23 Kriegswirren

Der Regen hatte vorübergehend aufgehört. Rand führte Tai'daishar um einen entwurzelten Baum herum und blickte stirnrunzelnd auf einen toten Mann hinab, der auf dem Rücken hinter dem Baumstamm lag. Der Bursche war klein und gedrungen, das Gesicht faltig und seine Rüstung ganz aus blauen und grünen Plättchen. Blicklos starrte er in die schwarzen Wolken über ihnen. Er ähnelte Eagan Padros sehr, bis hin zu dem fehlenden Bein. Offensichtlich ein Offizier. Das Schwert neben seiner ausgestreckten Hand besaß ein in der Form einer Frau geschnitztes Elfenbeinheft, und sein glänzender Helm, der wie der Kopf eines riesigen Insekts aussah, wies zwei lange, dünne blaue Federn auf.

Entwurzelte und zersplitterte Bäume, einige hell lodernd in Flammen, lagen auf gut fünfhundert Schritt Breite über den Berghang verstreut, wie auch Leichname mit gebrochenen Gliedern oder in Stücke gerissen, als Saidin den Berghang verheerte. Die meisten trugen Stahlschleier über den Gesichtern und Brustharnische mit waagerechten farbigen Streifen. Dem Licht sei Dank, daß keine Frauen dabei waren. Die verletzten Pferde waren getötet worden — noch etwas, wofür man dankbar sein mußte. Es war unglaublich, wie laut ein Pferd schreien konnte.

Denkst du, die Toten schweigen? Lews Therins Lachen klang rauh. Glaubst du das? Gequälter Zorn schwang in seiner Stimme mit. Die Toten schreien mich an.

Mich auch, dachte Rand betrübt. Ich kann es nicht ertragen, ihnen zuzuhören, aber wie bringt man sie zum Schweigen! Lews Trierin begann, um seine verlorene Ilyena zu weinen.

»Ein großer Sieg«, psalmodierte Weiramon hinter Rand und murrte dann: »Aber es ist nur wenig Ehre damit verbunden. Die alte Kampfart ist die beste.« Schlamm befleckte Rands Jacke überall, aber Weiramon schien überraschenderweise noch ebenso unbeeinträchtigt wie auf der Silberstraße. Sein Helm und seine Rüstung glänzten. Wie war ihm das gelungen? Die Taraboner hatten letztendlich angegriffen und Lanzen und Mut gegen die Eine Macht aufgeboten. Weiramon hatte seinen Angriff geführt, um sie zu vernichten, ohne den Befehl dazu und gefolgt von allen Tairenern außer den Verteidigern — überraschenderweise sogar von einem halbwegs betrunkenen Torean und von Semaradrid und Gregorin Panar, zusammen mit den meisten der Cairhiener und Illianer. Es war zu diesem Zeitpunkt schwer gewesen auszuharren, und jedermann wollte etwas tun, was er beherrschte. Die Asha'man hätten es schneller schaffen können, wenn auch ungeordneter.

Rand hatte sich nicht an den Kämpfen beteiligt, außer daß er dort im Sattel gesessen hatte, wo die Männer ihn sehen konnten. Er hatte Angst gehabt, die Macht zu ergreifen. Er wagte es nicht, ihnen gegenüber Schwäche zu zeigen. Keinesfalls. Lews Therin schwatzte bei dem Gedanken entsetzt drauflos.

In gleichem Maße überraschend wie Weiramons saubere Jacke war die Tatsache, daß Anaiyella mit ihm ritt und ausnahmsweise einmal nicht affektiert lächelte. Ihr verkniffenes Gesicht drückte Mißbilligung aus. Seltsamerweise verdarb das ihr Aussehen nicht halb so sehr wie ihr eingebildetes Lächeln. Sie hatte ebensowenig an dem Angriff teilgenommen wie Ailil, aber Anaiyellas Pferdemeister hatte mitgekämpft, und der Mann war mit Gewißheit tot, da eine tarabonische Lanze in seiner Brust stak, was ihr überhaupt nicht gefiel. Aber warum begleitete sie Weiramon? Nur weil sie Tairener waren, die sich zusammenscharten? Vielleicht. Sie war in Begleitung Sunamons gewesen, soweit Rand zuletzt gesehen hatte.

Bashere trieb seinen Kastanienbraunen den Hang hinauf und umrundete die Toten, während er sie nicht mehr zu beachten schien als einen zersplitterten Baumstamm oder einen brennenden Stumpf. Sein Helm hing am Sattel, und seine Panzerhandschuhe steckten hinter dem Schwertgürtel. Seine rechte Seite wie auch die seines Pferdes war schlammbespritzt.

»Aracome ist tot«, sagte er. »Flinn hat ihn zu Heilen versucht, aber ich glaube nicht, daß Aracome so leben wollte. Bisher sind es annähernd fünfzig Tote, und auch einige der Verwundeten überleben vielleicht nicht.« Anaiyella erbleichte. Rand hatte sie in Aracomes Nähe gesehen, wo sie sich übergab. Tote Bürgerliche berührten sie nicht so sehr.

Rand verspürte einen Moment Mitleid. Nicht für sie und auch nicht allzu sehr für Aracome. Aber für Min, obwohl sie sicher in Cairhien war. Min hatte Aracomes Tod vorausgesagt, und Gueyams und Maraconns Tod ebenso. Was auch immer sie gesehen hatte — Rand hoffte, daß es der Realität nicht einmal nahe gekommen war.

Die meisten Soldaten kundschafteten erneut. Unten auf der weiten Wiese gaben von Gedwyns Geweihten gewobene Wegetore die Versorgungskarren und die Ersatzpferde frei. Die mit ihnen auftauchenden Männer rissen den Mund auf, sobald sie weit genug gelangt waren, um das Tal sehen zu können. Der morastige Boden war nicht so durchfurcht wie der Hang, und doch durchschnitten zwei Fuß breite und fünfzig Fuß lange geschwärzte Rinnen das braune Gras. Gähnende Öffnungen waren erkennbar, die vielleicht nicht einmal ein Pferd überspringen könnte. Sie hatten die Damane noch nicht entdeckt. Rand glaubte, es handele sich nur um eine. Weitere hätten unter diesen Umständen erheblich größeren Schaden angerichtet.

Männer machten sich um ein paar kleine Feuer zu schaffen, auf denen unter anderem Teewasser kochte. Dieses Mal vermischten sich Tairener, Cairhiener und Illianer und nicht nur die Bürgerlichen. Semaradrid teilte seine Sattelflasche mit Gueyam, der mit einer Hand müde über seinen kahlen Kopf rieb. Maraconn und Kiril Drapaneos, ein schlaksiger Mann mit einem viereckig geschnittenen Bart und einem schmalen Gesicht, hockten auf den Fersen in der Nähe eines der Feuer. Sie spielten anscheinend Karten! Torean hatte einen ganzen Kreis lachender junger cairhienischer Adliger um sich versammelt, obwohl sie vielleicht weniger belustigt über seine Spaße als über die Art waren, wie er schwankte und seine Kartoffelnase rieb. Die Legionäre hielten sich fern, aber sie hatten die ›Freiwilligem aufgenommen, die Padros zum Banner des Lichts gefolgt waren. Sie schienen eifriger bemüht als alle anderen, seit sie erfahren hatten, wie Padros gestorben war. Legionäre in blauen Jacken zeigten ihnen, wie man die Richtung änderte, ohne wie eine Gänseherde auseinanderzugeraten.

