4 Ein stiller Ort

Der Bauernhof der Schwesternschaft lag in einer breiten, von drei niedrigen Hügeln umgebenen Mulde, eine Ansammlung von mehr als einem Dutzend großer, weiß getünchter Gebäude mit Flachdächern, die in der Sonne leuchteten. Vier große Scheunen waren an den Hang des höchsten Hügels gebaut, der oben abgeflacht war und auf der Seite jenseits der Scheunen in steilen Klippen abfiel. Einige wenige hohe Baume, die nicht ihr ganzes Laub verloren hatten, spendeten im Hof etwas Schatten. Nördlich und östlich führten Olivenhaine von dem Hof fort und sogar die Hänge der Hügel hinauf. Eine gemächliche Geschäftigkeit umgab den Bauernhof, auf dem trotz der Nachmittagshitze weit über hundert Menschen zu sehen waren, welche die alltäglichen Aufgaben ausführten, wenn auch in aller Ruhe.

Die Örtlichkeit hätte fast als kleines Dorf denn als Bauernhof gelten können, nur daß keine Männer oder Kinder zu sehen waren. Das hatte Elayne auch nicht erwartet. Dies war eine Zwischenstation für Frauen der Schwesternschaft, die Ebou Dar verlassen wollten, damit sich nicht zu viele gleichzeitig in der Stadt aufhielten, was aber geheim war, so geheim wie die Schwesternschaft selbst. In der Öffentlichkeit war dieser Bauernhof im Umkreis von zweihundert oder mehr Meilen als Zufluchtsort für Frauen bekannt, als ein Ort der Besinnung und für eine gewisse Zeit —wenige Tage, eine Woche, manchmal länger —, als Zufluchtsstätte vor den Sorgen der Welt. Elayne konnte die Heiterkeit in der Luft fast spüren. Sie hätte vielleicht bedauert so viele Fremde an diesen ruhigen Ort gebracht zu haben, wenn sie nicht auch neue Hoffnung gebracht hätte.

Das erste Erscheinen der Pferde, als sie um den geneigten Hügel herumritten, bewirkte weitaus weniger Aufsehen, als sie erwartet hatte. Einige der Frauen hielten inne, um sie zu beobachten, aber mehr nicht. Ihre Kleidung war sehr unterschiedlich — Elayne sah sogar hier und dort Seide schimmern —, einige trugen Körbe und andere Eimer oder große weiße Bündel mit Wäsche. Eine Frau hielt zwei gebundene Enten an den Füßen in jeder Hand. Adlige und Handwerkerinnen, Bäuerinnen und Bettlerinnen waren hier alle gleichermaßen willkommen, und jede leistete während ihres Aufenthalts ihren Anteil an der anfallenden Arbeit. Aviendha berührte Elaynes Arm und deutete auf die Kuppe eines der Hügel, die wie ein sich zu einer Seite neigender, umgekehrter Trichter aussah. Elayne beschattete ihre Augen mit einer Hand und sah kurz darauf eine Bewegung. Kein Wunder, daß niemand überrascht war. Wächter konnten von dort oben aus jedermann, der sich näherte, schon auf weite Entfernung sehen.

Eine Frau kam ihnen kurz vor den Gebäuden des Hofes entgegen. Sie war im Stil einer Ebou Dari gekleidet, mit tiefem Halsausschnitt, und ihre dunklen Röcke und die bunten Unterröcke waren ausreichend kurz, daß sie diese wegen des Staubs nicht raffen mußte. Sie trug keinen Hochzeitsdolch. Die Regeln der Schwesternschaft verboten eine Heirat, da jede zu viele Geheimnisse bewahren mußte.

»Das ist Alise«, murmelte Reanne und verhielt ihr Pferd zwischen Nynaeve und Elayne. »Sie führt im Moment den Hof. Sie ist sehr gescheit.« Dann fügte sie wie als Nachgedanken noch leiser hinzu: »Alise erträgt Narren nicht leicht.« Als Alise herankam, richtete sich Reanne im Sattel auf und straffte die Schultern, als stünde ihr eine Prüfung bevor.

Mittelmäßig war der Begriff, der Elayne bei Alises Anblick einfiel, die gewiß nicht dazu bestimmt war, Reanne einzuschüchtern, auch wenn sie nicht die Älteste des Frauenzirkels gewesen wäre. Mit ihrem geraden Rücken schien Alise in mittlerem Alter zu sein, war weder schlank noch beleibt, weder groß noch klein, und ein wenig Grau sprenkelte ihr dunkelbraunes Haar, das auf sehr zweckmäßige Art mit einem Band zurückgebunden war. Ihr Gesicht war wenig bemerkenswert, wenn auch recht ansehnlich, ein sanftes Gesicht mit einem vielleicht etwas langen Kinn. Als sie Reanne sah, wirkte sie einen Moment überrascht und lächelte dann. Das Lächeln veränderte alles. Es machte sie nicht schön oder auch nur hübsch, aber Elayne fühlte sich dadurch gewärmt, getröstet.

»Ich habe kaum erwartet, Euch zu sehen ... Reanne«, sagte Alise, die bei dem Namen leicht zögerte. Sie war sich offensichtlich nicht sicher, ob sie vor Nynaeve, Elayne und Aviendha Reannes rechtmäßigen Titel benutzen sollte. Sie betrachtete sie rasch, während sie mit leicht tarabonischem Akzent sprach. »Berowin hat uns die Nachricht über die Unruhen in Ebou Dar natürlich überbracht, aber ich dachte nicht, daß es so schlimm wäre, daß Ihr die Stadt verlassen müßtet. Wer sind all diese...« Sie brach ab, und ihre Augen weiteten sich, als sie an ihnen vorbeischaute.

