8

Der Sturm ließ gemeinsam mit Tyrathans Fieber nach, was in Chen die Frage heraufbeschwor, ob der Blizzard vielleicht widernatürlicher Art gewesen sein könnte. Es war eine unheilvolle Vorstellung, aber sie quälte ihn nicht allzu lange. Sie konnte sich nicht in seinem Herzen festsetzen, denn noch während die letzte Schneeflocke fiel, sah er, wie sich die Schneelilien bereits wieder nach oben kämpften, dem Sonnenlicht entgegen. Falls böse Mächte am Werk wären, würden sie so etwas gewiss nicht erlauben.

Taran Zhu urteilte nicht über die Natur und den Ursprung des Sturms, sondern schickte sogleich Mönche nach Süden, Westen und Osten, um den Schaden abschätzen zu lassen. Chen meldete sich freiwillig, nach Osten zu gehen, da sich der Tempel des Weißen Tigers in dieser Richtung befand. Er könnte also seine Nichte besuchen und sehen, wie es ihr ging. Taran Zhu erklärte sich einverstanden, und er versicherte ihm, dass Tyrathan in seiner Abwesenheit die beste Pflege erhalten würde.

Für Chen fühlte es sich gut an, wieder aus dem Kloster herauszukommen. Unterwegs zu sein nährte seine Reiselust, und er war sicher, die meisten Mönche sahen darin den einzigen Grund für seine Bereitschaft, von ihrem Berg herunterzusteigen. Es passte in ihre Anschauung der Welt, und es passte zu ihrer Vorstellung, dass alle, die auf Shen-zin Su gelebt hatten, von Natur aus unausgeglichen waren und zu Huojin tendierten.

Chen wollte auch gar nicht bestreiten, dass er es genoss, zu reisen und zu erforschen. Andere mochten dabei kalte Füße bekommen, weil sie fürchteten, sich in fremde Angelegenheiten zu verstricken, aber nicht er. Mit einem Lächeln wandte er sich zu seiner Reisebegleiterin herum. „Wann immer ich losziehe, habe ich das Gefühl, dass ich dadurch jemand anders Platz mache, der sich an meiner statt ausruhen und ein wenig sein Leben genießen kann.“

Yalia Weisenwisper bedachte ihn mit einem fragenden Blick, aber auch mit einer gewissen Heiterkeit. „Meister Sturmbräu, führen wir eine weitere dieser Unterhaltungen, bei denen ich das Gefühl habe, ich hätte die erste Hälfte verpasst?“

„Verzeiht, Schwester. Manchmal klappern die Gedanken in meinem Kopf umher und fallen dann einfach heraus wie Jihui-Würfel. Nicht einmal ich weiß, welche Seite am Ende nach oben zeigt.“ Er deutete zurück in Richtung des Klosters, das nunmehr unter einer Decke aus Wolken verborgen war. „Ich habe rein gar nichts gegen das Leben im Kloster einzuwenden.“

„Aber Ihr könntet dort nicht auf ewig leben?“

„Nein, ich schätze nicht.“ Chen runzelte die Stirn. „Haben wir uns nicht schon darüber unterhalten?“

Sie schüttelte den Kopf. „Manchmal, Meister Sturmbräu, wenn Ihr beim Fegen des Hofes innehaltet oder wenn Ihr zuseht, wie der Mensch zu seiner Wanderung den Berg empor aufbricht, verliert Ihr Euch. Dann richten sich Eure Gedanken auf einen anderen Ort, genauso konzentriert, als würdet Ihr ein neues Gebräu vorbereiten.“

„Das ist Euch aufgefallen?“ Chens Herz schlug ein wenig schneller. Hast du mich beobachtet?

