9 Wirrnisse

Perrin erwachte, wie üblich, vor dem ersten Tageslicht, und Faile war, wie üblich, bereits auf den Beinen. Sie konnte eine Maus geräuschvoll erscheinen lassen, wenn sie es wollte, und er argwöhnte, daß es ihr auch dann gelänge, zuerst aufzustehen, wenn er bereits eine Stunde nach dem Einschlafen erwachte. Der Zelteingang war zurückgeschlagen, die Seitenwände am Boden ein wenig angehoben, und ein Windhauch wehte durch die Öffnung im Zeltdach, der genügte, eine Illusion von Kühle zu bewirken. Tatsächlich erschauderte Perrin, als er nach seinem Hemd und seiner Hose suchte. Nun, es sollte Winter sein, selbst wenn das Wetter dem nicht entsprach.

Er zog sich im Dunkeln an und schrubbte seine Zähne mit Salz, wozu er kein Licht benötigte, und als er das Zelt verließ und in seine Stiefel stieg, hatte Faile in der tiefgrauen Dämmerung des frühen Morgens bereits ihre neuen Diener um sich versammelt, von denen einige entzündete Laternen hielten. Die Tochter eines Lord brauchte Diener. Er hätte schon früher dafür sorgen sollen. In Caemlyn gab es Leute aus den Zwei Flüssen, die Faile selbst unterwiesen hatte, aber da Geheimhaltung vonnöten war, hatte sie ihre Diener nicht mitnehmen können. Meister Gill würde zwar so bald wie möglich nach Hause ziehen wollen und Lamgwin und Breane ebenfalls, aber vielleicht würden Maighdin und Lini bleiben.

Aram, der mit gekreuzten Beinen neben dem Zelt gesessen hatte, richtete sich jetzt auf und wartete ruhig auf Perrin. Hätte Perrin es nicht verhindert, hätte Aram quer vor dem Zelteingang geschlafen. Heute morgen trug er eine rotweiß gestreifte Jacke, obwohl das Weiß ein wenig schmuddelig wirkte, und selbst jetzt ragte das mit dem Wolfskopf-Knauf versehene Schwertheft über seine Schulter. Perrin hatte seine Streitaxt im Zelt gelassen und war dankbar, sie los zu sein. Tallanvor trug sein Schwert ebenfalls am Gurt über der Jacke, Meister Gill und die beiden anderen hingegen waren unbewaffnet.

Faile mußte ihn erwartet haben, denn kaum trat Perrin aus dem Zelt, als sie auch schon zu ihm hinübersah und Befehle erteilte. Maighdin und Breane eilten mit Laternen an ihm und Aram vorbei, die Zähne zusammengebissen, und rochen aus einem unbestimmten Grund entschlossen. Keine von ihnen vollführte einen Hofknicks oder verbeugte sich, was Perrin angenehm überraschte. Lini jedoch tat es, ein rasches Beugen des Knies, bevor sie den beiden anderen nacheilte und etwas über › seinen Stand anerkennen‹ murmelte. Perrin vermutete in Lini eine jener Frauen, die ihren ›Stand‹ im Befehlen sahen. Wenn er darüber nachdachte, galt das wohl für die meisten Frauen. So war anscheinend der Lauf der Welt, nicht nur in den Zwei Flüssen.

Tallanvor und Lamgwin folgten den Frauen dichtauf, und Lamgwin verbeugte sich ebenso ernsthaft wie Tallanvor, der dies fast verbissen tat. Perrin seufzte und verbeugte sich ebenfalls, woraufhin beide erschraken und ihn anstarrten. Ein kurzer Befehl von Lini trieb sie ins Zelt.

Faile lächelte Perrin nur flüchtig zu, bevor sie sich in Richtung der Karren entfernte, wobei sie sich abwechselnd mit Basel Gill auf ihrer einen und Sebban Balwer auf der anderen Seite unterhielt Jeder der Männer hielt eine Laterne vor sich, um ihr zu leuchten. Natürlich befanden sich etliche jener Dummköpfe in Hörweite, wenn sie die Stimme erhob, stolzierten einher, strichen über ihre Schwerthefte und starrten in die Dunkelheit, als erwarteten sie einen Angriff oder hofften sogar darauf. Perrin zupfte an seinem kurzen Bart. Faile war stets beschäftigt, und niemand nahm ihr die Arbeit ab. Niemand würde es wagen.

Noch zeigte sich die Dämmerung nicht am Horizont, und doch machten sich die Cairhiener bereits rund um die Karren zu schaffen und eilten sich zusehends, je näher Faile kam. Die Leute aus den Zwei Flüssen, die den Alltag der Bauern gewohnt waren, bereiteten bereits ihr Frühstück zu, einige lachend und eifrig, andere mürrisch, aber die meisten erfüllten ihre Aufgaben. Einige wenige wollten liegen bleiben, wurden aber schlicht aufgescheucht. Grady und Neald waren ebenfalls aufgestanden und hielten sich wie gewohnt abseits, Schatten in schwarzen Jacken unter den Bäumen. Perrin konnte sich nicht erinnern, sie jemals ohne diese Jacken gesehen zu haben, die stets bis zum Hals geschlossen und an jedem neuen Tag wieder sauber und glatt aussahen, in welchem Zustand auch immer sie am Abend zuvor gewesen waren. Sie führten wie jeden Morgen synchron Schwertübungen aus. Das gefiel Perrin besser als ihre abendliche Tätigkeit, mit gekreuzten Beinen dazusitzen, die Hände auf den Knien, und in ein fernes Nichts zu starren. Sie taten niemals etwas anderes als das, was alle sehen konnten, und doch wußte im Lager niemand auch nur annähernd, was in ihnen vorging, und ein jeder hielt sich so weit wie möglich von ihnen fern. Nicht einmal die Töchter des Speers näherten sich ihnen.

Perrin bemerkte plötzlich, daß etwas fehlte. Faile beauftragte stets einen der Männer, ihm eine Schale mit den dicken Getreideflocken zu bringen, die sie zum Frühstück aßen, aber heute morgen war sie anscheinend zu beschäftigt. Freudig eilte er zu den Herdfeuern, um sich die Mahlzeit wenigstens einmal selbst zu holen. Aber seine Hoffnung wurde enttäuscht.

Flann Barstere, ein schlaksiger Bursche mit einem Grübchen am Kinn, begegnete ihm auf halbem Wege und reichte ihm eine geschnitzte Schale. Flann stammte aus der Nähe von Wachhügel, und Perrin kannte ihn nicht gut, aber sie hatten ein- oder zweimal zusammen gejagt, und Perrin hatte ihm einmal geholfen, eine der Kühe seines Vaters aus einem Sumpf im Wasserwald zu ziehen. »Lady Faile wies mich an, Euch dies zu bringen, Perrin«, sagte Flann ängstlich. »Ihr werdet ihr doch nicht sagen, daß ich es vergessen hatte? Ich habe etwas Honig gefunden, und ich habe einige Löffel voll hineingegeben.« Perrin unterdrückte ein Seufzen. Zumindest hatte Flann seinen Namen behalten.

