26.

Sie gingen durch den Dschungel, und die abgefallenen Schuppen der Bäume, die nichts mit irdischen Bäumen gemeinsam hatten, knirschten unter seinen Füßen. Die Urianer gingen geräuschlos. Es waren sehr zerbrechliche Wesen, diese Urianer. Sie hatten von ihren Vorfahren hohle Knochen geerbt. Er hätte sie mit zwei Schlägen fertigmachen können. Aber sie hatten tödliche Waffen in den Krallen, und außerdem brauchte er sie.

In der ersten Nacht, die er auf diesem Planeten verbracht hatte, hatte die gleiche tiefe Finsternis geherrscht wie jetzt. Und auch damals hatte er auf Geräusche im Dschungel gelauscht, um herauszufinden, wo das Monster sein Lager hatte. Nun hatte er es mit einem anderen Monster zu tun, einem menschlichen namens Veran.

Sie hatten ihren Gleiter zurückgelassen, weil sie hofften, daß sie sich in der Verwirrung, die durch seine und Antonellas Flucht im Lager entstand, unbemerkt nähern konnten. Corson schaute auf die Uhr. Sie näherten sich den Pegasonen. Der maskierte Fremde zäumte gerade eines der Biester auf. Er half Corson und Antonella beim Aufsteigen. Dann verschwanden sie alle ins Nichts.

In der ersten Nacht auf dem Planeten hatte er es nicht gewagt, Licht zu machen, heute trug er Speziallinsen auf den Augen, die ihm erlaubten, im Infrarotbereich zu sehen. Der Boden war fast so schwarz wie der Himmel. Die Bäume erschienen leicht rötlich, die schuppenartigen Blätter orange. Steine, die die Tageswärme abstrahlten, sahen wie kleine, leuchtende Punkte aus.

Er roch verbranntes Harz und geschmolzenen Sand. Das Lager war ganz in der Nähe.

Er fragte sich, ob dies ein historischer Augenblick war. Vieles hing von ihm ab, was Uria und seine Zukunft betraf. Würde Veran seinen Vorschlag annehmen? Was würde geschehen, wenn Verans Männer sofort feuerten und er getötet würde? Das Bündnis würde nie zustande kommen. Das Monster und Veran könnten dann nach Belieben den Planeten erobern und verwüsten.

Es würde Krieg geben. Krieg zwischen den Menschen und den Eingeborenen und Krieg zwischen Uria und dem Sicherheitsbüro. Etwas würde zerbrechen. Ein Riß würde die Jahrhunderte zerspalten und die Zukunft erschüttern. Es gab nur einen Grund für seine Anwesenheit. Man hatte ihn geschickt, diesen Riß zu verhüten, ohne ihm zu sagen, warum oder wie.

Ein historischer Augenblick! Ein Ort und eine Zeit, wo sich mehrere Zeitlinien kreuzten. Er hatte sich selbst getroffen, ohne es zu wissen, und vermied nun, sich wieder zu treffen. Wirklich ein historischer Augenblick! Er fühlte sich verantwortlich für Milliarden von Menschen, die noch nicht geboren waren.

Plötzlich sahen sie Lichter und einen feinen, purpurfarbigen Streifen, der in der Dunkelheit leuchtete. Corson kannte die Gefährlichkeit dieses Streifens. Er gab seinen Begleitern ein Zeichen. Diese hielten sofort an.

Sie waren übereingekommen, daß er zunächst allein zu Veran gehen sollte, bis eine vorläufige Einigung erzielt war. Aber man hatte ein kleines Abhörgerät an seinem Nacken befestigt. Er zweifelte nicht daran, daß Ngal R’nda das Gespräch mithören würde.

Plötzlich erlosch das purpurfarbene Licht, und aus dem Lager erscholl eine ruhige Stimme: »Corson, ich weiß, daß Sie da sind!«

Es war Veran. Corson ging ins Lager, von einem Scheinwerfer hell angestrahlt. Er beachtete weder die Waffen, die auf ihn gerichtet waren, noch die Männer selbst.

»So, Sie sind also zurückgekommen. Und Sie hatten Zeit, Ihre Kleider zu wechseln, wie ich bemerke.« Die Stimme war mehr ironisch als ärgerlich. Veran hatte sich gut unter Kontrolle. »Die Frau haben Sie wohl an einem sicheren Ort versteckt?«

»Aber ich bin da«, sagte Corson knapp.

»Ich wußte, daß Sie zurückkommen würden. Ich habe kurz die Zukunft erforscht, und darum wußte ich es. Genauso wußte ich, wie ich Sie zum ersten Mal finden konnte. Schließlich haben Sie diesen Ort für mich ausgesucht. Ich nehme an, Sie hatten einen guten Grund dafür. Hier können wir uns nach unserem Aufbruch von Aergistal gut erholen. Ich nehme an, Sie haben mir etwas zu sagen.«

»Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen«, sagte Corson.

»Kommen Sie näher. Ich muß das Kraftfeld, das mein Lager schützt, wieder einschalten.«

Corson schritt vor. Hinter ihm leuchtete das purpurne Licht wieder auf. In seinem Körper spürte er die typische Vibration.

»So, Corson, was haben Sie mir anzubieten?«

»Ein Bündnis. Sie brauchen eines!«

Veran zuckte mit keiner Wimper. Seine grauen Augen glitzerten. Er sah aus wie eine Statue. Auch seine Männer, die um ihn herumstanden, rührten sich nicht. Aber sie hatten zweifellos den Finger am Abzug ihrer Waffen.

Veran hatte keine Waffe. Seine Hände lagen auf dem Rücken, eine typische Haltung, die Corson bei vielen Offizieren gesehen hatte.

»Ich könnte Sie töten«, sagte Veran. »Ich habe es nicht getan, weil Sie mir diese Nachricht geschickt haben. Dadurch konnte ich mich aus einer bösen Klemme befreien. Trotzdem erwarte ich eine Erklärung.«

»Natürlich«, sagte Corson.

»Sie haben mir diese Nachricht zukommen lassen, nicht wahr? Oder könnte es jemand anders gewesen sein?«

»Wer zum Beispiel?« fragte Corson.

Er konnte sich nicht erinnern, eine Nachricht geschickt zu haben. Er hätte gar nicht gewußt, wie Veran zu erreichen war. Er konnte diese Nachricht erst in der Zukunft abschicken. Sie könnte ein Teil des Planes sein, den er gerade zu schmieden begann. Er würde also später mehr wissen, als jetzt. Allerdings sah er schon etwas klarer. Aber wenn etwas schiefging? Wenn Veran dem Bündnis nicht zustimmte, könnte er dann überhaupt noch eine Nachricht abschicken? Aber sie existierte, ohne sie wäre Veran jetzt nicht auf Uria, also mußte er die Nachricht senden. Aber wann würde das geschehen? Wann würde er den Plan fassen — jetzt gleich oder später?

Es war sehr schwierig, in der Zukunft zu planen. Er mußte zunächst etwas herausfinden.

»Sie denken zu lange nach, bevor Sie sprechen«, sagte Veran. »Das mag ich nicht.«

»Wir haben viel zu besprechen. Hier draußen ist dafür kein guter Platz.«

Veran gab ein Zeichen. Einer seiner Männer sagte: »Er ist nicht bewaffnet. An seinem Hals ist ein Abhörgerät.«

»Schön«, meinte Veran. »Gehen wir.«

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