Eine Meile westlich des Hügelkamms begannen die Lager, Männer und Pferde und Herdfeuer, windgepeitschte Banner und einige wenige, nach Nationen und Häusern zusammenstehende Zelte, jedes Lager ein See verkohlten Schlamms, durch Streifen gestrüppartiger Heide voneinander getrennt. Männer zu Pferde und zu Fuß verfolgten, wie Rands wehende Banner vorüberzogen, und spähten zu den anderen Lagern, um deren Reaktionen abzuschätzen. Als die Aiel hiergewesen waren, hatten diese Männer ein einziges großes Lager errichtet, von einem der wenigen Dinge zusammengetrieben, die sie wirklich gemein hatten. Sie waren keine Aiel und fürchteten sie, wie sehr sie es auch leugneten. Die Welt würde untergehen, wenn Rand nicht erfolgreich wäre, aber er hegte keine Illusionen darüber, daß sie ihm unverbrüchlich die Treue hielten. Vielleicht glaubten sie auch, das Schicksal der Welt könne ihren eigenen Belangen, ihren eigenen Wünschen nach Gold oder Glanz oder Macht angepaßt werden. Aber überwiegend folgten sie ihm, weil sie ihn weitaus mehr fürchteten als die Aiel. Vielleicht sogar mehr als den Dunklen König, an den einige nicht wirklich glaubten, nicht tief im Herzen, nicht daß er die Welt noch stärker schädigen könnte, als er es bereits getan hatte. Rand blickte in ihre Gesichter, und sie glaubten daran. Jetzt akzeptierte er es. Er hatte zu viele Schlachten vor sich, um Mühen bei einer Schlacht zu verschwenden, die er nicht gewinnen konnte. Es mußte ihm genügen, daß sie ihm folgten und gehorchten.
Das größte der Lager war sein eigenes, und hier waren illianische Gefährten in grünen Jacken mit gelben Aufschlägen gemeinsam mit tairenischen Verteidigern des Steins in schwarzgolden gestreiften Jacken und einer gleichen Anzahl aus ungefähr vierzig Häusern herangezogener Cairhiener in dunklen Farben, einige mit starr über ihren Köpfen aufragenden Cons, eng beisammen. Sie bereiteten ihre Mahlzeiten an verschiedenen Feuern, schliefen getrennt, pflockten ihre Pferde getrennt an und beobachteten einander wachsam, aber sie vermischten sich auch. Die Sicherheit des Wiedergeborenen Drachen lag in ihrer Verantwortung, und sie nahmen ihre Aufgabe ernst. Jeder von ihnen könnte ihn betrügen, aber nicht, solange die übrigen wachten. Alter Haß und neue Abneigungen würden jeden Plan zunichte machen, bevor der Verräter noch zu Ende gedacht hätte.
Ein Ring aus Stahl stand um Rands Zelt Wache, ein riesiges, spitzes, über und über mit goldenen Bienen besticktes Zelt aus grüner Seide. Es hatte seinem Vorgänger, Mattin Stepaneos, gehört und war sozusagen mit der Krone gekommen. Gefährten mit glänzenden konischen Helmen standen Seite an Seite mit Verteidigern mit Helmen, die Wölbung und Rand aufwiesen, sowie mit Cairhienern mit glockenförmigen Helmen, die den Wind ignorierten, die Hellebarden in präzisem Winkel geneigt. Keiner von ihnen regte sich auch nur im geringsten, als Rand sein Pferd verhielt, aber eine Schar Diener lief herbei, um sich um ihn und die Asha'man zu kümmern. Eine hagere Frau in der grüngelben Weste eines Stallknechts vom Königlichen Palast in Illian übernahm seine Zügel, während ein knollennasiger Bursche in der schwarzgoldenen Livree des Steins von Tear ihm den Steigbügel hielt. Sie sahen ihn unter ihren Stirnlocken hervor an und warfen einander einen scharfen Blick zu. Boreane Carivin, eine stämmige, blasse kleine Frau in einem dunklen Gewand, bot ihm wichtigtuerisch ein Silbertablett mit feuchten Tüchern dar, von denen Dampf aufstieg. Als Cairhienerin beobachtete sie die beiden anderen aufmerksam, wohl eher, um sich zu versichern, daß sie ihre Aufgaben gewissenhaft ausführten, als vor schlecht verhüllter Feindseligkeit. Aber dennoch war sie wachsam. Was bei den Soldaten funktionierte, funktionierte bei den Dienern ebensogut.
Rand zog seine Handschuhe aus und lehnte Boreanes Angebot ab. Damer Flinn war von einer kunstvoll geschnitzten Bank vor dem Zelt aufgestanden, als Rand abstieg. Bis auf einen gezackten weißen Haarkranz kahl, sah Flinn eher wie ein Großvater aus als wie ein Asha'man. Ein lederzäher Großvater mit einem steifen Bein, der mehr von der Welt gesehen hatte als nur seinen Bauernhof. Das Schwert an seiner Hüfte vermittelte den Eindruck, als gehörte es dorthin, wie es bei einem ehemaligen Soldaten der Königlichen Garde sein sollte. Rand vertraute ihm mehr als den meisten anderen. Flinn hatte ihm immerhin das Leben gerettet.
