36 Der Kampf im Wald

Spät am Abend ging Vannor mit seiner Tochter Zanna über den von Fackeln erleuchteten Kiesstrand in der großen Höhle der Schmuggler. Zerbrochene Muscheln knirschten leise unter ihren Füßen, und das einzige andere Geräusch war das gedämpfte, beschwichtigende Lied der See, wenn das Wasser sanft gegen die steilen Wände auf der Rückseite der Höhle schlug. Das verständnisvolle Schweigen wurde von einem Seufzer Vannors durchbrochen. Sein Wiedersehen mit Antor und seiner Tochter war fröhlich gewesen, aber die kurze Zeit, die er mit ihnen verbracht hatte, war wie im Flug vergangen, und morgen würde er wieder aufbrechen müssen.

»Kopf hoch, Vater.« Zanna drückte, sehr zu Vannors Verdruß, seine Hand. Also wirklich, er sollte doch derjenige sein, der sie tröstet! Aber sein mittleres Kind, das gerade erst sechzehn Jahre alt geworden war, besaß einen Verstand, der weit über ihre Jahre hinausging. Sie war sein Liebling, und sie schlug ihm in jeder Hinsicht nach – unglücklicherweise einschließlich ihres Aussehens. Er lächelte ihr zu und betrachtete ihren stämmigen, kräftigen, kleinen Körper, ihr unscheinbares, freundliches Gesicht und ihr braunes Haar, das sie sich in schlichten Zöpfen flocht.

»Ich dachte, du würdest mit mir kommen wollen«, sagte er.

»Dann hättest du mich lehren müssen, wie man kämpft, so wie die Lady Aurian es tut«, erwiderte Zanna. »Die weiblichen Künste, die meiner Schwester einen Ehemann eingetragen haben, sind an mich verschwendet.« Sie seufzte und verriet damit ihre wahren Gefühle. »Ich wünschte, ich könnte mit dir kommen – aber ich würde dich nur aufhalten. Außerdem kann ich hier von größerem Nutzen sein.«

Vannor legte seinen Arm um sie und drückte sie fest an sich. »Nun, du scheinst dir die Sache ja genau überlegt zu haben. Hast du irgendwelche Pläne, von denen dein alter Vater wissen sollte?«

Zanna lächelte. Ein heimliches, kleines Lächeln, das ihrem Gesicht eine neue Reife gab. »Die habe ich wirklich – aber du mußt mir versprechen, mich ganz anzuhören, bevor du anfängst, mich anzuschreien.«

»Na gut.« Der Händler fragte sich, was ihr wohl durch den Kopf gehen mochte.

Zanna zögerte einen Augenblick. »Ich werde Yanis heiraten.«

»Was? Hast du den Verstand verloren? Nur über meine Leiche wirst du irgendeinen niedriggeborenen Gesetzlosen heiraten …«

»Vater, du hast gesagt, du würdest mich erst anhören. Du hast jetzt also keine Wahl mehr«, erinnerte Zanna ihn. »Außerdem bist du auch ein Gesetzloser! Es mag vielleicht nicht das sein, was du willst, aber siehst du denn nicht, wie vernünftig es wäre? Ich bin nicht dazu geschaffen, die Frau eines Kaufmanns zu sein, von der nur erwartet wird, daß sie hübsch und damenhaft ist.« Sie zog eine Grimasse. »Außerdem weißt du doch selbst, wie sehr den Kaufleuten am Aussehen gelegen ist. Du kannst dir keine Mitgift leisten, die irgend jemanden in Versuchung führen könnte, mich zu nehmen – und hier werde ich gebraucht. Yanis hat große Schwierigkeiten, seit er von seinem Vater die Führung der Nachtfahrer übernommen hat. Oh, er ist sehr tapfer und voller Ideen, aber er hat keine Ahnung, wie man plant. Ganz im Gegensatz zu mir – ich bin schließlich nicht umsonst deine Tochter!«

Vannor sah sie mit offenem Mund an, erstaunt und – widerwillig – beeindruckt. »Aber er ist doppelt so alt wie du«, wandte er ein.

»Er ist nicht einmal dreißig«, korrigierte Zanna ihn schnell, »und du hast wirklich kein Recht, über Alter zu reden.«

Vannor zuckte zusammen, denn er wußte, wie sehr sie Sara ablehnte . Also wechselte er hastig das Thema. »War das seine Idee?«

»Gewiß nicht!« Zanna war zutiefst empört. »Aber Remana wird mir helfen. Sie findet auch, daß es langsam Zeit wird, daß er heiratet …«

»Einen Augenblick mal. Du meinst, Yanis weiß nichts davon?«

Grinsend schüttelte Zanna den Kopf. »Nein – aber ich habe nicht die Absicht, mich davon aufhalten zu lasen. Dulsina sagt …«

»Schon wieder Dulsina«, brummte Vannor. »Ich hätte wissen müssen, daß sie da irgendwie mit drinsteckt.« Er versuchte, das liebevolle Lächeln zu unterdrücken, das sich bei dem Gedanken an seine unbeugsame Haushälterin über sein Gesicht schlich. Als man ihn zum Gesetzlosen erklärte, hatte Dulsina darauf bestanden, ihn in die Kanäle zu begleiten, wo sie sich gleich darangemacht hatte, den zusammengewürfelten Haufen seiner Rebellen zu organisieren und zu bemuttern; und sie hatte bei ihrem Aufenthalt dort gelernt, mit dem Bogen zu schießen und eine tödliche Klinge zu führen – mit demselben ruhigen Interesse, das sie gezeigt hätte, wenn es darum gegangen wäre, ein neues Rezept auszuprobieren. Jetzt war sie mit ihm zu den Nachtfahrern gegangen und organisierte das Leben seiner Familie wieder, als hätte sie nie damit aufgehört.

