16 Ein neuer Anhänger

Das Blaue Audienzgemach hatte seinen Namen von seiner Kuppeldecke mit dem aufgemalten Himmel und den weißen Wolken sowie dem blauen Boden, und es war der kleinste Audienzraum im Palast, kaum mehr als zehn Quadratschritt groß. Die Bogenfenster an der einen Wand blickten auf einen Hof hinaus und sorgten trotz des draußen fallenden Regens für genug Licht, aber trotz der beiden großen Marmorkamine, den Simsen mit Gipslöwen und den zwei die Tür flankierdenden Wandbehängen mit dem Weißen Löwen hätte es eine Delegation von Caemlyns Kaufleuten entrüstet, im Blauen Gemach empfangen zu werden, und eine Delegation Bankiers wäre sogar außer sich vor Wut gewesen. Vermutlich hatte Frau Harfor die Söldner aus genau diesem Grund dort untergebracht, obwohl sie nicht wissen würden, dass man sie gerade beleidigte. Sie war selbst anwesend und »überwachte« die beiden jungen Dienerinnen in Livree, die die Weinbecher aus hohen Silberkannen auf einem Tablett auf einer schmucklosen Anrichte immer wieder nachfüllten, aber sie drückte die verzierte Ledermappe mit ihren Berichten an den Busen, als würde sie davon ausgehen, dass man sich der Söldner schnell entledigen würde.

Halwin Norry, dessen Strähnen weißen, hinter den Ohren abstehenden Haares wie immer ein paar Federn glichen, stand in einer Ecke, ebenfalls seine Ledermappe an die dürre Brust gedrückt. Ihre Berichte waren ein fester Bestandteil des Tages, und in letzter Zeit konnten nur wenige von ihnen das Herz erfreuen. Ganz im Gegenteil.

Von den beiden Gardistinnen vorgewarnt, die den Raum vor ihrem Eintreten überprüft hatten, stand jeder auf den Füßen, als Elayne begleitet von zwei weiteren Leibwächterinnen durch die Tür trat. Deni Colford, die den Befehl über die Abteilung der Gardistinnen hatte, die Devore und ihre Frauen abgelöst hatten, hatte einfach Elaynes Befehl ignoriert, mit den anderen draußen auf sie zu warten. Sie hatten sie ignoriert! Sicher boten sie ein beeindruckendes Schauspiel, wie sie so stolz hineinmarschierten, aber sie konnte nicht verhindern, mit den Zähnen zu knirschen.

Careane und Sareitha, ganz formell mit ihren befransten Stolen, neigten respektvoll leicht die Knöpfe, aber Mellar riss sich den federgeschmückten Hut zu einer geschmeidigen Verbeugung herunter, die eine Hand auf die spitzengesäumte Schärpe quer über seinem auf Hochglanz polierten Harnisch gelegt. Die sechs goldenen Knoten, die auf den Harnisch gelötet waren, drei auf jeder Schulter, ärgerten sie, aber im Augenblick musste sie sie akzeptieren. Sein scharfkantiges Gesicht schenkte ihr ein Lächeln, das viel zu warmherzig war, aber so kalt sie sich ihm gegenüber auch verhielt, er glaubte noch immer, bei ihr Chancen zu haben, nur weil sie che Gerüchte nicht aus der Welt geschafft hatte, sie würde seine Kinder austragen. Der ursprüngliche Grund, warum sie diese schmutzige Geschichte geduldet hatte, bestand nicht mehr — sie musste ihre Kinder, Rands Kinder, nicht länger auf diese Weise beschützen —, und doch ließ sie sie weiter im Umlauf. Man musste dem Mann nur Zeit geben, und er würde sich seine eigene Henkersschlinge knüpfen. Und wenn nicht, dann würde sie sie für ihn knüpfen.

Die Söldner, die alle in ihren mittleren Jahren waren, folgten Mellars Beispiel nur einen Herzschlag später, aber ihre Ehrerbietungen waren nicht ganz so aufwändig. Evard Cordwyn war ein hochgewachsener Andoraner mit einem kantigen Kinn, der einen großen Rubin am linken Ohr trug. Aldred Gomaisen war klein und schlank; der Vorderteil seines Kopfes war rasiert, und die horizontalen roten und grünen und blauen Streifen, die die Hälfte seiner Brust bedeckten, schienen weitaus mehr zu sein, als ihm vermutlich in seinem heimatlichen Cairhien zustand. Hafeen Bakuvun bekam langsam graue Haare und wies einen dicken Goldring im linken Ohr auf und hatte an jedem Finger einen Edelsteinring. Der Domani war sehr stämmig, aber die Art, wie er sich bewegte, kündete von harten Muskeln unter all dem Fett.

»Warten keine Pflichten auf Euch, Hauptmann Mellar?«, sagte Elayne kühl und setzte sich auf einen der wenigen Stühle in dem Raum. Es gab nur fünf von ihnen, ihre hohen Rücken- und Armlehnen wiesen schlichtes Schnitzwerk mit Blättern und Schlingpflanzen auf und ließen jede Vergoldung vermissen. Die Stühle standen in einer weit gefächerten Reihe vor den Fenstern und sorgten dafür, dass jeder, der sich auf sie setzte, das Licht im Rücken hatte. An einem hellen Tag mussten die Audienzempfänger in den grellen Schein blinzeln. Leider gab es diesen Vorteil heute nicht. Die beiden Gardistinnen nahmen seitlich hinter ihr ihre Positionen ein, jede mit der Hand auf dem Schwertgriff, und sie beobachteten die Söldner mit so grimmigen Mienen, dass Bakuvun lächeln musste und Gomaisen sich das Kinn rieb, um ein verschmitztes Lächeln zu verbergen. Die Frauen ließen sich nicht anmerken, ob sie beleidigt waren; sie kannten die Gründe für ihre Uniformen. Elayne wusste, dass sie jedes Grinsen sehr schnell wegwischen würden, wenn sie ihre Klingen ziehen mussten.