Flinn salutierte, die geballte Faust auf der Brust, und als Rand seinen Gruß mit einem Nicken erwiderte, hinkte er näher heran, wartete aber, bis die Stallknechte mit den Pferden gegangen waren, bevor er mit leiser Stimme sprach. »Torval ist hier. Vom M'Hael gesandt, behauptet er. Er wollte im Zelt des Konzils warten. Ich habe Narishma aufgetragen, ihn im Auge zu behalten.« So hatte Rands Befehl gelautet, obwohl er sich nicht sicher war, warum er ihn gegeben hatte. Niemand, der von der Schwarzen Burg kam, sollte sich selbst überlassen bleiben. Flinn betastete zögernd den Drachen an seinem schwarzen Kragen. »Er war nicht erfreut zu hören, daß Ihr uns alle erhoben habt.«
»Tatsächlich«, sagte Rand sanft, während er die Handschuhe hinter seinen Schwertgürtel steckte. Da Flinn noch immer unsicher wirkte, fügte er hinzu: »Ihr habt es alle verdient.« Er hatte einen der Asha'man zu Taim schicken wollen — dem Führer, dem M'Hael, wie die Asha'man ihn nannten —, aber jetzt konnte Torval die Botschaft überbringen. Im Zelt des Konzils? »Laßt Erfrischungen bringen«, befahl er Flinn und bedeutete Hopwil und Dashiva, ihm zu folgen.
Flinn salutierte erneut, aber Rand schritt bereits davon, wobei der schwarze Schlamm unter seinen Stiefeln hervorquoll. Keine Hochrufe erklangen im stürmischen Wind für ihn. Er konnte sich noch daran erinnern, als sie erklungen waren, wenn es nicht eine von Lews Therins Erinnerungen war. Wenn Lews Therin jemals real gewesen war. Ein Farbblitz erschien gerade außerhalb seines Sichtfelds, das Gefühl, daß jemand in der Nähe war, der ihn von hinten berührte. Er konzentrierte sich mühsam.
Das Zelt des Konzils war ein großer rotgestreifter Pavillon, der einst auf den Ebenen von Maredo gestanden hatte und jetzt inmitten von Rands Lager aufgeschlagen war, von dreißig Schritt freiem Boden umgeben. Hier standen niemals Wachen, sofern Rand nicht mit den Adligen zusammentraf. Jedermann, der hineinzuschleichen versucht hätte, wäre sofort von tausend neugierigen Augen bemerkt worden. Drei Banner auf hohen Pfählen — die Aufgehende Sonne von Cairhien, die Drei Mondsicheln von Tear und die Goldenen Bienen von Illian — bildeten ein Dreieck um das Zelt, und über dem karmesinroten Dach, höher als die übrigen, ragten das Drachenbanner und das Banner des Lichts auf. Der Wind ließ sie alle wehen, sich wellen und knattern, und auch die Zeltwände erbebten unter den Böen. Im Zelt lagen farbenfrohe Fransenteppiche auf dem Boden, und das einzige Möbelstück war ein großer, reich geschnitzter und vergoldeter Tisch mit Elfenbein- und Türkisintarsien. Ein Durcheinander von Landkarten verbarg fast die Tischplatte.
Torval hob den Kopf von den Karten, eindeutig bereit, jedermann anzuschreien, wer auch immer hereingeplatzt war. Fast mittleren Alters und neben jedem außer Rand oder einem Aiel groß erscheinend, blickte er kühl seine scharfgeschnittene Nase hinab, die vor Entrüstung bebte. Der Drache und das Schwert an seinem Jackenkragen glänzten im Licht der Kandelaber. Er trug eine schimmernd schwarze Seidenjacke, deren Schnitt auch einem Lord zur Ehre gereicht hätte. Die Silberscheide seines Schwerts war goldverziert, und ein glänzender Rubin krönte das Heft. Ein weiterer Edelstein schimmerte undeutlich an einem Fingerring. Man konnte Männer nicht zu Waffen ausbilden, ohne ein gewisses Maß an Herablassung erwarten zu müssen, und doch mochte Rand Torval nicht. Aber andererseits brauchte er auch Lews Therins Stimme nicht, um einem Mann in einer schwarzen Jacke gegenüber Mißtrauen zu hegen. Wie weit vertraute er selbst Flinn? Und doch mußte er sie anführen. Er hatte die Asha'man geschaffen, jetzt war er für sie verantwortlich.
Als Torval ihn sah, richtete er sich nachlässig auf und salutierte, aber seine Miene veränderte sich kaum. Er hatte schon einen höhnischen Zug um den Mund gezeigt als Rand ihm zum ersten Mal begegnet war. »Mein Lord Drache«, sagte er im Akzent der Taraboner, und er hätte damit ebensogut einen Gleichgestellten begrüßen können. Seine prahlerische Verbeugung schloß auch Hopwil und Dashiva mit ein. »Ich beglückwünsche Euch zur Eroberung Illians. Ein großer Sieg, nicht wahr? Ich hatte zur Begrüßung Wein anbieten wollen, aber dieser junge ... Geweihte ... versteht anscheinend keine Befehle.«
In der Ecke des Zelts klangen die Silberglocken an Narishmas beiden langen dunklen Zöpfen leise, als er sich regte. Die südliche Sonne hatte ihn dunkel gebräunt, aber sonst hatte sich nichts an ihm verändert. Älter als Rand, ließ ihn sein Gesicht noch jünger erscheinen als Hopwil. Die seine Wangen überziehende Röte zeugte von Zorn, nicht von Verlegenheit. Sein Stolz auf das neu errungene Schwert an seinem Kragen war unaufdringlich, aber spürbar. Torval lächelte ihn an, ein zögerndes Lächeln, sowohl belustigt als auch gefährlich. Dashiva lachte kurz und trocken auf und war dann still.
