25

„Was für mich einige Unannehmlichkeiten bedeutet. Aber das lässt sich wohl nicht vermeid’n.“

Khal’ak drehte sich zu ihm herum, während Soldaten die Gefangenen nach draußen führten und sie dort wieder auf den Karren luden. „Wie meinst du das?“

„Kao ist wütend, und dein Meister fürchtet mich. Falls ich einfach so auf diese Insel des Donnerkönigs reise, wird das ihre Gefühle nur noch verstärk’n.“ Vol’jin zog die Schultern hoch. „Du wirst demonstrier’n müssen, dass du noch immer Kontrolle über mich hast. Ich bin ein Gefangener, und genauso sollte ich auch behandelt werd’n.“

Sie dachte einen Moment darüber nach, dann nickte sie. „Außerdem bist du dann in der Nähe deiner Freunde und kannst dich um sie kümmern.“

„Ich hoffe, dass jede Großzügigkeit, die man mir gewährt, auch ihnen zuteilwird.“

„Ich werde euch alle in Kett’n legen lassen. Aber für dich sollen es Fesseln aus Gold sein.“

„Damit kann ich leb’n.“

Sie streckte die Hand aus. „Dein Dolch.“

Vol’jin lächelte. „Natürlich. Sobald wir zurückgeritten sind.“

„Natürlich.“

Vol’jin genoss seine Freiheit, während sie zu Khal’aks Unterkunft ritten. Die Wolken hatten sich aufgehellt, als wären sie beschämt, dass sie nicht mit Kaos Dunkelheit mithalten konnten, und das Tal erstrahlte einmal mehr in seinem goldenen Glanz. Wäre ich Jahrhunderte in einer Gruft gefang’n, würde ich auch gerne an einem solchen Ort wieder erwach’n.

Er durfte bei Khal’ak in ihrem Palast bleiben, und genau wie sie es versprochen hatte, ließ sie goldene Fesseln holen, die durch eine Kette dicker Glieder verbunden waren. Sie waren schwerer als Eisen, ließen ihm aber genug Spielraum, um sich ungehindert bewegen zu können. Zudem gestattete seine Gastgeberin ihm große Freiheiten, und sie verzichtete sogar darauf, ihm eine Wache an die Seite zu stellen. Sie wussten schließlich beide, dass er nicht versuchen würde zu fliehen; nicht, solange Chen und Tyrathan mit den anderen Gefangenen eingesperrt waren.

Sie nutzten die Zeit, um sich auf konstruktive Weise über die bevorstehende Eroberung Pandarias zu unterhalten, und dabei erfuhr Vol’jin, dass es Khal’aks Entscheidung gewesen war, bei der Einnahme von Zouchin auf den Einsatz von Goblin-Kanonen zu verzichten, obwohl Vilnak’dor das anders gesehen und eine Invasion mit Geschützen und Schließpulver gefordert hatte. In ihren Augen war das ein Zeichen von Schwäche. Aber da die Mogu mit diesen Mitteln in der Vergangenheit große Erfolge gefeiert hatten, war ihr Meister überzeugt, so ihren Verbündeten Respekt zollen zu können.

Wie sich außerdem zeigte, hatten die Mogu seit dem Untergang ihres Reiches wohl doch ein wenig mehr getan, als nur ihren Tagträumen nachzuhängen. Nach Khal’aks Ansicht war zwar nur das wenigste davon hilfreich, und sie waren noch immer unorganisiert, aber sie hatten sich zumindest vermehrt. Der Plan für ihre Invasion war reichlich simpel: Die Mogu-Truppen würden, unterstützt von den Zandalari, das Herzland von Pandaria sichern. Sie schienen zu glauben, dass dann alles wieder so werden würde wie früher, so wie die Steine auf einem Jihui-Brett wie durch Zauberhand wieder in ihre Ausgangspositionen rückten.

