13.

Corson war eingeschlafen und wälzte sich in schweren Träumen, als ihn plötzlich eine leichte Berührung weckte. Er warf sich so plötzlich zur Seite, daß seine enge Koje wackelte. Dann konnte er den Schatten Antonellas erkennen, die sich über ihn beugte.

Antonella flüsterte: »Ich weiß, daß etwas geschehen wird. Aber ich sehe noch nicht klar.«

Als er die Hand ausstreckte, um Licht zu machen, sagte sie: »Nein. Es ist besser, sie nicht zu warnen!«

Er warf seine Decke zurück und sprang auf. Dabei stieß er mit ihr zusammen. Sie lehnte sich an ihn, und er drückte sie an sich. Er fühlte ihre Lippen nahe bei seinem Ohr.

Bevor er begreifen konnte, was sie sagte, hörte man plötzlich Schreie im Lager. Männer rannten fluchend umher, Gewehre knatterten. Ein Motor brüllte auf, und eine heftige Vibration erschütterte die Luft. Kanonen begannen zu dröhnen. Offiziere brüllten Befehle und riefen die Männer auf ihre Posten. Scheinwerfer durchstachen die Dunkelheit. Zwischen den Schreien und dem Krachen der Waffen hörte Corson auch das Seufzen der ängstlichen Pegasone.

Ängstlich? Aber ein Monster …

Die Scheinwerfer erloschen. Plötzlich war alles finster. Der Lärm wurde dumpfer. Auch die Waffen schwiegen nun. Jemand stolperte und fiel stöhnend gegen das Zelt. In der nun folgenden Stille hörte man die laute Stimme von Veran.

»Corson, sind Sie dort? Sollte das einer Ihrer Tricks sein …?«

Den Rest hörte man nicht. Corson zögerte. Er wollte gerade antworten, aber Antonella hielt ihm den Mund zu.

»Da kommt jemand!«

Jetzt, da sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, merkte er, daß dies keine gewöhnliche Nacht war. Sie befanden sich wieder in dem gleichen undurchdringlichen Nebel, wie bei ihrer Gefangennahme.

Also wurde das Lager angegriffen. Dieser Angriff hatte weniger als drei Minuten gedauert und war schon wieder vorbei. Niemand konnte in dieser Dunkelheit kämpfen.

»Meinst du Veran?« flüsterte er, um auf Antonellas Vorhersage zurückzukommen.

»Nein. Es ist niemand aus dem Lager. Es ist jemand wie du. Jemand der dir gleich ist!«

Also ein Befreier oder eine neue Gefahr?

Dann sah man eine Gestalt. Jemand hatte die Klappe des Zeltes gehoben. Ein Lichtpunkt erschien dicht vor Corsons Gesicht. Es wurde größer, wirbelte umher und wurde vom dichten Nebel fast aufgesaugt. Als er noch zwei Meter entfernt war, wurde er ruhiger und hörte auf zu kreisen. Antonella und Corson befanden sich nun fast völlig in einer glänzenden Hülle.

Antonella unterdrückte einen Schrei.

Eine behandschuhte Hand kam aus dem Lichtschleier. Sie bewegte sich, als sei sie vom Arm getrennt. Sie war leer. Die Handfläche zeigt nach vorn. Ein universales Zeichen für eine friedliche Absicht.

Hinter der Hand war ein Mensch. Jedenfalls eine menschliche Figur in einem Raumanzug. Hinter dem Helmvisier war nichts zu erkennen.

Wortlos reichte der Besucher Corson zwei Raumanzüge, wie er einen trug, und machte durch Zeichen klar, daß er und Antonella sie anziehen sollten.

Corson brach das Schweigen. »Wer zum Teufel sind Sie?«

Der Unbekannte deutete ungeduldig auf die Raumanzüge. Antonellas begann sofort mit dem Anziehen.

»Nicht so schnell«, sagte Corson, »wir haben keinen Grund, diesem Kerl zu trauen!«

»Er bringt uns hier ’raus«, antwortete sie.

»Wie?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Er wird eine Methode benutzen, die ich nicht begreife.«

Corson beruhigte sich. Er legte seine festliche Tunika ab und schlüpfte in den Raumanzug. Er setzte den Helm auf und war überrascht, daß er noch genausogut hören konnte wie zuvor. Er wechselte einige Worte mit Antonella. Es gab nun eigentlich keinen technischen Grund mehr für den Fremden, stumm zu bleiben. Aber warum brauchten sie Raumanzüge? Hatte dieser dunkle Nebel eine toxische Wirkung?

Der Fremde prüfte den Verschluß an Antonellas Helm und wandte sich dann an Corson. Er winkte mit dem Kopf und nahm Antonella bei der Hand. Antonella nahm ihrerseits Corsons Hand, und so tauchten sie in die totale Dunkelheit.

Der Fremde führte sie sicher. Sorgfältig vermied er Hindernisse und achtete darauf, daß seine Begleiter hinter ihm blieben. Manchmal spürte Corson den Stoß von Soldaten, die völlig verwirrt im Lager herumliefen.

Es wurde dann ruhiger. Es schien, daß die verwirrten Soldaten die Hoffnung aufgegeben hatten, in der Dunkelheit noch etwas erreichen zu können. Nur die Pegasone wimmerten noch.