Vannor schüttelte den Kopf. »Bei den Göttern 1« Plötzlich stellte er fest, daß er sich keine Sorgen mehr über seine praktisch veranlagte Tochter machte. Sein Mitgefühl richtete sich statt dessen auf den ahnungslosen Anführer der Schmuggler. Der arme Yanis hatte keine Chance.

»Nun komm schon, Vater.« Zanna zog an seinem Arm. »Da ist Parric mit den anderen. Es ist Zeit, auf Wiedersehen zu sagen.«

»Und da wäre noch etwas …« begann Vannor und schloß abrupt wieder den Mund. Er hatte kein Recht, seine Tochter damit zu belasten, daß er größte Zweifel hegte an Parrics starrköpfigem Beharren, auf der Suche nach Aurian nach Süden zu fahren. Er sollte mit uns ins Tal kommen, dachte Vannor. Selbst wenn die Lady uns helfen will, wie soll ich ohne Parrics Hilfe eine Rebellenbasis aufbauen? Es ist ja schön und gut, zu sagen, daß ich Hargorn haben werde, der mir hilft, aber der Mann ist Soldat und kein Stratege. Ich selbst habe einfach nicht genug militärische Erfahrung, und Parric macht sich auf und davon und läßt sich für nichts und wieder nichts umbringen.

Der Kavalleriehauptmann kam durch die Öffnung, die von seinen Unterkünften hierherführte, und lächelte, als er Zanna mit ihrem Vater sah. Er war froh, daß die Kleine gekommen war, um auf Wiedersehen zu sagen – er hatte sie richtig in sein Herz geschlossen. Wenn er nur ein paar Jahre jünger gewesen wäre … Parric unterdrückte den Gedanken. Vannor würde es nicht dulden, daß irgendein ungehobelter Soldat mit seiner Lieblingstochter herumtändelte. Außerdem lag ihr Interesse woanders – und er wünschte ihr viel Glück. Yanis war nicht besonders klug, aber er war ein gutaussehender Bursche, und Parric wußte, wer in dieser Ehe die Zügel in der Hand halten würde. Er kicherte und fragte sich, ob sie wohl eine Chance gehabt hatte, ihrem Vater die Neuigkeiten mitzuteilen. Dem verblüfften Gesichtsausdruck Vannors nach hatte sie das wohl. Und als er näher kam, machte Zanna ihm auch ein kleines Zeichen hinter dem Rücken ihres Vaters. Parric mußte sich bemühen, eine ausdruckslose Miene beizubehalten, obwohl es ihn ganz unvernünftig freute, daß das Mädchen ihm ihr Vertrauen geschenkt hatte. Selbst wenn das bedeutete, daß sie ihn in einer väterlicheren Rolle sah, als ihm lieb war.

»Wir sollten uns besser beeilen.« Idris, der wettergegerbte Schiffskapitän mit dem abgehärmten Gesicht, sollte sie nach Süden bringen und grüßte sie nun vom Deck seines Bootes. »Die Flut wird nicht warten, wißt ihr.« Parric grinste und bedachte ihn mit einer obszönen Geste, bevor er sich wieder an Vannor wandte.

Der Kaufmann sah besorgt aus, wie er es seit dem Augenblick getan hatte, als der Kavalleriehauptmann ihn zum ersten Mal mit dem konfrontiert hatte, was er seinen ›verrückten Plan‹ nannte. Parric beschloß, ihm zuvorzukommen, denn er hatte keine Zeit, noch einmal die ganze Sache durchzukauen. »Es ist schon gut, Vannor«, sagte er mit fester Stimme. »Du kommst zurecht, und ich komme zurecht – und ich komme sofort wieder, wenn ich Aurian gefunden habe.«

»Falls du sie findest«, murmelte Vannor zweifelnd. »Du hast ja keine Vorstellung, wie groß die Südlichen Königreiche sind – ganz zu schweigen von der feindlichen, kriegerischen Natur der Südländer selbst!«

»Aber das ist doch gerade der Grund, warum Aurian meine Hilfe braucht.« Parric hätte sich seine Worte ebensogut sparen können.

»Hinzu kommt noch, daß du dich mit einem alten Mann und einer verrückten Magusch belastet hast«, fuhr Vannor fort. Aber zu Parrics Erleichterung schloß er hastig den Mund, als der alte Mann und die verrückte Magusch zusammen mit Sangra, die sich nicht von der Expedition hatte ausschließen lassen, über den Strand kamen.

»Fertig zum Abmarsch?« fragte die Kriegerin fröhlich. Parric hätte sie küssen können, aber das mußte warten.

