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Die Erleichterung der anderen war deutlich spürbar, und auch in Vol’jins Brust löste sich ein Knoten. Er war selbst überrascht gewesen, dass er Khal’aks Angebot nicht sofort und rundheraus abgelehnt hatte. So gerne er glauben wollte, er hätte nur gezögert, weil sie seine Freunde in ihrer Gewalt hatte, war es doch nicht die ganze Wahrheit. Und dass er sich jetzt eines Besseren besann, nur weil er erkannt hatte, dass Khal’aks Angebot seine Begleiter nicht vor Kriegsfürst Kao retten würde, war ebenso unwahr. Er hatte ihr Angebot nicht ablehnen können, ohne erst gründlich darüber nachzudenken, und es anzunehmen, war erst unmöglich geworden, als er herausgefunden hatte, für welche Familie er wirklich kämpfen wollte.

Der Troll nickte und hielt seine Stimme weiter gesenkt. „Das Erste, was wir tun müssen, ist …“

„Darum haben wir uns schon gekümmert.“ Tyrathan blickte über seinen Kopf hinweg. „Zwölf Wachen. Acht von ihnen in Zweiergruppen im Norden, Süden, Westen und Osten. Allesamt Gurubashi, denen man diese Aufgabe als Strafe aufgebürdet hat. Die vier anderen sind Zandalari, sehr jung und unerfahren, drüben bei der Straße, wo es wärmer und trockener ist und man nicht ständig von Ungeziefer geplagt wird.“

Vol’jin zog die Augenbraue hoch.

„Ich verstehe Zandali, schon vergessen? Die Wachen beschweren sich ohne Unterlass, und die Beleidigungen, die zwischen den Gruppen hin und her geworfen werden, sind schrecklich.“

Chen streckte sich. „Der Rahmen um die Tür besteht aus Pfosten, die noch grün sind. Auf der Seite mit dem Schloss sitzt alles fest, aber nicht auf der Seite mit den Angeln. Die unteren Schrauben hab ich schon fast ganz herausgedreht, und die Schrauben oben haben das Holz zersplittert.“

Nun wandte Vol’jin sich erwartungsvoll dem Mönch zu.

Bruder Cuo nickte. „Die Wachinspektion beginnt in fünfzehn Minuten nördlich von hier. Wachwechsel ist alle acht Stunden, das nächste Mal um Mitternacht, sofern das, was Tyrathan gehört hat, stimmt.“

Vol’jin stemmte die Hände gegen die Schenkel und erhob sich, dann verbeugte er sich vor seinen Freunden. „Zwei Stund’n später, und ihr wärt bereits ausgebrochen.“

„Nun, Kao will sie tot sehen, und mir sagt die Aussicht hier nicht zu.“ Der Mensch erwiderte die Verbeugung. „Wir hätten uns auf die Suche gemacht und unterwegs vielleicht den ein oder anderen Donnerkönig niedergestreckt, um uns die Zeit zu vertreiben.“

„Der Donnerkönig wird von Mogu, Saurok und riesig’n Qilen beschützt. Und durch Magie natürlich. Man bräuchte eine Armee, um eine Audienz bei ihm zu bekomm’n.“

Chen runzelte die Stirn. „Dann fliehen wir also?“

Vol’jin nickte. „Wenn wir eine Invasion verhindern wollen, ja.“

Bruder Cuos Brauen wanderten nach oben. „Würden wir dieses Ziel nicht eher erreichen, indem wir den Donnerkönig töten?“

„Vergiss nicht, Herrscher kommandier’n Armeen, aber sie selbst können ein Land weder einnehm’n noch halt’n.“ Der Schattenjäger lächelte kühl. „Wenn wir die töten, die sein Reich für ihn zurückerobern soll’n, schaden wir ihm dadurch mehr. Das wird schlimmer für ihn, als ins Grab zurückkehren zu müss’n.“


Mitternacht kam und ging und mit ihr, wie vorausgesagt, der Wachwechsel. Die Soldaten der neuen Schicht gewöhnten sich schnell ein, indem sie Decken um ihre Körper schlangen und diesen Dienst verfluchten, bei dem sie nicht einmal ein Lagerfeuer entzünden durften. Vol’jin hatte derartige Klagen in vielen Militärlagern gehört; sich über die Kälte oder das Essen oder anmaßende Offiziere zu beschweren, machte neunzig Prozent der Unterhaltungen unter der Truppe aus und diente vor allem dazu, Langeweile oder Furcht fernzuhalten. Es war reine Gewohnheit, und die Welt der Soldaten schrumpfte dabei auf einen winzigen Punkt zusammen, an dem sie außer ihrer Unterhaltung kaum noch etwas registrierten.

