Der ghealdanische Himmel war wolkenlos. Die bewaldeten Hügel wurden von einer gleißenden Sonne beschienen. Das Land schmachtete kurz vor der Mittagszeit. Kiefern und Lederblattbäume wurden durch die Dürre gelblich, wie auch andere Bäume, die Perrin ebenfalls für Immergrüne hielt. Kein Lufthauch regte sich. Schweiß tropfte sein Gesicht herab, lief in seinen kurz geschorenen Bart. Sein gelocktes Haar war stumpf. Er meinte, irgendwo im Westen Donner zu hören, aber er hatte aufgehört zu glauben, daß es jemals wieder regnen würde. Man hämmerte das Eisen auf dem Amboß vor sich, anstatt Tagträumen darüber nachzuhängen, Silber bearbeiten zu können.
Von seinem günstigen Standort des nur spärlich bewachsenen Hügelkamms aus betrachtete er durch ein Fernglas die ummauerte Stadt Bethai. Auch seine Augen konnten auf diese Entfernung Unterstützung gebrauchen. Bethai war eine recht große Stadt mit schiefergedeckten Gebäuden und einem halben Dutzend hohen Steingebilden, die vielleicht die Paläste niederer Adliger oder die Heime betuchter Händler waren. Er konnte das scharlachrote Banner nicht ausmachen, das schlaff auf dem höchsten Turm des größten Palasts hing, die einzige sichtbare Flagge, aber er wußte dennoch, wem sie gehörte. Alliandre Maritha Kigarin, Königin von Ghealdan, weit von ihrer Hauptstadt Jehannah entfernt. Die jeweils von gut zwanzig Soldaten bewachten Stadttore waren geöffnet und doch kam niemand heraus, und die Straßen, die er einsehen konnte, waren bis auf einen einsamen Reiter, der von Norden eilig auf Bethai zugaloppierte, menschenleer. Die Soldaten waren nervös. Einige verlagerten beim Herannahen des Reiters ihre Langspieße oder Bogen, als wedele er mit einem bluttriefenden Schwert. Weitere Soldaten auf Wache zogen bei den Türmen der Stadtmauer oder auf der Mauer selbst auf. Es gab dort oben auch viele eingelegte Pfeile und erhobene Armbruste. Viel Angst.
Ein Sturm war über diesen Teil Ghealdans hinweggefegt. Er hatte noch immer Bestand. Die Horden des Propheten schufen Chaos, Banditen zogen ihren Vorteil daraus, und Weißmäntel, die zu Überfällen von Amadicia über die Grenze kamen, konnten leicht so weit ausschwärmen. Einige wenige verstreute Rauchsäulen weiter südlich kennzeichneten wahrscheinlich brennende Bauernhöfe, das Werk von Weißmänteln oder des Propheten. Banditen machten sich selten die Mühe, Brände zu legen, und die anderen beiden ließen nur wenig für sie übrig. Das Gerücht, das Perrin in jedem Dorf, durch das er gekommen war, gehört hatte und das besagte, daß Amador gefallen sei — an den Propheten, an die Taraboner oder an die Aes Sedai, je nachdem, wer die Geschichte erzählte —, trug noch zur allgemeinen Verwirrung bei. Einige behaupteten, Pedron Niall selbst sei im Kampf zur Verteidigung der Stadt gefallen. Das war alles in allem Grund genug für eine Königin, um ihre eigene Sicherheit besorgt zu sein. Oder vielleicht befanden sich die Soldaten auch wegen ihm dort unten. Seine Reise nach Süden war trotz all seiner Bemühungen wohl kaum unbemerkt geblieben.
Er kratzte sich nachdenklich den Bart. Schade, daß die Wölfe in den umliegenden Hügeln ihm nichts erzählen konnten, aber sie achteten selten auf die Belange der Menschen und blieben ihnen fern. Und seit den Brunnen von Dumai hatte er es nicht mehr als richtig empfunden, mehr von ihnen zu erbitten als unbedingt notwendig. Es wäre nach allem vielleicht das beste, wenn er allein hineinritt, mit nur wenigen der Leute von den Zwei Flüssen.
Er dachte oft, Faile könne seine Gedanken lesen, normalerweise wenn er es am wenigsten wollte, und sie bewies es erneut, als sie ihre rabenschwarze Stute Schwalbe dicht neben seinen Braunen führte. Ihr eng geschnittenes Reitgewand war fast so dunkel wie die Stute, und doch schien sie die Hitze besser zu vertragen als er. Sie roch leicht nach Kräuterseife und sauberem Schweiß — nach sich selbst. Nach Entschlossenheit. Der Blick ihrer schrägstehenden Augen wirkte sehr entschlossen, und auch mit ihrer kühn geschwungenen Nase erinnerte sie sehr an ihren Namensvetter, den Falken.
»Ich möchte keine Löcher in dieser edlen blauen Jacke sehen, Gemahl«, sagte sie weich und nur für seine Ohren bestimmt, »und diese Burschen benehmen sich so, als würden sie Fremde vielleicht einfach beschießen, bevor sie fragen, wer sie sind. Wie willst du zudem zu Alliandre gelangen, ohne deinen Namen in die Welt hinauszuposaunen? Denk daran, daß dies im stillen geschehen muß.« Sie sagte nicht, daß sie gehen sollte, daß die Torwächter eine Frau allein für einen Flüchtling vor den Wirren halten würden, daß sie die Königin, die den Namen ihrer Mutter benutzte, erreichen könnte, ohne zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber das war auch nicht nötig. Er hatte all das und mehr jeden Abend von ihr gehört, seit sie Ghealdan betreten hatten. Er war teilweise hier, weil Alliandre in ihrem vorsichtig gehaltenen Brief an Rand ... Unterstützung? ... Treue? ... anbot. Auf jeden Fall war ihr Wunsch nach Geheimhaltung vorrangig gewesen.
Perrin bezweifelte, daß selbst Aram, der wenige Schritt hinter ihnen auf seinem langbeinigen Grauen saß, ein Wort von dem gehört haben konnte, was Faile gesagt hatte. Berelain führte ihre weiße Stute auf Perrins andere Seite. Schweiß glänzte auf ihren Wangen. Durch eine Wolke von Rosenduft hindurch roch sie ebenfalls entschlossen. Ihm erschien es wie eine Wolke. Welch Wunder, daß ihr grünes Reitgewand nicht mehr Haut offenbarte als nötig.