»Meine erste und wichtigste Pflicht besteht darin, Euch zu beschützen, meine Lady.« Mellar lockerte das Schwert in der Scheide und warf den Söldnern einen Blick zu, als würde er warten, dass sie sie angriffen. Oder ihn. Gomaisen sah grimmig amüsiert aus, und Bakuvun lachte laut. Alle drei Männer trugen leere Scheiden, Cordwyn zwei auf dem Rücken; kein Söldner durfte den Palast auch nur mit einem Dolch betreten.

»Ich weiß, dass Ihr andere Pflichten habt«, sagte sie ganz ruhig, »weil ich sie Euch aufgetragen habe, Hauptmann. Die Ausbildung der Männer, die ich vom Land geholt habe. Ihr verbringt nicht so viel Zeit mit ihnen, wie ich erwartet habe.

Ihr habt eine Kompanie auszubilden, Hauptmann.« Eine Kompanie alter Männer und Jungen, und das reichte sicherlich aus, um seine Stunden auszufüllen. Er verbrachte wenig genug Zeit mit ihren Leibwächterinnen, obwohl er sie befehligte. Aber das war auch ganz gut so. Er kniff gern in Hintern. »Ich schlage vor, Ihr kümmert Euch um sie. Jetzt.«

Wut flackerte in Meilars schmalem Gesicht auf — er zitterte förmlich am ganzen Leib! —, aber er bekam sich sofort wieder unter Kontrolle. Sie war so schnell verschwunden, dass sie fast glaubte, sie sich nur eingebildet zu haben. Aber sie wusste, dass das nicht der Fall war. »Wie Ihr befehlt, meine Lady«, sagte er aalglatt. Auch sein Lächeln war ölig.

»Es ist meine Ehre, Euch gut zu dienen.« Nach einer weiteren anmutigen Verbeugung ging er zur Tür. Nur wenig konnte Doilin Mellars Benehmen lange beeinträchtigen.

Bakuvun lachte erneut. »Der Mann trägt mittlerweile so viel Spitze, ich schwöre, ich rechne fest damit, dass er uns anbietet, uns im Tanz zu unterrichten, und jetzt tanzt er tatsächlich.« Auch der Cairhiener lachte jetzt, ein hässlicher, gutturaler Laut.

Mellars Rücken versteifte sich, und sein Schritt geriet ins Zögern, wurde dann aber so schnell, dass er in der Tür gegen Birgitte stieß. Ohne sich zu entschuldigen, eilte er weiter, und sie blickte ihm stirnrunzelnd nach — der Bund verriet Ärger, der schnell unterdrückt wurde, und Ungeduld, die es nicht wurde —, bevor sie die Tür hinter sich schloss und sich neben Elaynes Stuhl stellte, wo sie eine Hand auf die Rückenlehne legte. Ihr dicker Zopf war nicht so ordentlich geflochten wie sonst, wenn sie ihn zum Trocknen geöffnet hatte, aber die Uniform des Generalhauptmanns stand ihr. In den Stiefeln überragte sie Gomaisen, und sie hatte eine gebieterische Ausstrahlung, wenn sie es darauf anlegte. Die Söldner entrichteten ihr eine kleine Verbeugung, respektvoll, aber keineswegs unterwürfig. Welche Einwände sie auch immer anfangs gegen sie gehabt haben mochten, nur wenige von denen, die sie bei der Arbeit mit dem Bogen beobachtet oder gesehen hatten, wie sie sich dem Feind stellte, hegten sie immer noch.

»Ihr sprecht, als würdet Ihr Hauptmann Mellar kennen, Hauptmann Bakuvun.« Elayne legte nur einen Hauch von Neugier in ihren Tonfall. Birgitte versuchte Zuversicht in den Bund zu legen, damit er ihrer Miene entsprach, aber es schlichen sich wieder Misstrauen und Sorge hinein. Und eine allgegenwärtige Müdigkeit. Elayne spannte die Kiefermuskeln an, um gegen ein Gähnen anzukämpfen. Birgitte musste sich ausruhen.

»Ich bin ihm ein paar Mal zuvor begegnet, meine Lady«, erwiderte der Domani vorsichtig. »Nicht mehr als höchstens dreimal, würde ich sagen. Ja, bestimmt nicht öfters.« Er legte den Kopf schief und betrachtete sie beinahe von der Seite.

»Euch ist bekannt, dass er sich in der Vergangenheit in meinem Handwerk betätigt hat?«

»Er hat nicht versucht, diese Tatsache zu verbergen, Hauptmann«, sagte sie, als würde sie das Thema langweilen. Hätte er etwas Interessantes angedeutet, hätte sie vielleicht dafür gesorgt, ihn allein zu sprechen, aber eine nachdrückliche Befragung war das Risiko nicht wert, dass Mellar entdeckte, dass Fragen gestellt wurden. Möglicherweise ergriff er dann die Flucht, bevor sie erfahren konnte, was sie wissen wollte.

»Brauchen wir die Aes Sedai wirklich, meine Lady?«, fragte Bakuvun. »Die anderen Aes Sedai«, fügte er nach einem Blick auf ihren Großen Schlangenring hinzu. Er streckte den Silberbecher aus, und eine der Dienerinnen schoss heran, um nachzuschenken. Beide waren hübsche Frauen, vielleicht nicht die beste Wahl, aber Reene stand nicht viel Auswahl zur Verfügung; die meisten Dienerinnen waren entweder blutjung oder alt und nicht mehr so flink, wie sie einst waren. »Die ganze Zeit, die wir hier sind, haben sie nichts anderes getan, als uns Ehrfurcht vor der Macht und dem Arm der Weißen Burg einflößen zu wollen. Ich respektiere die Aes Sedai so sehr wie jeder andere Mann auch, ja, das tue ich in der Tat, aber wenn Ihr mir verzeihen wollt, es wird ermüdend, wenn sie versuchen, einen Mann einzuschüchtern. Ich schwöre, das wird es, meine Lady.«

»Ein weiser Mann hat stets Ehrfurcht vor der Burg«, sagte Sareitha ruhig und richtete die Stola mit den braunen Fransen, möglicherweise um Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Ihr dunkelhäutiges, rechteckiges Gesicht ließ die Alterslosigkeit noch vermissen, und sie gab zu, dass sie sich danach sehnte.

