Drängt sie zurück!«, rief Elayne. Feuerherz wollte tänzeln, mit anderen Pferden und Frauen zu Fuß in die enge Straße mit dem Kopfsteinpflaster eingezwängt, aber sie beruhigte den schwarzen Wallach mit fester Hand. Birgitte hatte darauf bestanden, dass auch sie zurückblieb. Sie hatte darauf bestanden! Als wäre sie eine hirnlose Närrin! »Drängt sie zurück, verdammt!«
Keiner der Hunderte von Männern auf dem breiten Wehrgang der fünfzig Fuß hohen Stadtmauer aus weiß geädertem grauem Stein achtete auf sie. Es war zu bezweifeln, dass sie sie hörten. Übertönt von eigenen Rufen, Flüchen und Schreien, hallte das Klirren von Stahl durch die breite Straße, die zur Mittagszeit unter einem überraschenderweise wolkenlosen Himmel an der Mauer entlangführte, während diese Männer schwitzten und einander mit Schwert, Speer oder Hellebarde töteten. Das Handgemenge umfasste zweihundert Schritte Mauerlänge und drei der hohen Rundtürme, auf denen der Weiße Löwe von Andor flatterte, und bedrohte zwei weitere; allerdings schien noch alles sicher zu sein, wofür man dem Licht danken konnte. Männer stachen und hieben und stießen, und soweit sie sehen konnte, wich keiner auch nur einen Fuß Boden zurück oder gewährte das geringste Pardon. Rot gewandete Armbrustschützen auf den Türmen trugen ihren Anteil am Töten, aber eine Armbrust brauchte nach dem Abfeuern ihre Zeit zum Nachladen, und sie waren in diesem Fall ohnehin zu wenige, um der Flut Einhalt gebieten zu können. Sie waren die einzigen Gardisten dort oben. Der Rest waren Söldner. Bis auf Birgitte.
In dieser Nähe ließ der Bund Elayne ihre Behüterin mühelos finden. Ihr kompliziert geflochtener blonder Zopf schwang umher, während sie ihre Soldaten anfeuerte, mit dem Bogen in die Richtung zeigte, in der Verstärkung gebraucht wurde. Von allen auf der Mauer trug nur sie keine Rüstung; sie stand da in ihrem kurzen roten Mantel mit dem weißen Kragen und den locker sitzenden himmelblauen Hosen, die in die Stiefelschächte gestopft waren. Sie hatte darauf bestanden, dass Elayne einfaches Grau trug in der Hoffnung, kein Aufsehen zu erregen oder Bemühungen herauszufordern, sie gefangen zu nehmen oder zu töten — ein paar der Männer dort oben hatten Armbrüste oder Kurzbogen auf den Rücken geschlungen, und für die, die nicht in vorderster Reihe kämpften, war fünfzig Schritte ein einfacher Schuss —, aber die vier Goldknoten ihres Ranges auf der Schulter würden Birgitte zum Ziel eines jeden von Arymillas Männern mit Augen machen. Wenigstens steckte sie nicht mitten im Handgemenge, wenigstens…
Elayne stockte der Atem, als sich ein drahtiger Bursche mit einem Brustharnisch und einem konischen Helm mit dem Schwert auf Birgitte warf, aber die blonde Frau wich dem Stoß ruhig aus — der Bund hätte genauso gut verkünden können, dass sie einen Ausritt machte, das war alles! —, und ein Rückhandschlag mit dem Bogen traf den Kerl am Kopf und stieß ihn von der Wehrmauer. Er hatte noch Zeit für einen Schrei, bevor er mit einem widerlichen Klatschen auf das Pflaster aufschlug. Seine war nicht die einzige Leiche, die die Straße zierte. Birgitte behauptete, dass einem Männer nicht folgen würden, solange sie nicht wussten, ob man bereit war, sich den gleichen Gefahren und Entbehrungen wie sie selbst zu stellen, aber wenn sie sich wegen diesem männlichen Unsinn umbrachte…
Elayne wurde sich gar nicht bewusst, dass sie Feuerherz nach vorn drängte, bis Caseille nach der Trense griff. »Ich bin keine Närrin, Leutnant«, sagte sie eisig. »Ich habe keine Absicht, näher heranzugehen, bevor es… sicher ist.«
Die Arafelianerin riss die Hand zurück, und die Miene hinter den Gesichtsstangen ihres funkelnden konischen Helms wurde ausdruckslos. Sofort tat Elayne der Ausbruch Leid — Caseille tat nur ihre Arbeit —, aber sie verspürte auch kalten Zorn. Sie würde sich nicht entschuldigen. Scham stieg in ihr auf, als sie den kindischen Trotz ihrer eigenen Gedanken erkannte. Blut und verfluchte Asche, aber es gab Augenblicke, da hätte sie Rand für diese Babys in ihrem Bauch ohrfeigen können. Im Moment konnte sie sich nie sicher sein, in welche Richtung ihre Gefühle im nächsten Augenblick ausschlagen würden. Aber ausschlagen würden sie.
