11 Entscheidungskampf

Jetzt ist es wirklich Herbst geworden, dachte Aurian, als sie durch die verlassenen Straßen zur Garnison ritt. Es war ein schöner, klarer Morgen, und die erste Sonne ließ ihre goldenen Finger über die Dächer der Stadt gleiten; aber ihr Licht war schon etwas blasser, die Luft kühler und frischer geworden. Zum ersten Mal seit Monaten trug Aurian ihren Umhang. Miathan hatte ihr einen neuen geschenkt, einen verschwenderischen Mantel aus dicker weicher Wolle in ihrer Lieblingsfarbe, Smaragdgrün, der aber unbenutzt hinter der Tür ihres Zimmer hing. Sie trug Forrals unverwüstlichen alten Soldatenrock aus der rauhen öligen Wolle der Gebirgsschafe. Sie wußte, daß das kindisch war, aber wenn sie Forrals abgelegten Mantel trug, dann schien ihr das ihn näherzubringen. Der Schwertkämpfer hielt immer noch eine spürbare, unüberbrückbare Distanz zwischen ihnen aufrecht, und sie war der Verzweiflung nahe. Sie liebte ihn nun schon so lange! Schon seit ihrer Kindheit. Sie hatte damals nicht gewußt, daß es einer Magusch verboten war, einen Sterblichen zu lieben, und jetzt war es zu spät. Wie sollte sie jemals einen anderen lieben können?

Das brachte sie zurück zu ihrem anderen, wesentlich dringlicheren Problem: Miathan. Seit der Erzmagusch sie als seine Schülerin angenommen hatte, war sie von ihm wie eine Lieblingstochter behandelt worden, und wie eine solche hatte sie ihn geliebt und respektiert. Aber der Vorfall von gestern hatte alles verändert. Aurian schauderte. Sie war nicht in der Lage, das Gefühl von Unreinheit zu unterdrücken, das immer wieder aus unbekannten Tiefen ihres Bewußtseins emporgekrochen kam. Obwohl sie niemals einen Liebhaber gehabt hatte, wußte sie durch ihre derben Freunde in der Garnison genug, und die Vorstellung, mit Miathan das Bett zu teilen, erfüllte sie mit Abscheu. Seine Grausamkeit zu Anvar war der erste Grund gewesen, an ihm zu zweifeln – hatte er vielleicht absichtlich die Lüge verbreitet, daß der Diener ein Mörder war? Aurian wußte, daß sie dem Erzmagusch nie wieder würde trauen können, und ihre Beziehung zu ihm würde für immer gezeichnet sein durch eine untergründige Furcht. Gestern abend hatte sie es in der allgemeinen Aufregung über Anvars Entdeckung vermeiden können, mit Miathan allein zu sein, aber wie lange würde sie ihn meiden können? Er war der Mächtigste in der ganzen Stadt und konnte sich nehmen, was er wollte.

Keinem und keiner der anderen Magusch außer Finbarr und D’arvan wagte Aurian noch zu vertrauen. Wenn das, was jetzt geschehen war, von Anfang an in Miathans Absicht gelegen hatte, dann konnte jeder von ihnen, dann konnten sie alle in den Plan eingeweiht gewesen sein. Vom Erzmagusch erwählt zu werden galt als die größte Ehre. Eliseth würde ihren rechten Arm dafür geben, dachte Aurian ironisch. Sie überlegte, ob sie die Sache mit Maya besprechen sollte – aber dann würde Forral sicherlich davon erfahren, und das wollte sie verhindern, da sie sehr gut wußte, wie er reagieren würde. Er war kein Gegner für den Erzmagusch. Es hat keinen Zweck, dachte Aurian verzweifelt. Ich sollte Nexis verlassen und zurück in das Tal meiner Mutter gehen. Aber obwohl das die einzige vernünftige Möglichkeit war, konnte sie nicht verhindern, daß ihr allein bei dem Gedanken die Tränen kamen. Wie kann ich fortgehen? Wie wird es Anvar ohne mich ergehen? Aber er gehört der Akademie – man würde mir nicht gestatten, ihn mitzunehmen! Und wie könnte ich Finbarr und Maya und Parric und Vannor verlassen? Und, ach – Forral! Wie sollte ich es ertragen, ihn noch einmal zu verlieren? Immer noch müde von dem schockierenden Erlebnis des Vortages, kreisten ihre Gedanken nach der schlaflosen Nacht in hoffnungsloser Betrübnis, ohne einer Entscheidung auch nur einen Schritt näher zu kommen.

Ganz in ihren Sorgen befangen und ohne zu bemerken, daß sie ihr Ziel schon erreicht hatte, ritt die Magusch durch den großen steinernen Torbogen der Garnison. Zu spät hörte sie den Donner von Huf schlagen auf sich zukommen. Ihr Training rettete sie – und ihr blinder Instinkt. Sie spürte noch den Luftzug des sausenden Schwertstreiches über ihrem Kopf, während sie schon unter den Bauch ihres Pferdes abtauchte; ein Fuß war noch im Steigbügel, und mit einer Hand hielt sie die Zügel und den Sattelknauf umklammert. Mit der freien Hand zog sie ihren Dolch und schlitzte den Sattelgurt des Pferdes auf, das ihren Angreifer trug, während er sie passierte; dann schwang sie sich wieder hinauf in den Sattel, riß ihr Pferd herum und konnte gerade noch sehen, wie der Sattel des anderen sich neigte, überkippte und den Reiter in den Staub des Übungsplatzes beförderte. Aurian grinste. Parric, mit dem sie in der letzten Zeit trainiert hatte, saß auf der festgetrampelten Erde und fluchte entsetzlich.