Während Tyrathan und Cuo Wache hielten, kümmerten sich Vol’jin und Chen um die Tür. Der Pandaren packte die Gitterstangen, um sich dagegenzustemmen, und der Troll verdrehte den Türrahmen. Indem sie möglichst gleichmäßig Druck auf den Käfig ausübten, hofften sie, möglichst wenige auffällige Geräusche zu verursachen.

Als Vol’jin seine Hände um den Pfosten legte, schnaubte er verächtlich. „Dieses Gefängnis könnte nicht mal einen Gnom halt’n.“ Der Türrahmen war nicht tief genug im Boden verankert. Da sich jedes Loch, das man in diesem Sumpf grub, fast sofort mit Wasser füllte, hatten die Arbeiter vermutlich so lange gegraben, bis sie auf halbwegs festen Schlamm gestoßen waren, und hatten die Pfosten dann darin versenkt.

Der Troll drehte den Pfahl wie einen wackeligen Zahn, und er löste sich mühelos aus seinem Bett. Chen tat anschließend auf der anderen Seite dasselbe, und nun konnten sie die Tür mitsamt dem Rahmen aus dem Käfig drücken. Der Riegel glitt geräuschlos aus dem Schloss, und Vol’jin hatte einen Grund mehr, seine Entscheidung nicht zu bereuen.

Hier im Sumpf zu sterb’n wäre besser, als einen Haufen Schwachköpfe zu kommandier’n.

Chen und Cuo schlüpften aus dem Käfig in den Schlamm, dann schlichen sie zu den Soldaten am westlichen Wachtposten hinüber. Sie schalteten die beiden Gurubashi fast lautlos aus, und die Geräusche, die dabei doch entstanden, hätte man ebenso gut für die Schritte einer Wache halten können, die ins Gebüsch stapfte, um sich zu erleichtern. Tyrathan und Vol’jin huschten zu den beiden hinüber, und jeder nahm sich einen Dolch. Die Knüppel, die die Trolle ebenfalls getragen hatten, eigneten sich derweil die Pandaren an.

Im Verlauf der nächsten fünfzehn Minuten schalteten sie nacheinander die Posten im Süden, Osten und Norden aus, wobei Vol’jin darauf verzichtete, Magie einzusetzen. In seinen Augen war keine dieser Wachen würdig, durch die Künste eines Schattenjägers zu sterben. Kurz bevor zwei Zandalari zu ihrem Rundgang aufbrachen, eilten Chen und Cuo zurück zum östlichen Wachposten, und Tyrathan zerrte die Leichen tiefer in den Sumpf, auf dass sich die Drachenschildkröten der Insel an ihnen gütlich täten. Vol’jin schlüpfte währenddessen in eine der Gurubashi-Uniformen und kauerte sich unter einer Decke zusammen.

Zur vollen Stunde näherten sich die zwei Zandalari dem nördlichen Posten. Einer von ihnen, der kleinere der beiden – der aber trotzdem noch größer war als der Schattenjäger –, verpasste Vol’jin einen Tritt in die Seite. „Steh auf, fauler Hund. Wo ist dein Kamerad?“

Vol’jin brummte und deutete in den Sumpf hinaus, und als die Zandalari sich umdrehten, um in diese Richtung zu blicken, sprang er auf und schlang einem von ihnen die Decke über den Kopf. Instinktiv hob der Krieger die Hand, um sie wegzuziehen, was Vol’jin Gelegenheit gab, ihm seinen Dolch dreimal in rascher Folge in die Eingeweide zu rammen. Beim ersten oder zweiten Hieb musste er eine Arterie getroffen haben, denn als er die Klinge zurückzog, spritzte Blut hervor, heiß und klebrig.

Der Zandalari brach zuckend vor Vol’jins Füßen zusammen.