»Wenn das so ist, wenn man ein Kind bekommt«, sagte Aviendha und richtete das dunkle Schultertuch, das sie über die Arme gelegt hatte, »werde ich wohl niemals welche bekommen.« Der Sattel mit dem hohen Zwiesel schob ihre voluminösen Aielröcke hoch genug, um ihre bestrumpften Beine bis zu den Knien zu entblößen, aber diese Zurschaustellung bereitete ihr nicht das geringste Unbehagen. Solange die Stute still dastand, schien sie sich auf dem Pferd richtig wohl zu fühlen. Aber Mageen, was in der Alten Sprache Gänseblümchen bedeutete, war ein sanftes, ruhiges Tier, das zur Beleibtheit neigte. Glücklicherweise verstand Aviendha zu wenig von Pferden, um das zu erkennen.
Gedämpftes Lachen ließ Elayne den Kopf wenden. Die Frauen ihrer Leibwache — mit Caseille waren ihr an diesem Morgen alle einundzwanzig zugeteilt worden — mit ihren Helmen und Harnischen zeigten reglose Gesichter, viel zu reglos, zweifellos lachten sie innerlich, aber die vier Kusinen, die hinter ihnen standen, hielten die Hände vor den Mund und hatten die Köpfe zusammengesteckt. Alise, normalerweise eine Frau mit einem freundlichen Gesicht und grauen Strähnen im Haar, sah sie zu ihnen hinblicken — nun gut, sie starrte sie finster an —, und rollte demonstrativ mit den Augen, was die anderen erneut losprusten ließ. Caiden, eine mollige, hübsche Domani, musste so sehr lachen, dass sie sich an Kumiko festhalten musste, aber die stämmige grauhaarige Frau hatte selbst Probleme. Elayne verspürte einen Stich der Gereiztheit. Nicht wegen dem Gelächter — na gut, etwas — und bestimmt nicht auf die Kusinen gemünzt. Jedenfalls nicht viel. Sie waren unersetzlich.
Dieser Kampf auf der Mauer war keinesfalls Arymillas erster Angriff in den vergangenen Wochen. Tatsächlich nahm die Häufigkeit zu, an manchen Tagen gab es nun drei oder vier Attacken. Sie wusste nur zu gut, dass Elayne nicht genug Soldaten hatte, um sechs Meilen Mauer zu halten. Sollte sie doch zu Asche verbrennen, Elayne war sich nur zu bewusst, dass sie nicht einmal ausgebildete Männer an diesen Meilen aus Mauern und Türmen stationieren konnte. Unausgebildete Männer würden der Aufgabe nicht gewachsen sein. Arymilla musste nur genügend Männer über die Mauer bringen, um ein Tor zu erobern. Dann konnte sie die Schlacht in die Stadt tragen, wo Elayne truppenmäßig böse unterlegen war. Vielleicht würden sich ja die Bewohner auf ihre Seite schlagen, was nicht sicher war, aber das würde das Gemetzel nur verschlimmern, wenn Lehrburschen und Stallknechte und Händler gegen erfahrene Waffenmänner und Söldner antreten mussten. Wer auch immer danach auf dem Löwenthron saß — und das würde vermutlich nicht Elayne Trakand sein —, er würde rot besudelt vom Blut Caemlyns sein. Also hatte sie ihre sämtlichen Soldaten in die Innenstadt zurückgezogen, natürlich abgesehen von denen an den Toren und den Wachtposten auf den Türmen, in die Nähe des Königlichen Palastes. Dort hatte sie Männer mit Ferngläsern auf den höchsten Türmen postiert. Wann immer einer der Wachtposten einen sich formierenden Angriff meldete, erschufen zu einem Zirkel verknüpfte Kusinen Wegetore, um Soldaten an die Stelle zu transportieren. Natürlich nahmen die Frauen selbst nicht an den Kämpfen teil. Elayne hätte niemals gestattet, dass sie die Macht als Waffe benutzten, selbst wenn sie es angeboten hätten.
Bis jetzt hatte es funktioniert, auch wenn es manchmal auf Messers Schneide gestanden hatte. Das sich außerhalb der Stadtmauern befindliche Niedercaemlyn war ein Labyrinth aus Häusern, Geschäften, Gasthäusern und Lagerhäusern, das es Männern leicht machte, sich nahe heranzuschleichen, bevor man sie sah. Dreimal waren ihre Soldaten gezwungen gewesen, im Inneren der Stadtmauer zu kämpfen, und mussten zumindest einen Mauerturm zurückerobern. Das war eine blutige Arbeit gewesen. Sie hätte ja Niedercaemlyn niedergebrannt, um Arymillas Leuten die Deckung zu nehmen, aber ein Feuer hätte zu leicht auf die Stadt übergreifen und einen Feuersturm entfesseln können, ob es nun den Frühlingsregen gab oder nicht. Ohnehin kam es in jeder Nacht zu Brandstiftungen, und diese einzudämmen war schon schwer genug. Davon abgesehen waren die Häuser Niedercaemlyns trotz der Belagerung bewohnt, und sie wollte nicht als die Frau in die Geschichte eingehen, die die Häuser und Erwerbsquellen der Bewohner vernichtete.
Nein, was sie wirklich ärgerte, war, dass sie nicht schon früher daran gedacht hatte, die Kusinen auf diese Art einzusetzen. Hätte sie das getan, müsste sie sich nicht mehr mit dem Meervolk herumschlagen, ganz zu schweigen von dem Abkommen, das eine Quadratmeile von Andor aufgab. Beim Licht, eine Quadratmeile! Ihre Mutter hatte nicht einen Quadratzentimeter von Andor aufgegeben! Sollte man sie doch zu Asche verbrennen, die Belagerung ließ ihr nicht einmal Zeit, ihre Mutter zu betrauern. Oder Lini, ihre alte Amme. Rahvin hatte ihre Mutter ermordet, und vermutlich war Lini bei dem Versuch gestorben, sie zu beschützen. Weißhaarig und vom Alter abgemagert wäre Lini nicht einmal vor einem der Verlorenen zurückgewichen. Aber der Gedanke an Lini ließ sie die brüchige Stimme der alten Frau hören. Du kannst keinen Honig zurück in seine Wabe füllen, Kind. Was geschehen war, war geschehen, und sie musste damit leben.
