41 Ein Lächeln

Cauthon hat die Drachen zurück, und sie kämpfen wieder«, sagte Jonneth und versuchte durch den Qualm etwas zu erkennen. »Hört doch!«

Donnerschläge hallten über die Polov-Anhöhe. Pevara lächelte. Sie, Androl, Jonneth, Emarin und Canler waren wieder zu Logain und den anderen Asha’man gestoßen, genau wie ein paar Aes Sedai, die mit ihnen durch den Bund verbunden waren. Sie standen am Rand des Steilhangs gegenüber vom Dasharfels, eine halbe Meile von der Stelle entfernt, an der Demandreds kopflose Leiche lag.

Eine weitere Salve Drachenfeuer ertönte, aber in der Dunkelheit sahen sie den Rauch nicht. »Diese Drachen halten nicht lange durch, nicht, wenn sich Taims Männer unter die Sharaner gemischt haben«, sagte Pevara. »Die Drachenmänner können sich nicht gegen Machtlenker verteidigen, und durch ihren Lärm lassen sie sich viel zu leicht aufspüren.«

»Ich bezweifle, dass sich Cauthon aussuchen kann, ob er sie einsetzt oder nicht«, sagte Androl. »Jetzt kann er nichts mehr zurückhalten.«

»Asha’man!« Logain trat aus dem Rauch, Gabrelle an seiner Seite. »Es ist Zeit zu gehen.«

»Wir verteidigen diese Drachen?«, fragte Androl. Um sie herum kamen Dutzende völlig erschöpfte Asha’man auf die Füße und wandten sich Logain zu.

»Nein. Wir gehen nach Westen.«

»Westen?« Pevara verschränkte die Arme. »Das ist fort von der Schlacht!«

»Dort hat Eure Amyrlin gegen Taim gekämpft«, sagte Logain und wandte sich von ihr ab. »Dort wurden der Boden und viele Sharaner in Kristall begraben. Ich will, dass jeder Asha’man, Soldat und Geweihte, denen ich keine anderslautenden Befehle gab, mit der Suche beginnt. Dort gibt es …«

Der Boden erbebte und grollte Unheil verkündend, Pevara stolperte. Androl ergriff ihren Arm, obwohl sie durch den Bund eine Erschöpfung spürte, die der ihren entsprach. Sie hatten keine großen Reserven mehr.

Als das Beben nachließ, fuhr Logain fort. »Irgendwo in der Kristallmasse befindet sich ein goldenes Zepter. Angeblich hielt Taim es, als Egwene al’Vere ihn besiegte. Wir werden es finden. Wenn es einer von Euch sieht, fasst es nicht an. Schickt nach mir.«

Logain rief der nächsten Gruppe Asha’man den gleichen Befehl zu. Androl sah ihm nach, und Pevara fühlte seine Anspannung.

»Wenn dieses Zepter ein Angreal oder Sa’angreal ist«, meinte Emarin, »dann könnte es für uns von großem Nutzen sein.«

»Vielleicht«, sagte Pevara. »Ich glaube, dass die Drachen unseren Schutz dringender brauchen als wir diesen Stab. Ich schwöre, etwas an diesem Horn, das da zu hören war, war besonders. Wir sollten jetzt angreifen und nicht nach Beute suchen …«

»Das sollen die anderen Asha’man machen«, sagte Androl. »Wir brauchen das nicht zu tun.«

»Was denn?« Canler runzelte die Stirn. »Ihr wollt nicht gehorchen?«

»Nein. Er sagte, das gilt für Männer, die noch keine anderen Befehle haben. Wir erhielten sie aber. Am Anfang der Schlacht befahl er uns, nach Taims Komplizen zu suchen und etwas gegen sie zu unternehmen.«

»Ich bin nicht davon überzeugt, dass er sich noch an diesen Befehl erinnert, Androl«, sagte Emarin und rieb sich das Kinn. »Und selbst wenn er es tut, glaube ich kaum, dass er will, dass wir damit weitermachen. Er scheint sehr auf dieses Zepter versessen zu sein.«

»Trotzdem hat er uns diesen Befehl gegeben«, beharrte Androl.