Elayne blickte zurück und hätte fast einige der ausgewählten Satze geäußert, die sie verschiedentlich aufgeschnappt hatte — in letzter Zeit hauptsächlich von Mat Cauthon. Sie verstand sie nicht alle, tatsächlich nicht einmal die meisten — niemand wollte ihr jemals erklären, was sie genau bedeuteten —, aber man konnte damit gewisse Gefühle ausdrücken. Die Behüter hatten ihre die Farbe verändernden Umhänge abgelegt, und die Schwestern hatten die Kapuzen ihrer Staubmäntel, wie angewiesen, hochgezogen, sogar Sareitha, die ihr jugendliches Gesicht nicht verbergen mußte, aber Careane hatte ihre nicht weit genug hinaufgezogen. Sie umrahmte nur ihre alterslosen Züge. Nicht jeder würde erkennen, was sie sahen, und doch gewiß jedermann, der in der Weißen Burg gewesen war. Careane zog die Kapuze unter Elaynes Blick hastig tiefer, aber der Schaden war bereits entstanden.

Auch andere auf dem Bauernhof außer Alise besaßen scharfe Augen. »Aes Sedai!« heulte eine Frau in einem Tonfall auf, als verkünde sie das Ende der Welt. Vielleicht war es das auch — für ihre Welt. Schreie verbreiteten sich rasch wie Staub im Wind. Der Bauernhof wurde zu einem aufgestörten Ameisenhaufen. Hier und dort fielen Frauen in Ohnmacht, aber die meisten rannten wild davon, schrien, ließen fallen, was sie in Händen hielten, stießen gegeneinander, fielen hin und rappelten sich wieder auf, um weiterzulaufen. Flatternde Enten, Hühner und schwarze Ziegen mit kurzen Hörnern Hefen wild umher, um nicht überrannt zu werden. Inmitten all dieses Chaos standen einige Frauen und schauten verdutzt drein, eindeutig jene, die ohne Wissen über die Schwesternschaft in diese Zuflucht gekommen waren, obwohl sich manche in der allgemeinen Aufregung jetzt ebenfalls hastig fortbewegten.

››Licht!« rief Nynaeve und riß an ihrem Zopf. »Einige von ihnen laufen in die Olivenhaine! Haltet sie auf! Das letzte, was wir wollen, ist eine Panik! Schickt die Behüter aus! Schnell, schnell!« Lan wölbte fragend eine Augenbraue, aber sie vollführte eine unmißverständliche Handbewegung. »Schnell! Bevor sie alle davonlaufen!« Mit einem halbherzigen Nicken trieb er Mandarb zum Galopp an und folgte den anderen Männern, die einen Bogen ritten, um das sich ausbreitende Chaos zwischen den Gebäuden zu meiden.

Elayne zuckte, zu Birgitte blickend, mit den Achseln und bedeutete ihr dann zu folgen. Sie stimmte mit Lan überein. Es schien ein wenig spät, die allgemeine Flucht aufhalten zu wollen, und Behüter zu Pferde, die versuchten, verängstigte Frauen zusammenzutreiben, waren vielleicht nicht die beste Möglichkeit. Aber sie konnte nicht erkennen, wie sie die Dinge jetzt noch ändern sollte, und es hatte keinen Zweck, sie davonlaufen zu lassen. Sie würden die Neuigkeiten, die sie und Nynaeve mitgebracht hatten, alle hören wollen.

Alise machte keine Anstalten, davonzulaufen oder sich auch nur von der Furcht anstecken zu lassen, statt dessen sah sie Reanne mit stetem Blick an. Mit festem Blick. »Warum?« flüsterte sie. »Warum, Reanne? Ich hätte niemals geglaubt, daß Ihr so etwas tut! Haben sie Euch bestochen? Haben sie Euch Vergünstigungen angeboten? Werden sie Euch laufenlassen, während wir den Preis bezahlen? Sie werden es wahrscheinlich nicht gestatten, aber ich schwöre, daß ich sie bitten werde, Euch anklagen zu dürfen. Ja, Euch! Die Regeln gelten auch für Euch, Älteste! Wenn ich eine Möglichkeit finden kann, schwöre ich, daß Ihr nicht lächelnd hier herausgelangt!« Ein sehr fester Blick. In der Tat stahlhart.

