27.

»Jeder Mensch hat ein Ziel im Leben«, sagte Veran nachdenklich, »auch wenn er es nie erreicht. Was haben Sie vor, Corson? Manche Leute werden von Ehrgeiz getrieben, wie ich, andere von Furcht, wieder andere von Geldgier. Ihr Ziel sehe ich nicht, Corson. Das gefällt mir nicht. Ich verhandle nicht gern mit Leuten, deren Absicht ich nicht kenne.«

»Denken Sie einfach, daß ich von Ehrgeiz und Furcht getrieben werde. Ich möchte mit der Hilfe der Urianer Macht erringen. Furcht habe ich, weil ich ein Kriegsverbrecher bin. Ich werde gejagt, wie Sie, Veran.«

»Colonel Veran, bitte!«

»Also gut, Colonel. Ich habe keine besondere Lust, nach Aergistal zurückzugehen, um dort einen sinnlosen Krieg zu führen. Können Sie mich nun verstehen?«

»Dann wissen Sie also«, sagte Veran langsam, »daß der Krieg auf Aergistal keinen Sinn hat. Es gibt dort nichts zu erobern.«

»Diesen Eindruck habe ich gewonnen.«

»Ihre Haltung ist unlogisch. Wenn ein Feind etwas Bestimmtes vorhat, wird er Sie täuschen und seine wahren Absichten verbergen. Dann gehen Sie in die Falle.«

»Soll ich zusammenbrechen und weinen?« fragte Corson. »Weil ich ein armer Teufel bin, der sich in Raum und Zeit herumtreibt? Weil ich von einem Sklavenhändler an diese fanatischen Vögel verkauft wurde? Nein, es tut mir leid!«

»Diese Nachricht!« schnappte Veran.

Corson legte seine Hände flach auf den Tisch und versuchte, ruhig zu bleiben.

»Sie sagten, Sie hätten mir die Nachricht mit Hilfe der Urianer geschickt. Ich habe sie verlegt. Können Sie mir den Inhalt noch einmal wiederholen?«

»Ich habe hier mit Ihnen ein Treffen verabredet, Colonel. Ich habe Ihnen mitgeteilt, wie Sie von Aergistal flüchten können. Ich …«

»Ich möchte den genauen Wortlaut!« schnarrte Veran.

Corson starrte auf seine Hände. Es sah aus, als sei das Blut aus ihnen gewichen.

»Ich habe den genauen Wortlaut vergessen, Colonel.«

»Ich glaube nicht, daß Sie die Nachricht überhaupt kennen«, entgegnete Veran. »Ich glaube, Sie haben sie nicht abgeschickt. Selbst wenn Sie für jemanden arbeiten, der Ihren Namen benutzt hat, müßten Sie den Inhalt kennen. Diese Nachricht muß etwas mit Ihrer Zukunft zu tun haben, und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, daß Sie eine Zukunft haben werden.«

»Nehmen wir an, Ihre Theorie ist richtig, dann ist es doch klar, daß ich Ihnen in der Zukunft einen großen Dienst erweisen werde.«

»Sie wissen sehr gut, was das bedeutet«, meinte Veran.

Es herrschte Stille. Schließlich starrte Veran Corson an und sagte: »Ich kann Sie nicht töten. Nicht bevor Sie die Nachricht abgesandt haben. Mich stört der Gedanke, daß ich Sie nicht töten kann, überhaupt nicht. Was mich stört, ist, daß ich Ihnen keine Angst einjagen kann. Ich mag nicht mit Leuten arbeiten, die ich weder verstehen noch ängstigen kann.«

»Patt«, sagte Corson.

»Wie bitte?«

»Das ist ein Ausdruck aus dem Schachspiel. Er besagt, daß keiner gewinnen oder verlieren kann.«

»Ich spiele nicht«, meinte Veran. »Ich siege zu gern.«

»Oh, das ist kein Spiel im eigentlichen Sinn. Schach ist vielmehr eine strategische Übung.«

Veran lachte. »Dann ist es für mich zu simpel. Das würde mir keine Freude machen.«

Diese Nachricht schützt mich, dachte Corson. Ich folge meiner eigenen Spur, um Fallen zu vermeiden, die ich nicht kenne.

