3.

Verschwommen wurden nun Einzelheiten des Schiffes sichtbar. Ein Lichtstrahl stach aus dem dunklen, glänzenden Rumpf und tastete das Gebüsch ab, in dem Corson sich verborgen hatte. Instinktiv richtete Corson sein Gewehr auf den Scheinwerfer. Die Unterseite des Schiffes war glatt und glänzend, wie die Oberfläche eines Edelsteins. Die Erbauer des Schiffes hatten großen Wert auf ästhetische Schönheit gelegt, und es sah keineswegs wie ein Kriegsschiff aus.

Corson erwartete jeden Augenblick das Aufleuchten eines Strahlengewehrs, das Explodieren einer Gaskugel oder den Druck eines Stahlkabels an seinen Armen. Er hörte gespannt auf den schrillen Schrei eines urianischen Soldaten. Aber nur der Strahl des Scheinwerfers erfaßte ihn und ließ ihn nicht mehr los. Das Schiff senkte sich weiter und blieb so dicht über ihm stehen, daß er es mit ausgestreckter Hand erreichen konnte. Große Luken umliefen das Schiff, aus denen Licht drang. Corson hätte versuchen können, einen Schuß durch eine dieser Luken abzugeben, aber er tat es nicht.

Gebückt umkreiste er den runden Rumpf. Er versuchte, durch eine der Luken zu blicken, aber er sah nur verzerrte Einzelheiten. Er glaubte, eine humanoide Gestalt zu erkennen, aber das war nicht sonderlich überraschend. Aus größerer Entfernung konnte man die Eingeborenen durchaus mit Humanoiden verwechseln.

Ein plötzliches Licht blendete ihn, und er mußte für einen Augenblick die Augen schließen. Eine hell erleuchtete Luke hatte sich geöffnet. Einige Treppenstufen führten in das Innere des Schiffes. Corson zögerte, dann stieg er die Treppe hinauf. Die Luke schloß sich, sobald er das Schiff betreten hatte.

»Komm herein, Corson«, sagte eine Stimme. Es war die Stimme eines jungen Mädchens. »Es gibt keinen Grund, auf dem Flur herumzustehen.«

Das war eine menschliche Stimme! Das war keine Imitation! Die Urianer wären nie in der Lage gewesen, eine menschliche Stimme so überzeugend vorzutäuschen.

Corson gehorchte. Er ging zu der halboffenen Tür in seiner Nähe und schlüpfte in einen großen Raum, an dessen anderem Ende sich eine riesige Fensterluke befand. Er stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Durch die Fensterluke sah er deutlich den Dschungel, den sie gerade überflogen. Am Horizont erschien eine helle, glitzernde Linie, die nur von einem Ozean stammen konnte, über dem gerade die Sonne aufging.

Er wandte sich zur Seite. Ein Mädchen betrachtete ihn. Ihr einziges Gewand war eine Art hauchdünner Schleier. Hellblondes Haar umrahmte ihr lächelndes Gesicht. In ihren grauen Augen konnte er keine Feindschaft entdecken. Seit fünf Jahren hatte Corson nichts mehr gesehen, was auch nur im entferntesten nach einer Frau ausgesehen hätte, von den Plastoiden einmal abgesehen, mit denen man es an Bord der Kriegsschiffe zu tun hatte. Und dieses Mädchen war noch zusätzlich sehr hübsch.

Er holte tief Luft und überblickte rasch die Lage. Er schnappte: »Woher wissen Sie, daß ich Corson heiße?«

Er hatte den Kernpunkt der Situation erfaßt. Die Tatsache, daß sie seinen Namen benutzt hatte, konnte nur bedeuten, daß die Prinzen von Uria den Auftrag der Archimedes kannten, ebenso wie die Namen der Besatzung. Andererseits war das Mädchen eindeutig menschlich. Ihre Anwesenheit auf Uria war ein vollkommenes Rätsel. Kein Chirurg hätte einen Urianer so vollkommen operieren können, daß er wie ein Mensch aussah. Auch Plastoiden erreichten nie eine solche Vollendung, daß ein Mann sich hätte täuschen lassen.

»Aber Sie haben mir Ihren Namen gesagt«, rief sie.

»Nein, Sie haben meinen Namen zuerst genannt«, antwortete er. Er hatte das Gefühl, daß sich alles um ihn drehte. Sein Hirn arbeitete wie rasend, aber er fand keine Lösung. Er hatte große Lust, das Mädchen zu töten und mit dem Schiff zu fliehen, aber wahrscheinlich war sie nicht allein an Bord. Er mußte erst alles genau erkunden, bevor er handeln konnte. Vielleicht brauchte er sie dann nicht zu töten.

Er hatte noch nie gehört, daß Menschen auf die Seite der Urianer übergelaufen wären. In einem Krieg, dessen wichtigster und wahrscheinlich einziger Grund auf einem fundamentalen biologischen Unterschied beruhte, verbunden mit der Tatsache, daß beide Parteien die gleichen Planeten bewohnen konnten, hatte ein Verräter keine Zukunft. Plötzlich fiel ihm auch auf, daß er beim Betreten des Schiffes nicht den charakteristischen urianischen Geruch wahrgenommen hatte.

»Sind Sie eine Gefangene?«

Er glaubte nicht, daß sie es zugeben würde, aber vielleicht bekam er einen Hinweis.