»Es ist nicht so, wie Ihr denkt«, sagte Reanne hastig, stieg ab und ließ die Zügel los. Sie umfaßte Alises Hände, obwohl die andere Frau sich zu befreien versuchte. »Oh, ich wollte nicht, daß es so kommt. Sie wissen Bescheid, Alise. Über die Schwesternschaft. Die Burg hat schon immer darüber Bescheid gewußt. Alles. Fast alles. Aber das ist jetzt nicht wichtig.« Alise wölbte bei diesen Worten stark die Augenbrauen, aber Reanne fuhr eilig fort und strahlte unter ihrem großen Strohhut regelrecht vor Eifer. »Wir dürfen zurückgehen, Alise. Wir können es erneut versuchen. Sie sagten, wir könnten es.« Die Gebäude des Bauernhofs leerten sich anscheinend ebenfalls, da Frauen herauseilten, um nachzusehen, was den Aufruhr verursacht hatte, um sich dann mit gerafften Röcken der allgemeinen Flucht anzuschließen. Schreie aus den Olivenhainen verkündeten, daß die Behüter an der Arbeit waren, aber nicht, wieviel sie erreichten. Vielleicht gar nicht viel. Elayne spürte von Birgitte zunehmende Enttäuschung und Verärgerung. Reanne beobachtete den Tumult und seufzte. »Wir müssen sie zurückholen, Alise. Die Burg nimmt uns wieder auf.«

»Das ist für Euch und einige der übrigen alles schön und gut«, erwiderte Alise zweifelnd. »Wenn es stimmt. Aber was ist mit uns anderen? Die Burg hätte mich nicht so lange bleiben lassen, wenn ich schneller gelernt hätte.« Sie warf einen finsteren Blick zu den jetzt gut verhüllten Schwestern, und als sie Reannes Blick erwiderte, lag nicht wenig Zorn darin. »Wofür sollten wir zurückgehen? Um erneut gesagt zu bekommen, wir seien nicht ausreichend stark, und dann fortgeschickt zu werden? Oder werden sie uns einfach unser restliches Leben lang als Novizinnen behalten? Einige wären damit vielleicht einverstanden, aber ich nicht. Wofür, Reanne? Wofür?«

Nynaeve stieg ab und zog ihre Stute an den Zügeln vorwärts. Elayne tat es ihr gleich, obwohl sie Löwin leichter führen konnte. »Um Teil der Burg zu sein, wenn Ihr das wollt«, sagte Nynaeve ungeduldig, bevor sie die beiden Frauen der Schwesternschaft auch nur erreicht hatte. »Und vielleicht, um eine Aes Sedai zu sein. Oder geht nicht zurück. Lauft davon — mir ist es gleich. Wenn ich hier fertig bin, ohnehin.« Sie pflanzte die Beine auf den Boden, nahm ihren Hut ab und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Es ist Zeitverschwendung, Reanne, und wir haben hier eine Aufgabe zu erledigen. Seid Ihr sicher, daß es hier jemand Nützliches gibt? Redet. Wenn Ihr nicht sicher seid, dann können wir genausogut weiterziehen. Wir brauchen uns vielleicht nicht mehr zu beeilen, aber jetzt, da wir die Schale haben, wäre es mir lieber, wenn wir unsere Aufgabe bald erfüllen würden.«

Als sie und Elayne als Aes Sedai vorgestellt wurden, die Aes Sedai, welche die Zusagen gegeben hatten, stieß Alise einen erstickten Laut aus und begann ihre wollenen Röcke zu glatten, als hätten ihre Hände andernfalls Reannes Kehle umfassen wollen. Sie öffnete verärgert den Mund — und schloß ihn abrupt wieder, als Merilille sich ihnen zugesellte. Der feste Blick schwand nicht völlig, aber er war jetzt mit Verwunderung gemischt. Und mit erheblicher Wachsamkeit.

»Nynaeve Sedai«, sagte Merilille ruhig, »die Atha'an Miere sind ... voller Ungeduld ... absteigen zu dürfen. Ich denke, einige möchten vielleicht um Heilung bitten.« Ein Lächeln umspielte kurz ihre Lippen.

Das klärte die Frage, obwohl Nynaeve übertrieben verärgert äußerte, was sie dem nächsten Menschen antun würde, der ihre Worte in Zweifel zog. Elayne hätte vielleicht auch einiges zu sagen gehabt, aber Nynaeve benahm sich tatsächlich ein wenig albern, während sie weiterhin auf diese Weise mit Merilille und Reanne umging, die beide höflich darauf warteten, daß sie zum Ende käme, während Alise alle drei anstarrte. Das klärte manches, oder vielleicht wurde es auch durch die Windsucherinnen geklärt, die zu Fuß herankamen und ihre Pferde ebenfalls hinter sich herzogen. Jeglicher Rest Anmut war während des Ritts verschwunden, von harten Sätteln vertrieben —ihre Beine schienen ebenso starr wie ihre Gesichter —, und doch konnte niemand etwas anderes in ihnen sehen, als sie tatsächlich waren.

»Wenn zwanzig Meervolk-Frauen so weit vom Meer entfernt sind«, murrte Alise, »glaube ich alles.« Nynaeve schnaubte, sie schwieg aber, wofür Elayne ihr dankbar war. Die Frau konnte es anscheinend nur schwer akzeptieren, auch wenn Merilille sie Aes Sedai nannte. Weder ein Wortschwall noch schlechte Laune würden helfen.

»Dann Heilt sie«, forderte Nynaeve Merilille auf. Ihrer beider Blicke richteten sich auf die humpelnden Frauen, und Nynaeve fügte hinzu; »Wenn sie darum bitten. Höflich.« Merilille lächelte erneut, aber Nynaeve hatte bereits vom Meervolk abgelassen und betrachtete jetzt stirnrunzelnd den nahezu verlassenen Bauernhof. Einige wenige Ziegen trotteten noch um den mit fallen gelassener Wäsche und Rechen und Besen, umgestürzten Eimern und Körben sowie den ohnmächtig zusammengesunkenen Frauen der Schwesternschaft übersäten Hof, und eine Handvoll Hühner scharrten und pikten wieder, aber die einzigen bei Bewußtsein befindlichen Frauen, die noch bei den Gebäuden zu sehen waren, gehörten eindeutig nicht der Schwesternschaft an. Einige trugen besticktes Leinen oder Seide und andere raune ländliche Tuche, aber die Tatsache, daß sie nicht davongelaufen waren, besagte sehr viel über sie. Reanne vermutete, daß zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Hälfte jener auf dem Hof dieser Gruppe zuzurechnen wäre. Die meisten schienen benommen.