»Was macht Ihr hier, Torval?« fragte Rand grob. Er warf das Drachenszepter und seine Panzerhandschuhe auf die Landkarten und ließ ihnen seinen Schwertgürtel und das in der Scheide steckende Schwert folgen. Torval hatte keine Veranlassung, die Landkarten zu betrachten. Lews Therins Stimme war auch jetzt nicht nötig.
Torval zog achselzuckend einen Brief aus seiner Jackentasche und reichte ihn Rand. »Der M'Hael schickt dies.« Das Papier war schneeweiß und dick, das Siegel ein in ein golden glitzerndes, großes Oval blauen Wachses eingedrückter Drache. Man hätte fast denken können, der Brief käme vom Wiedergeborenen Drachen. Taim hielt offenbar viel von sich. »Der M'Hael hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, daß die Geschichten über die Aes Sedai, die mit einem Heer in Murandy stehen, wahr sind. Gerüchte besagen, sie erhöben sich gegen Tar Valon...« Torvals Hohn wurde durch Unglauben noch verstärkt —, »...aber sie marschieren auf die Schwarze Burg zu. Sie könnten bald zu einer Gefahr werden.«
Rand brach das prachtvolle Siegel zwischen seinen Fingern in Stücke. »Sie ziehen nach Caemlyn, nicht zur Schwarzen Burg, und sie sind keine Bedrohung, Meine Befehle waren eindeutig. Laßt die Aes Sedai in Ruhe, solange sie Euch nicht angreifen.«
»Aber wie könnt Ihr sicher sein, daß sie keine Bedrohung darstellen?« beharrte Torval. »Vielleicht ziehen sie nach Caemlyn, wie Ihr sagt, aber wenn Ihr Euch irrt, werden wir es erst erfahren, wenn sie uns angreifen,«
»Torval könnte recht haben«, wandte Dashiva nachdenklich ein. »Ich kann nicht behaupten, daß ich Frauen trauen würde, die mich in eine Kiste gesperrt haben, und diese haben keine Eide geschworen. Oder doch?«
»Ich sagte, laßt sie in Ruhe!« Rand schlug hart auf den Tisch, und Hopwil zuckte überrascht zusammen. Dashiva runzelte verwirrt die Stirn, bevor er sie rasch wieder glättete, aber Rand kümmerten Dashivas Stimmungen nicht. Er hatte die Hand zufällig — er war sich sicher, daß es zufällig geschah — auf sein Drachenszepter gelegt. Sein Arm zitterte von dem Wunsch, es Torval durchs Herz zu stoßen. Lews Therin bedurfte es überhaupt nicht. »Die Asha'man sind eine Waffe, die dann eingesetzt wird, wenn ich es sage, und nicht um wie Hennen umherzuflattern, wann immer sich Taim vor einer Handvoll Aes Sedai fürchtet, die im gleichen Gasthaus speisen. Wenn es sein muß, kann ich mich auch noch deutlicher ausdrücken.«
»Das ist gewiß nicht nötig«, sagte Torval schnell. Zumindest hatte etwas den verzerrten Zug um seinen Mund beseitigt. Er spreizte mit starrem Blick fast schüchtern und beinahe entschuldigend die Hände. Er war eindeutig verängstigt. »Der M'Hael wollte Euch nur Bescheid geben. Eure Befehle werden jeden Tag nach dem Credo bei den morgendlichen Anweisungen laut verlesen,«
»Das ist gut.« Rand hielt seine Stimme kühl und unterdrückte mühsam ein Stirnrunzeln. Der Mann fürchtete seinen kostbaren M'Hael, nicht den Wiedergeborenen Drachen. Er argwöhnte, daß Taim es übelnehmen könnte, wenn ihm etwas, was er gesagt hatte, Rands Zorn einbrächte. »Denn ich werde jeden von Euch töten, der sich in die Nähe dieser Frauen in Murandy wagt. Ihr zerstört, wo ich hinzeige.«
Torval verbeugte sich steif und murmelte: »Wie Ihr befehlt, mein Lord Drache.« Er entblößte in einem mißlungenen Lächeln die Zähne, aber seine Nasenflügel bebten, und er mied mühsam jedermanns Blick, während er nichts zu meiden vorgab. Dashiva lachte erneut rauh auf, und Hopwil grinste leicht.
Narishma hatte jedoch keine Freude an Torvals Unbehagen und beachtete es auch nicht. Er sah Rand unverwandt an, als spüre er tiefliegende Strömungen, die den anderen entgingen. Die meisten Frauen und nicht wenige Männer hielten ihn einfach für einen hübschen Burschen, aber jene zu großen Augen schienen manchmal mehr zu erkennen als alle anderen.
Rand zog seine Hand von dem Drachenszepter zurück und strich den Brief glatt. Seine Hände zitterten kaum merklich. Torval lächelte schwach und verbittert und bemerkte nichts. Narishma machte es sich an der Zeltwand wieder bequem.