»Bring sie an Bord, Schätzchen«, sagte er zu ihr. »Ich komme sofort.« Er wandte sich noch einmal an Vannor. »Du hast in einer Hinsicht recht – ich wünschte, wir könnten Elewin dazu überreden, hierzubleiben. Die Reise hierher hat ihn ans Ende seiner Kraft gebracht, und er ist wirklich nicht in der Verfassung für eine Vergnügungsreise in den Süden.«

Vannor zuckte mit den Schultern. »Meiriel wird in guter Gesellschaft sein – ihr seid alle verrückt! Ich weiß nicht warum Elewin so sicher ist, daß er der einzige ist, der sich um sie kümmern kann – sie war doch, seit sie mit uns zusammen ist, vollkommen klar.« Plötzlich ging seine schroffe Zurückhaltung in die Brüche, und er umarmte Parric. »Ich werde dich vermissen, du Idiot«, murmelte er. »Paß auf dich auf und – um aller Götter willen – komm mir sicher zurück.«

»Ganz bestimmt.« Parric erwiderte die Umarmung, und in seiner eigenen Stimme schwang mehr Gefühl mit als gewöhnlich. »Und keine Angst, was das Kommando über die Soldaten betrifft, Vannor – sie verstehen ihr Geschäft, und sie werden dich nach Kräften unterstützen. Außerdem, wenn du erst einmal Eilin gefunden hast, wird sie dir alle Hilfe geben, die du brauchst. Und ich bin wieder da, noch bevor du richtig tief Luft geholt hast – und was noch wichtiger ist, ich werde dir deine Frau mitbringen.«

»Das hoffe ich, Parric – das hoffe ich wirklich.«

Am folgenden Abend stand Vannor mit Dulsina und Zanna auf dem grasigen Hügel, während die bleiche Sonne über den Hügeln hinter ihnen unterging. Die Luft war kühl – das unnatürliche und unzeitgemäße Winterwetter wollte dieses Jahr überhaupt nicht mehr weichen –, aber der Blick war prachtvoll. Unten und zu seiner Rechten zog sich der bleiche, halbmondförmige Strand dahin. Er lag still im Schoß der Klippen und wurde umspielt von der ruhigen, leuchtenden See. Eine halbe Wegstunde weiter auf der gegenüberliegenden Spitze des Halbmonds erhob sich ein grüner Hügel, den ein gewaltiger, finsterer, stehender Stein krönte. Direkt zu den Füßen des Händlers verbarg eine V-förmige Nische einen schmalen, ungesicherten Pfad, der die Klippe hinunterführte. Abgesehen von dem geheimen Tunnel für die Pferde war dieser gefährliche, gut bewachte Felsvorsprung der einzige Landzugang zu dem Versteck der Schmuggler.

»Hast du irgendwelche Bedenken?« Yanis kam näher und keuchte noch von seinem Marsch den steilen Pfad hinauf. »Die solltest du auch haben«, fuhr der Schmuggler fort. »Warum bringst du deine Leute landeinwärts, Vannor? Hier ist es viel sicherer, und du bist hier herzlich willkommen. Deinen Kindern bricht es fast das Herz, daß du sie wieder verläßt.«

»Genau das habe ich ihm auch gesagt«, warf Dulsina ein. Der Kaufmann seufzte. »Dieser Ort nützt uns gar nichts als Kampfbasis. Dulsina – wie du sehr wohl weißt. All diese Einwände erhebst du doch nur, weil ich dich nicht mitnehmen wollte.«

Dulsina zuckte mit den Schultern und hob eine Augenbraue. »Dein Fehler, Vannor«, sagte sie mit ernster Stimme. Vannor warf ihr einen düsteren Blick zu und wünschte, sie würden ihn endlich alle in Ruhe lassen. Es war schlimm genug, sich wieder von seinen Kindern trennen zu müssen. Sie waren jetzt alles, was er noch hatte. Unsinn sagte er sich. Sarah ist bei Aurian, und es wird ihr gutgehen. Und Parric hat versprochen, sie mir zurückzubringen. Vannor haßte es, sich eingestehen zu müssen, daß das der eigentliche Grund war, warum er es zugelassen hatte, sich von dem Kavalleriehauptmann zu dessen verrücktem Plan überreden zu lassen.

»Wie dem auch sei, Yanis«, griff er den Faden des Gesprächs wieder auf, »es sind meine Kinder und deine Leute, an die ich denke. Sie werden sicherer sein, wenn wir nicht hier sind.«

»Aber das Tal hat jetzt einen ganz schlechten Ruf«, protestierte Yanis. »Es heißt, der Magusch Davorshan sei dort getötet worden.«

»Das ist auch genau der Grund, warum ich hingehe. Davorshans Tod war kein Unfall, da bin ich mir sicher. Nach dem, was Aurian und Forral widerfahren ist, wird die Lady vom See uns beschützen – da kannst du sicher sein.«

»Aber das Risiko liegt eindeutig in dem Weg dorthin! Angos durchkämmt das Land auf der Suche nach euch.«

»Wir werden vorsichtig sein, und das Tal ist eine weit bessere Basis für uns – viel zentraler und näher bei der Stadt.«

»Aber das ist genau das, was mir Sorgen macht«, sagte Yanis düster. »Nun, ich werde euch jetzt gehen lassen. Wenn wir irgendwelche Neuigkeiten von Parric im Süden hören, werde ich versuchen, euch einen Boten zu schicken. Die Götter mögen mit dir gehen, mein Freund, und keine Angst – ich kümmere mich um deine Kinder.«

»Lebe wohl, Yanis – und vielen Dank für alles, was du für mich getan hast«, sagte Vannor und überlegte, daß im Falle eines seiner Kinder die Sache wohl genau andersherum laufen würde.