Flinn kümmerte sich ebenso um die Verwundeten wie Adley, Morr und Hopwil. Narishma konnte kaum mehr als unbedeutende Schnitte Heilen, nicht besser als Rand, und Dashiva konnte nicht einmal das. Gedwyn und Rochaid standen in eine Unterhaltung vertieft abseits von allen anderen, ihre Pferde auf dem Hügel inmitten des Tals an den Zügeln haltend. Sie hatten erwartet, die Seanchaner auf dem Hügel überraschen zu können, als sie aus den ihn umgebenden Wegetoren gedrungen waren. Fast fünfzig Männer waren tot und weitere würden noch sterben, aber ohne Flinn und die übrigen wären es über zweihundert Tote gewesen. Gedwyn und Rochaid hatten ihre Hände nicht beschmutzen wollen und sahen Rand angewidert an, als er sie doch dazu trieb. Einer der Toten war ein Soldat, und ein weiterer Soldat, ein rundgesichtiger Cairhiener, saß zusammengesunken und mit benommenem Blick neben einem Feuer. Rand hoffte, daß dieser Blick nur dadurch bedingt war, daß der Mann durch den unter seinen Füßen aufbrechenden Boden durch die Luft geschleudert worden war.

Unten auf der furchendurchzogenen Ebene beriet sich Ailil mit ihrem Heerführer, einem blassen kleinen Mann namens Denharad. Ihre Pferde standen fast auf Tuchfühlung zusammen, und sie blickten gelegentlich den Berg hinauf zu Rand. Was führten sie im Schilde?

»Nächstesmal werden wir es besser machen«, murrte Bashere. Er ließ seinen Blick über das Tal wandern und schüttelte dann den Kopf. »Der schlimmste Fehler ist, denselben Fehler zweimal zu machen, und das werden wir nicht tun.«

Weiramon hörte ihn und sagte das gleiche, wobei er aber zwanzigmal so viele, überaus blumige Worte gebrauchte. Ohne zuzugeben, daß Fehler gemacht worden waren, und gewiß nicht von seiner Seite. Rands Fehler verschwieg er mit derselben Gewandtheit.

Rand nickte mit zusammengepreßten Lippen. Sie würden es das nächste Mal besser machen. Sie mußten es besser machen, wenn er nicht die Hälfte seiner Männer in diesen Bergen begraben wollte. Nun fragte er sich, was er mit den Gefangenen tun sollte.

Die meisten Feinde, die dem Tod auf dem Berghang entronnen waren, hatten sich durch den verbliebenen Wald zurückziehen können. Bashere behauptete, dies sei erstaunlich geordnet geschehen, wenn man die Umstände bedachte, und doch bedeuteten sie jetzt wahrscheinlich keine große Bedrohung mehr. Es sei denn, sie hätten Damane bei sich. Ungefähr einhundert Männer, denen man Waffen und Harnische abgenommen hatte, saßen unter den wachsamen Blicken von zwei Dutzend berittenen Gefährten und Verteidigern zusammengesunken auf dem Boden. Es waren überwiegend Taraboner, von denen einige die Köpfe hoben und ihre Wächter verspotteten. Gedwyn hatte sie nach ihrer Befragung töten wollen. Weiramon kümmerte es nicht, ob ihnen die Kehlen durchgeschnitten wurden, aber er betrachtete Folter als Zeitverschwendung. Er beharrte darauf, daß niemand etwas Nützliches wüßte. Es war kein einziger Adliger dabei.

Rand schaute zu Bashere. Weiramon fuhr noch immer tönend fort. »... diese Berge für Euch freifegen, mein Lord Drache. Wir werden sie unter unseren Hufen zertreten und ...« Anaiyella nickte grimmig.

»Sechs gewonnen und ein halbes Dutzend verloren«, sagte Bashere leise. Er kratzte sich mit einem Fingernagel Schlamm aus seinem dichten Schnurrbart. »Oder wie einige meiner Lehnsleute sagen: Was man hier erringt, verliert man dort wieder.« Er war sehr hilfreich!

Und dann verschlimmerte einer von Basheres Spähtrupps die Dinge noch.

Die sechs Männer stießen mit den Enden ihrer Lanzen eine Gefangene vor ihren Pferden den Hang entlang. Sie war eine schwarzhaarige Frau in einem zerrissenen und verschmutzten dunkelblauen Gewand mit roten Abzeichen auf der Brust und gespaltenen Blitzen auf den Röcken. Ihr Gesicht war ebenfalls verschmutzt und tränenverschmiert. Sie stolperte und fiel hin, obwohl das Stoßen mit den Lanzenenden eher eine Geste als eine wirkliche Berührung war. Sie sah ihre Gefangenenwärter verächtlich an und spie einmal aus. Sie verhöhnte sogar Rand.

»Habt Ihr sie verletzt?« fragte er. Es war vielleicht eine seltsame Frage bei einem Feind — nach allem, was in diesem Tal geschehen war. Und bei einer Sul'dam. Aber er war einfach damit herausgeplatzt.

»Wir nicht, mein Lord Drache«, sagte der mürrische Anführer des Spähtrupps. »Wir haben sie so gefunden.« Er kratzte sich durch seinen langen Bart hindurch das Kinn und sah Bashere hilfesuchend an. »Sie behauptet, wir hätten ihre Gille getötet. Einen Lieblingshund vielleicht oder eine Katze, nach dem, was sie weiterhin sagte. Ihr Name ist Nerith. Soviel haben wir aus ihr herausbekommen.« Die Frau wandte sich um und sah ihn erneut verächtlich an.

Rand seufzte. Kein Lieblingshund. Nein! Dieser Name gehörte nicht auf die Liste! Aber er konnte hören, wie die Litanei der Namen sich in seinem Kopf abspulte, und ›Gille die Damane‹ befand sich darunter. Lews Therin betrauerte seine Ilyena. Ihr Name stand auch auf der Liste. Rand hielt es für berechtigt.

»Ist sie eine seanchanische Aes Sedai?« fragte Anaiyella unvermittelt und beugte sich über ihren Sattelknauf, um Nerith genauer zu betrachten. Nerith spie auch sie an, die Augen vor Zorn geweitet. Rand erklärte das wenige, was er über Sul'dam wußte, daß sie Frauen, welche die Macht lenken konnten, mit Hilfe eines Ter'angreals kontrollierten, aber die Macht nicht selbst lenken konnten, und zu seiner Überraschung sagte die elegante, einfältig lächelnde Hochdame kühl: »Wenn sich mein Lord Drache befangen fühlt, werde ich sie für ihn hängen lassen.« Nerith spie sie erneut voller Verachtung an! Sie besaß gehörigen Mut.

»Nein!« grollte Rand. Licht, was die Menschen alles tun würden, um sich gut mit ihm zu stellen! Vielleicht war Anaiyella ihrem Pferdemeister auch näher gewesen, als es schicklich war. Der Mann war kräftig, bereits kahl und ein Bürgerlicher gewesen, was bei Tairenern erhebliches Gewicht hatte, aber Frauen hatten bei Männern bekanntlich einen merkwürdigen Geschmack.

»Sobald wir zum Aufbruch bereit sind«, befahl er Bashere, »laßt Ihr die Männer dort unten frei.« Es stand außer Frage, Gefangene mitzuschleppen, wenn er seinen nächsten Angriff führte, und einhundert Mann und später gewiß noch mehr zurückzulassen und dann mit den Versorgungskarren mitzuschicken,barg ein zu hohes Risiko. Sie konnten keine Verwicklungen heraufbeschwören, wenn man sie zurückließ. Selbst die Burschen, die zu Pferde entkommen waren, vermochten eine Warnung nicht schneller zu überbringen, als er Reisen konnte.

Bashere zuckte leicht die Achseln. Vielleicht war es so, aber andererseits gab es stets Zufälle. Merkwürdige Dinge geschahen selbst dann, wenn kein Ta'veren in der Nähe war.

