35 Dyelins Bedeutung

Sie wollen sicheres Geleit?«, fragte Elayne ungläubig. »Um Caemlyn zu betreten?« Draußen vor den Fenstern zuckten Blitze, gefolgt vom krachenden Donner. Heftiger Regen ging auf die Stadt nieder, ein wahrer Wolkenbruch. Die Sonne musste weit über dem Horizont stehen, aber die Lampen waren entzündet, um das Zwielicht zurückzudrängen.

Der schlanke junge Mann, der vor ihrem Stuhl mit der niedrigen Lehne stand, errötete vor Verlegenheit, aber er senkte den Blick nicht. Er war kaum älter als ein Junge, seine glatten Wangen waren vermutlich nur der Form halber rasiert und nicht, weil sie eine Klinge sehr oft brauchten. Hanselle Renshar, Arathelles Enkel, trug weder Schwert noch Rüstung, wie es sich gehörte, aber die Spuren des Harnischs waren deutlich auf seinem grünen Mantel zu sehen, eingedrückt durch das lange Tragen. Ein großer feuchter Fleck auf seiner linken Schulter zeigte, wo sein Umhang undicht gewesen war. Seltsam, die Dinge, die man in einem solchem Augenblick bemerkte. »Man hat mir aufgetragen, danach zu fragen, meine Lady«, sagte er mit standhafter Stimme.

Dyelin hatte die Arme unter der Brust verschränkt und grunzte mürrisch. Sie stand kurz davor, ihn böse anzusehen. Frau Harfor, wie immer prächtig anzuschauen in ihrem makellosen scharlachroten Wappenrock mit dem Weißen Löwen auf ihrem beeindruckenden Busen, schnaubte deutlich hörbar. Hanselle errötete erneut. Sie waren in Elaynes schlichtem Wohnzimmer, wo ein kleines Feuer im Marmorkamin den größten Teil der Morgenkühle wegnahm und das Lampenöl die Luft mit Rosenduft erfüllte. Sie wünschte sich, Birgitte wäre da gewesen. Der oberflächlichen Gereiztheit nach zu urteilen, die durch den Bund strömte, beschäftigte sie sich mit Berichten. Ihr Ärger war nicht groß genug, dass es etwas Dringendes sein konnte.

Die Ankunft Luans und der anderen vor der Stadt mit ihren sechzigtausend Waffenmännern hatte mehr als nur etwas Aufregung verursacht und spontane Feiern in den Straßen ausgelöst, als klar wurde, dass sie nicht in die von Jarid Sarand verlassenen Lager ziehen würden. Er hatte Männer aus anderen Häusern mitgenommen, die jetzt auf Elaynes Seite standen, obwohl sie das noch nicht wissen konnten. Allein das Licht wusste, welchen Ärger dieser verdammte Mann machen würde. Aber Hanselles Botschaft verlieh dem riesigen Lager nur eine Meile südlich von Niedercaemlyn eine neue Bedeutung. Wenn Arathelle, Luan und die anderen wussten, dass die Stadt mit Hilfe von Wegetoren aus Tear und Illian versorgt wurde, und bestimmt wusste das mittlerweile ganz Andor, waren sie vielleicht zu der Einsicht gekommen, dass eine Belagerung sinnlos war. Sicheres Geleit war eine Sache von Heeren im Feld. Vielleicht beabsichtigten sie, Caemlyns Aufgabe zu verlangen, um einen großen Angriff zu vermeiden. Die Unterstützungsproklamationen waren von Kusinen statt von Reitern befördert und angeschlagen worden, und zwar von Aringill bis zu den Minenstädten in den Verschleierten Bergen, oder würden es vielmehr bald sein, aber selbst wenn Sumeko und die anderen Kusinen sich beim Heilen verausgabten, würden die Waffenmänner von Caeren, Anshar und Baryn, die nicht von Jarid mitgenommen worden waren, ihre Streitkräfte nicht einmal annährend auf sechzigtausend Mann aufstocken. Kleine Gruppen Waffenmänner strömten nun in die Stadt, nachdem sich die Nachricht verbreitete, dass es sicher war, sich Caemlyn zu nähern, aber es waren nicht genug. Es mochte noch eine Woche oder länger dauern, bevor Gruppen in vernünftiger Größe erschienen. Jene, die aus Furcht vor Arymillas Heer die Stadt gemieden hatten. Das Ergebnis eines massiven Angriffs stand keinesfalls von vornherein fest — Männer auf einer Mauer hatten beträchtliche Vorteile gegenüber denen, die sie zu erklimmen suchten — aber bestenfalls würde es eine knappe Sache sein, und es bestand keine Aussicht auf baldige Hilfe. Dyelin hatte Danine Candraed im Westen noch einen Besuch abgestattet, aber die Frau zauderte noch immer. Elayne hatte neun Häuser, wo sie zehn brauchte, alles hing in der Schwebe, und Danine konnte sich verflucht noch mal nicht entscheiden, ob sie für oder gegen Trakand war.

»Warum wollen sie mit mir sprechen?« Es gelang ihr, Birg ittes Gereiztheit aus der Stimme zu halten. Birgittes und ihre eigene.

Hanselle errötete erneut. Das schien er schnell zu tun. Sollt en sie doch alle zu Asche verbrennen, sie hatten wahrhaftig einen Jungen geschickt! »Darüber hat man mich nicht informiert, meine Lady. Man hat mir einfach aufgetragen, nach sicherem Geleit zu fragen.« Er zögerte. »Ohne Zusicherung werden sie die Stadt nicht betreten, meine Lady.«

Sie erhob sich, ging zu ihrem Schreibtisch, nahm ein Blatt gutes, weißes Papier aus dem Papierkasten aus Rosenholz und tauchte eine Feder in das Kristalltintenfässchen mit der Silberfassung. Präzise Buchstaben flössen ohne ihren üblichen Schwung auf die Seite. Sie war knapp und punktgenau.

Lord Luan Norwelyn, Lady Arathelle Renshar, Lord Pelivar Coelan, Lady Aemlyn Carand, Lady Ellorien Traemane und Lord Abelle Pendar dürfen Caemlyn ohne Befürchtungen betreten und können versichert sein, dass sie und ihr Gefolge die Stadt zu jedem gewünschten Zeitpunkt wieder verlassen können. Ich werde sie heute Nachmittag zwanglos im Großen Saal empfangen, wie es ihrer Stellung entspricht. Wir müssen über die Grenzländer sprechen.