»Kümmere du dich um dich selbst«, sagte Dulsina zu dem Kaufmann. »Da ich ja nicht dasein werde, um es für dich zu tun«, fügte sie spitz hinzu.

»Leb wohl, Dulsina.« Vannor umarmte sie. »Und kümmere dich für mich um Zanna, ja?«

»Als könnte Zanna sich nicht um sich selber kümmern«, schnaubte die Haushälterin. »Es seid ihr idiotischen Männer, die mir Sorgen machen!« Mit diesen Worten ließ sie ihn allein, damit er sich von Zanna verabschieden konnte. Aber es bestand kaum die Notwendigkeit für Worte zwischen Vater und Tochter. Sie hatten einander bereits alles gesagt.

»Wage es ja nicht, deinen Schmuggler zu heiraten, bevor ich zurückkomme!« neckte er sie schroff. »Das ist eine Hochzeit, die ich nicht verpassen möchte!«

Zanna umarmte ihn. »Dann solltest du dich besser ein bißchen beeilen, Vater.« Sie zwinkerte ihm durch ihre Tränen hindurch zu. »Ich habe nicht die Absicht, für immer zu warten, weißt du.« Einen langen Augenblick sahen sie einander an. Zanna biß sich auf die Lippen, und ihre Arme schlössen sich fester um ihn. »Leb wohl, Papa.« Sie wirbelte herum und war plötzlich verschwunden.

Der Kaufmann wandte sich ab und ging zu seinen wartenden Rebellen hinüber. Vielleicht war es die Verwirrung des Abschieds, aber es fiel ihm nicht auf, daß ein Mann fehlte.

Sobald Vannors Truppe hinter dem nächsten Hügel verschwunden war, teilte sich der Stechginster, der den Tunnel der Pferde verdeckte. Zanna tauchte auf, gefolgt von Dulsina in Kriegerkleidung und dem ergrauten Hargorn, der zwei Pakete bei sich trug. Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Die Götter mögen wissen, warum ich mich von euch dazu habe überreden lassen.« Er seufzte. »Vannor wird mir die Eier abschneiden – oh, ich bitte um Entschuldigung«, fügte er hastig hinzu, als er einen kalten Blick von Dulsina auffing.

Zanna grinste. »Du tust es, weil du uns liebst«, neckte sie ihn. »Bist du bereit, Dulsina?«

Die Haushälterin lächelte gequält. »Ich hoffe nur, daß meine alten Gehmuskeln bald wieder da sind«, sagte sie zweifelnd.

»Bei allem Respekt, gute Frau, das will ich wirklich hoffen«, schnaubte Hargorn. »Wir können es uns nicht leisten, daß du uns aufhältst – und du solltest dich jetzt besser beeilen, wenn wir die anderen wieder einholen wollen. Vannor wird es nicht bemerken, wenn wir uns ganz vorsichtig dem hintersten Teil des Zuges anschließen.«

»Keine Angst, Hargorn. Wenn Vannor den Weg schafft, kann ich es auch. Der Mann ist schon seit Jahren nirgendwo mehr zu Fuß hingegangen.« Sie umarmte Zanna und schulterte ihre Last. Dann hob sie seufzend ihre Augen gen Himmel. »Was ich nicht alles für Vannor tue.«

»Was du nicht alles für die Liebe tust, meinst du«, murmelte Zanna leise, während Dulsina bereits in der Abenddämmerung verschwunden war. Lächelnd begann sie ihren Weg nach unten zum Kliff, um Yanis zu suchen.

Wo, beim Schlund der Hölle, sind wir? fragte Vannor sich. Der Abschied von seiner Familie und seinen Freunden erschien ihm jetzt wie ein lange vergangener Traum. Die Rebellen wanderten nun schon seit Tagen auf diesen kahlen, ekelhaften Mooren herum, die sich vom Meer aus bis zu Eilins Tal hinzogen. Weil sie gezwungen waren, ihren Weg durch die sich windenden Täler zu nehmen, um sich vor den suchenden Söldnertrupps zu verstecken – die weit zahlreicher waren, als Vannor erwartet hatte –, hatten sie sich schon bald verirrt. Und nun hatten sie sich in dieser pechschwarzen Nacht doppelt verirrt, denn Wolken waren auf die Hügel herabgesunken und hüllten sie ein wie ein dicker, klebriger Nebel, der dem Händler kalte Spinnweben übers Gesicht wischte.

Vannor fluchte, wie er schon seit Tagen fluchte. Was hatten die Magusch nur mit dem Wetter angestellt? Dem Kalender nach sollte es Zeit sein, das Heu einzuholen, kurz vor dem Herbst, und diese Hügel sollten in Sonnenschein schwelgen, eingehüllt in das lebhafte Grün junger Farne und das frische Purpur früher Heide unter einem Himmel, der eine dunkelblaue Schale war, erfüllt von der wilden, zirpenden Freude des Gesangs der Feldlerchen. Aber in diesem Jahr hatte es keinen Frühling gegeben, geschweige denn einen Sommer, und das Land war ausgetrocknet und verdorrt. Die Menschen hungerten jetzt sicher, dachte Vannor. Diejenigen, die in der Nacht der Todesgeister gestorben waren, konnten sich vielleicht noch glücklich schätzen.