»Das war's«, sagte Caseille. »Sie ziehen sich zu den Leitern zurück.« Es stimmte. Auf der ganzen Mauer stießen Elaynes Soldaten nach vorn, wichen Arymillas Männer zurück, kletterten durch die Lücken zwischen den Zinnen zu ihren Sturmleitern. Noch immer starben Männer auf den Wehrgängen, aber der Kampf endete.
Elayne überraschte sich selbst, indem sie die Fersen in Feuerherz' Flanken grub. Diesmal war keiner schnell genug, um sie aufzuhalten. Von Rufen verfolgt galoppierte sie quer über die Straße und sprang am Fundament des nächsten Turms aus dem Sattel, bevor der Wallach richtig zum Stehen gekommen war. Sie stieß die schwere Tür auf, raffte den Reitrock und raste die Stufen der Wendeltreppe hinauf, vorbei an großen Nischen, in denen dicht gedrängt stehende Gruppen von Männern in Rüstung ihr erstaunt nachstarrten. Diese Türme waren gebaut, um sich gegen Angreifer zur Wehr zu setzen, die sich den Weg nach unten in die Stadt freikämpfen wollten. Schließlich endeten die Stufen in einem großen Raum, auf dessen anderer Seite Stufen in entgegengesetzter Richtung weiter nach oben führten. Zwanzig Männer in nicht zueinander passenden Helmen und Harnischen saßen gemütlich an der Wand, spielten Würfel, unterhielten sich und lachten, als würden hinter den beiden mit Eisenriegeln versperrten Türen des Raumes keine Toten liegen. Sie hielten inne, um sie anzustarren, als sie auftauchte.
»Äh, meine Lady, ich würde das nicht tun«, sagte eine raue Stimme, als sie die Hände auf den einen Eisenriegel legte. Sie ignorierte den Mann, drehte den Riegel und stieß die Tür auf. Eine Hand griff nach ihrem Rock, aber sie riss sich los.
Auf der Mauer war keiner von Arymillas Männern mehr zu sehen. Jedenfalls keiner, der noch auf seinen Füßen stand. Dutzende Männer lagen auf dem blutbeschmierten Wehrgang, einige reglos, andere stöhnten. Es war nicht festzustellen, wer davon zu Arymilla gehörte, aber das Klirren von Stahl war verschwunden. Die meisten Söldner kümmerten sich um die Verwundeten oder kauerten einfach auf den Fersen, um nach Luft zu schnappen.
»Schüttelt sie runter und zieht die verdammten Leitern hoch!«, rief Birgitte. Sie schickte einen Pfeil in die Masse der Männer, die unterhalb der Mauer in die ungepflasterten Straßen Niedercaemlyns fliehen wollten, spannte den nächsten ein und schoss erneut. »Sollen sie neue bauen, wenn sie zurückkommen wollen!« Ein paar der Söldner beugten sich über die Zinnen, um zu gehorchen, aber es waren nur wenige.
»Ich habe doch gewusst, dass ich dich heute nicht hätte mitkommen lassen dürfen«, fuhr sie fort und verschoss noch immer Pfeile, so schnell sie sie einspannen und die Sehne nach hinten ziehen konnte. Armbrustbolzen von oben trafen ebenfalls die Flüchtenden, aber Lagerhäuser mit Ziegeldächern boten Schutz für jeden, der es bis in sie hinein schaffte.
Elayne brauchte einen Augenblick lang, bis ihr klar wurde, dass die letzte Bemerkung auf sie gemünzt gewesen war, und ihre Wangen röteten sich. »Und wie hättest du mich aufhalten wollen?«, verlangte sie zu wissen.
Birgitte senkte den Bogen, weil ihr Köcher leer war, und drehte sich mit finsterer Miene um. »Indem ich dich fessele und sie auf dich draufsitzen lasse«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf Aviendha, die aus dem Turm schritt. Der Schein Saidars umgab sie, dennoch hielt sie ihr Gürtelmesser mit dem Hirschhorngriff in der Faust. Caseille und der Rest der Gardistinnen quollen hinter ihr aus der Tür, mit gezückten Schwertern und grimmigen Gesichtern. Dass Elayne nichts geschehen war, veränderte ihren Ausdruck kein bisschen. Diese verfluchten Frauen waren unerträglich, wenn es darum ging, sie wie eine Glasvase zu behandeln, die schon zerbrach, wenn man mit dem Knöchel dagegenklopfte. Und jetzt würden sie noch schlimmer sein. Und sie würde es erdulden müssen.
»Ich hätte dich davon abgehalten«, murmelte Aviendha und rieb sich die Hüfte, »aber das blöde Pferd hat mich abgeworfen.« Das war bei einem so sanften Tier ziemlich unwahrscheinlich. Aviendha hatte es einfach geschafft herunterzufallen. Sie erkannte die Situation, schob das Messer schnell zurück in die Scheide und versuchte so zu tun, als hätte sie es nie gezogen. Auch das Licht Saidars verschwand.