„Es ist schwer, die Liebe zum Abenteuer zu ignorieren, wenn sie so hell in einem brennt.“ Er fing einen Seitenblick auf, und dann gesellte sich ein Lächeln hinzu. „Wollt Ihr wissen, was ich sehe, wenn Ihr arbeitet?“

„Es wäre mir eine Ehre, Eure Gedanken zu hören.“

„Ihr werdet zu einer Linse, Meister Sturmbräu. Ihr kennt die ganze Welt – die Welt jenseits von Pandaria –, und Ihr bündelt dieses Wissen und leitet es in Eure Arbeit. Nehmen wir zum Beispiel dieses Gute-Besserung-Bier, das Ihr für den Troll gebraut habt. Es gibt Pandaren-Braumeister, die haben ebenso viel Talent wie Ihr. Vielleicht sogar noch mehr. Doch keiner von ihnen hat Eure Erfahrung. Keiner von ihnen weiß, welche Zutaten er hinzufügen muss, um einen Troll gesund zu machen.“ Sie blickte zu Boden. „Ich fürchte, ich drücke mich nicht allzu verständlich aus.“

„Nein, ich verstehe schon. Danke!“ Chen lächelte. „Es macht einen immer demütig, wenn man sich durch die Augen eines anderen sieht. Ihr habt natürlich recht. Es ist nur, ich habe nie das Gefühl, als würde ich etwas bündeln. Für mich ist es Spaß, eine Gabe, die ich an andere weitergeben kann. Als ich für Euch und Meister Taran Zhu Tee gemacht habe, wollte ich meine Wertschätzung zeigen und etwas von mir mit Euch teilen. Nach Eurer Einschätzung bedeutet das, dass ich einen Teil der Welt gebündelt habe.“

„Ja, das habt Ihr getan. Danke!“ Sie nickte, während sie langsam in ein Tal hinabstiegen, wo bebaute Felder einen Flickenteppich um ein fernes Dorf bildeten. „Eurer Bemerkung eben entnehme ich, dass es Euch bei dieser Reise nicht nur darum geht, der Schildkröte nachzujagen oder Eure Nichte zu besuchen. Habe ich recht?“

„Ja.“ Chen zog die Brauen zusammen. „Falls ich genau sagen könnte, was es ist, würde ich nicht davor wegrennen. Nicht, dass ich wirklich davonrenne, es ist nur, ich brauche …“

„Eine neue Perspektive.“

„Das ist es.“ Er nickte rasch. Dass sie ihm das Wort von der Zungenspitze genommen hatte, gefiel ihm. „Ich habe die Genesung von Vol’jin und Tyrathan Khort beobachtet. Sie gesunden wieder. Zumindest körperlich. Aber jeder hat noch immer seine Wunden. Ich kann es nicht verstehen …“

Yalia drehte sich herum und legte eine Pfote auf seine Schulter. „Es ist nicht Eure Schuld, dass Ihr nicht in sie hineinsehen könnt. Was sie verbergen, verbergen sie gut. Und selbst wenn Ihr es sehen könntet, sie würden es noch lange nicht erkennen. Diese Art von Heilung kann angeregt, aber nicht erzwungen werden; und manchmal schmerzt es den Heiler, wenn er warten muss.“

„Sprecht Ihr da aus Erfahrung?“ Chen sprang über einen schmalen Bach.

Geschmeidig stieg Yalia von Stein zu Stein über den Wasserlauf hinweg. „Aus einer Erfahrung, ja. Einer äußerst seltenen Erfahrung. Die meisten unserer Schüler qualifizieren sich durch eine Reihe von Prüfungen, aber das ist nicht immer so. Wisst Ihr, wie die anderen Kinder, die besonderen Kinder, ausgewählt werden, Meister Sturmbräu?“

Der Braumeister schüttelte den Kopf. „Ich habe nie darüber nachgedacht.“

„Die Legende erzählt, dass manche Kinder nicht dazu bestimmt sind, sich der Prüfung der Roten Blüten zu unterziehen. Ihr Schicksal wird auf andere Weise entschieden.“

Während sie sprach, wanderte ihr Blick in die Ferne, und ihre Stimme wurde noch leiser. „Diese Kinder, die weit über ihre Jahre hinaus weise sind, kommen in neuen Körpern auf die Welt, aber mit einem alten Geist, wie manche behaupten. Gütige Reisende helfen ihnen auf ihrem Weg, und die Legenden deuten darauf hin, dass jene Reisenden die Götter selbst sind. Diese Kinder werden vom Meister der Shado-Pan aufgenommen. Man nennt sie die behüteten Kinder.

