39 Und sie kämpften

DU VERSTEHST ES EINFACH NICHT, ODER?, FRAGTE RAND DIE FINSTERNIS. DAS GEHT ÜBER DEINEN HORIZONT HINAUS. DU BRICHST UNS, UND WIR KÄMPFEN TROTZDEM WEITER! WARUM? HAST DU UNS NICHT GETÖTET? HAST DU UNS NICHT ZERSTÖRT?

DICH, erwiderte der Dunkle König. ICH HABE DICH!

Rand trat vor. An diesem Ort schien das Muster wie ein Bildteppich um ihn herumzuwirbeln. DAS IST DEIN FEHLER, SHAI’TAN – HERR DER DUNKELHEIT, HERR DES NEIDES! HERR ÜBER GAR NICHTS! DARUM SCHEITERST DU! ES GING NICHT UM MICH. ES GING NIE UM MICH!

Es ging um eine Frau, die man von ihrem Thron gestürzt und zu einer Marionette gemacht hatte – eine Frau, die kroch, wenn sie es musste. Diese Frau kämpfte noch immer.

Es ging um einen Mann, den die Liebe oft im Stich gelassen hatte, einen Mann, für den eine Welt Bedeutung erlangte, die andere schlichtweg ignorierten. Ein Mann, der sich an alte Geschichten erinnerte und ein paar grüne Jungen unter seine Fittiche nahm, obwohl es doch viel klüger gewesen wäre, einfach weiterzugehen. Dieser Mann kämpfte noch immer.

Es ging um eine Frau mit einem Geheimnis, einer Hoffnung für die Zukunft. Eine Frau, die die Wahrheit gejagt hatte, bevor es andere tun konnten. Eine Frau, die ihr Leben gab und dann zurückgekehrt war. Diese Frau kämpfte noch immer.

Es ging um einen Mann, dem man die Familie genommen hatte, der aber trotz seiner Trauer ungebeugt war und die beschützte, die er konnte.

Es ging um eine Frau, die einfach nicht glauben wollte, dass sie nicht helfen konnte, dass sie nicht jene zu Heilen vermochte, die zu Schaden gekommen waren.

Es ging um einen Helden, der mit jedem Atemzug darauf beharrte, dass er alles andere als ein Held war.

Es ging um eine Frau, die sich nicht beugte, als man sie schlug, und in der das Licht brannte, was jeder sehen konnte, der darauf achtete. Rand eingeschlossen.

Um sie alle ging es.

Er entdeckte das immer wieder in dem um ihn aufgestellten Muster. Rand schritt durch Äonen und Zeitalter, seine Hand strich durch Schleifen aus Licht.

HIER IST DIE WAHRHEIT, SHAI’TAN, sagte Rand und tat mit ausgebreiteten Armen einen weiteren Schritt, und das Gewebe des Musters schlang sich um sie. DU KANNST NICHT GEWINNEN, SOLANGE WIR NICHT AUFGEBEN. DAS IST SO, NICHT WAHR? BEI DIESEM KAMPF GEHT ES NICHT UM EINEN SIEG IN DER SCHLACHT. MICH ZU HOLEN … ES GING NIE DARUM, MICH ZU BESIEGEN. ES GING DARUM, MEINEN WILLEN ZU BRECHEN.

UND DAS HAST DU MIT UNS ALLEN VERSUCHT. DARUM WOLLTEST DU UNS MANCHMAL TÖTEN, WÄHREND DIR DAS DANN WIEDER VÖLLIG EGAL ZU SEIN SCHIEN. DU GEWINNST, WENN DU UNS BRICHST. ABER DAS HAST DU NICHT. DAS KANNST DU NICHT.

Die Finsternis erzitterte. Sie bebte, als würde das Himmelsgewölbe selbst einstürzen. Der Schrei des Dunklen Königs war trotzig.

Eingehüllt in das Nichts in seinem Inneren ging Rand weiter, und die Dunkelheit erzitterte.

ICH KANN NOCH IMMER TÖTEN!, brüllte der Dunkle König. ICH KANN SIE NOCH IMMER ALLE HOLEN! ICH BIN DER HERR DES GRABES! DER HERR DER SCHLACHT, ER GEHÖRT MIR. AM ENDE GEHÖREN SIE ALLE MIR.