Berelains beide Begleiterinnen blieben zurück, obwohl Annoura, ihre Aes Sedai-Beraterin, ihn unter ihrer Kappe aus dünnen, schulterlangen, mit Perlen geschmückten Zöpfen mit unlesbarer Miene forschend betrachtete. Nicht ihn und die beiden Frauen an seiner Seite. Besonders ihn. Sie schwitzte nicht. Er wünschte, er wäre nahe genug, um den Geruch der Grauen Schwester mit der Hakennase wahrnehmen zu können. Anders als die anderen Aes Sedai hatte sie niemandem etwas versprochen. Was auch immer solche Versprechen wert waren. Lord Gallenne, Befehlshaber von Berelains Beflügelten Wachen, war anscheinend eifrig damit beschäftigt, Bethai durch ein an sein einziges Auge gehobenes Fernglas zu betrachten und sich auf eine Weise mit seinen Zügeln zu schaffen zu machen, an der Perrin inzwischen erkannte, daß er tief in Überlegungen versunken war. Wahrscheinlich darüber, wie man Bethai gewaltsam einnehmen könnte. Gallenne erwog die schlechteste Möglichkeit stets als erste.
»Ich bin immer noch der Meinung, daß ich diejenige sein sollte, die sich Alliandre nähert«, sagte Berelain. Auch das hatte Perrin jeden Tag gehört. »Deswegen bin ich immerhin gekommen.« Das war einer der Gründe. »Annoura wird sofort eine Audienz gewährt bekommen und mich mit hineinbringen.« Ein zweites Wunder. Ihre Stimme hatte überhaupt nicht kokett geklungen. Sie schien dem Glätten ihrer roten Lederhandschuhe ebensoviel Aufmerksamkeit zu widmen wie ihm.
Welche? Das Problem bestand darin, daß er keine der Frauen erwählen wollte.
Seonid, die zweite Aes Sedai, die auf den Hügelkamm geritten war, stand ein Stück abseits bei ihrem kastanienbraunen Wallach neben einem hohen, von der Dürre ausgetrockneten Schwarzholzbaum und betrachtete nicht Bethai, sondern den Himmel. Die beiden helläugigen Weisen Frauen in ihrer Begleitung bildeten einen scharfen Kontrast dazu, die Gesichter im Gegensatz zu ihrem hellen Teint sonnengebräunt und hellhaarig, während sie dunkelhaarig war, groß, während sie klein war, ganz zu schweigen von ihren dunklen Röcken und weißen Blusen im Gegensatz zu ihrem edlen blauen Tuch. Halsketten und Armbänder aus Gold, Silber und Elfenbein schmückten Edarra und Nevarin, während Seonid nur ihren Großen Schlangenring trug. Sie waren jung, während sie alterslos war. Die Weisen Frauen und Seonid waren sich jedoch in ihrer Selbstbeherrschung gleich, und auch sie betrachteten den Himmel.
»Seht Ihr etwas?« fragte Perrin, womit er die Entscheidung hinausschob.
»Wir sehen den Himmel, Perrin Aybara«, antwortete Edarra ruhig, während ihr Schmuck leise klimperte, als sie die dunkle, über ihre Ellbogen geschlungene Stola richtete. Die Hitze schien die Aiel ebensowenig zu berühren wie die Aes Sedai. »Wenn wir mehr sähen, würden wir es Euch sagen.« Er hoffte es. Er glaubte es. Zumindest wenn es etwas wäre, wovon sie glaubten, daß Grady und Neald es vielleicht auch sehen könnten. Die beiden Asha'man würden es nicht geheimhalten. Er wünschte, sie wären hier anstatt im Lager.
Vor inzwischen mehr als einer halben Woche hatte ein durchbrochenes Gewebe der Einen Macht, das hoch über den Himmel zog, erhebliche Unruhe unter den Aes Sedai und den Weisen Frauen bewirkt. Und bei Grady und Neald. Eine Entwicklung, die wiederum noch größere Unruhe bewirkt hatte — Panik in dem Maße, wie Aes Sedai sie wahrscheinlich verspüren konnten. Asha'man, Aes Sedai und Weise Frauen behaupteten alle, sie könnten die Macht noch lange, nachdem das Gewebe verschwunden war, spüren, aber niemand wußte, was es bedeutete. Neald sagte, es erinnere ihn an Wind, obwohl er nicht sagen konnte warum. Niemand wollte eine entschiedenere Meinung äußern, und doch mußten die Verlorenen in großem Umfang am Werk sein, wenn die männliche und weibliche Hälfte der Macht sichtbar waren. Die Frage, was sie vorhatten, hatte Perrin in den vergangenen Nächten wach gehalten.
Er schaute wider Willen gen Himmel und sah natürlich nichts außer einem Paar Tauben. Plötzlich geriet ein Falke in Sicht, und eine der Tauben verschwand in einem Federregen. Die andere floh mit aufgeregtem Flügelschlag in Richtung Bethai.
»Seid Ihr zu einer Entscheidung gelangt, Perrin Aybara?« fragte Nevarin mit scharfem Unterton in der Stimme. Die grünäugige Weise Frau schien noch jünger zu sein als Edarra, vielleicht nicht älter als er selbst, doch sie besaß nicht im gleichen Umfang die Gelassenheit der blauäugigen Frau. Ihre Stola glitt ihre Arme herab, als sie die Hände in die Hüften stemmte, und er erwartete halbwegs, daß sie ihm mit dem Finger drohen würde. Oder mit der Faust. Sie erinnerte ihn an Nynaeve, obwohl sie einander gewiß nicht ähnelten. Nevarin hätte Nynaeve unbeholfen wirken lassen. »Was nützt unser Rat, wenn Ihr nicht zuhören wollt?« fragte sie. »Was nützt er?«
Faile und Berelain saßen aufrecht in ihren Sätteln, beide so stolz wie möglich, und beide rochen erwartungsvoll und verunsichert zugleich. Und verärgert darüber, daß sie verunsichert waren. Dieser Flecken gefiel ihnen beiden nicht. Seonid war zu weit entfernt, als daß er sie hätte riechen können, aber ihre zusammengepreßten Lippen verrieten hinreichend ihre Stimmung. Edarras Befehl, nicht zu sprechen, bis sie angesprochen wurden, erzürnte sie. Dennoch wollte sie gewiß, daß er den Rat der Weisen Frauen annahm. Sie sah ihn angespannt an, als könnte ihr nachdrücklicher Blick ihn in die Richtung drängen, die er einschlagen sollte. In Wahrheit wollte er sie erwählen, aber er zögerte. Wie weit war ihr Treueschwur Rand gegenüber wirklich belastbar? Nach dem, was er bisher gesehen hatte, stärker, als er geglaubt hätte, aber dennoch — wie weit konnte er einer Aes Sedai trauen? Die Ankunft von Seonids beiden Behütern gewährte ihm noch eine kurze Bedenkzeit.
