Gerard Klein Die Herren des Krieges

1.

Das Monster weinte wie ein kleines Kind — nicht aus Reue darüber, daß es drei Dutzend Männer getötet hatte, sondern weil es sich so weit weg von seinem Mutterplaneten befand. Corson konnte seinen Kummer verstehen. Er kämpfte mit sich selbst, um nicht vom gleichen Gefühl übermannt zu werden.

Seine Hände tasteten in der Finsternis den Boden ab, denn bei der Einsatzbesprechung war ihnen mitgeteilt worden, daß es auf diesem Planeten Pflanzen gab, die scharf waren wie Rasierklingen. Erst als er alles abgetastet hatte, bewegte er sich ganz langsam voran. Der Boden war nun sanft wie ein Fell. Überrascht zog Corson die Hand zurück. Eigentlich müßten die Pflanzen hart und messerscharf sein. Uria war eine feindliche und gefährliche Welt. Laut Einsatzbesprechung konnten zarte Pflanzen auf eine Falle hinweisen. Uria lag mit der Erde im Kriegszustand.

Er mußte unbedingt herausfinden, ob die Eingeborenen bereits wußten, daß zwei Fremde, das Monster und Corson, auf dem Planeten gelandet waren. Das Monster konnte mit ihnen fertig werden, aber Corson nicht. Er überlegte zum zwanzigsten Mal: Die Eingeborenen hatten vermutlich den Absturz des brennenden Schiffes gesehen. Sie nahmen wahrscheinlich an, daß die Besatzung umgekommen sei. Sicher würden sie während der Nacht keine Suchtruppen mehr losschicken, wenn der Dschungel von Uria nur halb so gefährlich war, wie man es bei der Einsatzbesprechung gesagt hatte.

Seine Überlegungen führten immer wieder zum gleichen Ergebnis. Es gab für ihn drei tödliche Gefahren: Das Monster, die Eingeborenen und die wilden Bestien des Dschungels von Uria. Nachdem er alle Risiken in Erwägung gezogen hatte, beschloß George Corson, sich zu erheben. Er wollte nicht mehr länger auf allen vieren dahinkriechen. Es würde ihn das Leben kosten, wenn er sich zu nahe bei dem Monster befand. Er konnte ungefähr die Richtung abschätzen, in der das Monster war, nicht aber die Entfernung. Die Nacht schien alle Geräusche zu dämpfen.

Ganz langsam erhob er sich und achtete darauf, daß er nicht das geringste Geräusch verursachte. Über ihm schienen friedlich die Sterne. Das sternenübersäte Himmelsgewölbe war ein ermutigender Anblick, obwohl dies im Augenblick völlig bedeutungslos war. Vor langer Zeit hatte man auf der Erde Namen für Sternbilder geprägt, die man für feste Konstellationen gehalten hatte. Diese Namen gehörten der Vergangenheit an, ebenso wie der Glaube an eine göttliche Ordnung der Gestirne.

Corson sagte sich, daß seine Lage durchaus nicht hoffnungslos war. Er hatte ein gutes Gewehr, obwohl das Magazin fast leer war. Er hatte vor dem Absturz noch einmal gut gegessen und getrunken und konnte es nun wohl einige Stunden aushalten. Die Luft war frisch, und es bestand daher nicht die Gefahr, daß er schläfrig würde. Außerdem war er der einzige Überlebende einer Besatzung von 37 Mann und konnte daher von sich behaupten, daß er ein unglaubliches Glück gehabt hatte. Hinzu kam, daß er sich keine Verletzungen zugezogen hatte.

Das Jammern des Monsters verstärkte sich. Dies brachte Corson wieder in die Wirklichkeit zurück. Wenn er sich nicht so nahe beim Käfig des Monsters aufgehalten hätte, als dieses mit seinem Angriff begann, würde er jetzt vielleicht als dünne Wolke durch die Stratosphäre von Uria treiben. Er war gerade dabei gewesen, sich mit dem Monster zu verständigen, wie es sein Job verlangte. Hinter einer unsichtbaren Wand hatte ihn das Monster mit sechs seiner achtzehn Augen angestarrt, die rings um seinen Körper angebracht waren. Die lidlosen Kugeln änderten in bestimmten Rhythmen ihre Farbe und bildeten so eines der Verständigungssysteme des Monsters. Die sechs krallenbewehrten Finger, die sich an jeder der sechs Pfoten befanden, klopften auf den Boden und bildeten so ein zweites Verständigungssystem. Ein dumpfer, eintöniger Schrei kam aus einer oberen Öffnung, die Corson nicht sehen konnte. Das Monster war mindestens dreimal so groß wie er, und die Mundöffnung war mit einem Wald von Ranken umwachsen, die man von weitem hätte für Haare halten können. Beim näheren Hinschauen erkannte man aber deutlich die dünnen Fäden, die so hart waren wie Stahl. Mit ihnen konnte das Monster fürchterliche Peitschenschläge austeilen, und gleichzeitig dienten sie als Fühler.