Dann wurden von einer Boreane folgenden würdigen Prozession der Dienerschaft, eine Reihe Illianer und Cairhiener und Tairener in ihren unterschiedlichen Livreen, die Erfrischungen gebracht. Ein Diener trug ein Silbertablett mit Krügen verschiedener Sorten Wein, und zwei weitere trugen Tabletts mit Silberkrügen heißen gewürzten Weins und edlen Glaspokalen. Ein Bursche mit rötlichem Gesicht in Grün und Gelb trug ein Tablett, auf dem eingegossen wurde, und einer dunklen Frau in Schwarz und Gold kam die Aufgabe zu, die Krüge tatsächlich zu handhaben. Es gab Nüsse und kandierte Früchte, verschiedene Käsesorten und Oliven, wobei für jede Sorte ein Diener oder eine Dienerin nötig war. Unter Boreanes Anleitung führten sie einen formellen Tanz auf, verbeugten sich, vollführten Hofknickse und machten sich gegenseitig Platz, während sie die Erfrischungen darboten.
Rand nahm seinen gewürzten Wein entgegen, setzte sich auf die Tischkante und stellte den dampfenden Becher unberührt neben sich, während er sich mit dem Brief beschäftigte. Es war weder eine Anrede vermerkt noch eine Einleitung irgendeiner Art. Taim haßte es, Rand mit einem Titel anzureden, obwohl er diese Tatsache zu verbergen versuchte.
Es ist mir eine Ehre zu berichten, daß inzwischen neunundzwanzig Asha'man, siebenundneunzig Geweihte und dreihundertzweiundzwanzig Soldaten für die Schwarze Burg ausgehoben wurden. Es gab leider eine Handvoll Deserteure, deren Namen getilgt wurden, aber die Verluste bei der Ausbildung halten sich in Grenzen.
Es sind jetzt ständig fünfzig Rekrutierungsgruppen unterwegs, mit dem Ergebnis, daß den Listen fast täglich drei oder vier neue Namen hinzugefügt werden. Die Schwarze Burg wird der Weißen Burg in wenigen Monaten ebenbürtig sein, wie ich es vorausgesagt habe. In einem Jahr wird Tar Valon vor unserer Anzahl erzittern. Ich habe diesen Brombeerbusch selbst abgeerntet. Ein kleiner, dorniger Busch, aber mit einer für seine Größe überraschenden Anzahl an Beeren.
Mazrim Taim M'Hael Rand verzog das Gesicht und verdrängte den Brombeerbusch aus seinen Gedanken. Was getan werden mußte, war unvermeidlich. Die ganze Welt bezahlte einen Preis für seine Existenz. Er würde dafür sterben, aber die ganze Welt bezahlte.
Es gab ohnehin auch noch andere Dinge, derentwegen man hadern mußte. Jeden Tag drei oder vier neue Namen? Taim war zuversichtlich. Bei dieser Rate gäbe es in einigen Monaten wahrhaftig mehr Männer, welche die Macht lenken konnten, als Aes Sedai, aber selbst die jüngste Schwester hatte bereits Jahre der Ausbildung hinter sich. Und ein Teil dieser Ausbildung beinhaltete, wie man mit einem Mann umging, der die Macht lenken konnte. Er wollte keinerlei Begegnung der Asha'man mit den Aes Sedai erwägen, die wußten, was ihnen bevorstand. Blut und Bedauern konnten das einzige Ergebnis sein, was auch immer geschah. Die Asha'man sollten jedoch nicht die Weiße Burg angreifen, ungeachtet dessen, was Taim glaubte, obwohl es ein zweckdienlicher Glaube war, wenn er bewirkte, daß Tar Valon auf der Hut war. Ein Ashaman mußte nur wissen, wie man tötete. Wenn es genügend gab, die dies am rechten Ort und zur rechten Zeit taten und wenn sie ausreichend lange lebten, war das alles, wofür sie geschaffen worden waren.
»Wie viele Männer sind desertiert, Torval?« fragte er ruhig. Er nahm den Weinbecher hoch und trank einen Schluck, als sei die Antwort unwichtig. Der Wein hätte ihn erwärmen sollen, aber er kam ihm nur bitter vor, »Und wie viele Verluste hat es bei der Ausbildung gegeben?«
Torval kostete gerade von den Erfrischungen, rieb sich die Hände und betrachtete mit gewölbten Augenbrauen das Angebot an Weinen, woraufhin er sich damit brüstete, den besten erkennen zu können. Dashiva hatte das zuerst Dargereichte angenommen und stand jetzt finster da, wobei er in seinen mit einem gedrehten Stiel versehenen Pokal starrte, als enthalte er Abwaschwasser. Torval deutete auf eines der Tabletts und neigte nachdenklich den Kopf, sprach aber dann. »Bisher neunzehn Deserteure. Der M'Hael hat angeordnet, daß man sie tötet, wann immer sie gefunden werden, und daß ihre Köpfe als abschreckendes Beispiel zurückgebracht werden sollen.« Er nahm geziert ein Stück kandierte Birne von dem dargebotenen Tablett, steckte es in den Mund und lächelte erfreut. »Im Moment hängen drei Köpfe wie Früchte am Verräterbaum.«
»Gut«, sagte Rand gleichmütig. Bei Männern, die jetzt davonliefen, durfte man nicht darauf vertrauen, daß sie nicht auch später davonlaufen würden, wenn Leben von ihrer Standhaftigkeit abhingen. Und man durfte diesen Männern nicht erlauben, ihren eigenen Weg zu gehen. Diese Burschen auf den Hügeln bedeuteten, selbst wenn sie gemeinsam entkamen, weniger Gefahr als auch nur ein in der Schwarzen Burg ausgebildeter Mann. Der Verräterbaum? Taim war gut darin, großartige Namen zu erfinden. Aber die Männer brauchten die Auszeichnungen, die Symbole und die Namen, die schwarzen Jacken und die Anstecknadeln, damit sie zusammenhielten. Bis es an der Zeit war zu sterben. »Wenn ich die Schwarze Burg das nächste Mal besuche, will ich die Köpfe aller Deserteure sehen.«
Ein zweites Stück kandierte Birne, auf halbem Wege zu Torvals Mund, entglitt seinen Fingern und befleckte seine edle Jacke. »Es könnte die Aushebungen behindern, wenn man sich darum bemühte«, sagte er zögerlich. »Die Deserteure halten sich verborgen.«
Rand bezwang den Blick des anderen Mannes. »Wie viele Verluste gab es bei der Ausbildung?« verlangte er zu wissen. Der Asha'man mit der scharf geschnittenen Nase zögerte. »Wie viele?« wiederholte Rand.
