Als Perrin das Zelt der Weisen Frauen verließ, erwog er, seine Jacke auszuziehen, um nachzusehen, ob seine Haut noch heil war. Er war vielleicht keine zahme Ziege, eher jedoch ein Hirsch mit sechs Wolfsweibchen auf den Fersen, und er war sich nicht sicher, was ihm Schnelligkeit eingebracht hatte. Gewiß hatte keine der Weisen Frauen ihre Meinung geändert, und ihre Versprechungen, nichts auf eigene Faust zu unternehmen, waren bestenfalls unbestimmt gewesen. Bezüglich der Aes Sedai hatte es gar keine Zusagen gegeben, nicht einmal andeutungsweise.
Er hielt nach einer der Schwestern Ausschau und entdeckte Masuri. Ein dünnes Seil war zwischen zwei Bäumen gespannt und ein mit roten und grünen Fransen versehener Teppich darüber gebreitet worden. Die schlanke Braune klopfte ihn mit einem gebogenen Holzklopfer aus, ließ Staubwolken aufsteigen, die in der späten Morgensonne glitzerten. Ihr Behüter, ein gedrungener Mann mit dunklem, zurückweichendem Haar, saß in der Nähe auf einem umgestürzten Baumstamm und beobachtete sie verdrießlich. Rovair Kirklin war normalerweise sehr freundlich, aber heute war sein Lächeln tief verborgen. Masuri erblickte Perrin und warf ihm, fast ohne in ihrer Arbeit innezuhalten, einen dermaßen frostigen und feindseligen Blick zu, daß er seufzte. Dabei war sie diejenige, die wie er dachte. Jedenfalls annähernd wie er. Ein Falke mit roten Schwanzfedern schwebte über sie hinweg, ließ sich von aufsteigenden Strömen heißer Luft von Hügel zu Hügel tragen, ohne mit den ausgebreiteten Schwingen zu schlagen. Es wäre wundervoll, vor allem davonfliegen zu können. Vor den Beschwernissen vor ihm, nicht vor den Träumen.
Er nickte Sulin und den Töchtern des Speers zu, die unter dem Lederblattbaum anscheinend Wurzeln geschlagen hatten, und blieb stehen. Zwei Männer erklommen den Hügel, einer ein Aiel in dem Grau und Braun und Grün des Cadin'sor, den in seiner Hülle steckenden Bogen auf dem Rücken und einen prall gefüllten Köcher am Gürtel, sowie seine Speere und einen runden Leder schild in Händen. Gaul war ein Freund und der einzige Mann unter den Aiel, der kein Weiß trug. Sein Begleiter, mit einem breitkrempigen Hut und Jacke und Hose in schlichtem mattem Grün und einen Kopf kleiner, war kein Aiel. Er trug ebenfalls einen gefüllten Köcher am Gürtel sowie einen noch längeren und schwereren Dolch als der Aiel, aber er hielt seinen Bogen in der Hand, der weitaus kürzer war als der Langbogen der Leute aus den Zwei Flüssen, wenn auch länger als die Hornbogen der Aiel. Trotz seiner Kleidung wirkte er nicht wie ein Bauer, aber auch nicht wie ein Städter.
Vielleicht lag es an dem im Nacken zusammengebundenen und bis auf die Taille reichenden, bereits ergrauenden Haar und dem sich über seiner Brust ausbreitenden Bart, vielleicht auch an der Art, wie er sich bewegte. Ähnlich wie der Mann neben ihm glitt er um das Gestrüpp auf dem Hügel herum, ohne daß bei seinem Vorübergehen ein Zweig knackte oder ein Stengel brach. Perrin hatte ihn eine, wie ihm schien, sehr lange Zeit nicht mehr gesehen.
Als sie den Hügelkamm erreichten, betrachtete Elyas Machera Perrin, wobei seine goldenen Augen im Schatten seiner Hutkrempe schwach schimmerten. So hatten seine Augen schon Jahre vor Perrins ausgesehen. Elyas hatte Perrin den Wölfen vorgestellt. Damals war er in Felle gekleidet gewesen. »Ich freue mich, dich wiederzusehen, Junge«, sagte er ruhig. Schweiß glänzte auf seinem Gesicht, aber kaum mehr als auf Gauls. »Hast du die Streitaxt letztendlich weggegeben? Ich hätte nicht geglaubt, daß du jemals aufhören würdest, sie zu hassen.«
»Ich hasse sie noch immer«, erwiderte Perrin ebenso ruhig. Der ehemalige Behüter hatte ihm geraten, er solle die Streitaxt behalten, bis er es nicht mehr haßte, sie zu benutzen. Licht, er haßte es noch immer! Inzwischen hatte er noch neue Gründe für diesen Haß gefunden. »Was führt Euch in diesen Teil der Welt, Elyas? Wo hat Gaul Euch gefunden?«
»Er hat mich gefunden«, sagte Gaul. »Ich erkannte erst, daß er hinter mir war, als er hustete.« Er sprach laut genug, daß die Töchter des Speers ihn hören konnten, und die plötzliche Stille unter ihnen war fast greifbar.
Perrin erwartete zumindest einige schneidende Bemerkungen — der Aielhumor konnte einem fast das Blut in den Adern gefrieren lassen, und die Töchter des Speers ergriffen jede Gelegenheit, den grünäugigen Mann anzugreifen —, aber statt dessen nahmen die Frauen ihre Speere und Schilde auf, um damit geräuschvoll ihre Zustimmung auszudrücken. Gaul nickte anerkennend.
Elyas brummte verlegen und zog seinen Hut tiefer herab, aber er roch zumindest erfreut. Die Aiel billigten auf dieser Seite der Drachenmauer nicht viel. »Ich ziehe gern umher«, sagte er zu Perrin, »und ich war gerade zufällig in Ghealdan, als mir einige gemeinsame Freunde erzählten, daß du mit diesem Zug reist.« Er benannte die gemeinsamen Freunde nicht. Es war nicht ratsam, offen darüber zu sprechen, sich mit Wölfen unterhalten zu haben. »Sie haben mir vieles gesagt. Sie erzählten mir, sie hätten eine bevorstehende Veränderung gerochen. Sie wußten nicht, was es ist, aber vielleicht weißt du es. Ich hörte, daß du mit dem Wiedergeborenen Drachen zusammen warst.«
»Ich weiß auch nicht, was es sein könnte«, erwiderte Perrin nachdenklich. Eine Veränderung? Er hatte die Wölfe lediglich gefragt, wo sich große Gruppen Menschen aufhielten, damit er sie umgehen konnte. Selbst hier in Ghealdan fühlte er sich unter ihnen manchmal für die bei den Brunnen von Dumai umgekommenen Wölfe verantwortlich. Welche Art Veränderung? »Rand verändert gewiß einiges, aber ich weiß nicht, was sie meinen. Licht, die ganze Welt steht auf dem Kopf, auch ohne ihn.«
»Alle Dinge ändern sich«, sagte Gaul. »Bis wir erwachen, schwebt der Traum auf dem Wind.« Er betrachtete Perrin und Elyas einen Moment lang und verglich ihre Augen, wie Perrin vermutete. Er schwieg jedoch. Die Aiel nahmen goldene Augen anscheinend nur als weitere Eigentümlichkeit unter Feuchtländern hin, »Ich werde euch beide allein lassen. Freunde, die lange getrennt waren, müssen ungestört miteinander reden können. Sulin, sind Chiad und Bain in der Nähe? Ich sah sie gestern auf der Jagd und dachte, ich könnte ihnen zeigen, wie man einen Bogen spannt, bevor eine von ihnen sich selbst erschießt.«
»Ich war überrascht, Euch heute zurückkommen zu sehen«, erwiderte die weißhaarige Frau. »Sie sind unterwegs, um Kaninchenfallen aufzustellen.« Die Töchter des Speers lachten und verständigten sich rasch in der Zeichensprache.
Gaul rollte seufzend die Augen. »In diesem Fall muß ich sie wahrscheinlich befreien.« Fast ebenso viele Töchter des Speers lachten auch darüber, einschließlich Sulin. »Mögest du heute Schatten finden«, sagte er an Perrin gewandt, ein zwangloser Abschied unter Freunden, aber Elyas faßte er um die Unterarme und sagte: »Meine Ehre ist die Eure, Elyas Machera.«
»Ein seltsamer Bursche«, murmelte Elyas, während er beobachtete, wie Gaul den Hügel mit leichten Schritten wieder hinabstieg. »Als ich hustete, wandte er sich um, vermutlich bereit, mich zu töten, und dann begann er statt dessen einfach zu lachen. Hast du Einwände dagegen, irgendwo anders hinzugehen? Es gefällt mir nicht in Gesellschaft von Aes Sedai.« Er verengte die Augen. »Gaul sagt, es waren drei bei dir. Du erwartest doch nicht, noch weitere zu treffen?«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte Perrin. Masuri schaute zwischen Schlägen mit ihrem Klopfer in ihre Richtung. Sie würde noch früh genug von Elyas Augen erfahren und nachforschen, was ihn noch mit Perrin verband. »Kommt mit mir. Ich sollte schon längst wieder in meinem Lager sein. Macht Ihr Euch Sorgen darüber, einer Aes Sedai zu begegnen, die Euch kennt?« Elyas' Zeit als Behüter hatte geendet, als bekannt wurde, daß er mit Wölfen sprechen konnte. Einige Schwestern hielten dies für ein Mal des Dunklen Königs, und er hatte andere Behüter töten müssen, um zu entkommen.