Elayne Trakand Tochter-Erbin von Andor Hohe Herrin von Haus Trakand Sie versuchte ruhig zu bleiben, aber die Stahlspitze grub sich bei den letzten Buchstaben in das Papier. Sicheres Geleit. Mit der Macht brannte sie eine Siegelkerze an, und ihre Hand zitterte, als sie goldgelben Lack auf die Seite tröpfelte. Sie deuteten an, dass sie versuchen würde, sie gewaltsam festzuhalten. Nein, sie deuteten es mehr als nur an! Im Grunde genommen sagten sie es! Sie drückte ihr Siegel, eine blühenden Lilie, in den Lack, als wollte sie versuchen, ihn durch die Tischplatte zu treiben.

»Hier«, sagte sie und gab dem jungen Mann das Blatt.

Ihre Stimme war eiskalt, und sie unternahm keine Bemühungen, sie freundlicher zu machen. »Wenn sie sich damit auch nicht sicherer fühlen, dann können sie ja versuchen, sich in Windeln zu hüllen.« Es donnerte zur Betonung.

Er errötete wieder, diesmal offensichtlich aus Wut, aber klugerweise beschränkte er sich darauf, sich zu bedanken, während er das Blatt zusammenfaltete. Er schob es sorgfältig in seinen Mantel, als Frau Harfor ihn hinausbegleitete. Sie würde ihn persönlich zu seinem Pferd bringen. Einem Boten von Adligen so mächtig wie Luan und den anderen musste man eine gewisse Ehre erweisen.

Plötzlich verwandelte sich Elaynes Wut in Niedergeschlag enheit. Sie hätte nicht einmal sagen können, weswegen sie traurig war. Ihre Stimmungen schienen sich oft grundlos zu verändern. Vielleicht wegen allen, die gestorben waren, und all jenen, die es noch würden. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht die Königin sein wollt, Dyelin? Luan und der ganze Haufen würden augenblicklich für Euch stimmen, und wenn ich für Euch stimme, werden sich jene, die für mich waren, mir anschließen. Verflucht noch mal, vermutlich würde sogar Danine für Euch stimmen.«

Dyelin setzte sich und richtete sorgfältig die blauen Röcke, bevor sie antwortete. »Ich bin mir völlig sicher. Mein eigenes Haus zu führen ist mir genug Arbeit, ohne noch ganz Andor hinzuzufügen. Davon abgesehen halte ich nichts davon, wenn der Thron ohne guten Grund die Häuser wechselt — wegen einer fehlenden Tochter-Erbin oder noch schlimmer, einer, die eine Närrin oder inkompetent, grausam oder gierig ist. Ihr seid nichts dergleichen. Kontinuität sorgt für Stabilität, und Stabilität bringt Wachstum.« Sie nickte; diese Formulierung gefiel ihr. »Sicher, wärt Ihr gestorben, bevor Ihr nach Caemlyn zurückgekehrt wärt und Euren Anspruch geltend gemacht hättet, hätte ich meinen eigenen angemeldet, aber es ist schlicht und ergreifend so, dass Ihr die bessere Herrscherin als ich sein werdet. Besser für Andor. Zum Teil liegt das an Eurer Verbindung mit dem Wiedergeborenen Drachen.« Dyelins erhobene Braue lud Elayne ein, diese Verbindung näher zu erläutern. »Aber größtenteils«, fuhr sie fort, als Elayne schwieg, »seid Ihr es selbst. Ich habe Euch aufwachsen gesehen, und als Ihr fünfzehn wart, da wusste ich, dass Ihr eine gute Königin sein werdet, vielleicht die beste, die Andor je hatte.«

Elaynes Wangen brannten, Tränen traten in ihre Augen.

Sollten ihre Stimmungsschwankungen doch zu Asche verbrennen! Aber sie wusste, dass sie diesmal nicht ihre Schwangerschaft dafür verantwortlich machen konnte. Ein Lob von Dyelin war wie ein Lob von ihrer Mutter; niemals widerstrebend gegeben, aber auch niemals, wenn sie nicht der Ansicht war, dass es verdient war.

Ihr Morgen war hektisch, dabei musste sie sich nur um Caemlyn und den Palast kümmern, statt um ganz Andor. Frau Harfor berichtete, dass alle Spione im Palast, die bestätigterweise für Arymilla und ihre Verbündeten gearbeitet hatten, ganz still und stumm geworden waren, so wie Mäuse, die fürchteten, von der Katze beobachtet zu werden.

»Wenigstens ist es jetzt sicher, sie fortzuschicken, meine Lady«, sagte Reene sehr zufrieden. Sie verabscheute Spione im Königlichen Palast mindestens genauso sehr wie Elayne, vielleicht sogar mehr. Die Tochter-Erbin oder die Königin mochten ja im Palast leben, aber in den Augen der Haushofmeisterin gehörte er ihr. »Sie alle.« Spione von anderen waren im Palast geblieben, damit niemand Verdacht hegte, Reene könnte Bescheid wissen.

»Behaltet sie und beobachtet sie weiter«, sagte Elayne. »Sie sind es, die am ehesten von anderen Geld nehmen, und wir kennen sie.« Einen bekannten Spion konnte man daran hindern, etwas zu erfahren, das er nicht erfahren sollte, und konnte dafür sorgen, dass er genau das mitbekam, was er sollte. Das Thema wechselte zu den Augen-und-Ohren der Ajahs, die Frau Harfor ebenfalls entdeckt hatte. Die Ajahs hatten kein Recht, sie auszuspionieren, und wenn sie sie gelegentlich mit falschen Informationen fütterte, würde es ihre eigene Dummheit sein, wenn sie danach handelten. Das konnte man nicht zu oft machen, oder die Gegenseite würde merken, dass man ihre Spione entdeckt hatte, aber bei Bedarf konnte man es machen.

»Wie Ihr wünscht, meine Lady. Die Welt hat sich verä ndert, oder?«

»Ich fürchte, das hat sie, Frau Harfor.«

Die rundliche Frau nickte traurig, dann kehrte sie schnell zum geschäftlichen Teil zurück. »Eines der Fenster im Großen Saal ist undicht, meine Lady. Wegen einer solchen Kleinigkeit hätte ich Euch nicht gestört, aber es ist ein Sprung im Glas, was bedeutet, dass wir einen…« Die Liste der Probleme, die Elaynes Zustimmung bedürften, der Papiere, die ihre Unterschrift brauchten, nahm ihren Lauf.