Nun, vielleicht gelang es ihm tatsächlich nicht, die einfachsten Aufgaben selbst auszuführen, aber er war noch immer für die Männer verantwortlich, die unter den Bäumen frühstückten. Ohne ihn wären sie bei ihren Familien und bereiteten sich auf die tägliche Arbeit auf dem Bauernhof vor, anstatt sich zu fragen, ob sie noch vor Sonnenuntergang töten müßten oder getötet würden. Perrin schlang seine mit Honig gesüßten Getreideflocken hinunter und wies Aram an, sein Frühstück in Ruhe zu sich zu nehmen, aber der Mann machte eine solche Leidensmiene, daß er sich seiner erbarmte und sich von ihm begleiten ließ, während er durch das Lager ging. Perrin genoß diese Runde nicht. Männer stellten ihre Schalen ab, wenn er sich näherte, oder standen sogar auf, bis er vorübergelangt war. Er knirschte mit den Zähnen, wann immer ihn jemand, mit dem er aufgewachsen war oder der ihn womöglich als Junge auf Botengänge geschickt hatte, Lord Perrin nannte. Nicht jedermann tat dies, aber zu viele. Viel zu viele. Nach einiger Zeit gab er es erschöpft auf, es ihnen zu untersagen. Nur allzu häufig lautete die Antwort: »Oh! Ganz wie Ihr meint, Lord Perrin.« Es genügte, einen Mann verzweifeln zu lassen!

Dennoch zwang er sich, innezuhalten und mit jedem Mann ein paar Worte zu wechseln. Aber vor allem hielt er seine Augen offen. Und seine Nase. Sie alle waren eifrig darauf bedacht, ihre Bogen und Pfeilspitzen pfleglich zu warten, aber einige würden ihre Stiefelsohlen oder Hosenböden durchscheuern lassen, ohne es zu merken, oder Blasen schwären lassen, weil man sie nicht dazu bewegen konnte, sofort etwas dagegen zu unternehmen. Mehrere Männer hatten die Angewohnheit, Branntwein zu trinken, wenn sie die Gelegenheit dazu hatten, aber zwei oder drei von ihnen vertrugen ihn nicht. In einem kleinen Dorf, durch das sie am Tag vor ihrer Ankunft in Bethai gekommen waren, hatte es nicht weniger als drei Schenken gegeben.

Es war seltsam. Stets war es ihm unangenehm gewesen, wenn Herrin Luhhan oder seine Mutter ihm gesagt hatten, er brauche neue Stiefel oder seine Hose müsse geflickt werden, und er war sich sicher, daß eine solche Bevormundung auch jeden anderen geärgert hätte, aber von dem bereits ergrauten, alten Jondyn Barran angefangen sagten die Leute aus den zwei Flüssen einfach: »Nun, recht habt Ihr, Lord Perrin; ich kümmere mich sofort darum.« Er sah einige von ihnen einander zugrinsen, wenn er weiterging. Und sie rochen erfreut! Als er ein Tongefäß mit Birnenbranntwein in Jori Congars Satteltaschen entdeckte — Jori war ein hagerer Bursche, der doppelt soviel aß wie alle anderen, aber dennoch stets den Eindruck machte, als habe er eine Woche lang nichts mehr gegessen; er war ein guter Bogenschütze, der jedoch bei jeder Gelegenheit trank, bis er nicht mehr stehen konnte, und außerdem flinke Finger besaß —, sah Jori ihn mit großen Augen an und spreizte die Hände, als wüßte er nicht, wo das Gefäß hergekommen sei. Aber als Perrin weiterging, während er den Branntwein ausgoß, sagte Jori lachend: »Lord Perrin läßt nicht alles durchgehen!« Er klang stolz! Manchmal glaubte Perrin, er habe sich als einziger seine geistige Gesundheit bewahrt.

Und er bemerkte noch etwas. Die Männer achteten allesamt sehr darauf, was er nicht sagte. Alle warfen nacheinander Blicke zu den zwei Bannern, dem Roten Wolfskopf und dem Roten Adler, die gelegentlich in einer leichten Brise flatterten. Sie betrachteten die Banner und beobachteten ihn, warteten auf den Befehl, den er jedesmal gegeben hatte, wenn sie gehißt worden waren, seit sie Ghealdan erreicht hatten, und auch häufig zuvor. Nur daß er gestern nichts gesagt hatte und auch heute nichts sagen würde. Perrin sah an den Gesichtern der Männer, daß sie Vermutungen anstellten. Er versuchte, nicht auf ihr Flüstern hinter seinem Rücken zu achten. Was würden sie sagen, wenn er sich irrte, wenn die Weißmäntel oder König Ailron beschlossen, den Blick ausreichend lange vom Propheten und von den Seanchanern abwenden zu können, um einen mutmaßlichen Aufruhr zu ersticken? Er war für sie verantwortlich, und bereits zu viele von ihnen waren umgekommen.

Die Sonne war schon vollständig über dem Horizont aufgegangen und verbreitete grelles Morgenlicht, als er seinen Rundgang beendete. Tallanvor und Lamgwin schleppten unter Linis Anleitung Kisten aus Perrins Zelt, während Maighdin und Breane auf einem Flecken verdorrten Grases den Inhalt durchforsteten, der überwiegend aus Decken, Wäsche und langen bunten Streifen Seidensatin bestand, mit denen das Bett, das er ›verlegt‹ hatte, geschmückt werden sollte. Faile befand sich wohl im Zelt, denn die plappernde Schar von Dummköpfen stand nicht weit entfernt. Sie mußten nichts tragen oder schleppen. Sie waren ebenso nützlich wie Ratten in einer Scheune.

Perrin kam in den Sinn, nach den Pferden zu sehen, aber als er durch die Bäume zu den angepflockten Tieren schaute, bemerkte man ihn. Nicht weniger als drei der Hufschmiede traten ängstlich vor, während sie ihn beobachteten. Sie waren stämmige Burschen mit Lederschürzen, die einander ähnelten wie Eier in einem Korb, obwohl Falton nur einen weißen Haarkranz aufwies, Aemin erst allmählich ergraute und Jerasid nicht einmal in mittlerem Alter war. Perrin grollte bei ihrem Anblick. Sie würden in seiner Nähe bleiben, wenn er eines der Pferde anrührte, und die Augen verdrehen, wenn er einen Huf anhob. Das eine Mal, als er bei seinem Pferd ein schadhaftes Hufeisen zu wechseln versucht hatte, waren alle sechs Hufschmiede herbeigeeilt, hatten die Werkzeuge an sich genommen, bevor er sie berühren konnte, und den Kastanienbraunen in ihrer Hast, die Arbeit selbst zu tun, fast umgeworfen.

»Sie fürchten, daß Ihr ihnen nicht traut«, sagte Aram unvermittelt. Perrin sah ihn überrascht an, und Aram zuckte die Achseln. »Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen. Sie denken, wenn sich ein Lord selbst um seine Pferde kümmert, dann nur deshalb, weil er ihnen nicht traut.« Sein Tonfall drückte aus, daß er sie wegen ihrer Annahme für Narren hielt, aber er sah Perrin von der Seite an und zuckte erneut unbehaglich die Achseln. »Ich glaube, sie sind auch peinlich berührt. Wenn Ihr Euch nicht so verhaltet, wie sie es von einem Lord erwarten, fällt es ihrer Meinung nach auch auf sie selbst zurück.«

»Licht!« murrte Perrin. Faile hatte dasselbe gesagt —zumindest daß sie peinlich berührt wären —, aber er hatte gedacht, das sei nur der Eindruck der Tochter eines Lords. Faile war von Dienern umgeben aufgewachsen. Wie konnte sie daher die Gedanken eines Menschen nachvollziehen, der für sein Auskommen arbeiten mußte? Er blickte stirnrunzelnd zu den Pferden. Inzwischen standen fünf der Schmiede beisammen und beobachteten ihn. Peinlich berührt, daß er nach seinen eigenen Pferden sehen wollte. »Denkt Ihr, ich sollte mich wie ein Narr in seidenen Kniehosen benehmen?« fragte er. Aram blinzelte und betrachtete verlegen seine Stiefel. »Licht!« grollte Perrin.