Khal’ak glaubte, dass die Zandalari das eroberte Land noch eine Weile schützen müssten, bis die Mogu sich endlich organisiert hätten. Anschließend würden sie gegen die Allianz oder die Horde losschlagen, sie vernichten und sich danach der anderen Fraktion zuwenden. Die Mantid im Westen waren schon immer ein Problem gewesen, darum wollte man sie als Letzte ausmerzen. Wäre das erledigt, würde das Mogu-Imperium seine Magie einsetzen, um die Zandalari bei ihrem eigenen Eroberungszug zu unterstützen, der ihnen erst Kalimdor und dann die andere Hälfe des zerrissenen Kontinents einbringen würde.

Am nächsten Morgen brachen sie wieder auf, diesmal aber schon in aller Frühe. Die nächtlichen Festivitäten am Mogu’shan-Palast waren gedämpft gewesen, denn jeder fürchtete den Zorn des Kriegsfürsten Kao, und keiner wollte seinen Unwillen auf sich ziehen, indem er zu lange schlief. Man gestattete Vol’jin, einen Raptor zu reiten, aber nur so, dass seine goldenen Ketten weithin sichtbar waren. Chen, Cuo, Tyrathan und die anderen Gefangenen wurden in Karren transportiert, und der Schattenjäger sah nur wenig von ihnen, bis sie schließlich Zouchin erreichten und er gemeinsam mit ihnen auf ein kleines Schiff gebracht wurde. Man führte sie in eine Kabine unter Deck, deren Tür anschließend von außen verriegelt wurde.


Seine drei Gefährten waren schmutzig von der Reise und bluteten dank der Zuwendung ihrer Wachen, aber sie lächelten dennoch, als Vol’jin sich hinter ihnen durch die Tür duckte. Chen klatschte in die Pfoten. „Das sieht dir ähnlich: ein Gefangener mit goldenen Ketten.“

„Es sind trotzdem Kett’n.“ Vol’jin verbeugte sich vor Cuo. „Ich bedaure den Verlust deiner Brüder.“

Der Mönch erwiderte die Geste. „Ich bin dankbar für deinen Mut.“

Tyrathan blickte zu ihm auf. „Wer ist die Frau? Warum …?“

„Wir werd’n später noch Zeit haben, darüber zu red’n. Jetzt habe ich erst einmal eine Frage an dich, mein Freund. Und ich brauche eine ehrliche Antwort. Es ist wichtig.“

Der Mensch nickte. „Nur zu.“

„Hat Chen dir erzählt, was ich dem Mensch’n sagte, den wir befreit haben?“

„Dass ich tot sei und dass du mich getötet habest? Ja.“ Tyrathan lächelte halbherzig. „Schön, zu wissen, dass es eines der besten Krieger der Horde bedurfte, um mich umzubringen. Aber das ist wohl kaum die Frage, die ich dir beantworten soll, oder?“

„Nein.“ Vol’jin runzelte die Stirn. „Der Mensch wollte wissen, wo du bist. Er war voller Furcht, aber auch voller Hoffnung. Er wollte, dass du noch lebst und ihn rettest, aber er hatte auch Angst davor. Warum?“

Kurz schwieg Tyrathan und kratzte mit einem dreckigen Fingernagel den Schmutz unter einem anderen hervor. Er blickte nicht auf, als er den Mund wieder öffnete. „Du warst am Schlangenherz in meinem Körper, als der Sha des Zweifels mich mit seiner Energie berührte. Du hast den Mann gesehen, der mir meine Befehle gab. Nun, der Mensch, den du gerettet hast, war Morelan Vanyst, sein Neffe. Mein Vater war vor mir ein Jäger, so wie sein Vater vor ihm, und wir standen schon seit Urzeiten im Dienst der Vanyst-Familie. Bolten Vanyst, mein Herr, ist ein arroganter Geck und seine Frau ein intriganter alter Drachen. Darum gefällt es ihm auch so gut in Sturmwind – wann immer es einen Feldzug gibt, kann er ihr entfliehen. Nicht, dass er nicht auch selbst Ränke schmieden würde. Er hat nur drei Töchter, und jede ist mit einem ehrgeizigen Mann verheiratet, der sich Hoffnungen auf Boltens Land macht und sich darum bei ihm einschmeichelt. Doch wenn er aus der Stadt ist, hat Morelan das Sagen.“

