Die vertraute Art und Weise, in der sich der Boden hob und senkte, machte Anvar klar, daß er sich wieder einmal an Bord eines Schiffes befand. Er war mit einem groben Seil gefesselt, und sein schmerzender Kopf dröhnte im Takt eines hohlen, dumpfen Trommelschlages, der in unablässiger Eintönigkeit an sein Ohr drang. Einen Augenblick lang lag er ganz still da, seine Wange ruhte auf feuchten, splittrigen Planken, und er wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Es war zum Ersticken heiß. Er konnte Teer und stinkende Menschenleiber riechen, Erbrochenes und Exkremente. Neben dem hämmernden Trommeln, das schmerzhaft durch seinen Schädel hallte, hörte er das Klirren von Ketten und gelegentlich das von Schmerzensschreien begleitete Knallen einer Peitsche.
Er öffnete die Augen. Er lag in einem langen, schmalen, von Fackeln erleuchteten Raum, der nach seiner Schätzung den größten Teil des Platzes unter Deck einnehmen mußte. Auf Bänken zu beiden Seiten des schmalen Ganges saßen angekettete Sklaven in Viererreihen, und jede Reihe hatte ein schweres Ruder zu bedienen. Eine massige Gestalt lief zwischen den Männern auf und ab – der Aufseher. Er schwenkte eine grausam aussehende Peitsche, während am anderen Ende des Ganges ein kahlköpfiger Riese mit einer Haut wie dunkel gefärbtes Leder auf eine schwere Trommel hämmerte und den Ruderern das Tempo vorgab. Anvar hatte man in den überfüllten Raum im engen Vorschiff geworfen, wo kein Platz mehr für Ruderer war. Ein schneller Blick verriet ihm, daß von Sara keine Spur zu sehen war, und sein Magen verkrampfte sich vor Angst.
Nun kam jemand die Leiter herunter, die an dem hölzernen Schott hinter dem Behemoth mit der Trommel befestigt war. Wegen der plötzlich veränderten Haltung des Aufsehers, der Beschleunigung des Trommelschlags und des Reichtums der weiten Gewänder des Mannes glaubte Anvar, hier den Kapitän vor sich zu haben. Es war ein großer, ausgezehrt wirkender Mann mit einer Hakennase und einem dünnen, zotteligen Bart. Sein Kopf war vollkommen kahl geschoren, bis auf einen geflochtenen Pferdeschwanz auf dem Hinterkopf, und seine Haut glänzte in dem dämmerigen, roten Fackellicht wie poliertes Holz. Die Stimme, mit der er den Trommler ansprach, war tief und kehlig. »Schlag schneller, du! Sieh zu, daß diese Faulpelze sich bewegen, sonst bist du, eh’ du dich versiehst, einer von ihnen!«
Anvar war maßlos erstaunt. Der Mann sprach eine Sprache, die ihm vollkommen fremd war, und doch konnte er jedes Wort verstehen! Die Fähigkeit, jede fremde Sprache zu verstehen und zu sprechen, war ein Talent, das allen Maguschgeborenen eigen war … Anvar spürte einen warnenden Schmerz durch seinen Schädel rasen und mußte die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut aufzustöhnen. Um seine Gedanken von so gefährlichen Fragen abzulenken, konzentrierte er sich auf die Worte des Kapitäns.
»Und du mach endlich diesen Saustall sauber! Wie hältst du nur diesen Gestank aus? Ich werde nicht zulassen, daß wir wie ein Viehtransporter stinken, wenn wir in den Hafen einlaufen. Wir sind Königliche Korsaren, und wir haben einen Ruf zu verlieren.«
Der Aufseher stöhnte widerwillig. »Es ist schon schlimm genug, mit diesen Tieren hier zusammenleben zu müssen. Warum sollte ich auch noch für sie ausmisten?«
Die Faust des Kapitäns krachte auf die Kiefer seines Untergebenen, daß es in dem beengten Raum widerhallte. Der Aufseher taumelte zurück und fiel, ließ seine Peitsche fallen und schlug sich den Kopf an der Kante einer der Bänke auf. Ein schadenfrohes Murmeln lief durch die Reihen der angeketteten Sklaven.
»Weil sie, du blöder Sohn eines Esels, krank werden und sterben, wenn du zuläßt, daß sie sich in ihrem eigenen Mist suhlen«, sagte der Kapitän gereizt. »Sie verschleißen dann zu schnell, und wenn unser Gewinn niedriger ausfallen sollte, weil ich noch mehr Galeerensklaven ersetzen muß, dann werde ich mich an deinem Bonus schadlos halten.«
»Aber das ist nicht fair«, winselte der Aufseher.
»Betrachte es als eine besondere Gunst. Denn wenn deine Sorglosigkeit auf Kosten des Gewinns der Mannschaft ginge, würde man dir normalerweise die Kehle aufschlitzen.« Der Kapitän grinste bösartig. »Und jetzt an die Arbeit, Harag. Und du, Abuz, schlag endlich etwas schneller. Ich möchte rechtzeitig ankommen, um heute abend noch den Kuppler des Khisu treffen zu können. Er sollte sehr interessiert daran sein, die hellhaarige Frau für die Sammlung Seiner Majestät zu kaufen, und der Mann wird sicher einen guten Preis auf dem Markt bringen. Da der Khisu seinen Sommerpalast baut, ist der Preis für Sklaven im Augenblick unglaublich hoch. Der Sklavenmeister wird sogar einen Platz für einen illegalen Nordländer finden, und sein Gold wird unsere Taschen füllen. Daran kannst du bei der Arbeit denken. Vielleicht hilft es dir, dich ein bißchen zu beeilen.« Pfeifend ging er davon.