Ich war ein solches behütetes Kind. Mein Heimatdorf Zouchin liegt an der Nordküste. Mein Vater war dort Fischer. Er hatte sein eigenes Boot und war wohlhabend. Es gab viele stolze Familien in unserem Dorf. Ich wuchs in dem Wissen auf, dass ich mit dem Sohn eines anderen Fischers verheiratet werden sollte. Das Problem war nur, dass mir gleich zwei Pandaren den Hof machten, jeder ein halbes Dutzend Jahre älter als ich. Sie rangen um meine Aufmerksamkeit und um die Aufmerksamkeit des ganzen Dorfes. Meine Entscheidung würde den Wohlstand einer Familie sichern, und die Seiten waren schnell gewählt.“

Yalia blickte ihn einen kurzen Moment an. „Ihr müsst verstehen, Meister Sturmbräu, dass ich durchschaute, worum es wirklich ging. Ich wusste, dass ich nur ein Preis war, dass das meine Rolle im Leben war. Wäre ich älter gewesen, hätte ich mich vielleicht dagegen aufgelehnt, wie Vieh behandelt zu werden. Doch die Realität, die ich sah, machte solche Versuche überflüssig.“

„Was habt Ihr denn gesehen?“

„Yenkis und Chinwas Rivalität begann ganz harmlos. Sie sind Pandaren, es gab also viel Lärm und Trara, aber nichts Ernstes. Doch dabei gingen sie immer einen Schritt weiter, bis ihr Wettstreit eskalierte und sie einander provozierten, mehr und mehr und mehr zu tun. Spuren von Verbitterung schlichen sich in ihre Stimmen.“

Sie öffnete die Pfoten. „Ich konnte sehen, was den anderen verborgen blieb. Diese Rivalität zwischen Freunden war zu einer Feindschaft geworden, und auch wenn es vielleicht nie so weit gekommen wäre, dass einer von ihnen den anderen im Zorn geschlagen hätte, würden sie doch alles tun, um zu beweisen, dass sie würdig waren, mich, den Preis, zu gewinnen. Sie würden unnötige, dumme Risiken eingehen, und es würde nicht enden, wenn ich einem von ihnen gehören würde. Es würde weitergehen, bis einer von ihnen dabei starb, und der Überlebende würde auf ewig mit der Schuld leben. Es würden also gleich zwei Leben zerstört werden.“

„Drei, wenn man Eures mitzählt.“

„Es dauerte viele Jahre, bis ich das erkannte. Damals, als ich noch nicht einmal ein halbes Dutzend Jahre alt war, sah ich nur, dass sie wegen mir sterben würden. Also packte ich eines Morgens einige Reisbällchen und Kleider und stahl mich davon. Die Mutter meiner Mutter sah mich, und sie half mir, indem sie mein Gesicht mit ihrem Lieblingsschal verhüllte. Sie wisperte: ‚Ich wünschte, ich hätte auch so viel Mut gehabt wie du, Yalia.‘ Danach machte ich mich auf den Weg zum Kloster.“

Chen wartete darauf, dass sie fortfuhr, aber Yalia blieb stumm. Am liebsten hätte er nach dieser Geschichte gelächelt, denn sie war ein sehr tapferes Kind gewesen, dass sie diese Wahl getroffen und diese Reise angetreten hatte. Zugleich war es aber auch eine schrecklich schwere Entscheidung für ein Kind gewesen, und als ihre Worte durch seinen Kopf echoten, glaubte er, darin einen Anflug von Schmerz und Besorgnis zu hören.