Der ältere Mann wartete, bis sie auf ein Dutzend Schritte an die Zelte herangelangt waren, bevor er antwortete, und selbst dann sprach er so leise, als argwöhne er, daß jemand hinter ihnen ebenso gute Ohren hätte wie sie. »Nur eine, die meinen Namen kennt, ist schon schlimm genug. Behüter laufen nicht allzuoft davon, Junge. Die meisten Aes Sedai lassen einen Mann gehen, der wirklich gehen will — die meisten —, aber sie können dich aufspüren, wie weit du auch läufst, wenn sie beschließen, dich zu jagen. Und jede Schwester, die einen Abtrünnigen findet, wird jede freie Stunde darauf verwenden, ihn wünschen zu lassen, er wäre niemals geboren.« Er erschauderte leicht. Er roch nicht nach Angst, aber nach der Erwartung von Schmerz. »Dann wird sie ihn seiner Aes Sedai übergeben, um die Lektion zu vollenden. Anschließend ist ein Mann niemals wieder ganz derselbe.« Am Rande des Hanges schaute er zurück. Masuri schien den Teppich töten zu wollen, legte ihre ganze Wut in den Versuch, ein Loch hineinzuschlagen. Elyas erschauderte jedoch erneut. »Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, unverhofft Rina zu begegnen. Ich wäre lieber mit zwei gebrochenen Beinen in einem Waldbrand gefangen.«
»Rina ist Eure Aes Sedai? Aber wie könntet Ihr Rina unverhofft begegnen? Der Bund vermittelt Euch, wo sie sich aufhält.« Das rührte an etwas in Perrins Erinnerung, aber was auch immer es war, bei Elyas' Erwiderung schmolz es dahin.
»Viele können den Bund gewissermaßen verfälschen. Vielleicht können sie es alle. Man weiß nicht viel mehr, als daß sie noch lebt, und das weiß ich ohnehin, weil ich nicht wahnsinnig geworden bin.« Elyas sah den fragenden Ausdruck auf Perrins Gesicht und lachte laut auf. »Licht, Mann, eine Schwester besteht auch aus Fleisch und Blut. Die meisten jedenfalls. Denk darüber nach. Würdest du jemanden in deinem Kopf haben wollen, während du ein vielversprechendes Mädchen herzt? Tut mir leid, ich vergaß, daß du jetzt verheiratet bist. Es sollte keine Beleidigung sein. Ich war jedoch überrascht zu hören, daß du eine Saldaeanerin geheiratet hast.«
»Überrascht?« Perrin hatte den Bund der Behüter niemals so betrachtet. Licht! Was das betraf, hatte er Aes Sedai niemals so betrachtet. Elyas' Andeutung schien ungefähr so vorstellbar wie ... wie ein Mensch, der mit Wölfen spricht. »Warum überrascht?« Sie stiegen ohne Eile und fast geräuschlos durch den Wald auf dieser Seite des Hügels hinab. Perrin war stets ein guter Jäger gewesen, der an die Wälder gewöhnt war, und auch Elyas rührte kaum die Blätter unter seinen Füßen auf, sondern glitt geschmeidig durch das Unterholz, ohne einen Zweig zu bewegen. Er hätte sich seinen Bogen wieder über den Rücken schlingen können, aber er trug ihn noch immer schußbereit in der Hand. Elyas war vorsichtig, besonders in der Nähe von Menschen.
»Nun, weil du sehr ruhig bist. Ich dachte, du würdest eine Frau heiraten, die deinem Naturell entspricht. Nun, du weißt inzwischen, daß Saldaeaner nicht ruhig sind. Außer gegenüber Fremden und Außenseitern. Im Nu entflammt, ist die Glut im nächsten Moment erloschen und vergessen. Sie lassen Arafeller schwerfällig und Domani regelrecht stumpfsinnig wirken.« Elyas grinste plötzlich. »Ich habe einmal ein Jahr lang mit einer Saldaeanerin zusammengelebt. Merya hat mich fünf Tage in der Woche angeschrien und mir auch Teller an den Kopf geworfen. Jedesmal, wenn ich ans Gehen dachte, wollte sie es jedoch wieder gutmachen, und ich kam anscheinend niemals bis zur Tür. Letztendlich hat sie mich verlassen. Sie sagte, ich wäre für ihren Geschmack zu zurückhaltend.« Er lachte in der Erinnerung rauh, rieb aber über eine noch schwach sichtbare, von damals stammende Narbe an seinem Kinn. Ein Dolch hatte sie wohl verursacht.
»Faile ist anders.« Es klang, als wäre man mit Nynaeve verheiratet! Nynaeve mit Zahnschmerzen! »Das soll nicht heißen, daß sie nicht hin und wieder zornig wird«, fügte er widerwillig hinzu, »aber sie schreit nicht und wirft auch nicht mit Tellern.« Nun, sie schrie nicht sehr oft, und anstatt nur heftig aufzuflammen und dann gleich wieder zu vergehen, begann ihr Zorn heftig und hielt an, bis er abkühlte. Elyas sah ihn von der Seite an. »Wenn ich jemals einen Mann gerochen habe, der versucht, Hagel zu entgehen... Du gehst stets sanft mit ihr um, nicht wahr? Du bist vollkommen nachsichtig und wirst niemals zornig? Wirst ihr gegenüber niemals laut?«
»Natürlich nicht!« brauste Perrin auf. »Ich liebe sie! Warum sollte ich sie anschreien?«
Elyas murrte leise vor sich hin, obwohl Perrin natürlich jedes Wort verstehen konnte. »Verdammt, wenn ein Mann auf einer roten Natter sitzen will, ist das seine Sache. Es ist auch nicht meine Angelegenheit, wenn sich ein Mann die Hände an einem Feuer im Dach wärmen will. Es ist sein Leben. Würde er es mir danken? Nein, das würde er, verdammt noch mal, nicht!«
»Was wollt Ihr damit sagen?« Perrin ergriff Elyas' Arm und zwang ihn, unter einem Ilexbaum stehenzubleiben, dessen stachelige Blätter überwiegend grün waren. Bis auf einige ums Überleben kämpfende Kriechgewächse wuchs kaum etwas in der Nähe. Sie waren den Hügel noch nicht zur Hälfte hinunter gelangt. »Faile ist keine rote Natter und kein Feuer im Dach! Wartet, bis Ihr sie kennenlernt, bevor Ihr redet, als würdet Ihr sie bereits kennen.«
Elyas fuhr sich verärgert mit den Fingern durch seinen langen Bart. »Ich kenne Saldaeaner, Junge. Ich bin nicht nur in jenem Jahr dort gewesen. Ich habe in meinem Leben höchstens fünf saldaeanische Frauen getroffen, die ich als sanftmütig oder auch nur als beherrscht bezeichnen würde. Nein, sie ist keine Natter; ich wette, sie ist ein Leopard. Knurre nicht, verdammt! Ich verwette meine Stiefel, daß sie lächeln würde, wenn sie mich das sagen hörte!«
Perrin öffnete verärgert den Mund und schloß ihn dann wieder. Er hatte nicht erkannt, daß er tatsächlich tief in der Kehle geknurrt hatte. Faile würde lächeln, wenn sie als Leopard bezeichnet würde. »Ihr wollt doch nicht etwa behaupten, daß sie will, daß ich sie anschreie, Elyas.«
»Doch, genau das will ich damit sagen. Höchstwahrscheinlich jedenfalls. Vielleicht ist sie die sechste. Vielleicht. Hör mich einfach zu Ende an. Die meisten Frauen werden dich, wenn du die Stimme erhebst, verwundert ansehen oder zu Eis erstarren, und als nächstes streitest du darüber, daß du verärgert bist, ungeachtet des ursprünglichen Grundes für deinen Zorn. Hüte bei einer Saldaeanerin jedoch deine Zunge und sage ihr gegenüber, sie sei nicht stark genug, es mit dir aufzunehmen. Beleidige sie auf diese Art, und du hast Glück, wenn sie dich nicht dir selbst zum Frühstück vorsetzt. Sie ist kein Mädchen aus Far Madding, das von einem Mann erwartet, daß er den von ihr zugewiesenen Platz einnimmt und springt, wenn sie mit den Fingern schnippt. Sie ist ein Leopard, und sie erwartet von ihrem Ehemann, daß er auch ein Leopard ist. Licht! Ich weiß nicht, was ich tue! Einem Mann bezüglich seiner Frau Ratschläge zu erteilen ist eine gute Möglichkeit, den Kopf abgerissen zu bekommen.«
Jetzt knurrte Elyas. Er rückte unnötigerweise seinen Hut zurecht und sah sich stirnrunzelnd auf dem Hügel um, als überlege er, ob er wieder in den Wäldern verschwinden sollte, aber dann stieß er Perrin mit einem Finger an. »Schau, ich wußte schon immer, daß du mehr als nur ein Herumirrender warst, und nachdem ich das, was mir die Wölfe erzählten, mit der Tatsache in Zusammenhang brachte, daß du gerade zufällig zu diesem Propheten eilst, dachte ich, du könntest vielleicht einen Freund gebrauchen, der dir den Rücken deckt. Die Wölfe haben natürlich nicht erwähnt, daß du diese schmucken mayenischen Speerträger anführst. Gaul auch nicht, bis wir sie sahen. Wenn du möchtest, daß ich bleibe, dann bleibe ich. Wenn nicht, so habe ich vieles von der Welt noch nicht gesehen.«
»Ich kann jederzeit einen Freund gebrauchen, Elyas.« Konnte Faile wirklich wollen, daß er sie anschrie? Er hatte immer gewußt, daß er jemanden verletzen könnte, wenn er nicht vorsichtig war, und er hatte stets versucht, sein Temperament zu zügeln. Worte konnten ebensosehr verletzten wie Fäuste, jene falschen Worte, die man niemals so meinte, wie sie im Zorn gesagt wurden. Es schien ihm unmöglich. Es war einfach nicht einleuchtend. Keine Frau würde das von ihrem Ehemann oder irgendeinem anderen Mann hinnehmen.