Als er Basel Gill erblickte, der von den Karren herbeieilte, ging er ihm entgegen. Er glaubte, Gill gestern nicht ausreichend beruhigt zu haben. Der untersetzte Mann führte Selbstgespräche, während er sich immer wieder mit dem Taschentuch über den Kopf rieb, da er in seiner zerknitterten dunkelgrauen Jacke stark schwitzte. Die Tageshitze begann bereits unerträglich zu werden. Er sah Perrin nicht, bis er fast vor ihm stand, zuckte dann zusammen, stopfte das Taschentuch in eine Jackentasche und verbeugte sich. Er wirkte wie für ein Fest zurechtgemacht.

»Ah. Mein Lord Perrin. Lady Faile hat mir befohlen, mit einem Karren nach Bethai zu fahren. Sie sagte, ich solle etwas Tabak aus den Zwei Flüssen für Euch besorgen, aber ich weiß nicht, ob das möglich ist. Tabakblätter aus den Zwei Flüssen waren stets teuer, und es wird nicht mehr soviel Handel getrieben.«

»Sie schickt Euch nach Tabak?« fragte Perrin stirnrunzelnd. Vermutlich war die Geheimhaltung bereits ohnehin aufgehoben, aber dennoch... »Ich habe im vorletzten Dorf drei Fässer Tabak gekauft. Das ist genug für alle.«

Gill schüttelte entschlossen den Kopf. »Aber keinen Tabak aus den Zwei Flüssen. Nach Lady Failes Ansicht zieht Ihr diesen allen anderen Tabaksorten vor. Der ghealdeanische Tabak genügt vielleicht für Eure Leute. Ich solle Euer Shambayan sein, wie sie es nannte, und sie und Euch mit dem versorgen, was Ihr braucht.« Das amüsierte ihn anscheinend. Sein Bauch bebte vor stillem Lachen. »Ich habe eine umfangreiche Liste erhalten, obwohl ich nicht weiß, wieviel davon ich besorgen kann. Guten Wein, Kräuter, Früchte, Kerzen und Lampenöl, Wachstuch und Wachs, Papier und Tinte, Nadeln, oh, alles Mögliche. Tallanvor, Lamgwin und ich werden bald aufbrechen, zusammen mit einigen anderen Gefolgsleuten Lady Failes.«

Andere Gefolgsleute Lady Failes. Tallanvor und Lamgwin brachten noch eine weitere Kiste heraus, welche die Frauen durchstöbern sollten. Sie mußten an der am Boden kauernden Gruppe junger Narren vorbei, die niemals Hilfe anboten. Tatsächlich ignorierten die Faulenzer sie vollständig.

»Behaltet diese Burschen im Auge«, raunte Perrin. »Wenn einer von ihnen Schwierigkeiten macht — wenn es auch nur danach aussieht —, laßt Lamgwin ihn zurechtstutzen.« Und wenn es eine der Frauen war? Bei ihnen waren Schwierigkeiten ebenso wahrscheinlich, vielleicht sogar wahrscheinlicher. Perrin brummte. Failes Gefolgsleute bereiteten ihm ständige Magenschmerzen. Es war zu schade, daß sie nicht mit Leuten wie Meister Gill und Maighdin zufrieden sein konnte. »Ihr habt Balwer nicht erwähnt. Hat er sich entschlossen, allein weiterzuziehen?« In diesem Moment trug die jetzt aus einer anderen Richtung wehende Brise Balwers Geruch heran, ein wachsamer Geruch, der dem ausgemergelten Äußeren des Burschen vollkommen widersprach.

Balwer verursachte auf dem trockenen Laub am Boden selbst für einen solch kleinen schlanken Mann erstaunlich wenig Geräusche. Er verbeugte sich hastig in seiner spatzenbraunen Jacke, und sein geneigter Kopf trug noch zu dem Bild eines Vogels bei. »Ich bleibe, mein Lord«, sagte er vorsichtig, oder vielleicht war Vorsicht nur seine Art »Ich bleibe als ergebener Schreiber Lady Failes. Und als Euer Schreiber, wenn es Euch beliebt.« Er trat ungelenk näher heran. »Ich bin sehr bewandert darin, mein Lord. Ich habe ein gutes Gedächtnis und eine schöne Schrift, und mein Lord darf versichert sein, daß etwas mir von Euch Anvertrautes niemals an jemand anderen weitergegeben werden wird. Verschwiegenheit ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines Schreibers. Habt Ihr nicht wichtige Pflichten für unsere neue Herrin zu erledigen, Meister Gill?«

Gill sah Balwer stirnrunzelnd an, öffnete den Mund und schloß ihn dann ruckartig wieder. Er wandte sich auf dem Absatz um und entfernte sich in Richtung des Zeltes.

Balwer sah ihm einen Moment nach, den Kopf auf eine Seite gelegt und die Lippen nachdenklich geschürzt. »Ich kann Euch auch noch andere Dienste anbieten, mein Lord«, sagte er schließlich. »Ich habe einige Gespräche der Leute meines Lords gehört und erfahren, daß mein Lord vielleicht einige ... Schwierigkeiten mit den Kindern des Lichts hatte. Ein Schreiber erfährt so manches. Ich weiß überraschend viel über die Kinder.«

»Mit etwas Glück kann ich die Weißmäntel umgehen«, beschied ihn Perrin. »Es wäre besser, wenn Ihr wüßtet, wo sich der Prophet aufhält — oder die Seanchaner.« Er erwartete gewiß keines von beidem, aber Balwer überraschte ihn.

»Ich bin natürlich nicht sicher, aber ich glaube, die Seanchaner sind bisher noch nicht weit über Amador hinaus gelangt. Es ist schwer, verläßliche Berichte von Gerüchten zu trennen, mein Lord, aber ich halte die Augen und Ohren offen. Tatsächlich scheinen sie unerwartet rasch voranzukommen. Sie sind ein gefährliches Volk mit vielen tarabonischen Soldaten. Mein Lord weiß wohl durch Meister Gill von ihnen, aber ich habe sie in Amador genau beobachtet und werde meinem Lord gern berichten, was ich gesehen habe. Was den Propheten betrifft, so gibt es ebenso viele Gerüchte über ihn wie über die Seanchaner, aber ich glaube, zuverlässig sagen zu können, daß er sich kürzlich in Abila aufgehalten hat, eine recht große Stadt ungefähr vierzig Meilen südlich von hier.« Balwer lächelte flüchtig, ein kurzes, selbstzufriedenes Lächeln.

»Wie könnt Ihr dessen so sicher sein?« fragte Perrin zögernd.

»Wie ich bereits sagte, mein Lord — ich halte meine Augen und Ohren offen. Der Prophet hat angeblich eine Reihe Gasthäuser und Schenken geschlossen und jene niedergerissen, die er für anrüchig hielt. Es wurden mehrere erwähnt, und ich weiß zufälligerweise, daß es entsprechende Gasthäuser in Abila gibt. Ich denke, die Möglichkeit, daß andere Städte Gasthäuser gleichen Namens aufweisen, ist recht gering.« Er lächelte erneut flüchtig und roch selbstzufrieden.