Nynaeve verschwendete trotz ihres Murrens keine Zeit damit, sich um Alise zu kümmern. Vielleicht kümmerte sich Alise auch um Nynaeve. Es war schwer zu sagen, da die Frauen der Schwesternschaft den Aes Sedai gegenüber nur wenig der Ehrerbietung des Frauenzirkels zeigten. Vielleicht war sie durch die plötzliche Wendung der Ereignisse einfach noch zu erstarrt. Jedenfalls gingen sie zusammen davon, wobei Nynaeve ihre Stute führte und Alise mit dem Hut in ihrer anderen Hand erklärte, wie sie die verstreuten Frauen zusammenbringen und was sie dann mit ihnen tun sollte. Reanne war überzeugt gewesen, daß sich hier zumindest eine Frau befand, die ausreichend stark war, um sich dem Zirkel anzuschließen — Garenia Rosoinde, und vielleicht zwei weitere. Elayne hoffte in Wahrheit, daß sie alle nicht mehr hier wären. Alise wechselte zwischen Nicken und sehr direkten Blicken zu Nynaeve, die diese anscheinend nicht bemerkte.

Jetzt, während sie darauf warteten, daß die Frauen wieder zurückkehren würden, schien ein guter Zeitpunkt zu sein, die Tragkörbe weiter zu durchsuchen, aber als sich Elayne den Packpferden zuwandte, die gerade auf die Gebäude des Bauernhofs zugeführt werden sollten, bemerkte sie den Frauenzirkel, Reanne und alle übrigen, die sich zu Fuß auf den Weg zum Hof machten, wobei einige auf die am Boden liegenden Frauen zueilten und andere auf jene, die mit offenen Mündern herumstanden. Und kein Zeichen von Ispan, die sie dann jedoch schnell entdeckte —zwischen Adeleas und Vandene, die sie, jeweils einen ihrer Arme umfassend, halbwegs mit sich zogen, während ihre Staubmäntel hinter ihnen herwehten.

Die weißhaarigen Schwestern waren verbunden, denn das Schimmern Saidars umgab sie beide, ohne Ispan mit einzuschließen. Man konnte nicht feststellen, welche den kleinen Kreis anführte und den Schild gegen die Schattenfreundin festhielt, aber nicht einmal einer der Verlorenen hätte ihn durchbrechen können. Sie beendeten ihr Gespräch mit einer beleibten Frau in einfachem braunen Tuch, die den Ledersack über Ispans Kopf anstarrte, aber dennoch einen Hofknicks vollführte und dann auf eines der weiß getünchten Gebäude zeigte.

Elayne wechselte verärgerte Blicke mit Aviendha.

Nun, sie selbst war zumindest verärgert. Aviendha wirkte manchmal unbewegt wie ein Stein. Sie übergaben ihre Pferde zweien der Stallknechte vom Palast und eilten hinter den anderen drei Frauen her. Einige der Frauen, die nicht der Schwesternschaft angehörten, versuchten, sie nach dem Geschehenen zu befragen, einige auf eher herrische Art, aber Elayne fertigte sie kurz ab und hinterließ damit entrüstetes Naserümpfen und Schnauben. Oh, was würde sie nicht alles darum geben, bereits das alterslose Gesicht zu besitzen! Dieser Gedanke löste in ihrem Unterbewußtsein etwas aus, aber es schwand wieder, sobald sie es genauer betrachten wollte.

Als sie die einfache Holztür aufstieß, durch die das Trio verschwunden war, hatten Adeleas und Vandene Ispan bereits mit entblößtem Kopf auf einen Stuhl mit leiterförmiger Rückenlehne gesetzt. Der Sack lag zusammen mit Adeleas' und Vandenes Leinenumhängen auf einem schmalen Zeichentisch. Der Raum besaß nur ein in die Decke eingelassenes Fenster, aber da die Sonne noch hoch stand, fiel ausreichend Licht herein. Regale säumten die Wände, auf denen sich große Kupferkannen und weiße Schalen stapelten. Nach dem Geruch von gebackenem Brot zu schließen, führte die einzige andere Tür in eine Küche.

Vandene sah sich beim Geräusch der sich öffnenden Tür streng um, aber ihr Gesicht glättete sich zu völliger Ausdruckslosigkeit, als sie Elayne sah. »Sumeko meinte, die Kräuter, die Nynaeve ihr gegeben hat, ließen in ihrer Wirkung nach«, sagte sie, »und es schien das beste, Ispan ein wenig zu befragen, bevor wir ihren Geist erneut verwirren. Wir haben jetzt etwas Zeit. Es wäre gut zu wissen, was die Schwarze Ajah...«, sie verzog angewidert den Mund, »...in Ebou Dar wollte. Und was sie wissen.«

»Ich bezweifle, daß sie von diesem Bauernhof Kenntnis haben, da auch wir nichts davon wußten«, sagte Adeleas und tippte mit einem Finger nachdenklich an ihre Lippen, während sie die Frau auf dem Stuhl betrachtete. »Aber es ist besser, auf Nummer Sicher zu gehen, als später zu jammern.« Sie hätte ebensogut ein nie zuvor gesehenes Tier prüfend betrachten können, ein Wesen, dessen Existenz sie nicht begreifen konnte.