Der Ruf eines Blaufinks ließ Perrin zusammenzucken und versetzte seinen Ohren einen Stich. Es war selbst für ihn kaum hörbar, aber kurz darauf wurde das Trillern näher wiederholt und dann noch näher. Elyas sah ihn mit gewölbten Augenbrauen an. Perrin erkannte den Ruf eines Grenzlandvogels. Er hatte es von einigen Shienarern, unter ihnen Masema, gelernt und es an die Leute aus den Zwei Flüssen weitergegeben.
»Wir bekommen Besuch«, bemerkte er zu Elyas.
Sie kamen rasch heran, vier Reiter in schnellem Galopp, die eintrafen, noch bevor er und Elyas den Fuß des Hügels erreicht hatten. Berelain ritt voran, durchquerte spritzend den Fluß, während Annoura und Gallenne sowie eine Frau mit einem hellen, mit einer Kapuze versehenen Staubmantel dicht hinter ihr ritten. Sie eilten unmittelbar am Lager der Mayener vorbei, ohne einen Blick darauf zu werfen, und zügelten ihre Pferde erst, als sie sich unmittelbar vor dem rotweiß gestreiften Zelt befanden. Einige der cairhienischen Diener eilten herbei, um Zügel zu übernehmen und Steigbügel zu halten, und Berelain und ihre Begleiterinnen hatten das Zelt bereits betreten, bevor sich der durch ihre Ankunft aufgewirbelte Staub gelegt hatte.
Alles in allem verursachte ihre Ankunft erhebliche Unruhe. Raunen erhob sich unter den Männern aus den Zwei Flüssen, das Perrin nur als erwartungsvoll bezeichnen konnte. Die unvermeidlichen jungen Narren Failes kratzten sich den Kopf und schauten zu dem Zelt, während sie aufgeregt miteinander redeten. Grady und Neald beobachteten das Zelt durch die Bäume hindurch ebenfalls und steckten hin und wieder die Köpfe zusammen, um miteinander zu sprechen, obwohl niemand ihnen nahe genug war, um sie belauschen zu können.
»Sieht so aus, als wären deine Besucher nicht zufällig hier«, sagte Elyas leise. »Achte auf Gallenne. Er könnte Ärger bedeuten.«
»Ihr kennt ihn, Elyas? Ich möchte gern, daß Ihr bleibt, aber wenn Ihr glaubt, er könnte einer der Schwestern verraten, wer Ihr seid...« Perrin zuckte resigniert die Achseln. »Ich könnte Seonid und Masuri vielleicht aufhalten« — er glaubte es zumindest —, »aber Annoura wird wohl tun, was immer sie will.« Und was dachte sie wirklich über Masema?
»Oh, Bertain Gallenne kennt Menschen wie Elyas Machera nicht«, erwiderte Elyas mit verzerrtem Lächeln. »Aber ich kenne ihn. Er wird sich nicht gegen dich stellen oder hinter deinem Rücken handeln, vielmehr ist Berelain der kluge Kopf unter ihnen. Sie hat Tear aus Mayene herausgehalten, indem sie die Tairener gegen die Illianer ausgespielt hat, seit sie sechzehn war. Berelain weiß, wie man geschickt verfährt. Gallenne kennt nur den Angriff, Er ist gut darin, aber er sieht niemals etwas anderes und hält manchmal nicht inne, um nachzudenken.«
»Soviel hatte ich über die beiden auch schon herausgefunden«, murrte Perrin. Zumindest hatte Berelain einen Boten von Alliandre mitgebracht. Mit einer neuen Dienerin hätte sie es nicht so eilig gehabt. Daher stellte sich die Frage, warum für Alliandres Antwort ein Bote nötig war. »Ich sollte zunächst ergründen, ob Berelain gute Nachrichten mitgebracht hat, Elyas. Wir werden uns später darüber unterhalten, was uns im Süden erwartet. Und Ihr könnt Faile treffen«, fügte er noch hinzu, bevor er sich abwandte.
»Der Krater des Verderbens erwartet uns im Süden«, rief ihm der andere Mann nach, »oder zumindest dergestalt, wie ich ihn unterhalb der Großen Fäule zu sehen erwartet habe.« Perrin bildete sich ein, das schwache Donnern im Westen erneut gehört zu haben. Nun, das wäre eine erfreuliche Abwechslung.
Im Zelt trug Breane ein Silbertablett mit einer Schale Rosenwasser und Tüchern für Gesicht und Hände herum und vollführte starre Hofknickse, während sie es darbot. Maighdin reichte mit noch starreren Hofknicksen ein Tablett mit Bechern voller gewürztem Wein herum — dem Geruch nach aus den letzten getrockneten Blaubeeren gemacht —, während Lini den Staubmantel des Neuankömmlings zusammenfaltete. Etwas schien seltsam an der Art, wie Faile und Berelain neben der gerade eingetroffenen Frau standen, und Annoura blieb hinter ihnen, ganz auf sie konzentriert. Ungefähr in mittlerem Alter, mit einer grünen Netzhaube, die das fast bis auf ihre Taille herabreichende dunkle Haar zusammenhielt, hätte man sie vielleicht hübsch nennen können, wenn ihre Nase nicht so lang gewesen wäre. Und wenn sie sie nicht so hoch gereckt hätte. Kleiner als Faile oder Berelain, gelang es ihr dennoch, an dieser Nase entlang auf Perrin hinabzublicken und ihn von Kopf bis Fuß kühl zu betrachten. Sie blinzelte nicht, als sie seine Augen bemerkte, obwohl fast jedermann sonst es tat.
»Majestät«, sagte Berelain mit förmlicher Stimme, sobald Perrin eintrat, »darf ich Euch Lord Perrin Aybara aus den Zwei Flüssen in Andor vorstellen, der persönliche Freund und Abgesandte des Wiedergeborenen Drachen.« Die Frau mit der langen Nase nickte vorsichtig, kühl, und Berelain fuhr fast augenblicklich fort. »Lord Aybara, begrüßt Alliandre Maritha Kigarin, Königin von Ghealdan, vom Licht gesegnet, Verteidigerin des Garens Walls, die erfreut ist, Euch persönlich zu empfangen, und heißt sie willkommen.« Gallenne, der nahe der Zeltwand stand, richtete seine Augenklappe und hob Perrin mit triumphierendem Lächeln seinen Weinbecher entgegen.
Aus einem unbestimmten Grund warf Faile Berelain einen strengen Blick zu. Perrin wäre fast das Kinn herabgesackt. Alliandre selbst? Er fragte sich, ob er sich hinknien sollte, entschied sich aber dann nach zu langem Zögern für eine Verbeugung. Er hatte keine Ahnung, wie man sich einer Königin gegenüber verhielt. Besonders einer Königin gegenüber, die aus heiterem Himmel und ohne Begleitung und Prunk auftauchte. Sie trug ein dunkelgrünes Reitgewand aus einfachem Tuch ohne jegliche Stickerei.