Weiramon und Anaiyella öffneten fast gleichzeitig den Mund, um zu protestieren, aber Rand fuhr eilig fort. »Es ist entschieden! Wir werden die Frau jedoch bei uns behalten und alle weiteren Frauen, die wir gefangennehmen.«

»Verdammt«, rief Weiramon aus. »Warum?« Der Mann schien wie vom Donner gerührt, und auch Bashere riß bestürzt den Kopf hoch. Anaiyella verzog verächtlich den Mund, bevor es ihr gelang, ein einfältiges Lächeln für den Lord Drache aufzusetzen. Sie hielt ihn eindeutig für zu weich, eine Frau mit den übrigen fortzuschicken. Sie würden in diesem Gelände nur mühsam vorankommen, ganz zu schweigen von den knappen Rationen, und auch das Wetter war nicht für Frauen geeignet.

»Ich habe bereits genügend Aes Sedai gegen mich, warum also sollte ich Nerith wieder fortschicken«, belehrte er sie. Das Licht wußte, daß es wahr war! Sie nickten, auch wenn Weiramon dies zögerlich tat. Bashere schien erleichtert und Anaiyella enttäuscht. Aber was sollte er mit dieser Frau und weiteren tun, die er gefangennahm? Er hatte nicht die Absicht, die Schwarze Burg in ein Gefängnis zu verwandeln. Die Aiel könnten sie festhalten. Nur daß die Weisen Frauen ihnen vielleicht in dem Moment die Kehlen durchschnitten, wenn er ihnen den Rücken wandte. Was war jedoch mit den Schwestern, die Mat mit Elayne nach Caemlyn brachte? »Wenn dies vorbei ist, werde ich sie einigen von mir auserwählten Aes Sedai übergeben.« Sollten sie es als Geste seines guten Willens ansehen, ein wenig Besänftigung dafür, daß sie seinen Schutz akzeptieren mußten.

Kaum waren ihm die Worte entschlüpft, als Nerith totenblaß wurde und lauthals schrie. Weiterhin unaufhörlich schreiend, stürzte sie den Hang hinab, kletterte eilig über umgestürzte Bäume, fiel hin und rappelte sich wieder hoch.

»Verdammt! Fangt sie wieder ein!« fauchte Rand. Der saldaeanische Spähtrupp hetzte der Frau hinterher und ließ die Pferde über die Hindernisse setzen, ohne gebrochene Beine oder Hälse in Betracht zu ziehen, woraufhin sie noch unbedachter zwischen den Pferden umhersprang.

Am Eingang des östlichsten Passes eröffnete sich mit einem Silberblitz ein Wegetor. Ein Soldat in schwarzer Jacke zog sein Pferd hindurch, sprang in den Sattel, als das Wegetor erlosch, und trieb sein Tier zum Galopp in Richtung des Hügelkamms an, wo Gedwyn und Rochaid warteten. Rand beobachtete dies ungerührt. Lews Therin knurrte in seinem Kopf, man müsse alle Asha'man töten, bevor es zu spät wäre.

Als die drei Männer den Hang zu Rand hinaufritten, hatten vier der Saldaeaner Nerith auf den Boden gepreßt und fesselten ihre Hände und Füße. So wie sie um sich schlug und biß, waren vier Mann dazu nötig, und ein belustigter Bashere bot eine Wette an, daß sie die vier Männer überwältigte. Anaiyella murrte, man solle der Frau den Schädel spalten. Rand sah sie stirnrunzelnd an.

Der Soldat zwischen Gedwyn und Rochaid sah Nerith unbehaglich an, als sie vorüberritten. Rand erinnerte sich vage daran, ihn an dem Tag in der Schwarzen Burg gesehen zu haben, als er zum ersten Mal die silbernen Schwerter verteilte und Taim die allererste Drachen-Anstecknadel verlieh. Der junge Mann hieß Varil Nensen und trug noch immer den seinen dichten Schnurrbart verbergenden, durchscheinenden Schleier. Er hatte jedoch nicht gezögert, als er sich seinen Landsleuten gegenübersah. Seine Treue galt jetzt der Schwarzen Burg und dem Wiedergeborenen Drachen — wie zumindest Taim stets betonte. Der zweite Teil dieser Aussage klang stets wie ein Nachgedanke.

»Euch wird die Ehre zuteil, dem Wiedergeborenen Drachen selbst Bericht zu erstatten, Soldat Nensen«, sagte Gedwyn widerwillig.

Nensen richtete sich im Sattel auf. »Mein Lord Drache!« bellte er und schlug sich mit der Faust an die Brust. »Weitere Feinde stehen ungefähr dreißig Meilen westlich von hier, mein Lord Drache.« Dreißig Meilen war der Radius, den Rand den Kundschaftern zu sondieren befohlen hatte, bevor sie zurückkehren sollten. Was nützte es, wenn ein Soldat Seanchaner fand, während die übrigen noch weiter westlich zogen? »Vielleicht die Hälfte derer, die hier waren«, fuhr Nensen fort. »Und ...« Seine dunklen Augen zuckten erneut zu Nerith. Sie war jetzt gefesselt, und die Saldaeaner bemühten sich gerade, sie auf ein Pferd zu binden. »Und ich habe keinerlei Frauen gesehen, mein Lord Drache.«

Bashere blickte blinzelnd gen Himmel. Dunkle Wolken zogen von Gipfel zu Gipfel, aber die Sonne sollte noch hoch am Himmel stehen. »Es ist an der Zeit, die Männer zu verköstigen, bevor die übrigen zurückkehren«, sagte er und nickte zufrieden. Nerith hatte es geschafft, ihre Zähne in das Handgelenk eines Saldaeaners zu schlagen, und sie ließ nicht locker.

»Verköstigt sie rasch«, sagte Rand verärgert. Würde sich jede Sul'dam, die er gefangennahm, als so schwierig erweisen? Höchstwahrscheinlich. Licht, was würde geschehen, wenn sie eine Damane gefangennahmen? »Ich will nicht den ganzen Winter in diesen Bergen verbringen.« Gille die Damane. Er konnte einen Namen nicht mehr auslöschen, wenn er erst auf jene Liste gelangt war.

Die Toten schweigen niemals, flüsterte Lews Therin. Die Toten schlafen niemals.

Rand ritt zu den Feuern hinab, aber er hatte keinen Appetit.

Furyk Karede betrachtete von der Spitze eines Felsvorsprungs aus die bewaldeten Berge ringsherum, scharfe Spitzen wie bedrohliche Fänge. Sein großer, gescheckter Wallach richtete die Ohren auf, als vernehme er etwas, das Karede entgangen war, aber ansonsten stand das Tier still. Karede mußte häufig anhalten und die Linse seines Fernrohrs abwischen. Leichter Regen fiel aus einem grauen Morgenhimmel. Die beiden schwarzen Federn auf seinem Helm waren gebeugt statt aufgerichtet, und Wasser lief seinen Rücken hinab. Der Regen war unbedeutend, jedenfalls im Vergleich zu gestern. Im Süden rollte drohend Donner. Karedes Sorge galt jedoch nicht dem Wetter.

Unter ihm schlängelten sich die letzten von zweitausenddreihundert Mann auf gewundenen Pässen. Sie ritten gute Pferde und wurden recht gut geführt, obwohl nur zweihundert von ihnen Seanchaner waren — und nur zwei außer ihm selbst trugen das Rot-Grün der Garde. Das größte Kontingent stellten die Taraboner —er kannte ihren Charakter —, aber ein gutes Drittel waren Amadicianer und Altaraner, die erst vor allzu kurzer Zeit ihren Eid geleistet hatten, als daß irgend jemand sicher sein konnte, wie sie sich bewähren würden. Einige Altaraner und Amadicianer hatten bereits zwei- oder dreimal die Seiten gewechselt, oder zumindest hatten sie es versucht. Die Menschen auf dieser Seite des Aryth-Meeres besaßen kein Schamgefühl. Ein Dutzend Sul'dam ritt fast am Anfang der Kolonne, und er wünschte, alle zwölf hätten die neben ihren Pferden laufenden Damane gekoppelt anstatt nur zwei.