Nachdem Anvar bei Harags grober Säuberung des Sklavenbereichs mehrere Eimer voll Seewasser über den Kopf bekommen hatte, konnte er nicht länger so tun, als sei er ohne Bewußtsein. Als er würgte und spuckte, griff Harag brutal in sein Haar und zog seinen Kopf nach hinten. Er stieß einen langen, erstaunten Pfiff aus. »Bei meiner Seele, Abuz, das mußt du dir ansehen! Es stimmt wirklich – die Nordländer haben Augen von der Farbe des Himmels!« Mit einem Schaudern ließ er Anvars Kopf wieder fallen. »Igitt! Einfach unnatürlich nenne ich das. Ich bin froh, daß der Kapitän ihn verkauft – mit solchen Augen muß er einfach Unglück bringen.«
Abuz nickte, ohne auch nur einen Augenblick den Takt seines Trommelschlags zu vermindern. »Ich weiß, was du meinst. Ich hab’ mal einen gesehen, als ich noch jung war – einen gefangenen Spion, der hingerichtet werden sollte. Als sie ihm den Kopf abgeschlagen hatten, haben diese bleichen Augen direkt durch mich hindurchgestarrt. Ich hab’ hinterher noch eine ganze Ewigkeit lang Alpträume gehabt. Nordländer sind immer ein schlechtes Omen, glaube ich. Nur gut, daß wir fast zu Hause sind.«
»Ob wir ihm was zu essen geben sollen?« überlegte Harag. »Der Kapitän wird uns das Fell über die Ohren ziehen, wenn er in schlechter Verfassung ankommt.«
»Ach was. Er wird sich bloß übergeben, und du hast gerade erst sauber gemacht. Sie können ihn im Sklavenpferch füttern – auf ihre Kosten.«
Anvar schloß in tiefstem Elend die Augen. Ein Sklave! O ihr Götter, nein! Und was war aus der armen Sara geworden? Mit einem lautlosen Fluch kämpfte er gegen seine Fesseln, bis Harag ihm einen grausamen Tritt in den Magen versetzte. Anvar krümmte sich und erbrach Galle auf die Planken. Harag heulte zornig auf. »Du dreckiges Schwein! Ich habe gerade erst sauber gemacht!« Er hob die Peitsche, und Anvar krümmte sich in Erwartung des Schlages.
»Hör auf damit, Harag!« bellte Abuz. »Ich habe keine Lust, meinen Bonus zu verlieren, weil du dich nicht zusammennehmen kannst!«
Harag drehte sich um. Er hielt die Peitsche noch immer hoch erhoben, und sein Gesicht war rot vor Zorn. »Kümmere du dich um deine eigenen Angelegenheiten, du fetter Ochse!«
Abuz legte die gewaltigen Stöcke auf die Trommel und erhob sich. Er war so groß, daß er sich unter der niedrigen Decke bücken mußte. Die Sklaven hörten sofort auf zu rudern, und Erleichterung malte sich auf ihren schmerzverzerrten, schweißüberströmten Gesichtern ab. »Muß ich etwa herunterkommen und dir zeigen, wo es langgeht, Harag?« fragte Abuz. »Denn langsam machst du mich wirklich wütend, und du weißt, was passiert, wenn ich wütend werde I«
Harags dunkles Gesicht wurde bleich. Langsam senkte er die Peitsche.
»Was im Namen des Schnitters ist da unten los?« hallte die zornige Stimme des Kapitäns durch die offene Luke über ihren Köpfen. »Warum stehen die Ruder still?«
Abuz zuckte zusammen. »Tut mir leid, Kapitän. Wir hatten nur ein kleines Problem mit dem neuen Sklaven.« Ohne auf eine Antwort zu warten, setzte er sich hastig wieder hin, griff nach seinen Trommelstöcken und nahm den schnellen Schlagrhythmus wieder auf. Harag, der seine Wut an den keuchenden, mit glasigen Augen blickenden Sklaven ausließ, schritt im Gang auf und ab und trieb sie mit der Peitsche zu immer größeren Kraftanstrengungen. Anvar rollte sich zusammen, hielt sich seinen mißhandelten Magen und gab sich vollkommener Verzweiflung hin.
Ein stinkender Sack wurde über Anvars Kopf gestülpt, und grobe Hände hoben ihn hoch. Als sie ihn durch die Luke zerrten, hörte er Geräusche, die wahrscheinlich vom Hafen stammten. Die Hitze der Sonne traf ihn wie ein Keulenschlag, während er über eine holprige Laufplanke vom Schiff getragen und dann so brutal fallen gelassen wurde, daß es ihm für einen Augenblick den Atem raubte. Plötzlich war er wieder in Bewegung – das Holpern ließ darauf schließen, daß er sich auf einem Karren befand –, und die Vielfalt der Geräusche um ihn herum schien auf ein größeres Dorf oder eine Stadt hinzudeuten. Er glaubte zu verstehen, warum man ihm den Sack über den Kopf gezogen hatte – selbst wenn es ihm gelingen sollte, sich loszureißen, würde er keine Ahnung haben, wo er sich befand oder in welche Richtung er laufen sollte. Da er mit den Bräuchen dieses Landes nicht vertraut war, kam ihm nicht in den Sinn, daß der Sack außerdem dazu diente, die Tatsache zu verbergen, daß der Kapitän einen illegalen Fremden auf den Sklavenmarkt brachte, statt ihn den örtlichen Behörden zu übergeben, wie es das Gesetz verlangte.