»Die letzten Berichte«, begann Alliandre, »veranlaßten mich zu der Entscheidung, zu Euch zu kommen, Lord Aybara.« Ihre Stimme klang ruhig, ihr Gesicht war unbewegt, ihr Blick zurückhaltend. Und wachsam — oder Perrin wäre ein tairenischer Fährmann. Er sollte besser auf der Hut sein, bis er wüßte, wohin der Weg führte. »Ihr habt es vielleicht noch nicht gehört«, fuhr sie fort, »aber vor vier Tagen fiel Illian dem Wiedergeborenen Drachen zu, dessen Name im Licht gesegnet sei. Er hat die Lorbeerkrone errungen, obwohl ich hörte, daß sie jetzt die Krone der Schwerter genannt wird.«
Faile, die gerade einen Becher von Maighdins Tablett nahm, flüsterte leise. »Und vor sieben Tagen haben die Seanchaner Ebou Dar eingenommen,« Selbst Maighdin konnte es nicht hören.
Hätte Perrin sich nicht bereits zusammengerissen, hätte er jetzt wahrhaftig mit offenem Mund dagestanden. Warum erzählte Faile ihm dies, anstatt zu warten, bis die Frau es aussprach, die es ihr berichtet haben mußte? Er wiederholte ihre Worte für jedermann deutlich hörbar. Mit harter Stimme, aber das war die einzige Möglichkeit, sie fest klingen zu lassen. Ebou Dar ebenfalls? Licht! Und vor sieben Tagen? An dem Tag, an dem Grady und die übrigen die Eine Macht am Himmel gesehen hatten? Vielleicht ein Zufall. Aber wäre es ihm lieber gewesen, wenn es die Verlorenen gewesen wären?
Annoura blickte stirnrunzelnd über ihren Becher hinweg und schürzte die Lippen, bevor er noch zu Ende gesprochen hatte, und Berelain sah ihn mit bestürztem Ausdruck an, der aber rasch wieder schwand. Sie wußten, daß er nichts von Ebou Dar gewußt hatte, als sie nach Bethai hinein ritten.
Alliandre nickte nur, ebenso selbstbeherrscht wie die Graue. »Ihr scheint bemerkenswert gut unterrichtet«, sagte sie und trat näher zu ihm. »Ich bezweifle, daß erste Gerüchte Jehannah mit den Flußhändlern bereits erreicht haben. Ich selbst habe erst vor wenigen Tagen davon erfahren. Mehrere Händler halten mich über die Ereignisse auf dem laufenden. Wahrscheinlich hoffen sie«, fügte sie trocken hinzu, »daß ich beim Propheten des Drachen Fürsprache für sie einlege, falls es erforderlich wird.«
Jetzt konnte er ihren Geruch erkennen, und seine Meinung über sie wendete sich zum Guten. Äußerlich war die Königin ganz kühle Zurückhaltung, aber von Angst durchzogene Unsicherheit prägte ihren Geruch. Er glaubte nicht, daß er eine solch ruhige Miene hätte beibehalten können, wenn er so empfunden hätte.
»Man sollte stets so viel wissen wie möglich«, erwiderte er einigermaßen aufgewühlt. Verdammt, dachte er, ich muß Rand hierüber berichten!
»Wir in Saldaea beziehen unsere Kenntnisse ebenfalls von Händlern«, sagte Faile. Damit deutete sie an, daß Perrin durch sie von Ebou Dar erfahren hätte. »Sie hören von Geschehnissen in tausend Meilen Entfernung anscheinend schon Wochen bevor die Gerüchte beginnen.«
Sie sah Perrin nicht an, aber er wußte, daß sie ihn ebenso ansprach wie Alliandre. Rand wußte Bescheid, wollte sie ihm damit mitteilen. Und es gab ohnehin keine Möglichkeit, ihm heimlich eine Nachricht zukommen zu lassen. Konnte Faile wirklich wollen, daß er...? Nein, das war undenkbar. Er erkannte blinzelnd, daß er etwas verpaßt hatte, was Alliandre gesagt hatte. »Verzeiht, Alliandre«, sagte er höflich. »Ich dachte gerade über Rand nach — den Wiedergeborenen Drachen.« Natürlich war es undenkbar!
Alle sahen ihn an, sogar Lini und Maighdin und Breane. Annouras Augen hatten sich geweitet, und Gallennes Mund stand offen. Dann erkannte Perrin es. Er hatte die Königin gerade bei ihrem Namen genannt. Er nahm einen Becher von Maighdins Tablett, und sie richtete sich so rasch aus ihrem Hofknicks auf, daß sie ihm fast den Becher aus der Hand geschlagen hätte. Er winkte sie wie abwesend fort und wischte sich die feuchte Hand an seiner Jacke ab. Er mußte sich besser konzentrieren, durfte seine Gedanken nicht in neun verschiedene Richtungen schweifen lassen. Ungeachtet dessen, was Elyas gesagt hatte, würde Faile niemals... Nein! Konzentriere dich!
Alliandre faßte sich rasch. Tatsächlich schien sie am wenigsten von allen überrascht gewesen zu sein, und ihr Geruch veränderte sich nicht. »Ich sagte, daß es das klügste war, heimlich zu Euch zu kommen, Lord Aybara«, wiederholte sie mit dieser kühlen Stimme. »Lord Telabin glaubt, ich hielte mich allein in seinen Gärten auf, welche ich durch ein selten benutztes Tor verlassen habe. Und ich habe die Stadt als Annoura Sedais Dienerin verlassen.« Sie strich mit den Fingerspitzen über den Rock ihres Reitkleids und lachte leise. Selbst dieses Lachen klang bei ihr kühl, widersprach sehr dem, was ihm seine Nase vermittelte. »Einige meiner eigenen Soldaten haben mich gesehen, aber durch die hochgezogene Kapuze meines Umhangs hat mich niemand erkannt.«
»So wie die Dinge liegen, war das wahrscheinlich wirklich das klügste«, entgegnete Perrin vorsichtig. »Aber Ihr werdet Euch früher oder später doch zeigen müssen — auf die eine oder andere Art.« Höflich und doch direkt, das war der richtige Weg. Eine Königin würde keine Zeit mit einem Mann verschwenden wollen, der Unsinn redete. Außerdem wollte er Faile nicht enttäuschen. »Warum seid Ihr überhaupt selbst gekommen? Ihr hättet nur einen Brief schicken oder Berelain Eure Antwort mitzuteilen brauchen. Werdet Ihr Euch auf Rands Seite stellen oder nicht? Wie dem auch sei — sorgt Euch nicht um Eure sichere Rückkehr nach Bethal.« Das war eine gute Bemerkung. Was auch immer sie sonst befürchtete, so mußte sie schon allein die Tatsache ängstigen, ohne ihr Gefolge hier zu sein.
Faile beobachtete ihn, obwohl sie es nicht zu tun vorgab; sie trank ihren gewürzten Wein und lächelte Alliandre zu, aber er bemerkte ihre raschen Seitenblicke. Berelain gab nichts vor, sondern musterte ihn offen mit leicht verengten Augen und den Blick niemals von seinem Gesicht abwendend. Annoura wirkte ähnlich angespannt und ebenso aufmerksam. Glaubten sie alle, daß er sich wieder versprechen würde?
Anstatt auf seine Fragen einzugehen, sagte Alliandre: »Die Erste hat mir viel über Euch erzählt, Lord Aybara, und über den Wiedergeborenen Drachen, dessen Name vom Licht gesegnet sei.« Letzteres klang mechanisch, ein Zusatz, über den sie nicht mehr nachdenken mußte. »Ich kann ihm nicht gegenübertreten, bevor ich nicht meine Entscheidung getroffen habe, daher wollte ich Euch sprechen, um die Lage einschätzen zu können. Man kann viel durch jene über einen Mann erfahren, die befugt sind, für ihn zu sprechen,« Sie neigte den Kopf über den Becher in ihren Händen und sah Perrin durch gesenkte Lider an. Bei Berelain wäre das Schäkern gewesen, aber nicht bei Alliandre. »Ich habe auch Eure Banner gesehen«, sagte sie gefaßt. »Die Erste hatte sie nicht erwähnt.«
Perrin runzelte die Stirn, bevor er es verhindern konnte. Berelain hatte ihr viel über ihn erzählt? Was hatte sie gesagt? »Die Banner sollen gesehen werden.« Die Verärgerung verlieh seiner Stimme eine Rauheit, die er nur mühsam unterdrücken konnte. Nun, Berelain war eine Frau, die angeschrien werden mußte. »Glaubt mir, es gibt keine Pläne, Manetheren wiederzuerrichten.« So, jetzt war sein Tonfall ebenso kühl wie der Alliandres. »Wie entscheidet Ihr Euch? Rand kann im Handumdrehen zehntausend — hunderttausend — Soldaten nach Ghealdan bringen.« Und das würde er vielleicht auch tun müssen. Die Seanchaner in Amador und in Ebou Dar? Licht, wie viele waren es?