Das grimmige Winterwetter nagte an dem Gemüt des Kaufmanns und beraubte ihn seiner Hoffnung und seines Muts. Wenn doch nur Parric da wäre, mit seinen militärischen Fähigkeiten und seinem unbeugsamen Geist! Er hätte sich nicht im Nebel verirrt. Wenn sie doch nur Pferde hätten, statt diesen langsamen, qualvollen Weg zu Fuß unternehmen zu müssen. Dann hätten sie schon vor Tagen die Zuflucht des Tals erreicht. Aber es waren keine Pferde zu haben gewesen. Die Schmuggler hatten nicht genug, um ihnen welche zu überlassen, und die meisten anderen waren mittlerweile wohl aufgegessen worden, vermutete Vannor. Parric hatte ihm seine Rebellen anvertraut, und er hatte alles verpfuscht. »Ich tauge nicht zu dieser Sache«, murmelte er hilflos. »O Parric, warum mußtest du nur weggehen?«

Voller Verzweiflung hatte Vannor seine kleine Schar verlassen und war auf diesen Hügel gekrochen in der Hoffnung, von dort aus den Nebel durchdringen zu können, der wie ein dunkelgrauer Fluß über dem Tal lag. Aber es hatte keinen Sinn. Selbst von hier oben aus konnte er nichts sehen. »Fional? Hargorn?« flüsterte er den Spähern zu, die ihn begleitet hatten. Er bekam keine Antwort. Zur Hölle mit ihnen! Hatte er ihnen nicht eingeschärft, ganz in der Nähe zu bleiben? Die Geräusche drangen weit im Nebel, und er wagte nicht, laut nach ihnen zu rufen. In den Hügeln wimmelte es von Angors Söldnern. Wenn sie sich verlaufen hatten, hatten sie keine Chance, in dieser Dunkelheit und diesem Nebel wieder zurückzufinden. Wütend über ihre Dummheit und voller Sorge um ihre Sicherheit machte er sich auf den Weg den Hügel hinab, um sich wieder zu seinen Leuten zu gesellen. Vannor war einige Zeit gegangen, bevor ihm die schreckliche Wahrheit dämmerte. Nicht seine Späher hatten sich verirrt – er war es! Er hatte schon vor langer Zeit wieder flachen Boden erreicht und ging doch gewiß in die richtige Richtung – aber von den Rebellen war nichts zu sehen und nichts zu hören. Vannors Herz begann zu hämmern, und klebriger Schweiß sickerte zwischen seinen Schulterblättern herab. Als er so sicher gewesen war, in die richtige Richtung zu gehen, hatte er sich noch ganz wohl gefühlt, aber jetzt … Der undurchdringliche Nebel umwaberte ihn und verwirrte ihn so sehr, daß er keine Orientierung mehr hatte. Vannor kämpfte seine Panik nieder. War der Boden unter seinen Füßen wirklich eben? Ging er in die falsche Richtung und lief dem Feind direkt in die Arme? Er kämpfte einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, um sich davon abzuhalten, blind in die Dunkelheit hineinzurennen und vor der Furcht zu fliehen, die ihn zu verzehren drohte. Unter größten Anstrengungen gelang es Vannor, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ruhig, dachte er. Beruhige dich, du Narr! Was hätte Parric in dieser Situation getan? Zunächst einmal hätte er sich nicht verirrt – aber das war kein Trost.

Er blieb stehen und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche, wobei er wünschte, sie enthielte den feurigen Alkohol, den er zu Hause hatte. Aber was jetzt? Er konnte warten, bis der Nebel sich hob oder bis die Dämmerung kam, was immer von beiden früher geschehen mochte; oder er konnte versuchen, seine Schritte zurückzuverfolgen, in der Hoffnung, daß er irgendwo über seine Leute stolperte. Er wußte, das vernünftigste wäre, einfach abzuwarten, aber die Kälte ging ihm bis auf die Knochen, und die Untätigkeit erzürnte ihn und zwang seinen Verstand zu nutzlosen Vorstellungen. War das ein Geräusch? Da drüben? Oder dort? Waren es seine Leute? Oder der Feind? Wieder und wieder war er nahe daran, irgendwelchen eingebildeten Geräuschen hinterherzulaufen, obwohl ihm der gesunde Menschenverstand sagte, daß er damit nur riskierte, sich auf diesen endlosen Mooren endgültig zu verirren. Am Ende waren seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt, und er gab auf. Besser sich weiterzubewegen, beschloß er; er wollte versuchen, seinen Weg zurückzuverfolgen. Zumindest mußte ihn das noch näher an seine Leute heranbringen. Also drehte er sich vorsichtig um und blickte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann machte er sich durch den Nebel auf den Weg.

Verflucht und verdammt! Die Neigung des Bodens unter seinen Füßen und der Druck in seinen Oberschenkeln waren keine Illusion. Eine Zeitlang war Vannor wieder bergauf gegangen, einen Hügel hinauf, der weit steiler war als derjenige, den er zuvor erklommen hatte. Wie konnte das sein? Er war doch so vorsichtig gewesen! Entsetzt und angewidert über sich selbst, ließ der Händler sich fallen und legte seinen Kopf in die Hände. Es hatte keinen Sinn. Vielleicht konnte er klarer denken, wenn er sich ein wenig ausgeruht hatte.

Vannor setzte sich mit einem Ruck auf. Es war noch immer neblig, aber um ihn herum schimmerte ein trübes, graues Licht, und er konnte ein paar Meter von sich entfernt gelblichen, vertrockneten Rasen erkennen. Er mußte eingedöst sein. Dann hörte er wieder das schwache Geräusch, das ihn geweckt hatte. Von irgendwoher auf den Hügeln über ihm erklangen Kampfgeräusche, die durch den Nebel bis zu ihm herunterdrangen. Die Furcht um seine Leute krampfte ihm den Magen zusammen, und Vannor erhob sich taumelnd und rannte mit gezücktem Schwert den Abhang hinauf.