Der Karren holperte weiter. Es war eine solche Qual für Anvars schmerzenden Kopf, daß er befürchtete, sich jeden Augenblick von neuem übergeben zu müssen. Sein Körper kam in der Sonne beinahe um vor Hitze, und er war nahe daran, in dem stinkenden Sack zu ersticken. Aber plötzlich war die Sonnenglut wie ausgelöscht, und nur noch schwaches Licht drang durch das Gewebe des Sackes. Die Räder des Karren hallten hohl auf glatten Steinen und kamen dann schließlich zum Stehen.
»Sei mir gegrüßt, Kapitän.« Aus der hellen Stimme troff falscher Honig. »Du hattest eine einträgliche Reise, hoffe ich? Wollen wir heute kaufen oder verkaufen?«
»Verkaufen, Zahn. Nur einen diesmal.«
»Nur einen? Tz tz, Kapitän. Dabei bist du doch für gewöhnlich einer der zuverlässigeren Lieferanten.«
»Sei vernünftig, Zahn«, sagte der Kapitän gereizt. »Was konnten wir denn in zwei Monaten Zollpatrouille vor der Küste zuwege bringen? Wir sind die Korsaren des Khisu, wie du weißt. Manchmal müssen wir eben unsere Pflicht tun und den Gewinn für eine Weile vergessen.«
»Deine Loyalität ehrt dich, Kapitän«, erwiderte Zahn glatt. »Wollen wir uns dann die Ware einmal etwas näher ansehen?«
Anvars Fußfesseln wurden zerschnitten, und er keuchte vor Schmerz auf, als das Blut wieder in seine tauben Gliedmaßen zurückfloß. Starke Hände zogen ihn aus dem Karren und stellten ihn aufrecht auf den Boden, dann wurde ihm der Sack vom Kopf gezogen. Ein kleiner, verhutzelter Mann mit einem Gesicht wie aus Stahl starrte ihn mit offenem Mund an.
»Beim Schnitter der Seelen!« keuchte er. »Ein Nordländer! Wie kannst du es wagen, einen illegalen Sklaven in mein Haus zu bringen!«
»Spar mir deine verlogenen Proteste, Zahn«, sagte der Kapitän ungeduldig. »Ich weiß, wie dringend ihr im Augenblick Sklaven braucht – jeden Sklaven.«
Seine Worte schienen den Sklavenmeister ein wenig zu beschwichtigen. »Wo hast du ihn gefunden?« fragte Zahn stirnrunzelnd.
»Er ist an die Küste getrieben worden. Es scheint, als hätte er in diesem seltsamen Unwetter Schiffbruch erlitten. Wir haben auch einige im Wasser treibende Leichen und Wrackteile gesehen. Es muß sie weit vom Kurs verschlagen haben. Normalerweise haben sie mehr Verstand, als sich in unsere Gewässer zu wagen.« Er grinste wölfisch. »Aber genug davon. Willst du ihn haben, oder soll ich ihn den Gebietern übergeben, wie sich das für einen guten kleinen Korsaren gehört?«
Der Sklavenmeister schürzte die Lippen und begann, Anvar zu umkreisen, wobei er ihn sorgfältig von oben bis unten musterte und mit einem gelegentlichen Zwicken und Zwacken seine Muskeln prüfte. »Zieht ihn aus«, befahl er, und einer seiner Handlanger zog ein Messer, mit dem er die zerfetzten Überreste von Anvars Kleidern aufschlitzte. Anvar kämpfte verzweifelt, bis er plötzlich kalten Stahl auf seinem nackten Fleisch spürte. Er erstarrte und schluckte hart, als ihm klar wurde, wo sein Wächter das Messer angesetzt hatte.
»Was machst du da?« protestierte der Kapitän.
Zahn grinste bösartig. »Keine Angst, ich kann ihn genausogut als Eunuchen verkaufen, aber das wird wahrscheinlich nicht nötig sein. Er spricht vielleicht nicht unsere Sprache, aber ich denke, er versteht, was wir meinen.«
Schweiß trat Anvar auf die Stirn. Obwohl ihn die Berührung von Zahns allzu zudringlichen Händen auf seinem Körper anekelte, gab es nichts, was er hätte tun können. Seine Arme waren noch immer gefesselt, und zwei stämmige Handlanger standen links und rechts neben ihm, von denen einer ihm das Messer an besagte heikle Stelle seines Leibes drückte. Anvar ballte die Fäuste und schauderte. Um seine Gedanken von dieser Untersuchung abzulenken, konzentrierte er sich auf seine Umgebung. Er befand sich in einer großen, kreisförmigen, aus Steinen gebauten Kammer mit einer gewölbten Decke. In der Mitte erhob sich eine mit Seilen abgegrenzte Plattform, an deren einer Seite eine Reihe großer Eisenkäfige stand, die im Augenblick leer waren. Die Wände der Kammer wurden in regelmäßigen Abständen von einer Reihe schattiger Bogengänge unterbrochen. Nur in einem von ihnen funkelte der Glanz hellen Sonnenlichts, offensichtlich der Weg nach draußen.