Sein Kamerad fiel auf ihn. Er hatte Tyrathan überhaupt nicht bemerkt, bis der Mensch ihn bei den Haaren gepackt und seinen Kopf nach hinten gerissen hatte. Da der Gurubashi-Dolch nicht sonderlich scharf war, hatte der Mensch ihn wie eine Säge über der Kehle des Trolls hin- und herziehen müssen, doch zum Glück ging der erste Stich tief genug, um seine Luftröhre zu zerfetzen, sodass die Hilfeschreie des Zandalari nur als heiseres Wispern des Nachtwindes hervordrangen. Anschließend schoss Blut aus den durchtrennten Adern, und während der Troll ausblutete, kehrte wieder relative Ruhe im Sumpf ein.

Chen und Cuo, die im Gegensatz zu Mensch und Troll nicht blutüberströmt waren, tauchten wieder auf und zogen die beiden letzten Krieger in den Morast. Nachdem die Patrouille sich zu Vol’jin aufgemacht hatte, waren die Pandaren zur Stellung der Zandalari geschlichen und hatten die letzten übrigen Soldaten dort ausgeschaltet. Einem von ihnen war der Schädel eingeschlagen worden, der andere sah aus, als wäre er im Schlaf gestorben. Tyrathan nickte und zerrte sie weiter in den Sumpf, bis er außer Chens Sichtweite war, dann schnitt er ihnen die Kehlen durch, um auf Nummer sicher zu gehen. So wie die anderen Leichen vor ihnen verschwanden die beiden Toten in den Tiefen des dunklen Wassers.

Obwohl er bei dem Gestank am liebsten gewürgt hätte, behielt Vol’jin die Gurubashi-Rüstung an. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass es sinnlos wäre, wenn einer der anderen sich ebenfalls verkleidete. Nicht einmal der dümmste Troll könnte einen Menschen oder einen Pandaren für einen seiner Art halten.

Tatsache war jedoch, dass niemand sie auch nur eines Blickes würdigte. Bis zu einem gewissen Grad konnte Vol’jin es verstehen: Niemand, den die Zandalari als Feind betrachteten, wusste, wo die Insel des Donnerkönigs lag, und keiner von ihnen hatte eine Invasionsarmee, die groß genug wäre, um die Insel zu überrennen. Würde die Allianz oder die Horde angreifen, würden die Kämpfe am Hafen ihren Vorstoß lange genug verzögern, damit die anderen Truppen einen Gegenangriff organisieren konnten. Sie würden die Eindringlinge in die Sümpfe locken und sie dort dezimieren, wo ihre Kenntnis des Terrains den Trollen einen Vorteil verschaffte.

Die Wachen dösten auf ihren Posten oder marschierten ihre Route hastig ab, um möglichst schnell zu ihren Freunden zurückkehren zu können. Das machte Vol’jins Plan, die Invasion zu behindern, fast schon zu leicht. Sie hätten ihr Ziel auch erreicht, wenn sie einige Wachen hätten umbringen müssen, aber das erübrigte sich nun. Sie konnten einfach durch die Lager schleichen, wie Geister – was in Tyrathans und Vol’jins Fall ein durchaus passender Vergleich war.

Die Trolle hatten ihre Lager alle nach demselben eintönigen Muster aufgebaut: mit Standarten in der Mitte, die anzeigten, welche Einheit hier hauste, und kleineren Bannern vor den Zelten, in denen die Offiziere schliefen. Vol’jin zog von einem dieser Lager zum nächsten und tötete alle Feldwebel und Hauptmänner, die beiden wichtigsten Ränge in der Kommandostruktur jeder Armee. Die Hauptmänner interpretierten die Befehle von oben, und die Feldwebel stellten sicher, dass die gemeinen Soldaten sie auch ausführten. Ohne sie würde selbst die brillanteste Strategie im Sande verlaufen.

Vol’jin ging seiner Aufgabe kühl und effizient nach. Ein schneller Hieb im Dunkel, das Keuchen eines Trolls, dann das Geräusch, mit dem seine schlaffen Glieder auf die Schlafmatte fielen. Der Schattenjäger empfand kein Mitleid mit ihnen, sondern schickte sie bereitwillig in Bwonsamdis eisige Umarmung. Es war ihre eigene Dummheit, die sie zum Tode verurteilte – Vol’jin trieb lediglich eine Schuld ein.

Hin und wieder stellte er außerdem sicher, dass ein klar erkennbarer Fußabdruck neben einem Opfer zurückblieb.

