30.

Corson genoß es, in einem Lager zu leben, in dem alles bis ins Kleinste organisiert war. Die Soldaten, die ihn im Reiten von Pegasonen ausbildeten und wahrscheinlich auch bewachten, waren nicht erstaunt über Corsons Halsband. Sie glaubten zweifellos, daß er nun zu Verans Leibwache gehörte.

Veran selbst machte Pläne mit Ngal R’nda und den Edlen von Uria. Er hatte offensichtlich ihr volles Vertrauen gewonnen. Sie hatten sich sogar überreden lassen, ihm ihre Waffen zur Verfügung zu stellen und deren Gebrauch zu erklären. Die Disziplin von Verans Armee hatte sie stark beeindruckt. Vielleicht hinderte aber ihr Überlegenheitsgefühl sie auch daran, sich vorzustellen, daß dieser Mensch, ihre Diener, das Bündnis brechen und sie betrügen könnte. Nach Corsons Meinung waren diese Vögel manchmal unbeschreiblich naiv. Verans scheinbare Ehrerbietung erfüllte sie mit selbstgefälliger Zufriedenheit. Die ganze Sache entwickelte sich sehr gut, wie Veran orakelhaft sagte.

Corson dachte anders. Unter seinen Augen entstand eine prächtige Kriegsmaschine. Das Monster, das nun bald seine Jungen haben würde, war in einem Energiekäfig eingesperrt. Da es zu alt zum Zähmen war, überließ man es den Jungen zum Fraß.

Es schien Corson, daß das Bündnis mit Uria sich völlig anders entwickelte, als er gerechnet hatte. Flucht war für ihn unmöglich. Er hätte es sofort versucht, wenn er einen Weg gesehen hätte. Er fühlte, daß er Zeuge eines der schlimmsten kriegerischen Abenteuers in der Geschichte werden würde. Aber aus seiner Zukunft kam kein Zeichen. Sein Schicksal schien besiegelt, aber in einer Weise, die er nicht gewollt hatte.

Aber nach einer ruhigen Nacht verschwanden die düsteren Gedanken etwas.

Er schaute gerade zum Himmel und fragte sich, warum man weder in Dyoto noch in einer anderen Stadt die Aktivitäten im Lager bemerkt hatte, als sich Veran näherte.

»Ein schöner Abend«, meinte er. Er zog an einer dünnen Zigarre.

Er blies den Rauch in die Luft und sagte plötzlich: »Ngal R’nda hat mich zur nächsten Vorstellung des Blauen Eies eingeladen. Das ist die Chance, auf die ich gewartet habe. Es wird hohe Zeit, daß ich den Kerl loswerde. Ich fürchte, er wird langsam mißtrauisch«, fuhr Veran fort. »In den letzten Tagen drängte er mich dauernd, mit den Feindseligkeiten zu beginnen. Dieser alte Geier hat nichts im Kopf als Krieg! Ich selbst bin nicht begierig auf Krieg, wissen Sie. Man vergeudet gutes Material und verliert die besten Soldaten. Ich kämpfe nur dann, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, zum Ziel zu kommen. Ich bin sicher, daß ich mit der Regierung dieses Planeten eine Einigung erziele, wenn ich diesen Ngal R’nda aus dem Weg geräumt habe. Seltsam ist nur, daß man von dieser Regierung nichts sieht und nichts hört. Wissen Sie etwas darüber, Corson?« Eine lange Stille trat ein.

»Ich habe Spione in die verschiedenen Städte des Planeten geschickt«, sagte Veran plötzlich. »Sie hatten keinerlei Schwierigkeiten, sich dort umzusehen, aber erfahren haben sie praktisch nichts. Es scheint, als ob es auf diesem Planeten überhaupt keine offizielle Regierung gibt, wenn man einmal von Ngal R’ndas begrenzter Macht absieht.«

»Nun«, meinte Corson, »dann ist doch alles viel leichter für Sie.«

Veran schaute ihn scharf an. »Nein, das ist das Schlimmste, was mir passieren konnte. Wie kann ich mit einer Regierung verhandeln, die nicht existiert?«

Er blickte nachdenklich auf seine Zigarre.

»Aber«, fuhr er fort, »ich habe nur gesagt, daß es scheinbar so ist. Einer meiner Spione war etwas schlauer. Er hat mir eine hübsche Geschichte erzählt. Er sagte, dieser Planet habe eine politische Organisation, die aber sehr eigenartig sei. Es gibt einen Rat, der einige Jahrhunderte überwacht und irgendwo in der Zukunft residiert. Das ist das Verrückteste, was ich je gehört habe. Stellen Sie sich das vor, Corson. Eine Regierung, die über Tote und ungeborene Kinder herrscht!«

»Vielleicht haben die eine andere Vorstellung vom Regieren, als Sie«, meinte Corson sanft.

»Ja, es sind Demokraten, nicht wahr? Vielleicht sogar Anarchisten! Ich weiß, was die wollen. Sie reduzieren die Verwaltung auf ein Minimum, denn die meisten Verwaltungen haben keine lange Dauer und werden bei der ersten Invasion hinweggefegt.«

»Aber hier hat seit Jahrhunderten keine Invasion mehr stattgefunden«, gab Corson zu Bedenken.

»Dann werden sie jetzt eine böse Überraschung erleben. Übrigens, Corson, da gibt es noch etwas sehr Seltsames, was ich bisher noch nicht erwähnt habe. Ein Mitglied dieses Rates ist ein Mann.«

»Was ist daran so seltsam?«

»Er sieht Ihnen sehr ähnlich. Ist er vielleicht mit Ihnen verwandt?«

»Ich habe keine Verwandten in so wichtigen Positionen«, sagte Corson.