»Gewonnen!« frohlockte Aurian. Ihre Sorgen waren für einen Augenblick vergessen. »Das macht ein Bier, Parric.«

Der untersetzte Hauptmann der Reiterei blickte sie säuerlich an und spuckte einen Mund voll Staub aus. »Pah! Ein Bier, jawohl? Du warst so verdammt langsam, daß ich dir den Kopf hätte abschlagen können, wenn ich gewollt hätte!«

»Unfug!« gab Aurian zurück. »Was machst du dann da unten? Komm schon, gib zu, daß ich gewonnen habe.«

»Hast du nicht!«

»Habe ich doch!«

Sie sah sich nach Unterstützung um und entdeckte Maya drüben auf der Bogenschießbahn an der anderen Seite des Übungsplatzes. Maya sah D’arvan zu, der mit Fional, dem Meisterschützen der Garnison, ein Wettschießen machte. »Maya, hast du zugeschaut?« rief sie. »Habe ich gewonnen oder nicht?«

Forrals Stellvertreterin war, seit D’arvan es sich angewöhnt hatte, zusammen mit Aurian zur Garnison zu kommen, meist in Gesellschaft des Zwillings zu finden. Aurian freute sich, daß der schüchterne junge Magusch eine Freundin außerhalb der Akademie gefunden hatte. Der Verrat seines Bruders Davorshan hatte ihn zuerst hart getroffen. D’arvans erste Besuche in der Garnison hatten Aurian fast verzweifeln lassen, so anstrengend und schrecklich waren sie, bis er seine Schüchternheit schließlich vor allem durch die Entdeckung seines unglaublichen Talents für das Bogenschießen überwunden hatte. Und mit der Zeit hatte Maya dann sein Vertrauen gewonnen und damit eine schwere Last von Aurians Schultern genommen. Die Zwillinge schienen inzwischen zu einer Art Waffenstillstand gekommen zu sein – sie hatten getrennte Räume bezogen und offenbar gelernt, mit den Differenzen, die zu ihrer Entfremdung geführt hatten, zu leben. Und Aurian war zu ihrer Überraschung für ihre Freundlichkeit D’arvan gegenüber wohl belohnt worden, denn sie hatte in ihm an der Akademie einen Freund gefunden, dort, wo sie zuletzt damit gerechnet hätte.

Aurian wurde durch Parrics Stimme aus ihren Gedanken gerissen. »Nun, du hast sie gehört – hat sie gewonnen?«

Fional zuckte nur die Achseln, und D’arvan, der sich ganz auf seinen Schuß konzentrierte, winkte den beiden Streithähnen geistesabwesend zu. Maya jedoch kam zu ihnen herübergeschlendert und grinste. »Parric hat recht. Du warst langsam«, sagte sie zu Aurian.

»Siehst du?« höhnte der Kavalleriehauptmann. Aurian ließ die Kinnlade fallen.

»Aber«, fuhr Maya fort, »du warst effektiv. Den Gurt durchzuschneiden war der sauberste Trick, den ich seit Jahren gesehen habe! Finde dich damit ab, Parric, du hast ihr zuviel beigebracht. Der Punkt geht an Aurian.«

»Ha!« Aurian zeigte auf den kleinwüchsigen Mann. »Ich hab’s dir ja gesagt!«

»Verdammte Frauen!« murmelte Parric angewidert, während er sich aufrappelte und den Staub von seiner Rüstung klopfte. »Halten immer zusammen!«

Aurian stieg mit einem Lächeln vom Pferd. Einen Fremden, dachte sie, hätte dieser Zwischenfall in Furcht und Schrecken versetzt, aber für alle, die in der Garnison verkehrten, waren solche Überraschungsangriffe nichts Ungewohntes. Die Soldaten waren eine verschworene Gemeinschaft. Sie hatten in der Stadt und deren Umgebung die Polizeigewalt inne, mußte mit jeder Schwierigkeit fertig werden und die Schlachten schlagen und die Kriege führen, die der Rat für nötig hielt. Die Gefahren ihres Berufsstandes waren ihnen wohl bewußt. Deswegen die lebensgefährlichen Streiche, die sie einander spielten. Sie trieben sich selbst und ihre Kameraden an ihre Grenzen, aus Freundschaft – um ihre Geistesgegenwart und ihre Geschicklichkeit zu schulen und ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Das hatte sich als sehr wirksam erwiesen. Dank Forral und ihren Kampfgefährten war Aurian jetzt eine bessere Kämpferin als jemals zuvor, und die Freundschaften, die sie hier geschlossen hatte, waren mehr wert als Gold.

Aurian merkte plötzlich, daß Maya mit ihr sprach. »Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, wie war der Besuch bei deiner Mutter?«

»Oh, ich weiß nicht – ■ so wie beim letzten Mal.« Bei den Göttern, war es erst gestern gewesen, daß sie zurückgekehrt war? Aurian konnte es kaum glauben.

»Ehrlich gesagt, du scheinst heute morgen gar nicht ganz da zu sein«, sagte Maya. Mit untergehakten Armen flanierten die beiden Frauen auf das scheunenartige Bauwerk zu, in dem sich der Fechtplatz der Garnison befand.

»Ich bin die ganze Nacht aufgewesen. Das hättest du auch von D’arvan erfahren könne, wenn es dir gelungen wäre, seine Aufmerksamkeit einen Moment lang vom Bogenschießen abzulenken«, erklärte Aurian. »An der Akademie herrscht große Aufregung. Finbarr hat unter den Kellern des Archivs irgendwelche Höhlen voller Dokumente gefunden, die vielleicht etwas über die verlorene Geschichte des Maguschvolkes vor der Verheerung enthalten.«

Maya schauderte bei der Erwähnung der lange zurückliegenden magischen Kriege, die fast die Welt zerstört hätten, und machte ein beschwörendes Zeichen gegen das Böse. »Bei den Göttern«, sagte sie, »ich dachte, alles sei zerstört worden.«

»Das dachten wir alle, aber offensichtlich hatte irgend jemand soviel Verstand, das ganze Zeug in Sicherheit zu bringen. Obwohl die Akademie jener Zeit zusammen mit dem Rest der Stadt dem Erdboden gleichgemacht wurde, konnten diese Dinge die Jahrhunderte überdauern«, sagte Aurian. »Wir haben die halbe Nacht gebraucht, um die Bannzauber, die die Höhle schützten, aufzuheben, so daß wir hinein konnten, und dann fingen die Sachen an, sich aufzulösen und zu zerfallen. Den Rest der Nacht haben wir dann gebraucht, durch Bewahrungszauber alles vor dem endgültigen Untergang zu bewahren.«

»Wenn du mich fragst, dann hättet ihr die Sachen sich selbst überlassen sollen«, sagte Maya düster. »Denk an meine Worte, Aurian. Es kann nichts Gutes daraus werden, wenn man altes Übel ausgräbt.«

Bei den Worten ihrer Freundin spürte Aurian ein Prickeln auf der Haut. Der Tag schien sich mit den Vorahnungen einer heraufdräuenden Katastrophe zu verdüstern. Ein Kälteschauer überfuhr sie.