»Ich war nicht in Gefahr.« Elayne versuchte ziemlich erfolglos, den giftigen Unterton aus ihrer Stimme herauszuhalten.
»Min sagt, ich werde meine Kinder zur Welt bringen, Schwester. Bis zu ihrer Geburt kann mir nichts geschehen.«
Aviendha nickte langsam und nachdenklich, aber Birgitte knurrte: »Mir wäre es lieber, du würdest ihre Vision nicht auf die Probe stellen. Geh zu viele Risiken ein, und du könntest sie als Lügnerin bloßstellen.« Das war albern. Min irrte sich nie. Ganz bestimmt nicht.
»Das war Aldin Miheres Kompanie«, sagte ein hochgewachsener Söldner mit einem rauen murandianischen Akzent, während er den Helm abnahm und ein schmales, verschwitztes Gesicht mit einem ergrauenden Schnurrbart enthüllte, dessen Enden gewachst waren. Er nannte sich Rhys a'Balaman, hatte Augen wie Steine und ein schmallippiges Lächeln, das immer wie ein lüsternes Grinsen wirkte. Er hatte ihrer Unterhaltung zugehört, und er sah Elayne ständig von der Seite an, während er mit Birgitte sprach. »Ich habe ihn erkannt, das habe ich. Guter Mann, dieser Miheres. Ich habe öfter an seiner Seite gekämpft, als ich zählen kann, das habe ich. Er hatte es fast bis zur Lagerhaustür geschafft, als Euer Pfeil ihn in den Nacken traf, Generalhauptmann. Eine Schande, das.«
Elayne runzelte die Stirn. »Er hat seine Wahl getroffen, genau wie Ihr, Hauptmann. Ihr könnt den Tod eines Freundes bedauern, aber ich hoffe, Ihr bereut Eure Entscheidung nicht.« Die meisten der Söldner, die sie aus der Stadt gewiesen hatten, hatten sich bei Arymilla verdingt, wenn nicht sogar alle. Im Augenblick bestand ihre größte Furcht darin, dass es der Frau gelingen würde, eine der noch in der Stadt befindlichen Kompanien zu bestechen. Keiner der Söldnerhauptmänner hatte etwas Derartiges berichtet, aber Frau Harfor sagte, dass erste Kontaktaufnahmen stattgefunden hatten. Einschließlich einer Kontaktaufnahme mit a'Balaman.
Der Murandianer widmete ihr eine förmliche Verbeugung und schwenkte den Umhang, den er nicht trug. »Oh, ich habe genauso oft gegen ihn gekämpft wie mit ihm, meine Lady. Wären wir uns an diesem schönen Tag begegnet, hätte ich ihn getötet oder er mich. Mehr ein Bekannter als ein Freund, müsst Ihr wissen. Und ich würde lieber Gold nehmen, um so eine Mauer zu verteidigen statt sie anzugreifen.«
»Wie ich sehe, tragen einige Eurer Männer Armbruste auf dem Rücken, Hauptmann, aber ich habe nicht gesehen, dass sie sie auch benutzt haben.«
»Das ist nicht die Art der Söldner«, sagte Birgitte trocken. Missmut strömte durch den Bund, aber es war unmöglich festzustellen, ob sie a'Balaman oder Elayne galt. Das Gefühl verschwand schnell. Birgitte hatte gelernt, ihre Gefühle zu beherrschen, nachdem sie entdeckt hatten, wie sie und Elayne ihre Emotionen durch den Bund spiegelten. Sicher wünschte sich ihre Behüterin, sie könnte das Gleiche tun, aber der Wunsch war gegenseitig.
A'Balaman legte den Helm auf die Hüfte. »Ihr müsst wissen, meine Lady, es ist folgendermaßen. Wenn man einen Mann zu hart bedrängt, wenn er das Schlachtfeld verlassen will, versucht, ihn niederzureiten oder dergleichen, nun, beim nächsten Mal, wenn man selbst versucht, das Schlachtfeld zu verlassen, dann könnte er den Gefallen erwidern. Wenn ein Mann das Feld verlässt, dann ist er ja schließlich kein Kämpfer mehr, oder?«
»Bis er morgen zurückkommt«, fauchte Elayne. »Beim nächsten Mal will ich sehen, dass diese Armbrüste eingesetzt werden!«
»Wie Ihr befehlt, meine Lady«, sagte a'Balaman steif und machte eine genauso steife Verbeugung. »Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt, ich muss nach meinen Männern sehen.« Er ging, ohne die Erlaubnis abzuwarten, und brüllte seine Männer an, ihre faulen Hintern zu bewegen.
»Wie weit kann man ihm vertrauen?«, fragte Elayne leise.
»So weit wie jedem Söldner«, erwiderte Birgitte genauso leise. »Falls ihm jemand genug Gold bietet, wird das ein Würfelspiel, und nicht einmal Mat Cauthon könnte sagen, wie die Würfel fallen.«
Das war eine sehr seltsame Bemerkung. Sie wünschte sich, sie wüsste, wie es Mat ging. Und dem guten Thom. Und dem armen kleinen Olver. Sie betete jede Nacht, dass sie den Seanchanern sicher entkommen waren. Aber es gab nichts, das sie tun konnte, um ihnen zu helfen. Sie hatte genug um die Ohren und musste erst einmal sich selbst helfen. »Wird er mir gehorchen? Mit den Armbrüsten?«
Birgitte schüttelte den Kopf, und Elayne seufzte. Es war schlecht, Befehle zu geben, die nicht befolgt werden würden. Es führte dazu, dass die Leute aus Gewohnheit nicht gehorchten.