Meister Norry berichtete in seinem staubtrockenen Tonf all über Wagenladungen von Korn und Bohnen und Handelswaren und verkündete mit einiger Überraschung, dass die Zahl der Brandstiftungen konstant geblieben war. In dieser Nacht hatten siebzehn Gebäude gebrannt. Er war überzeugt gewesen, dass Arymillas Gefangennahme dem ein Ende machen würde, und es tat ihm leid, dass er sich da geirrt hatte. Er legte ihr Todesurteile mit den Namen Rhys a’Balaman und Aldred Gomaisen zur Unterschrift vor. Söldner, die die Seiten gewechselt hatten, konnten nichts anderes erwarten, solange ihre neuen Herren nicht siegreich waren. Evard Cordwyn war vor dem Tor gestorben, oder er wäre auch aufs Schafott gestiegen. Hafeen Bakuvun hatte ein Bittschreiben geschickt, in dem er um eine Belohnung für seine Handlung en am Far-Madding-Tor gebeten hatte, aber es fiel nicht schwer, das abzulehnen. Die Anwesenheit des Domani-Söldners und seiner Männer am Tor war möglicherweise entscheidend gewesen, bis Dyelin eintraf, aber sie hatten sich ihren Sold verdient und nichts anderes.

»Ich fürchte, die Gefangenen sind noch immer verschloss en«, sagte Norry und schob die abgelehnte Bittschrift zurück in seine Ledermappe. Er schien das Gefühl zu haben, dass, wenn er das nur schnell genug tat, es das Gleiche war, als hätte er sie nie hervorgezogen. »Ich meine die Aes-Sedai-Schattenfreunde. Und die anderen beiden. Sehr verschlossen, wenn man mal von den… äh… Schmähungen absieht. Mellar ist der Schlimmste von allen, schreit herum, was er mit den Frauen vorhat, die ihn gefangen genommen haben.« Deni hatte ihren Befehl wörtlich genommen; die Gardistinnen hatten Mellar übel verprügelt, ihn von Kopf bis Fuß in eine Masse aus Prellungen verwandelt. »Aber die Aes Sedai können auch sehr… äh… ausfallend sein. Wenn wir etwas Nützliches erfahren wollen, dann fürchte ich, müssen wir sie der Befragung unterziehen.«

»Bezeichnet sie nicht als Aes Sedai«, fauchte sie. »Aes Sedai« in Verbindung mit »Schattenfreund« zu hören, das drehte ihr den Magen um. »Diese Frauen haben jedes Recht verwirkt, Aes Sedai genannt zu werden.« Sie hatte ihnen die Großen Schlangenringe persönlich abgenommen und sie einschmelzen lassen. Das war Egwenes Vorrecht gewesen und nicht ihres, und möglicherweise würde man sie dafür rügen, aber sie hatte sich nicht beherrschen können. »Bittet die Lady Sylvase, uns ihren Sekretär auszuleihen.« Sie hatte keine eigenen Folterknechte, und Aviendha zufolge würde ein unerfahrener Fragesteller denjenigen, der der Befragung ergebnislos unterzogen wurde, vermutlich umbringen. Wann würde man ihrer Schwester einen Besuch erlauben? Beim Licht, sie vermisste Aviendha. »Ich vermute, er ist etwas anderes.« Ein Blitz erhellte die Fenster des Wohnzimmers, der folgende Donner ließ die Scheiben klirren.

Norry drückte die Fingerspitzen zusammen, hielt die Ledermappe gegen den tintenfleckigen Wappenrock gedrückt und runzelte ernst die Stirn. »Nur wenige Leute beschäftigen einen privaten Fragesteller, meine Lady. Es deutet auf… äh… eine dunkle Seite hin. Andererseits, soweit ich weiß, hat ihr Großvater jeden Mann fortgejagt, der ein Interesse an ihr zeigte, bis die Männer aufgehört haben, Interesse an ihr zu zeigen, und sie ist seit ihrer Volljährigkeit buchstäblich eine Gefangene gewesen. Das würde wohl jeden die Welt als einen finsteren Ort betrachten lassen. Möglicherweise ist sie nicht… äh… so vertrauenswürdig, wie Ihr wünschen mögt, meine Lady.«

»Glaubt Ihr, Ihr könnt einige ihrer Diener bestechen, für mich als Augen-und-Ohren zu arbeiten?« Wie leicht es doch fiel, diese Frage zu stellen. Spione waren genauso ein Teil ihrer Welt geworden wie Steinmetze oder Glaser.

»Das könnte machbar sein, meine Lady. In ein paar Tagen kann ich es mit Sicherheit sagen.« Einst wäre er entsetzt gewesen bei dem Gedanken, etwas mit Spionen zu tun zu haben. Anscheinend änderte sich irgendwann alles. Seine Hände fuhren über die Ledermappe, hätten sie beinahe geöffnet, um es dann doch nicht zu tun. »Ich fürchte, die Abwasserkanäle im südlichen Teil der Neustadt brauchen dringend unsere Aufmerksamkeit.«

Elayne seufzte. Nicht alles veränderte sich. Sollte man sie doch zu Asche verbrennen sobald sie ganz Andor regierte, würde sie vermutlich nur selten auch nur eine Stunde für sich allein haben. Was wollten Luan und die anderen bloß?

Der Vormittag war gerade zur Hälfte vorbei, da erschien Melfane Dawlish und ließ Elayne von Essande und Naris nackt ausziehen, damit sie auf einer gewaltigen Waage gewogen werden konnte, die die Hebamme mitgebracht hatte, ein tägliches Ritual. Die Messingwaagschale war dank des Lichts mit einer Decke ausgelegt! Die stämmige kleine Frau hörte mit einem hohlen Holzrohr ihr Herz ab, auf der Brust und auf dem Rücken, drückte ihre Lider hoch, um ihre Augen untersuchen zu können, und roch an ihrem Atem. Sie ließ Elayne Wasser lassen, dann hielt sie das Glas ins Licht einer Stehlampe, um es zu untersuchen. Sie roch sogar daran, tauchte einen Finger hinein und leckte daran! Ein weiteres tägliches Ritual. Elayne wandte den Blick ab und zog den blumenbestickten Seidenmorgenrock enger um sich, aber sie fröstelte dennoch. Diesmal bemerkte Melfane es.