»Nur Narren verspüren keine Ehrfurcht vor der Burg«, schloss sich Careane Sareitha unverzüglich an. Die Grüne war eine große Frau, mit Schultern so breit wie die der meisten Männer, und brauchte keine Gesten. Ihr kupferfarbenes Gesicht verkündete genau wie der Ring an ihrem rechten Zeigefinger jedem, der wusste, wonach er Ausschau halten musste, was sie war.

»Wie ich gehört habe«, sagte Gomaisen dunkel, »wird Tar Valon belagert. Mir wurde berichtet, dass die Weiße Burg gespalten ist und zwei Amyrlins hat. Ich habe sogar gehört, dass die Burg selbst von den Schwarzen Ajah gehalten wird.« Er war ein tapferer Mann, um dieses Gerücht gegenüber Aes Sedai zu erwähnen, aber er zuckte dennoch zusammen, als er es sagte. Zuckte zusammen und fuhr sofort fort. »Wovor sollen wir Eurer Ansicht nach also Ehrfurcht empfinden?«

»Glaubt nicht alles, was Ihr hört, Hauptmann Gomaisen.«

Sareithas Stimme war gelassen, eine Frau, die eine unwiderrufliche Tatsache verkündete. »Die Wahrheit hat mehr Nuancen, als Ihr vielleicht glaubt, und Entfernung verzerrt die Wahrheit oft in etwas, das sich sehr von den Fakten unterscheidet. Allerdings ist es sehr gefährlich, Lügen über Schwestern als Schattenfreunde zu wiederholen.«

»Ihr solltet eines glauben«, fügte Careane genauso ruhig hinzu. »Die Weiße Burg ist die Weiße Burg, jetzt und in alle Ewigkeit. Und Ihr steht vor drei Aes Sedai. Ihr solltet Eure Worte sorgfältig wählen, Hauptmann.«

Gomaisen rieb sich mit dem Handrücken über den Mund, aber in seinem Blick lag Trotz. Ein heimgesuchter Trotz. »Ich wiederhole nur das, was man auf jeder Straße hören kann«, murmelte er.

»Sind wir hier, um über die Weiße Burg zu reden?«, sagte Cordwyn mit einem Stirnrunzeln. Er leerte den Becher, bevor er fortfuhr, als würde ihm das Thema Unbehagen bereiten. Wie viel hatte er bereits getrunken? Er schien etwas unsicher auf den Beinen zu sein, und seine Worte klangen eine Spur undeutlich. »Die Burg ist Hunderte von Meilen weit weg, und was dort passiert, ist nicht unsere Sache.«

»Das stimmt, Freund«, sagte Bakuvun. »Das stimmt.

Unsere Sache sind Schwerter, Schwerter und Blut. Was uns zu dem unerfreulichen Thema Gold bringt, meine Lady.« Er wackelte mit den dicken, juwelengeschmückten Fingern.

»Wir verlieren jeden Tag Männer, einen Tag nach dem anderen, ohne dass ein Ende in Sicht ist, und in der Stadt kann man nur wenig vernünftigen Ersatz finden.«

»Überhaupt keinen, wie ich herausgefunden habe«, murmelte Cordwyn und musterte die junge Dienerin, die ihm nachschenkte. Seine Aufmerksamkeit ließ sie erröten, und sie erledigte ihre Aufgabe schnell und vergoss Wein auf den Boden, was Frau Harfor die Stirn runzeln ließ. »Die, die in Frage kommen würden, schreiben sich alle bei der Königlichen Garde ein.« Das stimmte; jeden Tag schien es mehr Dienstverpflichtungen zu geben. Die Königliche Garde würde eine Furcht einflößende Streitmacht werden. Irgendwann. Unglücklicherweise war die große Mehrheit dieser Männer noch Monate davon entfernt, ein Schwert schwingen zu können, ohne sich dabei selbst in den Fuß zu stechen, ganz davon zu schweigen, in einer Schlacht von Nutzen zu sein.

»Wie Ihr sagt, mein Freund«, murmelte Bakuvun. »Wie Ihr sagt.« Er schenkte Elayne ein breites Lächeln. Vielleicht sollte es freundlich sein, vielleicht auch vernünftig, aber es erinnerte sie an einen Mann, der ihr ein Schwein in einem Sack verkaufen wollte. »Selbst wenn wir hier fertig sind, wird es nicht einfach sein, neue Männer zu finden, meine Lady. Brauchbare Männer findet man nicht unter Salatblättern, nein, so funktioniert das nicht. Weniger Männer bedeutet weniger Geld bei unseren nächsten Auftraggebern. Eine unverrückbare Tatsache. Wir finden es nur gerecht, dass wir eine Entschädigung erhalten.«

In Elayne schoss Wut hoch. Sie glaubten, dass sie sie verzweifelt brauchte! Und was noch schlimmer war, sie hatten Recht. Zusammen repräsentierten diese drei Männer mehr als tausend Söldner. Selbst wenn man die in Betracht zog, die Guybon gebracht hatte, würde das einen schlimmen Verlust darstellen. Vor allem, wenn das andere Söldner auf den Gedanken brachte, dass sie für eine verlorene Sache kämpften. Söldner mochten es nicht, auf der Verliererseite zu stehen. Sie würden wie Ratten vor einem Feuer flüchten, um dem zu entgehen. Die Wut schoss in ihr hoch, aber sie zügelte sie. Wenn auch nur um Haaresbreite. Ihre Verachtung konnte sie allerdings nicht aus ihrer Stimme halten.