Sie ging näher an Birgitte heran und flüsterte fast. »Du siehst müde aus, Birgitte.« Das ging fremde Ohren nichts an. Birgittes Gesicht war hager, die Augen lagen tief in den Höhlen. Das konnte jeder sehen, aber der Bund verriet, dass sie müde bis auf die Knochen war, jetzt schon seit Tagen. Andererseits fühlte Elayne die gleiche tief sitzende Erschöpfung, als wären ihre Glieder aus Blei. Ihr Bund spiegelte mehr als bloß Gefühle. »Du musst nicht jeden Gegenangriff selbst führen.«
»Und wer soll es tun?« Einen Augenblick lang schimmerte die Müdigkeit auch in Birgittes Stimme durch, und ihre Schultern sackten doch tatsächlich nach unten, aber sie richtete sich schnell wieder auf, und ihre Stimme wurde stärker. Es war reine Willenskraft. Elayne konnte es fühlen, in dem Bund, so hart wie Stein, so hart, dass sie am liebsten geweint hätte. »Meine Offiziere sind unerfahrene Jungen«, fuhr Birgitte fort, »oder Männer, die aus dem Ruhestand zurückgekehrt sind und ihre Knochen am Kamin ihrer Enkel wärmen sollten. Ausgenommen die Söldnerhauptmänner, und da ist keiner dabei, dem ich vertrauen kann, ohne ihm über die Schulter zu sehen. Was uns zu der Frage zurückbringt: wer außer mir?«
Elayne wollte widersprechen. Nicht was die Söldner betraf. Birgitte hatte erklärt, wie es sich mit ihnen verhielt, bitter und ausführlich. Manchmal würden Söldner so hart wie Gardisten kämpfen, aber bei anderen Gelegenheiten zogen sie sich lieber zurück, als zu große Verluste hinzunehmen. Weniger Männer bedeuteten bei ihrem nächsten Arbeitgeber auch weniger Gold, es sei denn, sie konnten durch genauso gute Männer ersetzt werden. Schlachten, die gewonnen werden hätten können, waren stattdessen verloren gegangen, weil die Söldner das Schlachtfeld verlassen hatten, um ihre Mannschaftszahl zu bewahren. Allerdings taten sie das nicht gern, solange andere außer ihresgleichen davon Zeugen wurden. Es schadete ihrem Ruf und senkte ihren Preis.
Aber es musste jemand anderen geben. Sie konnte es sich nicht leisten, dass Birgitte vor Erschöpfung umkippte. Beim Licht, sie wünschte sich, Gareth Bryne wäre da. Egwene brauchte ihn, aber sie auch. Sie öffnete den Mund, doch plötzlich donnerte es hinter ihr in der Stadt. Sie drehte sich um und schaute mit offen stehendem Mund zu.
Wo sich noch Augenblicke zuvor über der Innenstadt ein klarer Himmel erstreckt hatte, erhoben sich jetzt schwarze Wolken vom Ausmaß ganzer Gebirge, geäderte Blitze zerschlitzten eine graue Regenwand, die so massiv wie die Stadtmauern erschien. Die goldenen Kuppeln des Königlichen Palasts, die in der Sonne hätten funkeln sollen, waren hinter dieser Mauer nicht mehr zu sehen. Die Regenflut fiel nur über der Innenstadt. Überall sonst blieb der Himmel hell und wolkenlos. Das war nicht natürlich. Aber ihr Erstaunen dauerte nur Augenblicke. Diese silberblauen Blitze, die sich dreifach oder fünffach verästelten, schlugen in Caemlyn ein, richteten Schäden an und kosteten vielleicht sogar Leben. Wie hatten diese Wolken entstehen können? Sie griff nach Saidar, um sie aufzulösen. Die Wahre Quelle entglitt ihr. Es war wie der Versuch, eine Perle zu erwischen, die in einem Schmalztopf begraben war. Immer wenn sie glaubte, sie zu haben, entglitt sie ihr wieder. Das geschah im Moment viel zu häufig.
»Aviendha, würdest du dich bitte darum kümmern?«
»Natürlich«, erwiderte Aviendha und umarmte Saida r mühelos. Elayne unterdrückte ihre aufsteigende Eifersucht. Ihre Probleme waren allein Rands verdammte Schuld, nicht die ihrer Schwester. »Und danke. Ich brauche die Übung.«
Das stimmte nicht, ein Versuch, ihre Gefühle zu schonen. Aviendha fing an, Luft, Feuer, Wasser und Erde in komplexen Mustern zu verweben, und machte es beinahe so mühelos, wie sie selbst es geschafft hätte, wenn auch langsamer. Ihrer Schwester fehlten ihre Fertigkeiten mit dem Wetter, aber sie hatte auch nicht den Vorteil genossen, beim Meervolk zu lernen. Die Wolken verschwanden natürlich nicht einfach so. Zuerst verschmolzen die gespaltenen Blitze, wurden wieder zu nur einem Blitzschlag, dann nahm deren Häufigkeit ab, und schließlich hörten sie ganz auf. Das war der schwere Teil. Den Blitz zu rufen war, als würde man eine Feder zwischen den Fingern umherwirbeln lassen. Ihm Einhalt zu gebieten hingegen war mehr so, als würde man einen Amboss hochheben. Dann kam Bewegung in die Wolken, sie wurden dünner und heller. Auch das geschah langsam. Mit dem Wetter zu viel zu schnell zu machen konnte Auswirkungen haben, die das Land noch meilenweit heimsuchten, und man konnte nie vorhersagen, wie diese Auswirkungen aussahen. Wütende Stürme und Sturmfluten waren genauso wahrscheinlich wie sonnige Tage und sanfte Brisen. Als sich die Wolken weit genug ausgebreitet hatten, um bis zur Stadtmauer Caemlyns zu reichen, waren sie grau und entließen gleichmäßige Regenschauer, die Elaynes Locken schnell an ihren Kopf anklatschten.