Rand ging mit ausgestreckter Hand weiter. Auf seiner Handfläche ruhte die Welt, und auf dieser Welt ein Kontinent, und auf diesem Kontinent ein Schlachtfeld, und auf diesem Schlachtfeld lagen zwei Männer am Boden.


Mat kämpfte, und Tam an seiner Seite hatte das Schwert gezogen. Karede und die Totenwächter gesellten sich zu ihnen, dann Loial und die Ogier. Die Armeen und Menschen von einem Dutzend Nationen kämpften, und viele schlossen sich ihm an, als er über das Plateau rannte.

Sie waren drei zu eins in der Unterzahl.

Mat kämpfte und brüllte in der Alten Sprache. »Für das Licht! Für die Ehre! Für den Ruhm! Für das Leben selbst!«

Er tötete einen Trolloc, dann den nächsten. Ein halbes Dutzend in wenigen Augenblicken, aber er fühlte, dass er mit der Brandung selbst kämpfte. Wo auch immer er die Finsternis niederstreckte, nahm mehr von ihr ihren Platz ein. Kreaturen bewegten sich in den Schatten, nur vom Licht einer seltenen Laterne oder einem im Boden steckenden Brandpfeil beleuchtet.

Das Schattengezücht kämpfte nicht als Einheit. Wir können sie brechen, dachte Mat. Wir müssen sie brechen! Das war seine Chance. Jetzt Druck zu machen, während die Sharaner von Demandreds Fall wie benommen waren.


DER SOHN DER SCHLACHTEN. ICH HOLE IHN MIR. ICH HOLE SIE MIR ALLE, WIDERSACHER. SO WIE ICH DEN KÖNIG DES NICHTS HOLTE.

Blut und verdammte Asche! Woher kam diese Leere in seinem Kopf? Mat enthauptete einen Trolloc, dann wischte er sich die Stirn ab, während Karede und die Totenwächter ihn für den Augenblick deckten.

Er konnte das Schlachtfeld fühlen! Da waren viele Trollocs und Sharaner, so schrecklich viele.

»Es sind zu viele!«, rief Arganda aus der Nähe. »Beim Licht, sie werden uns überwältigen! Wir müssen uns zurückziehen! Cauthon, hört Ihr mich?«

Ich schaffe das, dachte Mat. Ich kann diese Schlacht gewinnen. Ein Heer konnte einen zahlenmäßig überlegenen Feind besiegen, aber er brauchte frischen Schwung, eine Öffnung. Einen glücklichen Wurf der Würfel.


Rand stand über dem Muster und schaute herab auf den gefallenen Mann in einem Land, in dem die Hoffnung selbst gestorben zu sein schien. »Du hast nicht genau genug hingesehen. In einer Sache irrst du dich. Und wie du dich irrst …«


In die Enge getrieben und allein hockte ein Junge in einer Felsspalte. Ungeheuer mit Messern und Reißzähnen – der fleischgewordene Schatten – gruben nach seinem Unterschlupf, griffen mit Krallen wie Messerklingen nach ihm und rissen seine Haut auf.

Angsterfüllt, weinend und blutverschmiert hob der Junge ein goldenes Horn an die Lippen.


Mat kniff die Augen zusammen, die Schlacht schien um ihn herum zu verblassen.

Und wie du dich irrst, Shai’tan, dachte Rand.

Dann erklang die Stimme nicht länger nur in Mats Kopf. Jeder auf dem Schlachtfeld hörte sie deutlich.

Der Mann, den du so oft zu töten versucht hast, sagte Rand, der Mann, der sein Königreich verlor, der Mann, dem du alles nahmst …

Mühsam und von der Schwertwunde an seiner Seite blutgetränkt, kam der letzte König der Malkieri taumelnd auf die Füße. Lan hob die Hand, mit der er das Haupt von Demandred an den Haaren hielt, dem General der Schattenarme.

Dieser Mann, rief Rand. Dieser Mann kämpft noch immer!

Mat fühlte, wie sich Stille über das Schlachtfeld senkte. Alle waren wie erstarrt.