Perrin kratzte sich nachdenklich den Bart. Der Mann erinnerte sich zufällig daran, wo sich einige Gasthäuser, die Masema vermutlich niedergerissen hatte, befunden hatten. Und wenn sich erwies, daß Masema nach allem doch nicht dort war — nun, die Gerüchte sprossen derzeit wie Pilze nach einem Regen. Balwer schien sich zudem wichtig machen zu wollen. »Danke, Meister Balwer. Ich werde es bedenken. Wenn Ihr noch mehr hört, erzählt es mir.« Als er sich zum Gehen wandte, ergriff Balwer seinen Ärmel.

Er zog die hageren Finger sofort wieder zurück, als hätte er sich verbrannt, und verbeugte sich auf seine vogelähnliche Weise, während er seine Hände aneinander rieb. »Verzeiht, mein Lord. Ich möchte Euch nicht bedrängen, aber Ihr solltet die Weißmäntel nicht unterschätzen. Es wäre zwar klug, sie zu umgehen, aber es ist vielleicht nicht möglich. Sie sind weitaus näher als die Seanchaner. Eamon Valda, der neue Kommandierende Lordhauptmann, hat die meisten Weißmäntel ins nördliche Amadicia geführt bevor Amador fiel. Er hat ebenfalls den Propheten gejagt, mein Lord. Valda ist ein gefährlicher Mann, und Rhadam Asunawa, der Großinquisitor, läßt Valda sogar noch freundlich scheinen. Ich fürchte, daß keiner von beiden Eure Lordschaft liebt. Verzeiht.« Er verbeugte sich erneut, zögerte und fuhr dann bedächtig fort. »Es ist großartig, daß Ihr Euer Banner von Manetheren herzeigt, wenn ich das so sagen darf. Mein Lord wird Valda und Asunawa durchaus das Wasser reichen können, sofern er vorsichtig ist.«

Während Perrin beobachtete, wie Balwer sich unter Verbeugungen zurückzog, dachte er, daß er jetzt einen Teil der Geschichte Balwers kannte. Er war eindeutig mit den Weißmänteln zusammengestoßen. Und das konnte nur bedeuten, daß er ihnen in den Weg geraten war und zur falschen Zeit das Falsche geäußert hatte, aber Balwer hegte anscheinend einen besonderen Groll. Er verfügte auch über einen scharfen Geist, denn er sah über den Roten Adler hinaus. Und er besaß eine scharfe Zunge gegenüber Meister Gill.

Letzterer kniete neben Maighdin und sprach, trotz Linis Bemühungen, ihn zum Schweigen zu bringen, rasch auf sie ein. Maighdin hatte sich umgewandt, um zu verfolgen, wie Balwer eilig durch die Bäume auf die Karren zustrebte, aber ihr Blick schwenkte auch hin und wieder zu Perrin. Die übrigen scharten sich dicht um sie und spähten ebenfalls abwechselnd zu Balwer und zu Perrin. Wenn er jemals Menschen gesehen hatte, die über jemandes Worte beunruhigt waren, dann sie. Aber worüber waren sie beunruhigt? Wahrscheinlich über Verleumdungen, Geschichten von Unmut und Missetaten, wahrhaftige oder eingebildete.

Zusammengepferchte Menschen neigten dazu, mit der Zeit aufeinander loszugehen. Wenn es das war, konnte er vielleicht noch verhindern, daß Blut vergossen wurde. Tallanvor liebkoste erneut sein Schwertheft! Was hatte Faile mit dem Burschen vor?

»Aram, ich möchte, daß Ihr mit Tallanvor und den anderen sprecht. Sagt ihnen, was Balwer mir gerade mitgeteilt hat. Erwähnt es beiläufig, aber gebt alles weiter.« Das sollte beunruhigenden Gerüchten entgegenwirken. Faile sagte, Dienern müsse man das Gefühl vermitteln, Vertraute zu sein. »Freundet Euch mit ihnen an, wenn es geht, Aram. Aber wenn Ihr wegen einer der Frauen ins Träumen geraten wollt, dann haltet Euch an Lini. Die beiden anderen sind vergeben.«

Der Mann hatte bei jeder hübschen Frau eine glatte Zunge, aber es gelang ihm dennoch, sowohl überrascht als auch beleidigt zu wirken. »Wie Ihr wünscht, Lord Perrin«, murrte er. »Ich hole Euch rasch wieder ein.«

»Ich bin drüben bei den Aiel.«

Aram blinzelte. »Ah, gut. Nun, es könnte jedoch eine Weile dauern, wenn ich mich mit ihnen anfreunden soll. Sie machen auf mich nicht den Eindruck, als legten sie großen Wert auf Freunde.« Und das von einem Burschen, der außer Faile jedermann, der sich Perrin näherte, mißtrauisch betrachtete und niemals jemandem zulächelte, der keinen Rock trug.

Er ging dennoch hinüber und hockte sich dorthin, wo er mit Gill und den übrigen sprechen konnte. Ihr Unbehagen war selbst aus der Entfernung offensichtlich. Sie fuhren mit ihrer Arbeit fort, wechselten nur hin und wieder ein Wort mit Aram und sahen einander ebenso häufig an wie ihn. Unberechenbar. Aber zumindest redeten sie.

Perrin fragte sich, inwiefern Aram mit den Aiel aneinandergeraten war — es schien gar keine Zeit dafür gewesen zu sein! —, aber er fragte sich das nicht lange.

Jede ernsthafte Auseinandersetzung mit Aiel endete üblicherweise mit einem Toten, aber nicht mit einem toten Aiel. Schließlich war er selbst auch nicht allzu versessen darauf, den Weisen Frauen zu begegnen. Er ging um den Hügel, aber anstatt den Hang hinaufzusteigen, trugen ihn seine Füße zu den Bewohnern von Mayene. Er hatte auch ihr Lager so weitgehend wie möglich gemieden, und das nicht nur wegen Berelain. Es hatte auch seine Nachteile, einen zu scharfen Geruchssinn zu besitzen.

Glücklicherweise trug ein auffrischender Windhauch den größten Teil des Gestanks davon, obwohl er die Hitze kaum milderte. Schweiß lief die Gesichter der berittenen Wächter in den roten Rüstungen herab. Bei seinem Anblick setzten sie sich noch aufrechter hin, was schon etwas bedeutete. Während die Leute aus den Zwei Flüssen wie Bauern ritten, waren die Bewohner von Mayene üblicherweise Statuen auf Pferderücken. Aber sie konnten kämpfen. Das Licht gebe, daß es nicht dazu kam.

Havien Nurelle eilte heran, während er seine Jacke zuknöpfte, bevor Perrin noch ganz an den Wächtern vorbei gelangt war. Die ungefähr ein Dutzend weiteren Offiziere folgten Nurelle auf den Fersen, alle in ihren Jacken, und einige befestigten gerade die Riemen ihrer roten Brustharnische. Zwei oder drei trugen Helme mit dünnen roten Federn unter dem Arm. Die meisten waren um Jahre älter als Nurelle, einige sogar doppelt so alt, bereits ergrauende Männer mit harten, narbigen Gesichtern, aber Nurelle war zur Belohnung für Rands Rettung zu Gallennes Stellvertreter ernannt worden.