»Reicht das?« Aviendha hob lächelnd das Gesicht, um sich den Regen über die Wangen fließen zu lassen. »Ich liebe es, Wasser vom Himmel fallen zu sehen.« Beim Licht, man sollte denken, sie hätte genug vom Regen. Seit Frühlingsbeginn hatte es fast jeden verdammten Tag geregnet!
»Es ist Zeit, in den Palast zurückzukehren, Elayne«, sagte Birgitte und verstaute ihre Bogensehne in der Manteltasche.
Sie hatte angefangen, die Sehne von ihrem Bogen zu lösen, sobald sich die Wolken in ihre Richtung bewegten. »Ein paar dieser Männer brauchen die Hilfe einer Schwester. Und mein letztes Frühstück scheint zwei Tage her zu sein.«
Elayne runzelte die Stirn. Im Bund lag eine Sorge, die ihr alles verriet, was sie wissen musste. Sie mussten in den Palast zurückkehren, um Elayne in ihrem zerbrechlichen Zustand aus dem Regen zu schaffen! Sonst könnte sie schrumpfen!
Plötzlich wurde sie sich des Stöhnens der Verwundeten bewusst, und ihre Wangen röteten sich. Diese Männer bra uchten die Hilfe einer Schwester. Selbst wenn sie Saida r hätte halten können, lagen ihre Verletzungen jenseits ihrer bescheidenen Möglichkeiten, und Aviendha war beim Heilen keinen Deut besser.
»Ja, es ist Zeit«, sagte sie. Hätte sie doch bloß ihre Gefühle unter Kontrolle bringen können! Das hätte auch Birgitte erfreut. Auch auf ihren Wangen zeichneten sich rote Flecken ab, Echos von Elaynes Scham. Sie boten einen merkwürdigen Gegensatz zu dem Stirnrunzeln, mit dem sie Elayne in den Turm drängte.
Feuerherz und Mageen und die anderen Pferde standen noch alle geduldig da, wo man ihre Zügel hatte fallen lassen, genau wie Elayne erwartet hatte. Selbst Mageen war gut abgerichtet. Sie hatten die Mauerstraße ganz für sich allein, bis Ahse und die anderen Kusinen aus der schmalen Seitenstraße kamen. Es waren weder Karren noch Wagen zu sehen. Jede Tür in Sicht war fest verriegelt, jedes Fenster verhüllt, obwohl sich möglicherweise niemand dahinter befand. Die meisten Leute hatten genug Verstand, um zu verschwinden, sobald sie das leiseste Anzeichen bemerkten, dass bald Hunderte von Männern in ihrer Nähe die Schwerter schwingen würden. Ein Vorhang bewegte sich; einen Augenblick lang war ein Frauengesicht zu sehen, dann verschwand es. Manche hatten auch ein abartiges Vergnügen am Zusehen.
Die vier Kusinen unterhielten sich leise miteinander und nahmen die Plätze ein, an denen sie mehrere Stunden zuvor ihr Wegetor geöffnet hatten. Sie betrachteten die Leichen auf der Straße und schüttelten die Köpfe, aber das waren nicht die ersten Toten, die sie in ihrem Leben zu sehen bekommen hatten. Nicht einer von ihnen hätte man erlaubt, sich der Prüfung zur Aufgenommenen zu unterziehen, und doch waren sie ruhig und selbstbewusst, trotz des Regens, der ihr Haar und ihre Kleidung durchnässte, so ehrwürdig wie jede Schwester. Es hatte die Zukunftsängste der Kusinen beschwichtigt, Egwenes Pläne zu erfahren, der Burg angeschlossen zu werden und einen Ort zu bieten, an dem sich Aes Sedai zur Ruhe setzen konnten. Vor allem nachdem sie herausgefunden hatten, dass ihr System der Regeln bleiben und die ehemaligen Aes Sedai sich ihm unterwerfen würden. Nicht alle glaubten daran — im vergangenen Monat waren sieben von ihnen einfach verschwunden, ohne auch nur eine Nachricht zu hinterlassen —, aber die meisten taten es und zogen Kraft aus diesem Glauben. Eine Aufgabe zu haben hatte ihnen wieder Stolz gegeben. Elayne hatte gar nicht erkannt, dass er einen Schlag abbekommen hatte, bis sie aufgehört hatten, sich als Flüchtlinge zu betrachten, die völlig von ihr abhängig waren. Sie gingen nun auch aufrechter. Die Sorge war aus ihren Gesichtern verschwunden. Und sie waren unglücklicherweise auch nicht mehr so schnell bereit, sich einer Schwester zu beugen. Obwohl dieser Prozess schon viel früher begonnen hatte. Einst hatten sie Aes Sedai allen anderen überlegen betrachtet, aber zu ihrer Bestürzung hatten sie erfahren müssen, dass die Stola keine Frau zu mehr machte, als sie auch ohne war.