Narishma beugte sich vor und sah Torval angespannt an. Ebenso Hopwil. Die Diener führten ihren ruhigen, leisen Tanz weiterhin fort, boten ihre Tabletts jedoch Männern dar, die sie nicht mehr sahen. Boreane nutzte Narishmas Anspannung, um dafür zu sorgen, daß sein Silberbecher mehr heißes Wasser als gewürzten Wein enthielt.
Torval zuckte zu beiläufig die Achseln. »Insgesamt einundfünfzig. Dreizehn brannten aus, und achtundzwanzig starben am Fleck. Die übrigen... Der M'Hael gibt ihrem Wein etwas hinzu, und sie wachen nicht mehr auf.« Sein Tonfall wurde jäh gehässig. »Es kann jederzeit ganz plötzlich geschehen. Ein Mann schrie an seinem zweiten Tag, Spinnen kröchen unter seine Haut.« Er lächelte Narishma und Hopwil boshaft an, und beinahe auch Rand, aber er wandte sich mit seinen nächsten Worten an die beiden anderen. »Versteht Ihr? Man braucht sich nicht zu sorgen, ob man dem Wahnsinn verfällt. Man verletzt weder sich selbst noch jemand anderen. Man schläft ein ... für immer. Das ist gnädiger als das Dämpfen, selbst wenn man weiß, wie es gemacht wird. Es ist gütiger, als dem Wahnsinn überlassen zu bleiben und abgeschnitten zu werden.« Narishma erwiderte seinen Blick, angespannt wie eine Harfensaite, der Becher in seiner Hand vergessen. Hopwil runzelte erneut über etwas die Stirn, was nur er sehen konnte.
»Gütiger«, wiederholte Rand tonlos und stellte seinen Becher neben sich auf den Tisch. Etwas im Wein. Meine Seele ist schwarz vor Blut und verdammt. Es war kein schlimmer Gedanke, nicht durchdringend oder bohrend, sondern die einfache Feststellung einer Tatsache. »Eine Gnade, die sich vielleicht jedermann ersehnt, Torval.«
Torvals grausames Lächeln schwand, und er stand schwer atmend da. Die Rechnung war leicht zu erstellen: ein Mann von zehn vernichtet, ein Mann von fünfzig wahnsinnig geworden, und weitere würden hinzukommen. Es war erst wenig Zeit verstrichen, und man würde erst am Todestag erfahren, ob man die Umstände besiegt hatte. Nur daß die Umstände letztendlich einen selbst auf die eine oder andere Weise besiegten. Dieser Bedrohung war auch Torval, ungeachtet alles anderen, ausgesetzt.
Rand wurde sich jäh Boreanes bewußt. Es dauerte einen Moment, bevor er den Ausdruck auf ihrem Gesicht bemerkte, woraufhin er sich harte Worte versagte. Wie konnte sie es wagen, Mitleid zu empfinden! Glaubte sie, Tarmon Gai'don könnte ohne Blutvergießen gewonnen werden? Die Prophezeiungen des Drachen forderten Blut wie Regen!
»Laßt uns allein«, befahl er ihr, und sie versammelte schweigend die Dienerschaft um sich. Aber ihre Augen zeigten noch immer einen mitfühlenden Ausdruck, während sie die Diener hinausscheuchte.
Rand suchte erfolglos nach einer Möglichkeit, die Stimmung zu heben. Mitleid schwächte sie ebenso sicher wie Angst, und sie mußten stark sein. Um sich dem Notwendigen zu stellen, mußten sie alle stahlhart sein. Das war seine Aufgabe, er war dafür verantwortlich.
Narishma spähte gedankenverloren in den von seinem Wein aufsteigenden Dampf, und Hopwil versuchte noch immer, die Zeltwand mit seinem Blick zu durchbohren. Torval warf Rand einen Seitenblick zu und bemühte sich, den höhnischen Zug um seinen Mund zurückzuerlangen. Nur Dashiva schien ungerührt, die Arme verschränkt, und betrachtete Torval, wie ein Mann vielleicht ein zum Verkauf stehendes Pferd betrachten würde.
In dieses qualvolle, sich ausdehnende Schweigen platzte ein stämmiger, windzerzauster junger Mann in Schwarz mit dem Schwert und Drachen am Kragen. Im gleichen Alter wie Hopwil, aber noch nicht alt genug, um meistenorts heiraten zu können, schien Fedwin Morr sehr angespannt. Er bewegte sich auf Zehenspitzen, und seine Augen huschten wie die einer jagenden Katze umher, die sich bewußt war, daß sie ebenfalls gejagt wurde. Er war einst anders gewesen, vor gar nicht allzu langer Zeit. »Die Seanchaner werden Ebou Dar bald verlassen«, meldete er, während er salutierte. »Sie wollen sich als nächstes gegen Illian wenden.« Hopwil zuckte zusammen und keuchte, aus seinen düsteren Betrachtungen aufgeschreckt. Dashiva lachte erneut, wenn auch dieses Mal freudlos.