Der steile Hang schien endlos zu sein, aber die Kampfgeräusche wurden in seinen Ohren immer lauter. Endlich sah Vannor verschwommene, dunkle Schatten vor sich. Die Entfernung war trügerisch im Nebel, und er war mitten in dem Tumult, bevor er noch recht wußte, wie ihm geschah. Bäume! Dank den Göttern! Es gab nur einen Ort auf diesem grimmigen Moor, an dem Bäume wuchsen. Er mußte in der Nähe des Abhangs zum Tal hin sein, und er konnte deutlich den Kampf vor sich hören, dessen Geräusche immer noch ungemindert waren. Also warf er einen Arm in die Höhe, um sein Gesicht vor dem Gewirr federnder Äste zu schützen, und zwängte sich durch die Bäume hindurch.

Vannor schob alle Vorsicht beiseite und bahnte sich ungeachtet der Gefahr einen Weg durch das Unterholz, bis er schließlich auf eine Lichtung stieß, wo lautes Kampfgetümmel herrschte.

»Halt, Vannor – Verräter und Gesetzloser!« Die Stimme war hart. Vannor blieb stehen und senkte den Arm, der ihm die Sicht versperrte. Von den Bäumen aus kam eine ringförmige Kette unrasierter Söldner auf ihn zu, die bis an die Zähne mit blankem Stahl bewaffnet waren.

»Laß dein Schwert fallen!« Der Kreis teilte sich, und Angos trat vor, mit bösartiger Belustigung auf dem Gesicht. »Was für ein Rebell«, höhnte er. »Du hattest nie eine Chance, du Narr.« Beinahe wie von selbst fiel das Schwert aus Vannors tauber Hand. Er hatte versagt. Parric hatte sich geirrt, als er ihm vertraute. Im Wald wurden die Kampfgeräusche leiser und hörten schließlich ganz auf. Einer nach dem anderen wurden die Rebellen auf die Lichtung getrieben – ihre Anzahl war geringer als zuvor, wie der Händler mit sinkendem Mut bemerkte. Man hatte ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt, und sie wurden nun gezwungen, auf dem Boden niederzuknien. Vannors Blick streifte über die demoralisierten Gefangenen, von einem Gesicht zum anderen, bis er eines entdeckte, das ihn steif vor Entsetzen werden ließ. Dort, ohne Umhang und ohne Maske, mit langem, schwarzen Haar, das ihr über ein geschundenes und schmutziges Gesicht fiel, kniete Dulsina. Der Schlag einer eisernen Faust fuhr hart über sein Gesicht, und Vannor taumelte. Durch tränende Augen sah er Angos, der über ihm stand und böse grinste. »Der Erzmagusch will dich und Parric zum Verhör. Wenn du das überlebst, hat er eine schöne, kleine öffentliche Hinrichtung geplant.« Sein kalter Blick flackerte über die gefangenen Rebellen. »Was, kein Parric? Hat der lächerliche kleine Zwerg euch im Stich gelassen? Oder versteckt er sich woanders?« Er zuckte die Achseln. »Wenn du es weißt, werden wir es schon herausbekommen. Wenn nicht, werden wir ihn trotzdem finden, keine Angst. Ich glaube nicht, daß wir uns die Mühe machen müssen, den Rest von diesem Abschaum mitzunehmen. Die sind es nicht einmal wert, daß man guten Stahl an ihnen zerkratzt. Bogenschützen …«

Die Stimme des Söldners ging in einem Donnern von Hufschlägen unter. Vor Vannors Augen riß ein Ruck Angos herum, der sich vor Schreck versteifte. Dann explodierte seine Brust, als wäre sie von einem Schwert durchstochen worden – aber es war nichts zu sehen! Sein Körper wurde in die Luft geschleudert und landete mehrere Meter entfernt auf dem Boden. Dann brach die Hölle unter den Söldnern los, aber bevor sie noch ein Schwert heben oder einen Bogen spannen konnten, wurden die Bäume auf der Lichtung lebendig. Äste und Wurzeln schlängelten sich vorwärts und umklammerten sie in einer tödlichen Umarmung. Dornige Zweige peitschten ihre Augen, und Äste rissen weiche Bäuche auf und besudelten den Boden mit Eingeweiden und Blut. Dann brachen die Wölfe wie eine brodelnde graue Masse aus dem Wald hervor und erstickten die Schmerzensschreie und das Krachen brechender Knochen mit ihrem wilden Todesgeheul.

Es war in wenigen Sekunden vorüber, obwohl Vannor, der jede Einzelheit des grauenvollen Gemetzels in sich aufnahm, wußte, daß er genug gesehen hatte, um endlose Monate lang Alpträume zu haben. Als die Wölfe ihr blutiges Werk beendet hatten, fiel die erstarrte Ruhe des Schocks von ihm ab, und er sank auf die Knie, krümmte sich und übergab sich stöhnend vor Entsetzen.