Ahse betrachtete Elayne, schürzte die Lippen und richtete unnötigerweise ihre braunen Röcke. Sie hatte sich dagegen ausgesprochen, dass man Elayne erlaubte — erlaubte! — herzukommen. Und Birgitte hatte ihr beinahe nachgegeben! Alise war eine energische Frau. »Seid Ihr für uns bereit, Generalhauptmann?«
»Das sind wir«, erwiderte Elayne, aber Alise wartete erst Birgittes Nicken ab, bevor sie sich mit den anderen drei Kusinen zu einem Zirkel verknüpfte. Sie ignorierte Elayne nach dem einen Blick. Nynaeve hätte nie mit dem Versuch beginnen dürfen, ihnen »etwas Rückgrat einzubläuen«, wie sie es bezeichnet hatte. Wirklich nicht! Wenn sie Nynaeve in die Finger bekam, würde sie mit ihr ein paar ernste Worte wechseln.
Der vertraute vertikale Riss erschien und weitete sich zu einem Ausblick auf den Stallhof des Palasts, ein beinahe vier mal vier Schritte großes Loch in der Luft, aber der Blick durch die Öffnung auf den hohen Torbogen einer der weißen Marmorställe war etwas schief. Als sie auf die vom Regen überspülten Pflastersteine des Hofes ritt, sah sie auch den Grund dafür. Ein weiteres, etwas kleineres Wegetor stand geöffnet. Versuchte man ein Wegetor an einer Stelle zu öffnen, an der bereits eines existierte, wurde das eigene gerade weit genug verschoben, dass sich die beiden nicht berührten, obwohl der Abstand zwischen ihnen schmaler als eine Rasierklinge war. Eine Zweierreihe Männer schien aus der Außenmauer des Stallhofs zu reiten und bog ab, um durch das offene Eisentor den Hof zu verlassen. Einige von ihnen trugen glänzende Helme und Harnische oder Plattenrüstungen, aber jeder Mann hatte den roten Mantel der Königlichen Garde. Ein großer, breitschultriger Mann mit zwei goldenen Knoten auf der linken Mantelschulter stand mit in die Hüfte gestemmten Helm im Regen und schaute ihnen zu.
»Das ist ein Anblick für müde Augen«, murmelte Birgitte. Kleine Gruppen Kusinen suchten auf dem Land nach allen, die Elayne unterstützen wollten, aber das war eine Sache des Zufalls. Bis jetzt hatte sie zwar von Dutzenden Gruppen gehört, die einen Weg in die Stadt suchten, aber nur fünf Gruppen finden können, die zusammen weniger als tausend Mann ergaben. Es hatte sich herumgesprochen, wie viele Soldaten Arymilla um die Stadt herum zusammengezogen hatte, und Männer, die Trakand unterstützten, wollten nicht so ohne weiteres gefunden werden. Vor allem machten sie sie sich Sorgen, wer sie finden würde.
Als Elayne und die anderen auftauchten, kam sofort rot gekleidetes Stallpersonal mit dem Weißen Löwen auf den linken Schultern angelaufen. Ein dürrer Bursche mit schiefen Zähnen und einem weißen Haarschopf griff nach Feuerherz' Trense, während eine schlanke Frau mit grauem Haar Elaynes Steigbügel hielt, damit sie absteigen konnte.
Elayne ignorierte den Wolkenbruch und ging auf den großen Mann zu, ließ bei jedem Schritt Wasser aufspritzen. Das Haar hing ihm feucht ins Gesicht, aber sie konnte sehen, dass er jung war und seine mittleren Jahre noch nicht erreicht hatte.
»Das Licht leuchte auf Euch herab, Leutnant«, sagte sie.
»Euer Name? Wie viele Männer habt Ihr mitgebracht? Und von wo?« Durch die kleinere Öffnung war eine Reihe von Reitern zu sehen, die zwischen hohen Bäumen aus der Sicht verschwand. Wann immer ein Paar durch das Tor hindurchritt, erschien am anderen Ende der Reihe ein neues. Elayne hätte nicht geglaubt, dass es noch so viele Gardisten gab.
»Charlz Guybon, meine Königin«, erwiderte er, ließ sich auf ein Knie sinken und drückte die Hand im Panzerhandschuh auf die Steinfliesen. »Hauptmann Kindlin in Aringill gab mir die Erlaubnis zu dem Versuch, Caemlyn zu erreichen. Das war, nachdem wir erfuhren, dass Lady Naean und die anderen entkommen waren.«
Elayne lachte. »Steht auf, Mann, steht auf. Noch bin ich keine Königin.« Aringill? Dort waren nie so viele Gardisten stationiert gewesen.
»Wie Ihr wünscht, meine Lady«, sagte er, kam auf die Füße und machte eine Verbeugung, wie sie für die Tochter-Erbin eher angemessen war.