Corson hatte nie daran gezweifelt, daß das Monster intelligent war. Außerdem war dies auch bei der Einsatzbesprechung erwähnt worden. Vielleicht war es sogar intelligenter als ein Mensch. Die große Schwäche der Rasse, zu der das Monster gehörte, war wohl, daß sie niemals die große Erfindung gemacht hatte, die die Menschen und verschiedene andere Rassen so mächtig gemacht hatte: die Gesellschaft. Während der Einsatzbesprechung war erwähnt worden, daß dieser Fall durchaus nicht einmalig war. Selbst auf der Erde gab es vor dem Raumfahrtzeitalter, als man die Ozeane noch nicht richtig erforscht hatte, eine intelligente Rasse. Diese bestand aus Individuen, die niemals eine Gesellschaftsform entwickelt hatten. Der Preis für diesen Fehler war die Ausrottung der Rasse, der Delphine, gewesen. Die Errichtung einer Gesellschaftsform allein war allerdings noch keine Garantie für das Überleben einer Rasse. Der unbarmherzige Krieg zwischen der Erde und Uria bewies dies sehr gut.

Die Augen, die Finger und die Stimme des Monsters hinter dem unsichtbaren Schutzschirm, der den Käfig bildete, übermittelten Corson eine Nachricht, die er sehr gut verstand, obwohl er die einzelnen Zeichen nicht begriff: »Sobald ich kann, bringe ich dich um.«

Aus einen ihm unbekannten Grund bekam das Monster seine Chance. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, daß der Generator des Schiffes explodiert war, sondern es war eher möglich, daß die Abwehr der Urianer sie entdeckt und das Feuer eröffnet hatte. Während des Sekundenbruchteils, den die Computer benötigten, um den Schutzschirm zu aktivieren, war das Kraftfeld, in dem das Monster gefangengehalten wurde, geschwächt worden. Es hatte sofort mit ungewöhnlicher Wildheit angegriffen. Mit seiner, wenn auch begrenzten Fähigkeit, Zeit und Raum zu beherrschen, hatte es ein fürchterliches Unheil auf dem Schiff angerichtet. Dies war ein Beweis dafür, daß das Monster die fürchterlichste Waffe der Menschen im Krieg gegen Uria war.

Weder Corson noch das Monster wurden bei der folgenden Explosion getötet. Das Monster war durch seinen Käfig geschützt und Corson durch einen eigenen Schutzschirm, den er gegen eventuelle Angriffe des Monsters immer eingeschaltet hatte. Die Archimedes war in die stürmische Atmosphäre von Uria eingetaucht. Wahrscheinlich waren zu diesem Zeitpunkt nur noch Corson und das Monster am Leben. Instinktiv hatte Corson seinen Schutzschild an dem Käfig des Monsters befestigt. Als das Schiff nur noch ein paar hundert Meter über dem Boden taumelte, hatte das Monster einen schrillen Schrei ausgestoßen und blitzschnell gehandelt. Es hatte sich in einen um ein paar Sekunden zeitverschobenen Raum geflüchtet und dabei Corson mitgerissen. Nun war auch er in diesem Raum und fand sich plötzlich mit dem Monster außerhalb des Schiffes, wo sie beide durch die Luft wirbelten. Die Elastizität des Schutzschirms hatte ihn befähigt, diesen gewaltigen Schock auszuhalten. Da das Monster im Augenblick nur auf seine Sicherheit bedacht war, hatte es für eine gute Landung gesorgt. Corson hatte seine Unaufmerksamkeit dann rasch ausgenutzt, um zunächst blindlings in die Dunkelheit zu rennen.

Das ganze Ereignis hatte gezeigt, wozu dieses Monster fähig war. Corson kannte bereits einige seiner Fähigkeiten und vermutete noch mehr. Er hätte aber in seinen Berichten nie zu erwähnen gewagt, daß das Biest so schwer umzubringen war.

Man stelle sich vor, ein Tier wird von einer Hundemeute gejagt. Es wird in die Enge getrieben, und die Meute zögert noch einen Moment, um dann anzugreifen. Plötzlich wird sie um eine oder mehrere Sekunden in die Vergangenheit zurückversetzt. Die Meute kann angreifen, wie sie will, sie wird immer wieder in die Vergangenheit zurückgeschleudert. Und wenn sie endlich müde ist, wird der Gejagte zum Jäger.

Wenn man sich dann noch vorstellt, daß dieses Tier mindestens so intelligent ist wie ein Mensch, schneller reagiert als ein Geschoß und einen unversöhnlichen Haß gegen jede Kreatur hat, so bekommt man eine schwache Vorstellung von dem Monster.