»Habt Ihr geglaubt, Ihr würdet keine Verluste haben? Habt Ihr erwartet, Wache zu stehen und dafür mit Gold bezahlt zu werden, ohne die Schwerter ziehen zu müssen?«

»Ihr habt für eine bestimmte Summe pro Tag unterschrieben«, warf Birgitte ein. Sie nannte die Summe nicht, weil jede Kompanie ihren eigenen Vertrag hatte. Dass die Söldnerkompanien jetzt aufeinander eifersüchtig wurden, war das Letzte, was sie nun gebrauchen konnte. Es hatte ohnehin schon den Anschein, dass die Hälfte der Gasthausschlägereien, die die Garde beendete, zwischen Männern verschiedener Kompanien ausbrachen. »Eine feste Summe. Um es brutal auszudrücken, je mehr Männer ihr verliert, desto größer ist euer Profit.«

»Ah, Generalhauptmann«, sagte der Mann tonlos, »aber Ihr vergesst das Totengeld, das an die Witwen und Waisen gezahlt werden muss.« Gomaisen unterdrückte einen erstickten Laut, und Cordwyn starrte Bakuvun ungläubig an und versuchte es dann zu überspielen, indem er seinen Becher erneut leerte.

Elayne bebte am ganzen Leib, die Hände auf den Stuhllehnen wurden zu Fäusten. Sie würde ihrer Wut nicht nachgeben. Sie würde es nicht tun! »Ich werde unsere Vereinbarungen von euch einfordern«, sagte sie kalt. Nun, wenigstens tobte sie nicht. »Ihr werdet das bezahlt bekommen, für das ihr unterschrieben habt, einschließlich der üblichen Siegesprämie, nachdem ich den Thron errungen habe, aber keinen Kupferpfennig mehr. Solltet ihr versuchen, einen Rückzieher zu machen, gehe ich davon aus, dass ihr mich verratet und zu Arymilla überlauft, und in diesem Fall werde ich euch und eure Kompanien verhaften und ohne Schwerter und Pferde vor die Tore bringen lassen.« Die Dienerin, die Cordwyns Weinbecher schon wieder auffüllte, kreischte plötzlich auf und wich sich den Oberschenkel reibend von ihm weg. Die Wut, die Elayne kontrolliert hatte, brach sich glühend heiß ihre Bahn. »Und sollte es einer von euch noch einmal wagen, eine meiner Frauen zu betatschen, wird man ihn und seine Kompanie ohne Schwerter, Pferde oder Stiefel hinauswerfen! Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«

»Überaus verständlich, meine Lady.« Bakuvuns Stimme war unverkennbar frostig, sein breiter Mund sehr schmal.

»Überaus verständlich. Und nun, da unsere… Diskussion… beendet scheint, dürfen wir uns zurückziehen?«

»Denkt sorgfältig nach«, sagte Sareitha plötzlich. »Wird die Weiße Burg eine Aes Sedai auf dem Löwenthron sehen wollen oder eine Närrin wie Arymilla Marne?«

»Zählt die Aes Sedai in diesem Palast«, fügte Careane hinzu. »Zählt die Aes Sedai in Caemlyn. In Arymillas Lager halten sich keine auf. Zählt und entscheidet, wo die Gunst der Weißen Burg liegt.«

»Zählt«, sagte Sareitha, »und ruft euch in Erinnerung, dass das Missfallen der Weißen Burg verhängnisvoll sein kann.«

Es war nur schwer zu glauben, dass eine von ihnen eine Schwarze Ajah war, und doch musste es so sein. Solange es nicht Merilille war. Elayne hoffte, dass das nicht der Fall war. Sie mochte Merilille. Andererseits mochte sie auch Careane und Sareitha. Nicht so sehr wie Merilille, das sicher nicht, aber sie fand sie sympathisch. Aber sie konnte es drehen, wie sie wollte, eine Frau, die sie mochte, war eine Schattenfreundin und damit bereits zum Tode verurteilt.

Nachdem die Söldner gegangen waren, mit hastigen Ehrenbezeugungen, und Frau Harfor die Dienerinnen mit den Resten des Weins fortgeschickt hatte, beugte sich Elayne auf ihrem Stuhl vor und seufzte. »Ich habe das sehr schlecht geregelt, oder?«

»Söldner brauchen eine harte Hand an den Zügeln«, erwiderte Birgitte, doch in ihrem Bund lagen Zweifel. Zweifel und Sorge.

»Falls mir die Bemerkung gestattet ist, meine Lady«, sagte Norry mit seiner trockenen Stimme, »ich wüsste wirklich nicht, was Ihr anders hättet machen können. Milde hätte sie nur dazu ermutigt, weitere Forderungen zu stellen.« Er war so ruhig gewesen, dass Elayne seine Anwesenheit fast schon vergessen hatte. So wie er die Welt blinzelnd betrachtete, ähnelte er einem watenden Vogel, der sich fragte, wo das Wasser geblieben war. Im Gegensatz zu Frau Harfors pingeliger Ordentlichkeit war sein Wappenrock mit Tintenflecken beschmiert, genau wie seine Finger. Elayne betrachtete die Ledermappe in seinen Händen mit regelrechtem Widerwillen.

»Sareitha, Careane, würdet ihr uns bitte allein lassen?«, sagte sie. Sie zögerten unverkennbar, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich zu verneigen und wie Schwäne aus dem Zimmer zu rauschen. »Und ihr beiden auch«, fügte sie über die Schulter an die beiden Gardistinnen gerichtet hinzu. Sie zuckten nicht einmal mit der Wimper!

»Raus!«, fauchte Birgitte und riss den Kopf so schnell in ihre Richtung, dass der Zopf pendelte. »Sofort!« Sieh an, bei ihr sprangen sie! Sie eilten so schnell zur Tür, dass sie sich genauso gut im Laufschritt hätten bewegen können!