Rand nickte und nahm das Drachenszepter auf. Er trug es auch als Gedächtnisstütze. Die Seanchaner tanzten nach ihrer eigenen Melodie, nicht nach dem Lied, das er sich ersehnte.
Wenn Rand die Ankündigung schweigend aufnahm, so galt dies für Torval nicht. Er erlangte seine höhnische Haltung zurück und wölbte verächtlich eine Augenbraue. »Haben sie Euch das alles erzählt?« fragte er spöttisch. »Oder habt Ihr gelernt, Gedanken zu lesen? Laßt mich Euch etwas sagen, Junge. Ich habe sowohl gegen Amadicianer als auch gegen Domani gekämpft und weiß, daß kein Heer eine Stadt einnimmt und sich dann auf einen tausend Meilen langen Marsch begibt! Mehr als tausend Meilen! Oder glaubt Ihr, daß sie das Schnelle Reisen beherrschen?«
Morr begegnete Torvals Hohn mit Gelassenheit. Oder wenn es ihn beunruhigte, ließ er es sich nur dadurch anmerken, daß er mit einem Daumen über sein Schwertheft strich. »Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen. Die meisten waren Taraboner, und fast jeden Tag landen weitere mit Schiffen an.« Er drängte sich an Torval vorbei zum Tisch, wobei er den Taraboner mit einem gleichmütigen Blick bedachte. »Alle gerieten regelrecht in Panik, wann immer jemand mit schleppender Sprechweise den Mund auftat.« Der ältere Mann öffnete verärgert den seinen, aber der junge Mann fuhr an Rand gewandt eilig fort. »Sie stellen Soldaten entlang der ganzen Venirberge auf. Jeweils fünfhundert, manchmal auch tausend. Bereits den ganzen Weg zur Halbinsel Arran. Und sie kaufen oder nehmen sich jeden Wagen und Karren innerhalb zwanzig Meilen von Ebou Dar wie auch die Zugtiere.«
»Karren!« rief Torval aus. »Wagen! Glaubt Ihr also, sie wollen einen Jahrmarkt abhalten? Und welcher Narr würde ein Heer durch Berge führen, wenn es ausgezeichnete Straßen gibt?« Er bemerkte, daß Rand ihn beobachtete, und brach mit leichtem Stirnrunzeln abrupt ab.
»Ich hatte Euch befohlen, Euch bedeckt zu halten, Morr.« Rand ließ seine Verärgerung anklingen. Der junge Asha'man mußte zurücktreten, als Rand vom Tisch sprang. »Ihr solltet nicht hingehen und die Seanchaner nach ihren Plänen befragen, sondern beobachten und Euch bedeckt halten.«
»Ich war vorsichtig. Ich habe meine Anstecknadeln nicht getragen.« Morrs Blick änderte sich auch Rand gegenüber nicht, noch immer der Jäger und der Gejagte zugleich. Er schien innerlich zu kochen. Hätte Rand es nicht besser gewußt, hätte er geglaubt, Morr hielte die Macht fest in dem Kampf, Saidin zu überleben, während es ihm zehnfaches Leben schenkte. Schweiß schimmerte auf seinem Gesicht. »Wenn irgendeiner der Männer, mit denen ich gesprochen habe, wußte, wohin sie als nächstes zögen, sagten sie es nicht, und ich habe nicht gefragt, aber sie beschwerten sich bei einem Krug Bier bereitwillig darüber, die ganze Zeit marschieren zu müssen und niemals ausruhen zu dürfen. In Ebou Dar tranken sie so schnell wie möglich alles Bier der Stadt, weil es hieß, sie müßten wieder weitermarschieren. Und sie versammeln Wagen, genau wie ich es gesagt habe.« Das alles drang eilig hervor, und er biß am Ende die Zähne zusammen, als wollte er weitere hervorsprudelnde Worte einschließen.
Rand lächelte plötzlich und klopfte ihm auf die Schulter »Ihr habt es gut gemacht. Die Wagen hätten genügt, aber Ihr habt es gut gemacht. Wagen sind wichtig«, fügte er an Torval gewandt hinzu. »Wenn ein Heer das Land abgrast, nimmt es, was es findet. Oder auch nicht, wenn es nichts findet.« Torval hatte mit keiner Wimper gezuckt, als er von Seanchanern in Ebou Dar hörte. Wenn diese Geschichte die Schwarze Burg erreicht hatte — warum hatte Taim es dann nicht erwähnt? Rand hoffte, daß sein Lächeln nicht höhnisch wirkte. »Es ist schwer, Versorgungszüge zusammenzustellen, aber wenn man einen solchen besitzt, gibt es Futter für die Tiere und Bohnen für die Menschen. Die Seanchaner organisieren alles.«
Er blätterte die Landkarten durch, fand diejenige, die er gesucht hatte, und breitete sie aus, wobei er sie an einer Seite mit seinem Schwert und an der anderen mit dem Drachenszepter beschwerte. Er blickte auf die Küste zwischen Illian und Ebou Dar, die fast auf ganzer Länge von mit Fischerdörfern und kleinen Städten gesprenkelten Hügeln und Bergen gesäumt war. Die Seanchaner organisierten alles. Ebou Dar gehörte ihnen seit kaum einer Woche, aber die Augen-und-Ohren der Händler berichteten von weit fortgeschrittenen Behebungen des Schadens, welcher der Stadt bei der Einnahme zugefügt wurde, von sauberen Spitälern für die Kranken, von Nahrung und Arbeit für die Armen und jene, die durch Unruhen im Land vertrieben wurden. Patrouillen durchstreiften die Straßen und das umliegende Land, damit bei Tag und Nacht niemand Wegelagerer oder Räuber fürchten mußte, und obwohl Händler willkommen waren, war das Schmuggeln fast vollkommen unterbunden worden. Diese ehrbaren illianischen Händler hatten sich bezüglich des Schmuggelns überraschend verdrossen gezeigt. Was planten die Seanchaner als nächsten Schritt?