Fünfzig Schritt weiter beobachteten die zehn Männer der Vorausabteilung die Hänge über ihnen, wenn auch nicht so aufmerksam, wie sie es hätten tun sollen. Zu viele Männer, die als Vorausabteilung ritten, verließen sich darauf, daß die vor ihnen befindlichen Kundschafter Gefahren entdeckten. Karede nahm sich vor, persönlich mit diesen Männern zu sprechen. Sie würden ihre Pflicht danach ordentlicher erfüllen, sonst würde er sie in die Arbeitstrupps versetzen.

Ein Raken erschien östlich vor ihnen, glitt tief über die Baumwipfel, drehte ab und folgte den Windungen der Landschaft. Eigenartig. Morat'mken, Flieger, flogen stets gern in großer Höhe, es sei denn, der Himmel war von Blitzen durchzuckt. Karede senkte das Fernrohr, um hinzuschauen.

»Vielleicht erhalten wir letztendlich einen weiteren Kundschafterbericht«, bemerkte Jadranka zu den hinter Karede wartenden Offizieren, nicht zu ihm. Drei der zehn Männer bekleideten denselben Rang wie Karede, und doch störten nur wenige außer dem Adel einen Mann im Blutrot und fast schwarzen Grün der Totenwache. Nicht daß viele Adlige es getan hätten.

Den Geschichten zufolge, die er als Kind gehört hatte, war einer seiner adligen Vorfahren Luthair Paendrag auf Artur Falkenflügels Befehl hin nach Seanchan gefolgt, und zweihundert Jahre später, als nur der Norden sicher war, hatte ein weiterer Vorfahr versucht, ein eigenes Königreich zu errichten, endete allerdings statt dessen damit, daß er vom Henker freigekauft werden mußte. Vielleicht war es so gewesen. Viele Da'covale beanspruchten zumindest untereinander adlige Vorfahren, aber nur wenige Adlige empfanden solches Geschwätz als belustigend. Auf jeden Fall hatte Karede Glück empfunden, als die Erwähler ihn aussuchten, einen kräftigen Knaben, der noch zu jung war, als daß man ihm Pflichten zugewiesen hätte, und er war noch immer stolz auf die auf seine Schultern tätowierten Raben. Viele Totenwächter gingen ohne Jacke oder Hemd umher, wann immer es möglich war, um die Tätowierungen zu zeigen.

Karede war ein Da'covale, der Besitz des Kristallthrons, mit Körper und Seele, und er war wie jeder Mann der Garde stolz darauf. Er kämpfte, wo immer die Herrscherin ihn hinschickte, und würde an dem Tag sterben, an dem sie es ihm befahl. Die Garde gehorchte allein der Herrscherin, und wo sie erschien, trat sie als ihr Arm auf, als sichtbare Mahnung an alle. Es war nicht verwunderlich, daß sich einige Adlige unbehaglich fühlten, wenn sie eine Abordnung der Garde vorüberziehen sahen. Es war ein weitaus besseres Leben, als die Ställe eines Lords auszumisten oder einer Lady Kaf zu servieren. Aber er verfluchte das Schicksal, das ihn zur Inspektion der Außenposten in diese Berge geschickt hatte.

Der Raken schwebte weiterhin westwärts, die beiden Flieger tief in den Sattel gekauert. Es gab keinen Kundschafterbericht, keine Nachricht für ihn. Furyk wußte, daß er es sich einbildete, aber der lange, ausgestreckte Hals des Wesens wirkte irgendwie ... angstvoll. Wäre er jemand anderer gewesen, hätte er vielleicht auch Angst empfunden. Es hatte nur wenige Nachrichten für ihn gegeben, seit er vor drei Tagen seine Befehle erhalten hatte, das Kommando zu übernehmen und westwärts zu ziehen, und jede Nachricht hatte eher noch mehr Verwirrung als Klarheit hervorgerufen.

Die Ortsansässigen, diese Altaraner, waren anscheinend in großer Anzahl in die Berge gezogen, aber wie? Die Straßen im Norden des Gebirges wurden von Kundschaftertrupps kontrolliert und fast bis zur Grenze nach Illian bewacht, sowohl von Fliegern und Morat'torm als auch von berittenen Truppen. Was hatte die Altaraner zu der Entscheidung veranlaßt, so stark die Zähne zu zeigen? Zusammengehörigkeit? Man konnte bei ihnen schon durch einen Blick ein Duell heraufbeschwören — obwohl sie allmählich lernten, daß es nur eine langsamere Art war, die Kehle durchgeschnitten zu bekommen, wenn man einen Gardisten herausforderte. Aber er hatte Adlige dieser sogenannten Nation erlebt, die einander und ihre Königin für die bloße Zusicherung verkaufen wollten, daß ihre eigenen Ländereien verschont und ihnen zudem diejenigen ihrer Nachbarn einverleibt würden.

Nadoc, ein großer Mann mit einem trügerisch sanften Gesicht, wandte sich im Sattel um und beobachtete den Raken. »Ich marschiere nicht gern blind«, murrte er. »Nicht, wenn es den Altaranern gelungen ist, vierzigtausend Mann hier herauf zu bringen. Mindestens vierzigtausend.«

Jadranka schnaubte so laut, daß sein großer weißer Wallach scheute. Der älteste der drei Hauptmänner hinter Karede diente schon ebenso lange wie Karede selbst, ein kleiner dünner Mann mit auffälliger Nase und einer untadeligen Haltung. Sein Pferd war ebenfalls auffällig. »Vierzigtausend oder einhundert, Nadoc, sie sind von hier bis zum Ende der Berge verstreut, zu weit voneinander entfernt, um sich gegenseitig beizustehen. Verdammt, die Hälfte von ihnen ist sicherlich bereits tot. Vermutlich sind sie überall mit den Außenposten aneinandergeraten, darum erhalten wir keine Berichte. Es wird einfach von uns erwartet, daß wir die Überreste beseitigen.«

Karede unterdrückte ein Seufzen. Er hatte gehofft, Jadranka sei kein Narr. Siegesmeldungen verbreiteten sich schnell, aber die seltenen Niederlagen wurden verschwiegen und vergessen. Soviel Schweigen war ... unheilvoll.

»Der letzte Bericht klang nicht, als gehe es nur um die Überreste«, beharrte Nadoc. Er war kein Narr. »Keine fünfzig Meilen vor uns stehen fünfzigtausend Mann, und ich bezweifle, daß wir sie einfach aus dem Weg räumen können.«

Jadranka schnaubte erneut. »Wir werden sie vernichten, mit Schwertern oder mit bloßen Händen. Das Licht verdamme mich, aber ich kann ein ordentliches Gefecht kaum erwarten. Ich habe den Kundschaftern befohlen, zügig vorzustoßen, bis sie sie gefunden haben. Ich werde sie nicht entwischen lassen.«

»Ihr habt was getan?« fragte Karede sanft.

Trotz der vermeintlichen Sanftheit zogen seine Worte aller Aufmerksamkeit auf sich. Nadoc und einige wenige andere hatten Mühe, Jadranka nicht anzustarren. Kundschaftern wurde befohlen, zügig vorzustoßen, Kundschaftern wurde gesagt, wonach sie Ausschau halten sollten. Was war unbemerkt geblieben, wenn solche Befehle erteilt wurden?

Bevor jemand den Mund öffnen konnte, erklangen Schreie von den Männern im Paß und das schrille Wiehern von Pferden.