»Veränderungen im Geschmack können mir Krankheiten verraten, meine Lady. Außerdem gibt es Schlimmeres. Mein Junge Jaem, der mir die Waage getragen hat, hat sich sein erstes Geld mit dem Ausmisten eines Stalls verdient. Er behauptete, alles, was er danach aß, schmeckte wie…« Ihr runder Bauch schüttelte sich vor Lachen. »Nun, Ihr könnt es Euch vorstellen, meine Lady« Elayne konnte es in der Tat, und sie war froh, dass sie nicht zur Übelkeit neigte. Trotzdem schauderte sie erneut. Essande erschien ziemlich beherrscht, sie hatte die Hände auf Taillenhöhe gefaltet und betrachtete ihre Nichte voller Zustimmung, aber Naris schien sich übergeben zu wollen. »Eine Schande, dass er mein Handwerk nicht erlernen kann, aber niemand würde von einem Mann Kräuter kaufen. Oder einen Mann als Hebamme beschäftigen.« Melfane lachte laut über diese absurde Vorstellung. »Will bei einem Waffenschmied in die Lehre gehen, ausgerechnet. Zu alt dafür, aber was soll man machen. Nun, Ihr denkt daran, Eurem Baby vorzulesen.« Sie zweifelte Elaynes Behauptung, einen Jungen und ein Mädchen zu bekommen, mehr als nur etwas an. Sie würde es auch nicht glauben, bevor sie die Herztöne hören konnte, und das würde noch ein paar Wochen dauern. »Und lasst Musikanten für es spielen. Es wird den Klang Eurer Stimme kennenlernen. Und Lesen und Musik mögen. Es hilft auch in anderer Hinsicht. Macht das Kind klüger.«

»Das sagt Ihr jedes Mal, Frau Dawlish«, sagte Elayne gereizt.

»Ich kann mir so etwas merken, wisst Ihr? Und ich tue es!«

Melfane lachte erneut, ein Zwinkern in den dunklen Augen. Sie nahm Elaynes Stimmungsschwankungen wie Regen und Donner. »Ihr wärt überrascht, wie viele nicht glauben, dass ein Baby im Mutterleib hören kann, aber ich sehe den Unterschied bei jenen, denen man vorgelesen hat, und bei allen anderen. Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich noch ein paar Worte mit meiner Tante wechsle, bevor ich gehe, meine Lady? Ich habe ihr einen Kuchen und eine Salbe für ihre Gelenke mitgebracht.« Essandes Gesicht rötete sich. Nun, jetzt, da ihre Lüge enthüllt worden war, würde sie eine Heilung akzeptieren, oder Elayne würde den Grund für ihre Weigerung erfahren.

Gegen Ende des Mittagessens brachte Elayne das Thema Luan und die anderen Birgitte gegenüber zur Sprache. Es war eine wunderbare Mahlzeit, und sie aß mit Heißhunger. Melfane hatte die Köche und jede andere Frau in Reichweite für die eintönige Kost gescholten, die man ihr verabreicht hatte. Heute gab es kleine Teichforellen, zur Perfektion gegrillt, mit weißem Schafskäse gefüllte Salatblätter, dicke Bohnen mit Piniennüssen und eine Apfeltorte. Es war auch deshalb wunderbar, weil nichts auch nur im Geringsten verdorben war. Zu trinken gab es guten schwarzen Tee mit Minze, die sie sich einen Augenblick lang versteifen ließ, bis sie begriff, dass es tatsächlich Minze war. Das Einzige, was Melfane verboten hatte, war Wein, ganz egal, wie sehr er mit Wasser verdünnt wurde. Sogar Birgitte hatte aufgehört, ihn zu trinken, obwohl es unmöglich erschien, dass er durch den Bund einen Einfluss haben konnte. Elayne sparte sich allerdings, darauf hinzuweisen. Birgitte hatte zu viel getrunken, um den Schmerz über den Verlust ihres Gaidals zu betäuben. Elayne verstand das, selbst wenn sie es nicht guthieß. Sie konnte sich nicht vorstellen, was sie tun würde, sollte Rand sterben.

»Ich weiß es nicht«, sagte Birgitte, nachdem sie das letzte Stück Kuchen heruntergeschlungen hatte. »Am wahrscheinlichsten ist doch, dass sie gekommen sind, um dich gegen die Grenzländer um Hilfe zu bitten. Nur eines steht verdammt noch mal mit Sicherheit fest, sie sind nicht gekommen, um dir ihre Stimme zu geben.«

»Ja, das dürfte wohl am wahrscheinlichsten sein, das glaube ich auch.« Elayne pickte mit einem angeleckten Finger Käsekrümel auf und schob sie sich in den Mund. Sie hätte noch einmal so viel essen können, aber Melfane hatte ihre Absicht verkündet, ihre Gewichtszunahme zu begrenzen. Gerade genug und nicht zu viel. Eine Kuh, die für den Markt gemästet wurde, fühlte sich vermutlich genauso. »Es sei denn, sie sind gekommen, um zu verlangen, dass ich Caemlyn aufgebe.«

»Oder das«, sagte Birgitte und klang beinahe fröhlich. Der Bund verriet, dass das genaue Gegenteil zutraf. »Aber wir haben noch immer Beobachtungsposten in den Türmen, und Julanya und Keraille arbeiten als Waschfrauen in ihrem Lager, also wissen wir, wenn sie sich auf die Stadt zubewegen, bevor der erste Mann aufbricht.«

Elayne wünschte sich, nicht so seufzen zu müssen. Sollte man sie doch zu Asche verbrennen, sie hatte Arymilla, Naean und Elenia unter Hausarrest, und es gefiel ihnen definitiv nicht, sich ein Bett teilen zu müssen — diese Vorstellung hätte sie nicht erfreuen dürfen, aber sie tat es trotzdem —, und sie hatte drei weitere Verbündete dazubekommen, auch wenn es nicht die verlässlichsten waren. Wenigstens waren sie jetzt untrennbar mit ihr verbunden. Sie hätte triumphieren müssen.