»Die Erste ist noch nicht zurückgekehrt, Lord Perrin.« Nurelle verbeugte sich, und die übrigen taten es ihm gleich. Der große schlanke Mann wirkte nicht mehr so jung wie vor den Brunnen von Dumai. In seinen Augen, die mehr Blut gesehen hatten als manche Veteranen aus zwanzig Schlachten, zeigte sich jetzt eine gewisse Schärfe. Aber wenn sein Gesicht auch härter geworden war, roch er noch immer eifrig bemüht, gefallen zu wollen. Havien Nurelle betrachtete Perrin Aybara als einen Mann, der fliegen oder auf dem Wasser wandeln konnte, wenn er es wollte. »Die Morgenpatrouille hat nichts Ungewöhnliches bemerkt, zumindest jene nicht, die bereits zurückgekehrt sind. Sonst hätte ich es Euch berichtet.«

»Natürlich«, erwiderte Perrin. »Ich ... wollte mich nur ein wenig umsehen.«

Er wollte einfach nur umhergehen, bis er den Mut fand, den Weisen Frauen entgegenzutreten, aber der junge Bewohner von Mayene folgte ihm mit den übrigen Offizieren, beobachtete ängstlich, ob Lord Perrin bei den Beflügelten Wachen Makel fand, und zuckte jedesmal zusammen, wann immer sie auf Männer mit entblößtem Oberkörper trafen, die auf einer Decke würfelten, oder auf einen Burschen, der in der aufsteigenden Sonne schlief. Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Perrin erschien das Lager sehr geordnet. Jeder Mann hatte seine Decken und seinen Sattel als Kissen nicht mehr als zwei Schritte von der Stelle entfernt, wo sein Pferd an eines der langen Seile gebunden war, die schlaff zwischen brusthohen, aufrecht in die Erde getriebenen Pfählen hingen. Alle zwanzig Schritt war ein Herdfeuer entzündet worden, zwischen denen Lanzen aufgesteckt waren. Das Lager der Soldaten bildete um fünf spitz zulaufende Zelte, von denen eines goldblau gestreift und größer als die anderen vier zusammengenommen war, eine Art Schutzwall. All das unterschied sich sehr von dem wahllos angeordneten Lager der Leute aus den Zwei Flüssen.

Perrin ging zügig voran und versuchte, nicht zu töricht zu erscheinen. Er war sich nicht sicher, wie erfolgreich er darin war. Es drängte ihn, innezuhalten und eines oder zwei der Pferde zu überprüfen — nur um einen Huf anfassen zu können, ohne daß jemand sogleich in Ohnmacht fiel —, aber in Erinnerung an Arams Worte hielt er sich zurück. Jedermann schien bei seinem Auftauchen ebenso erschreckt wie Nurelle. Verwirrtes Murmeln folgte ihm, und sein Gehör fing einige Bemerkungen über Offiziere, besonders Lords, auf, wobei es ihn froh stimmte, daß Nurelle und die anderen sie nicht auch hörten. Schließlich gelangte er zum Rand des Lagers und blickte den mit Gestrüpp überwucherten Hang hinauf in Richtung der Zelte der Weisen Frauen. Nur wenige der Töchter des Speers waren dort oben zwischen den verstreut stehenden Zelten zu sehen, sowie einige Gai'schain.

»Lord Perrin«, sagte Nurelle zögernd. »Die Aes Sedai...« Er trat näher und senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Ich weiß, daß sie sich dem Lord Drache verschworen haben, aber... Ich habe einiges gesehen, Lord Perrin. Sie verrichten Lagerarbeiten! Aes Sedai! Heute morgen kamen Masuri und Seonid herab, um Wasser zu holen! Und gestern, nachdem Ihr zurückgekehrt wart... Gestern glaubte ich dort oben jemanden ... aufschreien zu hören. Es kann natürlich keine der Schwestern gewesen sein«, fügte er hastig hinzu und lachte, um zu verdeutlichen, wie töricht der Gedanke war — ein sehr unsicheres Lachen. »Ihr ... Ihr werdet nachsehen, ob alles ... mit ihnen in Ordnung ist?« Er war als Anführer von zweihundert Lanzenträgern zwischen vierzigtausend Shaido geritten, aber hierüber zu sprechen, verursachte ihm Unbehagen. Natürlich war er zwischen vierzigtausend Shaido geritten, weil eine Aes Sedai es von ihm verlangt hatte.

»Ich werde tun, was ich kann«, murrte Perrin. Vielleicht standen die Dinge schlechter, als er gedacht hatte. Jetzt galt es zu verhindern, daß sie sich noch weiter verschlechterten, sofern es ihm möglich war. Er hätte sich lieber erneut den Shaido entgegengestellt.

Nurelle nickte, als hätte Perrin alles versprochen, worum er gebeten worden war. »Dann ist es gut«, sagte Nurelle und klang erleichtert. Er sah Perrin von der Seite an und wollte wohl noch etwas hinzufügen, was aber offensichtlich nicht so heikel war wie das Thema Aes Sedai. »Ich habe gehört, daß Ihr den Roten Adler geduldet habt.«

Perrin wäre fast zusammengezuckt. Die Neuigkeit war selbst angesichts der kurzen Entfernung nur um den Hügel herum schnell weitergetragen worden. »Es schien mir richtig«, sagte er zögernd. Berelain würde die Wahrheit erfahren müssen, aber wenn zu viele sie kannten, würde sie vom nächsten Dorf, an dem sie vorüberzogen, oder vom nächsten Bauernhof verbreitet werden. »Dies war ein Teil von Manetheren«, fügte er hinzu, als wüßte Nurelle das nicht nur zu gut. Wahrheit! Er konnte die Wahrheit inzwischen ebensogut verdrehen wie eine Aes Sedai, selbst seinen Gefolgsleuten gegenüber. »Es war gewiß nicht das erste Mal, daß die Flagge in dieser Gegend gehißt wurde, aber keiner jener Burschen hatte den Wiedergeborenen Drachen hinter sich.« Und wenn das nicht die nötige Wirkung zeitigte, wußte er nicht, was er noch tun sollte.

Er erkannte jäh, daß ihn anscheinend die gesamte Beflügelte Wache mit ihren Offizieren beobachtete. Sie fragten sich zweifellos, was er gerade sagte, nachdem er seinen Kurs eingeschlagen hatte. Sogar die Diener traten vor die Zelte. Er hatte dergleichen noch nie gesehen, war sich aber bewußt, daß er ein Lob aussprechen sollte.

Er hob seine Stimme und sagte: »Die Beflügelten Wachen werden Mayene zur Ehre gereichen, wenn wir jemals weiteren Brunnen von Dumai gegenüberstehen sollten.« Das waren die ersten Worte, die ihm einfielen, aber er zuckte unwillkürlich zusammen.

Zu seinem Entsetzen ertönten Rufe und Jubel unter den Soldaten: »Perrin Goldaugen!« und »Mayene für Goldaugen!« und »Goldaugen und Manetheren!« Männer tanzten und vollführten Freudensprünge, und einige ergriffen Speere und schwenkten sie, so daß die roten Wimpel in der Brise flatterten. Ergraute Bannerträger beobachteten sie mit verschränkten Armen und nickten beifällig. Nurelle strahlte, und nicht nur er. Offiziere mit von Grau durchzogenem Haar und Narben auf den Gesichtern grinsten wie Jungen, die im Unterricht gelobt wurden. Licht, er war der einzige, der sich seine geistige Gesundheit bewahrt hatte! Er betete, daß es niemals wieder zu einem Kampf käme!

Während er überlegte, ob dies zu Verwicklungen mit Berelain führen würde, verabschiedete er sich von Nurelle und den anderen und stapfte durch totes und verdorrendes Gestrüpp, das ihm nicht einmal bis zur Taille reichte, den Hügel hinauf. Braunes Unkraut knirschte unter seinen Stiefeln. Rufe erklangen vom Lager der Mayener. Die Erste würde vielleicht, selbst nachdem sie die Wahrheit erfahren hatte, nicht erfreut sein, wenn ihre Soldaten ihm dermaßen zujubelten. Natürlich konnte das auch Vorteile haben. Vielleicht wäre sie sosehr verärgert, daß sie aufhören würde, ihn zu belästigen.