In diesem Augenblick ertönte ein leiser, aber mächtiger Laut, ein heller, klarer, goldener Ton; ein langer Ton, der alles einschloss. Der reine und wunderschöne Klang eines Horns.

Mat hatte diesen Klang schon einmal gehört.


Mellar kniete neben ihr und drückte das Medaillon gegen ihre Stirn, um sie am Machtlenken zu hindern. »Das hätte auch ganz anders ablaufen können, meine Königin«, sagte er. »Du hättest eben zugänglicher sein sollen.«

Licht! Dieses lüsterne Grinsen war abscheulich. Natürlich hatte er sie geknebelt, aber sie gab ihm nicht die Befriedigung zu weinen.

Sie würde entkommen. Sie musste sich von diesem Medaillon befreien. Zwar war da noch immer der Machtlenker. Aber wenn sie dem Medaillon entging und dann schnell zuschlug …

»Wirklich schade, dass deine kleine Freundin nicht mehr lebt, um sich das anzusehen«, fuhr Mellar fort. »Auch wenn sie eine Närrin war, bin ich doch davon überzeugt, dass sie tatsächlich glaubte, die Birgitte aus den Legenden zu sein.« In der Ferne hörte Elayne einen leisen Laut. Der Boden bebte. Ein Erdbeben.

Sie versuchte sich zu konzentrieren, konnte aber nur daran denken, dass Birgitte die ganze Zeit über recht gehabt hatte. Es war unbestreitbar möglich, dass die Babys sicher waren, so wie Min es vorhergesagt hatte, während sie selbst starb.

Weißer Nebel stieg aus dem Boden, wie die Seelen der Toten.

Plötzlich versteifte sich Mellar.

Elayne blinzelte, starrte ihn an. Etwas Silbernes ragte aus seiner Brust. Es sah aus wie eine … Pfeilspitze.

Mellar drehte sich, das Messer entglitt seinen Fingern. Hinter ihm stand Birgitte Silberbogen über ihrer Leiche, je einen Fuß an den Seiten des kopflosen Körpers. Sie hob einen Bogen, der so hell wie auf Hochglanz poliertes Silber funkelte, und schoss noch einen Pfeil ab, der eine Lichtspur hinter sich herzuziehen schien, als er Mellar in den Kopf traf und ihn zu Boden schleuderte. Ihr nächster Schuss traf Mellars Machtlenker, tötete den Schattenlord mit einem silbernen Pfeil, bevor der Mann reagieren konnte.

Überall um sie herum standen Mellars Männer wie gelähmt da und starrten Birgitte an. Die Kleidung, die sie jetzt trug, schien zu glühen. Ein kurzer weißer Mantel, ein voluminöses Paar gelbe Hosen und ein dunkler Umhang. Ihr langes blondes Haar hing in einem aufwendig geflochtenen Zopf bis zu ihrer Taille.

»Ich bin Birgitte Silberbogen«, verkündete Birgitte, als wollte sie jeden Zweifel zerstreuen. »Das Horn von Valere ist ertönt und ruft alle zur Letzten Schlacht. Die Helden sind zurückgekehrt!«


Lan Mandragoran hielt den Kopf eines der Verlorenen in die Höhe – ihres angeblich unbesiegbaren Schlachtenführers.

Die Armee des Schattens konnte nicht ignorieren, was da geschehen war, keiner von ihnen, ganz egal, wo sie sich auf dem Schlachtfeld befanden. Die Stimme aus dem Nichts hatte es verkündet. Dass der Angreifer stand, während der Auserwählte tot am Boden lag … es lähmte sie. Ängstigte sie.

Und dann ertönte das Horn in der Ferne.

»Vorwärts!«, brüllte Mat. »Vorwärts!« Wild warf sich seine Armee auf Trollocs und Sharaner.

»Cauthon, was war das für ein Laut?«, wollte Arganda wissen und stolperte zu Pips. Der Mann trug noch immer einen Arm in der Schlinge und hielt einen blutigen Streitkolben in der anderen Hand. Um Mat herum kämpften die Totenwächter und mähten Ungeheuer nieder.