Ispan schürzte die Lippen. Schweiß lief ihr geschundenes Gesicht herab; ihre dunklen, mit Perlen geschmückten Zöpfe waren aufgelöst und ihre Kleidung vollkommen in Unordnung, aber sie war trotz ihrer trüben Augen nicht mehr annähernd so benommen wie am Vormittag. »Die Schwarze Ajah ist eine dreckige Lüge«, höhnte sie ein wenig heiser. Es mußte unter diesem Ledersack sehr heiß gewesen sein, und sie hatte kein Wasser mehr bekommen, seit sie den Tarasin-Palast verlassen hatten. »Ich bin wahrhaftig überrascht von Eurer Behauptung. Und daß Ihr mir die Verantwortung zuschieben wollt! Was ich getan habe, habe ich auf Befehl des Amyrlin-Sitzes getan.«

»Auf Elaidas Befehl?« fauchte Elayne ungläubig. »Ihr besitzt die Unverfrorenheit zu behaupten, Elaida habe Euch befohlen, Schwestern zu ermorden und die Burg zu bestehlen? Elaida habe befohlen, was Ihr in Tear und Tanchico getan habt? Oder meint Ihr Siuan? Ihr armselige Lügnerin! Ihr habt den Drei Eiden entsagt, und das stempelt Euch zur Schwarzen Ajah.«

»Ich brauche Eure Fragen nicht zu beantworten«, entgegnete Ispan mürrisch und zog die Schultern hoch. »Ihr erhebt Euch gegen den rechtmäßigen Amyrlin-Sitz. Ihr werdet bestraft und vielleicht sogar gedämpft werden. Besonders wenn Ihr mich verletzt.

Ich diene dem wahren Amyrlin-Sitz, und Ihr werdet ernstlich bestraft werden, wenn Ihr mir Schaden zufügt.«

»Ihr werdet alle Fragen beantworten, die meine Nächstschwestern Euch stellen.« Aviendha prüfte mit dem Daumennagel ihren Gürteldolch, aber ihr Blick hielt Ispans fest. »Feuchtländer fürchten Schmerzen. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Ihr werdet die Fragen beantworten, die Euch gestellt werden.« Sie drohte und höhnte nicht — sie sprach nur, aber Ispan sank auf ihrem Stuhl zusammen.

»Ich fürchte, das ist gefährlich, selbst wenn sie kein Neuling in der Burg wäre«, bemerkte Adeleas. »Es ist uns verboten, bei einer Befragung Blut zu vergießen oder anderen zu gestatten, es in unserem Namen zu tun.« Sie klang widerstrebend, obwohl Elayne nicht sagen konnte, ob das Verbot oder das Eingeständnis, daß Ispan ein Neuling war, der Grund dafür war. Sie selbst hatte nicht wirklich geglaubt, daß Ispan noch immer als Neuling angesehen werden könnte. Ein Sprichwort besagte, daß keine Frau mit der Burg fertig war, bis die Burg mit ihr fertig war, aber in Wahrheit war es niemals beendet, wenn die Burg einen einmal berührt hatte.

Sie betrachtete die Schwarze Schwester prüfend, die so beschmutzt und doch so selbstsicher war. Ispan setzte sich wieder ein wenig aufrechter hin und warf Aviendha und Elayne amüsiert verächtliche Blicke zu. Sie war vorher nicht so ausgeglichen gewesen, als sie noch dachte, daß Nynaeve und Elayne sie allein in ihrer Gewalt hätten. Sie hatte ihre Haltung mit dem Bewußtsein wiedergewonnen, daß auch ältere Schwestern anwesend waren. Schwestern, die das Gesetz der Weißen Burg verinnerlicht hatten. Das Gesetz verbat nicht nur Blutvergießen, sondern auch das Brechen von Knochen und einige andere Dinge, die jeder Weißmäntel-Zweifler überaus bereitwillig tat. Aber bevor eine wie auch immer geartete Befragung begann, mußte eine Heilung erfolgen, und wenn die Befragung nach Sonnenaufgang begann, mußte sie vor Sonnenuntergang beendet sein und umgekehrt. Das Gesetz schrieb sogar noch mehr Einschränkungen vor, wenn es sich um Neulinge, Schwestern, Aufgenommene und Novizinnen der Burg handelte, und verbot die Benutzung Saidars sowie Bestrafung oder Buße bei der Befragung. Oh, eine Schwester konnte einer Novizin mit der Macht eine Ohrfeige verpassen, wenn sie aufgebracht war, oder ihr sogar eine Tracht Prügel verabreichen, aber nicht wesentlich mehr. Ispan lächelte sie an. Sie lächelte! Elayne atmete tief durch.

