24.

Corson wurde von einem Urianer höflich geweckt. Er trug eine gelbe Tunika, und sein Kamm war geschoren. Es handelte sich um einen Diener.

»Mensch Corson«, sagte der Eingeborene, »Sie müssen sich auf die Feierlichkeiten vorbereiten.«

Er war noch zu schläfrig, um zu fragen, was für Feierlichkeiten gemeint seien. Er wurde in einen Waschraum geführt, dessen Ausstattung provisorisch für einen Menschen verändert war. Das Wasser stank nach Chlor, und er machte nur sparsam Gebrauch davon. Trotzdem gelang es ihm, sich zu waschen und zu rasieren. Dann reichte ihm der Urianer eine gelbe Tunika, wie er selbst eine trug. Obwohl sie extra für ihn geändert worden war, waren die Arme zu kurz, und der Saum schleifte über den Boden.

Dann wurde Corson in einen Erfrischungsraum gebracht. Der Stoffwechsel der Urianer unterschied sich so gravierend von dem der Menschen, daß die Nahrung der einen für die andern reines Gift war. Darum schaute Corson mißtrauisch auf das Tablett, aber der riesige Vogel beruhigte ihn.

Nachdem er probiert hatte, fand Corson das Essen besser, als es aussah, und er fragte, was das für eine Feierlichkeit sei, zu der er eingeladen war.

»Es handelt sich um die Vorstellung des Eies, Mensch Corson«, antwortete der Eingeborene in ehrfürchtigem Ton.

»Welches Ei?« fragte Corson kauend.

Es schien, als ob es dem Urianer plötzlich schlecht geworden wäre. Er stieß schrille Geräusche aus, und Corson dachte, es könnten entweder Flüche oder rituelle Formeln sein.

»Das allerehrwürdigste Blaue Ei seiner Majestät, des Prinzen!« schrie der Diener schließlich.

»Was Sie nicht sagen!« rief Corson überrascht aus.

»Noch kein menschliches Wesen war jemals bei der Vorstellung des Eies zugegen. Sie dürfen sich äußerst glücklich schätzen, es ist eine große Ehre, die der Prinz Ihnen gewährt.«

Corson nickte. »Ich glaube es.«

»Und nun«, sagte der Urianer, »ist es Zeit, daß wir gehen.«

Er führte Corson in einen großen, eiförmigen Raum, der außer dem Eingang keinerlei Öffnungen hatte. Seit er in die Klauen der Urianer gefallen war, hatte Corson noch keine Öffnung gesehen, die ins Freie hätte führen können. Es mußte sich hier um einen geheimen Stützpunkt handeln, der tief unter der Erde lag.

Etwa hundert Urianer drängten sich in den Raum. Sie schwiegen respektvoll und machten Corson und seinem Führer Platz. Corson sah, daß die Anwesenden Tuniken in verschiedener Farbe trugen. In der ersten Reihe waren er und der Diener die einzigen mit einer gelben Tunika. Alle anderen trugen Tuniken von blauvioletter Farbe. Corson hörte einige gackernde Laute. Er schätzte, daß diese Leute einen hohen Rang einnahmen, da sie es wagen durften, sich hier zu unterhalten. Corson wandte sich um. Er sah hinter den blau-violett gekleideten Urianern solche in rot, orange und ganz hinten in gelb. Diese standen mit gebeugten Häuptern da und warteten still und geduldig.

Vor ihm befand sich ein länglicher Block aus Metall. War es eine Truhe oder ein Tisch, vielleicht gar ein Altar?

Das Licht wurde schwächer. In der Wand erschien eine Öffnung. Nun trat völlige Stille ein. Ngal R’nda erschien. Er trug eine prächtige blaue Toga mit einer langen Schleppe. Er blieb hinter dem Metallblock stehen und schaute die Anwesenden an. Dann hob er seine runzeligen Arme empor und rief einige Worte in altem Urianisch. Die Menge antwortete in schrillem Ton.

Ngal R’nda heftete seine gelben Augen auf Corson. In schrillem Ton sagte er: »Schau, Erdenmensch, was noch nie ein Mensch vorher geschaut hat!«

Der Metallblock öffnete sich, und langsam hob sich eine beschriftete Säule, die ein Ei trug, das von drei goldenen Klauen gehalten wurde.

Fast hätte Corson gelacht. Das war also das Blaue Ei, auf das Ngal R’nda so stolz war. Aus diesem Ei war er ausgeschlüpft! Jemand mußte die Einzelteile sorgfältig wieder zusammengeklebt haben. Er konnte von seinem Platz aus die ehemaligen Bruchstellen erkennen. Ngal R’nda wollte seinen Anhängern ständig seine Herkunft vor Augen halten. Mit dem Blauen Ei erinnerte er an die glorreiche Vergangenheit der Prinzen von Uria.

»Schau, Erdenmensch«, fuhr der Urianer fort. »Wenn ich sterbe, wird dieses Ei pulverisiert, wie man es auch mit den Eiern meiner Vorfahren getan hat. Das Pulver wird mit meiner Asche vermischt werden. Ehre das Ei, das von meinem Schnabel aufgebrochen wurde! Ehre das Ei, das den letzten Prinzen von Uria hervorgebracht hat!«

Plötzlich ertönte im Hintergrund des Raumes Lärm. Ngal R’nda gab ein Zeichen, und das Ei verschwand wieder in dem Metallblock. Ein gelbgekleideter Urianer hatte sich mühsam durch die Menge gekämpft und stieß nun Corson zu Seite. Dann verbeugte er sich vor dem Prinzen und schrie mit schriller Stimme. Ngal R’nda hörte eine Weile zu und wandte sich dann, Pangal sprechend, an Corson.

»Eine Horde bewaffneter Menschen hat etwa fünfzig Kilometer entfernt von hier ein Lager errichtet. Sie haben Monster bei sich — das heißt Pegasone. Ist das ein verräterischer Plan von Ihnen?«

Veran!

»Nein Prinz«, antwortete Corson und versuchte, ein Lächeln zu verbergen. »Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir eine Armee brauchen. Sie ist gerade angekommen!«

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