Am Nachmittag kleideten Essande und Sephanie sie in dunkles, an den Röcken smaragdgrün geschlitztes und auf der Brust, den Ärmeln und am Saum silbern besticktes Grün. Als Schmuck trug sie ihren Großen Schlangenring und eine prächtige Silbernadel, die den Umriss von Trakands Schlussstein zeigte und mit blauer Emaille überzogen war. Die Nadel machte sie trübsinnig. In ihrem Haus sagte man, dass Trakand der Schlussstein war, der Andor zusammenhielt. Bis jetzt hatte sie da keine gute Arbeit geleistet.

Sie und Birgitte wechselten sich darin ab, den Babys vorz ulesen. Natürlich aus Geschichtsbüchern; wenn Melfane Recht hatte, wollte sie sie keinen frivolen Erzählungen aussetz en. Es war zäher Lesestoff. Ein dicker Mann in Rot und Weiß spielte auf der Flöte, während eine Frau in Livree die zwölfsaitige Harfe spielte, und sie machten fröhliche Musik. Zumindest, wenn das Gewitterdonnern sie nicht übertönte. Barden wuchsen nicht auf Bäumen, und Birgitte hatte nur ungern jemanden von außerhalb des Palasts in Elaynes unmittelbare Nähe lassen wollen, aber Frau Harfor hatte einige erfahrene Musikanten gefunden, die sich um die Chance rissen, das Livree anzulegen. Die Bezahlung im Palast war beträchtlich besser als in einem Gemeinschaftsraum, und sie bekamen die Kleidung gestellt. Elayne dachte daran, einen Gaukler einzustellen, aber das ließ sie an Thom denken. Saß er im Trockenen? War er überhaupt noch am Leben? Da konnte sie nur beten. Mochte das Licht dafür sorgen. Bitte.

Frau Harfor trat ein und verkündete die Ankunft von Luan, Arathelle und den anderen, und Elayne setzte das Diadem der Tochter-Erbin auf, ein einfacher Goldreif, der über ihrer Stirn eine einzelne goldene, von Dornen umgebene Rose hielt. Caseille ging mit acht Gardistinnen hinter ihr, Birgitte und Essande her, nachdem sie die Gemächer verlassen hatten, und ihre Stiefel donnerten laut im Gleichschritt auf den Fliesen. Neun Gardistinnen waren gestorben, als man sie vor den Schattenfreunden gerettet hatte, und das schien die anderen nur noch mehr zusammengeschmolzen zu haben. Sie verliefen sich zweimal auf dem Weg zum Großen Saal, aber keiner kommentierte es auch nur mit einem Murmeln. Was waren schon sich verändernde Korridore, wenn man mit der Macht erzeugten Blitzen und Feuer gegenübergestanden hatte? Die hohen Flügeltüren des Großen Saals, auf beiden Seiten mit geschnitzten Löwen verziert, standen weit geöffnet, und Caseille ließ die Gardistinnen davor Aufstellung nehmen, während sie, Birgitte und Essande eintraten.

Die hohen Fenster in den Wänden waren dunkel vor Regen, solange kein Blitz aufleuchtete, aber die Spiegelkandelaber an den Wänden und um die weißen Säulen, die sich in Reihen an den Seiten des Gemachs entlangzogen, waren alle entzündet.

In dem großen Raum hallte ein regelmäßiges Tropfen wider, Wassertropfen, die in einen einfachen Holzeimer unter einem der bunten Deckenfenster zwanzig Schritte über ihnen fielen, wo an einem Sprung in einem der aufrecht stehenden Weißen Löwen sich Wasser sammelte, ganz in der Nähe von Schlachtenbildern und den Gesichtern von Andors frühesten Königinnen. Wie immer in diesem Saal spürte Elayne das Urteil dieser Frauen, als sie über die roten und weißen Fliesen schritt. Sie hatten Andor mit ihrem scharfen Verstand und dem Blut ihrer Söhne und Ehemänner aufgebaut, hatten mit einer Stadt angefangen und aus den Trümmern von Falkenflügels Imperium eine starke Nation geformt. Sie hatten das Recht, jede Frau zu beurteilen, die auf dem Löwenthron saß. Elayne vermutete, dass ihre Gesichter so platziert worden waren, damit jede Königin fühlte, wie ihre Handlungen von der Geschichte beurteilt wurden.

Der Thron selbst stand auf einer weißen Marmorplattform am anderen Ende des Raums, geschnitzt und vergoldet und in den Maßen für eine Frau gehalten, und doch war er mit seinen Löwenprankenbeinen massiv. Der Weiße Löwe, in einem Feld funkelnder Rubine aus Mondsteinen in der hohen Lehne gebildet, würde selbst den Kopf der größten Frau überragen, die auf dem Thron saß. Dyelin stand bereits am Fuß der Stufen des Podests und sah zu, wie Sylvase sich mit Conail und Catalyn unterhielt, während Branlet und Perival aufmerksam zuhörten. Perival fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und nickte. Ob wohl auch Dyelin Bedenken hatte, was Sylvase betraf? Lir und Karind standen ein Stück abseits vom Rest, und auch voneinander entfernt. Sie vermieden es, sich anzusehen. Sie waren Verbündete gegen Elayne gewesen, und sie würden nicht wollen, dass sie auf den Gedanken kam, dass sie es noch immer waren. Essande begab sich zu den Dienern und Dienerinnen in den Livreen der anderen acht Häuser, die sich um einen Tisch mit großen Silberkannen voller Wein und Tee versammelt hatten. Das bedeutete zwanglos in diesem Zusammenhang. Jeder von ihnen würde einen Diener mitbring en. Bei einem formellen Treffen hätte Elayne für die Bediensteten sorgen müssen, und im Großen Saal hätte sich jeder Adlige in Caemlyn gedrängt, und jeder Adlige aus dem Lager unterhalb von Caemlyn.

»Ellorien könnte provozieren, Elayne«, sagte Dyelin jetzt zum bestimmt fünften Mal, seit sie von der Bitte um sicheres Geleit gehört hatte. Ihr Gesicht war kühl und beherrscht, aber sie musste nervös sein. Sie glättete unnötigerweise ihre goldverzierten Röcke.