Er hielt kurz vor dem Hügelkamm inne und lauschte auf die verklingenden Hochrufe. Hier würde ihm niemand zujubeln. Alle Eingänge der niedrigen, graubraunen Zelte der Weisen Frauen waren geschlossen und verbargen sie vor seinem Blick. Nur wenige der Töchter des Speers waren jetzt zu sehen. Sie saßen in der Hocke unter einem Lederblattbaum, der noch ein wenig Grün aufwies, und musterten ihn neugierig. Sie bewegten die Hände schnell in ihrer Zeichensprache. Kurz darauf erhob sich Sulin, richtete ihren schweren Gürteldolch und schritt in seine Richtung, eine große, drahtige Frau mit einer rötlichen Narbe im sonnengebräunten Gesicht. Sie blickte in die Richtung, aus der er gekommen war, und schien erleichtert, daß er allein war, obwohl Empfindungen bei den Aiel oft schwer zu deuten waren.

»Das ist gut, Perrin Aybara«, sagte sie ruhig. »Die Weisen Frauen waren nicht erfreut, daß Ihr sie zu Euch kommen laßt. Nur ein Narr bereitet Weisen Frauen Mißfallen, und ich habe Euch nicht für einen Narren gehalten.«

Perrin kratzte sich den Bart. Er hatte sich von den Weisen Frauen — und von den Aes Sedai — so weit wie möglich ferngehalten, und er hatte nicht die Absicht gehabt, sie zu zwingen, zu ihm zu kommen. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart einfach nicht wohl, um es milde auszudrücken. »Nun, jetzt muß ich mit Edarra sprechen«, erwiderte er. »Über die Aes Sedai.«

»Vielleicht habe ich mich doch geirrt«, sagte Sulin trocken. »Aber ich werde es ihr sagen.« Sie wollte sich gerade umwenden, hielt aber noch einmal inne. »Bitte, sagt mir eines. Teryl Wynter und Furen Alharra stehen Seonid Traighan nahe — wie Erstbrüder einer Erstschwester; sie schätzt Männer nicht als solche —, und dennoch haben sie angeboten, Seonids Strafe für sie auf sich zu nehmen. Wie konnten sie Seonid so beschämen?«

Er öffnete den Mund, schwieg aber. Zwei Gaischain erschienen am Kamm des Hügels, die Packpferde der Aiel mit sich führten. Die weiß gekleideten Männer gingen auf dem Weg zum Fluß in wenigen Schritten Entfernung vorüber. Er konnte nicht sicher sein, glaubte aber, daß beide Shaido waren. Sie hielten die Blicke demütig gesenkt und schauten kaum einmal auf, um sich ihres Weges zu versichern. Sie hätten jede Gelegenheit gehabt davonzulaufen, da sie solche Aufgaben ausführten, ohne bewacht zu werden. Ein eigenartiges Volk.

»Ich sehe, daß auch Ihr entsetzt seid«, bemerkte Sulin. »Ich hatte gehofft, daß Ihr es mir erklären könntet. Ich werde Edarra Bescheid geben.« Während sie zu den Zelten gingen, fügte sie über die Schulter hinzu: »Ihr Feuchtländer seid sehr eigenartig, Perrin Aybara.«

Perrin blickte ihr stirnrunzelnd nach, und als sie in einem der Zelte verschwand, wandte er sich um und sah den beiden Gai'schain, welche die Pferde zum Wasser führten, stirnrunzelnd nach. Feuchtländer waren eigenartig? Licht! Also hatte Nurelle richtig gehört. Es war höchste Zeit, daß er seine Nase in das steckte, was zwischen den Weisen Frauen und den Aes Sedai vor sich ging. Er hatte es schon früher tun sollen. Er wünschte, er hätte nicht das Gefühl, als würde er die Nase in ein Hornissennest stecken.

Es dauerte ziemlich lange, bis Sulin wieder erschien, und ihr Anblick hob seine Stimmung nicht. Sie hielt den Zelteingang für ihn auf und tippte verächtlich gegen seinen Gürteldolch, als er geduckt hineinging, »Ihr solltet für diesen Tanz besser gewappnet sein, Perrin Aybara«, sagte sie.

Perrin war überrascht, im Inneren des Zeltes alle sechs Weisen Frauen mit gekreuzten Beinen auf farbenfrohen, mit Quasten versehenen Kissen sitzen zu sehen, die Stolen um die Taillen gebunden und die Röcke wie Fächer sorgfältig auf den ausgelegten Teppichen drapiert. Er hatte gehofft, nur Edarra vorzufinden. Anscheinend war keine der Frauen mehr als vier oder fünf Jahre älter als er, und doch vermittelten sie ihm jedesmal das Gefühl, als stünde er den ältesten Mitgliedern des Frauenzirkels gegenüber, denjenigen, die Jahre mit dem Erlernen der Fähigkeit verbracht hatten, genau das herauszufinden, was man verbergen wollte. Es war so gut wie unmöglich, den Geruch der einzelnen Frauen zu unterscheiden, aber das war auch kaum nötig. Sechs Augenpaare hefteten sich auf ihn, von Janinas hellen himmelblauen Augen bis zu Marlines zwielichtig purpurfarbenen, ganz zu schweigen von Nevarins durchdringenden grünen Augen. Jedes dieser Augenpaare schien ihn aufzuspießen.

Edarra bedeutete ihm barsch, sich ebenfalls auf ein Kissen zu setzen, was er dankbar wahrnahm, obwohl er jetzt alle im Halbkreis vor sich hatte. Vielleicht hatten die Weisen Frauen diese Zelte so angelegt, damit Männer den Kopf beugen mußten, wenn sie aufrecht stehen wollten. Seltsamerweise war es im düsteren Inneren des Zeltes kühler, aber er hatte dennoch das Gefühl zu schwitzen. Er konnte die Gerüche der Frauen vielleicht nicht voneinander unterscheiden, aber sie rochen wie Wölfe, die eine angepflockte Ziege betrachten. Ein Gai'schain mit kantigem Gesicht, der ein gutes Stück größer war als Perrin, kniete vor ihm nieder und bot ihm auf einem kunstvoll gearbeiteten Silbertablett einen goldenen Becher mit dunklem gewürztem Wein an. Die Weisen Frauen hielten bereits verschiedenerlei Silberbecher in Händen. Er war sich nicht sicher, was es bedeutete, daß man ihm einen goldenen Becher anbot — vielleicht nichts, aber wer wußte das bei den Aiel? —, und nahm den Becher vorsichtig entgegen. Das Getränk roch nach Pflaumen. Der Bursche verbeugte sich überaus demütig, als Edarra in die Hände klatschte, und verließ unter weiteren Verbeugungen das Zelt. Die erst halbwegs verheilte Wunde in seinem harten Gesicht mußte von den Brunnen von Dumai stammen.