»Sie stellen aber seltsame Fragen!« Sie öffnete ihre Augen weit, und ihre Lippen begannen zu zittern. »Sie sind ein Fremder! Ich dachte … Warum sollte ich gefangen sein? Werden auf Ihrem Planeten Frauen gefangengehalten?«

Plötzlich veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Ihre Miene drückte Entsetzen aus.

»Nein!«

Sie schrie auf und zog sich zurück. Sie suchte nach etwas, was ihr hätte als Waffe dienen können. Dann wußte er, was er zu tun hatte. Er rannte durch den Raum, wich ihrem schwachen Schlag aus, hielt ihr mit der Hand den Mund zu und packte sie so, daß sie sich nicht mehr bewegen konnte. Mit Daumen und Zeigefinger drückte er ihr die Kehle zu. Sie sackte zusammen. Hätte er etwas fester zugedrückt, hätte er sie getötet. Er war froh, daß er sie ausgeschaltet hatte. Er brauchte Zeit zum Nachdenken.

Er durchsuchte das Schiff und stellte fest, daß sie alleine an Bord waren. Phantastisch! Dieses junge Mädchen kurvte in einem Vergnügungsboot — er hatte keinerlei Waffen entdeckt — fröhlich über den Wäldern eines feindlichen Landes. Es war kaum zu glauben. Er fand den Instrumentenstand, aber die Kontrollanzeigen sagten ihm nichts. Ein roter Punkt, der wohl die Position des Schiffes anzeigte, wanderte über eine Wandkarte. Er konnte weder die Kontinente noch die Ozeane von Uria erkennen. Hatte der Kommandant der Archimedes sie zum falschen Planeten gebracht? Das war nicht möglich. Die Vegetation, das Sonnenspektrum, die Zusammensetzung der Atmosphäre hatten eindeutig bewiesen, daß es sich bei dem Planeten um Uria handelte.

Er schaute aus der Fensterluke. Sie flogen etwa dreitausend Meter hoch und hatten ungefähr eine Geschwindigkeit von vierhundert km/h. Spätestens in zehn Minuten würden sie über dem Ozean sein.

Er ging in den Raum zurück, in dem das Mädchen lag, setzte sich auf einen verzierten Stuhl und schaute sie an. Dann legte er sie auf den Boden und schob ihr ein Kissen unter den Kopf. Er versuchte noch einmal alles zu überdenken, was geschehen war, seitdem er das Schiff betreten hatte.

Sie hatte ihn bei seinem Namen gerufen, bevor er den Mund aufgemacht hatte.

Sie schien erschrocken gewesen zu sein, noch bevor er daran gedacht hatte, sie anzugreifen.

Zum Teil hatte ihn gerade diese Angst dazu gebracht, zu handeln.

Telepathie?

Wenn dies der Fall war, dann kannte sie seinen Namen, seinen Auftrag und wußte von der Existenz des Monsters. In diesem Falle mußte sie verschwinden, besonders dann, wenn sie in den Diensten der Prinzen von Uria stand.

Aber sie hatte sich bereits zurückgezogen, bevor er daran dachte, sie zu überwältigen …

Sie war verwirrend. Er stand auf, um sie zu fesseln. Dazu benutzte er Streifen von einem Wandteppich. Auch Wandteppiche gehörten nicht auf ein Kriegsschiff. Er band ihre Handgelenke und Knöchel zusammen, aber er knebelte sie nicht. Er versuchte auch herauszufinden, mit welcher Art Stoff sie bekleidet war. Er war nicht gewebt, bestand aber auch nicht aus einer Art Gas. Es war eine Art glitzernder Nebel, so hell, daß man ihn kaum sah. Nur aus einem bestimmten Winkel konnte er die Umrisse der Kleidung wahrnehmen. War es eine Art Energiefeld? Sicher war es kein Kraftfeld, es war irgend etwas anderes.

Die Sprache, mit der sie ihn angeredet hatte, war reines Pangal, aber das bedeutete nichts. Urianer sprachen diese Sprache ebenso wie Terraner. Corson hatte sogar versucht, dem Monster Grundregeln des Pangal beizubringen. Der Versuch war natürlich vergeblich gewesen.

Aber indem er an das Monster dachte, fand er den Schlüssel zu dem Rätsel des Mädchens.

Sie mußte mindestens eine Fähigkeit mit dem Monster gemeinsam haben. Sie mußte in der Lage sein, wenn auch in Grenzen, in die Zukunft zu blicken. Sie wußte in dem Augenblick, als er das Schiff betrat, daß er sie fragen würde: »Wieso wissen Sie, daß ich Corson heiße?« Die Tatsache, daß ihre Angst ihn dazu gebracht hatte, sie anzugreifen, war nicht wichtig, sondern warf nur das Problem einer unmittelbaren Ursache auf. Dies geschah meistens bei Zeitparadoxa. Leute, die mit Monstern in Kontakt kamen, lernten einiges über diese Zeitparadoxa, meistens auf eine üble Art. Er schätzte, daß die Fähigkeiten des Mädchens, in die Zukunft zu sehen, auf etwa zwei Minuten begrenzt waren. Somit war sie etwas besser als das Monster.

Dies erklärte aber nicht ihre Anwesenheit auf Uria.

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