Während sie sich zum Hafen vorarbeiteten, wurde es jedoch immer offensichtlicher, dass sie nicht genügend Offiziere töten konnten. Cuo und Chen hielten am Rand des Sumpfs Wache, vor und hinter der Stelle, wo der Troll und Tyrathan zuschlugen. Der Mensch blieb ebenfalls stets in der Nähe des Morasts, aber Vol’jin konnte sich weiter vorwagen und dort seine Opfer töten. Sie kamen nur langsam voran, und als das Morgengrauen einsetzte, verringerte jeder Dolchhieb ihre Chancen auf eine Flucht.

Vol’jin zählte seine Opfer nicht mit, aber wenn sie lediglich fünf Prozent der Offiziere getötet hatten, wäre das schon eine positive Überraschung.

Es wird den Kampf leichter mach’n, aber nicht leicht genug.

Als Vol’jin wieder zu ihnen stieß, hatte er einen Zandalari-Bogen mit zurückgebogenen Enden und einen Köcher voller Pfeile dabei. „Von einem Feldwebel. Er wird sie nicht mehr brauchen. Jetzt fühle ich mich endlich nicht mehr nackt.“

Sie schlichen nun schneller weiter und hielten dabei direkt auf den Hafen zu, bis sie schließlich die Sümpfe verließen und sich zwischen einigen niedrigen Hügeln in der Nähe der Lagerhäuser wiederfanden. Zwar waren noch immer Arbeiter damit beschäftigt, Vorräte von den Schiffen an Land oder von Land auf die Schiffe zu transportieren, doch aus dem geschäftigen Strom war inzwischen ein Rinnsal geworden. Das Lärmen von Zimmermannshämmern auf einigen Schiffen ließ Vol’jin vermuten, dass man einige Bordwände verschob, um die Kähne in Truppentransporter umzuwandeln.

Doch nicht alle. Der Troll lächelte und drehte sich zu Tyrathan herum. „Ich glaube, du wirst noch froh sein, dass du mir Jihui beigebracht hast.“

Er deutete auf ein kleines, aber robustes Fischerboot, das auf der seewärtigen Seite des Hafens auf den Strand geschoben worden war. „Chen, denkst du, dieser Kahn schafft es nach Pandaria?“

Der Braumeister nickte. „Sofern er kein Loch im Boden hat.“

„Gut. Du und Tyrathan schafft das Boot ins Wasser und rudert bis hundert Schritte hinter dieses dreimastige Schiff in der Mitte des Hafens hinaus. In einer halben Stunde. Bei Dämmerung.“

„Wird erledigt.“

Vol’jin griff nach Tyrathans Unterarm. „Sei bereit, dich von deinen Pfeil’n zu trennen! Es könnte sein, dass du schießen musst.“

„Selbstverständlich.“

„Geht!“

Der Mönch blickte ihn an, während die beiden anderen davonhuschten, und der Troll deutete auf die kleine Mole, die die Mündung des Hafens schützte. Eine einsame Wache ging an ihrem Ende auf und ab. „Ich brauche ihn lebendig, Cuo. Er muss genau da bleib’n, wo er ist, und du mit ihm. Schlag kurz nach Morgendämmerung zu!“

Der Mönch verbeugte sich. „Danke, Meister Vol’jin!“

„Los!“

Er wartete, bis der Pandaren verschwunden war, dann arbeitete er sich den Hügel hinab und auf ein Lagerhaus zu. Jetzt wünschte er sich, er hätte einem der Zandalari, die er getötet hatte, die Uniform abgenommen, denn auch wenn er einen Kopf kleiner als die meisten dieser Trolle war, hätte er dann offen über das Dock zu dem Schiff hinüberstolzieren können, das er sich ausgespäht hatte. Wäre er nur herrisch genug aufgetreten, hätte niemand ihm Fragen gestellt, und jeder hätte ihm Platz gemacht.

Mit der Verkleidung, die er jetzt trug, konnte er diese Rolle natürlich nicht spielen. Seine Uniform war bis zur Hüfte mit Schlamm und Dreck besudelt, und auf den Ärmeln verkrustete bereits das Blut. Also wählte er eine andere Rolle. Er ließ die Schultern hängen und zog das rechte Bein leicht nach, sodass es aussah, als wäre seine Hüfte einst gebrochen und nicht wieder richtig zusammengewachsen. Zu guter Letzt schob er seine Lederkappe ein Stück auf die eine Seite, dann neigte er den Kopf nach hinten und drehte ihn in die andere Richtung.