»Adeleas, Vandene, ich möchte, daß Ihr Aviendha und mich mit Ispan allein laßt.« Ihr Magen verkrampfte sich. Es mußte eine Möglichkeit geben, die Frau ausreichend einzuschüchtern, um zu erfahren, was nötig war, ohne das Burggesetz zu verletzen. Aber wie? Menschen, die von der Burg befragt werden sollten, begannen üblicherweise bereits zu reden, bevor sie auch nur berührt wurden —jedermann wußte, daß sich niemand gegen die Burg behaupten konnte, niemand! —, aber sie waren selten Neulinge. Sie hörte eine Stimme. Dieses Mal nicht Linis Stimme, sondern die ihrer Mutter. Was du zu tun befiehlst, mußt du auch bereitwillig selbst tun können. Als Königin hast du bereits getan, was du zu tun befiehlst. Wenn sie das Gesetz brach... Wieder erklang die Stimme ihrer Mutter. Selbst eine Königin kann nicht über dem Gesetz stehen, sonst gibt es kein Gesetz. Und dann Linis Stimme. Du kannst tun, was immer du willst, Kind. Solange du bereit bist, den Preis zu bezahlen. Sie nahm ihren Hut ab, ohne die Bänder zu lösen. Es kostete sie Mühe, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Wenn wir ... wenn wir mit unserem Gespräch mit ihr fertig sind, könnt Ihr sie wieder zum Frauenzirkel zurückbringen.« Hinterher würde sie sich Merilille fügen. Die fünf Schwestern konnten eine Buße vereinbaren, wenn sie darum gebeten wurden.

Ispan wandte jäh den Kopf; der Blick aus den geschwollenen Augen wanderte von Elayne zu Aviendha und wieder zurück, und die Augen weiteten sich allmählich, bis das Weiße rundum sichtbar war. Sie war jetzt nicht mehr selbstsicher.

Vandene und Adeleas wechselten schweigend Blicke, so wie Menschen es tun, die so viel Zeit miteinander verbracht haben, daß Worte kaum noch nötig sind. Dann nahm Vandene Elayne und Aviendha jeweils bei einem Arm. »Wenn ich Euch einen Moment draußen sprechen dürfte«, murmelte sie. Es klang wie ein Vorschlag, aber sie drängte sie bereits zur Tür.

Draußen auf dem Hof standen ungefähr zwei Dutzend Frauen der Schwesternschaft wie Schafe zusammengepfercht. Nicht alle trugen die Kleidung der Ebou Dari, aber zwei trugen die roten Gürtel Weiser Frauen, und Elayne erkannte Berowin, eine rundliche kleine Frau, die sonst weitaus größeren Stolz zeigte, als ihre Stärke in der Macht gerechtfertigt hätte. Aber jetzt nicht. Ihr Gesicht zeigte Angst, und die Blicke der Frauen irrten umher, obwohl der gesamte Frauenzirkel um sie herumstand und beharrlich auf sie einredete. Ein Stück weiter versuchten Nynaeve und Alise, vielleicht doppelt so viele Frauen in eines der größeren Gebäude zu drängen. ›Versuchten‹ schien die richtige Bezeichnung zu sein.

»...kümmert mich nicht, welche Stellung Ihr innehabt«, schrie Nynaeve eine Frau in hellgrüner Seide an, die stolz den Kopf reckte. »Ihr werdet dort hineingehen und dort bleiben. Aus dem Weg, sonst trete ich Euch hinein!«

Alise ergriff die grün gekleidete Frau kurzerhand am Kragen und schob sie trotz zorniger Proteste durch den Eingang. Ein lautes Kreischen erklang, wie von einer großen Gans, die getreten worden war, und dann erschien Alise wieder und klopfte ihre Hände ab. Die anderen machten danach keine Schwierigkeiten mehr.

Vandene entließ sie alle und beobachtete ihre Augen. Das Schimmern umgab sie auch weiterhin, und doch mußte Adeleas ihre vereinten Stränge konzentriert haben. Vandene hätte den Schild aufrechterhalten können, wenn er erst gewoben war, ohne ihn sehen zu können, aber wäre sie diejenige gewesen, hätte weitaus wahrscheinlicher Adeleas sie hinausgebracht. Vandene hätte mehrere hundert Schritte gehen können, bevor die Verbindung nachließ — diese würde selbst dann nicht zerbrechen, wenn sie und Adeleas an entgegengesetzte Punkte der Erde eilten, obwohl sie schon lange vorher nutzlos geworden wäre —, aber sie blieb in der Nähe der Tür. Sie suchte anscheinend nach den richtigen Worten.

»Ich habe es immer für das beste gehalten, wenn Frauen mit Erfahrung diese Dinge regeln«, sagte sie schließlich. »Junge Frauen ereifern sich leicht. Dann tun sie des Guten zuviel. Oder manchmal erkennen sie, daß sie sich nicht dazu überwinden können, genug zu tun, weil sie tatsächlich noch nicht genug erlebt haben. Oder schlimmstenfalls finden sie ... Geschmack daran. Ich glaube, Ihr habt beide diesen Makel.« Sie sah Aviendha abschätzend an. Aviendha steckte hastig ihren Gürteldolch zurück in die Scheide. »Adeleas und ich haben genug erlebt, um zu wissen, warum wir tun müssen, was getan werden muß, und wir haben den Eifer schon lange abgelegt. Vielleicht werdet Ihr dies uns überlassen. Das ist sicherlich besser.« Vandene schien die Empfehlung zu akzeptieren. Sie nickte und wandte sich wieder der Tür zu.