Die anderen versammelten sich um den Tisch, während Rand die Landkarte betrachtete. Es gab nahe der Küste Straßen, aber nur armselige und unregelmäßig verlaufende. Die breiten Handelsstraßen lagen weiter im Land, umgingen das unwegsame Gelände und die schlimmsten Stürme vom Meer. »Männer, die von diesen Bergen aus Überfälle begehen, könnten jedermann den Durchgang erschweren, der die Inlandstraßen benutzen wollte«, sagte er schließlich. »Indem sie die Berge kontrollieren, machen sie die Straßen so sicher wie eine Straße in der Stadt. Ihr habt recht, Morr. Sie kommen nach Illian.«
Torval stützte sich auf seine Fäuste und starrte Morr finster an, der recht gehabt hatte, wo er sich geirrt hatte. Vielleicht ein bitteres Vergehen in Torvals Buch. »Dennoch wird es Monate dauern, bis sie Euch hier Schwierigkeiten bereiten können«, sagte er mürrisch. »Hundert in Illian aufgestellte Asha'man oder auch nur fünfzig könnten jegliches Heer der Welt vernichten, bevor ein Mann die Dämme überquert.«
»Ich bezweifle, daß ein Heer mit Domäne ebenso leicht zu vernichten ist, wie man Aiel tötet, die einen Angriff planen und überrascht werden«, sagte Rand ruhig, und Torval erstarrte. »Außerdem muß ich ganz Illian verteidigen, nicht nur die Stadt.«
Rand ignorierte den Mann und zog mit einem Finger die Linien auf der Karte nach. Zwischen der Halbinsel Arran und der Stadt Illian lag der Kabalgraben, hundert Meilen offenen Wassers, und wollte man den Behauptungen der Schiffskapitäne in Illian glauben, konnten ihre längsten Senkbleie schon eine Meile vom Ufer entfernt keinen Grund mehr finden. Die Wogen dort ließen Schiffe kentern, während sie nordwärts rollten, um mit fünfzehn Fuß hohen Brechern auf die Küste aufzutreffen. Bei diesem Wetter würde es noch schlimmer sein. Und die Umrundung des Kabalgrabens bedeutete eine Strecke von zweihundert Meilen, um die Stadt zu erreichen, selbst wenn man die kürzesten Wege wählte, aber wenn die Seanchaner von der Halbinsel Arran vorwärts drängten, konnten sie die Grenze trotz des Sturmregens in zwei Wochen erreichen. Vielleicht früher. Es war besser, an einem Ort zu kämpfen, den er statt ihrer erwählte. Sein Finger umrundete die Südküste Altaras entlang der Venirberge, bis die Berge kurz vor Ebou Dar in Hügel übergingen. Fünfhundert Mann hier, tausend dort. Eine quälende Perlenkette zog sich wie Tropfen die Berge entlang. Ein scharfer Vorstoß könnte sie nach Ebou Dar zurückwerfen, könnte sie vielleicht sogar dort einschließen, während sie herauszufinden versuchten, was er vorhatte. Oder...
»Da war noch etwas«, sagte Morr plötzlich hastig. »Man sprach über irgendeine geheime Waffe der Aes Sedai. Ich fand heraus, wo sie benutzt wurde, wenige Meilen von der Stadt entfernt. Der Boden war ganz verbrannt, in der Mitte völlig versengt, auf gut dreihundert oder mehr Schritt Breite, und zudem fand ich noch zerstörte Obstgärten vor. Der Sand war zu glasartigen Platten verschmolzen. Dort war Saidin am schlimmsten.«
Torval winkte ab. »Vielleicht waren Aes Sedai in der Nähe, als die Stadt fiel. Oder vielleicht haben die Seanchaner das selbst getan. Eine Schwester mit einem Angreal könnte...«
Rand unterbrach ihn. »Was meint Ihr damit, daß Saidin dort am schlimmsten war?« Dashiva regte sich, betrachtete Morr auf seltsame Weise und streckte dann die Hand aus, als wollte er den jungen Mann festhalten. Rand hielt ihn schroff davon ab. »Was meint Ihr damit, Morr?«
Morr sah ihn mit fest geschlossenem Mund an und fuhr mit dem Daumen sein Schwertheft hinauf und hinab. Der Zorn in ihm schien ausbrechen zu wollen. Tatsächlich waren jetzt Schweißperlen auf sein Gesicht getreten. »Saidin war ... seltsam«, sagte er rauh. Die Worte drangen abgehackt hervor. »Dort war es am schlimmsten. Ich konnte ... es spüren ... in der Luft überall um mich herum, aber es war auch überall um Ebou Dar seltsam und sogar noch hundert Meilen entfernt. Ich mußte dagegen ankämpfen. Es war nicht wie sonst. Es war anders. Als lebe es. Manchmal... manchmal tat es nicht, was ich wollte. Manchmal... tat es etwas anderes. Das tat es. Ich bin nicht verrückt! Es war so!« Der Wind frischte auf, heulte einen Moment, ließ die Zeltwände erbeben und peitschen, und Morr verfiel in Schweigen. Narishmas Glocken klangen, als er ruckartig den Kopf wandte, und verstummten dann wieder.
