5.

Von weitem ähnelte Dyoto einer riesigen Pyramide, deren Basis mehr als einen Kilometer über dem Erdboden schwebte. An ihren Seiten waren dunkle Flächen, die sich mit glitzernden Lichtpunkten vermischten und den Eindruck eines Vulkans vermittelten, an dessen Hängen glühende Lava hinabläuft. Der Anblick raubte Corson den Atem.

Dann schien sich die Pyramide aufzulösen. Sie wurde zu einem Labyrinth. Die Gebäude oder Maschinen, aus denen sich die Stadt zusammensetzte, waren weit voneinander entfernt. Ein doppelter Flußlauf schoß senkrecht aus der Erde empor und floß durch die Stadt, wie eine Säule, die von einem unsichtbaren Gefäß umgeben ist. Fahrzeuge schossen durch die dreidimensionalen Straßen. Gerade als das Schiff mit Corson die Außenbezirke der Stadt erreichte, schossen zwei würfelförmige, große Gebäude himmelwärts und flogen dann in Richtung Ozean.

Dyoto, dachte Corson, ist ein gutes Beispiel für eine Stadt, die durch Antischwerkraft gehalten wird und den Stempel einer Gesellschaft trägt, die keine Gesetze kennt. Zu seiner Zeit war der Gebrauch der Antischwerkraft nur auf Kriegsschiffe beschränkt gewesen. Was das Fehlen von Gesetzen betraf, so hatte er nur eine vage historische Erinnerung. In Kriegszeiten gab es so etwas nicht. Hier hatte jeder Mensch und jeder Gegenstand eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen. Nun, in zwölf Jahrhunderten oder mehr hatte sich sicher vieles geändert.

Diese Stadt war, im Gegensatz zu den ihm bekannten Städten, keine feste Einheit, sondern eine Anhäufung von beweglichen Einheiten. Jeder konnte sich niederlassen, wo er wollte, und jederzeit den Platz wieder wechseln. Nur eine wichtige Funktion der Stadt war erhalten geblieben: Das Zusammenleben von Menschen, die Waren und Gedanken austauschen wollten.

Florias Schiff glitt langsam an der Pyramide entlang. Corson bemerkte, daß die Wohneinheiten alle so lagen, daß jede im vollem Sonnenlicht lag. Das erforderte die Existenz einer zentralen Verwaltung, die den Verkehr regulierte und Neuankömmlingen einen Platz zuwies.

»Hier sind wir«, sagte Floria plötzlich. »Was wollen Sie nun machen?«

»Ich dachte, Sie würden mich nun zur Polizei bringen.«

Interessiert fragte sie: »Hätte man das zu Ihrer Zeit getan? Nun, die Männer des Gesetzes werden Sie schon finden, wenn sie etwas von Ihnen wollen. Ich bin aber sicher, daß sie nicht wissen, wie man jemand verhaftet, das hat es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.«

»Ich … ich habe Sie aber doch angegriffen.«

Sie begann zu lachen. »Sagen wir doch einfach, ich hätte Sie gereizt. Und es war doch eine schlimme Erfahrung, mit einem Mann zusammen zu sein, der nicht in der Lage ist vorauszusehen, was man ihm sagen will.«

Sie ging auf ihn zu und küßte ihn auf den Mund. Bevor er sie an sich drücken konnte, war sie schon wieder zurückgewichen. Er stand da mit offenem Mund. Dann sagte er sich, daß sie wohl recht hatte. Sie war es sicher nicht gewöhnt, mit einem Mann wie ihm zusammen zu sein, aber er kannte Frauen, wie sie eine war. Sie mochte ihn, weil er Gewalt gegen sie angewendet hatte. Also waren die Menschen gleich geblieben, auch wenn sie einige Talente entwickelt hatten.

Aus einer solchen Situation konnte er sicher Nutzen schlagen.

Aber etwas in ihm lehnte sich gegen diesen Gedanken auf. Ein Instinkt sagte ihm, daß es besser sei, eine möglichst große Entfernung zwischen sich und diesen Planeten zu bringen. Er wußte, was hier bald geschehen würde. Er zweifelte daran, daß die Menschen in den letzten zwölf Jahrhunderten Möglichkeiten entwickelt hatten, um mit achtzehntausend Monstern fertig zu werden. Er wußte auch, daß er sich nicht länger in der Nähe von Floria aufhalten durfte. Die Gefahr, sich zu verlieben und damit die Freiheit seiner Entscheidung einzubüßen, war zu groß.

»Danke für alles«, sagte er kurz. »Falls ich einmal etwas für Sie tun …«

»Sie sind ja sehr selbstsicher«, antwortete sie. »Wohin wollen Sie denn jetzt gehen?«

»Auf irgendeinen anderen Planeten. Ich habe eine Menge durchgemacht und habe auf diesem Planeten nun genug Zeit verbracht.«

Ihre Augen weiteten sich etwas. »Ich frage Sie nicht, warum Sie lügen, Corson, aber ich frage mich, warum Sie so schlecht lügen.«

»Weil es mir Spaß macht.«

Er hätte ihr gern noch eine Menge Fragen gestellt, aber er hielt sich zurück. Er mußte diese neue Welt selbst erkunden. Er wollte sein Geheimnis für sich behalten, zumindest im Augenblick. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf die mageren Angaben zu stützen, die er während des Fluges mit Floria erhalten hatte.

»Ich hatte gehofft, Sie würden sich anders entscheiden«, meinte Floria, »aber das ist Ihre Sache.«

»Ich kann Ihnen zumindest einen Gefallen tun. Ich verlasse diesen Planeten. Ich rate Ihnen, meinem Beispiel zu folgen. In einigen Monaten wird es hier sehr ungemütlich.«

»So?« entgegnete sie ironisch. »Sie sind nicht fähig, auch nur eine Minute in die Zukunft zu sehen, und jetzt wollen Sie den Propheten spielen! Nun, ich gebe Ihnen auch einen guten Rat. Verschaffen Sie sich neue Kleider, wenn Sie nicht weiter mit diesem albernen Zeug herumlaufen wollen.«

Verlegen leerte er die Taschen seines Kampfanzugs und nahm eine Art Tunika, die Floria ihm reichte.

Das Schiff hielt nun an einer Art Landungsbrücke. Corson kam sich in seiner neuen Kleidung sehr komisch vor.

»Haben Sie einen Müllschlucker?«

»Einen was?«

Er biß sich auf die Lippen. »Ein Ding, in das man Abfälle wirft.«

»Einen Atomisierer? Natürlich.«

Sie zeigte ihm den Apparat, und er stieß seine zusammengeknäuelte Uniform hinein. Das weite Gewand, das er jetzt trug verbarg leicht die Strahlenpistole, die er unter der linken Achselhöhle trug. Er war fast sicher, daß Floria die Waffe gesehen hatte, aber ihren Zweck nicht kannte. Die Uniform löste sich vor seinen Augen in Nichts auf.

Er ging nun zur Luke, die sich öffnete. Er wollte noch etwas sagen, aber der Satz blieb ihm im Halse stecken. Er machte eine vage Handbewegung. Alle seine Gedanken kreisten nur um einen Punkt.

Er brauchte jetzt einen ruhigen Ort, wo er darüber nachdenken konnte, wie er das schreckliche Schicksal von Uria abwenden konnte.

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