Vannor öffnete die Augen, um endlich zu begreifen, was ihm sein betäubtes Gehirn schon seit einigen Minuten zu sagen versuchte. Die Wölfe und die Bäume hatten gewußt, welche Leute sie nehmen mußten! Die blutigen Überreste von Angos und seinen Männern waren über die ganze Lichtung verstreut. Kein einziger hatte überlebt. Auf dem winzigen Flecken, der von dem Greuel verschont geblieben war, kauerten die gefesselten und entsetzten Rebellen nahe beieinander mit weit aufgerissenen Augen und zitternden Gliedern, aber vollkommen unversehrt! Neben ihnen stand der größte der Wölfe; allein jetzt, denn seine Kameraden waren wieder mit dem Wald verschmolzen. Er stellte fragend die Ohren auf und sah Vannor an. Dann winselte er und wedelte mit dem Schwanz!

Der Kaufmann schüttelte ungläubig den Kopf und näherte sich mit ausgestreckter Hand dem Wolf. Als er die Entfernung zwischen sich und dem Tier verringerte, trat es langsam, aber immer noch schwanzwedelnd zurück.

Vannor hob einen Dolch vom Boden auf, und nachdem er das Blut an seinem Umhang abgewischt hatte, begann er, die anderen von ihren Fesseln zu befreien. »Das mir niemand dem Wolf etwas tut«, warnte er mit leiser Stimme.

»Niemand soll ihm etwas tun!« murmelte irgend jemand ungläubig. »Niemand wird auch nur in die Nähe dieses verdammten Dings kommen!« Es erhob sich ein nervöses Kichern unter den Rebellen, und ihr Mut gab Vannor die Kraft, von neuem das Kommando zu übernehmen. Er riß Dulsina auf die Füße.

»Du«, sagte er streng. »Du hast mir etwas zu erklären!« Er starrte seine versammelte Mannschaft an. »Um genau zu sein, hat es schon einer Verschwörung bedurft, um sie die ganze Zeit während unseres Marsches zu verstecken, also habt ihr alle mir etwas zu erklären!«

Alle blickten nun zu Hargorn hin, und der alte Veteran zuckte die Achseln. »Nun, Parric hat sich darauf verlassen, daß ich mich um dich kümmere, und da du die Absicht hattest, ein ständiges Lager ohne eine Köchin und ohne einen Quartiermeister aufzuschlagen …« Er grinste. »Ich konnte doch nicht zulassen, daß du einen solchen Fehler machst, oder?«

Zum Glück für Hargorn und Dulsina lenkte ein drängendes Winseln Vannors Aufmerksamkeit von den Missetätern ab. Er sah sich um und erblickte den Wolf, der immer noch geduldig am anderen Ende der Lichtung auf ihn wartete. Hinter ihm hatten die Bäume sich irgendwie zur Seite bewegt und einen deutlich erkennbaren Weg durch den Wald freigegeben. Der Wolf drehte sich um und rannte den Pfad entlang, blieb dann stehen und sah sich über die Schulter nach Vannor um. Der Händler warf einen Blick auf seine Rebellen und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ihr denkt, aber für mich sieht es so aus, als würden wir hier willkommen geheißen.«

Als die erschöpften Rebellen dem Wolf in die schützende Zuflucht des Tals gefolgt waren, schloß D’arvan die Reihen der Bäume hinter sich und verbarg ihren Weg und alle Anzeichen des Gemetzels auf der Lichtung. Maya wischte sich im Gras ihr Hörn ab, das von Angos Blut besudelt war. Sehnsüchtig blickte sie ihrem alten Freund Hargorn hinterher und stieß ein trauriges, kleines Winseln aus. D’arvan wußte, wie sie sich fühlte. Er legte tröstend einen Arm um den warmen, glänzenden Rücken des Einhorns und wünschte, die Männer könnten ihn sehen – wünschte, er könnte mit ihnen sprechen und ihnen sagen, daß sie nun in Sicherheit waren. Er sehnte sich so sehr nach Gesellschaft. Der Wald hatte sich als ein einsamer Ort für seinen Wächter erwiesen, und für Maya mußte es noch schlimmer sein.

»Nun, meine Liebste«, sagte er zu dem Einhorn, »Hellorin hat uns angewiesen, die Feinde des Erzmagusch zu beschützen, und ich kann mir niemanden denken, den ich lieber unserem Schutz unterstellte als unsere Freunde aus der Garnison. Und mit der Zeit werden noch andere kommen. Es ist jetzt vielleicht noch keine große Armee, aber immerhin ein Anfang.«

De Abend dämmerte bereits, als sie endlich den Baum gefällt und von seinen Zweigen befreit hatten. Parric sah vom regenüberströmten Strand aus zu, wie der Baum mit Hilfe von Ruderbooten zu dem ramponierten Schiff gebracht wurde.

»Nun, das wär’s«, sagte Idris. »Wir machen uns jetzt auf den Weg, Parric, und erledigen unsere Reparaturen unterwegs.« Er schien von Herzen erleichtert zu sein, diesen einsamen Ort verlassen zu können.

»Aber ihr werdet doch sicher bleiben, bis der neue Mast an Ort und Stelle ist«, protestierte der Kavalleriehauptmann.