»Nun ja …« hörte Anvar Zahn sagen und richtete seine Aufmerksamkeit sofort wieder auf den Sklavenhändler, der ihn nachdenklich betrachtete. »Er ist alles in allem in einem guten Zustand«, sagte er zu dem Kapitän, »und er scheint stark genug zu sein, bei dieser Größe und diesen wunderbaren breiten Schultern.« Zahn beäugte Anvar auf eine so offensichtlich abwägende Art und Weise, daß er schauderte.
»Unglücklicherweise«, fuhr der Sklavenmeister fort, »kann ich ihn keinem privaten Kunden verkaufen – diese Augen würden die Leute abschrecken. Außerdem würden sie zu viele Fragen stellen. Aber – wie du weißt – braucht der Khisu dringend noch mehr Arbeiter. Der Schnitter allein weiß, wie sie es schaffen, da draußen so viele Sklaven zu verschleißen. Die reinste Mißwirtschaft, wenn du mich fragst. Aber wie dem auch sei, dieser Sommerpalast ist das beste Geschäft seit Jahren, und Seine Majestät zahlen gut. Ich glaube, wir werden uns schon einig werden. Er wird sich in diesem Klima natürlich nicht lange halten, aber das ist nicht unser Problem. Komm, mein Freund. Laß uns den Preis bei einem Glas Wein bereden.« Er schnipste mit den Fingern und sah die beiden stämmigen Männer an, die Anvar festhielten.
»Nehmt ihn mit«, sagte er. Zu Anvars ungeheurer Erleichterung verschwand das Messer endlich. Die beiden Männer zogen ihn durch einen der schattigen Bogengänge und führten ihn einen langen, von Schritten widerhallenden Flur hinunter, der durch Lampen, die an der Kette von der Decke herunterhingen, beleuchtet wurde. Vereinzelte Sonnenstrahlen sickerten durch eine vergitterte Holztür am anderen Ende. Seine Wächter schlössen sie auf, und Anvar wurde auf einen staubigen, von offenen Werkstätten umsäumten Hof hinausgeschoben. In einer dieser Werkstätten saß ein Töpfer, der eine grobe Tonschüssel auf seinem Rad drehte. In der nächsten rührte eine verdreckte Frau in einem Kessel, der über einem offenen Feuer hing und einen widerlich riechenden Fraß enthielt. Sie hielt nur einmal kurz inne, um die unendlich vielen Fliegen zu verscheuchen, die ihr fettiges Gesicht umschwärmten. Vor einer anderen Zelle war ein Mann damit beschäftigt, lange, dünne Fellstreifen zu einer Peitsche zu flechten. Bei dem Gedanken an das, was diese Peitschen zu bedeuten hatten, wandte Anvar den Blick ab.
Anvar wurde gleich zur Werkstatt des Schmieds geführt. Ein magerer, schwitzender kleiner Junge bediente den Blasebalg und sorgte dafür, daß die Esse in weißer Hitze erglühte, während zwei dunkelhäutige Männer in Lederschürzen an Ketten und Handfesseln hämmerte. Den Schmied selbst konnte man nicht verwechseln. Er war ein vierschrötiger, schwarzer Mann, dessen Haut von der Hitze der Esse zu gerunzeltem Leder verschrumpelt war; seine Schultern waren doppelt so breit wie die von Anvar, und seine Muskeln standen wie grob behauene Felsblöcke hervor. Die beiden Wachen näherten sich ihm mit großem Respekt. Die Augen des Schmieds weiteten sich, als er Anvar sah. »Der Schnitter sei mit uns!« knurrte er angewidert. »Zahn verliert wohl den Verstand!« Er ging auf Anvar zu. In den Händen hielt er ein aufklappbares Metallhalsband, das wie ein Kinderarmreif aussah. Einer seiner Helfer folgte ihm mit einem funkelnden, weißglühenden Eisen.
Anvar kämpfte verzweifelt und zuckte zurück, als der Schmied ihm den breiten Reif um den Hals legte und die Enden geschlossen wurden, aber die Wachen hielten ihn in ihrem unerbittlichen Griff fest. Für den Schmied war diese heikle Aufgabe nichts Neues, und er tat Anvar dabei kaum weh. Trotzdem wimmerte Anvar vor Angst, als der Reif um seinen Hals heiß wurde, nachdem das glühende Eisen die beiden Enden miteinander verschmolzen hatte. Aber der kleine Junge, der seinen Blasebalg verlassen hatte, stand bereit, um ihn mit einem Krug kalten Wassers zu bespritzen, und die Hitze verschwand augenblicklich. Das Kind bedachte ihn mit einem frechen Grinsen, als es sich wieder seiner früheren Aufgabe zuwandte, und Anvar schämte sich für seine Feigheit. Einer der Wächter schnitt das grobe Seil durch, mit dem Anvars Hände gefesselt waren. Dann riß man ihm die Hände nach vorn und paßte ihm Metallfesseln an, die nur durch wenige Kettenglieder miteinander verbunden waren. Eine der Wachen holte eine weitere Kette hervor, die er in einen Ring am Halsband hängte. Dann nickte er dem wortkargen Schmied kurz dankend zu, bevor er mit einem scharfen Ruck an der Kette zog, um Anvar wegzuführen.