Vol’jin sah, wie bei diesen Worten Emotionen über das Gesicht des Menschen huschten. Stolz leuchtete hell in seinen Augen, als er vom treuen Dienst seiner Familie sprach, nur um von Abscheu verschluckt zu werden, als er die Intrigen in der Familie seines Herrn beschrieb. Tyrathan hatte offensichtlich sein Bestes getan, diesem Herrn zu dienen, doch eine Person wie Bolten Vanyst war nie wirklich zufriedenzustellen, und man konnte ihr nie wirklich vertrauen. Insofern war er Garrosh gar nicht unähnlich.

„Jeden anderen hätte der Sha des Zweifels von innen heraus zerrissen. Er hätte sie hinterfragen lassen, ob sie überhaupt wert sind zu leben. Sie hätten an ihrem eigenen Verstand und ihren Erinnerungen gezweifelt. Der Sha hätte sie überzeugt, dass jede Entscheidung, die sie treffen könnten, falsch wäre, und sie hätten sich im selben Herzschlag selbst zerstört. So wie ein Maultier, das man zwischen zwei gleichermaßen appetitlichen Strohhaufen anbindet, würden sie inmitten des Überflusses verhungern, weil sie sich einfach nicht für eine Sache entscheiden könnten.“

Nun hob der Mensch zu guter Letzt den Blick. Müdigkeit hatte seine Schultern gebeugt und die Falten eines ganzen Lebens in sein Gesicht gegraben. „Doch zu mir kam der Sha des Zweifels als Kerze in der dunkelsten Stunde meines Lebens. Ich zweifelte bereits an jedem, und in diesem Moment sah ich die Wahrheit. Über alles.“

Vol’jin nickte ermutigend, sagte aber nichts.

„Ich habe eine Tochter, gerade einmal vier Jahre alt. Als ich das letzte Mal zu Hause war, wollte sie mir vor dem Zubettgehen eine Geschichte erzählen, von einer Schafhirtin, die sich mit der Hilfe eines gütigen Wolfes gegen einen bösen Jäger zur Wehr setzte. Ich erkannte die Geschichte, und ich nahm an, dass sie die Rollen von Jäger und Wolf vertauscht hatte, weil einer der gilnearischen Flüchtlinge, die in unser Dorf gekommen waren, sie darauf gebracht hatte. Doch als der Sha mich berührte, sah ich die Wahrheit.

Meine Frau war die Schafhirtin, so sanft und gütig, so unschuldig und liebevoll. Ironischerweise begegnete ich ihr zum ersten Mal, als ich Jagd auf ein Rudel Wölfe machte, das ihre Herde dezimierte. Ich kann nicht sagen, was sie in mir sah, aber für mich war sie vollkommen. Ich warb um sie und gewann ihr Herz. Sie ist das Beste, was mir je widerfahren ist.

Doch leider bin ich ein Mörder. Ich töte, um meine Familie zu versorgen. Ich töte, um mein Heimatland zu schützen. Ich kann nichts erschaffen, nur zerstören. Diese Tatsache zerfraß ihre Seele. Zu wissen, dass mir das Töten so leicht fiel, dass ich alles töten könnte, machte ihr Angst. Mein Leben und das, wozu ich geworden war, zersetzten ihre Liebe und ihr eigenes Leben.“

Tyrathan schüttelte den Kopf. „Die Wahrheit, meine Freunde, ist, dass sie recht hatte. Als ich fort war, um meine Pflichten zu erfüllen, kamen sie und Morelan sich nahe. Seine Frau war Jahre zuvor bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Sein Sohn ist mit meinen Kindern befreundet, und meine Frau neigte schon immer dazu, sich um andere zu kümmern. Ich ahnte nichts, oder vielleicht wollte ich es auch nur nicht wahrhaben, aus Furcht, ich würde erkennen, dass er meinen Kindern ein besserer Vater wäre als ich, und meiner Frau ein besserer Ehemann.“