Karede preßte das Fernrohr an sein Auge. Auf dem vor ihm liegenden Paß starben Männer und Pferde unter einem Hagel von Armbrustpfeilen, da nichts sonst die stählernen Brustharnische und Kettenpanzer hätte durchschlagen können. Hunderte lagen bereits am Boden, weitere Hunderte hingen verwundet im Sattel oder liefen zu Fuß vor den stampfenden Pferden davon. Zu viele liefen davon. Noch als er hinsah, rissen Reiter ihre Pferde herum und versuchten, den Paß hinauf zu fliehen. Wo, im Licht, waren die Sul'daml Keine Spur war von ihnen zu entdecken. Er hatte Aufständischen gegenübergestanden, die Sul'dam und Damane zur Verfügung hatten und die stets so rasch wie möglich getötet werden mußten. Vielleicht hatten die Ortsansässigen das gelernt.

Plötzlich begann der Boden die ganze Kolonne seiner Männer entlang in brüllenden Fontänen aufzubrechen, die Männer und Pferde ebenso leicht in die Luft schleuderten wie Erde und Steine. Blitze zuckten aus dem Himmel herab, blauweiße Pfeile, die Erde und Menschen gleichermaßen spalteten. Einige Männer wurden einfach so in Stücke gerissen. Hatten die Ortsansässigen eigene Damane? Nein, es mußten jene Aes Sedai sein.

»Was sollen wir tun?« fragte Nadoc. Er klang erschüttert, wozu er auch allen Grund hatte.

»Denkt Ihr daran, Eure Männer im Stich zu lassen?« höhnte Jadranka. »Wir sammeln sie und greifen an, Ihr ...!« Er brach gurgelnd ab, als Karedes Schwertspitze in seine Kehle eindrang. Manchmal konnte man Narren tolerieren und manchmal nicht. Als der Mann aus dem Sattel stürzte, wischte Karede seine Klinge geschickt an der weißen Mähne des Wallachs ab, bevor das Tier davonjagte. Manchmal mußte man auch ein wenig auftrumpfen.

»Wir sammeln, was möglich ist, Nadoc«, sagte er, als hätte es Jadranka nie gegeben. »Wir retten, was zu retten ist, und dann ziehen wir uns zurück.«

Während er sein Pferd wendete, um zum Paß hinab zu reiten, wo Blitze zuckten und Donner brüllte, befahl er Anghar, einem jungen Mann mit stetem Blick und einem schnellen Pferd, ostwärts zu reiten und zu berichten, was sich hier ereignet hatte. Vielleicht würde ein Flieger sehen, was geschah, vielleicht aber auch nicht, obwohl Karede jetzt zu wissen glaubte, warum sie niedrig flogen. Er vermutete, daß die Hochdame Suroth und die Generäle in Ebou Dar bereits wußten, was hier oben vor sich ging. War heute der Tag, an dem er für die Herrscherin sterben würde? Er trieb seinem Pferd die Fersen in die Flanken.

Rand spähte von dem flachen, dünn bewaldeten Kamm westwärts über den Wald vor ihm. Da die Macht ihn durchströmte — Leben, so lieblich; Widerwärtigkeit, oh, so widerwärtig —- konnte er sogar einzelne Blätter erkennen, aber das genügte nicht. Tai'daishar stampfte mit den Hufen auf. Die gezackten Gipfel ringsum überragten den Kamm um eine Meile oder mehr, aber der Kamm ragte wiederum ein gutes Stück über den tiefer gelegenen Baumwipfeln eines welligen, bewaldeten Tals von über einer Meile Länge und fast ebenso umfangreicher Breite auf. Dort unten war alles ruhig. So still wie das Nichts, in dem er schwebte. Jedenfalls im Moment. Hier und dort stiegen Rauchwolken von Gruppen von zwei oder drei wie Fackeln brennenden Bäumen auf. Nur die Nässe verhinderte, daß sie das Tal in ein Flammenmeer verwandelten.

Flinn und Dashiva waren als einzige Asha'man noch bei ihm, alle übrigen befanden sich unten im Tal. Die beiden standen ein Stück von ihm entfernt am Waldrand, hielten ihre Pferde am Zügel und blickten ebenfalls auf das bewaldete Tal hinab. Nun, Flinn blickte hinab, ebenso angespannt wie Rand selbst. Dashiva schaute nur gelegentlich hin, verzog den Mund und murmelte manchmal auf eine Art vor sich hin, die Flinn beunruhigte, so daß er Dashiva von der Seite ansah. Die Macht erfüllte beide Männer fast im Überfluß, und doch schwieg Lews Therin zur Abwechslung. Der Mann zog sich während der letzten Tage anscheinend immer mehr zurück.

Die Sonne schien wahrhaftig, und es waren nur verstreut graue Wolken zu sehen. Fünf Tage waren vergangen, seit Rand sein kleines Heer nach Altara gebracht hatte und er seinen ersten seanchanischen Toten gesehen hatte. Seitdem hatte er noch einige gesehen. Gedanken glitten über die Oberfläche des Nichts. Er konnte spüren, wie der in seine Handfläche eingebrannte Reiher durch seinen Handschuh gegen das Drachenszepter drückte. Still. Es waren keine Flugwesen zu sehen. Drei davon waren gestorben, von Blitzen vom Himmel geholt, bevor ihre Reiter fernzubleiben lernten. Bashere war von den Wesen fasziniert. Ruhig.

»Vielleicht ist es vorbei, mein Lord Drache.« Ailils Stimme klang ruhig und kühl, aber sie tätschelte ihrer Stute den Hals, obwohl das Tier keinen Trost brauchte. Sie sah Flinn und Dashiva von der Seite an und richtete sich dann auf, entschlossen, vor ihnen nicht einen Hauch Beunruhigung zu zeigen.

Rand merkte, daß er summte, und hielt jäh inne. Das war Lews Therins Angewohnheit, wenn er eine hübsche Frau ansah, nicht seine. Nicht seine! Licht, wenn er bereits die Verschrobenheiten des Burschen übernahm, noch dazu, wenn er gar nicht da war ...!

Plötzlich dröhnte im Tal hohler Donner. Feuer flammte in gut zwei Meilen oder mehr Entfernung in Fontänen zwischen den Bäumen auf, dann erneut und immer wieder. Blitze krachten nicht weit von der Stelle in den Wald, wo hohe Flammen aufgebrochen waren, einzelne Blitze wie gezackte, blauweiße Lanzen. Ein Schauer von Blitzen und Feuer, und dann war alles wieder still. Dieses Mal standen keine Bäume in Flammen.

Einiges davon war Saidin gewesen. Einiges davon.

Schreie erklangen, dumpf und fern und wohl aus einem anderen Teil des Tals. Selbst für Rands durch Saidin verstärktes Hörvermögen zu weit entfernt, um das Krachen von Stahl zu hören. Trotz allem kämpften nicht nur Asha'man, Geweihte und Soldaten.

Anaiyella atmete tief aus. Sie mußte den Atem schon angehalten haben, seit der Austausch mit der Macht begann. Männer, die mit Stahl kämpften, beunruhigten sie nicht. Dann tätschelte sie den Hals ihres Pferdes. Der Wallach hatte nur mit einem Ohr gezuckt. Rand hatte das schon häufig an Frauen bemerkt. Wenn sie aufgeregt waren, versuchten sie recht häufig, andere zu trösten, ob sie Trost brauchten oder nicht, wobei ein Pferd auch genügte. Wo war Lews Therin?

Er beugte sich verärgert vor und betrachtete erneut die Baumkronen. Die vielen immergrünen Bäume bildeten trotz der lange herrschenden Trockenheit einen wirksamen Sichtschutz. Wie beiläufig berührte er das schmale Bündel unter dem Ledergurt seines Steigbügels. Er könnte sich einmischen — und blind angreifen. Er könnte in die Wälder hinabreiten — und höchstens zehn Schritt weit sehen. Dort unten wäre er kaum nützlicher als einer der Soldaten.