Sie behandelten ihn wie einen Hund! Anvar war wütend, gedemütigt und immer noch erschüttert von der schrecklichen Angst, die ihn überfallen hatte, als der Schmied das Halsband zusammengeschweißt hatte. Jetzt griff er mit seinen gefesselten Händen nach der Kette und zog so kräftig er konnte. Augenblicklich zog einer der Wächter eine kurze, kräftige Peitsche aus dem Gürtel, und die schwere Geißel sauste einmal, zweimal, dreimal auf Anvars Rücken und Schultern nieder. Er taumelte und schrie vor Schmerz, aber der Wächter zog ihn erbarmungslos weiter. Die harte Kante des eisernen Bandes schnitt sich in seinen Hals, und wieder sauste die Peitsche auf ihn herab, brannte einen feurigen Strom auf seinen Rücken, während er hinter dem Wächter hertaumelte. Der andere Handlanger folgte, und jedesmal, wenn Anvar stolperte oder seinen Schritt verlangsamte, ließ er die Peitsche auf ihn niedersausen.
Sie brachten Anvar zurück in das Gebäude und führten ihn dann eine steile Treppenflucht hinunter, die in die darunterliegenden Kellergewölbe führte. Dann warfen sie ihn in eine kahle, düstere Zelle, die noch mehrere andere Sklaven beherbergte, alle männlichen Geschlechts. Ihre Halsbänder waren mit kurzen Ketten an Ringen befestigt, die in Hüfthöhe in der Wand eingelassen waren, so daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als die ganze Zeit über auf dem Boden zu kauern. Die einzige Belüftung kam von einem Eisengitter hoch in der Wand, und die ganze Zelle stank nach menschlichen Exkrementen. Abflußrinnen führten zu einer Vertiefung in der Mitte des Fußbodens, einer widerlich stinkenden, offenen Senkgrube. Später sollte Anvar erfahren, daß die Zelle zweimal am Tag – ungeachtet der Sklaven, die darin angekettet saßen – grob ausgespült wurde, und das war auch schon alles, was für die Gesundheit der Sklaven getan wurde.
Die Wachen ketteten ihn an die Wand und verließen die Zelle, wobei sie die Tür sorgfältig hinter sich verriegelten. Keiner der anderen Sklaven reagierte auf Anvars Gegenwart. Die meisten von ihnen waren traurige Gestalten, verlaust, halb verhungert und von Wunden und Narben übersät. Einige weinten, andere dösten, und wieder andere starrten ausdruckslos und mit eingefallenen, leeren Augen ins Nichts.
Anvar versuchte, hinter sich zu greifen, um die Kette, mit der er an der Mauer befestigt war, zu fassen zu kriegen. Endlich gelang es ihm, obwohl das eiserne Band um seinen Hals ihn beinahe erdrosselte. Er zerrte an der Kette, bis seine Finger bluteten, aber sie war an einem Ende fest mit dem Halsband verbunden und am anderen mit dem Ring, der in die Wand eingelassen war. Endlich gab er den ungleichen Kampf auf und gab sich, das Gesicht in seinen blutenden Händen verborgen, der Verzweiflung hin. Es gab kein Entkommen. Was würde nur aus ihm werden? Was hatten sie mit Sara gemacht? Und vor allem, wo war diese treulose Magusch? In seinem Selbstmitleid stellte er sich vor, daß Aurian ihre Reise munter fortsetzte, frei und ohne einen Gedanken an die beiden Menschen, die sie so gefühllos ihrem Schicksal überlassen hatte.
Trotz seiner Wut auf sie gab der Gedanke an Aurian ihm wieder etwas Halt. Wenigstens trat sie den Dingen mit Mut und Entschlossenheit entgegen. Was würde sie sagen, wenn sie sein erbärmliches Verhalten hier sehen könnte? Nichts, dachte Anvar plötzlich. Sie würde ihn einfach von diesen Ketten befreien und sie beide von hier wegzaubern – und es wäre nicht das erste Mal, daß sie ihn gerettet hätte. Anvar dachte an Aurians frühere Freundlichkeiten, erinnerte sich an die Nähe, die sie für kurze Zeit an Bord des Schiffes geteilt hatten. Er rief sich ins Gedächtnis, daß sie ihn, indem sie ihn auf diese Reise mitgenommen hatte, vor den Todesgeistern gerettet hatte, und er erinnerte sich daran, warum sie ihn in Wirklichkeit verlassen hatte. Es war seine eigene Schuld. Er hatte sie vertrieben, und wo auch immer sie sein mochte, sie würde mit ihren eigenen Schwierigkeiten zu tun haben. Zumindest konnte er sich an ihrem Mut ein Beispiel nehmen. In diesem Augenblick schwor sich Anvar, daß er aushalten würde, was immer auch auf ihn zukommen mochte, so, wie er wußte, daß sie es aushalten würde. »Ich werde das hier überleben«, schwor er sich wild. »Und eines Tages werde ich Sara und Aurian wiedersehen.«