So humpelte er anschließend an den Docks entlang, hastig und zielgerichtet, wobei er den Eindruck vermittelte, dass er es nicht um seiner selbst willen so eilig hatte. Die Wache am Landungssteg schenkte ihm kaum mehr als einen Blick.

Der Zandalari-Offizier auf dem oberen Kanonendeck war da schon aufmerksamer. „Was willst du hier?“

„Mein Meister möchte eine Bilgenratte. Nicht zu fett, nicht zu dürr. Weiß, falls ich so eine find’n kann. Die weißen schmecken am besten, wisst Ihr?“

„Eine Bilgenratte? Wer ist dein Meister?“

„Wer weiß schon, was im Kopf eines Hexendoktors vor sich geht? Einmal hat er mich aus dem Schlaf geriss’n, weil er drei stumme Grillen haben wollte.“ Vol’jin zog den Kopf ein und beugte die Schultern, als würde er erwarten, dass man ihn schlug. „Die schmeck’n aber nicht, weder die leisen noch die laut’n. Ratten hingegen … Manche häut’n sie ja zuerst, aber ich nicht. Ich nehm’ einfach einen Stock und spieße sie auf, vom Maul bis zum …“

„Ja, ja, faszinierend.“ Der Zandalari sah aus, als hätte er schon Ratte gegessen, aber keinen Gefallen an dem Geschmack gefunden. „Dann such mal.“

Vol’jin neigte erneut den Kopf. „Danke, Boss! Wenn ich schon dabei bin, könnte ich für Euch ja auch gleich eine fang’n. Eine schön fette.“

„Nicht nötig. Beeil dich einfach!“

Der Dunkelspeer stieg in den Bauch des Schiffes hinab. Zwei Decks weiter unten richtete er sich wieder auf und ging schnurstracks zur Pulverkammer. Ein Seemann saß vor der Tür auf einem Stuhl; er sollte Wache halten, aber das sanfte Auf und Ab der Wellen hatte ihn in den Schlaf gelullt. Vol’jin packte ihn mit einer Hand am Kinn, mit der anderen am Schädel und riss seinen Kopf dann hart herum. Das Genick des Trolls brach mit einem feuchten, aber gedämpften Knacksen. Am Körper des Toten entdeckte er den Schlüssel für die Pulverkammer, was ihm die Mühe ersparte, wieder an Deck gehen und den Offizier töten zu müssen, und er entriegelte die Tür.

Die Leiche versteckte er im Inneren des Raumes, dann zog er vier Säcke von der Wand, jeder war mit genug Schießpulver gefüllt, um eine Kanone zu laden. Nun schlug er mit dem Ellbogen den Deckel eines Fasses ein und kippte es in Richtung des Eingangs um, und nachdem er die Säcke auf die Arme genommen hatte, schloss er die Tür von außen wieder, wobei die Unterseite der Tür das Schießpulver aus dem Fass zu einer knapp anderthalb Fingerbreit hohen Schicht auf dem Boden glatt strich. Anschließend benutzte Vol’jin die Säcke, um eine Spur aus Schwarzpulver zu legen, an der Wand entlang, wo sie in den Schatten lag, bis hinüber zur achtern gelegenen Kabine.

Dort legte er die Pulverspur in die Mitte des Ganges und schüttete die beiden restlichen Säcke zu einem gewaltigen Haufen auf. In der Kabine, die offensichtlich als Krankenstation fungierte, hingen zwei Öllampen an Ketten von der Decke. Vol’jin entzündete sie beide, anschließend zog er ihre Dochte heraus, soweit es ging, und verteilte das Schießpulver darunter. Nun verbarrikadierte er die Tür von innen, und nachdem er noch kurz mit einem Lächeln sein Werk betrachtet hatte, öffnete er das Fenster im Heck des Schiffes und kletterte nach draußen. Er ließ sich an den Händen vom Sims hängen, sodass seine Füße nur zehn Fuß über dem dunklen Wasser baumelten, dann streckte er die Zehen und ließ los. Er fiel senkrecht in die Tiefe, und als er eintauchte, erklang lediglich ein leises Platschen. Daraufhin stieß er sich von der Schiffshülle ab und schwamm unter Wasser zu der Stelle, wo er hoffte, Chen und das Fischerboot anzutreffen.