»Androl.« Canler hockte sich auf die Fersen. »Ich bin so müde, ich hätte nicht einmal genug Kraft, Euch zu verfluchen, selbst wenn ich wollte. Keiner der Jungs sieht viel besser aus, und Ihr habt Mühe, ein kleines Wegetor zu öffnen. Wie sollen wir gegen Mishraile und die anderen bestehen?«

Androl runzelte die Stirn, wusste darauf aber keine Erwiderung. Pevara jedoch kam ein Einfall. Vielleicht eine Möglichkeit, etwas trotz ihrer Erschöpfung zu erreichen …

Androl wurde wieder munterer, seine Augen weiteten sich, und dann grinste er. »Pevara, Ihr seid ein Genie.«

»Danke«, sagte sie steif. »Canler, steht auf. Ich gehe mit Euch Herren jede Wette ein, dass wir Taims Männer bei dem Versuch erwischen, die Drachen zu vernichten. Wir bereiten ihnen eine Überraschung …«


Was für ein Desaster.

Moghedien versetzte Demandreds Leiche einen Tritt. Sie war einfach dort liegen geblieben, die Sharaner waren auf der Stelle losgezogen, um gegen Cauthons Armee zu kämpfen und ihren Anführer zu rächen.

Demandred. Der Narr hatte sich ablenken lassen. Befasste man sich mit persönlichen Abrechnungen und ließ sich in die Angelegenheiten der Würmer verwickeln, mit denen man arbeitete … nun, Demandred hatte seinen Lohn bekommen. Den Tod und vermutlich ewige Bestrafung durch den Großen Herrn.

Jetzt, wo Demandred tatsächlich tot war, griff sie nach der Einen Macht – und fand etwas anderes. Einen glühenden Fluss von zehnfacher Macht, zehnmal so süß. Da so viele der Auserwählten gefallen waren, hatte sich der Große Herr ihr geöffnet. Überleben war wirklich der beste Weg, um sich ihm zu beweisen.

Das veränderte ihre Pläne auf dramatische Weise. Zuerst verbrannte sie Demandreds Leiche zu Asche. Dann webte sie schnell eine Spiegelmaske – oh, wie süß die Wahre Macht doch war! – und ersetzte ihr Aussehen mit dem Abbild Demandreds. Sie sorgte grundsätzlich dafür, die anderen Auserwählten imitieren zu können. Demandred würde schwierig sein, da er sich in letzter Zeit so sehr verändert hatte, aber sie hatte genau aufgepasst. Allerdings würde sich niemand täuschen lassen, der sie anfasste; sie würde vorsichtig sein müssen.

Mit fertiger Verkleidung Reiste sie zu den hinteren Linien der sharanischen Armee, die gegen Cauthons Truppen kämpften. Hier waren die Reserveeinheiten, die darauf warteten, zur Front gerufen zu werden, außerdem Versorgungswagen und einige der Verwundeten.

Die Sharaner hielten mit der Sichtung des Nachschubs inne und starrten sie an. Sie trafen tatsächlich Vorbereitungen, vom Schlachtfeld zu fliehen. Wie alle anderen auch waren sie sich bewusst, dass die große seanchanische Armee in den Kampf eingegriffen hatte. Moghedien fiel auf, dass eine Handvoll Ayyad bei der Gruppe war – nur drei, die sie sehen konnte. Zwei Frauen mit Tätowierungen und ein schmutziger Mann, der zu ihren Füßen kauerte. Die meisten von ihnen waren beim Kampf mit den Aes Sedai getötet worden.