Elayne schaute ihnen finster hinterher. »Soll man mich doch zu Asche verbrennen, ich will keine schlechten Neuigkeiten hören, heute nicht. Ich will nicht wissen, wie viele von den Nahrungsmitteln aus Illian und Tear bereits bei der Ankunft verdorben sind. Ich will nichts über Brandstiftungen oder von Getreidekäfern schwarzem Mehl hören, oder von Abwasserkanälen, in denen sich die Ratten schneller vermehren, als man sie umbringen kann, und von Fliegenschwärmen, die so dicht sind, dass man glauben könnte, Caemlyn sei ein dreckiger Stall. Ich will zur Abwechslung mal verdammt gute Neuigkeiten hören!« Verflucht, das klang trotzigl Und um die Wahrheit zu sagen, sie fühlte sich auch trotzig. Oh, wie sie das ärgerte! Sie wollte einen Thron erringen und verhielt sich wie ein Kind in seiner Kinderstube!

Meister Norry und Frau Harfor wechselten Blicke, was die Sache nur noch schlimmer machte. Er befummelte mit einem bedauernden Seufzer seine Mappe. Der Mann genoss es, seine Zahlen herunterzuleiern, selbst wenn sie verheerend waren. Immerhin waren sie nicht länger bockig, weil sie ihre Berichte in der Gegenwart des anderen abgeben mussten. Jedenfalls nicht sehr. Ihre Bereiche eifersüchtig behütend, passten sie misstrauisch darauf auf, dass der andere sich nicht zu weit vorwagte, und waren schnell bereit, sich zu beklagen, wenn eine imaginäre Grenze überschritten worden war. Aber sie schafften es, den Palast und die Stadt effizient und ohne allzu viele blutige Nasen zu verwalten.

»Sind wir unter uns, meine Lady?«, fragte Reene.

Elayne holte tief Luft und führte Novizinnenübungen durch, die nicht die geringste beruhigende Wirkung zu haben schienen, dann versuchte sie die Quelle zu umarmen. Zu ihrer Überraschung kam Saidar mühelos zu ihr und erfüllte sie mit der Süße des Lebens und Freude. Und es glättete auch ihre Stimmungen. So war es immer. Wut oder Trauer oder auch nur die Schwangerschaft mochten einen störenden Einfluss auf die Umarmung der Macht haben, aber sobald sie davon erfüllt war, hörten die Stimmungsschwankungen sofort auf. Energisch verwob sie Feuer und Luft, und Spuren von Wasser, aber als sie fertig war, ließ sie die Quelle nicht los. Das Gefühl, von der Macht erfüllt zu werden, war wunderbar, wenn auch nicht ganz so wunderbar wie das Wissen, dass sie nicht mehr grundlos in Tränen ausbrechen oder im nächsten Moment aus dem nichtigsten Anlass losbrüllen würde. Immerhin war sie nicht so dumm, zu viel in sich aufzunehmen.

»Wir sind unter uns«, sagte sie. Saidar berührte ihre Abschirmung und war wieder verschwunden. Jemand hatte zu lauschen versucht, und das nicht zum ersten Mal. Bei so vielen Frauen im Palast, die die Macht lenken konnten, wäre es überraschend gewesen, wenn niemand zu schnüffeln versucht hätte, aber sie wünschte sich, herausfinden zu können, wer diese Versuche unternahm. So wagte sie es kaum, ohne Abschirmung etwas Wichtiges zu sagen.

»Dann habe ich eine kleine gute Neuigkeit«, sagte Frau Harfor, rückte ihre Mappe zurecht, schlug sie jedoch nicht auf. »Von Jon Skellit.« Der Barbier war sehr gewissenhaft darin gewesen, seine vorher von Reene abgesegneten Berichte zu Arymilla zu bringen und alles zu melden, was er in dem Lager vor der Stadt in Erfahrung bringen konnte. Er stand in den Diensten von Naean Arawn, aber Naean, die Arymillas Anspruch unterstützte, hatte sicherlich Einsicht in seine Berichte an Arymilla. Unglücklicherweise waren seine Informationen bis jetzt von keinem großen Nutzen gewesen. »Er sagt, dass Arymilla und die Anführer der Häuser der ersten Gruppe angehören wollen, die Caemlyn betritt. Anscheinend prahlt sie ständig damit.«

Elayne seufzte. Arymilla und die anderen blieben zusammen, bewegten sich soweit sie erkennen konnte völlig willkürlich von einem Lager zum anderen, und eine Zeit lang hatte man viel Mühe darauf verwendet, vorher in Erfahrung zu bringen, wo sie sich aufhalten würden. Dann wäre es eine einfache Sache gewesen, Soldaten durch ein Wegetor zu schicken, sie alle auf einen Schlag zu ergreifen und die Opposition auszuschalten. Jedenfalls so einfach, wie das bei solchen Unternehmungen möglich war. Selbst unter den günstigsten Umständen würde es vermutlich Tote geben, würden einige der Hohen Herren und Hohen Herrinnen vermutlich entkommen, aber auch wenn man nur Arymilla erwischte, wäre das das Ende gewesen. Elenia und Naean hatten ihre Ansprüche öffentlich zurückgezogen, was sich nun nicht mehr zurücknehmen ließ. Sollten die beiden in Freiheit bleiben, konnten sie Arymilla weiter unterstützen — sie hatten sich eng an sie gebunden —, aber mit Arymilla in ihrem Gewahrsam hätte sich Elayne nur darum bemühen müssen, die Unterstützung von mindestens vier weiteren der Großen Häuser zu bekommen.

Aber als wäre das so einfach gewesen. Bislang waren alle Bemühungen in dieser Richtung gescheitert. Doch vielleicht würde es ja heute noch gute Neuigkeiten geben, was das anging. Skellits Nachricht jedoch war nutzlos. Wenn Arymilla und die anderen Caemlyn betraten, würde das bedeuten, dass die Stadt vorher gefallen war. Und schlimmer noch, wenn Arymilla damit prahlte, musste sie davon überzeugt sein, dass das bald geschah. Die Frau war in vielerlei Hinsicht eine Närrin, aber es wäre ein Fehler, sie völlig zu unterschätzen. Sie hätte es mit ihrem Anspruch nicht so weit gebracht, wäre sie völlig unfähig gewesen.