Sie war kaum dahinter verschwunden, als Elayne innen den Gebrauch der Macht spürte, ein Gewebe, das den Innenraum überlagert haben mußte. Sicherlich ein Schutz vor Lauschern. Sie würden nicht wollen, daß jemand zufällig aufschnappte, was auch immer Ispan sagte. Dann bemerkte sie weiteren Gebrauch der Macht, und die darauffolgende Stille war unheilvoller als jegliche Schreie.

Sie setzte ihren Hut energisch wieder auf. Sie spürte die Hitze nicht, aber das Flimmern der Luft ließ sie sich plötzlich unwohl fühlen. »Vielleicht hilfst du mir, das Gepäck der Lastpferde durchzusehen«, sagte sie hastig. Sie hatte nicht befohlen, daß es getan werden sollte — was immer es war —, aber das änderte anscheinend nichts. Aviendha nickte überraschend schnell. Sie wollte dieser Stille offensichtlich auch entfliehen.

Die Windsucherinnen warteten nicht weit von der Stelle entfernt, wo die Diener die Packpferde hingeführt hatten, warteten ungeduldig und sahen sich gebieterisch um, die Arme in Nachahmung Renailes unter den Brüsten gekreuzt. Alise trat zu ihnen und machte Renaile nach einem raschen Blick als die Anführerin aus. Elayne und Aviendha ignorierte sie.

»Kommt mit«, sagte sie in barschem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Die Aes Sedai meinen, Ihr wolltet sicher den Schatten aufsuchen, bis alles geklärt ist.« Die Worte ›Aes Sedai‹ enthielten ebensoviel Bitterkeit, wie sie Ehrfurcht enthielten, wenn sie von den Frauen der Schwesternschaft ausgesprochen wurden. Vielleicht sogar mehr. Renaile erstarrte, und ihr gebräuntes Gesicht wurde noch dunkler, aber Alise fuhr ungerührt fort. »Ihr Wilden könnt von mir aus dort draußen sitzen und schwitzen, wenn Ihr wollt. Wenn Ihr sitzen könnt.« Es war offensichtlich, daß keine der Atha'an Miere Heilung von der Sattelwundheit erhalten hatte. Sie standen da, als wollten sie vergessen, daß sie unterhalb der Taille existierten. »Aber Ihr werdet mich nicht warten lassen.«

»Wißt Ihr, wer ich bin?« fragte Renaile in kaum beherrschtem Zorn, aber Alise ging bereits davon und blickte nicht zurück. Renaile kämpfte sichtlich mit sich, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und befahl den anderen Windsucherinnen dann verärgert, die verfluchten Pferde zurückzulassen und ihr zu folgen. Sie gingen schwankend und breitbeinig in einer Reihe hinter Alise her, und alle außer den beiden Neulingen murrten vor sich hin —einschließlich Alise.

Elayne überlegte sogleich, wie sie Frieden bewirken und die Schmerzen der Atha'an Miere heilen lassen könnte, ohne daß sie darum bitten müßten. Oder daß eine Schwester es zu eifrig anbieten müßte. Nynaeve mußte ebenso besänftigt werden wie die anderen Schwestern. Elayne erkannte zu ihrer Überraschung plötzlich, daß sie zum ersten Mal in ihrem Leben nicht wirklich den Wunsch hatte, für Ausgleich zu sorgen. Sie beobachtete, wie die Windsucherinnen auf eines der Gebäude des Bauernhofs zuhumpelten, und entschied, daß alles gut war, so wie es war. Aviendha grinste breit, während sie die Atha'an Miere beobachtete. Elayne wurde rasch ernst und wandte sich den Packpferden zu. Sie hatten es jedoch verdient. Es war sehr schwer, ernst zu bleiben.

Die Durchsuchung ging mit Aviendhas Hilfe weitaus rascher vonstatten als zuvor, obwohl Aviendha nicht so schnell wie sie erkannte, wonach sie suchten, was keine große Überraschung war. Einige der Schwestern, die Elayne ausgebildet hatte, zeigten größeres Können hierin als sie selbst, aber die meisten kamen ihr nicht einmal nahe. Dennoch fanden zwei Paar Hände mehr als eines, und es gab vieles zu finden.

Stallburschen in Livree und Frauen brachten den Unrat fort während sich auf der breiten Steinabdeckung einer quadratischen Zisterne viele Ter'angreale anhäuften.