»Was ist los?« fragte Maya scharf.

»Nichts. Ich bin müde, das ist alles.« Sie versuchte, sich selbst davon zu überzeugen, daß es sich so verhielt.

»Bist du dir sicher, daß du heute morgen fechten willst?« Maya klang besorgt. »Wenn man müde ist, macht man leicht Fehler, weißt du.«

Aurian blieb abrupt stehen. »Großer Chathak, das hatte ich ganz vergessen!«

»Wundervoll«, sagte Maya trocken. »In diesem Jahr hat Forral dich vor allen anderen aus der Garnison als seinen Partner bei dem Demonstrationsgefecht für unsere frischen Rekruten ausgewählt, und du vergißt es. Es ist eine Ehre, die nur dem besten Kämpfer des Standorts zuteil wird. Kein Wunder, daß dir solch eine Kleinigkeit entfallen ist!«

»Oh, sei still Maya!« wehrte sich Aurian.

»Die ganze Nacht aufzubleiben hat jedenfalls nichts an deiner Muffeligkeit in den frühen Morgenstunden geändert!« neckte Maya sie; dann wurde ihr Gesicht ernst. »Es tut mir leid, Aurian. Ich spüre, daß dich etwas quält. Möchtest du vielleicht darüber reden? Wir haben jetzt etwas Zeit. Forral hat wieder verschlafen.« Sie verzog das Gesicht.

Aurian seufzte. Das Mitgefühl ihrer Freundin ließ sie beinahe versucht sein, all ihre Sorgen auszusprechen. Es kostete sie große Anstrengung, sich zusammenzunehmen. »Danke, Maya. Aber es ist etwas, mit dem ich allein fertig werden muß«, sagte sie. »Doch wenn uns noch etwas Zeit bleibt, dann gäbe ich alles für etwas Taillin.«

Als sie in der verlassenen Kantine vor ihren dampfenden Tassen saßen, ging Maya wieder zum Angriff über. »Es ist doch nicht diese Sache mit Forral, oder?« fragte sie.

»Was?« Einen Moment lang dachte Aurian, ihre Freundin hätte ihre Gefühle für den Schwertkämpfer entdeckt, aber Mayas nächste Worte belehrten sie eines Besseren.

»Er hat es geschafft, es vor fast allen in der Garnison zu verbergen, aber niemand kann derartig viel trinken, ohne daß es früher oder später ans Licht kommt.«

Aurians Herz sank ihr in die Knie. »Wie lange geht das schon so?«

Maya zuckte die Schultern. »Seit Wochen – eigentlich seit Monaten. Aber in letzter Zeit ist es schlimmer geworden, und als Forrals Freund und auch als seine Stellvertreterin bin ich besorgt. Er läßt nach, Aurian. Ich kann die Anzeichen dafür bereits erkennen, und du weißt ja, wie es hier zugeht. Früher oder später kommt jemand plötzlich über ihn, wie Parric heute morgen über dich, und Forral wird dabei übel verletzt werden.« Maya hielt inne, als sie Aurians erschreckten Gesichtsausdruck sah. »Verflucht sei mein loses Mundwerk! Du wußtest es nicht, oder?«

»Es ist schon gut«, sagte Aurian schwach. »Ich wünschte, du hättest es mir eher erzählt. Vielleicht kann ich darüber mit ihm sprechen.«

»Danke, Aurian. Es tut mir leid, dich damit zu belasten, aber vielleicht hört er auf dich. Er …« Maya schwieg plötzlich, und ihre Augen verengten sich. Sie stand abrupt auf. »Komm«, sagte sie. »Es ist Zeit zu gehen.«

Die Reihen hölzerner Bänke, die den Fechtplatz umrahmten, waren voll besetzt. Auf der einen Seite sah man die frischen Rekruten, auf der anderen Seite alle Soldaten der Garnison, die gerade keinen Dienst hatten. Der jährlich abgehaltene Freistilschaukampf, der den neuverpflichteten Soldaten zeigen sollte, was man später von ihnen erwartete, war immer spektakulär, und niemand wollte sich entgehen lassen, den besten Schwertkämpfer der Welt kämpfen zu sehen – vor allem in diesem Jahr. Forral wählte sich stets den besten Kämpfer als Gegner aus, und als er für diesen Kampf Aurian nominierte, hatte er riskiert, der Günstlingswirtschaft bezichtigt zu werden. Die Soldaten allerdings wußten es besser, und die (streng verbotenen) Wetteinsätze auf den Ausgang des Kampfes waren höher als sonst.