Einen Moment lang kaute er auf seiner Unterlippe herum. „Als ich ihn sah, da wusste ich, dass er, angespornt von der Nachricht meines Todes, beweisen wollte, dass auch er tapfer sein konnte. Darum kam er nach Pandaria, und sein Onkel benutzte ihn wie einen Stein auf einem Spielbrett. Seine Flucht wird alles beweisen, was er beweisen wollte. Man wird ihn als Helden feiern. Dann kann er nach Hause zurückkehren und bei seiner Familie sein.“

„Aber es ist deine Familie.“ Vol’jin studierte das Gesicht des Menschen. „Liebst du sie denn nicht mehr?“

„Doch, von ganzem Herzen.“ Tyrathan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Der Gedanke, sie nie wiederzusehen, wird mich Stück für Stück umbringen.“

„Und doch opferst du dein Glück für das ihre?“

„Was ich tue, habe ich schon immer getan, um ihnen ein gutes Leben zu ermöglichen.“ Er hob den Kopf. „So ist es vermutlich am besten. Du hast mich gesehen, hast gesehen, wie ich in jener Nacht gekämpft habe. Ich habe besser gezielt als je zuvor, weil ein Teil von mir wollte, dass Morelan meine Handschrift erkennt. Zu morden ist das Einzige, worauf ich mich verstehe, Vol’jin. Ich bin gut darin. So gut, dass ich irgendwann meine Familie umbringen würde.“

„Das ist eine schwere Entscheidung, die du da getroff’n hast.“

„Und ich zweifle jeden Tag an ihr, aber ich werde nicht nachgeben.“ Tyrathans grüne Augen wurden schmal. „Warum all diese Fragen?“

„Weil auch ich schwere Entscheidungen treff’n muss, deinen nicht unähnlich, aber von größerer Reichweite.“ Der Troll seufzte schwer. „Und ganz gleich, wie ich mich entscheide, Völker werden blut’n, und viele werd’n sterben.“

Seine drei Gefährten begnügten sich mit dem Wissen, dass er ihnen mehr erzählen würde, wenn er dazu bereit war; dadurch bewiesen sie, dass sie bessere Freunde waren, als er in seinen eigenen Augen verdient hatte. Sie vertrauen darauf, dass ich die richtige Entscheidung treffe. Und das werde ich auch. Ich werde die Entscheidung treff’n und mit den Konsequenz’n leben. Aber ich werde nicht der Einzige sein, der von ihnen betroff’n ist.

Die Zandalari-Besatzung genoss es, ihn zu quälen, aber sie hielt sich natürlich zurück. Die vier Gefangenen erhielten anständiges Essen, alle aus demselben Topf, aber die beiden Pandaren und der Mensch bekamen zuerst ihre Portionen. Vol’jin gab man dann, was noch übrig war; in der Regel war das nicht sehr viel, der verbrannte Rest vom Boden des Topfes, und als er es dann bekam, war es meist schon kalt. Wenn seine Kameraden sich darüber beschwerten, bekam niemand etwas, darum ermunterte Vol’jin sie, den Mund zu halten und zu essen.

Gleichermaßen brachte man die anderen mittags an Deck, damit sie ein wenig frische Luft schnappen konnten, während Vol’jin vor Morgengrauen zum Bug geschubst wurde, wenn das Schiff sich drehte, sodass die Wellen ihn durchnässten. Der Dunkelspeer ließ Wasser und bitterkalte Winde ohne Klage über sich ergehen, und insgeheim freute er sich, dass die Kälteresistenz, die er sich während seiner Zeit im Kloster angeeignet hatte, ihm nun so gute Dienste erwies.