Yalia schüttelte den Kopf. „Ich weiß durchaus, wie ironisch es ist, dass ich nun mit der traditionellen Prüfung der Roten Blüten betraut bin. Ich, die nie diese Tests ablegen musste, entscheide nun darüber, wer unter den Anwärtern ins Kloster aufgenommen wird. Wäre ich nach denselben strengen Kriterien beurteilt worden, die ich heute anlegen muss, wäre ich nicht hier.“

Und dass du die barsche Prüfmeisterin sein musst, schmerzt deine wahre Natur. Chen bückte sich und pflückte flink eine Pfote voll gelber Blumen mit kleinen roten Streifen, dann riss er die Blüten ab und rieb sie zwischen seinen Handflächen zusammen. Ein herrlicher Geruch stieg davon auf, und er streckte Yalia die Pfoten hin.

Sie nahm die zerdrückten Blumen mit hohler Hand entgegen und sog tief den Atem ein. „Das Versprechen des Frühlings.“

„Eine ganz ähnliche Pflanze gibt es in Durotar, sie wächst dort nach dem Regen. Man nennt sie Herzensruhe.“ Er rieb mit den Pfoten über seinen Hals und seine Wangen. „Die Trolle haben natürlich einen anderen Namen. Sie besitzen zwar edelmütige Herzen, aber sie finden nicht, dass sie ruhen sollten. Es gab einmal eine Zeit, da hatten ihre Herzen Ruhe, aber ich glaube, sie denken, dass diese Ruhe zu ihrem Fall geführt hat.“

„Sie lassen sich von ihrer Verbitterung antreiben?“

„Manche. Viele sogar. Aber nicht Vol’jin.“

Yalia schob die gelben Blüten in einen kleinen Leinenbeutel und zog ihn dann mit einer Kordel wieder zu. „Wisst Ihr wirklich so genau, was in seinem Herzen ist?“

„Das glaubte ich früher.“ Chen zog die Schultern hoch. „Und ich glaube es auch jetzt noch.“

„Dann, Meister Chen, hofft, dass Euer Freund sich selbst ebenso gut kennenlernt, wie Ihr es tut. Das wird der erste Meilenstein auf seinem Weg zur Heilung sein.“


Ursprünglich hatten sie vorgehabt, sich ungefähr in Richtung des Sonnenaufgangs zu halten und dann auf die Straße zum Tempel des Weißen Tigers abzubiegen. Sie waren jedoch kaum eine Wegstunde auf diesem Pfad unterwegs, als sie zwei jungen, männlichen Pandaren begegneten, die auf einem Rübenfeld arbeiteten. Keiner von beiden bewegte sich sonderlich schnell, und sie benutzten ihre Hacken und Spaten mehr als Stütze denn als Ackergeräte. Ihre zerzauste Erscheinung und ihr niedergeschlagenes Verhalten zeigte, dass sie vor Kurzem zusammengeschlagen worden waren.

„Es war nicht unsere Schuld“, verteidigte sich der eine, als sie einen Brei aus gekochten Rüben mit den Reisenden teilten. „Einige Shed-Ling, die sich nach dem Sturm wieder frei gegraben hatten, befielen unser Feld. Wir baten eine Wanderin, uns zu helfen, und bevor der Staub sich gelegt hatte, hatte sie bereits das ganze Rudel erledigt und verlangte eine Belohnung. Ich bot ihr einen Kuss an, mein Bruder sogar zwei. Wir sind hübsche Kerle, müsst Ihr wissen. Also, unter diesen Verbänden.“

Der andere nickte rasch, dann hob er die Pfoten an den Kopf, als wäre ihm bei der Bewegung beinahe der Schädel von den Schultern gefallen. „Für einen wilden Hund war sie ziemlich jung.“