Sie ritten zusammen heran, obwohl sie getrennt losgeritten waren, und hielten ihre Pferde weitgehend zwischen den Bäumen entlang des Hügelkamms, damit sie von der Stadt aus nicht gesehen wurden. Furen war Tairener, sehr dunkel, mit Grau in seinem lockigen schwarzen Haar, während Teryl, ein Murandianer, zwanzig Jahre jünger war, mit dunkelrötlichem Haar, einem gedrehten Schnurrbart und blaueren Augen als Edarras, aber sie waren aus demselben Holz geschnitzt, groß und hager und hart. Sie stiegen anmutig ab, wobei ihre Umhänge die Farbe veränderten und auf beunruhigende Art unsichtbar wurden, und berichteten Seonid, wobei sie die Weisen Frauen bewußt ignorierten. Und Perrin.
»Es ist schlimmer als im Norden«, sagte Füren angewidert. Einige wenige Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn, obwohl beide Männer von der Hitze nicht sehr beeinträchtigt zu sein schienen. »Die hiesigen Adligen sind auf ihren Gütern oder in der Stadt eingeschlossen, und die Soldaten der Königin verweilen innerhalb der Stadtmauern. Sie haben das Land den Männern des Propheten überlassen. Und den Banditen, obwohl sie in dieser Gegend anscheinend rar sind. Die Leute des Propheten sind überall. Ich glaube, Alliandre wird glücklich sein, Euch zu sehen.«
»Unsinn«, schnaubte Teryl und schlug sich mit den Zügeln in die Handfläche. »Ich habe nirgends mehr als fünfzehn oder zwanzig auf einem Fleck gesehen, hauptsächlich mit Mistgabeln und Spießen bewaffnet. Und sie waren abgerissen wie Bettler. Sicherlich geeignet, um Bauern zu ängstigen, aber man sollte denken, die Adligen würden sie ausrotten und reihenweise aufhängen. Die Königin wird sich freuen, eine Schwester zu sehen.«
Seonid öffnete den Mund und schaute dann zu Edarra hoch, die ihr zunickte. Wenn überhaupt eine Reaktion erfolgte, preßte die Grüne den Mund auf die Erlaubnis zu sprechen hin noch fester zusammen. Ihre Stimme klang jedoch butterweich. »Es besteht kein Grund mehr, Eure Entscheidung aufzuschieben, Lord Aybara.« Sie betonte den Titel ein wenig, weil sie genau wußte, daß er ein Anrecht darauf hatte. »Eure Frau entstammt einem großen Hause, und Berelain ist eine Herrscherin, aber die saldaeanischen Häuser zählen hier kaum, und Mayene ist die kleinste Nation. Eine Aes Sedai als Abgesandte wird Euch aus Alliandres Sicht das Wohlwollen der Weißen Burg sichern.« Vielleicht erinnerte sie sich daran, daß Annoura dies auch bewirken würde, denn sie fuhr hastig fort: »Außerdem war ich schon zuvor in Ghealdan, und mein Name ist hier wohlbekannt. Alliandre wird mich nicht nur sofort empfangen, sondern sie wird dem auch zuhören, was ich zu sagen habe.«
»Nevarin und ich werden mit ihr gehen«, sagte Edarra, und Nevarin fügte hinzu; »Wir werden sicherstellen, daß sie nichts sagt, was sie nicht sagen sollte.« Seonid knirschte, für Perrin hörbar, mit den Zähnen und beschäftigte sich damit, ihre geteilten Rocke mit sorgfältig gesenktem Blick zu glätten. Annoura stieß einen mürrischen Laut aus und wandte sich von dem Anblick ab. Sie selbst hielt sich von den Weisen Frauen fern und mochte es nicht, die anderen Schwestern bei ihnen zu sehen.
Perrin hätte am liebsten gestöhnt. Die Grüne zu schicken würde ihm die schwere Verantwortung nehmen, aber die Weisen Frauen trauten den Aes Sedai noch weniger als er und hielten Seonid und Masuri an der kurzen Leine. Es hatte in den Dörfern in letzter Zeit auch Geschichten über die Aiel gegeben. Niemand von diesen Leuten hatte jemals einen Aiel gesehen, aber es kursierten zahlreiche Gerüchte über die Aiel. Die Hälfte der Ghealdaner waren sicher, daß Aiel nur einen oder zwei Tage entfernt waren, und jede neue Geschichte war seltsamer und noch schrecklicher als die vorherige. Alliandre hatte vielleicht zuviel Angst, Perrin in ihre Nähe zu lassen, wenn sie erst erlebte, daß zwei Aielfrauen einer Aes Sedai Befehle gaben. Und Seonid befolgte die Befehle, wenn auch zähneknirschend! Nun, er würde Failes Leben nicht ohne weitere Versicherung außer einem vage gehaltenen Brief, den er vor mehreren Monaten erhalten hatte, aufs Spiel setzen. Die Verantwortung lastete jetzt noch schwerer auf ihm, und doch hatte er überhaupt keine Chance.
»Eine kleine Gruppe wird leichter durch diese Tore gelangen als eine große«, sagte er schließlich, während er das Fernglas in seine Satteltasche stopfte. Sie würde auch weniger Leute zum Reden veranlassen. »Das bedeutet, daß nur Ihr und Annoura gehen werdet, Berelain. Und vielleicht Lord Gallenne. Ihn würden sie wahrscheinlich für Annouras Behüter halten.«
Berelain war erfreut und beugte sich herüber, um mit beiden Händen seinen Arm zu umfassen. Sie beließ es natürlich nicht dabei. Ihre Finger drückten ihn liebevoll, und ihr Lächeln war ein Versprechen. Sie richtete sich mit vollkommen unschuldsvoller Miene wieder auf, bevor er sich regen konnte. Faile konzentrierte sich mit ausdruckslosem Gesicht darauf, ihre grauen Reithandschuhe zu straffen. Ihrem Geruch nach zu urteilen, hatte sie Berelains Lächeln bemerkt. Sie verbarg ihre Enttäuschung gut.