Die Atmosphäre war gespannt vor Erregung, als Aurian die Arena betrat. Sie hatte die Übungen und Meditationen absolviert, die ihren Körper und ihren Geist für den bevorstehenden Kampf vorbereiten sollten, aber dennoch mußte sie feststellen, daß sie Forral besorgte Blicke zuwarf. Abgesehen von einer leichten Aufschwellung um die Augen herum, schien er in bester Verfassung zu sein, und Aurian zwang sich, den Gedanken an seine Exzesse zunächst einmal aus ihrem Kopf zu verbannen. Die beiden in ärmellose Fechtwesten aus Leder, lederne Kniebundhosen und weiche Stiefel gekleideten Fechter verbeugten sich höflich voreinander, und der Kampf begann. Aurian umkreiste ihren Gegner vorsichtig, wohl wissend, daß es falsch war, sich zu eilig auf einen Schwertkämpfer von Forrals Kaliber zu stürzen. Plötzlich machte er einen Ausfall und fand eine Öffnung in ihrer Deckung, von der sie hätte schwören können, daß es sie nie gegeben hatte. Sie sprang zurück und spürte, wie die äußerste Spitze seines Schwertes über das rauhe Leder ihrer Weste streifte, genau über ihren Rippen. Gut, daß sie mit ihrer Beinarbeit so außerordentlich schnell war. Sie täuschte ein Stolpern vor und führte dann einen seitlichen Hieb. Auf Forrals linkem Arm zeigte sich ein Gerinsel von Blut, und gleichzeitig mit dem Publikum stöhnt Aurian überrascht auf. Das erste Blut für sie und schon so rasch! Er hätte niemals auf einen so alten Trick hereinfallen dürfen. Sie mußte etwas unternehmen. Sie griff wieder an, direkt diesmal. Forral parierte den Schlag mit seinem erhobenen Schwert, und dann standen sie gegeneinander, Nase an Nase, mit geschlossenen Klingen. Aurian hörte das Publikum wieder aufstöhnen. Es glaubte, daß sie einen Fehler gemacht hatte, dem kräftigeren, stärkeren Mann so auf den Leib zu rücken, aber sie hatte es absichtlich getan. »Lassen wir nach, alter Mann?« spottete sie sanft. »Heute ist der Tag, an dem ich dich schlagen werde, Forral.«

Sie sah Schrecken und Ärger über sein Gesicht flackern, aber um mehr zu sehen, blieb ihr keine Zeit. In einem wirbelnden Hagel von Stahl löste er sich und entwand Aurian dabei beinahe die Klinge. Dann ging der Kampf richtig los. Für Aurian schien sich die Zeit zu verlangsamen, während sie und Forral ihren komplizierten Tanz des Todes auf dem Sand der Arena zelebrierten. Alle anderen Sorgen waren vergessen, die Welt bestand nur noch aus ihr selbst, ihrem Gegner und dem schimmernden Stahl, den sie schwangen.

Coronach schrie sein Todeslied hinaus, während es die Luft durchschnitt; Aurian frohlockte mit der Klinge – sie wurde zur Klinge mit ihrem sauberen scharfen Aufblitzen, dem ein gellender Stoß folgte, der sich durch ihre Arme fortpflanzte, wenn die beiden Schwerter wieder und wieder aneinanderklirrten. Sie registrierte die warmen Rinnsale von Blut aus einem Dutzend kleinerer Wunden und vergaß sie. Forral blutete auch an verschiedenen Stellen. Sein Gesicht war gerötet, und sein Atem ging stoßweise. Seine Bewegungen waren nicht mehr so flüssig wie ihre. Mit einem plötzlichen Schrecken begriff Aurian, daß sie ihn tatsächlich schlagen konnte. Diese winzige Unaufmerksamkeit kostete sie fast den Sieg. Sie sah Forrals von oben geführten Hieb gerade noch rechtzeitig, duckte ihren Kopf weg und ließ sich abrollen, kam wieder hoch, das Schwert noch in der Hand zum Gegenangriff. Dann begann sie, ihn Schritt für Schritt zurückzuzwingen.

Das Wissen darum, daß er verlieren würde, begann auf Forrals Gesicht zu dämmern, und damit änderte sich die Atmosphäre des Kampfes. Er war stolz auf sie – Aurian wußte das, als ob sie seine Gedanken gelesen hätte. Während sie kämpften, war die Luft um sie spannungsgeladen; zwischen ihnen war ein Band, so eng, daß sie fast wie eine einzige Person kämpften, und Aurian wußte, daß sie nicht länger gegeneinander fochten – sie fochten miteinander, obwohl jeder das Äußerste gab, um zu gewinnen. Trotz der Wunden und der Müdigkeit, die sie langsam überkam, fühlte sie sich wie von Wein berauscht. Langsam breitete sich ein Lächeln auf Forrals Zügen aus, und sie merkte, daß sie selbst mit einem Grinsen antwortete. Niemals zuvor waren sie so sehr eins gewesen wie jetzt.

Der Kampf ging in die Geschichte der Garnison ein. Diejenigen, die das Glück hatten, dabei zugegen zu sein, erzählten später, daß die Bewegungen so schnell waren, daß kaum jemand ihnen mit den Augen folgen konnte. Keiner wußte, wie lang der Kampf schon andauerte – Aurian verlor im Hochgefühl des Kampfes jedes Zeitgefühl. Dann, ganz plötzlich, war es vorbei. Forral lag lang ausgestreckt im Sand zu ihren Füßen, die Spitze ihres Schwertes an seiner Kehle.

Das Publikum saß noch in Schweigen gebannt, als Aurian ihre Klinge hob, um Forral ihre Reverenz zu erweisen, und dann erschöpft zusammensank, während die Anspannung des Kampfes ihre müden Glieder freigab. Auf ihr Schwert gestützt, streckte sie die Hand aus, um Forral aufzuhelfen. Als er aufstand, trafen sich ihre Blicke, und in diesem Augenblick offenbarten sie sich gegenseitig all die Worte, all die Gefühle, die sich so lange in ihren Herzen verborgen hatten. Jetzt gab es kein Verstecken mehr. Aufeinander gestützt, verließen sie die Arena. Die Menge sprang wie von einem Zauber erlöst auf die Füße und brach in tumultartigen Jubel aus. Aurian tauschte einen verwirrten Blick mit Forral. Sie hatten das Publikum völlig vergessen.