Chens Augen wurden schmal. „Li Li Sturmbräu.“

„Hattet Ihr auch schon Probleme mit Ihr?“

Chen knurrte und bleckte die Zähne, denn das war es schließlich, was ein Onkel in einer solchen Situation tun musste. „Sie ist meine Nichte. Und ich bin ein noch viel wilderer Hund als sie. Sie wird schon ihre Gründe gehabt haben, euch am Leben zu lassen. Sagt uns, in welche Richtung sie gegangen ist, dann werde ich diese Gründe nicht hinterfragen müssen.“

Die beiden zuckten ängstlich zusammen und deuteten hastig nach Norden. „Seit dem letzten Schnee sind viele Leute nach Süden gekommen, um Hilfe zu suchen. Wir haben Essen geschickt. Wir werden Euch auch etwas einpacken, dann könnt Ihr es mitnehmen, wenn Ihr dorthin geht.“

„Bevor ihr einen Karren sucht und selbst Essen nach Norden bringt, meinst du?“

„Ja, ja.“

„Das klingt gut.“

Anschließend schwieg Chen, ebenso die Brüder. Yalia blieb gleichfalls stumm, aber ihr Schweigen war von anderer Natur. Nachdem sie den Brei gegessen hatten, machte Chen Tee und mischte ein paar Zutaten hinzu, die die Heilung der Brüder beschleunigen würden. „Wickelt die Teeblätter in Stoffstreifen und benutzt sie als Wickel. Das wird eure Schmerzen lindern.“

„Ja, Meister Sturmbräu.“ Die beiden Pandaren, die zur Steinacker-Familie gehörten, verbeugten sich tief und oft, während die Reisenden sich wieder auf den Weg machten. „Danke, Meister Sturmbräu! Gesegnet sei Eure Nichte und Eure Reise!“

Yalia öffnete den Mund erst wieder, als sie einen Hügel überquert hatten, sodass seine Kuppe zwischen ihnen und dem Acker lag. „Ihr hättet sie doch nicht wirklich geschlagen?“

Chen lächelte. „Ihr solltet mich gut genug kennen, um das wissen.“

„Aber Ihr habt Ihnen Angst gemacht.“

Er breitete die Arme aus und sog das Bild des schmalen Tales in sich auf, das, von steilen Bergen eingefasst, vor ihnen lag. Unter ihnen schlängelte sich ein Fluss dahin, blau, wo die Sonnenstrahlen ihn nicht erreichten, silbern, wo das Licht ihn berührte. Ringsum lag Grün, so viel und so kräftiges Grün, und dazwischen das satte Braun bestellter Felder, das von der Fruchtbarkeit Pandarias kündete. Selbst die Art, wie die Häuser in die Landschaft gebaut waren, verschandelte dieses Bild nicht, sondern rundete es perfekt ab. Alles war genauso, wie es sein sollte.

„Ich bin auf Shen-zin Su aufgewachsen, und ich liebe meine Heimat. Aber wenn ich mir das hier ansehe, dann ist es, als hätte ich in einem Gemälde gelebt. Einem wunderschönen Gemälde, ja, aber nicht dem echten Pandaria. Dieses Land spricht zu mir. Es füllt eine Leere in mir, die ich nie zuvor bemerkt hatte. Vielleicht bin ich deswegen so viel gereist. Ich habe gesucht, aber ich wusste nicht, wonach.“

Er runzelte die Stirn. „Ich habe die beiden nicht so sehr wegen Li Li angeknurrt, sondern weil sie sie einen ‚wilden Hund‘ genannt haben. Für sie, für mich, ist Pandaria unser Zuhause. Es ist ein Ort, wo ich mich niederlassen könnte.“

„Und doch werden diese beiden und viele andere wie sie nie müde, zu betonen, dass Ihr nicht aus Pandaria seid.“