»Es tut mir leid, Faile«, sagte er, »aber...«
Heftiger Zorn flammte in ihrem Geruch auf. »Gewiß hast du noch einiges mit der Ersten zu besprechen, bevor sie geht, Gemahl«, erwiderte sie äußerlich ruhig. Ihre schrägstehenden Augen wirkten vollkommen gelassen, ihr Geruch aber war schneidend. »Am besten kümmerst du dich jetzt um sie.« Sie wendete Schwalbe und führte die Stute zu einer offensichtlich wütenden Seonid und den mit angespannten Gesichtern dastehenden Aes Sedai, aber sie stieg nicht ab und sprach auch nicht mit ihnen. Statt dessen blickte sie stirnrunzelnd auf Bethal hinab, ein Falke, der aus seinem Horst beobachtet.
Perrin erkannte, daß er sich an die Nase faßte, und senkte seine Hand rasch wieder. Es war natürlich kein Blut daran. Seine Nase fühlte sich nur blutig an.
Berelain brauchte keine Anweisungen in letzter Minute — die Erste von Mayene und ihre Beraterin der Grauen wollten aufbrechen, vollkommen überzeugt, daß sie wußten, was sie sagen und tun sollten —, aber Perrin schob alle Vorsicht beiseite und betonte, daß Berelain und nur Berelain mit Alliandre sprechen sollte. Annoura gewährte ihm einen jener kühlen Aes Sedai-Blicke und nickte, was vielleicht Zustimmung oder Ablehnung bedeutete. Er bezweifelte, daß er ihr mehr entlocken könnte. Berelain verzog belustigt den Mund, obwohl sie mit allem, was er sagte, übereinstimmte, oder es zumindest vorgab. Er vermutete, daß sie alles vorgeben würde, um zu bekommen, was sie wollte, und dieses Lächeln zum falschen Zeitpunkt ärgerte ihn. Gallenne hatte sein Fernglas ebenfalls eingesteckt, aber er spielte noch immer mit seinen Zügeln und überlegte zweifellos, wie er für die beiden Frauen einen Weg aus Bethai heraus erzwingen könnte. Perrin hätte am liebsten erneut gestöhnt.
Er beobachtete besorgt, wie sie den Weg hinabritten. Es war eine einfache Botschaft, die Berelain überbringen sollte. Rand verstand Alliandres Vorsicht, aber wenn sie seinen Schutz wollte, mußte sie bereit sein, ihn öffentlich zu unterstützen. Sie würde seinen Schutz bekommen — Soldaten und Asha'man würden es jedermann verdeutlichen und auch Rand selbst, wenn es nötig wäre —, wenn sie zustimmen würde, ihre Unterstützung anzukündigen. Berelain hatte keine Veranlassung, die Botschaft irgendwie zu verändern, trotz ihres Lächelns — das er als vielleicht eine andere Art des Schäkerns deutete —, aber Annoura... Aes Sedai taten nun einmal, was sie taten, und die Hälfte der Zeit wußte nur das Licht warum. Er wünschte, er wüßte eine Möglichkeit, Alliandre zu erreichen, ohne eine Schwester einsetzen zu müssen oder Gerede zu bewirken. Oder Failes Leben aufs Spiel zu setzen.
Die drei Reiter erreichten die Tore, Annoura voran, und Wächter hoben rasch Langspieße und senkten Bogen und Armbruste, zweifellos sobald sich Annoura als Aes Sedai zu erkennen gab. Nicht viele Menschen besaßen den Mut, diese besondere Herkunft herauszufordern. Sehr bald führte sie ihre Begleiter in die Stadt. Tatsächlich schienen die Wächter bestrebt, sie eilig durch die Tore zu schleusen, außer Sicht jedes Beobachters in den Hügeln. Einige spähten zu den fernen Hängen, und Perrin mußte sie nicht riechen, um ihr Unbehagen darüber zu spüren, wer dort verborgen sein und eine Schwester unwahrscheinlicherweise erkannt haben mochte.
Perrin wandte sich nach Norden dem Lager zu, führte die übrigen den Hügelkamm entlang, bis sie außer Sicht der Türme von Bethai waren, und ritt dann schräg zur festgetretenen Straße hinab. Verstreute Bauernhöfe, strohgedeckte Häuser und lange, schmale Scheunen, verdorrte Weiden und Stoppelfelder und felsige Ziegenpferche mit hohen Mauern säumten die Straße, aber es war nur wenig Vieh und noch weniger Menschen zu sehen. Jene wenigen Menschen beobachteten die Reiter wachsam, Gänse, die Füchse beobachteten, und hielten in ihrer Arbeit inne, bis die Pferde vorüber gelangt waren. Aram beobachtete sie im Gegenzug ebenso wachsam und betastete hin und wieder das über seine Schulter hinausragende Schwertheft, vielleicht in dem Wunsch, noch etwas anderes als Bauern vorzufinden. Trotz seiner grüngestreiften Jacke war er noch immer ein wenig der Kesselflicker.
Edarra und Nevarin gingen neben Traber; sie schienen einen Spaziergang zu machen, denn trotz ihrer sperrigen Röcke hielten sie leicht Schritt. Seonid folgte ihnen auf ihrem Wallach. Füren und Teryl folgten wiederum ihr. Die blaßwangige Grüne gab vor, einfach nur aus Vorsicht zwei Schritt hinter den Weisen Frauen reiten zu wollen, aber die Männer runzelten offen die Stirn. Behüter achteten oft besser auf die Würde ihrer Aes Sedai als die Schwestern selbst, und Aes Sedai besaßen Königinnen angemessene Würde.
Faile hielt Schwalbe auf der anderen Seite der Aiel-Frauen, ritt schweigend und betrachtete anscheinend angestrengt die von der Dürre vernarbte Landschaft. Schlank und anmutig, wie sie war, fühlte Perrin sich neben ihr bestenfalls ein wenig unbeholfen. Sie hatte ein lebhaftes Temperament, wie Quecksilber, und das liebte er normalerweise an ihr, aber... Die Luft hatte sich leicht zu regen begonnen, genügend, um ihren Geruch beständig mit allen anderen Düften zu vermischen. Er wußte, daß er über Alliandre und ihre mögliche Antwort nachdenken sollte, oder noch besser über den Propheten und wie er zu finden wäre, wenn Alliandre erst antwortete — wie auch immer diese Antwort ausfiele —, aber dafür war in seinen Gedanken kein Raum.