Wortlos humpelten sie zurück zu Forrals Quartier. Sie hatten die Tür noch nicht ganz hinter sich geschlossen, da lagen sie sich auch schon in den Armen. Sie liebten sich sofort und auf der Stelle – auf dem Boden, mit Blut, Schweiß, Sand und allem. Die Berührung von Forrals Hand sandte köstliche Schauer über Aurians Haut, während er ihr und sich die blutbefleckten Kleider auszog. Sie erinnerte sich später, daß sie einmal aufschrie, als er zum ersten Mal in sie eindrang, und fand auch die blauen Flecken auf seinen Schultern, wo ihre Finger sich in diesem Augenblick des Schmerzes eingegraben hatten. Forral schrie auf, während sich sein Körper aufbäumte und Schauer der Lust ihn überliefen; er hatte sich nach diesem Augenblick so viele Jahre lang gesehnt, daß er nicht länger warten konnte. Dann entspannte er sich, küßte ihre Augen, ihren Hals, ihren Mund. Aurian stöhnte, immer noch angespannt, immer noch in Erwartung … Sie spürte seine Hand, die ihre Brüste streichelte, ihre Schenkel, dann zwischen ihre Schenkeln glitt, und während er sie zu ihrem Höhepunkt brachte, nahm sie ihn noch einmal in sich auf, und als diesmal der Moment kam, erlebten sie ihn beide gleichzeitig; ihre Leidenschaft war fest und langanhaltend und stark vor Freundschaft, Respekt und der tiefen, tiefen Freude einer alten, neugewonnenen Liebe.

Sie lagen einander in den Armen und ließen die Welt ganz langsam wieder an sich herankommen. Aurian war von einer Art Ehrfurcht erfüllt. Sie hatte jetzt das wichtigste Ereignis im Leben einer Frau durchlebt – und Forral liebte sie. Nicht als das junge Mädchen, das er gekannt hatte, sondern als Frau. Sie fühlte sich verwandelt, und in gewissem Sinne war sie das auch. Aurian kam sich in Gegenwart dieses muskulösen, behaarten Mannes – ihres Liebhabers – unaussprechlich schüchtern vor. Dann drehte er sich zu ihr um, Zartheit prägte sein Gesicht, und er war wieder Forral, den sie schon immer geliebt und dem sie schon immer vertraut hatte.

»Ah, Liebste«, murmelte er, »wenn du nur wüßtest …«

Aurian streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. »Ich habe es schon gewußt, seit ich ein kleines Mädchen war. Ich habe es dir damals erzählt, erinnerst du dich noch?«

»Ja, das hast du. Ich habe gedacht, es wäre nur eine kindliche Leidenschaft gewesen. Ich habe nicht berücksichtigt, wie stur du sein kannst. Und was für ein Kämpfer! Bei den Göttern, war ich heute stolz auf dich!«

»Du hast es mir beigebracht, Forral – und jetzt hast du mir noch etwas beigebracht.« Aurians Augen tanzten. »Was meinst du denn, wer diesmal gewonnen hat?«

»Du Schlingel!« Forral lachte. »Was glaubst denn du, wer gewonnen hat?«

»Ich denke«, sagte Aurian glücklich, »daß es ein Unentschieden war.« Und dann küßte sie ihn.

Sie badeten und versorgten einander die Wunden, die sie sich beim Duell zugefügt hatten. Von magischer Heilung wollte Aurian heute nichts wissen. Sie hatte jetzt Magie von einer anderen Art, und jede dieser Schrammen und Wunden war wertvoll für sie. Es waren keine ernsten Verletzungen, aber jetzt, da Aurian sich mit ihnen beschäftigte, schmerzten sie. Sie fing langsam an, zu erstarren, nachdem sie zuerst im Kampf ihr Äußerstes gegeben und sich dann noch auf dem zugigen Boden verausgabt hatte. Aber das war ihr gleichgültig. Sie und Forral kamen beide aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie konnten kaum innehalten, einander zu berühren und einander tief in die Augen zu sehen. Für Aurian war es wie eine Rückkehr nach Hause, und es fügte sich alles so vollkommen zueinander, wie sie es zuvor niemals für möglich gehalten hatte.

Die Körperpflege, die sie einander angedeihen ließen, hätte sich wohl noch zu etwas anderem entwickelt, wenn sie nicht von einem vorsichtigen Klopfen an der Tür gestört worden wären. Forral fluchte und ging dann, um die Tür zu öffnen. Dort war niemand, aber vor der Tür stand ein großes, mit Speisen und Getränken vollbeladenes Tablett auf dem Boden. Als Forral es auf den Tisch stellte, entdeckte Aurian ein zusammengefaltetes Blatt Papier, das unter einer Flasche Wein steckte. Forral entfaltete es und brach in Gelächter aus. »Ich hätte es wissen müssen!«

Er gab Aurian die Notiz, die sofort Mayas saubere, kompakte Handschrift erkannt hatte. »Wurde verdammt noch mal auch Zeit!« las sie.

Nachdem sie gegessen hatten, beschlossen sie, auszuprobieren, ob die Liebe in einem sauberen Bett genausoviel Spaß machte. Es war sogar noch besser. Bei Anbruch der Abenddämmerung saßen sie im Bett und tranken Pfirsichschnaps; vom Übungsplatz her schallte der Klang von Mayas Stimme herüber, die die unglücklichen frischgebackenen Rekruten drillte. Schlückchenweise trank Aurian des weiche Getränk. Das warme Glühen, mit dem es ihr die Kehle hinablief, vereinte sich mit der Glut, die sie in ihrem Inneren spürte. Aber das erinnerte sie auch an ernste Dinge, und sie wandte sich Forral zu. Es war am besten, die Dinge sofort klarzustellen. »Warum trinkst du soviel?« fragte sie ihn.

Forral ließ beinahe sein Glas fallen. Sein Gesicht rötete sich schuldbewußt. »Wer hat dir das erzählt?«

»Maya. Sie macht sich Sorgen, Forral, und ich auch.«

»Bei den Göttern, weiß denn dieses durchtriebene Weibsstück alles? Bei euch beiden hat ein Mann nichts mehr zu lachen.«

»Das ist doch nur so, weil du uns wichtig bist«, sagte Aurian sanft.

Forral legte den Arm um sie. »Ich weiß, Liebes, und es tut mir leid. Ein Mann wird empfindlich, wenn er weiß, daß er sich wie ein Dummkopf aufführt. Es war nur – nun, es war wegen dir.«

»Wegen mir?«

Er nickte. »Ich weiß nicht, von wann an ich dich nicht mehr als Kind angesehen habe, aber als es soweit war – nun, ich habe früher schon Frauen gehabt …«

»Ach?« In Aurians Stimme schwang ein gefährlicher Unterton mit. Seine verflossenen Geliebten waren das letzte, über das sie jetzt reden wollte.