»Mein Spion hat diesen Mann nicht selbst gesehen, aber er ist auf dem Gebiet der Physiognomik ein Experte. Außerdem ist er ein guter Künstler. Er hat ein Porträt von Ihnen gezeichnet und es seinem Informanten gezeigt. Er hat Sie klar erkannt, Corson. Was halten Sie davon?«

»Nichts«, antwortete Corson freundlich.

Veran sah ihn stirnrunzelnd an. »Vielleicht sagen Sie die Wahrheit. Ich könnte Sie zu einem Test mit dem Lügendetektor zwingen, aber das würde bedeuten, daß Sie nachher ein Idiot wären. Und es war kein Idiot, der mir die Nachricht geschickt hat. Also brauche ich Sie leider noch. Als ich von der Sache mit dem Rat und Ihnen hörte, versuchte ich zwei und zwei zusammenzuzählen. Aber es kam nie vier heraus. Zuerst dachte ich, Sie seien eine Maschine oder ein Android. Aber wir haben Sie heimlich getestet, und ich mußte diesen Gedanken wieder aufgeben. Ich weiß alles über Sie, nur nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht. Sie sind ein Mensch, Sie denken so und verhalten sich so. Sie sind vielleicht ein wenig zurückgeblieben, als kämen Sie aus einer vergangenen Zeit, aber wenn Sie eine Aufgabe zu erledigen haben, dann haben Sie Mut und Verstand, sie auszuführen. Natürlich sichern Sie sich ab, wie zum Beispiel mit dieser verdammten Nachricht. Corson, warum legen Sie Ihre Karten nicht offen auf den Tisch?«

»Ich habe ein schlechtes Blatt«, antwortete Corson.

»Was?«

»Ich habe nicht die richtigen Karten.«

»Vielleicht nicht. Aber Sie sind ein Trumpf in irgendeinem Spiel. Und Sie handeln so, als ob Sie es nicht wüßten.«

Veran warf den Zigarrenstummel weg und drückte ihn mit dem Fuß aus.

»Fassen wir zusammen«, sagte er dann. »Dieser Rat hat Mittel, durch die Zeit zu reisen. Er versteckt sich in der Zukunft und muß schon darum die Zeit beherrschen, um die Gegenwart überwachen zu können. Sie wissen bereits, was ich vorhabe und was geschehen wird, wenn es nicht noch eine Zeitschwankung gibt. Und sie haben sich nicht gerührt. Sie unternehmen weder gegen mich noch gegen Ngal R’nda irgend etwas. Das bedeutet, daß die Zeit noch nicht reif ist. Der Rat wartet auf etwas, aber auf was?«

Er atmete tief ein.

»Oder sie haben bereits etwas getan. Vielleicht sind Sie ein Mitglied des Rates mit einem Sonderauftrag.«

»So etwas Dummes habe ich noch nie gehört«, bemerkte Corson trocken.

Veran sprang zurück und zog seine Waffe. »Ich könnte Sie töten, Corson. Vielleicht ist es Selbstmord, aber Sie gehen zuerst drauf. Dann gibt es keine Nachricht, und ich komme nie auf diesen Planeten. Dann kann ich Sie auch nicht gefangennehmen und töten, aber die Zeitschwankung, die dann eintreten würde, wäre so fürchterlich, daß Sie darin untergehen würden. Sie wären nicht mehr Sie selbst, sondern jemand anders.«

Sie schauten sich fest in die Augen. Schließlich steckte Veran die Waffe zurück.

»Ich hatte gehofft, ich könnte Sie erschrecken. Ich muß zugeben, daß ich mich geirrt habe. Es ist schwer, einen Mann zu erschrecken, der Aergistal erlebt hat.«

Er grinste.

»Letzten Endes glaube ich Ihnen, Corson. Vielleicht sind Sie wirklich der Mann, der im Rat sitzt, irgendwo in der Zukunft, aber Sie wissen es nicht. Sie sind noch nicht dieser Mann. Zur Zeit sind Sie nur seine Trumpfkarte. Er konnte nicht selbst herkommen, weil er wußte, was geschehen würde. Er hätte das Gesetz der Nicht-rückgängigen-Information verletzt. Aber er konnte niemandem trauen. Also beschloß er, ein Ich aus einer früheren Zeitperiode herzuschicken. Dieses Ich verändert den Gang der Ereignisse nur so geringfügig, daß die Schwelle der Zeitschwankung nicht überschritten wird. Ich gratuliere Ihnen, Corson. Sie haben eine glänzende Karriere vor sich — falls Sie lange genug leben.«

»Warten Sie einen Augenblick«, sagte Corson. Sein Gesicht war bleich geworden. Er setzte sich nieder und stützte den Kopf mit beiden Händen.

»Haben Sie einen Schock gekriegt, hm?« fragte Veran. »Vielleicht fragen Sie sich, warum ich Ihnen das alles gesagt habe. Versuchen Sie es nicht, das herauszufinden. Sobald ich mit Ngal R’nda fertig bin, schicke ich Sie als mein Botschafter zum Rat. Da ich weiß, daß ich einen künftigen Staatsmann in meiner Gewalt habe, werde ich den bestmöglichen Nutzen daraus ziehen. Ich habe Ihnen schon gesagt, ich möchte einen Handel abschließen. Ich verlange nicht viel, nur einige Dinge wie Roboter und Raumschiffe. Dann werde ich diese Welt friedlich verlassen. Ich werde nie mehr hierherkommen, selbst wenn ich den Rest der Galaxis erobere.«

Corson hob den Kopf.

»Und wie wollen Sie mit Ngal R’nda fertig werden. Es scheint, daß er sehr wachsam ist.«

Veran lachte kurz. »Wenn Sie das noch nicht herausgefunden haben, dann sage ich es Ihnen auch nicht.«

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