»Jetzt, da Ihr hier seid«, sagte Edarra, sobald sich der Zelteingang hinter dem Gai'schain geschlossen hatte, »werden wir Euch erneut erklären, warum Ihr den Mann, der sich Masema Dagar nennt, töten müßt.«

»Wir sollten es nicht nochmals erklären müssen«, warf Delora ein. Ihr Haar und ihre Augen ähnelten denen Maighdins, aber niemand hatte ihr verkniffenes Gesicht als hübsch bezeichnet. Sie verhielt sich sehr kalt. »Dieser Masema Dagar ist eine Gefahr für den Car'a'carn. Er muß sterben.«

»Die Traumgänger haben es uns gesagt, Perrin Aybara.« Carelle war gewiß hübsch, und obwohl ihr feuriges Haar und ihre stechenden Augen sie aussehen ließen, als könne sie leicht zornig werden, war sie für eine Weise Frau stets freundlich. »Sie haben den Traum gedeutet. Der Mann muß sterben.«

Perrin nahm einen Schluck gewürzten Pflaumenwein, um Zeit zu gewinnen. Der Wein erschien ihm irgendwie kühl. Es war immer dasselbe mit ihnen. Rand hatte keine Warnung von den Traumgängern erwähnt. Perrin hatte zuerst davon gesprochen, wenn auch nur das eine Mal. Sie hatten geglaubt, er bezweifle ihre Worte, und selbst Carelles Augen hatten gefunkelt. Nicht daß Perrin sie hur Lügnerinnen hielt, eigentlich nicht. Er hatte sie noch bei keiner Lüge ertappt. Aber was sie sich für die Zukunft wünschten und was Rand sich für die Zukunft wünschte — oder was Perrin selbst wollte —, waren vielleicht verschiedene Dinge. Möglicherweise war Rand der Geheimniskrämer. »Vielleicht könntet Ihr mir erklären, worin diese Gefahr besteht«, sagte er schließlich. »Das Licht weiß, daß Masema wahnsinnig ist, aber er unterstützt Rand. Es hätte schwerwiegende Folgen, wenn ich umherginge und Leute aus unseren eigenen Reihen tötete. Das wird die Menschen gewiß dazu veranlassen, Rand zu folgen.«

Sarkasmus war bei ihnen verschwendet. Sie sahen ihn unverwandt an. »Der Mann muß sterben«, sagte Edarra schließlich abermals. »Es genügt, daß drei Traumgänger es gesagt haben und sechs Weise Frauen es an Euch weitergeben.« Dasselbe wie immer. Möglicherweise wußten sie nicht mehr als das. Vielleicht sollte er mit dem fortfahren, weshalb er gekommen war.

»Ich möchte über Seonid und Masuri sprechen«, sagte er, und sechs Gesichter erstarrten. Licht, diese Frauen konnte einen Stein einschüchtern! Perrin stellte den Weinbecher neben sich ab und beugte sich entschlossen zu ihnen vor. »Ich soll den Menschen Rand verschworene Aes Sedai zeigen.« Tatsächlich sollte er sie Masema zeigen, aber dies schien ein guter Zeitpunkt, das andere zu erwähnen. »Sie werden nicht zur Zusammenarbeit bereit sein, wenn Ihr gegen sie angeht! Licht! Sie sind Aes Sedai! Warum lernt Ihr nicht von ihnen, anstatt sie Wasser schleppen zu lassen? Sie wissen alles Mögliche, was Ihr nicht wißt.« Zu spät. Er biß sich auf die Zunge. Aber die Aielfrauen waren nicht beleidigt. Zumindest zeigten sie es nicht.

»Sie wissen tatsächlich Dinge, die wir nicht wissen«, belehrte Delora ihn unbeeindruckt, »und wir wissen Dinge, die sie nicht wissen.« Vollkommen unbeeindruckt.

»Wir lernen, was es zu lernen gibt, Perrin Aybara«, erklärte Marline ruhig, während sie mit den Fingern durch ihr fast schwarzes Haar fuhr. Sie war eine der wenigen Aiel, die Perrin mit solch dunklem Haar gesehen hatte, und sie spielte oft damit. »Und wir lehren, was es zu lehren gibt.«

»Auf jeden Fall«, sagte Janina, »ist das nicht Eure Sache. Männer mischen sich nicht in Angelegenheiten zwischen Weisen Frauen und Lehrlingen ein.« Sie schüttelte über seine Torheit den Kopf.

»Ihr könnt mit dem Lauschen aufhören und hereinkommen, Seonid Traighan«, sagte Edarra plötzlich. Perrin blinzelte überrascht, aber keine der Frauen zuckte mit einer Wimper.

Einen Moment herrschte Schweigen, dann wurde der Zelteingang beiseite geschoben. Seonid trat ein und kniete sich rasch auf die Teppiche. Die vielgerühmte Gelassenheit der Aes Sedai war ihr gründlich vergangen. Ihr Mund war zu einer dünnen Linie zusammengepreßt, die Augen wirkten angespannt, ihr Gesicht war gerötet. Sie roch nach Zorn, Enttäuschung und einem Dutzend weiteren Empfindungen, die sich so rasch vermischten, daß Perrin Mühe hatte, sie zu erkennen. »Darf ich mit ihm sprechen?« fragte Seonid mit gepreßter Stimme.

»Wenn Ihr aufpaßt, was Ihr sagt«, antwortete Edarra. Die Weise Frau trank ihren Wein und verfolgte das Geschehen über den Rand des Bechers hinweg. Ein Lehrer, der einen Schüler beobachtete? Ein Falke, der einer Maus nachstellte? Perrin war sich nicht sicher. Edarra hingegen war sich ihres Platzes sehr sicher, wer auch immer ihr Gegenüber war. Und Seonid ebenfalls. Aber das vermittelte sich ihm nicht.

Seonid wandte sich auf Knien um, sah ihn an und richtete sich dann mit funkelnden Augen gerade auf. Zorn durchzog ihren Geruch. »Was auch immer Ihr wißt«, sagte sie verärgert, »was auch immer Ihr zu wissen glaubt, werdet Ihr vergessen!« Nein, es war kein Funke Gelassenheit mehr in ihr. »Was auch immer zwischen den Weisen Frauen und uns geschieht, ist allein unsere Sache! Ihr werdet Euch heraushalten, den Blick abwenden und schweigen!«

Erstaunt fuhr sich Perrin mit den Fingern durchs Haar. »Licht, seid Ihr aufgebracht, weil ich weiß, daß Ihr geschlagen wurdet?« fragte er ungläubig. Nun, er wäre es auch gewesen, aber nicht noch neben allem anderen. »Wißt Ihr denn nicht, daß diese Frauen Euch sofort die Kehle durchschneiden würden, sobald sie Euch sähen? Euch die Kehle durchschneiden und Euch am Wegesrand liegenlassen? Nun, ich habe mir geschworen, daß ich das nicht zulassen werde! Ich mag Euch nicht, aber ich habe versprochen, Euch vor den Weisen Frauen oder den Asha'man oder Rand selbst zu beschützen, also steigt von Eurem hohen Roß herab!« Als er erkannte, daß er schrie, atmete er verlegen tief durch, lehnte sich auf seinem Kissen zurück, ergriff den Weinbecher und nahm einen kräftigen Schluck.

Seonid erstarrte mit jedem Wort vor Empörung mehr, und sie schürzte die Lippen, noch bevor er geendet hatte. »Ihr habt es versprochen?« höhnte sie. »Ihr denkt, Aes Sedai brauchten Euren Schutz? Ihr...?«

»Das reicht«, sagte Edarra ruhig, und Seonid schloß geräuschvoll den Mund, obwohl sie die Hände so fest in ihren Röcken verkrampfte, daß die Knöchel weiß hervortraten.

»Was veranlaßt Euch, zu glauben, daß wir sie töten würden, Perrin Aybara?« fragte Janina neugierig. Aiel konnte man selten Gefühle vom Gesicht ablesen, aber die anderen sahen ihn stirnrunzelnd oder offen ungläubig an.