Mat warf sich wieder in den Kampf. »Das war das verdammte Horn von Valere! Wir können in dieser Nacht noch immer den Sieg davontragen!«

Das Horn. Wieso hatte das verdammte Horn bloß ertönen können? Nun, allem Anschein nach war er nicht länger an das Ding gebunden. Sein Tod in Rhuidean musste ihn davon getrennt haben.

Ein anderer armer Narr konnte jetzt diese Bürde tragen. Mat heulte einen Schlachtruf, trennte einem Tiermenschen den Arm ab, stach einen anderen in die Brust. Der Klang des Horns stürzte die ganze Armee des Schattens in Verwirrung. Die Trollocs in Lans Nähe wichen zurück und krochen in dem verzweifelten Versuch, ihm zu entkommen, fast übereinander hinweg. Dadurch lichteten sich die Reihen der Kreaturen, die am Osthang kämpften, und sie hatten keine Reserve mehr. Und niemand schien das Kommando zu haben.

In der Nähe hoben Myrddraal die Waffen gegen ihre eigenen Trollocs und versuchten die Flüchtlinge wieder in den Kampf zu jagen, aber Brandpfeile der Bogenschützen von den Zwei Flüssen schossen aus dem Himmel und bohrten sich in die Körper der Blassen.

Tam al’Thor, dachte Mat, ich werde dir mein bestes Paar Stiefel schicken, verflucht noch mal. Soll mich das Licht verbrennen, aber das werde ich. »Zu mir!«, rief er. »Alle Reiter, die verdammt noch mal eine Waffe halten können, zu mir

Mit den Fersen trieb er Pips zum Galopp und bahnte sich seinen Weg durch Trollocs, die noch immer kämpften. Sein Angriff ermöglichte es Furyk Karede und den wenigen ihm noch verbliebenen Männern, die Lücke in der Trolloc-Horde zu vergrößern. Durch sie ergoss sich die gesamte Streitmacht der letzten Grenzländer, die hinter Mat in Lans Richtung donnerten.

Die sharanische Armee zeigte Anzeichen von Schwäche, aber sie machte mit ihrer Offensive weiter; ihre Disziplin zwang die Männer dazu, das zu tun, was sie im Grunde ihres Herzens beenden wollten. Lans Sieg würde der Schlacht nicht sofort ein Ende bereiten – dafür gab es viel zu viele Feinde –, aber ohne Demandred hatte der Schatten seine Führung verloren. Selbst die Blassen zeigten, dass ihnen der Anführer fehlte. Die Trollocs machten Anstalten, zurückzufallen und sich neu zu gruppieren.

Mat und die Grenzländer galoppierten über die Anhöhe nach Südwesten und erreichten die Stelle, an der Lan stand. Mat sprang vom Pferd und packte ihn an der Schulter, als der König der Malkieri schwankte. Er blickte Mat mit einer grimmigen Dankbarkeit an, dann verdrehte er die Augen, und seine Knie gaben nach; er ließ Demandreds Kopf zu Boden fallen.

Ein Mann in einem schwarzen Mantel preschte heran. Mat war sich gar nicht bewusst gewesen, dass Narishma noch immer da war und an der Seite der Grenzländer kämpfte. Der Kandori-Asha’man sprang vom Pferd und ergriff Lans anderen Arm, dann konzentrierte er sich.

Das kurze Heilen reichte aus, um Lan zurück ins Bewusstsein zu holen.

»Schafft ihn auf ein Pferd, Narishma«, sagte Mat. »Ihr könnt Euch in Ruhe um ihn kümmern, wenn wir wieder bei unserem Heer sind. Ich will nicht hinter feindlichen Linien feststecken, falls die Trollocs da unten entscheiden, sie müssten zurück auf die Anhöhe.«

Sie ritten zurück nach Nordosten und hieben dabei mit Schwertern und Lanzen auf die Rücken der Trollocs in der rechten Flanke ein, was die Bestien noch mehr verschreckte. Sobald die Grenzländer sie hinter sich gelassen hatten, wendeten sie die Pferde und ritten erneut mitten in die Horde hinein. Die Kreaturen starrten wild in alle Richtungen, sich unsicher, wo der nächste Angriff herkommen würde. Mat und Narishma ritten weiter mit Lan im Schlepptau zurück zu ihren eigenen Linien. Narishma zog den Malkieri vorsichtig vom Pferd und legte ihn hin, um mit der Heilung fortzufahren, während Mat kurz innehielt und ihre Situation überdachte.