»Aber niemals für lange«, sagte Forral hastig und strich ihr durchs Haar. »Jedenfalls, ich wußte, daß du für mich die gleichen Gefühle hegtest. Ich habe versucht, es nicht zuzulassen, es nicht geschehen zu lassen, dich zu beschützen, aber ich wußte, daß ich dich damit verletzte, und es tat mir ebenfalls weh – und so habe ich eben angefangen zu trinken.«

»Ach, warum hast du denn nichts gesagt?« verlangte Aurian zu wissen. »Denk doch an all die Zeit, die wir verschwendet haben!«

Forral seufzte. »Komm, laß uns darüber ein andermal reden. Wir waren so glücklich heute, ich möchte es uns nicht verderben.«

»Nein«, sagte Aurian heftig, »ich will es wissen. Du hast ja selbst gesagt, daß ich kein Kind mehr bin. Hat es etwas mit diesem dummen Verbot von Verhältnissen zwischen Magusch und Sterblichen zu tun? Denn darüber habe ich mir bereits Gedanken gemacht, und ich kümmere mich nicht darum. Wenn es nötig ist, können wir zusammen fortgehen. Miathan gehört nicht die Welt.«

»Nein, es geht nicht um Miathan, obwohl es schwierig genug werden wird, wenn er von uns erfährt. Aber es gibt etwas, das du noch nicht berücksichtigt hast.« Forrals Gesicht wurde sehr ernst. »Aurian, du bist eine Maguschgeborene. Wenn dich nichts umbringt, dann kannst du leben, solange du willst. Bei mir ist es etwas anderes – ich bin ein Sterblicher. Ich bin kein junger Mann – ich bin jetzt über vierzig –, und selbst wenn ich die Gefahren eines Kriegerlebens überstehe, was meinst du, wie viele Jahre mir noch bleiben werden? Ich habe versucht, zu verhindern, was geschehen ist, weil ich dich liebe, weil ich allzu bald schon nicht mehr sein werde und weil ich den Gedanken nicht ertragen kann, dich allein in Trauer zurückzulassen.«

Aurian verspürte einen schwindelerregenden Ruck in ihrer Magengrube. Forrals Sterblichkeit hatte sie tatsächlich nie bedacht. Während sie ihn erschreckt anstarrte, schien der Raum um sie herum zu verschwinden, und sie fühlte den gleichen drohenden Schauer einer Vorahnung wie am Morgen. Es schien ihr, als hätte sich über seine Züge eine Vision des gleichen, geliebten Gesichts gelegt, das aber bleich und bewegungslos war, die Augen zum Todesschlaf geschlossen. »Nein!« Ihr eigener schriller Schrei riß sie in die Wirklichkeit zurück. Die Vision verschwand, als sie sich schluchzend in Forrals Arme fallen ließ.

Er hielt sie fest umschlungen, und sie schien seine Kräfte, die Kräfte eines Kämpfers, in sich aufzunehmen. Sie richtete sich kerzengerade auf, wischte sich die Augen aus und streckte ihr Kinn zu der bekannten trotzigen Geste vor. »Wenn Kummer der Preis unserer Liebe ist«, sagte sie, »dann werde ich diesen Preis zahlen. Vielleicht nicht gern, aber voll und ganz. Ich liebe dich, Forral. Ich habe seit Jahren auf dich gewartet, und ich lasse dich jetzt nicht los. Selbst die Magusch leben nicht ewig. Wir werden vielleicht eine Zeitlang getrennt sein, aber eines Tages werde ich dich wiederfinden, das verspreche ich dir, in einer jenseitigen Welt. Wenn ich es ohnehin schon mit Miathan zu tun bekomme, dann werde ich auch mit dem Tod fertig werden, wenn es erst sein muß.«

Forral hatte Tränen in den Augen, aber er lächelte. »Mein Kämpfer«, sagte er unbeholfen. »Ich bin froh, daß du auf meiner Seite stehst.«

»Immer. Und ich werde noch eine gute Weile dort bleiben!«

Forral drückte sie. »Die Götter mögen jedem beistehen, der versucht, zwischen uns zu kommen. Aber eins noch, Liebes. Wenn ich tot bin …«

»Sag das nicht!« schrie Aurian.

»Nur dies eine Mal«, sagte Forral bestimmt, »und ich möchte, daß du behältst, was ich dir jetzt sagen werde. Du kennst die Trauer noch nicht, aber ich kenne sie, und ich will dich warnen. Wenn ich sterbe, dann wirst du mir vielleicht zunächst folgen wollen. Tu es nicht! Du bist gesegnet mit dem Geschenk der Jahre, Aurian, und darüber hinaus mit manchen anderen Gaben. Es wäre eine schwere Sünde, diese Geschenke fortzuwerfen. Ich kann zu unserer Liebe nicht stehen, wenn sie dich deiner Zukunft beraubt. Nein, Liebes – wenn ich nicht mehr bin, dann will ich, daß du jemand anderen findest, sobald du kannst, und glücklich mit ihm wirst.«

»Wie könnte ich das?« Aurian protestierte bitterlich. »Wie kannst du so etwas von mir verlangen?«

»Weil ich dich liebe und weil ich nicht will, daß du deinen Weg durch die Jahre allein gehst. Das wäre dumm und ungerecht. Ich habe viele gesehen, die über dem Jammer am Grab ihrer Lieben ihr Leben verschwendet haben. Ich werde bei dir sein, wo immer du bist, in deinem Herzen. Wenn ich dich jemals an meinem Grab erwische, werde ich – dann werde ich es, auf dich herabregnen lassen, du wirst es ja sehen!«

Ungeachtet ihres Ärgers mußte Aurian darüber lachen, und mit dem Stimmungswechsel wandten sie sich erfreulicheren Dingen zu. Aber Aurian nahm sich seine Worte zu Herzen. Sie hatte das Gefühl, als machten sie diese Worte älter und trauriger, aber zugleich auch stärker und bestimmter als je zuvor. Jetzt, da sie um die Vergänglichkeit ihrer Liebe zu Forral wußte, bekam sie einen bittersüßen Geschmack, aber dennoch blieb sie unendlich köstlich.