»Das ist unmöglich«, murrte Dashiva sehr leise in das Schweigen. »Es ist einfach unmöglich.«
»Wer weiß, was möglich ist?« fragte Rand. »Ich nicht! Wißt Ihr es?« Dashiva hob überrascht den Kopf, aber Rand wandte sich, jetzt freundlicher, erneut an Morr. »Macht Euch keine Sorgen, Mann.« Er sprach nicht sanft — das konnte er nicht —, aber ermutigend, wie er hoffte. Er dachte an seine Aufgabe, seine Verantwortung. »Ihr werdet mit mir in die Letzte Schlacht ziehen. Das verspreche ich Euch.«
Der junge Mann ruckte und rieb sich mit der Hand über das Gesicht, als sei er überrascht, daß es feucht war, aber er sah dabei Torval an, der vollkommen still geworden war. Wußte Morr von dem Wein? Es war eine Gnade, wenn man die Wahlmöglichkeiten bedachte. Eine geringe, bittere Gnade.
Rand nahm Taims Schreiben auf, faltete das Blatt und steckte es in seine Jackentasche. Bereits einer von Fünfzig wahnsinnig, und es sollten noch weitere folgen. War Morr der nächste? Dashiva war gewiß nahe daran. Hopwils Blicke erhielten eine neue Bedeutung, und Narishmas gewohnte Ruhe ebenfalls. Wahnsinn bedeutete nicht immer, daß man sich über Spinnen aufregte. Er hatte einst dort vorsichtig nachgefragt, wo er sicher war, ehrliche Antworten zu bekommen, wie man Saidin vom Makel reinwaschen könnte. Doch er erhielt ein Rätsel als Antwort. Herid Fei hatte behauptet, das Rätsel lege »verläßliche Grundsätze, sowohl philosophischer als auch naturphilosophischer Art«, fest, aber er hatte keine Möglichkeit gesehen, es auf das vorliegende Problem anzuwenden. Mußte Fei vielleicht sterben, weil er das Rätsel gelöst hatte? Rand besaß einen Hinweis auf die Antwort, oder zumindest glaubte er es, eine Vermutung, die aber auch unheilvoll in die falsche Richtung weisen konnte. Hinweise und Rätsel waren keine Antworten, und doch mußte er etwas tun. Wenn Saidin nicht irgendwie vom Makel reingewaschen wurde, könnte Tarmon Gai'don eine bereits von Wahnsinnigen zerstörte Welt vorfinden. Was getan werden mußte, mußte getan werden.
»Das wäre wunderbar«, sagte Torval fast flüsternd, »aber wie könnte jemand anderer außer dem Schöpfer oder...« Er brach unbehaglich ab.
Rand hatte nicht erkannt, daß er einige seiner Gedanken laut ausgesprochen hatte. Narishmas, Morrs und Hopwils Augen hätten zu einem Gesicht gehören können, schimmerten plötzlich hoffnungsvoll. Dashiva wirkte wie erschlagen. Rand hoffte, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Einige Geheimnisse mußten bewahrt werden, einschließlich dem, was er als nächstes vorhatte.
Kurz darauf lief Hopwil zu seinem Pferd, um mit Befehlen für die Adligen zum Hügelkamm zu reiten. Morr und Dashiva machten sich eilig auf die Suche nach Flinn und den anderen Asha'man, und Torval schritt davon, um mit Befehlen für Taim wieder zur Schwarzen Burg zu reisen. Narishma war der letzte Verbliebene, und eingedenk der Aes Sedai und Seanchaner schickte Rand ihn mit genauen Anweisungen, die den jungen Mann veranlaßten, die Lippen zusammenzupressen, ebenfalls fort.
»Sprecht mit niemandem«, endete Rand freundlich, während er fest Narishmas Arm umfaßte. »Und enttäuscht mich nicht. Keinesfalls.«
»Ich werde Euch nicht enttäuschen«, sagte Narishma unbewegt. Er grüßte rasch und ging ebenfalls.
Gefährlich, flüsterte eine Stimme in Rands Kopf. O ja, sehr gefährlich. Vielleicht zu gefährlich. Aber es könnte funktionieren. Vielleicht. Auf jeden Fall mußt du Torval jetzt töten. Du mußt es tun.
Weiramon betrat das Zelt des Konzils, drängte Gregorin und Tolmeran beiseite und versuchte, auch Rosana und Semaradrid beiseite zu schieben, die Rand berichten wollten, daß die Männer im Wald letztendlich weise entschieden hatten. Sie fanden ihn lachend vor, bis ihm Tränen über die Wangen liefen. Lews Therin war zurückgekommen. Oder er war tatsächlich bereits wahnsinnig. Es war auf jeden Fall ein Grund zum Lachen.