20.

Als Corson erwachte, lag sein Kopf in Antonellas Schoß, die sein Gesicht mit einem in Wein getränkten Lappen abrieb. Er griff an seinen Ellenbogen, der furchtbar schmerzte. Seine Hand war voll Blut. Dann sah er den besorgten Blick von Touray.

Immer noch schwindlig, stand er auf und erreichte es mit großer Kraftanstrengung, daß er stehenblieb.

»Der Ballon hat das Loch verstopft«, erklärte Touray.

Tatsächlich steckte der Ballon halb in der Wand, etwa einen Kilometer über der Wasseroberfläche, die nun wieder ruhig war. Der Luftdruck war wieder normal geworden. Corson spürte den Druck auf seinen Ohren und hielt sich die Nase zu.

Dann lehnte er sich über den Rand der Gondel und blickte fasziniert ins Leere. Himmel und Wasser waren an der Wand wie mit dem Messer abgeschnitten. Die Wand war fast in Reichweite. Corson lehnte sich weit nach außen und streckte den Arm aus, allerdings ohne die Wand zu berühren. Er fühlte ein leichtes Kribbeln, das aber auch Einbildung sein konnte.

Jenseits der Wand war der freie Raum. Er sah Tausende von Sternen. Aber es gab nicht nur die Sterne zu sehen.

Manchmal kamen gewaltige Raumschiffe vorbei. Trotz ihrer Größe konnte sie Corson natürlich nicht direkt erkennen. Sie verdeckten von Zeit zu Zeit die Sterne. Seine geschulten Augen erkannten sofort, daß sich hier zwei Kriegsflotten einen fürchterlichen Kampf lieferten. Ein Schiff war wohl beschädigt worden und außer Kurs geraten. Dabei hatte es die Wand gerammt und den Bruch verursacht.

Es wurde ihm klar, daß er wenig von dem Kampf sah. Er mußte Lichtjahre entfernt sein. Was er sah, war nur ein kleines Scharmützel. Aber er konnte sich nun ein Bild von dem Raum jenseits der Wand machen. Er war ein Teil von Aergistal. Auch Raumkriege mußten auf Aergistal ihren Platz haben, neben Luft-, Land- und Seegefechten. Da man dazu eine besondere Umgebung brauchte, hatte man sie geschaffen. Wenn diese Welt ein Modell war, so war es perfekt.

Wer konnte dort im Raum kämpfen? Menschen, Fremde, Menschen gegen Fremde? Das Wrack des Schiffes, das in der Mauer stak, hatte keine ihm bekannte Form. Er glaubte, in den Trümmern einen menschlichen Körper treiben zu sehen, aber es konnte auch nur ein Stück Metall sein.

Corson räusperte sich. Die Luft war nun ruhig, und er brauchte nicht mehr zu schreien, um sich verständlich zu machen.

»Wir stecken ein wenig in der Klemme«, meinte der Neger.

»Ich fürchte, Sie haben recht«, stimmte Corson zu. Er hatte schon viele Möglichkeiten durchdacht, wie man aus dieser Situation herauskommen könnte, aber alles wieder verworfen. Die Taue waren nicht lang genug, um das Wasser zu erreichen. Es gab auch keine Möglichkeit, den Ballon freizubekommen. Sie saßen fest wie Fliegen an einem Klebestreifen.

Wenn sie nur einen dieser Durchgänge erleben würde!

Als Touray zuerst von diesen Durchgängen gesprochen hatte, hatte er eine seltsame Angst verspürt. Nun hoffte er darauf.

Drüben im Raum wurde es plötzlich lebendig. Es sah aus, als ob ein Bienenschwarm erschienen wäre, oder besser Fliegen. Und wie Fliegen fielen sie über die in der Nähe befindlichen Raumschiffe her. Mit teuflischer Geschicklichkeit wichen sie dem Feuer der Raumschiffe aus. Dann explodierte ein Schiff, kurz darauf ein anderes. Das grelle Licht blendete Corson, obwohl er die Hand schützend vor die Augen gelegt hatte. Er fragte sich, was geschehen würde, wenn wieder ein Schiff gegen das Kraftfeld stieß.

Fliegen?

Plötzlich erkannte Corson, was es war. Es waren Pegasone! Seine letzten Zweifel verschwanden, als eines plötzlich genau auf der anderen Seite der Wand erschien. Als das Monster sich drehte, sah Corson einen Mann, der die Uniform von Verans Armee trug.

Der Mann stieß einen unhörbaren Schrei aus, als er die Gondel mit ihren Insassen erblickte. Man sah, wie sich seine Lippen im Helm bewegten. Einen Moment später drückten sich zahllose Monster gegen das Kraftfeld … und verschwanden.

Dann erschienen sie plötzlich auf der anderen Seite wieder. Sie hatten mühelos das Kraftfeld durchquert. Sie kreisten den Ballon ein und warteten dann. Die Soldaten richteten ihre Waffen auf die drei Insassen. Antonella preßte Corsons Arm, und Touray wischte sich den Schweiß von der Stirn und fragte: »Was ist denn hier los, zum Teufel?«

Corson hatte keine Zeit zum Antworten. Er hatte einen Plan. Sie konnten von Veran keine Gnade erwarten. Aber vielleicht wollte er sie lebend haben.

Corson biß die Zähne zusammen. Er schaute zum Ballon empor. Enthielt er Wasserstoff oder Helium? Er hatte keine Zeit, Touray zu fragen. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Wenn Wasserstoff mit Luft in Berührung kam, explodierte es sofort.

Er zog seine Strahlenpistole aus dem Halfter und zielte ruhig. Er sah noch, wie die Hülle des Ballons aufriß und eine Flamme hervorschoß. Dann fühlte er, wie Feuer ihn einhüllte. Er brannte lichterloh und hörte die Schreie anderer.

Er fiel und fühlte Antonellas Körper, obwohl er keinen Körper mehr besaß. Seltsamerweise war er nicht tot, er hatte nicht einmal das Gefühl, zu sterben. Aber das Licht erlosch. Der Himmel wurde purpurfarbig und dann schwarz. Wie auf einem Negativ eines Schwarzweißbildes sah er die Pegasone und ihre Reiter, die vor Staunen starr waren. Er selbst war bewegungslos. Die Flammen züngelten dicht vor seinem Gesicht … wenn er noch ein Gesicht hatte. Er hatte ein Gefühl, daß dieser Augenblick der Starre universal war und eine Ewigkeit dauern würde.

Dann erloschen die Flammen.

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