Hinter ihnen sammelte sich Nebel. Da schoss Mat ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Er hatte eine furchtbare Möglichkeit übersehen! Das Horn von Valere wurde noch immer geblasen, ein ferner und doch unverkennbarer Laut. O Licht, dachte er, o verfluchte abgehackte Stümpfe auf einem Schlachtfeld. Wer bläst das Horn? Welche Seite?

Der Nebel wand sich Würmern gleich, die nach einem heftigen Regenfall aus dem Boden krochen. Er sammelte sich zu einer wogenden Wolke, einer Gewitterwolke am Boden, und Umrisse von Pferden galoppierten heraus. Gestalten aus der Legende. Buad von Albhain, so majestätisch wie jede Königin. Amaresu, die ihr glühendes Schwert emporgestreckt hielt. Der dunkelhäutige Hend der Schläger, einen Hammer in der einen und einen Speer in der anderen Hand.

An der Front der Helden ritt eine Gestalt durch den Nebel. Hochgewachsen und gebieterisch, mit einer Nase gekrümmt wie ein Schnabel, trug Artur Falkenflügel sein Schwert Gerechtigkeit über die Schulter gelegt. Obwohl der Rest der ungefähr hundert Helden Falkenflügel folgte, löste sich einer von Nebelschwaden umgeben von der Gruppe und galoppierte fort. Mat hatte keinen guten Blick auf ihn werfen können. Wer war das gewesen, und wo wollte er so eilig hin?

Mat richtete den Hut und trieb Pips an, dem uralten König entgegenzureiten. Ich schätze, ich weiß, welche Seite ihn gerufen hat, dachte er, wenn er versucht, mich zu töten. Er legte den Ashandarei quer über den Sattel. Konnte er gegen Artur Falkenflügel kämpfen? Licht, konnte überhaupt jemand einen der Helden des Horns schlagen?

»Hallo, Falkenflügel«, rief Mat.

»Spieler«, erwiderte Falkenflügel. »Ihr solltet besser auf die Dinge achtgeben, die man Euch überließ. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass man uns für diesen Kampf nicht ruft!«

Mat seufzte erleichtert. »Verfluchte Asche, Falkenflügel! Ihr hättet es nicht so spannend machen müssen, Ihr verfluchter Ziegenküsser. Also kämpft Ihr für uns?«

»Natürlich kämpfen wir für das Licht«, sagte Falkenflügel. »Wir würden niemals für den Schatten kämpfen.«

»Aber man sagte mir …«, setzte Mat an.

»Man hat Euch das Falsche gesagt«, erwiderte Falkenflügel.

»Davon abgesehen, hätte die andere Seite uns rufen können«, sagte Hend und lachte, »dann wärt Ihr jetzt tot!«

»Ich bin gestorben.« Mat rieb sich die Narbe am Hals. »Anscheinend hat mich dieser Baum für sich beansprucht.«

»Nicht der Baum, Spieler«, sagte Falkenflügel. »Ein anderer Augenblick, an den Ihr Euch nicht erinnern könnt. Er passt aber, da Lews Therin Euch beide Male das Leben rettete.«

»Vergesst ihn nicht«, fauchte Amaresu. »Ich habe Euch murmeln gesehen, dass Ihr seinen Wahnsinn fürchtet, aber die ganze Zeit vergesst Ihr, dass Ihr jeden Eurer Atemzüge, jeden Eurer Schritte seiner Langmut zu verdanken habt. Euer Leben ist ein Geschenk des Wiedergeborenen Drachen, Spieler. Und das zweimal.«

Blut und verdammte Asche, selbst tote Frauen behandelten ihn wie Nynaeve. Wo lernten sie das? Gab es da geheimen Unterricht?