Alliandre trank von ihrem gewürzten Wein, bevor sie antwortete, und sie wich der Frage erneut aus. »Es gibt tausend Gerüchte, wie Ihr sicher wißt, und selbst das wildeste ist glaubhaft, wenn der Drache wiedergeboren ist. Fremde tauchen auf, die behaupten, Artur Falkenflügels Heere seien zurückgekehrt, und die Burg selbst ist durch Aufruhr gespalten.«
»Eine Angelegenheit der Aes Sedai«, sagte Annoura barsch. »Das geht niemanden sonst etwas an.« Berelain warf ihr einen verärgerten Blick zu, den sie nicht zu bemerken vorzog.
Alliandre zuckte zusammen und wandte der Schwester die Schulter zu. Königin oder nicht —niemand wollte diesen Tonfall von einer Aes Sedai hören. »Die Welt verkehrt sich, Lord Aybara. Nun, man hat mir sogar von Aiel berichtet, die ein Dorf hier in Ghealdan plünderten.« Perrin erkannte jäh, daß es hier um mehr ging als nur um die Angst, Aes Sedai zu beleidigen. Alliandre beobachtete ihn abwartend. Aber worauf wartete sie? Auf Beruhigung?
»Die einzigen Aiel in Ghealdan sind bei mir«, belehrte er sie. »Die Seanchaner mögen vielleicht Abkömmlinge von Artur Falkenflügels Heer sein, aber Falkenflügel ist seit eintausend Jahren tot. Rand hat sich ihnen bereits einmal entgegengestellt, und er wird es wieder tun.« Er erinnerte sich an Falme ebenso deutlich wie an die Brunnen von Dumai, obwohl er es zu vergessen versucht hatte. Gewiß reichten die Truppen Seanchaner nicht aus, um Amador und Ebou Dar einzunehmen, selbst mit ihren Damane nicht. Balwer behauptete, es wären auch tarabonische Soldaten beteiligt. »Und vielleicht freut es Euch zu hören, daß jene aufrührerischen Aes Sedai Rand unterstützen. Zumindest werden sie es bald tun.« Das hatte Rand jedenfalls gesagt. Einige wenige Aes Sedai, die nirgendwo anders hingehen konnten als zu ihm. Perrin war sich dessen nicht so sicher. Die Gerüchte in Ghealdan dichteten den Schwestern ein Heer an. Natürlich berichteten die gleichen Gerüchte bei dieser Hand voll von mehr Aes Sedai, als es auf der ganzen Welt gab, aber dennoch... Licht, er wünschte, jemand würde ihn beruhigen! »Warum setzen wir uns nicht«, sagte er. »Ich werde alle Eure Fragen beantworten, um Euch bei Eurer Entscheidung zu helfen, aber wir können es uns dabei ebensogut bequem machen.« Er zog einen der Faltstühle zu sich heran und dachte erst im letzten Moment daran, sich nicht einfach hineinfallen zu lassen, aber er knarrte dennoch unter ihm.
Lini und die beiden anderen Diener zogen eilig Stühle zu einem Kreis um den seinen heran, aber keine der anderen Frauen trat zu ihnen. Alliandre stand da und sah Perrin an, während die übrigen sie beobachteten. Bis auf Gallenne, der sich einen weiteren Becher Wein aus dem Silberkrug eingoß.
Perrin fiel auf, daß Faile, seit die Händler erwähnt wurden, kein Wort mehr gesagt hatte. Für Berelains Schweigen war er ebenso dankbar wie für die Tatsache, daß sie nicht beschlossen hatte, vor der Königin mit ihm zu schäkern, aber er hätte gerade jetzt ein wenig Unterstützung von Faile gebrauchen können. Einen kleinen Rat. Licht, sie wußte zehnmal mehr als er darüber, was er hier sagen und tun sollte.
Er fragte sich, ob er wie die anderen stehen sollte, stellte den gewürzten Wein auf einem der kleinen Tische ab und bat Faile, mit Alliandre zu sprechen. »Wenn jemand der Königin den richtigen Weg weisen kann, dann du«, sagte er. Faile lächelte ihm erfreut zu, hielt aber den Mund.
Alliandre streckte jäh ihren Becher von sich, als erwarte sie, daß dort ein Tablett stünde. Es wurde ihr gerade noch rechtzeitig eines gereicht, und Maighdin, die es hielt, murrte etwas. Perrin hoffte, daß Faile es nicht gehört hatte. Faile verabscheute es, wenn Diener diese Sprache benutzten. Er wollte sich gerade erheben, als Alliandre sich ihm näherte, aber zu seinem Entsetzen kniete sie anmutig vor ihm nieder und ergriff seine Hände. Bevor er erkannte, was sie beabsichtigte, drehte sie ihre Hände, so daß sie mit den Handrücken zueinander zwischen seinen Handflächen lagen. Sie klammerte sich so fest an ihn, daß ihre Hände schmerzen mußten. Und er war sich keineswegs sicher, sich von ihr lösen zu können, ohne ihr weh zu tun.
»Unter dem Licht«, sagte sie fest, während sie zu ihm aufblickte. »Ich, Alliandre Maritha Kigarin, gelobe Lord Perrin Aybara von den Zwei Flüssen jetzt und für alle Zeit Treue und Ergebenheit, es sei denn, er beschließt, mich von sich aus freizugeben. Meine Länder und Throne gehören ihm, denn ich lege sie in seine Hände. Das schwöre ich.«
Einen Moment herrschte Schweigen, nur unterbrochen durch Gallennes Keuchen und den gedämpften Laut seines auf dem Teppich aufschlagenden Weinbechers.
Dann hörte er Failes Stimme so leise, daß niemand in ihrer Nähe ihre Worte hätte verstehen können. »Unter dem Licht, ich nehme Euer Gelöbnis an und werde Euch und die Euren im Kampf und in Winterstürmen und vor allem, was die Zeit an Unheil bringen mag, beschützen. Die Länder und Throne von Ghealdan übergebe ich Euch als pflichtgetreue Vasallin. Unter dem Licht, ich werde...« Das mußte die saldaeanische Art der Annahme sein. Dank dem Licht war sie zu beschäftigt mit ihm, um Berelain ihm heftig zunicken und ihn gleichfalls drängen zu sehen. Sie beide wirkten fast, als hätten sie dies erwartet! Annoura erschien mit ihrem offenstehenden Mund jedoch ebenso erstaunt wie er — wie ein Fisch, der gerade das Wasser schwinden sah.
»Warum?« fragte er sanft, Failes enttäuschten Zischlaut und Berelains verärgertes Brummen gleichermaßen mißachtend. Verdammt, dachte er, ich bin ein einfacher Schmied! Niemand schwor einem Schmied die Treue. »Man hat mir gesagt, ich sei ein Ta'veren. Vielleicht wollt Ihr Euch dies noch einmal überlegen.«
»Ich hoffe, daß Ihr ein Ta'veren seid, mein Lord.« Alliandre lachte wenig belustigt und ergriff seine Hände noch fester, als fürchte sie, er könnte sie ihr entziehen. »Ich hoffe es von ganzem Herzen. Ich fürchte, nichts Geringeres wird Ghealdan retten. Ich bin zu dieser Entscheidung gelangt, als die Erste mir sagte, warum Ihr hier seid, und die Begegnung mit Euch hat mich nur in meinem Entschluß bestärkt. Ghealdan braucht Schutz, den ich ihm nicht geben kann, so daß ich verpflichtet bin, Schutz zu suchen. Ihr könnt es beschützen, mein Lord, Ihr und der Wiedergeborene Drache, dessen Name im Licht gesegnet sei. Tatsächlich würde ich meinen Schwur ihm gegenüber leisten, wenn er hier wäre, aber Ihr seid sein Stellvertreter. Indem ich den Schwur Euch gegenüber leiste, leiste ich ihn auch ihm gegenüber.« Sie atmete tief ein und überwand sich zu einem weiteren Wort. »Bitte.« Sie roch jetzt verzweifelt, und ihre Augen schimmerten vor Angst.
Er zögerte dennoch. Dies war fast mehr, als Rand sich wünschen konnte, aber Perrin Aybara war nur ein Schmied! Konnte er sich das noch immer sagen, wenn er hierauf einging? Alliandre blickte flehend zu ihm hoch. Wirkte Taveren auch bei ihnen selbst? fragte er sich. »Unter dem Licht, ich, Perrin Aybara, nehme Euer Gelöbnis an...« Seine Kehle war trocken, als er die Worte ausgesprochen hatte, die Faile ihm zugeflüstert hatte. Nun war es zu spät, innezuhalten und nachzudenken.