»Ich weiß, wie Ihr empfindet«, erwiderte er zögernd. »Ich weiß es bereits seit den Brunnen von Dumai, als ich sah, wie ihr mit den gefangenen Schwestern umsprangt.« Er würde ihnen nicht verraten, daß er ihren Haß und ihre Verachtung jedesmal riechen konnte, wenn eine Weise Frau eine Aes Sedai ansah. Er roch es jetzt nicht, aber niemand konnte solch großen Zorn lange empfinden, ohne zu zerspringen. Das bedeutete nicht, daß dieser Zorn vergangen war, nur daß er sich sehr tief eingeprägt hatte.

Delora schnaubte, ein Geräusch wie reißendes Leinen. »Zuerst sagt Ihr, sie müßten verhätschelt werden, weil Ihr sie braucht, und jetzt sagt Ihr, es wäre nötig, weil sie Aes Sedai sind und Ihr versprochen habt, sie zu beschützen. Was ist die Wahrheit, Perrin Aybara?«

»Beides.« Perrin erwiderte Deloras strengen Blick lange Zeit und sah dann nacheinander auch die anderen an. »Beides ist wahr, und ich meine beides ernst.«

Die Weisen Frauen wechselten Blicke, bei denen jedes Flackern des Lids hundert Worte bedeutete und kein Mann auch nur eines verstehen konnte. Schließlich schienen sie sich, ihre Halsketten und Stolen zurecht zupfend, einig zu werden.

»Wir töten keine Lehrlinge, Perrin Aybara«, sagte Nevarin. Sie klang bei dem Gedanken entsetzt. »Als Rand al'Thor uns bat, sie auszubilden, dachte er vielleicht, wir täten es nur zu dem Zweck, daß sie uns gehorchen sollten, aber wir machen keine leeren Versprechungen. Sie sind jetzt Lehrlinge.«

»Und das werden sie bleiben, bis fünf Weise Frauen übereinkommen, daß sie bereit sind, mehr zu werden«, fügte Marline hinzu, während sie ihr langes Haar über eine Schulter schwang. »Und sie werden nicht anders behandelt als alle anderen.«

Edarra nickte über ihrem Weinbecher. »Sagt ihm, was Ihr ihm hinsichtlich Masema Dagar raten wolltet, Seonid Traighan«, befahl sie.

Die kniende Frau hatte sich während Nevarins und Marlines kurzen Ansprachen sichtlich gewunden und ihre Röcke so fest umfaßt, daß Perrin dachte, die Seide würde reißen, aber sie verschwendete keine Zeit, Edarras Anweisungen zu entsprechen. »Die Weisen Frauen haben recht, welche Gründe sie auch immer haben. Und ich sage das nicht, weil sie es wollen.« Sie richtete sich erneut auf und bemühte sich angestrengt, ihre Züge zu glätten. Ihre Stimme klang jedoch noch immer leicht zornig. »Ich sah das Werk sogenannter Drachenverschworener, bevor ich Rand al'Thor begegnete. Tod und Zerstörung, ohne jeglichen Nutzen. Selbst ein treuer Hund muß zurechtgewiesen werden, wenn ihm Schaum vor der Schnauze steht.«

»Blut und Asche!« grollte Perrin. »Wie kann ich Euch nach diesen Worten auch nur noch in Sichtweite des Mannes gelangen lassen? Ihr habt Rand Treue geschworen. Ihr wißt, daß es nicht das ist, was er will! Was ist mit dem ›Tausende werden sterben, wenn Ihr versagt‹?« Licht, wenn Masuri genauso empfand, dann mußte er es vergebens mit Aes Sedai und Weisen Frauen aufnehmen! Nein, schlimmer noch. Er würde Masema vor ihnen beschützen müssen!

»Masuri betrachtet Masema ebenso als Fanatiker wie ich«, erwiderte Seonid. Sie hatte ihre Gelassenheit nun vollkommen zurückgewonnen. Sie musterte ihn mit kühlem, unlesbarem Gesicht und roch äußerst wachsam. Aufmerksam. Als brauchte er seine Nase, obwohl ihr Blick doch seinen festhielt, große, dunkle, unergründliche Augen. »Ich habe geschworen, dem Wiedergeborenen Drachen zu dienen, und ich kann ihm jetzt am besten dienen, indem ich dieses Tier von ihm fernhalte. Es ist schon schlimm genug, daß einige Herrscher wissen, daß Masema ihn unterstützt. Aber noch schlimmer wäre, wenn sie ihn den Mann umarmen sehen würden. Und es werden Tausende sterben, wenn Ihr versagt — darin versagt, Masema nahe genug zu kommen, um ihn zu töten.«

Perrin hatte das Gefühl, als drehe sich ihm der Kopf. Wieder ging eine Aes Sedai geschickt mit Worten um und erweckte den Anschein, schwarz zu sagen, wenn sie weiß meinte. Andererseits trugen die Weisen Frauen noch das ihre dazu bei.

»Masuri Sokawa«, sagte Nevarin ruhig, »glaubt, der wütende Hund könnte gefangen und an die Leine gelegt werden, so daß man ihn sicher führen könnte.« Seonid wirkte einen Moment ebenso überrascht, wie Perrin sich fühlte, aber sie fing sich schnell wieder. Zumindest äußerlich. Sie roch vorsichtig, als spüre sie eine Falle, wo sie keine erwartet hatte.

»Außerdem möchte sie Euch an ein Halfter gewöhnen, Perrin Aybara«, fügte Carelle noch beiläufiger hinzu. »Sie glaubt, Ihr müßtet auch gebunden werden, damit Ihr keine Gefahr darstellt.« Nichts in ihrem sommersprossigen Gesicht zeigte, ob sie dem zustimmte.

Edarra hob eine Hand zu Seonid. »Ihr dürft jetzt gehen. Ihr werdet nicht mehr lauschen, statt dessen könnt Ihr Gharadin erneut fragen, ob Ihr die Wunde an seiner Wange heilen dürft. Denkt daran — wenn er sich noch immer weigert, müßt Ihr es akzeptieren. Er ist ein Gai'schain, nicht einer Eurer Feuchtländerdiener.« Sie sprach das letzte Wort mit tiefster Verachtung aus.

Seonid betrachtete Perrin mit eisigem, durchbohrendem Blick. Dann sah sie zu den Weisen Frauen hinüber, und ihre Lippen zitterten, als wollte sie etwas sagen. Letztendlich konnte sie sich jedoch nur so würdevoll wie möglich zurückziehen. Äußerlich war sie, was beachtenswert war, eine Aes Sedai, die eine Königin beschämen könnte. Aber ihr wehte der Geruch äußerster Enttäuschung nach.

Sobald sie fort war, wandten sich die sechs Weisen Frauen erneut Perrin zu.

»Nun«, sagte Edarra, »jetzt könnt Ihr uns erklären, warum Ihr dem Car'a'carn ein wütendes Tier zur Seite stellen würdet.«

»Nur ein Narr gehorcht dem Befehl eines anderen, ihn über eine Klippe zu stoßen«, sagte Nevarin.

»Ihr wollt uns nicht zuhören«, sagte Janina, »also werden wir Euch zuhören. Sprecht, Perrin Aybara.«

Perrin erwog, aus dem Zelt zu flüchten. Aber wenn er das täte, ließe er eine Aes Sedai zurück, die ihm vielleicht noch eine zweifelhafte Hilfe wäre, und eine weitere, die, wie auch die sechs Weisen Frauen, darauf erpicht war, alles zu zerstören, was er erreicht hatte. Er stellte seinen Weinbecher ab und legte die Hände auf die Knie. Er brauchte einen klaren Kopf, wenn er diesen Frauen zeigen wollte, daß er keine angepflockte Ziege war.

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