Er hatte erwartet, daß Faile zornig sei, als er Berelain erwählte, zumal Rand sie vermutlich für diesen Zweck geschickt hatte. Faile wußte, daß er sie keiner auch noch so geringen Gefahr aussetzen wollte, eine Tatsache, die ihr noch mehr mißfiel als Berelain. Und doch duftete sie sanft wie ein Sommermorgen — bis er sich zu entschuldigen versuchte! Nun, Entschuldigungen schürten ihren Zorn üblicherweise, wenn sie bereits zornig war, aber sie war nicht zornig gewesen! Ohne Berelain verlief zwischen ihnen alles überaus sanft. Meistens. Aber seine Erklärungen, daß er die Frau in keiner Weise ermutigte — daß er weit davon entfernt war! —, brachten ihm nur ein kurz angebundenes »Natürlich nicht!« in einem Tonfall ein, der ihn zum Toren stempelte, weil er es erwähnt hatte. Aber sie wurde noch immer jedesmal zornig — auf ihn! —, wann immer Berelain ihn anlächelte oder einen Vorwand fand, ihn zu berühren, gleichgültig wie brüsk er sie abwies, und nur das Licht wußte, daß er es tat. Er stand bereits kurz davor, sie zu fesseln, und wußte nicht, was er noch tun sollte, um sie zu entmutigen. Seine Versuche, von Faile zu erfahren, was er falsch machte, wurden mit einem oberflächlichen »Warum glaubst du, daß du etwas falsch machst?«, einem weniger oberflächlichen »Was glaubst du, falsch zu machen?« oder einem tonlosen »Ich möchte nicht darüber reden« beantwortet. Er machte etwas falsch, aber er konnte nicht herausfinden, was es war! Er mußte es jedoch herausfinden. Nichts war wichtiger als Faile. Nichts!
»Lord Perrin?«
Arams aufgeregte Stimme unterbrach Perrins düstere Gedanken. »Nennt mich nicht so«, murrte er und blickte dann in die von dem Mann angezeigte Richtung zu einem weiteren aufgegebenen Bauernhof in einiger Entfernung vor ihnen, dessen Haus- und Scheunendächer durch ein Feuer zerstört worden waren. Nur noch die raunen Steinwände standen. Aufgegeben, aber nicht verlassen, denn verärgerte Rufe erklangen von dort.
Ein Dutzend oder mehr derb gekleidete Burschen mit Speeren und Mistgabeln versuchten über die brusthohe Steinmauer eines Ziegenpferchs zu gelangen, während eine Handvoll Menschen darin sie draußen zu halten versuchten. Mehrere Pferde liefen durch den Lärm erschreckt frei in dem Pferch herum, und drei Reiterinnen waren zu sehen. Sie warteten jedoch nicht einfach ab, wie der Kampf ausgehen würde. Eine der Frauen schleuderte anscheinend Steine, und noch während Perrin hinsah, schoß die zweite auf die Mauer zu, um mit einer langen Keule zuzuschlagen, während die dritte Frau ihr Pferd steigen ließ, so daß sich ein großer Bursche rückwärts von der Mauer fallen lassen mußte, um den ausschlagenden Pferdehufen zu entgehen. Aber es waren zu viele Angreifer und die zu verteidigende Mauer zu lang.
»Ich rate Euch, in weitem Bogen auszuweichen«, sagte Seonid. Edarra und Nevarin sahen sie grimmig an, aber sie fuhr fort, wobei Eile ihren nüchternen Tonfall überwog. »Dies sind gewiß die Leute des Propheten, und sie zu töten wäre ein schlechter Anfang. Zehntausende, Hunderttausende könnten sterben, wenn Ihr bei ihm versagt. Ist es das wert, um eine Handvoll Menschen zu retten?«
Perrin beabsichtigte niemanden zu töten, wenn er es verhindern konnte, aber er beabsichtigte auch nicht fortzusehen. Er verschwendete jedoch keine Zeit mit Erklärungen. »Könnt Ihr sie in Furcht versetzen?« fragte er Edarra. »Nur in Furcht, sonst nichts?« Er erinnerte sich nur zu gut an das, was die Weisen Frauen bei den Brunnen von Dumai getan hatten. Und die Asha'man. Vielleicht war es ebensogut, daß Grady und Neald nicht mitgekommen waren.
»Vielleicht«, erwiderte Edarra, während sie die Menschen um den Pferch betrachtete. Sie schüttelte kaum merklich den Kopf und zuckte leicht mit den Achseln. »Vielleicht.« Es würde genügen müssen.
»Aram, Furen, Teryl«, befahl er barsch, »kommt mit mir!« Er bohrte seinem Pferd die Fersen in die Flanken und war erleichtert, die Behüter dichtauf folgen zu sehen, als Traber vorwärts sprang. Vier angreifende Männer wirkten gefährlicher als zwei. Er hielt mit den Händen die Zügel umfaßt, fern von seiner Streitaxt.
Er war nicht sehr erfreut, als Faile Schwalbe im Galopp neben ihn trieb. Er öffnete den Mund, und sie sah ihn mit gewölbter Augenbraue an. Ihr schwarzes Haar, das bei ihrem schnellen Ritt im Wind flatterte, war wunderschön. Sie war wunderschön. Eine gewölbte Augenbraue, nicht mehr. Er sagte etwas anderes, als er beabsichtigt hatte. »Gib mir Rückendeckung«, wies er sie an. Sie brachte lächelnd von irgendwoher einen Dolch zum Vorschein. Bei all ihren verborgenen Klingen fragte er sich manchmal, warum er nicht gestochen wurde, wenn er sie zu umarmen versuchte.
Sobald sie wieder nach vorn blickte, gab er Aram ein Zeichen, das er vor Faile zu verbergen versuchte. Aram nickte und beugte sich dann mit blankgezogenem Schwert vor, bereit, den ersten der Männer des Propheten aufzuspießen, auf den er traf. Perrin hoffte, daß der Mann verstanden hatte, daß er Failes Rücken —und sie insgesamt — schützen sollte, wenn sie mit diesen Burschen tatsächlich in einen Kampf verwickelt würden.
Keiner der Schurken hatte sie bisher bemerkt. Perrin rief, aber sie schienen ihn über ihr eigenes Geschrei hinweg nicht zu hören. Einem Mann in einem zu großen Mantel gelang es, auf die Mauer zu klettern, und zwei weitere schienen beinahe hinübergelangt zu sein. Wenn die Weisen Frauen etwas tun wollten, war es höchste...