»Und was würde geschehen, wenn ich getötet würde, ohne die Nachricht abzusenden?« fragte Corson.

»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht schickt mir dann jemand anders eine identische Botschaft. Oder eine andere. Oder ich bekomme überhaupt keine Nachricht und bleibe auf Aergistal, wo ich in Stücke gehackt werde.«

Zum ersten Mal lächelte Veran, und Corson sah, daß er keine Zähne hatte. Er trug als Ersatz eine Spange aus Metall.

»Vielleicht bin ich schon ein Gefangener, oder etwas Schlimmeres!«

»Auf Aergistal bleibt man nicht lange tot«, sagte Corson.

»Das wissen Sie auch!«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich dort war.«

»Hm! Aber das Schlimmste ist nicht der Tod, sondern eine Schlacht zu verlieren.«

»Aber Sie sind doch hier.«

»Und hier bleibe ich auch. Wenn man mit Möglichkeiten jongliert, so ist das Wichtigste die Gegenwart. Ich habe eine neue Chance, und ich werde Gebrauch davon machen.«

»Aber nur solange Sie mich nicht töten«, bemerkte Corson.

»Das kann ich leider nicht«, antwortete Veran. »Ich will damit nicht sagen, daß ich die Absicht habe, Sie zu töten, es geht hier nur ums Prinzip.«

»Sie können mich nicht einmal festhalten. Sie müssen mich laufenlassen, damit ich die Nachricht schicken kann.«

»Ich werde mit Ihnen gehen«, sagte Veran.

»Dann werde ich die Nachricht nicht abschicken.«

»Ich werde Sie dazu zwingen.«

Corson hatte plötzlich eine Idee. Er hatte den schwachen Punkt in Verans Argumentation gefunden.

»Warum senden Sie dann die Nachricht nicht gleich selbst?«

Veran schüttelte den Kopf. »Sie machen wohl Scherze. Aergistal liegt am Ende des Universums. Ich wüßte überhaupt nicht, wie ich die Nachricht übersenden sollte. Ohne die Koordinaten, die Sie mir übermittelt haben, hätte ich diesen Planeten nicht in Millionen von Jahren gefunden. Außerdem muß man das Gesetz der Nicht-rückgängigen-Information beachten.«

»Was ist das für ein Gesetz?« fragte Corson.

»Ein Übermittler einer Nachricht kann nicht gleichzeitig der Empfänger sein. Ich kann mich nicht selbst warnen. Das würde Zweitschwankungen verursachen. Der Raum zwischen dem Absendepunkt und dem Empfangspunkt würde annulliert mit allem, was sich darin befindet. Darum habe ich Ihnen auch nicht den Text Ihrer Botschaft gezeigt. Ich habe sie nicht verlegt, sie ist in meinem Ärmel. Aber ich möchte Sie nicht beeinflussen.«

»Das Universum würde sicher keine Widersprüchlichkeiten zulassen«, meinte Corson.

»So ein Standpunkt kann nur aus einem schwachen Hirn kommen. Das Universum duldet alles. Man kann sogar mathematisch beweisen, daß man Systeme errichten kann, die sich völlig widersprechen.«

»Ich dachte, die Mathematik sei in sich selbst logisch«, sagte Corson sanft. »Die Theorie der Kontinu …«

»Sie überraschen mich«, unterbrach Veran. »Die Theorie der Kontinuität wurde doch schon vor dreitausend Jahren fallengelassen. Außerdem hat das wenig mit unserem Fall zu tun. Richtig ist, das jede Theorie, die auf einer unbegrenzten Zahl von Voraussetzungen beruht, ihre eigenen Widersprüche enthalten muß. Sie ist dann zwar unsinnig oder verschwindet ganz, aber trotzdem existiert sie auf dem Papier.«

Darum muß ich also meinen Weg in der Zeit suchen, dachte Corson. Mein Gegenstück in der Zukunft kann mir keine Nachricht übermitteln und mir sagen, was von mir erwartet wird. Aber durch bestimmte Lücken sickern mir Einzelinformationen zu, die mir helfen, meinen Weg zu finden. Wenn ich nun versuche, diese Nachricht an mich zu nehmen und die Zukunft zu zwingen …

»Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun«, sagte Veran, als hätte er Corsons Gedanken gelesen. »Ich persönlich halte nicht allzuviel vom Gesetz der Nicht-rückgängigen-Information, aber ich würde es doch nicht wagen, es zu verletzen.«

Corson wußte, daß die Herren in der weiten Zukunft dies ständig taten. Sie spielten damit. Sie kannten keine Schranken.