Die Seanchaner. Der Gedanke an sie und ihre herrische Anführerin ließ Moghedien sich innerlich winden. Wenn der Große Herr den Schlamassel entdeckte, den sie angerichtet hatte …

Nein. Er hatte ihr die Wahre Macht verliehen. Moghedien hatte die anderen überlebt, und im Augenblick war das das Einzige, was zählte. Er konnte nicht überall hinsehen und wusste vermutlich noch nicht, dass man sie entlarvt hatte. Wie hatte das Mädchen nur ihre Verkleidung durchschauen können? Das hätte unmöglich sein sollen.

Jemand musste sie verraten haben. Aber sie hatte während der Schlacht eng mit Demandred zusammengearbeitet, und auch wenn sie nie eine so gute Taktikerin wie er gewesen war – das war mit Ausnahme von Sammael keiner gewesen –, verstand sie diese Schlacht gut genug, um den Befehl zu übernehmen. Sie verabscheute es, das tun zu müssen, denn es entblößte sie auf eine Weise, die ihr nicht gefiel. Aber verzweifelte Zeiten verlangten nach verzweifelten Maßnahmen.

Und wenn sie so darüber nachdachte, liefen die Dinge eigentlich ganz gut für sie. Demandred gefallen, besiegt von seinem eigenen Stolz. M’Hael, dieser Emporkömmling, war auch tot – und hatte bequemerweise die Anführerin der Aes Sedai vom Schlachtfeld entfernt. Sie verfügte noch immer über den größten Teil von Demandreds Schattengezücht und ein paar Schattenlords, einige Schwarze Ajah und ein Dutzend der Umgedrehten Männer, die M’Hael mitgebracht hatte.

»Das ist er nicht!«, rief ein älterer Mann im Gewand eines sharanischen Mönchs. Er zeigte auf Moghedien. »Das ist nicht unser Wyld! Das ist …«

Moghedien verbrannte den Mann zu Asche.

Als seine Knochen zu Boden purzelten, kam ihr die flüchtige Erinnerung an Berichte ihrer Augen-und-Ohren, dass Demandred dem alten Mann ein gewisses Wohlwollen gezeigt hatte. »Besser, Ihr sterbt«, sagte sie mit Demandreds Stimme zu der Leiche, »als zu leben und den zu verleugnen, den Ihr hättet lieben sollen. Will mich sonst noch jemand verleugnen?«

Die Sharaner schwiegen.

»Ayyad«, sagte Moghedien zu den drei Machtlenkern, »habt Ihr mich Gewebe erschaffen sehen?«

Beide Frauen und der schmutzige Mann schüttelten die Köpfe.

»Ich töte ohne Gewebe«, sagte Moghedien, »nur ich, Euer Wyld, hätte das tun können.«

Sie musste sich daran erinnern, nicht zu lächeln, nicht einmal im Sieg, als die Leute die Köpfe neigten. Demandred war immer ernst. Als die Leute auf die Knie fielen, musste Moghedien ihre Freude gewaltsam unterdrücken. Ja, Demandred hatte gute Arbeit geleistet und ihr die Armee einer ganzen Nation zum Spielen hinterlassen. Das würde in der Tat gut laufen!

»Drachentöter«, sagte eine kniende Ayyad. Sie weinte! Wie schwach diese Sharaner doch waren! »Wir sahen Euch sterben …«

»Wie könnte ich sterben? Ihr kennt die Prophezeiungen, oder nicht?«

Die Frauen sahen einander an. »Sie sagen, dass Ihr kämpfen werdet, Drachentöter«, sagte die Frau. »Aber …«

»Holt fünf Fäuste Trollocs von den hinteren Linien«, wandte sich Moghedien an den Kommandanten der Reserveeinheit, »und schickt sie flussaufwärts zu den Ruinen.«

»Die Ruinen?«, fragte der Mann. »Dort sind nur die Flüchtlinge aus Caemlyn.«

»Genau, Ihr Narr. Flüchtlinge – Kinder, Alte, Frauen, die nach Toten suchen. Sie sind wehrlos. Sagt den Trollocs, sie sollen sie niedermetzeln. Unsere Feinde sind schwach; ein derartiger Angriff wird sie zum Rückzug zwingen, um jene zu beschützen, die wahre Krieger einfach sterben lassen würden.«

Der General nickte, und sie sah Anerkennung in seiner Miene. Er akzeptierte sie als Demandred. Gut. Er rannte los, um die Befehle zu geben.