Alliandre küßte mit erleichtertem Seufzen seine Hände. Perrin glaubte, noch niemals in seinem Leben so verlegen gewesen zu sein. Er erhob sich rasch und zog Alliandre mit sich hoch. Dann erkannte er, daß er nicht wußte, was er als nächstes tun sollte. Die stolz strahlende Faile flüsterte ihm keine Hinweise mehr zu. Berelain lächelte mit gerötetem Gesicht ebenfalls erleichtert.
Er war sich sicher, daß Annoura die Stimme erheben würde — Aes Sedai hatten stets viel zu sagen, besonders wenn es ihnen die Gelegenheit verschaffte, die Führung zu übernehmen —, aber die Graue Schwester streckte nur ihren Weinbecher aus, um sich von Maighdin nachschenken zu lassen. Sie beobachtete ihn mit unlesbarer Miene, und Maighdin tat dies ebenfalls so angespannt, daß sie den Krug noch neigte, als der gewürzte Wein bereits über das Handgelenk der Aes Sedai lief. Annoura zuckte zusammen und starrte den Becher in ihrer Hand an, als hätte sie vergessen, daß er dort war. Faile legte die Stirn in Falten, Lini runzelte die Stirn noch stärker, und Maighdin eilte nach einem Tuch, um die Hand der Schwester abzutrocknen, während sie wieder leise murrte. Faile würde einen Anfall bekommen, wenn sie dieses Murren jemals hörte.
Perrin wurde sich bewußt, daß er sich zuviel Zeit nahm. Alliandre leckte sich besorgt die Lippen. Sie erwartete mehr, aber was? »Jetzt, da wir hier zu einem Ende gelangt sind, muß ich als nächstes den Propheten finden«, sagte er und zuckte zusammen. Zu unverblümt. Er hatte kein Gefühl für den Umgang mit Adligen, geschweige denn mit Königinnen. »Ihr wollt vermutlich nach Bethai zurückkehren, bevor jemand erfährt, daß Ihr fort wart.«
»Zuletzt habe ich gehört«, entgegnete Alliandre, »der Prophet des Lord Drachen sei in Abila. Das ist eine ziemlich große Stadt in Amadicia, vielleicht vierzig Meilen südlich von hier.«
Perrin runzelte wider Willen die Stirn, obwohl er seine Züge rasch wieder glättete. Also hatte Balwer recht gehabt. Wenn er in einem Punkt recht gehabt hatte, bedeutete das allerdings nicht, daß er in allen Punkten recht hatte, aber es wäre es vielleicht wert, sich anzuhören, was der Mann über die Weißmäntel zu sagen hatte. Und über die Seanchaner. Wie viele Taraboner waren beteiligt?
Faile glitt neben ihn, legte eine Hand auf seinen Arm und lächelte Alliandre herzlich zu. »Du kannst sie jetzt noch nicht fortschicken, mein Herz. Die Königin ist doch gerade erst angekommen. Laß uns noch etwas hier im Schatten plaudern, bevor sie den Rückweg antreten muß. Ich weiß, daß du dich um wichtige Dinge kümmern mußt.«
Es gelang ihm mit Mühe, Faile nicht anzustarren. Was konnte wichtiger sein als die Königin von Ghealdan? Mit Sicherheit nichts, was ihm jemand zu tun überlassen würde. Sie wollte eindeutig ohne ihn mit Alliandre sprechen. Mit etwas Glück würde sie ihm später erzählen, warum. Mit etwas Glück würde sie ihm alles erzählen. Elyas glaubte die Saldeaner vielleicht zu kennen, aber Perrin hatte gelernt, daß nur ein Narr alle Geheimnisse seiner Frau herauszufinden versucht. Oder sie von jenen wissen läßt, die er bereits herausgefunden hat.
Alliandre zu verlassen sollte zweifellos ebenso zeremoniell vonstatten gehen wie sie zu begrüßen, und es gelang ihm, sich angemessen zu verbeugen und sich zu entschuldigen, woraufhin sie einen tiefen Hofknicks vollführte und murmelte, er erwiese ihr zuviel der Ehre — das war alles. Mit einer Kopfbewegung bedeutete er Gallenne, ihm zu folgen. Er bezweifelte, daß Faile ihn davonschicken, Gallenne aber bleiben lassen würde. Worüber wollte sie mit der Königin allein sprechen?
Draußen versetzte der einäugige Mann Perrin einen Schlag auf die Schulter, der einen kleineren Mann ins Straucheln gebracht hätte. »Verdammt, ich habe so etwas noch nie gehört! Jetzt kann ich behaupten, daß ich wahrhaftig einen Ta'veren bei der Arbeit beobachtet habe. Was soll ich tun?« Und was sollte er darauf antworten?
In diesem Moment hörte er Schreien aus dem Lager der Bewohner von Mayene, den Klang eines Streits, laut genug, daß die Männer aus den Zwei Flüssen aufstanden und durch die Bäume spähten, obwohl die Hügelflanke die Sicht verdeckte.
»Laßt uns zuerst nachsehen, was dort vor sich geht« erwiderte Perrin. Das würde ihm Zeit zum Nachdenken verschaffen. Darüber, was er auf Gallennes Frage erwidern sollte, und über andere Dinge.
Faile wartete einige Momente, nachdem Perrin gegangen war, bevor sie den Dienern beschied, sie und die übrigen würden sich selbst einschenken. Maighdin war so damit beschäftigt, Alliandre anzustarren, daß Lini sie am Ärmel ziehen mußte, damit sie sich rührte. Faile würde sich später darum kümmern müssen. Sie stellte ihren Becher ab und folgte den drei Frauen zum Zelteingang, als wollte sie sie zur Eile antreiben, aber dort hielt sie inne.
Perrin und Gallenne gingen durch die Bäume auf das Lager der Bewohner von Mayene zu. Gut. Die meisten der Cha Faile kauerten nicht weit entfernt. Sie machte Parelean auf sich aufmerksam und vollführte in Hüfthöhe eine Geste, die hinter ihr niemand sehen konnte. Eine schnelle Kreisbewegung, gefolgt von einer geballten Faust. Die Tairener und Cairhiener teilten sich sofort in Zweier- und Dreiergruppen auf und schwärmten aus. Weitaus weniger beredt als die Zeichensprache der Töchter des Speers, genügten die Gesten der Cha Faile jedoch. Innerhalb weniger Augenblicke umstand ein lockerer Ring ihrer Leute anscheinend zufällig das Zelt, die sich müßig unterhielten oder das Fadenspiel spielten. Aber niemand würde näher als zwanzig Schritte ans Zelt herankommen, ohne daß Faile gewarnt würde.
Perrin machte ihr die meisten Sorgen. Sie hatte etwas Bedeutungsvolles erwartet, sobald Alliandre leibhaftig auftauchte, wenn auch nicht das, was dann geschah, aber Perrin war durch ihren Schwur wie benommen gewesen. Wenn es ihm in den Sinn kam zurückzukehren, um einen weiteren Vorstoß zu unternehmen, damit Alliandre sich nicht wegen ihrer Entscheidung grämte... Oh, er dachte mit dem Herzen, wenn er seinen Verstand einsetzen sollte. Und mit dem Verstand, wenn er auf sein Herz hören sollte! Sie empfand bei diesem Gedanken Schuldgefühle.
»Merkwürdige Diener habt Ihr unterwegs aufgelesen«, sagte Berelain neben ihr im Tonfall spöttischen Wohlwollens. Faile zuckte zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, daß die Frau hinter sie getreten war Lini und die übrigen Diener gingen gerade auf die Karren zu, wobei Lini Maighdin mit dem Finger drohte. Berelain blickte von Faile zu ihnen. Sie sprach leise, aber der spöttische Unterton blieb. »Zumindest die Älteste kennt anscheinend ihre Pflichten, anstatt nur davon gehört zu haben, aber Annoura sagte mir, die Jüngste wäre eine Wilde. Sehr schwach, sagt Annoura, und unbedeutend, aber Wilde bereiten stets Kummer. Die anderen werden Geschichten über sie verbreiten, wenn sie es erfahren, und sie wird früher oder später davonlaufen. Das tun Wilde stets, wie ich hörte. Das kommt davon, wenn man Dienerinnen wie streunende Hunde aufliest.«
»Sie geben sich ausreichend Mühe und passen sich an«, erwiderte Faile kühl. Dennoch war eine ausführliche Unterhaltung mit Lini unbedingt nötig. Eine Wilde? Sie könnte sich vielleicht als nützlich erweisen, selbst wenn sie schwach war. »Ich dachte immer, Ihr wärt gut darin, Diener auszuwählen.« Berelain blinzelte. Sie war sich nicht sicher, was das bedeuten sollte, und Faile achtete sorgfältig darauf, ihre Zufriedenheit nicht zu zeigen. Sie wandte sich ab und sagte: »Annoura, würdet Ihr einen Lauschschutz für uns weben?«
Es war nicht zu erwarten, daß Seonid oder Masuri eine Gelegenheit fänden, mit Hilfe der Macht zu lauschen — Faile erwartete, daß Perrin zornig würde, wenn er herausfand, wie stark die Weisen Frauen das Paar im Zaum hielten —, aber die Weisen Frauen selbst mochten hiervon erfahren haben. Faile war sich sicher, daß Edarra und die übrigen Seonid und Masuri geradezu verhörten.