»Das ist Eure gute Nachricht?«, sagte Birgitte. Auch sie erkannte den tieferen Sinn. »Eine Andeutung, wann es so weit ist, wäre hilfreich.«

Reene breitete die Hände aus. »Arymilla gab Skellit einst mit eigener Hand eine Goldkrone, meine Lady. Er gab sie mir als Beweis, dass er sich geändert hat.« Kurz presste sie die Lippen zusammen; Skellit war dem Galgen entgangen, aber Vertrauen würde er nie wieder zurückgewinnen können. »Das war das einzige Mal, dass der Mann zehn Schritte in ihrer Nähe war. Er muss sich mit dem zufrieden geben, was er von anderen aufschnappen kann.« Sie zögerte. »Er hat große Angst, meine Lady. Die Männer in diesen Lagern sind davon überzeugt, die Stadt in wenigen Tagen erobert zu haben.«

»Angst genug, um die Seite ein drittes Mal zu wechseln?«, fragte Elayne leise. Zu der anderen Sache gab es nichts mehr zu sagen.

»Nein, meine Lady. Sollten Naean oder Arymilla erfahren, was er getan hat, ist er ein toter Mann. Und das weiß er auch. Aber er hat Angst, dass sie es erfahren werden, sollte die Stadt fallen. Ich glaube, er wird sich bald aus dem Staub machen.«

Elayne nickte grimmig. Söldner waren nicht die einzigen Ratten, die vor Feuer flüchteten. »Habt Ihr irgendwelche guten Neuigkeiten, Meister Norry?«

Der Erste Schreiber hatte ganz ruhig dagestanden, an seiner Ledermappe herumgefummelt und sich den Anschein gegeben, als würde er Reene nicht zuhören. »Ich glaube, ich kann Frau Harfor überbieten, meine Lady.« In seinem Lächeln hatte ein Hauch von Triumph gelegen; es war schwer zu sagen. In letzter Zeit hatte er selten etwas Besseres als sie zu berichten gehabt. »Ich habe einen Mann, von dem ich glaube, dass er Mellar erfolgreich verfolgen kann. Darf ich ihn reinbringen lassen?«

Nun, das war eine ausgezeichnete Neuigkeit! Fünf Männer waren bei dem Versuch gestorben, Doilin Mellar bei seinen nächtlichen Ausflügen in die Stadt zu folgen, und der »Zufall« war kaum noch glaubwürdig. Beim ersten Mal hatte es den Anschein gehabt, dass der Verfolger einem Straßenräuber in die Quere gekommen war, und Elayne hatte sich nichts dabei gedacht und für die Witwe des Mannes eine Pension verfügt. Die Garde hatte das Verbrechen gewissermaßen unter Kontrolle gebracht — abgesehen von den Brandstiftungen —, aber Räuber benutzten die Dunkelheit als Schutz, um sich darin zu verbergen. Bei den anderen vier schien das Gleiche geschehen zu sein; sie waren mit einem Stich getötet worden und man hatte ihre Geldbeutel geleert, aber so gefährlich die Straßen nachts auch sein mochten, so ein Zufall schien kaum möglich.

Als sie nickte, eilte der dürre alte Mann zur Tür und öffnete einen Flügel, um den Kopf herauszustrecken. Sie konnte nicht hören, was er sagte — die Abschirmung verhinderte das —, aber ein paar Minuten später trat ein stämmiger Gardist ein und stieß einen schlurfenden Mann mit Eisen um Hand- und Fußgelenke vor sich her. Alles an dem Gefangenen schien… durchschnittlich. Er war weder dick noch dünn, nicht groß und nicht klein. Sein Haar war braun, seine Augen auch. Sein Gesicht war so gewöhnlich, dass sie bezweifelte, es beschreiben zu können. Nichts war markant. Seine Kleidung war genauso unauffällig, ein einfacher brauner Mantel und Hosen, die beide nicht aus dem besten Tuch, aber auch nicht aus dem schlechtesten gemacht waren, etwas zerknittert und hier und da leicht verschmutzt, ein leicht verzierter Gürtel mit einer schlichten Metallschnalle, die in Caemlyn zehntausend Zwillinge haben mochte. Kurz und gut, nichts an ihm war bemerkenswert. Birgitte bedeutete dem Gardisten, den Kerl ein Stück vor den Stühlen stehen zu lassen, und befahl ihm, draußen zu warten.

»Ein verlässlicher Mann«, sagte Norry und sah dem Gardisten hinterher. »Afrim Hansard. Er hat Eurer Mutter treu gedient und weiß, wie man den Mund hält.«

»Ketten?«, fragte Elayne.

»Das ist Samwil Hark, meine Lady«, sagte Norry und betrachtete den Mann mit einer Art Neugier, die er möglicherweise einem unbekannten und seltsam geformten Tier entgegengebracht hätte. »Ein erstaunlich erfolgreicher Beutelschneider. Die Garde hat ihn nur gefangen, weil ein anderer Schurke… äh, ›ihn der Katze ausgeliefert hat‹, wie man auf der Straße so sagt, in der Hoffnung, sein eigenes Urteil wegen eines dritten gewalttätigen Raubüberfalls mildern zu können.« Daran würde jeder Dieb Interesse haben. Nicht nur dauerte das Auspeitschen länger, das auf die Stirn eingebrannte Diebesmal wäre viel schwieriger zu verbergen gewesen als das Zeichen auf dem Daumen bei der zweiten Verurteilung. »Jeder, der einer Gefangennahme so lange entwischt ist wie Meister Hark hier, sollte die Aufgabe erledigen können, die ich für ihn im Sinn habe.«

»Ich bin unschuldig, das bin ich, meine Lady.« Hark legte die Hand an die Stirn, die Eisenglieder seiner miteinander verbundenen Ketten klirrten. Er zeigte ein einschmeichelndes Lächeln. Er sprach sehr schnell. »Das sind alles Lügen und Zufälle, jawohl. Ich bin ein guter Anhänger der Königin, das bin ich. Ich trug die Farben Eurer Mutter bei den Aufständen, meine Lady. Nicht dass ich an Tumulten teilgenommen hätte, müsst Ihr wissen. Ich bin Schreiber, wenn ich Arbeit habe, was im Moment nicht der Fall ist. Aber ich trug ihre Farben an der Mütze, damit alle sie sehen konnten, jawohl.« Der Bund übertrug Birgittes Unglauben.