»Ich werde nicht zulassen, dass sie mich provoziert«, erwiderte Elayne. »Und auch sonst keiner. Ich meine Euch, Conail, und Euch, Lir.« Conail errötete so schnell wie Hanselle. Er war mit einem Söldner aneinandergeraten, von dem er geglaubt hatte, er hätte abfällig von Elayne gesprochen, und hatte den Mann um ein Haar getötet. Er hatte Glück gehabt, dass der andere zuerst seine Klinge gezogen hatte. Selbst Söldner verdienten Gerechtigkeit, und Andor war nicht Tear, wo Adlige Untertanen ohne Furcht vor Konsequenzen töten konnten. Nun, jedenfalls bevor Rand so viele ihrer Gesetze verändert hatte. Sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, warum Reiste er so viel durch die Gegend?

»Ich habe für Euch gestimmt, Elayne, und das bedeutet, dass ich mich immer vor Euch stellen werde«, sagte Lir glatt. Er sah jeden Fingerbreit wie ein selbstbewusster Höfling aus in der silberbestickten grünen Seide mit Haus Baryns silbernem Geflügelten Hammer am Kragen, aber er war etwas zu glatt. »Trotzdem werde ich mich beherrschen, ganz egal, was Ellorien sagt.« Im Bund flackerte kurz Verachtung auf. Weil Lir hatte demonstrieren wollen, wie loyal er zu Elayne stand, hatte er dreimal mit Söldnern gekämpft. In zwei Tagen. Der Mann hatte nach Kämpfen Ausschau halten müssen, um das zu schaffen.

»Wenn sie uns herausfordern will, warum sollten wir uns dann auf die Zunge beißen?«, wollte Catalyn wissen. Ihr rotes Kleid, das an Saum und auf den Ärmeln mit breiten Goldstreifen bestickt war, passte nicht gut zu ihrem Teint, vor allem dann nicht, wenn ihre Wangen vor Wut gerötet waren. Ihr Kinn war erhoben. Vielleicht trug sie die lange Emailleanstecknadel mit Haevins Blauem Bär da, wo sie ihn trug, damit sie gezwungen war, das Kinn in die Höhe zu halten und auf jeden herabzublicken. »Ich habe noch nie jemandem erlaubt, mich zu schubsen und ungeschoren zu gehen.«

»Ein Ochse reagiert auf den Stich und tut, was der Ochsenhirte will«, sagte Dyelin trocken. »Und genauso werdet ihr tun, was Ellorien will, wenn ihr auf sie hereinfallt.« Catalyns Wangen belieben gerötet, jetzt zweifellos vor Scham.

Reene Harfor erschien in der Tür. »Meine Ladys«, sagte sie laut, und ihre Stimme hallte durch den fast leeren Raum, »meine Lords.«

Das war zwanglos, wenn sich zwei Seiten trafen und keiner wusste, wie weit sie voneinander entfernt waren. Frau Harfor kündete die eingetroffenen Adligen streng nach der Reihenfolge ihres Ranges an, obwohl zwischen den versammelten Häusern kein großer Unterschied bestand. Luan Norwelyn, mit hartem Gesicht und mehr grauen Haaren, als Elayne in Erinnerung hatte; abgesehen von Norwelyns Silbernem Lachs war sein blauer Mantel schmucklos. Arathelle Renshar hatte ein faltiges Gesicht, und ihr braunes Haar wurde von grauen Strähnen durchzogen; sie trug ein rotes Reitgewand, das aufwändig mit goldenem Stickwerk verziert war sowie mit einer großen, rubinenbesetzten Anstecknadel, die die Drei Goldenen Hunde zeigte. Pelivar Coelan, hochgewachsen und schlank, sein dunkles Haar war geschwunden, bis er fast so aussah, als würde er sich den Kopf vorn rasieren wie ein Cairhiener; er trug silberbesticktes Blau mit verschlungenen roten Rosen auf dem Kragen, den Rosen von Coelan. Aemlyn Carand, mollig in grauer Seide mit den drei Goldenen Pfeilen auf den Ärmeln und so vielen auf der Brust, dass sie wie ein bebender Köcher aussah. Ellorien Traemane, nicht so dick, wie Elayne sie in Erinnerung hatte, aber noch immer hübsch in grün geschlitztem Blau, das auf den Ärmeln mit weißen Hirschen mit goldenen Geweihen verziert war, dem Weißen Hirsch von Traemane. Abelle Pendar, dessen ebenmäßiges Gesicht einen ernsten Ausdruck trug, in Dunkelgrau gekleidet mit den drei Goldenen Sternen auf dem Kragen. Sie gingen zusammen durch den Großen Saal, gefolgt von ihren Dienern, aber sie bildeten keine geeinte Gruppe. Ellorien und Abelle gingen mit Luan, Pelivar und Aemlyn mit Arathelle, zwei Schritte trennten die Gruppen. Aha. Sie hatten als Gruppe um sicheres Geleit gebeten, aber sie waren keine. Das machte die Forderung nach Kapitulation etwas weniger wahrscheinlich. Selbst bekannte Feinde konnten manchmal gemeinsam handeln. Reitröcke und Reithosen glitzerten feucht. Bei einem solchen Regen konnte nicht einmal der beste Umhang einen Reiter völlig trocken halten. Sie würden nicht bester Laune sein.

»Seid willkommen«, sagte sie zu ihnen, als sich ihre Dien er zu den anderen gesellten. »Nehmt ihr Wein oder Tee? Der Wein ist heiß und gewürzt. Für den Frühling scheint das ein winterlicher Tag zu sein.«

Luan öffnete den Mund, aber Ellorien ergriff als Erste das Wort. »Wenigstens sitzt Ihr nicht auf dem Thron.« Ihr Gesicht hätte aus Marmor gemeißelt sein können, und ihre Stimme war hart und kalt. »Ich hatte eigentlich damit gerechnet.« Am Himmel grollte der Donner.

Luan sah peinlich berührt aus. Arathelle verdrehte die Augen, als würde sie etwas hören, das sie schon zu oft gehört hatte. Lir rührte sich, aber Elayne fixierte ihn mit einem harten Blick, und er machte eine kleine, entschuldigende Verbeugung.

»Ich habe kein Recht, auf diesem Thron zu sitzen, Ellorien«, erwiderte sie ruhig. Beim Licht, hoffentlich spielten ihre Stimmungen jetzt nicht wieder verrückt. »Noch nicht.« Das hatte einen ungewollten Biss. Vielleicht war sie doch nicht so ruhig, wie sie es wünschte.