Es konnte etwa sieben Sekunden in die Zukunft oder Vergangenheit springen. Es konnte Gegenstände aus der Zukunft in die Vergangenheit schleudern und umgekehrt. Außerdem konnte es einige Augenblicke vorhersehen, was geschehen würde.

So kam es auch zum plötzlichen Angriff des Monsters auf dem Schiff. Es hatte vor der Besatzung oder dem Computer gewußt, wann die urianische Flotte oder die Bodenabwehr eingreifen würde, oder wann der Unfall geschehen würde. Es hatte haargenau die Zeit berechnet, wann die Energie seines Käfigs schwächer werden würde und im richtigen Augenblick zugeschlagen. Das Monster hatte gesiegt.

Vielleicht hatte es auch verloren, das kam ganz auf den Standpunkt an.

Der Bestimmungsort des Monsters war Uria in jedem Fall. Nach einem ergebnislosen dreißigjährigen Krieg gegen das Reich von Uria hatten die Solar-Mächte eine Taktik entwickelt, die diesen hochmütigen Prinzen von Uria den Untergang bereiten würde. Genauer gesagt, vor zehn Jahren war man auf einen »Verbündeten« gestoßen, der die Solar-Mächte eine ganze Raumflotte kostete. Hinzu kamen zahlreichen weitere Schiffe, ein Raumhafen und ein Planet, der geräumt werden mußte. Die Zahl der Gefallenen wurde geheimgehalten. Ohne es eigentlich zu wollen, hatte man in großem Stil das ausprobiert, was nun als »Endwaffe« galt.

Aufgabe: Auf einem Planeten des Reiches von Uria, am besten auf dem Hauptplaneten, ist die schlimmste Katastrophe in der Geschichte zu entfesseln. Grund: Die Waffenstillstandsbedingungen, die die heiße Phase des Krieges beendet hatten und seit zwanzig Jahren stillschweigend akzeptiert wurden, sollten umgangen werden. Es darf zu keiner offiziellen Verletzung dieses Waffenstillstandes kommen. Methode: Das Monster wird auf Uria ausgesetzt und sich dann selbst überlassen.

Sechs Monate später, von heute an gerechnet, würde das Monster etwa achtzehntausend Nachkommen auf die Welt setzen.

Spätestens nach einem Jahr würde die Hauptstadt von Uria von panischem Schrecken erfaßt werden. Die Prinzen von Uria wären dann gezwungen, ihre Abneigung gegen die Solar-Mächte zu überwinden und diese um Hilfe gegen die Monster zu bitten. Es war seit fünf- oder sechstausend Jahren immer die unausweichliche Folge aller Kriege gewesen, daß der Sieger dem Besiegten dann beim Wiederaufbau half, natürlich nach seinen eigenen Vorstellungen.

Allerdings mußte unbedingt die Herkunft der Archimedes im Dunkel bleiben. Falls die Prinzen von Uria den Beweis erbringen konnten, daß die Monster von einem Schiff der Solar-Mächte stammten, würden diese sehr viele Schwierigkeiten vor dem galaktischen Kongreß bekommen. Es könnte sogar zu einer Ächtung der Solar-Mächte kommen.

Dies würde bedeuten, daß diese für immer vom interstellaren Verkehr ausgeschlossen würden. Alle Handelsschiffe, die außerhalb des eigenen Territoriums angetroffen würden, würden sofort beschlagnahmt, Kriegsschiffe ohne Warnung zerstört.

Aus diesen Gründen war die Aktion Archimedes ein Himmelfahrtskommando. Sie war auch vollkommen geglückt, vom Überleben George Corsons abgesehen. Vom Schiff war nichts mehr übriggeblieben, was eine Identifikation ermöglicht hätte. Die Prinzen von Uria mußten annehmen, daß das Monster ihre Welt mit einem eigenen Schiff erreicht hatte. Nur die Erdbewohner kannten die genauen Koordinaten des Heimatplaneten der Monster und die geringen Kenntnisse dieser Rasse auf technologischem Gebiet. Den einzigen Anhaltspunkt über die wahre Herkunft des Monsters bot nur die Anwesenheit von Corson. Sollten die Eingeborenen ihn fangen, hätten die Prinzen von Uria einen Beweis für die Schuld der Erdbewohner. Folglich blieb Corson nichts anderes übrig, als Selbstmord zu begehen. Er hätte dies auch sofort getan, aber er hatte keine Möglichkeit, sich so zu töten, daß er keinerlei Spuren hinterlassen würde. Auf dem ganzen Planeten gab es keinen Abgrund, der tief genug gewesen wäre, um Corson spurlos verschwinden zu lassen. Es gab nur eine Möglichkeit: Corson mußte am Leben bleiben, um alle Spuren seiner Existenz zu verwischen.

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