Sara wich so weit zurück, wie ihre gefesselten Gliedmaßen das zuließen, und kauerte sich in die Ecke der schmalen Koje, als die Kabinentür geöffnet wurde. Der Kapitän trat mit einem Bündel über dem Arm in den Raum, gefolgt von zwei muskulösen Seeleuten, die einen großen Wasserbottich trugen. Ein anderer Matrose folgte mit einem Teller voll Brot und Früchten und einer angelaufenen Tasse, die er auf den Tisch stellte. Der Kapitän wartete, bis seine Männer gegangen waren, und dann zog er mit einer weit ausholenden Bewegung einen juwelenbesetzten Dolch aus dem Ärmel seines weiten Gewandes. Sara stieß einen kleinen Schrei aus, aber er beugte sich lediglich vor und schnitt die Seile durch, die ihre Füße und Hände fesselten. Dann stand er über ihr und bedeutete ihr, sich zu entkleiden. Sara umklammerte ihr zerfetztes Gewand und schüttelte wild den Kopf. »Nein!« keuchte sie. »Bitte, nein.« Der Kapitän lachte und zeigte auf den Wasserbottich, auf das Bündel, das er aufs Bett geworfen hatte und auf das Essen auf dem Tisch. Dann drehte er sich mit einer ironischen Verbeugung um, verließ die Kabine und schloß hinter sich die Tür zu. Nach einem Augenblick erhob Sara sich von der Koje und rannte zur Tür, um daran zu rütteln, obwohl ihr die Sinnlosigkeit dessen, was sie tat, durchaus bewußt war. Die Tür war natürlich verschlossen. Sie wußte nicht, ob sie darüber froh oder traurig sein sollte. In gewisser Weise war es ein Trost, dieses stabile Stück Holz zwischen sich und den Männern zu wissen, die sie am Strand aufgegriffen hatten. Sie schauderte bei der Erinnerung daran. Nach Aurians Warnung bezüglich der Seeleute auf dem ersten Schiff war sie vor Angst halb von Sinnen gewesen, aber als der Kapitän sie zu Gesicht bekommen hatte, hatte er seiner Mannschaft in einem harten, fremdländischen Dialekt einige Befehle zugerufen, und sie hatten sie hier heruntergebracht. Abgesehen von einer kurzen Zeit, die sie geschlafen hatte – sie wußte nicht wie lange –, hatte sie hier gelegen, zitternd vor Angst und bei jedem Schritt draußen vor ihrer Tür von Entsetzen erfüllt.
Jetzt sah es so aus, als wolle der Kapitän sie für sich. Nun, dachte Sara, das war immerhin besser, als von diesen unappetitlich aussehenden Matrosen vergewaltigt zu werden. Immerhin war er höflich zu ihr gewesen. Die Angst war ihr mittlerweile zu einem so vertrauten Begleiter geworden, daß ihr Sinn fürs Praktische sich durchsetzen konnte. Die Früchte auf dem Tisch sahen trotz ihrer Fremdartigkeit reif und saftig aus, und sie rochen so gut … Nun ja, dachte sie. Ich kann mich genausogut mit einem vollen Magen vergewaltigen lassen. In der Tasse befand sich ein würziger Wein, den Sara überaus köstlich fand, obwohl sie im Augenblick so durstig war, daß ihr Wasser lieber gewesen wäre. Der Inhalt des Zubers sah zwar einigermaßen sauber aus, aber sie hatte nicht die Absicht, dieses Risiko einzugehen. Nach ihrer Mahlzeit fühlte Sara sich viel besser und machte sich daran, das Bündel auf dem Bett zu untersuchen. Es enthielt Tücher, mit denen sie sich waschen und abtrocknen konnte, einen Klumpen grober Seife, einen aus irgendeiner weißen, knochenartigen Substanz geschnitzten Kamm und ein reichbesticktes Gewand mit einer Kapuze und einer seidenen Schärpe als Gürtel. Als sie die Falten des Gewandes ausschüttelte, fiel etwas heraus und rollte quer über den Kabinenboden. Es war eine kleine Phiole mit Parfüm. Sara schnupperte daran; es roch herrlich. Trotz der Gefahren, die in allzu großer Nähe auf sie lauerten, schienen sich die Dinge doch langsam zum Besseren zu entwickeln.
Obwohl der Zuber nur halb gefüllt und das Wasser nur lauwarm war, erwies sich das Bad als ein wunderbarer Luxus. Sie wusch sich die Haare und trocknete sie hinterher, so gut ihr das mit den feuchten Tüchern gelang. Dann kämmte sie sich das verfilzte Haar, bis es in seiner gewohnten, schimmernden Kaskade üppigen Goldes über ihre Schultern floß. Das Gewand fühlte sich wunderbar weich und kühl auf ihrer nackten Haut an, und das Parfüm war reich und süß. Wie herrlich, wieder sauber zu sein! Sie wünschte nur, sie hätte einen Spiegel.
Das Geräusch der sich öffnenden Tür ließ sie zusammenzucken. Hastig machte sie einen Schritt nach hinten; zu spät kam es ihr in den Sinn, daß es vielleicht ein Fehler gewesen war, sich so präsentabel herzurichten. Der Kapitän stand in der Tür und lächelte anerkennend. Dann wies er auf den Ausgang. »Wo bringst du mich hin?« fragte Sara mißtrauisch. Sie hatte für einen Augenblick vergessen, daß er sie nicht verstehen konnte.