Ellorien lächelte hämisch. »Wenn Ihr darauf wartet, dass Danine Eure Zehn voll macht, dann könnt Ihr lange warten. Danine hat die letzte Thronfolge damit verbracht, ihre Herrenhäuser zu besuchen. Sie hat sich nie für jemanden erklärt.«

Elayne lächelte, aber es fiel schwer. Eine Thronfolge war, wenn ein Haus ein anderes auf dem Thron ablöste. »Ich nehme Tee.«

Ellorien blinzelte, aber es veranlasste die anderen, ihre Wünsche anzumelden. Nur Elayne, Birgitte, Branlet und Perival nahmen Tee. Jeder roch an seinem Gefäß, ob es silberne Weinbecher oder Porzellantassen waren, bevor er einen Schluck nahm. Elayne fühlte sich nicht beleidigt. Essen und Wein konnte in der Küche völlig in Ordnung sein und verdorben, wenn es auf den Tisch kam. Man konnte nicht vorhersehen, wann und ob etwas verdarb. Der Tee wies einen feinen Nachgeschmack von Ingwer auf, aber das reichte nicht aus, um den Geschmack eines guten, tremalkingschen Schwarzen zu übertönen.

»Wie ich sehe, habt Ihr Euch Eure Unterstützung größt enteils unter den Kindern und Arymillas Hinterlassenschaft geholt«, sagte Ellorien. Catalyn wurde so rot wie ihr Kleid, und Branlet nahm wütend die Schultern zurück, bis Perival ihm eine Hand auf den Arm legte und den Kopf schüttelte. Ein vernünftiger Junge, dieser Perival, und klüger, als sein Alter vermuten ließ. Lir schaffte es diesmal, sich zu beherrschen, aber Conail setzte zu einer scharfen Erwiderung an, bevor Elaynes strenger Blick ihn den Mund zuschnappen ließ. Karind erwiderte Elloriens gehässigen Blick stoisch. Karind war nicht besonders intelligent, aber sie brachte nur wenig aus der Ruhe.

»Ihr müsst einen Grund gehabt haben, um dieses Treffen zu bitten«, sagte Elayne. »Wenn es bloß darum ging, Beleidigungen auszutauschen…« Sie beendete den Satz nicht. Sie hatte ihre eigenen Gründe, dieses Treffen zu wünschen. Hätten sie sie gebeten, zu ihnen zu kommen, hätte sie es getan. Ohne um sicheres Geleit zu bitten. Sie fühlte Wut im Bund pulsieren und brachte die ihre fest unter Kontrolle. Birgitte sah Ellorien finster an. Wenn sie anfingen, sich gegenseitig aufzustacheln… Daran durfte sie gar nicht denken, nicht hier, nicht jetzt.

Ellorien öffnete erneut den Mund, und diesmal kam Luan ihr zuvor. »Wir sind gekommen, um einen Waffenstillstand zu erbitten, Elayne.« Ein Blitz zuckte auf und erhellte die nördlichen Fenster und die in der Decke, aber die Dauer bis zum Donner verriet, dass er ein ganzes Stück entfernt eingeschlagen war.

»Ein Waffenstillstand? Befinden wir uns im Krieg, Luan?

Hat jemand Anspruch auf den Thron erhoben, von dem ich nichts weiß?« Sechs Augenpaare richteten sich auf Dyelin, die bloß grunzten »Narren. Ich habe es euch immer wieder gesagt, und ihr wolltet mir nicht glauben. Als Sylvase, Karind und Lir die Proklamationen ihrer Unterstützung schickten, habe ich meine eigene losgeschickt. Taravin steht für Trakand, und das wird bald ganz Andor wissen.«

Ellorien errötete wütend und schaffte es, selbst das kalt aussehen zu lassen. Aemlyn nahm einen großen Schluck und sah nachdenklich aus. Arathelle zeigte einen Funken Enttäuschung, bevor ihre Miene wieder eine fast so harte Maske wie bei Ellorien wurde.

»Das ist ja schön und gut«, sagte Luan, »wir wollen trotzd em .. . wenn nicht einen Waffenstillstand, dann eine zeitweilige Übereinkunft.« Er trank einen kleinen Schluck Wein und schüttelte traurig den Kopf. »Selbst wenn wir alles sammeln, was wir haben, dürfte es uns schwerfallen, die Grenzländer zu besiegen, aber wenn wir nicht gemeinsam handeln, dann werden sie Andor unter sich aufteilen, sobald sie losschlagen. Ehrlich gesagt überrascht es mich, dass sie so lange an einem Ort geblieben sind. Selbst nach einem Tausend-Meilen-Marsch müssten ihre Männer nun ausgeruht sein.« Blitze erhellten die Südfenster, und der Donner krachte so laut, dass es den Anschein hatte, die Scheiben würden erzittern. Der war sehr nahe gewesen.

»Ich hätte selbst erwartet, dass sie mittlerweile in Murandy sind«, sagte Elayne. »Aber ich glaube, sie sitzen noch an dem einen Ort, weil sie Angst haben, einen Krieg auszulösen, sollt en sie Caemlyn zu nahe kommen. Sie scheinen zu versuchen, einen Weg nach Murandy über Landstraßen zu finden. Ihr wisst, in welchem Zustand die zu dieser Jahreszeit sind. Sie wollen keinen Krieg mit uns. Als ich ihnen die Erlaubnis gab, Andor zu durchqueren, haben sie mir gesagt, dass sie auf der Suche nach dem Wiedergeborenen Drachen sind.«

Ellorien stotterte; Eisstücke hätten aus ihrem Mund komm en müssen. »Als Ihr wast Ihr gebt damit an, dass Ihr kein Recht habt, auf dem Thron zu sitzen, jedenfalls noch nicht, und dann maßt Ihr Euch das Recht an…!«

