7.

Er suchte sich einen ruhigen Platz. Während er aß, versuchte er die nächsten Schritte zu überdenken, die er nun tun mußte. Aber soviel er auch überlegte, er konnte sich kein Bild von seiner Zukunft machen.

Da war zunächst einmal das Geldproblem. Ohne Geld würde er Uria kaum verlassen können. Sicher waren Reisen zu anderen Planeten sehr teuer. Zu der Zeitfalle, in die er geraten war, kam nun auch noch eine Raumfalle. Er mußte innerhalb der nächsten sechs Monate einen Weg finden, zu Geld zu kommen.

Da niemand arbeitete, konnte er sich durch Arbeit kein Geld verdienen. Je mehr er grübelte, desto schwieriger wurden seine Probleme. Er wußte nicht, wie er die Leute von Uria behandeln sollte, zumal er in ihren Augen ein Krüppel war. Die Männer und Frauen, die in den Straßen von Dyoto herumliefen, konnten in die Zukunft sehen. Er hatte dieses Talent nicht, und er durfte auch nicht annehmen, daß er es jemals besitzen würde.

Wie dem auch war, es bedeutete, daß er die menschliche Bevölkerung dieses Planeten niemals überraschen konnte. Mit einer Ausnahme.

Er kannte die fernere Zukunft dieses Planeten.

In sechs Monaten würde ein Schwarm von Monstern Dyoto überfallen und die Bevölkerung in ein Labyrinth von Zeit und Raum jagen. Vielleicht könnten die Leute mit Hilfe ihrer Fähigkeit einen kleinen Aufschub erwirken, aber mehr auch nicht.

Das war eine gute Möglichkeit, zu Geld zu kommen. Er könnte die zentrale Verwaltung von Uria warnen und ihr raten, den Planeten zu evakuieren. Er könnte auch versuchen, eine Technik zu entwickeln, um mit den Monstern fertig zu werden. Er kannte einige diesbezügliche Projekte der Solar-Mächte. Die Sache könnte natürlich auch ins Auge gehen. Vielleicht würde man ihn einfach hängen.

Er warf die leeren Pakete und Schachteln einfach weg. Sie fielen immer schneller zur Erde. Die Antischwerkraft wirkte offenbar nur bei Menschen.

Er erhob sich, um weiterzugehen. Er wollte den Raumhafen finden, oder eine Stelle, von wo aus er verschwinden konnte, wenn nötig auch mit Gewalt. Wenn man ihn dabei festnehmen würde, konnte er immer noch sagen, was er wußte.

Der Plan der Stadt war ihm bald klar, obwohl er ihm außerordentlich wirr zu sein schien. Zu seiner Zeit waren die Militärstützpunkte alle nach dem gleichen Schema gebaut worden. Hier in Dyoto war das anders. Die Fähigkeit, einige Minuten in die Zukunft zu sehen, beeinflußte den gesamten Verkehr. Corson erinnerte sich an den Unfall, dem er nur knapp entkommen konnte. Der Pilot des kleinen Luftfahrzeugs hatte ihn nicht vorausgesehen. War er unbewußt unaufmerksam gewesen, oder war dieses Talent nicht bei allen Leuten gleich entwickelt?

Corson versuchte sich zu konzentrieren und sich vorzustellen, was ein Passant tun würde, der gerade vorbeikam. Würde er weitergehen oder sich umdrehen? Corson entschloß sich für weitergehen. Aber der Mann drehte sich um. Er versuchte es immer wieder, aber er lag jedesmal falsch.

Vielleicht war sein Nervensystem irgendwie blockiert, daß er immer Fehler machen mußte. Vielleicht?

Es fiel ihm ein, daß er früher Erfahrungen mit Vorahnungen gemacht hatte. Sie kamen wie Blitze, vor allem in Gefechten oder in Situationen äußerster Anstrengung. Er hatte ihnen keine weitere Beachtung geschenkt oder sie als Zufälle abgetan.