Die geflochtenen Zöpfe der Grauen Schwester wippten leicht, als sie nickte. »Es ist vollbracht, Lady Faile«, sagte sie, und Berelain preßte kurz die Lippen zusammen. Recht zufriedenstellend. Die Verwegenheit, dies hier in Failes eigenem Zelt zu wagen! Sie verdiente mehr, als daß jemand zwischen sie und ihren Berater trat, aber es war zufriedenstellend.
Auf kindische Art zufriedenstellend, gestand Faile sich ein, wobei sie sich auf die vorliegende Sache konzentrieren sollte. Sie hätte sich vor Verärgerung fast auf die Lippen gebissen. Sie zweifelte nicht an der Liebe ihres Mannes, aber sie konnte Berelain nicht so behandeln, wie die Frau es verdiente, und das zwang sie gegen ihren Willen, Perrin zu häufig als Spielball zu benutzen. Und als Preis, wie Berelain glaubte. Wenn Perrin sich nur nicht manchmal so benähme, als wäre er vielleicht genau das. Entschlossen verdrängte sie alle diese Gedanken. Hier mußte die Arbeit einer Ehefrau getan werden. Der praktische Teil der Arbeit.
Alliandre sah nachdenklich zu Annoura hinüber, als ein Schutz erwähnt wurde — sie mußte erkannt haben, daß es um eine ernsthafte Unterhaltung ging —, aber sie sagte: »Euer Gatte ist ein außergewöhnlicher Mann, Lady Faile. Es ist nicht abwertend gemeint, wenn ich sage, daß sein rauhes Äußeres keinen solch scharfen Verstand vermuten läßt. Da wir Amadicia unmittelbar vor der Haustür haben, spielen wir in Ghealdan notgedrungen Daes Dae'mar, aber ich glaube nicht, daß ich jemals zuvor so rasch, geschickt und leicht zu einer Entscheidung geführt wurde, wie Lord Perrin es getan hat. Die Andeutung einer Drohung hier, ein Stirnrunzeln da. Ein äußerst außergewöhnlicher Mann.«
Dieses Mal fiel es Faile recht schwer, ihr Lächeln zu verbergen. Diese Südländer schätzten das Spiel der Häuser hoch ein, und sie glaubte nicht, daß Alliandre gern erführe, daß Perrin einfach sagte, was er dachte —manchmal entschieden zu offen —, und daß Menschen, die schlecht dachten, seine Ehrlichkeit für Berechnung hielten. »Er hat einige Zeit in Cairhien verbracht«, sagte sie. Sollte Alliandre das auffassen, wie sie wollte. »Wir können hinter Annoura Sedais Schutz offen sprechen. Es ist nicht zu übersehen, daß Ihr noch nicht nach Bethai zurückkehren wollt. Genügt Euer Schwur Perrin und Perrins Schwur Euch gegenüber nicht, ihn an Euch zu binden?« Einige Menschen hier im Süden hatten eigenartige Vorstellungen davon, was Treue bedeutete.
Berelain trat schweigend zu Failes Rechten, und kurz darauf trat Annoura zu ihrer Linken, so daß sich Alliandre ihnen allen dreien gegenübersah. Es überraschte Faile, daß die Aes Sedai ihren Plan unterstützten, ohne zu wissen, was er beinhaltete — Annoura hatte zweifellos ihre eigenen Gründe, und Faile hätte viel dafür gegeben zu erfahren, welcher Art diese Gründe waren —, aber bei Berelain überraschte es sie nicht. Eine beiläufig geäußerte spöttische Bemerkung könnte alles verderben, besonders über Perrins Fähigkeiten im Großen Spiel, und doch war sie sich sicher, daß diese Bemerkung nicht fiel. Das erzürnte sie in gewisser Weise. Sie hatte Berelain einst verachtet. Sie haßte sie noch immer zutiefst, aber widerwilliger Respekt hatte die Verachtung ersetzt. Die Frau wußte, wann ihr ›Spiel‹ ausgesetzt werden mußte. Wäre Perrin nicht gewesen, glaubte Faile, daß sie die Frau tatsächlich hätte mögen können! Um diesen abscheulichen Gedanken auszulöschen, stellte sie sich vor, Berelain kahl zu scheren. Sie war ein Weibsstück und eine Hure! Und nichts, wodurch Faile sich jetzt ablenken lassen würde.
Alliandre betrachtete die drei Frauen vor ihr nacheinander, aber sie zeigte keine Anspannung. Sie nahm ihren Weinbecher wieder auf, trank beiläufig und sprach dann seufzend und mit reumütigem Lächeln, als wären ihre Worte in Wahrheit nicht so wichtig, wie sie klangen. »Ich will meinen Schwur natürlich halten, aber Ihr müßt verstehen, daß ich mehr erhofft hatte. Wenn Euer Ehemann geht, bin ich in der gleichen Lage wie zuvor. Vielleicht sogar in einer noch schlimmeren Lage, bis greifbare Hilfe vom Lord Drachen kommt, dessen Name im Licht gesegnet sei. Der Prophet könnte Bethai oder sogar Jehannah selbst zerstören, wie er es mit Samara getan hat, und ich kann ihn nicht aufhalten. Und wenn er irgendwie von meinem Schwur erfährt... Er sagt, er sei gekommen, um uns zu zeigen, wie man dem Lord Drachen im Licht dient, aber er weist den Weg, und ich kann mir nicht vorstellen, daß er erfreut sein wird, wenn jemand einen anderen Weg findet.«
»Es ist gut, daß Ihr Euren Schwur halten wollt«, belehrte Faile sie trocken. »Wenn Ihr mehr von meinem Ehemann erwartet, solltet Ihr vielleicht mehr tun. So könntet Ihr ihn begleiten, wenn er nach Süden zieht, um den Propheten zu treffen. Ihr werdet natürlich Eure eigenen Soldaten bei Euch haben wollen, aber ich schlage vor, daß es nicht mehr sein sollten, als die Erste mit sich führt. Wollen wir uns setzen?« Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder, den Perrin frei gemacht hatte, bedeutete Berelain und Annoura, auf den benachbarten Stühlen Platz zu nehmen und deutete erst dann auf einen weiteren Stuhl für Alliandre.
Die Königin setzte sich langsam hin und sah Faile mit geweiteten Augen an, nicht nervös, aber höchst überrascht. »Warum, im Licht, sollte ich das tun?« rief sie aus. »Lady Faile, die Kinder des Lichts werden jeden Vorwand nutzen, in Ghealdan noch mehr zu plündern, und König Ailron könnte beschließen, ebenfalls ein Heer nach Norden zu entsenden. Es ist unmöglich!«
»Die Frau Eures Lehnsherrn fordert es von Euch, Alliandre«, sagte Faile fest.
Es schien nicht möglich, daß sich Alliandres Augen noch mehr weiten könnten als zuvor, und doch taten sie es. Sie blickte zu Annoura und sah nur die unerschütterliche Gelassenheit einer Aes Sedai. »Natürlich«, sagte sie kurz darauf. Ihre Stimme klang hohl. Sie schluckte und fügte hinzu: »Natürlich werde ich Eurer ... Forderung entsprechen ... meine Lady.«
Faile verbarg ihre Erleichterung hinter einem anmutigen Nicken. Sie hatte erwartet, daß sich Alliandre weigern würde. Daß Alliandre Treue schwören konnte, ohne zu erkennen, was das bedeutete — daß sie es für nötig hielt zu erwähnen, sie beabsichtige, den Schwur einzuhalten! —, hatte Faile nur in ihrem Glauben bestärkt, daß man die Frau nicht zurücklassen durfte. Nach allem, was man hörte, hatte sie Masema nachgegeben. Selbstverständlich nur widerwillig, wobei sie kaum eine andere Wahl hatte und erst dann, als sie es tun mußte, und doch konnte Unterordnung zur Gewohnheit werden. Wenn sie wieder in Bethai wäre, ohne daß sich etwas sichtbar änderte — wie lange würde es dann dauern, bis sie beschlösse, sich mit einer Warnung an Masema abzusichern? Sie hatte das Gewicht ihres Schwurs gespürt. Nun konnte Faile ihr die Bürde erleichtern.