Ein Wegetor eröffnete sich in geringer Entfernung unter den Bäumen auf dem Kamm. Ein silbriger Schlitz erweiterte sich zu einer Öffnung, die andere Bäume und dichtes Unterholz freigab. Ein Soldat mit kupferfarbener Haut, einem dünnen Schnurrbart und einer kleinen Perle im Ohr trat zu Fuß hervor und ließ das Wegetor wieder verschwinden. Er schob eine Sul'dam vor sich her, deren Handgelenke auf dem Rücken zusammengebunden waren, eine hübsche Frau, wenn man von der purpurfarbenen Beule an ihrer Schläfe absah. Mit dieser hing anscheinend auch ihre finstere Miene und ihr ramponiertes, blätterbehaftetes Gewand zusammen. Sie sah den Soldaten über die Schulter höhnisch an, während er sie den Kamm entlang auf Rand zutrieb, und dann sah sie Rand ebenso höhnisch an.

Der Soldat nahm Haltung an und salutierte gekonnt. »Soldat Arien Nalaam, mein Lord Drache!« bellte er und blickte geradeaus auf Rands Sattel. »Mein Lord Drache befahl, alle gefangenen Frauen zu ihm zu bringen.«

Rand nickte. Seine Überprüfung der Gefangenen, obwohl jeder Dummkopf sehen konnte, was sie waren, sollte nur den Eindruck erwecken, daß er etwas zu tun hätte. »Bringt sie zu den Karren zurück, Soldat Nalaam, und beteiligt Euch dann wieder am Kampf.« Er hätte bei diesen Worten fast mit den Zähnen geknirscht. Sich wieder am Kampf beteiligen! Während Rand al'Thor, der Wiedergeborene Drache und König von Illian, auf seinem Pferd saß und die Baumwipfel anstarrte!

Nalaam salutierte erneut, bevor er die Frau davontrieb. Sie spähte wieder über die Schulter, aber dieses Mal nicht zu dem Soldaten, sondern zu Rand, mit großen Augen und erstaunt geöffnetem Mund. Nalaam hieß sie aus einem unbestimmten Grund erst innehalten, als er den Fleck erreicht hatte, wo er aus dem Wegetor hervorgetreten war. Er hätte sich eigentlich nur ausreichend weit entfernen müssen, um die Pferde nicht zu verletzen.

»Was tut Ihr?« fragte Rand, als Saidin den Mann erfüllte.

Nalaam wandte sich halb zu ihm zurück und zögerte einen Moment. »Es scheint leichter, wenn ich einen Ort benutze, an dem ich bereits ein Wegetor eröffnet habe, mein Lord Drache. Saidin ... Saidin fühlt sich hier für mich... seltsam an.« Seine Gefangene wandte sich mit finsterem Gesicht zu ihm um.

Kurz darauf bedeutete Rand ihm fortzufahren. Flinn gab vor, sich mit dem Sattelgurt seines Pferdes zu beschäftigen, aber der kahl werdende alte Mann lächelte schwach und beinahe überheblich. Dashiva ... kicherte. Flinn hatte als erster erwähnt, daß sich Saidin in diesem Tal seltsam anfühlte. Narishma und Hopwil hatten ihn natürlich gehört, und Morr fügte noch seine Geschichten über die ›Fremdartigkeit‹ um Ebou Dar an. So war es nicht verwunderlich, daß jetzt jedermann etwas zu spüren behauptete, obwohl niemand sagen konnte, was es war. Saidin fühlte sich einfach ... eigenartig an. Licht, wie sollte es sich angesichts des Makels sonst anfühlen, der der männlichen Hälfte der Quelle anhaftete? Rand hoffte, daß seine neue Krankheit sie nicht alle befiel.

Nalaams Wegetor eröffnete sich und erlosch hinter ihm und seiner Gefangenen wieder. Rand gab sich ganz dem Erspüren Saidins hin. Leben und Verderbnis vermischten sich. Eis, das tiefsten Winter warm, und Feuer, das die Flammen einer Esse kalt wirken ließ. Tod, der nur darauf wartete, daß er einen Fehler beging. Es fühlte sich überhaupt nicht anders an. Oder doch? Er blickte stirnrunzelnd zu der Stelle, an der Nalaam mit der Frau verschwunden war.

Sie war die vierte Sul'dam, die an diesem Nachmittag gefangengenommen worden war. Das ergab insgesamt dreiundzwanzig Sw/'rfflm-Gefangene bei den Karren und zwei Damane, beide noch mit ihrer silbrigen Koppel und dem Halsband, die auf getrennten Karren befördert wurden. Mit jenen Kragen konnten sie keine drei Schritte tun, ohne noch stärkere Übelkeit zu verspüren als Rand, wenn er die Quelle ergriff. Er war sich nicht sicher, ob die Schwestern bei Mat erfreut wären, sie nach alledem zu sehen. Rand hatte die erste Damane vor drei Tagen nicht für eine Gefangene gehalten. Die schlanke Frau mit hellblondem Haar und großen blauen Augen war eine seanchanische Gefangene, die befreit werden mußte, das dachte er zumindest. Aber als er eine Sul'dam zwang, der Frau ihr Adam abzunehmen, schrie sie, die Sul'dam solle ihr helfen, und griff sofort mit der Macht an. Sie hatte der Sul'dam sogar den Hals dargeboten, damit sie ihr das Halsband wieder umlegte! Neun Verteidiger und ein Soldat waren gestorben, bevor sie abgeschirmt werden konnte. Gedwyn hätte sie augenblicklich getötet, wenn Rand es nicht verhindert hätte. Die Verteidiger, die sich in der Nähe von Frauen, welche die Macht lenken konnten, fast ebenso unwohl fühlten wie andere in der Nähe von Männern mit dieser Fähigkeit, wollten sie noch immer tot sehen. Sie hatten während der vergangenen Tage Verluste im Kampf erlitten, aber es bedeutete für sie anscheinend eine besondere Beleidigung, wenn Männer von einer Gefangenen getötet wurden.

Es hatte mehr Verluste gegeben, als Rand erwartet hatte. Einunddreißig Verteidiger und sechsundvierzig Gefährten waren gestorben sowie mehr als zweihundert Legionäre und Waffenträger der Adligen, sieben Soldaten und ein Geweihter — Männer, denen Rand, bevor sie seinem Ruf nach Illian gefolgt waren, niemals zuvor begegnet war. Zu viele, wenn man bedachte, daß bis auf die schwersten Verletzungen alles Geheilt werden konnte, wenn ein Mann nur lange genug durchhielt. Aber Rand trieb die Seanchaner dennoch unnachgiebig westwärts.

Weitere Schreie erklangen irgendwo weit unten im Tal. Feuer entflammte ungefähr drei Meilen westlich, Blitze zuckten und ließen Bäume umstürzen, Felsen brachen von einem weiter entfernten Berghang herab, seltsame Fontänen, die sich den Hügel entlang zogen. Das brüllende Donnern verschluckte die Schreie. Die Seanchaner zogen sich zurück.

»Reitet hinunter!« befahl Rand Flinn und Dashiva. »Ihr beide. Sucht Gedwyn und sagt ihm, ich hätte den Befehl zum Angriff gegeben!«

Dashiva blickte mit verzerrtem Gesicht auf die Baumkronen und führte sein Pferd dann unbeholfen den Bergkamm entlang. Der Mann hatte kein Geschick darin, Pferde zu reiten oder auch nur zu führen. Er stolperte sogar fast über sein Schwert!