»Also weiter«, sagte Moghedien, als in der Ferne wieder die Drachen feuerten, »warum ist kein Ayyad aufgebrochen, um diese Waffen zu zerstören?«

Die vor ihr kniende Ayyad senkte den Kopf. »Von uns sind nicht einmal mehr ein Dutzend übrig, Wyld.«

»Eure Entschuldigungen sind schwach«, sagte Moghedien und lauschte, als die Explosionen verstummten. Vielleicht hatten ja gerade ein paar von M’Haels Schattenlords das Problem der Drachen gelöst.

Ihre Haut juckte, als der sharanische Kommandant über das Feld auf einen Myrddraal zuging. Sie verabscheute es mit jeder Faser ihres Seins, auf diese Weise in die Öffentlichkeit treten zu müssen. Sie war dazu bestimmt, im Schatten zu bleiben, andere die Schlacht anführen zu lassen. Allerdings hätte sie sich niemals nachsagen lassen, dass sie, falls es die Umstände erforderten, zu viel Angst hatte, um …

Hinter ihr schnitt sich ein Wegetor in die Luft, und mehrere Sharaner schrien auf. Moghedien fuhr herum und starrte in etwas, das nur eine dunkle Höhle sein konnte. Drachen ragten daraus empor.

»Feuer!«, befahl eine Stimme.


»Das Tor zu!«, rief Talmanes, und das Portal schloss sich.

»Das war eine von Lord Mats Ideen, richtig?«, rief Daerid, der neben Talmanes stand, während die Drachen nachgeladen wurden. Sie beide hatten sich Wachs in die Ohren gesteckt.

»Was glaubt Ihr denn?«, rief Talmanes zurück.

Wenn die Drachen beim Abschuss verletzlich waren, was tat man dann? Man schoss sie aus einem Versteck ab.

Talmanes lächelte, als Neald vor zehn Drachen das nächste Wegetor öffnete. Es war völlig unerheblich, dass so viele Drachenkarren zu kaputt waren, um vernünftig fahren zu können, wenn man einfach vor ihnen ein Wegetor in jede gewünschte Richtung machen konnte.

Dieses Tor öffnete sich vor mehreren Fäusten Trollocs, die verbissen gegen Weißmäntel kämpften. Einige Kreaturen starrten die Drachen entsetzt an.

»Feuer!«, brüllte Talmanes und riss die Hand nach unten, um seinen Befehl für den Fall, dass ihn die Männer nicht hören konnten, zu unterstreichen.

Rauch erfüllte die Höhle, und Explosionen dröhnten gegen Talmanes’ Ohrenstöpsel, als die Drachen zurückrollten und einen Sturm des Todes in die Trollocs entluden. Sie trafen die Fäuste mit einer Breitseite, fegten sie aus dem Weg und ließen sie sterbend und zerbrochen am Boden liegen. Die Weißmäntel in der Nähe schwenkten die Schwerter und jubelten.

Neald schloss das Wegetor, und die Drachenmänner luden ihre Waffen. Der Asha’man öffnete ein Tor über ihnen, um den Drachenrauch aus der Höhle zu befördern und irgendwo in weiter Ferne in den freien Himmel zu entlassen.

»Lächelt Ihr etwa?«, fragte Daerid.

»Ja«, sagte Talmanes zufrieden.

»Blut und verdammte Asche, Lord Talmanes … das sieht bei Euch beängstigend aus.« Daerid zögerte. »Vielleicht solltet Ihr das öfter versuchen.«

Talmanes grinste, als Neald das nächste Tor zu einer Stelle auf dem Dasharfels öffnete, wo Aludra mit Fernrohren und Kundschaftern stand und das nächste Ziel suchte. Sie rief eine Position, Neald nickte, und sie bereiteten die nächste Salve vor.

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