Ein Donnerschlag fast über ihren Köpfen machte Perrin fast taub, ein gewaltiges Krachen, das Traber zum Stolpern brachte, bevor er sich wieder fangen konnte. Das hatten die Angreifer gewiß bemerkt. Sie taumelten, sahen sich wild um und hielten sich hastig die Hände über die Ohren. Der Mann auf der Mauer verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Außenseite.
Er rappelte sich jedoch sofort wieder hoch und deutete verärgert auf die Einfriedung, woraufhin einige seiner Begleiter erneut angriffen. Andere sahen Perrin und deuteten auf ihn, wobei sich ihre Lippen bewegten, aber noch immer lief niemand davon. Einige wenige hoben ihre Waffen an.
Plötzlich erschien ein waagerechtes Feuerrad über dem Ziegenpferch, so breit, wie ein Mensch hoch war, das lodernde Flammenbüschel abwarf, während es sich mit an- und abschwellendem Ächzen drehte, von düsterem Stöhnen zu wehklagendem Jammern und umgekehrt.
Jetzt liefen die derb gekleideten Männer wie kopflose Wachteln in alle Richtungen davon. Der Mann in dem zu großen Umhang schwenkte noch einen Moment lang die Arme und schrie sie an, schoß aber dann mit einem letzten Blick auf das Feuerrad ebenfalls davon.
Perrin hätte fast gelacht. Er würde niemanden töten müssen. Und er würde sich keine Sorgen machen müssen, daß Faile eine Mistgabel durch die Rippen gestochen bekäme.
Die Bedrängten in dem Pferch waren offensichtlich ebenso verängstigt wie jene, die sich außerhalb befanden, zumindest eine von ihnen. Die Frau, die ihr Pferd gegen einen Angreifer hatte steigen lassen, ließ das Tor aufgleiten und ritt dann in ungelenkem Galopp die Straße hinauf, fort von Perrin und den übrigen.
»Wartet!« rief Perrin. »Wir wollen Euch nichts antun!« Ob sie ihn nun gehört hatte oder nicht — sie trieb ihr Pferd weiterhin an. Die Männer liefen jetzt so schnell sie konnten, aber wenn die Frau allein blieb, konnten schon zwei oder drei von ihnen ihr Schaden zufügen. Perrin legte sich flach auf Trabers Hals und stieß ihm die Fersen in die Flanken, und der Braune schoß wie ein Pfeil vorwärts.
Er war ein großer Mann, und doch verdiente Traber seinen Namen nicht nur wegen seiner tänzelnden Hufe. Außerdem war das Pferd der Frau, seinem plumpen Gang nach zu urteilen, nicht an einen Sattel gewöhnt. Traber verringerte den Abstand mit jedem Schritt und kam so nahe heran, daß Perrin die Hand ausstrecken und das Zaumzeug des anderen Pferdes ergreifen konnte. Aus der Nähe betrachtet war ihr Kastanienbrauner kaum mehr als ein Klepper, schweißbedeckter und ausgelaugter, als der kurze Ritt es hätte bewirken können. Perrin brachte beide Pferde langsam zum Stehen.
»Verzeiht, wenn ich Euch geängstigt habe, Herrin«, sagte er. »Ich will Euch wirklich nichts antun.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag bewirkte eine Entschuldigung nicht die von ihm erwartete Reaktion. Zornige blaue Augen starrten ihn aus einem von langen rotgoldenen Locken umrahmten Gesicht an, ein so hoheitsvolles Gesicht wie das einer Königin, auch wenn es schweiß- und staubbedeckt war. Ihr Gewand bestand aus einfachem Tuch und war von der Reise befleckt und ebenso staubig wie ihre Wangen, aber ihre Miene war sowohl zornerfüllt als auch königlich. »Ich brauche nicht...«, begann sie mit eisiger Stimme, während sie ihr Pferd zu befreien versuchte, brach dann aber ab, als eine weitere Frau, weißhaarig und knochig, auf einer schlaksigen braunen Stute in weitaus schlechterem Zustand als die Kastanienbraune heranritt. Diese Leute waren einige Zeit hart geritten. Die ältere Frau war genauso erschöpft und staubbedeckt wie die jüngere.
Sie sah abwechselnd Perrin strahlend und die Frau, deren Zügel er noch immer festhielt, stirnrunzelnd an. »Danke, mein Lord.« Ihre Stimme stockte einen Moment, als sie seine Augen bemerkte, aber sie zögerte nicht lange. Sie war keine Frau, die vieles störte. Sie hielt noch immer den wuchtigen Stab in der Hand, den sie als Waffe benutzt hatte. »Eine Rettung im letzten Augenblick, fürwahr. Maighdin, was habt Ihr Euch nur gedacht? Ihr hättet getötet werden können! Und wir anderen auch! Sie ist ein eigensinniges Mädchen, mein Lord, das stets übereilt handelt. Denkt daran, Kind, nur ein Narr läßt Freunde im Stich und gibt Silber für schimmerndes Messing auf. Wir danken Euch, mein Lord, und Maighdin wird Euch ebenfalls danken, wenn sie wieder zur Vernunft kommt.«
Maighdin, gut zehn Jahre älter als Perrin, konnte nur im Vergleich zu der älteren Frau als Mädchen bezeichnet werden, aber trotz der erschöpften Miene, die ihrem Geruch entsprach, war die Enttäuschung von Zorn gefärbt. Sie akzeptierte die Tirade, unternahm noch einen halbherzigen Versuch, ihr Pferd zu befreien, und gab dann auf. Sie legte ihre Hände auf den Sattel, sah Perrin anklagend an und blinzelte. Wieder die gelben Augen. Trotz dieses Befremdens roch sie jedoch nicht ängstlich. Die alte Frau schon, aber Perrin glaubte nicht, daß ihre Angst ihm galt.
Ein weiterer von Maighdins Begleitern, ein unrasierter Mann auf einem weiteren armseligen Klepper, einem Grauen mit wulstigen Knien, näherte sich, während die alte Frau sprach, hielt sich aber im Hintergrund. Er war so groß wie Perrin, wenn auch nicht annähernd so breit, und trug eine von der Reise zerschlissene Jacke mit einem darüber befestigten Schwertgürtel. Wie die Frauen hatte auch er ein Bündel hinten auf seinen Sattel gebunden. Die leichte Brise drehte sich und brachte Perrin den Geruch des Mannes heran. Er hatte keine Angst, sondern war wachsam. Und wenn man aus der Art, wie er Maighdin ansah, etwas schließen wollte, galt seine Wachsamkeit ihr. Vielleicht war dies doch nicht so einfach, wie Reisende vor einer Bande Schurken zu retten.