Miathan hatte Aurian am Tag zuvor vermißt. Sobald sie Hand in Hand mit Forral in seine Gemächer eintrat, wußte er, wo sie gewesen war und warum. Forral machte keine Verbeugung. »Erzmagusch«, sagte er gelassen, »Aurian und ich sind ein Liebespaar.«

Bei den Worten dieses Emporkömmlings von einem Sterblichen zogen sich Miathans Eingeweide in eisiger Wut zusammen. Aurian erwiderte seinen Blick mit bleichem Gesicht, aber ohne die geringste Reue zu zeigen. Er richtete seinen Zorn auf Forral. »Verführer!« zischte er, und seine Stimme zitterte vor Erbitterung. »Gesetzesbrecher! Krimineller!«

»Wie bitte?« Aurian brannte vor Entrüstung. »Du wagst es, Forral anzuklagen …« Sie verschluckte den Rest des Satzes mit einem Seitenblick auf den Krieger, und Miathan sah, wie sie zu kämpfen hatte, um ihren Ärger zu überwinden. Ah, dachte er. Sie hat es ihm also nicht erzählt.

»Was ihr getan habt, ist verboten«, bellte er.

»Unsinn!« gab Aurian scharf zurück. »Die Bestimmung zum; Verhältnis der Magusch zu den Sterblichen ist kein Gesetz und gehört auch nicht zum Maguschkodex. Es ist eine Empfehlung? aus praktischen Erwägungen heraus. Wenn Forral und ich mit dem Problem leben können, was geht es dich dann an?«

Miathan war außer sich vor Wut. »Es wird der Skandal in der ganzen Stadt sein! Wie kannst du es wagen, das Maguschvolk und mich auf diese Weise in solch eine peinliche Situation zu bringen?«

»Nicht so, Miathan«, mischte sich Forral ein. »Die Leute schätzen Aurian nach der Geschichte mit der Dürre anders ein als die übrigen Magusch. Sie sehen sie zusammen mit mir, sehen sie zur Garnison gehen oder von dort kommen, und, frei heraus, sie halten sie für wesentlich annehmbarer als den Rest von euch. Meine Leute sehen sie bereits als eine der ihren an, und die Soldaten werden schnell mit jedem unziemlichen Gerede fertig werden. Vannor hält ebenfalls sehr viel von ihr, so daß auch die Kaufleute keine Schwierigkeiten …«

»Nun, es wird Schwierigkeiten von den Magusch geben!« wütete Miathan. »Dafür werde ich dich vernichten, Forral. Ich lasse dich aus dem Rat werfen! Aus der Stadt verbannen …«

Forral lächelte kalt. »Das glaube ich nicht, Erzmagusch. Du mußt wissen, daß es nicht länger deine Sache ist, zu bestimmen, wer im Rat das Militär vertritt. Es wird dich vielleicht interessieren, zu erfahren, daß ich meinen Nachfolger bereits ernannt habe, für den Fall, daß mir irgend etwas zustoßen sollte. Du kennst Maya, die stellvertretende Kommandantin? Aus irgendeinem Grund hat sie nichts übrig für die Vorstellung, daß die Magusch Nexis beherrschen. Du wirst sicher viel Freude daran haben, dich mit ihr im Rat herumzustreiten. Vannor freut sich schon darauf.«

»Aber – aber das kannst du nicht!« stotterte Miathan.

Forral grinste. »Oh, das kann ich sehr wohl. Vannor hat die Ernennung unterstützt, und wir haben sie in die offiziellen Aufzeichnungen aufgenommen.«

Der Erzmagusch war entgeistert. Er machte einen Schritt auf Forral zu, um ihn ein für allemal in ein Nichts zu verwandeln. Aber Aurian stellte sich schnell vor den Schwertkämpfer und hob ihre Hand in einer weit ausholenden Geste. Miathan sah die Luft in schimmernden Schlieren zerfließen, als ihr magischer Schild sich schloß. Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck reinen Hasses, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte. »Versuch es nur, Miathan«, grollte sie. »Ich bin nicht umsonst deine Schülerin. Laß uns sehen, wieviel du mir beigebracht hast!«

Sie meinte, was sie sagte. Miathan war drauf und dran, sie völlig zu verlieren, und mit ihr wären auch seine sorgsam gehegten Pläne verloren. Seine alte Gerissenheit gewann die Oberhand. Er verstand sich wie kein anderer auf Verstellung, und er war skrupellos. Er erkannte jetzt, daß es ein böser Irrtum gewesen war, sich von seiner Lust übermannen zu lassen, als Aurian aus dem Tal zurückkam. Irgendwie hatte er sich während ihrer Abwesenheit selbst eingeredet, daß er auch ihr Herz gewinnen würde, wenn er erst ihren Körper besäße. Einfältiger Tölpel! Dies war kein einfaches, sterbliches Mädchen, das sich durch seine Stellung und seine magischen Kräfte einschüchtern ließ. Und jetzt hatte er sie dank seiner unbeherrschten Eile direkt in die Arme – und in das Bett – des Schwertkämpfers getrieben. In der Tat eine angemessene Strafe für seine eigene Dummheit.

Miathan wußte, daß er Aurians Vertrauen zurückgewinnen mußte – und um das zu erreichen, mußte er seinen Stolz opfern. Zitternd vor Anstrengung, bezwang er seinen Ärger und schaffte es, seine Züge so etwas wie Bedauern zeigen zu lassen. »Aurian, bitte vergib mir. Es tut mir wirklich leid – für alles. Ich habe mich dir gegenüber sehr schlecht benommen, und das möchte ich wiedergutmachen. Forral, ich bitte um Vergebung. Ich hätte es schon lange wissen müssen, da ich wußte, wie Aurian für dich fühlt.« Er seufzte. »Ich kann nicht sagen, daß ich es gutheiße – aber ich liebe Aurian, und ich schätze eure Unterstützung. Wenn ihr es wollt, dann muß ich es akzeptieren. Seid also glücklich zusammen, solange ihr könnt.«

Aurian zögerte; das Mißtrauen stand ihr klar ins Gesicht geschrieben.