Er hatte immer den Ruf gehabt, ein Glückspilz zu sein. Die Tatsache, daß er noch lebte, bestätigte diesen Ruf, den er bei seinen Kameraden hatte. War das Glück hier auf Uria ein meßbarer Faktor geworden?

Ein leichter Gleiter war plötzlich neben ihm und folgte seinem Tempo. Unwillkürlich spannte er seine Muskeln an und griff zur linken Achselhöhle. Aber er zog seine Waffe noch nicht. In dem Gleiter befand sich nur ein Mädchen. Sie war dunkelhaarig und hübsch. Ein Lächeln lag auf ihrem jungen Gesicht. Sie mußte gekommen sein, um mit ihm zu sprechen.

Er streckte sich und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das Mädchen nickte ihm zu.

»George Corson, nicht wahr? Steigen Sie bitte ein.«

Die Außenwand des Gleiters öffnete sich und gab Corson den Weg ins Innere frei.

»Wer sind Sie? Wie haben Sie mich gefunden?«

»Mein Name ist Antonella«, antwortete sie. »Floria Van Nelle hat mir von Ihnen erzählt. Ich wollte Sie treffen.«

Er zögerte.

»Ich wußte, daß Sie einsteigen würden. Wir wollen keine Zeit verschwenden.«

Corson verfluchte diese verdammte Hellseherei. Aber sie hatte recht. Er hatte einsteigen wollen. Er hatte vom Alleinsein die Nase voll und wollte mit jemand sprechen.

»Willkommen auf Uria«, sagte Antonella etwas förmlich. »Ich bin beauftragt, Sie zu begrüßen und zu führen.«

»Ist das ein offizieller Auftrag?«

»Sie können es auch so sehen. Mir persönlich macht er sehr viel Vergnügen.«

Der Gleiter hatte die Geschwindigkeit erhöht und flog nun aus der Stadt, ohne daß das Mädchen irgend etwas tat. Sie lächelte und zeigte dabei wunderschöne Zähne.

»Wohin fliegen wir?«

»Wie wäre es mit einem Flug entlang der Küste?«

»Dann sollen Sie mich also nicht an einen bestimmten Ort bringen?«

»Ich bringe Sie nirgends hin, wohin Sie nicht wollen.«

»Das ist sehr freundlich«, meinte Corson und lehnte sich bequem in die Polster zurück.

Als Dyoto weit hinter ihnen lag, sagte er: »Sie haben keine Furcht. Floria hat Ihnen bestimmt alles über mich erzählt.«

»Sie hat uns erzählt, daß Sie ein bißchen rauh mit ihr umgegangen sind. Sie wußte aber nicht, ob das für oder gegen Sie spricht. Ich glaube, sie hat sich am meisten darüber geärgert, daß Sie einfach weggegangen sind. Das war wirklich sehr unhöflich.«

Sie lächelte wieder, und er entspannte sich. Ohne zu wissen warum, hatte er das Gefühl, daß er diesem Mädchen trauen konnte.

Er wandte sich um und sah zum zweiten Mal die gewaltige Pyramide von Dyoto, die auf den Säulen des doppelläufigen Flusses zu stehen schien. Unter ihnen erschien die endlose, von den Wellen des Ozeans angenagte Küste. Der Himmel war fast leer. Ein schwaches Schillern lag über der Stadt, wie Wässerstäubchen über einem Wasserfall.

»Was möchten Sie von mir wissen?« fragte er plötzlich.

»Ihre Vergangenheit interessiert uns nicht, Mr. Corson«, erwiderte sie, »allerdings befassen wir uns mit Ihrer Zukunft.«

»Warum?«

»Wissen Sie das wirklich nicht?«

Er schloß kurz die Augen. »Nein, ich weiß nichts über meine Zukunft.«

»Ich verstehe.« Es folgte eine Pause. »Möchten Sie gerne rauchen?«

Sie reichte ihm eine ovale Schachtel. Neugierig zog er einen zigarettenähnlichen Gegenstand heraus, nahm ihn zwischen die Lippen und zog daran. Er erwartete, daß er sich selbst entzünden würde, aber nichts geschah. Antonella hielt ihm ein Feuerzeug hin, und als die Flamme herauskam, wurde er durch ein kurzes, aber sehr helles Licht geblendet.