»Sitzen Sie hier nicht träumend herum, Corson«, unterbrach Veran seine Gedanken. »Sie haben mir erzählt, daß diese Vögel phantastische Waffen besitzen, die mir zur Verfügung gestellt werden sollen. Sie haben mir weiter gesagt, daß ich das wilde Pegason, das hier auf dem Planeten versteckt ist, ohne die Hilfe der Urianer nicht fangen kann. Und sie brauchen mich als Werkzeug ihrer Rache. Sie benötigen einen kampferprobten Mann, der für sie Eroberungen macht. Auch muß man verhindern, daß das Sicherheitsbüro ihre Pläne nicht durchkreuzt. Vielleicht haben Sie recht. Es paßt alles sehr gut zusammen, nicht wahr?«

Plötzlich schoß Verans Hand so blitzschnell vor, daß Corson nicht mehr reagieren konnte. Er zerriß das Kettchen, das Corsons Abhörgerät festhielt. Er verschloß das Gerät in einer kleinen, schwarzen Schachtel, die er in seiner Hand verborgen gehalten hatte. Corson griff nach Verans Handgelenk, aber dieser schüttelte ihn ab.

»Jetzt können wir offen reden. Jetzt hört niemand mehr mit.«

»Sie werden es bemerken«, sagte Corson.

»Sie unterschätzen mich, mein Freund«, sagte Veran kalt. »Diese Vögel werden weiterhin unsere Stimmen hören. Wir plaudern über das Wetter, den Krieg und das Bündnis … Unsere Stimmen wurden analysiert. Warum glauben Sie, haben wir hier soviel Zeit mit Klatsch vertrödelt? Jetzt sendet ein kleiner Apparat ein ziemlich langweiliges Gespräch, das aber für Ihre urianischen Freunde sicher sehr informativ ist. Von mir bekommen Sie nun einen anderen Halsschmuck.«

Er gab kein Zeichen, aber Corson fühlte sich von festen Händen gepackt. Sein Kopf wurde zurückgedrückt. Er fühlte kaltes Metall an seiner Kehle.

Ein kleines Schloß klickte. Er wurde losgelassen. Corson griff sich an den Hals. Man hatte ihm einen Kragen angelegt. Corson hatte gesehen, daß einige von Verans Männern auch so ein Metallband um den Hals trugen.

»Ich hoffe, das stört Sie nicht«, sagte Veran. »Sie müssen sich daran gewöhnen. Sie werden es wohl lange tragen, vielleicht für immer. Das Band ist mit zwei Zündern verschlossen. Sollten Sie versuchen, es zu entfernen, wird es explodieren. Sie dürfen mir glauben, daß die Explosion stark genug sein wird, Sie wieder mit allem, was sich in Ihrer Nähe befindet, nach Aergistal zu blasen. Sollten Sie jemals versuchen, eine Waffe auf mich zu richten oder mit mir zu kämpfen, erhalten Sie eine Injektion mit einem sehr wirkungsvollen Gift. Dieser hübsche Apparat funktioniert immer und überall in Raum und Zeit. Sie können mich hassen und in Ihren Träumen hundertmal vernichten, aber Sie können Ihre Träume nicht in die Wirklichkeit umsetzen. Sollten Sie sich durch dieses schöne Halsband in Ihrer Würde verletzt fühlen, so können Sie sich damit trösten, daß auch die Männer meiner Leibwache mit diesem Gerät ausgestattet sind.«

Er schaute Corson zufrieden an.