»Das einer Aes Sedai, Ellorien.« Elayne hielt die rechte Hand hoch, damit sie den Großen Schlangenring an ihrem dritten Finger nicht übersehen konnten. Ihre Stimme klang trotz ihrer ganzen Bemühungen frostig. »Ich habe nicht als Tochter-Erbin gesprochen, nicht einmal als Hohe Herrin von Haus Trakand. Ich habe als Elayne Aes Sedai der Grünen Ajah gesprochen. Hätte ich das nicht getan, wären sie trotzdem gekommen. Ihnen mangelte es an Proviant und Futter. Hätte ich versucht, sie aufzuhalten, hätte irgendjemand versucht, sie aufzuhalten, dann hätte es Krieg gegeben. Sie sind entschlossen, den Wiedergeborenen Drachen zu finden. Es wäre ein Krieg gewesen, den Andor kaum hätte gewinnen können. Ihr sprecht davon, gemeinsam zu handeln, Luan? Sammelt ganz Andors Kräfte, und wir könnten fast ihrer Zahl entsprechen, aber zwei von drei unserer Männer würden Männer sein, die zwar mit einem Speer oder einer Hellbarde umgehen könnten, die aber die meisten ihrer Tage hinter einem Pflug verbringen. Jeder ihrer Männer ist ein lang gedienter Waffenmann, den es nicht überraschen würde, jeden Tag seines Lebens Trollocs entgegenzutreten. Statt einen Krieg zu führen, der Andor in Blut tränken und es für eine Generation verkrüppeln würde, durchqueren die Grenzländer unsere Nation friedlich. Ich habe sie beobachten lassen. Sie bezahlen für die Nahrungsmittel und das Futter, das sie brauchen, und sie zahlen gut.« Zu einem anderen Zeitpunkt und bei anderen Zuhörern hätte sie darüber gelacht. Andoranische Bauern würden versuchen, dem Dunklen König hohe Preise abzupressen. »Das Schlimmste, was sie getan haben, ist ein paar Pferdediebe auszupeitschen, und auch wenn sie sie dem Magistrat hätten übergeben sollen, kann ich es ihnen doch nicht zum Vorwurf machen. Und jetzt verratet mir, Ellorien: Was hättet Ihr anders gemacht, und wie?«

Ellorien blinzelte, mit eisiger Griesgrämigkeit, dann schnaubte sie verächtlich und trank von ihrem Wein.

»Und was plant Ihr für die Schwarze Burg?«, fragte Abelle leise. »Ich .. . ich vermute, Ihr habt auch für sie einen Plan?« Glaubte er, sie hätte andere Gründe gehabt, die Grenzländer Andor durchqueren zu lassen? Konnte er ruhig, solange er es nicht zur Sprache brachte. Solange er schwieg, schienen ihre Motive nur zu Andors Bestem zu sein. Das war Heuchelei, keine Frage, aber es war auch realistisch. Sie hatte die Wahrheit gesagt, was ihre anderen Beweggründe anging, aber hätte man das laut ausgesprochen, hätte sie das viel kosten können. Sie brauchte noch immer ein Haus, und es sah so aus, als müsste es Candraed sein, aber Danine würde sich nie bewegen, wenn sie glaubte, Elayne wollte sie dazu zwingen.

»Nichts«, sagte sie zu ihm. »Ich schicke regelmäßig Gard isten, die das Gelände der Schwarzen Burg abreiten und sie daran erinnern, dass sie Andor und seinen Gesetzen unterworfen sind, aber davon abgesehen kann ich nicht mehr tun, als wenn die Weiße Burg irgendwie nach Caemlyn versetzt werden würde.« Sie starrten sie einen langen Augenblick an.

»Pendar steht für Trakand«, sagte Abelle plötzlich, und dann sagte Luan: »Norwelyn steht für Trakand.« Blitze zuckten über den Himmel, erhellten die bunten Fenster in der Decke.

Elayne verhinderte mit einiger Anstrengung, dass sie schwankte. Birgittes Gesicht war unbewegt, aber der Bund übertrug Erstaunen. Es war vollbracht. Sie hatte elf, und der Thron gehörte ihr.

»Je mehr für sie stehen, desto besser ist es für Andor.« Dyelin klang selbst leicht benommen. »Steht mit mir für Trakand.«

Wieder trat eine Pause ein, diesmal nur länger, voller Blicke, die gewechselt wurden, aber dann verkündete einer nach dem anderen, Arathelle, Pelivar und Aemlyn, dass ihre Häuser für Trakand standen. Aber sie taten es für Dyelin. Daran würde Elayne immer denken müssen. Vielleicht konnte sie im Laufe der Zeit ihre Loyalität gewinnen, aber im Augenblick unterstützten sie sie um Dyelins willen.

»Sie hat den Thron«, sagte Ellorien, so kalt wie immer.

»Der Rest ist nur eine schöne Beigabe.«

Elayne bemühte sich um einen warmen Tonfall. »Wollt Ihr heute Abend mit uns essen, Ellorien? Bleibt doch wenigstens, bis der Regen nachlässt.«

»Ich habe meine eigenen Köche«, erwiderte Ellorien und setzte sich in Richtung Tür in Bewegung. Ihre Dienerin rannte herbei, um ihren Becher zu nehmen und zum Tisch zurückzubringen. »Sobald der Regen aufhört, breche ich nach Sheldyn auf. Ich bin zu lange fort gewesen.«

»Tarmon Gai’don kommt bald«, sagte Elayne. »Dann werd et Ihr nicht auf Euren Gütern bleiben können.«

Ellorien blieb stehen, sah zurück über die Schulter. »Wenn Tarmon Gai’don kommt, wird Traemane in die Letzte Schlacht reiten, und wir reiten hinter dem Löwen von Andor.« Donner krachte, als sie aus dem Großen Saal schritt, dicht gefolgt von ihrer Dienerin.

»Kommt ihr alle mit in meine Gemächer?«, fragte Elayne die anderen.

Hinter dem Löwen von Andor, aber kein Wort darüber, hinter Elayne Trakand zu reiten. Fast die Hälfte ihrer Unterstützung war auf die eine oder andere Weise wenig vertrauenswürdig, Jarid Sarand war noch immer mit einer nicht unbeträchtlichen Streitmacht im Land unterwegs, und irgendwann würde sie mit Ellorien Ärger bekommen. In Romanen funktionierte das immer anders. In Romanen wurde am Ende immer alles sauber aufgelöst. Das wahre Leben war viel… unordentlicher. Dennoch, endlich gehörte der Thron ihr. Da war noch die Krönung, aber das war jetzt eine Formalität. Als sie die Prozession aus dem Großen Saal führte, mit Luan und Pelivar plauderte, dröhnte der Donner am Himmel wie Kriegstrommeln, die den Marsch nach Tarmon Gai’don schlugen. Wie lange noch, bevor Andors Heere zur Letzten Schlacht marschieren mussten?

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