»Können wir darüber drinnen weitersprechen?«, fragte Birgitte gereizt. Guybon betrachtete ihren Mantel mit den goldenen Ärmelstreifen und den Rangknoten und entbot ihr einen Salut, den sie mit einem flüchtig über die Brust gelegten Arm erwiderte. Falls er überrascht war, eine Frau als Generalhauptmann zu sehen, war er klug genug, es sich nicht anmerken zu lassen. »Ich bin bis auf die Haut durchnässt, und du auch, Elayne.« Aviendha befand sich direkt hinter ihr. Sie hatte sich das Schultertuch um den Kopf gewunden und schien jetzt nicht mehr so begeistert vom Regen sein, wo ihr die weiße Bluse am Körper klebte und sich die dunklen Röcke mit Wasser vollgesogen hatten. Die Gardistinnen führten ihre Pferde auf einen der Ställe zu — mit Ausnahme der acht Frauen, die bei Elayne bleiben würden, bis ihre Ablösung eintraf. Guybon enthielt sich auch jeden Kommentars über sie. Ein sehr kluger Mann.
Elayne gestattete, bis zu der schlichten Kolonnade gedrängt zu werden, die Zugang zum Palast bot. Sogar hier umringten die Gardistinnen sie, vier vor ihr und vier hinter ihr, sodass sie sich wie eine Gefangene vorkam. Doch sobald sie aus dem Regen heraus war, spielte sie nicht länger mit. Sie wollte es wissen. Sie versuchte erneut, Saidar zu umarmen — mit der Macht war es eine Kleinigkeit, die Feuchtigkeit aus ihrer Kleidung zu entfernen —, aber die Quelle entschlüpfte ihr wieder. Aviendha kannte das Gewebe nicht, also mussten sie dort stehen und alles voll tropfen. Die schmucklosen Eisenkandelaber an den Wänden waren noch nicht entzündet, und durch den Regen war alles in ein Halbdunkel getaucht. Guybon kämmte sein Haar mit den Fingern halbwegs zurecht. Beim Licht, er war fast ein perfekter Mann! Seine haselnussbraunen Augen mit dem Grünton blickten müde, aber sein Gesicht schien zum Lächeln gemacht zu sein. Er sah nur aus, als hätte er zu lange nicht mehr gelächelt.
»Hauptmann Kindlin sagte, ich könnte versuchen, Männer aufzuspüren, die Gaebril entlassen hatte, meine Lady, und sie kamen herbeigeströmt, sobald ich es bekannt gab. Ihr wärt überrascht, wie viele ihre Uniformen für den Tag in eine Truhe gepackt hatten, an dem sie wieder gebraucht wurden. Und viele haben auch ihre Rüstung mitgenommen, was sie eigentlich nicht hätten tun dürfen, aber ich bin froh, dass sie es getan haben. Als ich von der Belagerung hörte, hatte ich schon die Befürchtung, zu lange gewartet zu haben.
Ich zog gerade in Betracht, mir den Weg zu einem der Stadttore freizukämpfen, als Frau Zigane und die anderen mich fanden.« Ein verwirrter Ausdruck trat in sein Gesicht. »Sie war sehr zornig, als ich sie Aes Sedai nannte, aber uns kann doch nur die Eine Macht hergebracht haben.«
»Das war es, und sie ist keine«, sagte Elayne ungeduldig.
»Wie viele, Mann?«
»Viertausendsiebenhundertzweiundsechzig Gardisten, meine Lady. Und ich bin einigen Lords und Ladys begegnet, die versuchen, Caemlyn mit ihren Waffenmännern zu erreichen. Keine Angst. Ich habe mich vergewissert, dass sie loyal zu Euch stehen, bevor ich zuließ, dass sie sich mir anschließen. Es ist keines der großen Häuser dabei, aber zusammen mit ihnen sind es fast zehntausend, meine Lady.« Er sagte es, als wäre das völlig unerheblich. In dem Stall stehen vierzig Pferde, die man reiten kann. Ich habe Euch zehntausend Soldaten gebracht.
Elayne lachte und klatschte entzückt in die Hände. »Wunderbar, Hauptmann Guybon! Wunderbar!« Arymilla war ihr noch immer überlegen, aber nicht mehr ganz so drastisch wie zuvor.
»Gardeleutnant, meine Lady. Ich bin Gardeleutnant.«
»Von diesem Augenblick an seid Ihr Hauptmann Guybon.«
»Und mein Stellvertreter«, fügte Birgitte hinzu, »jedenfalls für den Augenblick. Ihr habt Initiative bewiesen, Ihr seid alt genug, um Erfahrung zu haben, und ich brauche beides.«
Guybon schien überwältigt zu sein, er verbeugte sich und murmelte Dankesbezeugungen. Nun, ein Mann in seinem Alter musste für gewöhnlich noch zehn oder fünfzehn Jahre dienen, bevor man ihn für den Hauptmannsrang in Betracht zog, geschweige denn als Stellvertreter des Generalhauptmanns, ganz egal für wie kurze Zeit auch immer.
»Und jetzt wird es höchste Zeit, dass wir etwas Trockenes anziehen«, fuhr Birgitte fort. »Vor allem du, Elayne.« Der Behüterbund übermittelte eine unerschütterliche Entschlossenheit, die ahnen ließ, dass sie Elayne nötigenfalls auch einfach wegtragen würde, falls diese sich sträubte.
Elaynes Temperament flammte heiß und wütend hoch, aber sie bezwang es. Sie hatte die Zahl ihrer Soldaten beinahe verdoppelt, und sie würde sich diesen Tag durch nichts verderben lassen. Außerdem wollte auch sie etwas Trockenes anziehen.