Flinn schaute besorgt zu Rand hoch. »Ihr wollt allein hierbleiben, mein Lord Drache?«

»Ich bin wohl kaum allein«, sagte Rand trocken und blickte zu Ailil und Anaiyella. Sie waren zu ihren Waffenträgern zurückgeritten, fast zweihundert Lanzenträger, die kurz vor der Stelle warteten, wo der Kamm ostwärts abfiel. Ihr Anführer Denharad blickte stirnrunzelnd durch das Visier seines Helms. Er befehligte jetzt beide Gruppen, und während seine Sorge Ailil und Anaiyella galt, gelang es seinen Burschen durch ihr Auftreten noch immer, die meisten Angreifer fernzuhalten. Außerdem hatte Weiramon das nördliche Ende des Kamms gesichert, so daß nicht einmal eine Fliege vorbeikäme, wie er behauptete, und Bashere hielt den Süden, ohne sich jedoch dessen zu rühmen. Bashere errichtete einfach eine Mauer aus Lanzen, ohne darüber zu reden, und die Seanchaner zogen sich daraufhin zurück. »Ich selbst bin auch nicht hilflos, Flinn.«

Flinn kratzte sich skeptisch seinen weißen Haarkranz, bevor er salutierte und sein Pferd auf die Stelle zuführte, wo Dashivas Wegetor bereits erlosch. Er humpelte dahin, schüttelte den Kopf und murrte fast ebenso vernehmlich wie Dashiva. Rand empfand Zorn. Er durfte nicht wahnsinnig werden, und sie auch nicht.

Flinns Wegetor schwand, und Rand kehrte zur Betrachtung der Baumwipfel zurück. Es war wieder ruhig. Die Zeit erstreckte sich in Stille. Es war keine gute Idee gewesen, die Außenposten in den Bergen einnehmen zu wollen. Das gab er jetzt bereitwillig zu. In diesem Gebiet konnte man eine halbe Meile von einem Heer entfernt sein, ohne es zu bemerken. Und in jenen dichten Wäldern dort unten konnte man zehn Fuß davon entfernt sein, ohne es zu bemerken! Er mußte den Seanchanern auf geeigneterem Boden gegenübertreten ...

Er mußte jäh gegen heftige Wogen Saidins ankämpfen, die seinen Schädel zu durchbohren drohten. Das Nichts schwand und schmolz unter dem Ansturm dahin. Erschreckt und benommen ließ er die Quelle los, bevor sie ihn töten könnte. Übelkeit vereinnahmte ihn. Er sah zwei Schwerterkronen auf der dichten Laubdecke vor seinem Gesicht! Er lag am Boden! Er konnte nicht richtig atmen und rang mühsam nach Luft. Von einem der goldenen Lorbeerblätter der Krone war ein Stück abgebrochen, und Blut befleckte mehrere der winzigen goldenen Schwertspitzen. Ein brennender Schmerz an seiner Seite zeigte ihm, daß diese niemals heilenden Wunden aufgebrochen waren. Er versuchte, sich hochzuziehen, schrie auf und starrte in benommenem Erstaunen auf die dunkle Befiederung eines Pfeils, der in seinem rechten Arm stak. Er brach stöhnend zusammen. Etwas lief sein Gesicht herab, tropfte vor seinen Augen. Blut.

Er wurde sich vage klagender Schreie bewußt. Reiter erschienen zwischen den Bäumen im Norden und galoppierten den Kamm entlang, einige mit gesenkten Lanzen und einige mit Kurzbogen, die sie so rasch abfeuerten, wie sie die Pfeile einlegen und die Bogen spannen konnten. Reiter in blaugelber Rüstung und Helmen wie riesige Insektenköpfe. Seanchaner, anscheinend mehrere hundert, die aus dem Norden kamen. Soviel zu Weiramons Fliege.

Rand bemühte sich, die Quelle zu ergreifen. Es war zu spät, sich über Übelkeit oder über seinen Sturz zu sorgen. Ein anderes Mal hätte er vielleicht darüber gelacht. Er bemühte sich.... Es war, als würde er im Dunkeln mit tauben Fingern nach einer Nadel greifen.

Zeit zu sterben, flüsterte Lews Therin. Rand hatte immer schon gewußt, daß Lews Therin am Ende dasein würde.

Keine fünfzig Schritt von Rand entfernt stürzten sich schreiende Tairener und Cairhiener auf die Seanchaner.

»Kämpft, ihr Hunde!« schrie Anaiyella und schwang sich neben Rand aus dem Sattel. »Kämpft!« Die geschmeidige Lady in ihrer Seide und Spitze gab eine Reihe von Flüchen von sich, die selbst einen Wagenlenker sprachlos gemacht hätten.

Anaiyella stand mit den Zügeln ihres Pferdes da und schaute von dem Gewirr von Männern und Stahl zu Rand. Ailil drehte ihn auf den Rücken. Sie kniete sich neben ihn und blickte mit einem unlesbaren Ausdruck in ihren großen dunklen Augen auf ihn herab. Er konnte sich anscheinend nicht bewegen, fühlte sich ausgelaugt und war sich nicht einmal sicher, ob er blinzeln konnte. Schreie und das Zusammenklingen von Stahl tönten in seinen Ohren.

»Wenn er unter unseren Händen stirbt, wird Bashere uns beide hängen!« Anaiyella lächelte jetzt gewiß nicht mehr einfältig. »Und wenn jene schwarz gewandeten Ungeheuer uns erwischen...!« Sie erschauderte, beugte sich näher zu Ailil und fuchtelte mit einem Gürteldolch herum, den Rand zuvor nicht in ihrer Hand bemerkt hatte. Am Heft glänzte ein blutroter Rubin. »Euer Heerführer könnte genügend Männer erübrigen, um uns von hier fortzubringen. Wir könnten schon Meilen entfernt sein, bevor er gefunden wird, wieder auf unseren Ländereien sein ...«

»Ich glaube, er kann uns hören«, unterbrach Ailil sie ruhig. Sie bewegte ihre rot behandschuhten Hände an ihrer Taille. Steckte sie einen Gürteldolch in die Scheide? Oder zog sie einen Dolch? »Wenn er hier stirbt...« Sie brach ebenso abrupt ab wie die andere Frau und wandte ruckartig den Kopf.

Hufe donnerten auf beiden Seiten an Rand vorbei. Die Reiter galoppierten gen Norden auf die Seanchaner zu. Das Schwert in Händen, verhielt Bashere sein Pferd kaum, bevor er aus dem Sattel sprang. Gregorin Panar stieg langsamer ab, schwenkte aber sein Schwert den vorüberreitenden Männern entgegen. »Siegt für den König und Illian!« rief er ihnen zu. »Siegt für den Herrn des Morgens!« Das Zusammenklingen von Stahl verstärkte sich und auch das Schreien.

»Es mußte letztendlich so kommen«, grollte Bashere, während er die beiden Frauen mit mißtrauischen Blicken bedachte. Er verschwendete jedoch nur einen Augenblick, bevor er seine Stimme über das Kampfgetöse erhob. »Morr! Verdammt sei Eure Asha'manhaut. Hier, jetzt!« Er verriet, dem Licht sei Dank, nicht, daß der Lord Drache am Boden lag.

Rand wandte mühsam den Kopf, so daß er sehen konnte, wie die Illianer und Saldaeaner weiterhin nordwärts drängten. Die Seanchaner mußten Boden verloren haben.

»Morr!« Der Name dröhnte durch Basheres Schnurrbart, und dann ließ sich der Gerufene von seinem galoppierenden Pferd fast auf Anaiyella fallen.

Angesichts einer nicht erfolgenden Entschuldigung wirkte sie verstimmt, während sich der Mann neben Rand kniete und sich das dunkle Haar aus dem Gesicht strich. Sie trat jedoch nur allzu schnell zurück, als sie erkannte, daß er die Macht lenken wollte. Ailil erhob sich weitaus gemächlicher, aber sie trat nicht wesentlich langsamer fort. Den Gürteldolch mit dem Silbergriff ließ sie wieder in seine Scheide an ihrer Taille gleiten.