Falkenflügel deutete auf etwas in der Nähe. Rands Banner; Dannil hielt es noch immer in die Höhe. »Wir sind hier eingetroffen, um uns um dieses Banner zu versammeln. Seinetwegen können wir für Euch kämpfen, Spieler, und weil der Drache euch alle führt – auch wenn er es aus der Ferne tut. Aber es reicht.«

Mat warf einen Blick auf das Banner. »Nun, wenn ihr nun alle hier seid, könnt ihr jetzt auch kämpfen. Ich werde meine Männer zurückziehen.«

Falkenflügel lachte herzlich. »Glaubt Ihr, wir hundert können diese ganze Schlacht schlagen?«

»Ihr seid die verdammten Helden des Horns«, erwiderte Mat. »Das ist doch das, was ihr tut, oder nicht?«

»Man kann uns besiegen«, sagte die hübsche Blaes von Matuchin und ließ ihr Pferd an die Seite von Falkenflügel tänzeln. Tuon konnte doch unmöglich sauer sein, wenn er eine Heldin ein bisschen ansah, oder? Schließlich wurde von Normalsterblichen erwartet, sie anzustarren. »Wenn wir schwer verletzt werden, müssen wir uns zurückziehen und in der Welt der Träume erholen.«

»Der Schatten weiß, wie er uns kampfunfähig machen kann«, fügte Hend hinzu. »Bindet uns an Händen und Füßen, und wir können nichts tun, um bei der Schlacht zu helfen. Es spielt keine Rolle, ob man unsterblich ist, wenn man sich nicht bewegen kann.«

»Wir können gut kämpfen«, sagte Falkenflügel zu Mat. »Und wir werden Euch unsere Kraft leihen. Das ist nicht unser Krieg allein. Wir sind nur ein Teil davon.«

»Na großartig«, sagte Mat. Das Horn ertönte noch immer. »Dann verratet mir doch eines. Wenn ich nicht in dieses Ding blies, und der Schatten auch nicht … wer ist es dann?«


Trolloc-Krallen zerkratzten Olvers Arm. Durch seine Tränen hindurch blies er mit zusammengekniffenen Augen in der kleinen Felsspalte in das Horn.

Es tut mir leid, Mat, dachte er, als eine schwarz behaarte Hand das Horn erreichte. Eine andere packte ihn an der Schulter, grub die Krallen tief in sie hinein und ließ Blut seinen Arm hinunterströmen.

Man riss ihm das Horn aus den Händen.

Es tut mir leid!

Der Trolloc riss Olver in die Höhe.

Und ließ ihn fallen.

Olver krachte benommen zu Boden und zuckte dann zusammen, als ihm das Horn in den Schoß fiel. Zitternd packte er es und blinzelte die Tränen fort.

Über ihm bewegten sich Schatten. Grunzten. Was passierte da? Vorsichtig hob er den Kopf und entdeckte jemanden, der über ihm stand, die Füße rechts und links von ihm auf dem Boden. Die Gestalt kämpfte so schnell, dass ihre Bewegungen wie ein Schemen erschienen, stellte sich einem Dutzend Trollocs auf einmal, und ihr Stab wirbelte in alle Richtungen, während sie den Jungen verteidigte.

Olver erkannte das Gesicht des Mannes, und ihm stockte der Atem. »Noal?«

Noal brach den Arm einer Bestie und zwang sie zurück, dann warf er Olver einen Blick zu und lächelte. Obwohl er noch immer gealtert erschien, war die Müdigkeit aus seinen Augen verschwunden – als wäre eine große Last von ihm genommen worden. In der Nähe stand ein weißes Pferd mit einem goldenen Sattel und Zaumzeug, das prächtigste Tier, das Olver je gesehen hatte.

»Noal, sie sagten, du seist gestorben!«, rief Olver.

»Bin ich auch«, erwiderte Noal und lachte. »Das Muster war noch nicht mit mir fertig, mein Sohn. Stoß in dieses Horn! Spiele es voller Stolz, Hornbläser!«

Olver gehorchte und ließ das Horn erschallen, während Noal die Trollocs in dem kleinen Kreis um sie herum zurücktrieb. Noal. Noal war einer der Helden des Horns! Der Hufschlag galoppierender Pferde verkündete die Ankunft weiterer Helden, die gekommen waren, um Olver vor dem Schattengezücht zu retten.

Plötzlich verspürte Olver eine tiefe Wärme. Er hatte so viele Menschen verloren, aber einer von ihnen … einer … war für ihn zurückgekehrt.

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