»Keine Chance, Kamerad. Wir sollten euch nach Süden bringen, hat Yanis gesagt, und das war alles. Ich werde nicht hierblieben, bis die verfluchten Pferderitter kommen, vielen Dank! Von jetzt an seid ihr auf euch gestellt.« Er spuckte in den Sand. »Außerdem muß ich an meine Mannschaft denken. Ich habe noch nie um diese Jahreszeit solche Stürme erlebt. Nein, ich sehe zu, daß ich so schnell wie möglich nach Hause komme, und ich bin dankbar, wenn ich es endlich geschafft habe.«

»Aber du kennst diese Leute …«

Idris hob erstaunt die Augenbrauen. »Wer hat dir denn das erzählt? Wir handeln mit den Khazalim, weiter im Süden – was diese Leute hier betrifft, haben wir überhaupt keine Ahnung. Eine Horde von Wilden oder so etwas, habe ich gehört!«

Parric holte tief Luft, zählte bis zehn und legte dann mit einem üblen Fluch dem Schmugglerkapitän die Hände um den Hals. »Warum, zum Kuckuck, habt ihr uns dann nicht zu den Khazalim gebracht?« knurrte er. Idirs befreite sich mit einiger Mühe und trat hastig einen Schritt zurück. Dann warf er Parric einen bösartigen Blick zu und zog sich sein Lederwams zurecht.

»Weil«, sagte er, »ich bei diesem Wetter nicht weiter nach Süden fahre – und ich werde diese verdammte Magusch keinen Zentimeter weiter transportieren. Sie war mir schon die ganze Zeit über ein Dorn im Auge, und sie hätte die Mannschaft beinahe zur Meuterei gebracht mit ihren Befehlen und ihren Klagen. Außerdem bringt ihresgleichen immer Pech – sieh dir nur die Stürme an, die wir gehabt haben, wenn du irgendwelche Zweifel daran hast. Es tut mir leid, Kamerad, aber sie gehört jetzt ganz dir – und ich wünsche dir viel Glück mit ihr.« Mit diesen Worten stieg er in das letzte Boot. Seine Männer ruderten davon, kämpften mit den schäumenden Wellen und ließen Parric in hilflosem Zorn an der Küste zurück.

»Parric.« Sangra unterbrach das von Herzen kommende Fluchen des Kavalleriehauptmanns. Sie griff nach seinem Arm und zog ihn von den anderen weg. »Fluchen wird uns auch nichts nützen, Liebster. Wir müssen die Vorräte, die sie uns gelassen haben, ins Trockene schaffen, und Elewin braucht dringend ein Feuer. Es geht ihm sehr schlecht.«

Parric nickte, denn er wußte, sie hatte recht. Während des nicht enden wollenden Elends der Stürme war der alte Mann beinahe an Kälte und Seekrankheit gestorben, und Meiriel hatte sich geweigert, ihm zu helfen – hochmütig hatte sie darauf beharrt, daß es nicht ihre Aufgabe sei, ihre Kräfte an Sterbliche zu verschwenden.

Sie fanden einen Felsüberhang – er war zu flach, um eine Höhle genannt zu werden – und schickten Meiriel und Elewin hinein. Sangra begann, die Vorräte in ihr Versteck hineinzuzerren, während Parric Treibholz suchte. Ein Blick auf den durchnäßten Haufen Holz zeigte ihm, daß kein Sterblicher es jemals würde entzünden können. Und Elewin sah schrecklich aus. Der Haushofmeister kauerte hinten unter dem Felsen, geschüttelt von Hustenkrämpfen. Als Parric sein graues Gesicht und die blutleeren Lippen sah, spürte er heftige Angst. In der Erinnerung an Aurians Talente machte er der Magusch den Vorschlag, daß sie das Feuer mit ihrer Magie entzünden solle. Meiriel sah ihn an, als sei er eine Küchenschabe. »Ich kenne mich mit Feuermagie nicht aus«, erklärte sie. »Ich bin eine Heilerin, keine Feuermagusch.«

Da zerbrach etwas in Parric. Er sprang nach vorn, ergriff die Magusch und drehte ihr einen Arm auf den Rücken. Mit der anderen Hand zog er sein Messer und legte die Klinge auf die nackte, weiße Haut ihres Halses. »Wenn du eine verdammte Heilerin bist, dann mach deine Arbeit«, fuhr er sie an. »Heile Elewin, und zwar jetzt – sonst schlitze ich dir deine nutzlose Kehle auf!«

»Parric – keine Bewegung!« Sangras ruhige Warnung drang durch seinen Zorn. Der Kavalleriehauptmann blickte auf und sah mehrere Fremde, die den Eingang zu ihrem Versteck blockierten. Es waren Krieger – daran bestand kein Zweifel. Ihr vom Regen verdunkeltes Haar war lang – gleichgültig, ob es Männern oder Frauen gehörte –, und sie hatten es alle zu verschlungenen Zöpfen gebunden, um im Kampf mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Obwohl sie klein von Gestalt waren, mußten ihre knorrigen Muskeln von drahtiger Kraft sein – das verrieten die großen Schwerter, die sie bei sich trugen. Sie waren alle gleich gekleidet in ein Wams und in Kniehosen aus geschmeidigem Leder. Die Männer waren glatt rasiert. Eine der Frauen trat vor und sagte einige Worte in einer fließenden, wiegenden Sprache.

»Jetzt ist es aus!« murmelte Parric. »Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen.« Er spürte, wie sein Messer über Meiriels Kehle glitt, als die Maguschfrau ein hartes Lachen ausstieß.

»Ich verstehe sie«, rief sie mit schriller, triumphierender Stimme. »Sie hat gesagt, du sollst deine Waffe wegwerfen, Parric. Sie hat gesagt, wir sind ihre Gefangenen.«

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