»Was haben Sie vor?« fragte das Mädchen mit sanfter Stimme.

Er hielt die Hand vor die Augen und füllte seine Lungen mit Rauch. Erstaunlich! Das war echter Tabak, falls er den Geschmack noch nicht vergessen hatte, nachdem er im Krieg nur noch dieses verdammte Seegras geraucht hatte.

»Ich möchte von diesem Planeten verschwinden«, sagte er impulsiv und biß sich plötzlich auf die Lippen. Ein heller Lichtfleck tanzte vor seinen Augen, als hätte sich die Flamme des Feuerzeugs in seine Netzhaut eingegraben. Er hustete plötzlich und drückte die Zigarette an der Wand des Gleiters aus. Er preßte die Hände so fest gegen die Augen, daß er ganze Sonnensysteme funkeln sah und das Gefühl hatte, eine Salve von Raketen würde vor ihm abgeschossen. Der Blitz, der aus dem Feuerzeug geschossen war, war keine Reflektion. Er hatte einen hypnotischen Effekt und vielleicht war noch eine Droge in dem Tabak, die ihn zum Reden bringen sollte. Seine Reflexe waren zwar durch die friedliche Stadt Dyoto etwas eingeschläfert worden, aber seine militärische Ausbildung ermöglichte es ihm, mit der Situation fertig zu werden.

»Sie sind sehr zäh, Mr. Corson«, sagte Antonella ruhig, »aber ich bezweifle, daß Sie diesen Planeten verlassen können.«

»Wieso haben Sie nicht vorausgesehen, daß Ihr schäbiger Trick bei mir nicht funktionieren würde?« hörte er sich mit rauher Stimme fragen.

»Wer sagt denn, daß er nicht funktioniert hat?« Sie lächelte ihn ebenso freundlich an, wie bei der Begrüßung.

»Ich habe doch nur gesagt, daß ich den Planeten verlassen will. War das alles, was Sie wissen wollten?«

»Vielleicht. Jedenfalls wissen wir nun, daß Sie das wirklich beabsichtigen.«

»Wollen Sie jetzt versuchen, mich davon abzuhalten?«

»Ich sehe keine Möglichkeit dazu. Sie sind bewaffnet und gefährlich. Wir möchten Ihnen nur von Ihrem Vorhaben abraten.«

Der Gleiter verlor an Höhe und Geschwindigkeit. Über einem kleinen Fluß hielt er an und senkte sich zur Erde, wo er sanft landete. Die Außenwand verschwand wie schmelzendes Wachs. Antonella sprang auf den Strand und reckte sich.

»Hier ist es romantisch, nicht wahr?« meinte sie, indem sie sich bückte und eine vielflächige Muschel aufhob. Sie wog sie in der Hand und warf sie dann in die See, die ihre Füße umspielte.

»So, Sie mögen diese Welt also nicht?«

Corson zuckte mit den Schultern. »Für meinen Geschmack ist sie ein wenig zu dekadent, viel zu rätselhaft unter ihrer friedlichen Oberfläche.«

»Ich kann mir vorstellen, daß Sie Gewalt und Krieg vorziehen. Sie wollen immer etwas tun. Vielleicht bekommen Sie bald etwas Entsprechendes zu tun, wenn Sie hierbleiben.«

»Liebe und Krieg?« meinte er sarkastisch und erinnerte sich an die Worte, die er zu Floria gesagt hatte.

»Liebe? Warum nicht?«

Sie hatte die Augenwimpern leicht gesenkt und schien auf etwas zu warten. Corson konnte sich nicht erinnern, eine Frau gesehen zu haben, die so reizend und anziehend war. Er vergaß völlig seine Vergangenheit und nahm sie in die Arme.

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