Der Kapitän zuckte die Achseln. Dann ließ er auch den letzten Versuch, geduldig zu erscheinen, fallen, kam mit drei schnellen Schritten auf sie zu und griff nach ihren Handgelenken, die er mit den herunterhängenden Enden ihrer Schärpe fesselte. Er ignorierte ihr Kreischen und ihre Versuche, sich zu wehren, und rief einen stämmigen Matrosen herbei, der sie festhielt, während er selbst einen Schleier aus einem fremden, durchsichtigen Stoff über ihren Kopf streifte und die tiefe Kapuze der Robe herunterzog, um ihr Gesicht zu verhüllen. Anschließend warf der Matrose sie sich mit sorgloser Stärke über die Schulter und trug sie weg.
Wie Anvar wurde auch Sara in einen unbequemen, holpernden Karren gesetzt, in dem sie – ohne etwas sehen zu können – ihre Reise antrat. Nach einer Weile entnahm sie der Neigung des Wagens, daß sie einen steilen Hügel emporfuhren. Dann wurde die Straße wieder flach, und plötzlich blieb der Karren stehen. Sara hörte Stimmen, gefolgt von dem knirschenden Quietschen gewaltiger Tore, die sich vor ihnen öffneten. Dann fuhr der Wagen wieder weiter.
Sie blieben stehen, und Sara hörte das fröhliche Plätschern eines Springbrunnens. Der Kapitän half ihr, herunterzuklettern, und plötzlich stand sie auf glasartigen Steinen, die sich herrlich kühl unter ihren nackten Füßen anfühlten. Er zog ihr die Kapuze vom Kopf. Durch den durchsichtigen Schleier erkannte sie seine Silhouette und die eines anderen Mannes, mit dem er sich schnell und gewandt unterhielt. Dann hob er den Schleier, und der andere Mann mußte nach Luft schnappen. Blinzelnd sah Sara ihn an und war bei seinem Anblick nun selbst an der Reihe, nach Luft zu ringen. Er war klein und dick, sein Gesicht kunstvoll bemalt und seine Augen mit Kohlestift umrandet. Er trug viele glitzernde Ketten über einer hellbunten Robe, und in seinen Ohren steckten goldene Ohrringe. Sein glattrasierter Kopf zeigte ein kompliziertes, verschlungenes Muster in Gold. Die allgemeine Wirkung war atemberaubend.
Aber zumindest, dachte Sara selbstgefällig, schien ihr eigenes Aussehen ihm seinerseits den Atem zu rauben. Er hüpfte beinahe vor Aufregung. Dann gab es einen raschen Wortwechsel zwischen den beiden Männern, und schließlich überreichte der fette Mann dem Kapitän mehrere Taschen, die klimperten und ziemlich schwer zu sein schienen. Sara geriet plötzlich in Panik. Er verkaufte sie? Als er sich zum Gehen wandte, versuchte sie nach seinem Ärmel zu greifen, wobei sie ganz vergaß, daß ihre Hände gefesselt waren. Sie hielt nicht besonders viel von ihm, aber er war das einzig Vertraute an diesem merkwürdigen Ort. Er schüttelte sie ab, sprang auf seinen Karren und ließ den Esel vorsichtig auf dem engen Raum des mit weißen Mauern umgebenen Hofes wenden. Die hohen, stabilen Tore fielen hinter ihm zu und wurden von zwei schlanken, jungen Männern mit rasierten Köpfen und merkwürdig weibisch bemalten Gesichtern geschlossen.
Sara verspürte den wilden Drang, wegzulaufen, aber sie hätte nicht gewußt, wohin. Die Mauern, die sie umgaben, waren sehr hoch. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, die ihr unkontrolliert über die Wangen liefen, da ihre Hände immer noch mit der Schärpe ihres Gewandes gefesselt waren.
Der fette Mann schnalzte besorgt mit der Zunge und tätschelte ihren Arm. »Nicht weinen«, sagte er mit einer hohen, dünnen Stimme.
Sara starrte ihn mit erstaunter Erleichterung an. »Du sprichst meine Sprache?«
Er nickte energisch. »Etwas.« Er strahlte. »Khisu sprechen gut. Er mir beibringen. Du mögen Khisu. Nicht weinen, Lady. Freuen!« Mit sanfter Hand wischte er ihr die Tränen von den Wangen. »Du stolz sein. Du für Khisu – dein Wort, König.«
»König?« Sara keuchte.
Der fette Mann nickte abermals. »Khisu viele schöne Damen. Immer wollen schöne Damen. Wollen dich bestimmt.« Er schenkte ihr ein verwirrendes Lächeln, das einen goldenen Vorderzahn sehen ließ. »Komm«, sagte er. »Baden. Anziehen. Andere Damen sehen. Viele Damen. Khisu sehen, heute abend. Nicht weinen. Er mögen.«
Das Quartier der Damen erwies sich als ein Labyrinth aus vielen miteinander verbundenen Räumen, deren Wände und Fußböden reich verziert waren mit pastellfarbenen Fliesen und komplizierten Mosaiken. Es gab Räume mit seidenüberzogenen Sofas und mit vergoldeten Tischen, Stühlen und Truhen; Räume mit breiten, tiefen Betten hinter weichfließenden Vorhängen aus weißem Musselin; Räume mit Springbrunnen, Bassins und riesigen, runden Marmorbädern. Es gab schattige Höfe und Gärten, voll von exotischen Blumen und wunderschönen Schmetterlingen. Die Luft war erfüllt von den verschiedensten Parfüms und dem süßen hohen Gesang hell gefiederter Vögel in goldenen Käfigen.