»Vielleicht solltet Ihr alle mit in mein Lager kommen«, schlug Perrin vor und ließ das Zaumzeug schließlich los. »Dort wärt Ihr vor ... Banditen sicher.« Er erwartete halbwegs, daß Maighdin zum nächstgelegenen Waldrand flüchten würde, aber sie wendete ihr Pferd ebenso wie er und ritt mit zum Ziegenpferch zurück. Sie roch ... resigniert.
Dennoch sagte sie: »Ich danke Euch für das Angebot, aber ich ... wir ... müssen unsere Reise fortsetzen. Wir werden weiterziehen, Lini«, fügte sie fester hinzu, und die ältere Frau sah sie so starr an, daß Perrin sich fragte, ob sie Mutter und Tochter waren, obwohl sie die Frau mit ihrem Namen ansprach. Sie sahen sich gewiß in keiner Weise ähnlich. Lini hatte ein schmales Gesicht und pergamentene Haut, ganz sehnig, während Maighdin unter dem Staub vielleicht wunderschön war. Wenn man helles Haar mochte.
Perrin schaute über die Schulter zu dem hinter ihnen reitenden Mann. Ein hart wirkender Bursche, der eine Rasur nötig gehabt hätte. Vielleicht mochte er helles Haar. Vielleicht mochte er es zu sehr. Männer hatten sich und andere aus diesem Grund schon häufiger in Schwierigkeiten gebracht.
Vor ihnen ritt Faile auf Schwalbe und spähte über die Mauer des Pferchs zu den darin befindlichen Leuten. Vielleicht war einer von ihnen verletzt worden. Seonid und die Weisen Frauen waren nirgendwo zu sehen, Aram hatte offensichtlich verstanden. Er hielt sich nahe bei Faile auf, obwohl er ungeduldig zu Perrin blickte. Die Gefahr war jedoch eindeutig vorüber.
Bevor Perrin die Hälfte des Wegs zum Pferch zurückgelegt hatte, erschien Teryl mit einem Mann mit schmalen Augen und stoppeligen Wangen, der neben seinem Rotgrauen her stolperte und dessen Kragen der Behüter fest im Griff hatte. »Ich dachte, wir sollten einen von ihnen gefangennehmen«, sagte Teryl mit hartem Lächeln. »Es ist stets besser, beide Seiten zu hören, was man auch gesehen zu haben glaubt, hat mein alter Vater immer gesagt.« Perrin war überrascht. Er hatte gedacht, Teryl könnte nicht über seine Schwertspitze hinaus denken.
Obwohl der stoppelbärtige Bursche am Kragen hochgehalten wurde, war der abgetragene Mantel eindeutig noch immer zu groß für ihn. Perrin bezweifelte, daß noch jemand anders auf die Entfernung genug hatte sehen können, aber er erkannte auch die hervorstehende Nase. Dieser Mann war als letzter davongelaufen, und er war auch jetzt nicht eingeschüchtert. Sein höhnisches Grinsen schloß sie alle mit ein. »Ihr steckt wegen dieser Geschichte alle tief in der Klemme«, sagte er mit rauher Stimme. »Wir haben auf Befehl des Propheten gehandelt. Der Prophet sagt, wenn ein Mann eine Frau belästigt, die ihn nicht will, muß er sterben. Diese Burschen haben sie gejagt...«, er reckte sein Kinn in Maighdins Richtung, »und sie lief davon. Der Prophet wird dafür Eure Ohren fordern!« Er spie bekräftigend aus.
»Das ist lächerlich«, verkündete Maighdin mit klarer Stimme. »Diese Leute sind meine Freunde. Der Mann hat vollkommen mißverstanden, was er gesehen hat.«
Perrin nickte, und wenn sie glaubte, er stimme mit ihr überein, war es auch gut. Aber wenn man das, was dieser Bursche behauptete, dem hinzufügte, was Lini gesagt hatte... Es war überhaupt nicht einfach.
Faile und die anderen schlossen sich ihnen an, gefolgt von den übrigen Reisebegleitern Maighdins, drei weitere Männer und eine weitere Frau, die alle vollkommen heruntergekommene Pferde mit sich führten. Perrin konnte sich nicht erinnern, jemals eine gelungenere Ansammlung von krummen Knien, gebogenen Fesselgelenken, Spat und Senkrücken gesehen zu haben. Sein Blick wanderte, wie stets, zuerst zu Faile — seine Nasenflügel streckten sich nach ihrem Geruch aus —, aber Seonid behinderte seine Sicht. Im Sattel zusammengesunken und zutiefst errötet, blickte sie mürrisch drein; ihr Gesicht wirkte seltsam, die Wangen waren aufgedunsen und der Mund leicht geöffnet. Da war etwas, etwas RotBlaues... Perrin blinzelte. Wenn er nicht inzwischen halluzinierte, hatte man ihr ein zusammengerolltes Tuch in den Mund gestopft! Wenn Weise Frauen einem Neuling den Mund zu halten befahlen, selbst einem Aes Sedai-Neuling, dann meinten sie es offensichtlich auch so.
Perrin war nicht der einzige, der ein scharfes Auge besaß. Maighdins Kinn sank herab, als sie Seonid sah, und sie warf Perrin einen langen, nachdenklichen Blick zu, als wäre er für das Tuch verantwortlich. Also erkannte sie eine Aes Sedai auf den ersten Blick? Das war für eine Frau vom Lande ungewöhnlich. Sie klang jedoch auch nicht nach einer Frau vom Lande.