»Meine Liebe, ich bitte dich.« Miathan rang sich einige Tränen ab. »Bestrafe mich nicht für meine Unbesonnenheit. Ich verlöre lieber alles auf der Welt als deine Wertschätzung. Ich schwöre bei meiner Magie, daß ich eure Entscheidung akzeptiere und respektiere.«

»Ich danke dir, Erzmagusch.« Obwohl sie ihre Erwiderung ruhig vorgetragen hatte, konnte der Erzmagusch erkennen, daß sich Aurian etwas entspannte, und hörte Erleichterung in ihrer Stimme mitschwingen, als sie schließlich ihren Schild senkte. Aber während sie früher auf ihn zugelaufen wäre und ihn umarmt hätte, blieb sie jetzt stehen, wo sie war, mit einer Hand auf Forrals Arm. Miathan biß die Zähne zusammen, um das Besitzverlangen zu unterdrücken, das in ihm aufwallte. Bei den Göttern, wenn er sie sich schließlich nehmen würde, würde sie diese Demütigung tausendfach bezahlen müssen …

Als Aurian und Forral weit genug weg waren, ließ der Erzmagusch seinem Zorn in einem Ausbruch magischer Kräfte freien Lauf, der den Turm in seinen Grundfesten erschütterte. Er stapfte über den rauchenden Teppich, stieß mit dem Fuß die zersplitterte Einrichtung beiseite und drückte gegen einen Abschnitt der geschwärzten Wand. Mit einem Klick öffnete sich ein Teil der Vertäfelung, hinter der sich ein Hohlraum befand. Miathan griff hinein und nahm einen goldenen Kelch heraus. Er setzte sich auf den einzigen unbeschädigten Stuhl ans Fenster, blickte stier hinaus und streichelte das massive, fein ziselierte Metall. Das Gefäß war breit und flach, mit einem schlanken goldenen Stiel und einem breiten schweren Fuß. Es summte vor magischer Kraft – einer Kraft so alt und so stark, daß sie sogar die Luft zum Leben erweckte. Miathan lächelte. Noch war nicht alles verloren – er hatte diesen wertvollen Pokal in der von Finbarr entdeckten Höhle gefunden, und er hatte ihn heimlich an sich gebracht, bevor die anderen ihn sahen. Er wußte, was es war, und das änderte alles.

In den dunklen Jahren, die auf die Verheerung gefolgt waren, war der größte Teil der Geschichte und Überlieferung des alten Maguschvolkes verlorengegangen. Allein unklare abenteuerliche Legenden waren aus der schillernden älteren Zeit übriggeblieben, und sie waren im Laufe der Zeit so entstellt worden, daß es unmöglich war, den wahren Kern darin von den Anekdoten der Barden und von Altweibergeschichten zu scheiden. Von einer Legende wußte Miathan inzwischen allerdings, daß sie auf Wahrheit beruhte. Sie handelte von den vier großen magischen Waffen der Elemente: der Harfe der Winde, dem Stab der Erde, dem Schwert des Feuers – und dem Kessel der Wiedergeburt. Obwohl er jetzt in der Form dieses goldenen Kelches vor ihm stand, war sich Miathan sicher, daß er einen Teil davon, vielleicht umgeformt, um ihn unkenntlich zu machen, in der Hand hielt. Er war sich ebenfalls sicher, daß der Kelch die magischen Kräfte des Kessels bewahrt hatte und daß er, wenn er nur genug Zeit hatte, lernen konnte, sie einzusetzen.

Miathans Augen brannten. Sollten sie warten, die, die es wagten, sich ihm zu widersetzen! Aurian, Forral, Vannor – und Anvar, dieses verfluchte Scheusal, das ihm in die Quere gekommen war, als er seinem Ziel schon so nahe war. Sollten sie doch ihren lächerlichen Sieg eine Weile genießen. Sollte doch Finbarr wie ein Maulwurf in seinen Archiven wühlen und, ohne es zu wissen, seinen Erzmagusch mit genau den Informationen versorgen, die er benötigte, um die Welt seinem Willen Untertan zu machen. Sollte sich Aurian doch wie ein Tier mit diesem dreimal verdammten brünftigen Schwertkämpfer begatten, in fröhlicher Unkenntnis des Schicksals, das sie erwartete …

Furcht durchschnitt Miathans Herz wie ein Schwert von Eis. Wie sich die Geschichte wiederholte! Er dachte an Ria – so süß, so willfährig – und erinnerte sich an seinen Abscheu, als sie ihm erzählt hatte, daß er der Vater eines halbblütigen Monsters war. Was war, wenn das noch einmal geschah – diesmal Aurian? Der Gedanke, sie könnte Forrals Brut in sich tragen, machte ihn ganz krank. Aber halt – was wäre, wenn das Kind, wenn es denn überhaupt eins gab, wirklich ein Monster würde? Das würde seinen Zwecken dienen, denn solch eine Kreatur konnte kaum magische Kräfte besitzen und wäre überdies eine Strafe für Aurians und Forrals Abtrünnigkeit.

Miathan zog seine magischen Kräfte um sich zusammen, und dabei spürte er, wie der Kelch in seinen Händen zu vibrieren begann. Er wählte seine Worte sorgfältig und beschwor einen tödlichen Bannfluch auf jedes Kind, das die beiden gezeugt hat­ten oder zeugen sollten: daß es die Form nicht des Menschen, der es gezeugt hatte, sondern des ersten Tieres annehme, das Aurian nach der Geburt unter die Augen kam. Während er die Verwünschungen aussprach, flackerte der Gral kurz in kaltem Licht auf, und in der Ferne, jenseits der Stadt, war ein Geräusch wie ein Donnerschlag zu vernehmen. Das Herz des Erzmagusch schwoll in Triumph. Das Ding war also brauchbar! Es würde viel Mühe kosten, zu lernen, es wirkungsvoll einzusetzen, aber schließlich würde ihm diese Waffe die Herrschaft über die Welt einbringen – und über Aurian. Und danach würde sie ihm viele lange Zeitalter über dafür bezahlen müssen, was sie getan hatte.

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