Nach der Hälfte der Strecke tauchte er auf und näherte sich mit schnellen Zügen dem Kahn. Chen und Tyrathan zogen ihn an Bord, und noch während er auf dem Boden lag, deutete er in die Richtung, aus der er gekommen war. „Seht ihr diese zwei Lichtpunkte …?“

Tyrathan legte einen Pfeil an und lächelte. „Jihui. Das Feuerschiff.“ Er spannte die Sehne und ließ los.

Der Pfeil verschwand in der Düsternis, und obwohl er Tyrathans Arm vertraute, kamen Vol’jin einen Moment lang doch Zweifel, aber dann hörte er ein Splittern, vermutlich, als das Geschoss eine Glasscheibe durchschlug. Tyrathan behauptete später jedoch, dass er sich das nur eingebildet hatte und dass der Pfeil durch das offene Fenster geflogen war.

Flüssiges Feuer spritzte durch die ferne Kabine, gefolgt von hell flackerndem Licht und dickem Rauch, als das Schießpulver sich mit einem gedämpften Knall entzündete. Vol’jin stellte sich vor, wie der Wachoffizier sich umdrehte und den Qualm hinter dem Heck aufsteigen sah. Entweder würde er Alarm geben oder kurzerhand von Bord springen – auf jeden Fall würde er aber nicht an den Rattenfänger unter Deck oder die anderen Trolle aus seiner Mannschaft denken.

Nun geriet der verschüttete Inhalt des Fasses in Brand, und die Pulverkammer flog in die Luft. Flammen schossen zwischen den Planken hervor, und hie und da sprengten sie ein paar Bretter aus dem Rumpf. Als Erstes fingen die Säcke Feuer, dann die Fässer. Die Folge war eine ganze Serie von Explosionen, die immer greller wurden und immer schneller aufeinanderfolgten, bis sie zu einem gewaltigen Grollen verschmolzen, das die Schiffswand auf der Steuerbordseite zerfetzte.

Das Schiff kippte heftig in Richtung der Anlegestelle und zermalmte den Steg, wobei einige Pfeiler den Rumpf durchbohrten. Die Explosionen setzten sich fort und wanderten in Richtung des Bugs, dann wurden die Abdeckungen vor den Kanonenluken nach außen gesprengt, und eines der Geschütze feuerte sogar durch die geborstene Hülle, bevor sie auf und durch den Steg stürzte.

Vol’jin malte sich aus, wie sie dabei den fliehenden Wachoffizier zerquetschte.

Als die Explosion anschließend eine Säule aus Feuer in den Himmel schleuderte, war das Schiff völlig zerstört und seine Masten nur noch schwarze Silhouetten, die hin und wieder durch die Flammen stachen. Kurz reckten sie sich noch den Sternen entgegen, dann kippten sie um. Ein Mast bohrte sich durch die Hülle eines zweiten Schiffes und spießte es auf, der andere zerbarst auf dem Dock.

Kanonen flogen durch die Luft, wobei die Rohre sich von den Lafetten lösten. Eines der Geschütze sauste wild trudelnd auf den Strand zu und mähte zwei Trolle nieder, bevor es in der Fassade eines Lagerhauses landete und sie zum Einsturz brachte.

Holztrümmer, größtenteils brennend, regneten in einem weiten Umkreis herab, auf die anderen Schiffe und die Dächer weiter entfernter Lagerhäuser. Die Funken schienen die verstreuten Sterne am Himmelszelt nachzuahmen, während ringsum Flammen züngelten, Kohlen glühten und die Silhouetten von Zandalari und Mogu in Panik umhereilten.

Bug und Heck des Schiffes versanken langsam im Meer, und die Welle, die sich von dort ausbreitete, trieb das kleine Boot auf seinem Weg zum Ozean weiter an. Chen legte beide Pfoten auf das Ruder und navigierte sie zwischen den brennenden Trümmern hindurch, während Tyrathan und Vol’jin das dreieckige Segel den Mast hinaufzogen.

Der Troll lächelte, als sie zu der Stelle segelten, wo Cuo auf sie wartete. „Gut geschoss’n.“

„Ein Pfeil, ein zerstörtes Schiff und ein verwundeter Hafen.“ Der Mensch schüttelte den Kopf. „Zum Glück ist Tyrathan Khort tot. Ganz gleich, wer diese Geschichte über ihn erzählen würde, niemand würde sie glauben.“

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