»Ist das auch eine Art Patt?«

»Ja«, gab Corson zu. »Aber die Urianer werden überrascht sein.«

»Sie werden den Sinn des Halsbands verstehen. Sie haben inzwischen eine andere Version unseres Gesprächs empfangen. Und das kleine Abhörgerät der Urianer war auch nicht gerade so harmlos, wie es aussah. Auf ein bestimmtes Signal kann es genug Hitze ausstrahlen, um Sie zu töten. Aber wenn sie schlauer gewesen wären, hätten sie einen automatischen Zünder benutzt. Nun, ich kann mir vorstellen, daß Sie nun einen Drink nötig haben.«

»Ganz bestimmt habe ich das«, meinte Corson.

Veran nahm einen Krug aus einem Schubfach und zwei Becher aus Kristall. Er füllte sie, nickte Corson freundlich zu und nahm einen kräftigen Schluck.

»Ich hoffe, Sie nehmen mir das alles nicht übel. Ich mag Sie, Corson, und ich brauche Sie. Aber ich kann Ihnen nicht trauen. Es paßt alles viel zu gut zusammen. Der einzige Grund dafür ist, daß Sie hier sind, hier waren und überall sein werden. Ich weiß nicht, welches Spiel Sie spielen und was Sie in Ihrem Innern dazu treibt. Was Sie mir vorschlagen, ist Verrat an der Menschheit. Sie verlangen von mir, daß ich mich diesen fanatischen Vögeln zur Verfügung stelle, die nur davon träumen, die Menschheit auszurotten. Dafür bietet man mir persönliche Sicherheit und am Ende verdammt viel Macht. Nehmen wir an, ich sei fähig, mitzuspielen. Aber was ist mit Ihnen, Corson? Sie schauen nicht wie ein Verräter an Ihrer eigenen Rasse aus.«

»Ich habe keine andere Wahl«, meinte Corson.

»Für einen Mann, der unter Zwang handelt, sind Sie aber sehr unternehmungslustig. Sie überzeugen diese Vögel, sich mit mir zu verbünden, und kommen dann her, um selbst zu verhandeln. Außerdem haben Sie mich hergerufen, damit dies alles überhaupt möglich ist. Schön und gut. Nehmen wir an, Sie stellen mir eine Falle, und ich verschwinde. Dann stehen Sie allein mit diesen Vögeln da. Dann haben Sie Ihre Rasse noch einmal betrogen, indem Sie mich Wesen ausgeliefert haben, die von Ihrem Standpunkt aus sicher nicht mehr wert sind als ich. Sie müssen wieder von vorne anfangen. Aber das ist nicht Ihr Stil. Die Vögel halten Sie für ein wildes Tier, das fähig ist, ihre Nester auszurauben, das man aber auch zähmen kann. Ich habe Tausende von Soldaten gesehen, die waren wie Sie, Corson. Fast unfähig, ihre eigene Rasse zu verraten, oder ihr Land, nicht einmal ihre Generäle. Oh, das ist nicht das Ergebnis einer angeborenen Tugend, sondern das Ergebnis der militärischen Erziehung.

Nun bleibt nur noch eine Möglichkeit. Sie versuchen die Menschheit zu retten. Sie denken, daß es besser ist, wenn Uria und dieser Raumsektor von Menschen statt von gefiederten Fanatikern erobert wird. Darum haben Sie mich hergerufen. Sie schlagen eine Verbindung mit den Urianern vor, weil Sie annehmen, daß dieses Bündnis früher oder später wieder zerreißt, wenn die Bedingungen des Vertrages erfüllt sind. Dann soll ich die Urianer ausrotten. Vielleicht werden Sie dann auch noch mit mir fertig. Sie brauchen gar nicht darüber zu reden. Es wäre sinnlos, mich um Hilfe gegen die Urianer zu bitten, wenn das Risiko bestünde, daß ich Sie betrüge. Sie wissen, daß das Bündnis zu Spannungen führen muß.«

»Vergessen Sie nicht das wilde Pegason«, sagte Corson kühl.

Veran grinste falsch.

»Das werde ich nicht. Ich brauche es. Ich kann dann mit einem Schlag Uria von allen Gefahren befreien. Habe ich recht, Corson?«

»Nehmen Sie meine Bedingungen an?« fragte Corson.

Veran grinste wieder.

»Nicht bevor ich einige Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe.«

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