38.

Corson sprang über sechstausend Jahre in die Vergangenheit. Er versuchte sich zu orientieren, führte einige Korrekturen durch, und dann hielt das Pegason in der Gegenwart. Der Planet wirbelte im Raum umher, bis es ihm gelang, sich zu stabilisieren. Er befand sich in einem sehr weiten Orbit, den auch ein Raumkreuzer eingehalten hätte, der sich dem Planeten näherte.

Er wartete. Das Universum war vor ihm ausgebreitet, aber er sah praktisch nichts. Es war wie ein Behälter von unendlicher Tiefe und Breite. Jeder versuchte, an den Wänden dieses Behälters sein Schicksal zu erkennen und sein Leben zu ändern. So verändern wir die Möglichkeiten, die unserem Nächsten dann zum Verderben gereichen.

Nicht aber auf Aergistal, der Oberfläche des Kosmos. Für die Herren gab es keinen Unterschied zwischen den Systemen des Universums und dem Ganzen. Sie konnten nichts außer acht lassen, nichts und niemand.

Unterhalb von Corson durchsuchten urianische Peilstrahlen den Himmel. Auf diese Entfernung waren aber Pegason und Reiter zu klein, um entdeckt zu werden. Corson zögerte. Er konnte sich aus dem Staub machen. In diesem Fall würde er sehr wahrscheinlich durch die Explosion des Schiffes getötet. Vielleicht konnte er mit dem Monster den Boden erreichen, aber dann fiel früher oder später in die Klauen der Urianer. Wenige Gefangene waren von Uria zurückgekehrt und alle waren übel zugerichtet. Er konnte den Lieutenant George Corson, Spezialist für Monster und nahezu völlig unwissend, was diese Rasse betraf, seinem Schicksal überlassen. Dann würde er, der andere Corson, der Zeitspringer, ausradiert. War es die Sache wert, den anderen Corson dazu zu verdammen, alles durchzumachen, was letztendlich darin gipfelte, daß er als Schachfigur benutzt wurde und zur Einsamkeit verurteilt war? Er fragte sich, was sein Gegenstück entscheiden würde. Dann erinnerte er sich daran, daß er Corson war.

Nun, war es die Sache wert?

Die schreckliche Nacht im Wald mit dem weinenden Monster und alles andere, was danach gekommen war.

Wenn er nichts tat, würde das Monster seine Aufgabe erfüllen. Es würde seine Jungen zur Welt bringen, und die Menschen würden den Krieg gewinnen. Sie würden den Planeten durch List oder Waffen beherrschen, und es würde immer wieder Kriege geben.

Aber dies, das wurde ihm klar, war eine alte Geschichte. In der Zukunft, die er bereits kannte, war der Krieg zwischen den Solar-Mächten und Uria vergessen. Niemand hatte gesiegt, und eigentlich hatten beide nur verloren. Egal, was er tat, dies würde immer das Ergebnis sein. Es war eigentlich nicht mehr wichtig für ihn. Er war nicht mehr Lieutenant Corson von der Archimedes, der sich um den Verlauf des Krieges oder seine Sicherheit Sorgen machen mußte. Er war jetzt ein anderer.

Er konnte den Lieutenant im Stich lassen und in der kurzen Zeit, die ihm noch blieb, alle Bitternis vergessen. Es wäre der perfekteste Selbstmord aller Zeiten. Aber dieser andere Corson in der schwarzen Hülle der Archimedes hatte nicht sterben wollen.

Kann ich mich selbst von mir trennen? fragte sich Corson. Es wurde ihm klar, daß Floria Van Nelle nur die halbe Wahrheit gesagt hatte. Ja, vielleicht war der Krieg ein Ergebnis der Versuche, die die Herren von Aergistal unternahmen. Aber warum Herren? Gab es nicht einen Punkt, an dem sich herausstellte, daß die Herren von Aergistal nur die Summe aller Möglichkeiten eines Herrn waren? Vielleicht war es diesem einen langweilig geworden, und er hatte sich überall zerstreut, um damit bewußt in Vergessenheit zu geraten. Er wurde zu jedem Wesen und zu jedem Ding.

Träume ich, fragte sich Corson. Oder erinnere ich mich?

