einen Fehler niemals gemacht.«
»Baldhere, das hätte jedem passieren können.«
»Lord Agelmar ist einer der Großen Hauptmänner. Er sollte die Schlacht aus einem anderen Blickpunkt sehen als gewöhnliche Männer.«
»Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr nicht einfach zu viel von ihm erwartet?«, fragte Lan. »Agelmar ist auch nur ein Mensch. Am Ende des Tages sind wir das alle.«
»Ich … Vielleicht habt Ihr recht«, erwiderte Baldhere und legte die Hand auf das Schwert, als wäre er besorgt. Natürlich trug er nicht die Waffe der Königin – das tat er nur, wenn er in ihrem Namen handelte. »Vermutlich ist das bloß so ein Gefühl, Lan. Agelmar scheint so oft müde zu sein, und ich sorge mich, dass es seine Planung beeinflusst. Bitte passt einfach auf ihn auf.«
»Das werde ich«, erwiderte Lan.
»Danke«, sagte Baldhere. Er erschien jetzt weniger besorgt als zuvor.
Lan klopfte Mandarb ein letztes Mal auf den Hals, überließ Baldhere seinem Pferd und ging durch das Lager zum Befehlszelt. Er trat ein; das Zelt war gut beleuchtet und auch gut beschützt, allerdings durften die wachhabenden Soldaten die Schlachtpläne nicht sehen.
Lan ging um die aufgehängten Kleidungsstücke herum, die den Eingang versperrten, und nickte den beiden shienarischen Kommandanten zu, die Agelmar zugeteilt waren und sich um diesen abgeschirmten Ort kümmerten. Einer von ihnen studierte die Karten, die auf dem Boden ausgebreitet lagen. Agelmar selbst war nicht anwesend. Ein Anführer musste irgendwann mal schlafen.
Lan ging in die Hocke und betrachtete die Karte. Nach dem morgigen Rückzug würden sie anscheinend einen Ort namens Blutquelle erreicht haben, der nach den Steinen benannt war, die dort das Flusswasser rot zu färben schienen. Bei Blutquelle würden sie wegen der angrenzenden Hügel einen leichten Höhenvorteil haben, und Agelmar wollte gemeinsam mit Bogenschützen und Kavallerie eine Offensive gegen die Tiermenschen starten. Und natürlich würde man weiteres Land anzünden.
Lan ließ sich auf ein Knie herab und sah Agelmars Notizen durch, wer wo kämpfen würde und wie er die Angriffe teilen wollte. Es war ein ehrgeiziger Plan, aber Lan sah da nichts besonders Beunruhigendes.
Während er alles durchsah, raschelte der Zelteingang, und Agelmar trat ein, in ein leises Gespräch mit Lady Ells von Saldaea vertieft. Als er Lan entdeckte, entschuldigte er sich bei ihr und kam herüber.
Agelmar machte keinen erschöpften Eindruck und ging auch nicht in sich zusammengesunken, aber Lan hatte gelernt, am vorgespielten äußeren Erscheinungsbild eines Mannes vorbeizuschauen. Gerötete Augen. Der Atem roch leicht nach Flachwurzel, einem Kraut zum Kauen, das den Verstand scharf hielt, wenn man zu lange auf den Beinen war. Agelmar war müde – aber das war jeder im Lager.
»Seid Ihr mit dem einverstanden, was Ihr dort seht, Dai Shan?«, fragte Agelmar und kniete sich hin.
»Für einen Rückzug ist es sehr angriffslustig.«
»Können wir uns eine andere Einstellung leisten? Wir lassen eine Schneise verbrannten Landes hinter uns, was Shienar beinahe so sicher vernichtet, als hätte es der Schatten selbst getan. Ich werde diese Asche mit Trolloc-Blut löschen.«
Lan nickte.
»Baldhere hat mit Euch gesprochen?«
Lan blickte scharf auf.
Agelmar lächelte matt. »Ich nehme an, es ging um den Verlust von Yokata und seinen Männern?«
»Ja.«
»Das war mit Sicherheit ein Fehler. Ich habe mich schon gefragt, ob mich jemand darauf anspricht. Baldhere gehört zu den wenigen, die schlau genug sind, ihn zu erkennen.«
»Er glaubt, Ihr treibt Euch zu verbissen an.«
»Er ist geschickt in taktischen Dingen«, meinte Agelmar, »aber er weiß längst nicht so viel, wie er glaubt. Ihn treiben all diese Geschichten über die Großen Hauptmänner um. Ich bin nicht fehlerlos, Dai Shan. Das wird nicht mein einziger Fehler bleiben. Ich werde mich um sie kümmern, wie ich mich um den hier gekümmert habe, und aus ihnen lernen.«
»Vielleicht sollten wir trotzdem dafür sorgen, dass Ihr mehr Schlaf bekommt.«
»Ich bin völlig in Ordnung, Lord Mandragoran. Ich kenne meine Grenzen; mein ganzes Leben habe ich damit verbracht, sie kennenzulernen. Diese Schlacht wird mir das Äußerste abverlangen, und das muss ich zulassen.«
»Aber …«
»Löst mich von meinem Posten ab oder lasst mich machen«, unterbrach Agelmar ihn. »Ich höre auf jeden Rat, weil ich kein Narr bin, aber ich lasse mich nicht im Nachhinein kritisieren.«
»Also gut«, sagte Lan und erhob sich. »Ich vertraue Eurer Weisheit.«
Agelmar nickte und richtete den Blick wieder auf seine Karten. Er studierte sie noch immer, als Lan schließlich ging, um etwas zu schlafen.