Das Seufzen wurde nun lauter. Der Fremde führte sie zum Ruheplatz der Pegasone. Corson zögerte, aber Antonella zog ihn weiter.

Endlich blieben sie stehen. In der Nähe machte sich der Fremde mit seltsamen Dingen zu schaffen. Corson vermutete, daß er ein Pegason sattelte. Ein kompliziertes Geschirr hing an der Seite der Bestie. Das war also die Fluchtmöglichkeit, die der Fremde sich ausgedacht hatte.

Nun stieg Corson in eine Art Steigbügel und band sich mit herabhängenden Riemen fest. Schon fühlte er die fürchterlichen Tentakel, die sich um seine Handgelenke schlangen. Er erwartete das Schlimmste. Aber der Druck der Fühler blieb sanft. Die stahlharten Fäden behinderten nicht einmal seine Bewegungsfreiheit. Er nahm an, daß sie als Zügel dienten, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wie man ein Pegason führte und lenkte.

Das Monster zitterte vor Freude. Es hatte aufgehört zu jammern und stieß nun unregelmäßige Pfiffe aus.

Corson hörte, wie der Fremde einen seltsamen Schrei ausstieß, und erwartete einen Schlag. Aber gegen alle Erwartung fühlte er nur Schwerelosigkeit. Wenn er nicht die Riemen gefühlt hätte und den festen Körper des Monsters an seiner Seite, hätte er glauben können, daß sich eine Fallgrube unter seinen Füßen geöffnet hatte. Antonella keuchte überrascht. Er wollte sie trösten, aber bevor er etwas sagen konnte, kamen sie aus der Dunkelheit heraus.

Über ihnen schienen friedlich die Sterne. Corson reckte seinen Hals, aber die riesige Masse dieses Pegasons entzog Antonella, die auf der anderen Seite hing, seinen Blicken.

Dann sah er etwas, was ihm fast den Atem raubte. Ein anderes Pegason drehte sich wie ein riesiger Pilz in der Luft. Es verdunkelte ein großes Stück des Sternenhimmels, und die Augen leuchteten wie die Lichter eines verrückt gewordenen Computers. An seiner Seite hing der Fremde wie eine Warze. Er winkte aufmunternd mit den Armen.

Jetzt wagte es Corson, abwärts zu blicken. Er erwartete, ein dunkles Loch zu sehen, aber im Schein der Sterne konnte er nur die Lichtung sehen. Zu einer leichten Brise schaukelten zahlreiche hohe Pflanzen an der Stelle, wo er vor kurzem noch die Asche des Lagers gesehen hatte. Es schien, als ob das Lager Verans nie existiert hatte.

So hatten sie also einen Zeitsprung gemacht. Das Pegason konnte sich weiter durch Raum und Zeit bewegen als das wilde Monster, das Corson gekannt hatte. Wie weit, daß wußte er allerdings nicht und konnte es auch nicht raten.

Es fiel ihm ein, Antonellas Talent zu bemühen. Er rief: »Was geschieht nun als nächstes?«

Sie antwortete unsicher: »Ich weiß es nicht. Ich kann überhaupt nichts voraussehen.«

Plötzlich schossen sie hoch wie eine Rakete. Die Lichtung verschwand im Dunkel des Waldes. Nun erkannte Corson den Sinn der Raumanzüge. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie in wenigen Minuten die Atmosphäre des Planeten verlassen.

Ein Fleck schoß über den Himmel, dann ein anderer. Dann waren die beiden Pegasone hoch genug, daß Uria nur noch wie ein riesiger dunkler Ball erschien, dessen eine Seite mit einem hellen Schein gekrönt war. Der Himmel wurde schwärzer und schwärzer.

Wieder sah man einen schwarzen Fleck am Himmel. Obwohl er nur für einen Sekundenbruchteil zu sehen war erkannte Corson diesmal ein Pegason. Zweifellos eines von Veran. Da die Pegasone durch die Zeit springen konnten, konnte Veran in Ruhe seine Verfolgung vorbereiten. Vielleicht hatte er einen Hinterhalt gelegt. Diese vorbeihuschenden Pegasone waren nur Späher, die Vergangenheit und Zukunft auf der Suche nach der Beute durchstreiften.

Plötzlich gab es ein Getümmel. Sie waren mitten in einer Gruppe von Pegasonen. Die Sonne schien Corson ins Gesicht, und er schloß die Augen. Sie hatte den Himmel in einem gewaltigen Sprung überquert, und Corson wußte warum. Um der Falle Verans zu entgehen, war der Fremde in eine andere Zeit ausgewichen.

Im Augenblick spielten sie mit Verans Kavallerie ein unheimliches Spiel. Das Spielbrett bestand aus Metern und Sekunden. Jedesmal wurde der Spielraum enger. Trotz des Vakuums glaubte Corson die triumphierenden Schreie der Soldaten zu hören. Die Sonne tanzte wie verrückt am Himmel. Der Planet Uria flackerte rasch im Licht der Tage, die sich mit der Nacht abwechselten.

Corson sah, wie die anderen Pegasone dem des Fremden bedrohlich nahe kamen. Er rief eine Warnung, und Antonella folgte seinem Beispiel. Der Fremde lehnte sich herüber und griff einige Fühler ihres Reittiers. Nun änderte das ganze Universum Form und Farbe. Alles was ihnen bekannt vorkam, verschwand.

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