Furen, der hinter Seonid ritt, machte ein sehr finsteres Gesicht, aber Teryl komplizierte alles noch mehr, indem er etwas zu Boden warf. »Das habe ich hinter ihm gefunden«, sagte er, »wo er es vielleicht auf der Flucht fallen gelassen hat.«
Zuerst wußte Perrin nicht, was es war: eine lange Schlinge aus ungegerbtem Leder, die fest mit anscheinend aus brüchigem Leder bestehenden Bändern umwickelt war. Dann erkannte er es und bleckte knurrend die Zähne. »Ihr sagtet, der Prophet fordere unsere Ohren.«
Der stoppelbärtige Mann hörte auf, Seonid anzustarren, und leckte sich die Lippen. »Das ... das ist Haris Werk!« protestierte er. »Hari ist schlecht. Er behält gern alles im Auge, erringt gern Trophäen, und er...« Er zuckte in seinem Mantel mit den Achseln und sank in sich zusammen wie ein in die Enge getriebener Hund. »Das könnt Ihr mir nicht anhängen! Der Prophet wird Euch aufknüpfen, wenn Ihr mich anrührt! Er hat schon früher Adlige gehängt, edle Herren und Damen. Ich wandele im Licht des gesegneten Lord Drache!«
Perrin führte Traber zu dem Mann und achtete dabei darauf, daß die Hufe seines Pferdes das ... Ding ... auf dem Boden nicht berührten. Er wollte nichts weniger, als den Geruch des Burschen zu riechen, aber er beugte sich herab und näherte sein Gesicht dem des Mannes. Scharfer Schweiß rang mit Angst, Entsetzen und einer Spur Zorn. Schade, daß er keine Schuld erkennen konnte. ›Vielleicht fallen gelassen‹ bedeutete nicht fallen gelassene Die dicht zusammenstehenden Augen weiteten sich, und der Mann preßte den Rücken an Teryls Wallach. Gelbe Augen hatten ihren Nutzen.
»Wenn ich Euch das anhängen könnte, würdet Ihr am nächsten Baum aufgeknüpft«, grollte er. Der Bursche blinzelte und begann zu strahlen, als er begriff, was das bedeutete, aber Perrin ließ ihm keine Zeit, seine Überheblichkeit zurückzugewinnen. »Ich bin Perrin Aybara, und Euer kostbarer Lord Drache hat mich hierhergesandt. Er hat mich gesandt, und wenn ich einen Mann mit ... Trophäen ... finde, hängt er! Wenn ich einen Mann finde, der einen Bauernhof anzündet, hängt er! Wenn mich einer von Euch schief ansieht, hängt er! Und Ihr könnt Masema auch berichten, daß ich das gesagt habe!« Perrin richtete sich angewidert auf. »Laßt ihn gehen, Teryl. Wenn er nicht in zwei Sekunden verschwunden ist...!«
Teryl ließ den Mantelkragen los, und der Bursche schoß auf die nächststehenden Baume zu, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Ein Teil von Perrins Abscheu galt ihm selbst. Zu drohen! Wenn ihn einer von ihnen schief ansah? Aber wenn der namenlose Mann nicht selbst Ohren abgeschnitten hatte, so hatte er doch zumindest dabei zugesehen und nichts dagegen unternommen.
Faile lächelte, und Stolz schimmerte durch den Schweiß auf ihrem Gesicht. Ihr Blick vertrieb einiges von Perrins Abscheu. Für diesen Blick wäre er barfuß durch Feuer gelaufen.
Aber es hatte natürlich nicht allen gefallen. Seonid preßte die Augen zusammen, und ihre behandschuhten Fäuste zitterten an den Zügeln, als wollte sie verzweifelt dieses Tuch aus ihrem Mund zerren und ihm sagen, was sie dachte. Er konnte es ohnehin vermuten. Edarra und Nevarin hatten ihre Stolen um sich gelegt und betrachteten ihn düster. O ja, er konnte es vermuten.
»Ich dachte, es sollte alles geheim bleiben«, sagte Teryl beiläufig, während sie beobachtete, wie der stoppelbärtige Mann davonlief. »Ich dachte, Masema sollte nicht wissen, daß Ihr hier seid, bis Ihr es ihm selbst in sein rosafarbenes Ohr flüstert.«
So war es geplant gewesen. Rand hatte es als Vorsichtsmaßnahme vorgeschlagen, worauf Seonid und Masuri bei jeder möglichen Gelegenheit beharrt hatten. Aber ob Prophet des Lord Drache oder nicht —vielleicht wollte Masema niemandem von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten, den Rand gesandt hatte, wenn man das bedachte, was er angeblich erlaubt hatte. Edarra und die anderen Weisen Frauen sahen Masema als möglichen Feind an, den man in einen Hinterhalt locken sollte, ehe er selbst eine Falle errichten könnte.
»Ich soll ... das aufhalten«, sagte Perrin und deutete verärgert auf die Schlinge aus ungegerbtem Leder auf dem Boden. Er hatte die Gerüchte gehört und nichts getan. Jetzt hatte er es erkannt. »Ich könnte ebensogut jetzt damit beginnen.« Und wenn Masema beschloß, daß er ein Feind war? Wie viele Tausende folgten dem Propheten, aus Glaubensgründen oder aus Angst? Es war unwichtig. »Es hört auf, Teryl. Es hört auf!« Der Murandianer nickte zögernd und betrachtete Perrin, als sähe er ihn zum ersten Mal.
»Mein Lord Perrin?« sagte Maighdin. Er hatte sie und ihre Freunde vollkommen vergessen. Die anderen hatten sich ein Stück entfernt um sie versammelt, die meisten noch immer zu Fuß. Es waren noch drei Männer außer dem Burschen darunter, der Maighdin gefolgt war, und zwei davon verbargen sich hinter ihren Pferden. Lini schien die wachsamste von ihnen und betrachtete ihn besorgt. Sie hatte ihr Pferd nahe an Maighdins herangeführt und schien bereit, ihr Zaumzeug selbst zu ergreifen. Nicht um die jüngere Frau am Davonlaufen zu hindern, sondern um selbst davonzulaufen und Maighdin mitzunehmen. Maighdin selbst wiederum schien vollkommen ruhig, aber sie betrachtete Perrin ebenfalls forschend. Das war nach all dem Gerede über den Propheten und den Wiedergeborenen Drachen — zusätzlich zu seinen Augen —nicht verwunderlich. Ganz zu schweigen von der geknebelten Aes Sedai. Er erwartete, daß sie sagen würde, sie wollten sofort aufbrechen, aber statt dessen sagte sie: »Wir werden Euer freundliches Angebot annehmen. Ein oder zwei Tage Rast in Eurem Lager sind vielleicht genau das Richtige.«
»Wir Ihr meint, Herrin Maighdin«, erwiderte er gemächlich. Es fiel ihm schwer, seine Überraschung zu verbergen. Besonders da er gerade die beiden Männer erkannt hatte, die ihre Pferde zwischen sich und ihm zu halten versuchten. War Ta'veren am Werk gewesen, sie hierher zu bringen? Es war auf jeden Fall eine seltsame Wendung. »Es ist vielleicht genau das Richtige.«