Er würde es nie wissen, wenn der andere Corson sterben würde. Mit seinem Leben würde er auch die Erinnerung daran verlieren, daß er je gelebt hatte.

Jenseits des Lebens war das Hyperleben. Wie Seiten in einem Buch, hatte Floria gesagt. Unser Leben ist nicht unendlich, aber grenzenlos, hatte das Wesen von Aergistal gesagt. Du wirst lernen, die Zeit zu beherrschen. Du wirst werden wie wir.

Also gab es mindestens drei Ebenen des Lebens: Die eventuelle oder mögliche Ebene, in der Cid, Selma und Ana sich befanden. Die lineare Ebene, in der sich der andere Corson befand, wo man wie ein Gefangener von Geburt zum Tod ging. Schließlich die Hyperebene, in der man die Zeit beherrschte.

Corson stand nun an der Schwelle zum Hyperleben. Er konnte seine lineare Existenz wieder aufnehmen. Nicht jede Seite des Buches konnte so bitter sein.

Corson traf seine Entscheidung.

Über ihm verdeckte der schwärzliche Rumpf der Archimedes einige Sterne. Er lenkte das Pegason, näherte sich dem Schiff und durchdrang den Schutzschirm und die Wände. Er hatte keine Angst, bemerkt zu werden. Er fühlte, wie das Pegason zögerte, sich seinem wilden Vetter zu nähern. Er beruhigte es und legte die Ampulle an einen der Fühler. Er sah sich selbst verzerrt durch die raschen Zeitsprünge. Der Fühler faßte die Ampulle und drang dann durch den Schutzschirm, der das Monster gefangenhielt. Als die Ampulle über dem Magen des Monsters war, sprang er für eine Billionstelsekunde in die Gegenwart.

Ein Blitz und ein scharfes Knacken, der Schutzschirm hatte den Fühler des Pegasons abgetrennt, und das verwundete Biest machte einen Zeitsprung.

Wieder im Raum, starrte Corson auf den dünnen, fast nicht mehr sichtbaren Rumpf des Schiffes. Er erinnerte sich, daß er als Lieutenant an Bord der Archimedes kurz vor dem Absturz einen kaum wahrnehmbaren Blitz gesehen hatte. Damals hatte er geglaubt, er hätte sich geirrt, und nicht mehr weiter darüber nachgedacht.

Ein neuer Blitz, die Archimedes, war explodiert. Die Waffen auf Uria hatten geschwiegen. Also hatte das Schiff einen Generatorschaden gehabt. Der Zweck der Mission des Schiffes war erfüllt, man hatte seine Ankunft auf Uria nicht bemerkt.

Wahrscheinlich hatte er selbst die Katastrophe herbeigeführt. Die Ampulle hatte die Energie des Monsters millionenfach erhöht. Es hatte sie nicht dazu verwandt, sofort einen gewaltigen Zeitsprung zu machen, sondern hatte erst den Schutzschirm zerstört. Die Generatoren hatten diesem Angriff nicht standgehalten. Die zerstörte Hülle der Archimedes tauchte in die Atmosphäre von Uria. Es schien Corson, als ob etwas das Schiff verlassen hatte. Eine Illusion. Er hatte noch nicht die Möglichkeit, in die Zukunft zu sehen. Aber das würde auch noch kommen.

Irgendwo auf Uria, sechstausend Jahre später, begann ein anderer Corson ums Überleben zu kämpfen. Er wußte noch nicht, daß er mit den Herren von Aergistal sprechen und vielleicht das Hyperleben erlangen würde.

»Warum ich?« fragte sich Corson, als er wieder auf dem Weg in die Zukunft war.

Ich — ich — ich, wiederholten andere Corsons, die Alternativen von ihm darstellten. Er spürte plötzlich die Unterströmungen seiner anderen Daseinsformen. Es schien, als sei er auf der Stufe, mit allen zahllosen Corsons Verbindung aufnehmen zu können. Er glaubte, er konnte plötzlich ihr Leben leben, sah mit ihren Augen und dachte ihre Gedanken. Aber er blieb noch auf der Schwelle zu dieser völligen Einheit, denn die Zeit war noch nicht reif. Die anderen Corsons hatten gerade erst begonnen, eine Chance zu ergreifen, zu einer weiteren Existenz.

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