Diese Befriedigung wurde noch größer, weil die Zandalari sich an wärmere und trockenere Stellen zurückzogen, während er im Bug stand.


Vol’jin war zufällig an Deck, als das Schiff die Insel des Donnerkönigs erreichte. Die Hafenanlagen sahen jünger aus als alles andere an diesem Ort, und sie trugen Merkmale zandalarischer Baukunst. Auf der linken Seite schleppten mehrere Mannschaften gerade etwas, das Schießpulver zu sein schien, und andere Vorräte in Lagerhäuser; der Schattenjäger konnte zwar nicht sagen, ob diese niedrigen Gebäude voll oder leer waren, doch selbst wenn sie nur halb gefüllt sein sollten, gäbe es dort genügend Material, um eine Armee sehr, sehr lange zu versorgen. Da sie Kriegsfürst Kao mit hierher gebracht hatten, war wohl davon auszugehen, dass man diese Vorräte, obwohl sie gerade erst entladen wurden, schon bald wieder zurückverladen würde, wenn die Vorbereitungen für die nächste Reise nach Zouchin begannen.

Nachdem ihr Schiff angedockt hatte, wurden die Gefangenen den Landungssteg hinuntergeschubst und auf einen von Ochsen gezogenen Karren gescheucht. Es war kaum mehr als ein Heuwagen, aber man hatte ihn mit Stoff überdacht, sodass die vier Gefährten in tiefer Dunkelheit nebeneinanderlagen. Doch es gab einige zerschlissene Stellen in der Leinwand, in die man mit dem Daumen Löcher hineinstoßen konnte. So vermochten Vol’jin und die anderen die Insel zu studieren, während der Karren über die Pflastersteine rumpelte, von denen mehr geborsten als heil waren.

Zu seiner Frustration sah der Troll viel zu wenig, doch dieses bisschen verriet ihm viel zu viel. Da er an Deck gewesen war, als sie den Hafen erreicht hatten, müsste es früher Vormittag sein, doch es hatte den Anschein, als wäre es gerade erst eine Stunde nach Mitternacht. Die einzige Lichtquelle, die wirklich etwas enthüllte, waren Blitze am Himmel. Sie ließen eine feuchte Sumpflandschaft erkennen, in der jeder Fleck trockenen Bodens von einem Truppenzelt oder einem Pavillon in Beschlag genommen wurde. Der Troll konnte einige der Standarten erspähen, als sie vorbeifuhren, und sie waren mannigfaltiger, als ihm lieb sein konnte.

Es hätte natürlich nur ein Trick sein können, dass die Zandalari so viele Zelte entlang der Route des Karrens aufstellten, um sie zu täuschen. Doch Vol’jin bezweifelte es. Der Gedanke, dass eine solche List nötig sein könnte, würde den Zandalari gar nicht erst kommen. Sie würden nicht glauben, dass ein Feind, der es bis hierher geschafft hatte, mit den falschen Informationen wieder von der Insel fliehen könnte, waren sie doch ohnehin überzeugt, dass kein Gegner gegen sie bestehen konnte. Unter diesen Umständen wäre eine Täuschung für sie nur eine ehrlose Zeitverschwendung gewesen.

So zu denken war natürlich töricht, aber in diesem Fall vielleicht nicht einmal ungerechtfertigt. Alles, was Vol’jin über die Präsenz der Horde in Pandaria wusste, waren mehrere Monate alte Zahlen, und Tyrathans Informationen waren sogar noch älter. Doch er hielt es für möglich, dass allein die gewaltige Menge an Zandalari und anderen Trollen reichen würde, um beide Fraktionen ins Meer zurückzudrängen. Falls sie ihre Karten richtig ausspielten – und Khal’ak würde dafür sorgen, dass sie es taten –, könnten sie die Horde und die Allianz vielleicht dazu bringen, einander zu bekriegen oder sich ganz auf den anderen zu konzentrieren. Dann könnte niemand die Pläne der Zandalari noch vereiteln.