Die Frauen schwebten hier ein und aus. Einige wirkten wie schweigsame Geister in ihren durchsichtigen Roben, andere saßen in munter plaudernden Grüppchen an den Rändern der Bassins versammelt, wo sie sich naßspritzten und miteinander badeten, ohne sich auch nur im geringsten um ihre Nacktheit zu kümmern; einige hockten auch auf den weichen Sofakissen und plauderten miteinander. Es gab mehr Frauen, als Sara zählen konnte, und eine war schöner als die andere.
Saras Begleiter rief ein halbes Dutzend dunkelhäutiger Schönheiten aus einer Gruppe herbei und redete hastig in ihrer eigenen Sprache auf sie ein, wobei er zwischendurch immer wieder auf sie, Sara, zeigte. Die Frauen schienen ihr goldenes Haar nicht weniger zu bestaunen, als er es getan hatte, und sie scharten sich mit lauten Ausrufen um sie, um ihre schweren Haarflechten zu betasten. Der kleine Mann brachte sie mit schroffer Stimme zum Schweigen, und was dann folgte, schien ein Strom von Anweisungen zu sein. Schließlich wandte er sich mit einem Lächeln wieder an Sara. »Ich Zalid«, sagte er und zeigte auf sich selbst. »Du brauchen, du rufen. Und du?«
»Sara«, erwiderte sie, da sie begriffen hatte, daß er ihren Namen wissen wollte.
»Sara. Gut. Wie Wüstenwind. Und jetzt mit Damen gehen. Baden, anziehen, essen. Später Khisu sehen.« Er löste ihre Fesseln und übergab sie der Fürsorge der Mädchen.
Sara wurde in eine luxuriöse Zimmerflucht hineingedrängt. Als erstes aß sie, während die fröhlich plappernden Mädchen sie mit gewürztem Fleisch, Früchten und einem seltsamen, flachen, lederartigen Brot bedienten. Sie trank Wein aus einem juwelenbesetzten Kelch, sah sich verwundert in den üppigen Gemächern um und fragte sich, ob sie in einem Traum gelandet war. Dann badete sie abermals, diesmal in einem tiefen Bassin voll dampfenden, mit Blüten und Kräutern parfümierten Wassers. Nach dem Bad massierten zwei Mädchen ihren Körper mit süß duftenden Ölen.
Sara entspannte sich unter ihren Händen und ließ sich genüßlich verwöhnen. Als Vannors Frau war sie solche Aufmerksamkeiten gewohnt gewesen, und während der letzten Tage hatte sie sie furchtbar vermißt. Nach dem Entsetzen und den Härten ihrer Flucht aus Nexis war der Harem eine wunderbare Zuflucht und kein Gefängnis. Sie machte sich keine Sorgen bezüglich ihrer Begegnung mit dem – wie nannten sie ihn hier? – dem Khisu. Sie wußte, daß sie schön war. Sie hatte ihr Aussehen benutzt, um Anvar und diesen Flegel Vannor um den kleinen Finger zu wickeln, und sie zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie dasselbe mit dem König tun konnte. Sie spürte eine Woge der Erregung in sich aufsteigen. Ein echter, lebendiger König! Das war die Chance ihres Lebens! Sara streckte sich wie eine Katze und dachte daran, wie weit sie es in diesen letzten Jahren doch gebracht hatte. Wahrhaftig, das war etwas ganz anderes, als den Sohn des Bäckers zu heiraten!
Anvar – nein wirklich! Sara zog die Augenbrauen zusammen, irritiert von dem leichten Schuldgefühl, das sich in ihre Überheblichkeit mischte. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie gefangengenommen worden waren. Sie zuckte die Achseln. Damals hatte er noch gelebt, also mußten sie irgendwelche Pläne für ihn haben. Und er war ja bereits ein Diener gewesen, also konnten die Dinge für ihn nicht mehr viel schlimmer werden. Außerdem geschah es ihm ganz recht, denn schließlich hatte er sie auf diese irrsinnige Reise entführt! Sie hatte jedenfalls die Absicht, zu überleben und gut für sich zu sorgen. Mit diesem Entschluß verbannte sie Anvar aus ihren Gedanken.
Die schwarzen Frauen brachten gewaltige Mengen Kleider in ihr Gemach, aus denen sie wählen konnte – bestickte Roben aus durchscheinender Seide in zahllosen Farben, Schleier aus weniger Stoff als der Nebel an einem Sommermorgen. Sie brachten vergoldete Sandalen, Parfüms, Kosmetik und mehr Juwelen, als Sara je in ihrem Leben zu sehen bekommen hatte. Sie ließ sich Zeit beim Aussuchen und stellte die Stoffe so zusammen, daß sie die beste Wirkung erzielten. Jetzt war sie ganz in ihrem Element. Das war das, worauf sie sich am besten verstand.
Endlich war sie bereit. Sie betrachtete sich in einem bodenlangen Spiegel aus poliertem Silber, und das Bild, das sie dort sah, raubte ihr den Atem. O ihr Götter, dachte sie. Ich bin wunderschön! Noch nie war ich so schön wie jetzt. Obwohl ihr Herz ziemlich schnell schlug, wartete Sara mit ruhiger Gelassenheit darauf, vor den König gerufen zu werden. Das betörende Geschöpf im Spiegel lächelte ihr geheimnisvoll zu. Das hier würde ein Kinderspiel werden.