»Meister Harks Räume enthielten Truhen voller sauber aufgeschnittener Geldbeutel«, fuhr der Erste Schreiber fort.

»Tausende, meine Lady. Buchstäblich Tausende. Ich schätze, er bedauert es nun, äh .. . Trophäen behalten zu haben. Die meisten Beutelschneider haben genug Verstand, den Geldbeutel so schnell wie möglich wieder loszuwerden.«

»Ich hebe sie auf, wenn ich einen finde, das tue ich, meine Lady.« Hark breitete die Hände aus, so weit es die Eisen erlaubten, und zuckte mit den Schultern, die personifizierte verletzte Unschuld. »Vielleicht war das dumm, aber ich habe darin keinen Schaden gesehen. Nur ein harmloses Vergnügen, meine Lady.«

Frau Harfor schnaubte laut, ihr war ihre Missbilligung deutlich anzusehen. Hark schaffte es, noch verletzter auszusehen.

»In seinen Zimmern fand man außerdem Münzen im Wert von über einhundertzwanzig Goldkronen, die unter den Bodendielen, in Wandlöchern, in den Tragebalken und überall sonst versteckt waren. Seine Erklärung dafür« — Norry hob die Stimme, als Hark wieder den Mund öffnete — »lautet, dass er Bankiers misstraut. Er behauptet, das Geld sei eine Erbschaft von einer alten Tante aus Vier Königen. Ich persönlich habe jedoch meine Zweifel, dass die Magistrate in Vier Königen eine derartige Erbschaft registriert haben. Der Magistrat, der seinen Fall bearbeitet hat, sagte, es schien ihn überrascht zu haben, dass Erbmassen registriert werden.« Tatsächlich verblich Harks Lächeln etwas, als er daran erinnert wurde. »Er behauptet, für einen Kaufmann namens Wilbin Saems gearbeitet zu haben, bis vor Saems Tod vor vier Monaten, aber Meister Saems Tochter führt das Geschäft weiter, und weder sie noch die anderen Schreiber können sich an einen Samwil Hark erinnern.«

»Sie hassen mich, jawohl, meine Lady«, sagte Hark mürrisch. Er umklammerte die Kette. »Ich hatte Beweise gesammelt, wie sie den guten Meister bestahlen — seine eigene Tochter, stellt Euch das nur vor! —, aber er starb, bevor ich sie ihm übergeben konnte, und man warf mich ohne Zeugnis oder auch einen Pfennig hinaus, jawohl. Sie haben verbrannt, was ich gesammelt habe, verprügelten mich und warfen mich hinaus.«

Elayne tippte sich nachdenklich ans Kinn. »Ein Schreiber, sagt Ihr. Die meisten Schreiber drücken sich gewandter aus als Ihr, Meister Hark, aber ich gebe Euch die Chance, Eure Behauptung zu beweisen. Meister Norry würdet Ihr einen Schoßtisch holen lassen?«

Norry lächelte schmal. Wie schaffte es der Mann, ein Lächeln so trocken erscheinen zu lassen. »Das ist unnötig, meine Lady Der zuständige Magistrat hatte die gleiche Idee.« Zum allerersten Mal zog er in ihrer Gegenwart ein Blatt Papier aus der an seine Brust gedrückten Mappe. Eigentlich hätten Fanfaren ertönen müssen! Harks Lächeln erlosch vollständig, als er zusah, wie das Blatt von Norrys Hand in die ihre überwechselte.

Sie brauchte nur einen Blick. Ein paar schiefe Reihen bedeckten kaum die Hälfte der Seite, die Buchstaben waren krakelig und unbeholfen. Kaum mehr als ein halbes Dutzend Worte waren überhaupt lesbar, und die auch nur mit Mühe.

»Kaum die Schrift eines Schreibers«, murmelte sie. Sie gab Norry das Blatt zurück und versuchte ein strenges Gesicht zu machen. Sie hatte miterlebt, wie ihre Mutter Urteile verhängt hatte. Morgase hatte es geschafft, unerbittlich auszusehen.

»Ich fürchte, Meister Hark, Ihr werdet in einer Zelle sitzen müssen, bis man die Magistrate in Vier Könige befragt hat, und kurz darauf werdet Ihr hängen.« Harks Lippen zuckten, er legte die Hand an den Hals, als könnte er das Seil schon spüren. »Es sei denn, natürlich, Ihr erklärt Euch damit einverstanden, einen Mann für mich zu verfolgen. Einen gefährlichen Mann, dem es nicht gefällt, verfolgt zu werden. Wenn Ihr mir sagen könnt, wo er nachts hingeht, werdet Ihr nicht gehängt, sondern nach Baerlon verbannt. Wo Ihr gut beraten wärt, eine andere Tätigkeit zu finden. Der Gouverneur wird über Euch informiert werden.«

Plötzlich war Harks Lächeln wieder da. »Natürlich, meine Lady. Ich bin unschuldig, aber ich kann verstehen, dass die Dinge nicht zu meinem Vorteil erscheinen, jawohl. Ich folge jedem Mann, den Ihr wollt. Ich war der Anhänger Eurer Mutter, das war ich, und ich bin auch Eurer Mann, jawohl. Loyal, das bin ich, meine Lady, loyal, auch wenn ich dafür leiden muss.«

Birgitte schnaubte verächtlich.

»Kümmere dich darum, dass Meister Hark Mellars Gesicht zu sehen bekommt, ohne dass er es bemerkt, Birgitte.« Der Mann war unauffällig, aber es machte keinen Sinn, Risiken einzugehen. »Dann lass ihn frei.« Hark schien bereit, auf der Stelle zu tanzen, ob ihn die Eisen nun behinderten oder nicht.