„Ihr versteht also.“

Sie reichte ihm den Leinenbeutel mit den Herzensruhen. „Besser, als Ihr ahnt.“


Sie maßen ihre Reise gen Norden nach Zouchin nicht in Tagen oder Stunden, sondern an der Zahl der Geschichten über Li Li, die sie zu hören bekamen. Seine Nichte war hilfsbereit, aber aufbrausend. Mehr als ein Pandaren, dem sie begegneten, nannte sie einen wilden Hund, aber meist, weil sie sich angeblich selbst so nannte. Und sie schien auch noch stolz darauf zu sein, wie sich herausstellte. Chen konnte nicht umhin zu lächeln, und er konnte sich nur allzu gut vorstellen, wie die Legende von einem wilden Hund in Pandaria die Runde machte.

In Zouchin, das sich zwischen Klippen und Meer schmiegte, fanden sie schließlich Li Li, die angestrengt in der Mitte des Dorfes arbeitete. Der Sturm hatte hier ein Boot zerstört, mehrere Häuser zum Einsturz gebracht und einen Kai von seinen Stützpfeilern gerissen, und Li Li hatte sich sofort nützlich gemacht. Als Chen und Yalia den Ort erreichten, leitete sie gerade eine Bergungsmannschaft und trieb gleichzeitig die Zimmermänner an, ihre Arbeit an den beschädigten Gebäuden zu beschleunigen.

Chen packte Li Li, umarmte sie und wirbelte sie im Kreis, wie er es getan hatte, als sie noch ein Kind war. Sie quiekte, diesmal aber aus Protest, weil sie ihre Würde zerstört sah. Also setzte er sie ab und verbeugte sich, tief und respektvoll. Diese Geste brachte alle gackernden Zungen zum Verstummen, aber als sie sich ebenfalls verbeugte, ein wenig tiefer und eine Sekunde länger, begann das Getuschel sogleich wieder von vorn.

Nun stellte Chen Yalia seiner Nichte vor. „Schwester Yalia Weisenwisper ist mit mir vom Kloster hierher gereist.“

Li Li zog eine Augenbraue nach oben. „Ich wette, das war eine lange Reise. Wie habt Ihr es geschafft, dass er nicht in jede Taverne eingekehrt ist und den ganzen Weg lang Bier getrunken hat?“

Yalia lächelte. „Unsere Reise wurde durch die Geschichten von Li Li, der wilden Hündin, und ihrer Taten beschleunigt.“

Li Lis Lächeln wurde breiter, und sie stieß ihrem Onkel den Ellbogen in die Rippen. „Sie ist von der aufgeweckten Sorte, Onkel Chen.“ Sie kratzte sich am Kinn. „Weisenwisper? Es gibt hier eine Weisenweiden-Familie … der Name ist fast identisch. Sie haben den Sturm ziemlich gut überstanden, abgesehen von ein paar Beulen und blauen Flecken.“

„Gut zu wissen, Li Li.“ Yalia nickte respektvoll. „Wenn unsere Namen sich so sehr gleichen, werde ich sie vielleicht besuchen, falls Zeit dafür ist.“

„Ich bin sicher, sie werden über die Ähnlichkeit staunen.“ Li Li blickte sich im Dorf um. „Dann mache ich mich mal wieder an die Arbeit. Auf dem Wasser macht den Einheimischen keiner was vor, aber auf dem Land brauchen sie ein wenig Hilfe.“

Sie umarmte ihren Onkel noch einmal und rannte dann zurück zu der Bergungsmannschaft – deren Bewegungen rasch schneller wurden, als sie näher kam.

Chen legte den Kopf schräg. „Ihr wart nicht mehr hier, seit Ihr dem Kloster beigetreten seid und Taran Zhu Euren Namen änderte. Weiß Eure Familie, dass Ihr noch am Leben seid?“

Sie schüttelte den Kopf. „Manche von uns werden als wilde Hunde geboren, Meister Sturmbräu. Andere wählen diesen Weg. Es ist das Beste so.“

Chen nickte und gab ihr den Beutel mit den Herzensruhen zurück.

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