Falls sie Erfolg haben, wird mir das meine Entscheidung abnehm’n.

Der Karren rollte langsam seinem Ziel entgegen, welches sich schließlich als hastig errichteter Gefängniskäfig aus Eisenstangen entpuppte, mit einer verriegelbaren Tür, die aussah, als hätte man sie von einem der Schiffe genommen und dann hier eingesetzt. Dieser Käfig befand sich auf einem kleinen Hügel in einem Sumpf, und das Einzige, was daran hervorzuheben war, war der stinkende Graben, der die Gefangenen von ihren Wachen trennte.

Noch bevor man Vol’jin zu seinen drei Kameraden in den Käfig werfen konnte, tauchte ein weiterer Wagen auf. Ein Soldat lenkte ihn, ein zweiter stand hinten auf dem Trittbrett, und über eine erhöhte Straße, die sich durch den Morast schlängelte, brachten sie den Troll geschwind zu einem Steingebäude in der Nähe eines niedrigen, düsteren Komplexes im Nordosten der Insel.

Nachdem seine Wachen ihn bis nach drinnen eskortiert hatten, begegnete er wieder Khal’aks Bediensteten. Sie gaben sich alle Mühe, ihn vorzeigbar zu machen. Sie nahmen ihm nicht nur die goldenen Ketten ab, sondern gaben ihm auch seinen Zeremoniendolch zurück. Anschließend hieß es wieder zurück auf den Wagen und hinüber zu dem größeren Gebäude, vor dessen Haupteingang nicht nur Doppelreihen von Qilenstatuen standen, sondern auch Khal’ak auf ihn wartete.

„Gut, so kannst du dich sehen lass’n.“ Sie umarmte ihn kurz. „Kao spricht gerade mit dem Donnerkönig. Um dich und deine Freunde zu retten – und lass mich dir noch einmal sag’n, dass es mir um die Mönche leidtut –, muss mein Meister für euch Fürsprache halt’n.“

Khal’ak führte ihn durch Krümmungen und Biegungen, die sich völlig seinem Orientierungsvermögen entzogen. Er konnte zwar keine Magie spüren, aber ausschließen ließ sich diese Möglichkeit nicht. Der Komplex war vermutlich wieder auf Vordermann gebracht worden, um den Donnerkönig nach seinem Erwachen aus dem Grab willkommen zu heißen, und Vol’jin nahm an, dass der Aufbau des Gebäudes für den Kaiser der Mogu eine gewisse Bedeutsamkeit barg, ein Gefühl der Vertrautheit. Es würde ihm den Übergang in eine Welt erleichtern, in der niemand ihn mehr kannte; eine Welt, die schon bald Grund haben würde, seine Rückkehr zu bereuen.

Zwei Wachen neben einer Tür salutierten, als Khal’ak zwischen ihnen hindurch in den Raum eilte. Vor der gegenüberliegenden Wand wartete Vilnak’dor auf sie, gekleidet in Roben nach Mogu-Schnitt, die augenscheinlich maßgeschneidert waren, um seinen ausladenden Bauchumfang zu bedecken. Der Zandalari-General war sogar so weit gegangen, seine Haare weiß zu färben und sie nach Art der Mogu zu kringeln, und Vol’jin kam es so vor, als würde er außerdem seine Fingernägel wachsen lassen, damit sie wie Klauen aussahen.

Khal’ak blieb stehen und verbeugte sich. „Meister, darf ich vorstellen …“

„Ich weiß, wer er ist. Ich hatte seinen Gestank schon in der Nase, bevor er das Zimmer betret’n hat.“ Der Zandalari-Anführer tat ihre Begrüßung mit einem wegwerfenden Winken ab. „Sag mir, Vol’jin von den Schaumschlägertrollen, warum sollte ich dich nicht gleich hier und jetzt umbring’n?“

Der Dunkelspeer lächelte. „Wäre ich du, hätte ich das vermutlich schon längst getan.“

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