»Aber zuerst… Seht Ihr das, Meister Hark?« Sie hob die rechte Hand, sodass er ihren Großen Schlangenring nicht übersehen konnte. »Ihr habt vielleicht gehört, dass ich eine Aes Sedai bin.« Die Macht erfüllte sie bereits; es war eine einfache Sache, Geist zu verweben. »Es ist die Wahrheit.« Das Gewebe, das sie auf Harks Gürtelschnalle, seine Stiefel, seinen Mantel und seine Hosen legte, glich dem Behüterbund, war allerdings viel einfacher. Es würde sich in dem Stoff seiner Kleidung in wenigen Wochen auflösen, bestenfalls nach ein paar Monaten, aber Metall würde das Findegewebe ewig halten. »Ich habe Euch mit einem Gewebe versehen, Meister Hark. Nun kann man Euch finden, ganz egal, wo immer Ihr Euch auch aufhaltet.« In Wahrheit konnte nur sie ihn finden — ein Findegewebe war auf die Person beschränkt, die es gewebt hatte —, aber es gab keinen Grund, ihm das zu sagen. »Nur um sicher zu sein, dass Ihr tatsächlich loyal seid.«

Harks Lächeln schien gefroren zu sein. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen. Als Birgitte zur Tür ging und Hansard hereinrief, um ihm die Anweisung zu geben, Hark wegzubringen und ihn vor neugierigen Blicken zu schützen, taumelte er und wäre gefallen, hätte der kräftige Gardist ihn nicht auf dem Weg nach draußen gestützt.

»Ich fürchte, ich habe Mellar ein sechstes Opfer besorgt«, murmelte Elayne. »Er scheint kaum fähig zu sein, seinem eigenen Schatten zu folgen, ohne über seine Stiefel zu stolpern.« Es war weniger Harks Tod, den sie bedauerte. Der Mann wäre auf jeden Fall gehängt worden. »Ich will den, der diesen verdammten Mann in meinen Palast gebracht hat. Ich will sie so sehr, dass es wehtut!« Im Palast wimmelte es vor Spionen — abgesehen von Skellit hatte Reene ein Dutzend entdeckt, allerdings glaubte sie, alle aufgespürt zu haben —, aber ob Mellar sie nun ausspionieren oder ihre Entführung organisieren sollte, er war schlimmer als die anderen. Er hatte dafür gesorgt, dass Männer den Tod fanden oder sie selbst getötet, um seine Stellung zu erringen. Dass diese Männer geglaubt hatten, sie sollten sie töten, machte keinen Unterschied. Mord war Mord.

»Vertraut mir, meine Lady«, sagte Norry und legte einen Finger an die lange Nase. »Beutelschneider sind… äh… von Natur aus verstohlen, aber sie haben nur selten eine lange Karriere. Früher oder später schneiden sie einen Geldbeutel von jemandem auf, der flinker ist als sie selbst, jemand, der nicht die Garde ruft.« Er machte eine schnelle Geste, als würde er jemanden stechen. »Hark macht das mindestens seit zwanzig Jahren. Ein paar der Geldbeutel in seiner… äh… Sammlung waren mit Dankesgebeten für das Ende des Aielkrieges bestickt. Und wenn ich mich recht erinnere, sind die sehr schnell aus der Mode gekommen.«

Birgitte setzte sich auf die Lehne des benachbarten Stuhls und verschränkte die Arme unter der Brust. »Ich könnte Mellar festnehmen«, sagte sie leise, »und ihn der Befragung unterwerfen. Dann brauchst du Hark nicht.«

»Ein schlechter Witz, meine Lady, wenn ich das bemerken darf«, sagte Frau Harfor steif, während Meister Norry im gleichen Atemzug sagte: »Das würde… äh… gegen das Gesetz verstoßen, meine Lady.«

Birgitte sprang auf die Füße, Zorn strömte durch den Bund. »Blut und verdammte Asche! Wir wissen, dass der Mann so verdorben ist wie der Fisch vom letzten Monat!«

»Nein.« Elayne seufzte und bemühte sich, nicht ebenfalls so wütend zu sein. »Wir haben einen Verdacht, keinen Beweis. Diese fünf Männer könnten das Opfer von Straßenräubern sein. Das Gesetz legt sehr genau fest, wann jemand der Befragung unterworfen werden darf, und Verdächtigungen reichen nicht als Beweis aus. Man braucht handfeste Beweise. Meine Mutter hat oft gesagt: ›Die Königin muss dem Gesetz gehorchen, das sie erlassen hat, oder es gibt kein Gesetze Ich werde nicht damit anfangen, das Gesetz zu brechen.« Der Bund übertrug etwas… Sturheit. Sie fixierte Birgitte mit einem festen Blick. »Und du auch nicht. Hast du mich verstanden, Birgitte Trahelion? Du auch nicht.«

Zu ihrer Überraschung dauerte die Sturheit nur wenige Augenblicke, bevor sie langsam durch Reue ersetzt wurde.

»Es war ja nur ein Vorschlag«, murmelte Birgitte wenig überzeugend.

Elayne fragte sich, wie sie das geschafft hatte und wie ihr das wieder gelingen konnte — manchmal schien Birgitte ihre Zweifel zu haben, wer von ihnen hier das Sagen hatte —, da schlüpfte Deni Colford in den Raum und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Eine lange, mit Bronzenägeln beschlagene Keule bot ein Gegengewicht zu dem Schwert an der Taille der schwergewichtigen Frau und wirkte fehl am Platz. Deni wurde besser mit dem Schwert, zog aber noch immer die Keule vor, die sie dazu benutzt hatte, um in einer Kutscherschenke für Ordnung zu sorgen.

»Ein Diener hat gemeldet, dass die Lady Dyelin eingetroffen ist, meine Lady, und Euch zur Verfügung steht, sobald sie sich frisch gemacht hat.«

»Richtet der Lady Dyelin aus, dass sie mich im Kartenzimmer treffen soll.« Elayne verspürte eine Woge der Hoffnung. Endlich würde sie gute Nachrichten zu hören bekommen. Vielleicht.

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