Vier weitere Pferde wurden schnell entladen, und sie stellten eine Sammlung zusammen, die in der Burg gefeiert worden wäre, selbst wenn niemand Ter'angreale erforscht hätte. Sie hatten jede erdenkliche Form. Becher und Schalen und Vasen, keine zwei von derselben Größe, mit demselben Muster oder aus dem gleichen Material. Eine flache, wurmstichige Schatulle, die schon auseinanderfiel und deren wie auch immer geartetes Futter längst zu Staub zerfallen war, enthielt Schmuckstücke — eine Halskette und Armbänder, die mit farbigen Steinen besetzt waren, einen schmalen, juwelenbesetzten Gürtel und mehrere Fingerringe —, und es gab Platz für weitere. Jedes einzelne Schmuckstück war ein Ter'angreal, und sie paßten alle zueinander, sollten zusammen getragen werden, obwohl sich Elayne nicht vorstellen konnte, warum eine Frau so viel Schmuck auf einmal am Körper tragen wollte. Aviendha fand einen Dolch, um dessen Heft aus grobem Hirschgeweih Golddraht gewickelt war. Die Klinge war stumpf, und sie war es allem Anschein nach auch stets gewesen. Sie drehte den Dolch unentwegt in den Händen — tatsächlich begannen ihre Hände zu zittern —, bis Elayne ihn ihr fortnahm und zu den anderen Gegenständen auf die Zisternenplatte legte. Selbst dann stand Aviendha noch lange Zeit da, betrachtete den Dolch und leckte sich die Lippen, als seien sie ausgetrocknet. Es gab Fingerringe, Ohrringe, Halsketten, Armbänder und Gürtelschnallen, die teilweise sehr eigenartige Muster aufwiesen. Es gab Statuetten und Figuren von Vögeln und Tieren und Menschen, mehrere Dolche mit Ziselierungen, ein halbes Dutzend große Medaillons aus Bronze oder Stahl, die meisten mit merkwürdigen Mustern versehen, aber keines mit einem Bild, das Elayne wirklich verstehen konnte, ferner zwei seltsame Hüte, die anscheinend aus Metall gefertigt waren, zu verziert und zu dünn, um Helme zu sein, und unzählige Gegenstände, die sie nicht einmal annähernd benennen konnte. Darunter eine Rute vom Umfang ihres Handgelenks, hellrot und glatt und abgerundet, eher fest als hart, obwohl sie aus Stein zu sein schien. Sie erwärmte sich in ihren Händen nicht nur leicht — sie fühlte sich fast heiß an! Es war genausowenig wirkliche Hitze, wie die Wärme real war, aber dennoch! Und was war mit den zwei wie Korbgeflecht gearbeiteten Metallkugeln, eine in der anderen? Jede Bewegung verursachte ein schwaches musikalisches Klingen, stets einen anderen Ton, und sie hatte das Gefühl, daß jedes Mal eine noch kleinere Kugel entdeckt werden wollte, gleichgültig wie genau sie hinsah. Und der Gegenstand, der wie das aus Glas gefertigte Geduldsspiel eines Schmieds aussah? Er war so schwer, daß sie ihn fallen ließ, und er brach einen Splitter vom Rand der Zisternenplatte ab. Es war insgesamt eine Ansammlung, die bei jeder Aes Sedai Erstaunen hervorrufen würde. Und noch wichtiger war, daß sie noch zwei weitere Angreale gefunden hatten, die Elayne sehr vorsichtig in Reichweite beiseite legte.

Das eine war ein seltsames Schmuckstück, ein goldenes, mit vier flachen Ketten mit Fingerringen verbundenes Armband, das mit einem komplizierten, labyrinthischen Muster ziseliert war. Das war das stärkere der beiden Angreale, sogar stärker als die noch immer in ihrer Gürteltasche befindliche Schildkröte. Es war für eine kleinere Hand als Aviendhas oder ihre gemacht. Seltsamerweise besaß das Armband ein kleines Schloß, vollständig mit einem sehr kleinen, röhrenförmigen Schlüssel, der von einer dünnen, offensichtlich abnehmbaren Kette herabhing. Zusammen mit dem Schlüssel abnehmbar! Das andere Angreal war eine sitzende Frau aus vom Alter dunkel gewordenem Elfenbein, welche die Beine vor sich gekreuzt hatte, die Knie entblößt, aber mit so langem und üppigem Haar, daß sie auch im schwersten Umhang nicht besser hätte verhüllt sein können. Dieses Angreal war nicht einmal so stark wie die Schildkröte, aber sie fand es sehr ansprechend. Eine Hand ruhte auf einem Knie der Frau, die Handfläche nach oben gerichtet und die Finger so gehalten, daß der Daumen die Spitzen der beiden mittleren Finger berührte, während die andere Hand erhoben war, die ersten beiden Finger ausgestreckt und die anderen gebogen. Die ganze Figur vermittelte den Eindruck äußerster Würde, und doch zeigte das genau ausgearbeitete Gesicht Belustigung und Vergnügen. Vielleicht war sie für eine besondere Frau gefertigt worden? Sie schien irgendwie ein Porträt zu sein. Vielleicht hatten sie es im Zeitalter der Legenden geschnitzt. Einige Ter'angreale waren sehr groß, so daß Männer und Pferde oder sogar die Macht nötig wären, um sie zu bewegen, aber die meisten Angreale waren klein genug, um sie bei sich zu tragen. Nicht alle, aber die meisten.

Sie schlugen gerade die Segeltuchabdeckung zweier weiterer Packtaschen zurück, als Nynaeve heranschritt. Die Atha'an Miere traten aus einem der Gebäude des Bauernhofs und hinkten nicht mehr. Merilille sprach mit Renaile, oder vielmehr sprach die Windsucherin, und Merilille hörte zu. Elayne fragte sich, was dort drinnen geschehen war. Die schlanke Graue wirkte nicht mehr so zufrieden. Die Ansammlung von Frauen der Schwesternschaft war größer geworden, und gerade als Elayne aufsah, betraten drei weitere zögernd den Hof, und zwei andere standen am Rande der Olivenbäume und sahen sich unschlüssig um. Sie konnte Birgitte spüren, irgendwo dort draußen in den Hainen und nur unwesentlich weniger verärgert als zuvor. Nynaeve betrachtete die Ansammlung von Ter'angrealen und zog an ihrem Zopf. Ihren Hut hatte sie irgendwo verloren. »Das kann warten«, sagte sie und klang angewidert. »Es wird Zeit.«

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