Das Heilen war eine einfache, wenn auch nicht gerade bequeme Angelegenheit. Die Befiederung des Pfeils wurde abgebrochen und der restliche Pfeil mit einem scharfen Ruck, der Rand keuchen ließ, ganz herausgezogen. Schmutz und Holzsplitter würden abfallen, wenn sich die Haut zusammenzog, aber nur Flinn und wenige andere konnten die Macht benutzen, die nötig war, um tieferliegende Bruchstücke zu beseitigen. Morr legte zwei Finger an Rands Brust, schob mit angespanntem Ausdruck die Zunge zwischen die Zähne und wob das Heilgewebe, wie er es stets machte. Anders funktionierte es bei ihm nicht. Es waren nicht die komplizierten Gewebe, die Flinn benutzte. Nur wenige konnten sie gestalten und bisher niemand so gut wie Flinn. Dies war einfacher. Grober. Hitzewellen durchströmten Rand so stark, daß er stöhnte und Schweiß aus jeder Pore strömte. Er zitterte heftig bis zu den Zehen. Ein Braten im Ofen mußte sich ähnlich fühlen.

Der plötzliche Hitzestrom verebbte langsam wieder, und Rand lag keuchend da. In seinem Kopf keuchte auch Lews Therin. Töte ihn! Töte ihn! Immer wieder.

Rand dämpfte die Stimme zu einem fernen Summen und dankte Morr — der junge Mann blinzelte, als wäre er überrascht! —, ergriff dann das auf dem Boden liegende Drachenszepter und zwang sich aufzustehen, wenn er auch schwankte. Bashere wollte ihm einen Arm darbieten, trat aber auf eine Geste hin zurück. Rand konnte einigermaßen ohne Hilfe stehen. Er hätte jedoch keinesfalls die Macht lenken können. Als er seine Seite berührte, fühlte er Blut, und die alte runde Narbe und der neuere, darüber verlaufende Schnitt fühlten sich weich an. Sie waren nie ganz verheilt.

Er betrachtete die beiden Frauen einen Moment. Anaiyella murmelte etwas, das vage wie ein Glückwunsch klang, und gönnte ihm ein unterwürfiges Lächeln. Ailil stand sehr aufrecht da, als sei nichts geschehen. Hatten sie ihn sterben lassen wollen? Oder ihn töten wollen? Aber wenn dem so war — warum hatten sie dann ihren Waffenträgern die Verantwortung übertragen und waren herbeigeeilt, um nach ihm zu sehen? Andererseits hatte Ailil ihren Dolch gezogen, als von seinem Tod die Rede war.

Die meisten Saldaeaner und Illianer galoppierten gen Norden oder ritten den Hang des Hügels hinab und verfolgten die letzten Seanchaner. Weiramon erschien von Norden und ritt langsam auf einem großen, glänzenden Schwarzen heran, der mit den Hufen scharrte, als er Rand sah. Die Waffenträger ritten in Doppelreihe hinter ihm.

»Mein Lord Drache«, begann der Hochlord, während er abstieg. Er schien noch immer so sauber wie in Illian. Bashere war im Gegensatz zu ihm zerzaust und hier und da ein wenig schmutzig, und Gregorins edle Kleidung war entschieden dreckig. Weiramon verbeugte sich auf eine Art, die an einem Königshof Beschämung hervorgerufen hätte. »Verzeiht, mein Lord Drache. Ich dachte, ich hätte vor dem Kamm Seanchaner herannahen sehen und wollte mich ihnen entgegenstellen. Ich hätte niemals diese anderen vermutet. Ihr wißt nicht, wie sehr es mich schmerzen würde, wenn Ihr verletzt worden wärt.«

»Ich kann es mir denken«, sagte Rand trocken, und Weiramon blinzelte. Seanchaner, die herannahten? Vielleicht. Weiramon würde jede Gelegenheit für einen ruhmreichen Angriff nutzen. »Wo stehen die Seanchaner jetzt, Bashere?«

»Sie ziehen sich zurück«, erwiderte Bashere. Am entgegengesetzten Ende des Tals flammten einen Moment erneut Feuer und Blitze auf, wie um ihn Lügen zu strafen.

»Eure ... Eure Kundschafter sagen, alle wären auf dem Rückzug«, sagte Gregorin, rieb sich den Bart und warf Morr einen unbehaglichen Seitenblick zu. Morr grinste ihn offen an. Rand hatte den Illianer im dichtesten Kampfgetümmel an der Spitze seiner Männer gesehen, wie er sie ermutigte und sein Schwert mit wilder Hemmungslosigkeit schwang, aber bei Morrs Grinsen zuckte er zurück.

Dann kam Gedwyn heran, der sein Pferd nachlässig, fast überheblich führte. Er sah Bashere und Gregorin hämisch an, bedachte Weiramon mit einem Stirnrunzeln, als wisse er bereits von dem Fehler des Mannes, und betrachtete Ailil und Anaiyella, als wollte er sie zwicken. Die beiden Frauen zogen sich hastig zurück, was auch die Männer außer Bashere taten. Selbst Morr. Gedwyn berührte als Gruß an Rand beiläufig mit der Faust die Brust. »Ich habe Kundschafter ausgesandt, sobald ich erkannte, daß diese Gruppe besiegt war. Innerhalb von zehn Meilen stehen drei weitere Kolonnen.«

»Sie sind eilig westwärts gezogen«, warf Bashere ruhig ein, aber er betrachtete Gedwyn scharf. »Ihr habt es geschafft«, sagte er zu Rand. »Sie weichen alle zurück. Ich bezweifle, daß sie vor Ebou Dar innehalten werden. Nicht jede Schlacht endet mit einem großen Einmarsch in die Stadt, und diese ist beendet.«

Überraschenderweise begann Weiramon für einen Vorstoß zu plädieren, um »Ebou Dar für den Ruhm des Herrn des Morgens einzunehmen«, wie er sich ausdrückte, aber es war gewiß noch erschreckender, von Gedwyn zu hören, er hätte nichts dagegen, einige weitere Angriffe auf die Seanchaner zu führen und Ebou Dar aufzusuchen. Selbst Ailil und Anaiyella stimmten dafür, »den Seanchanern ein für allemal ein Ende zu bereiten«, obwohl Ailil noch hinzufügte, daß sie es auch wollte, um zu vermeiden, deswegen zurückkehren zu müssen. Sie war sich ziemlich sicher, daß der Lord Drache dabei auf ihrer Begleitung bestehen würde, das äußerte sie in einem so kühlen und trockenen Tonfall wie eine Nacht in der Aiel-Wüste.

Nur Bashere und Gregorin sprachen sich für die Rückkehr aus und erhoben ihre Stimmen um so lauter, je stiller Rand wurde. Schweigend blickte er westwärts in Richtung Ebou Dar.

»Wir haben getan, weshalb wir hergekommen sind«, beharrte Gregorin. »Barmherziges Licht, wollt Ihr Ebou Dar selbst einnehmen?«

Ebou Dar einnehmen, dachte Rand. Warum nicht? Niemand würde das erwarten. Eine vollkommene Überraschung, sowohl für die Seanchaner wie auch für alle anderen.

»Es gibt Zeiten, in denen man seinen Vorteil ergreift und weitermacht«, grollte Bashere. »Zu einer anderen Zeit nimmt man seinen Gewinn und geht nach Hause. Ich sage, es ist an der Zeit, nach Hause zu gehen.«

Ich hätte nichts dagegen, wenn du in meinem Kopf wärst, sagte Lews Therin und klang fast geistig gesund, wenn du nicht so eindeutig wahnsinnig wärst.

Ebou Dar. Rand umfaßte das Drachenszepter fester, und Lews Therin kicherte.

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