»Ich bin froh, daß Ihr uns begleiten werdet«, sagte sie herzlich. Und das entsprach der Wahrheit. »Mein Mann vergißt Menschen nicht, die ihm einen Dienst erweisen. Ein solcher Dienst könnte es sein, wenn Ihr Euren Adligen schreibt, daß ein Mann im Süden das Banner von Manetheren gehißt hat.« Berelain wandte überrascht den Kopf, und Annoura blinzelte zumindest.
»Lady Faile«, sagte Alliandre drängend, »die Hälfte von ihnen wird sich an den Propheten wenden, sobald sie meinen Brief erhalten. Sie fürchten ihn, und nur das Licht weiß, was er tun wird.« Das war genau die Antwort, auf die Faile gehofft hatte.
»Weshalb Ihr ihm ebenfalls schreiben werdet, um ihm mitzuteilen, daß Ihr einige Soldaten versammelt habt, um Euch persönlich um diesen Mann zu kümmern. Der Prophet des Drachen ist zu bedeutend, als daß er seine Aufmerksamkeit einer solch unwichtigen Sache zuwenden sollte.«
»Sehr gut«, murmelte Annoura. »Niemand wird wissen, um wen es geht.«
Berelain lachte vor Begeisterung — verdammt sei sie!
»Meine Lady«, flüsterte Alliandre, »ich sagte, mein Lord Perrin sei außergewöhnlich. Darf ich hinzufügen, daß seine Frau in jeder Beziehung ebenso außergewöhnlich ist?«
Faile gab sich Mühe, sich nicht zu offensichtlich in diesem Lob zu sonnen. Jetzt mußte sie ihre Leute in Bethai benachrichtigen, was sie in gewisser Weise bedauerte. Es Perrin zu erklären wäre überaus schwierig gewesen, aber selbst er hätte nicht die Ruhe bewahren können, wenn sie die Königin von Ghealdan entführt hätte.
Die meisten der Beflügelten Wächter schienen sich am Rande ihres Lagerplatzes versammelt zu haben, wo sie zehn ihrer Leute zu Pferde umringten. Da die Reiter keine Speere trugen, mußten sie Kundschafter sein. Die sie umstehenden Männer drängten sich in dem Versuch, näher heran zu kommen, gegenseitig beiseite. Perrin glaubte erneut, Donnern zu hören, jetzt näher, aber er nahm es nur nebenbei wahr.
Als er sich gerade zu den Reitern hindurchzwängen wollte, brüllte Gallenne: »Platz da, ihr räudigen Hunde!« Köpfe wurden ruckartig gewandt, und Männer drängten in der Menge zur Seite und eröffneten so einen schmalen Durchgang. Perrin fragte sich, was geschehen würde, wenn er die Männer aus den Zwei Flüssen räudige Hunde nannte. Es würde ihm wahrscheinlich einen Schlag auf die Nase einbringen, wäre aber vielleicht einen Versuch wert.
Nurelle und die anderen Offiziere befanden sich bei den Kundschaftern, desgleichen sieben Mann zu Fuß mit auf dem Rücken gefesselten Händen und Führseilen um den Hals, die unruhig mit den Füßen scharrten, die Schultern einzogen und aus Angst oder Trotz oder beidem finster dreinblickten. Ihre Kleidung war steif von altem Schmutz, obwohl einige Kleidungsstücke einst edel gewesen waren. Sie rochen seltsamerweise stark nach Holzrauch. Außerdem hatten einige der berittenen Soldaten Ruß auf dem Gesicht und einer oder zwei anscheinend Verbrennungen. Aram stand da und betrachtete die Gefangenen mit leichtem Stirnrunzeln.
Gallenne stellte sich mit gespreizten Beinen und in die Hüften gestemmten Fäusten auf, wobei er mit seinem einen Auge ebenso streng blicken konnte wie die meisten Männer mit zweien. »Was ist passiert?« fragte er barsch. »Meine Kundschafter sollen Nachrichten bringen, keine Lumpensammler!«
»Ortis soll berichten, mein Lord«, sagte Nurelle. »Er war dabei. Unterführer Ortis!«
Ein Soldat mittleren Alters stieg aus dem Sattel und verbeugte sich mit auf das Herz gepreßter Hand. Er trug einen einfachen Helm ohne die Federn und Schwingen, welche die Offiziershelme aufwiesen. Seine Gesichtsröte war deutlich zu erkennen, und eine Wange war von einer Narbe gezeichnet, wodurch der Mundwinkel nach oben gezogen wurde. »Mein Lord Gallenne, mein Lord Aybara«, sagte er mit rauher Stimme. »Wir trafen ungefähr zwei Meilen westlich von hier auf diese Rübenfresser. Sie steckten gerade einen Bauernhof in Brand, obwohl sich die Landleute noch darin befanden. Eine Frau versuchte, aus dem Fenster zu fliehen, doch dieser Abschaum schlug ihr den Schädel ein. Da wir Lord Aybaras Meinung zu solchem Handeln kennen, setzten wir dem ein Ende.
Wir kamen zu spät, um alle Bewohner zu retten, aber wir haben diese sieben Männer gefangengenommen. Die übrigen entkamen.«
»Die Menschen sind oft versucht, wieder in den Schatten zurückzugleiten«, sagte einer der Gefangenen plötzlich. »Sie müssen an den Preis erinnert werden.« Er war ein großer, hagerer Mann mit würdevoller Haltung, dessen Stimme ruhig und gebildet klang, aber seine Jacke war ebenso schmutzig wie diejenigen aller übrigen, und er hatte sich seit zwei oder drei Tagen nicht mehr rasiert. Der Prophet hieß es anscheinend nicht gut, Zeit für Dinge wie eine Rasur oder das Waschen zu verschwenden. Mit gefesselten Händen und einem Seil um den Hals sah er seine Gefangenenwärter ohne die geringste Angst an. Er war ganz hochmütiger Trotz. »Eure Soldaten beeindrucken mich nicht«, sagte er. »Der Prophet des Lord Drachen, dessen Name im Licht gesegnet sei, hat weitaus größere Heere vernichtet. Ihr könnt uns töten, aber wir werden gerächt werden, wenn der Prophet Euer Blut vergießt. Niemand von Euch wird uns lange überleben. Der Prophet wird in Feuer und Blut triumphieren.« Er beendete seine Rede mit leisem Lachen, das Kinn emporgereckt. Murmeln erhob sich in der Zuhörerschaft. Sie wußten sehr genau, daß Masema tatsächlich schon größere Heere als ihres vernichtet hatte.
»Hängt sie«, sagte Perrin. Er hörte den Donner erneut.
Nachdem er den Befehl gegeben hatte, zwang er sich, auch zuzusehen. Trotz des Gemurmels mangelte es nicht an Helfern. Einige der Gefangenen begannen zu weinen, als die Führseile über Äste geworfen wurden. Ein einst dicker Mann, dessen Hautfalten schlaff herabhingen, rief, er bereue und würde jedem Herrn dienen, der ihm zugewiesen würde. Ein kahlköpfiger Bursche, der so zäh wie Lamgwin aussah, schlug um sich und schrie, bis das Seil sein Heulen beendete. Nur der Mann mit der ruhigen Stimme wehrte sich nicht, selbst als sich die Schlinge um seinen Hals zuzog. Seine Augen sprühten bis zum Schluß Trotz.
»Wenigstens einer von ihnen weiß, wie man stirbt«, grollte Gallenne, als der Körper schließlich erschlaffte. Er betrachtete die an den Bäumen hängenden Männer stirnrunzelnd, als bedauere er, daß sie sich nicht stärker gewehrt hatten.
»Wenn diese Leute dem Schatten dienten...«, Aram zögerte. »Verzeiht, Lord Perrin, aber wird dies dem Wiedergeborenen Drachen gefallen?«
Perrin zuckte zusammen und sah ihn entgeistert an. »Licht, Aram, Ihr habt gehört, was sie getan haben! Rand hätte ihnen selbst die Schlinge um den Hals gelegt!« Er glaubte es und hoffte zumindest, daß er es getan hätte. Rands Ziel war es, die Nationen vor der Letzten Schlacht zusammenzuschweißen, und er hatte sich bisher wenig um den Preis auf diesem Weg gekümmert.
Die Männer wandten jäh die Köpfe, als so lautes Donnern erklang, daß alle es hören konnten. Das Donnern näherte sich rasch. Wind erhob sich, ließ wieder nach, erhob sich erneut und zerrte an Perrins Jacke, während er die Richtung änderte. Blitze durchzuckten einen wolkenlosen Himmel. Im Lager der Bewohner von Mayene wieherten Pferde und zerrten an ihren Seilen. Der Donner krachte wiederholt, Blitze wanden sich wie silbrig blaue Schlangen, und unter einer brennenden Sonne fiel Regen, vereinzelte dicke Tropfen, die Staub aufwirbelten, wo sie auf den kahlen Boden trafen. Perrin wischte sich einen Tropfen von der Wange und betrachtete seine feuchten Finger erstaunt.
Sehr bald hatte sich der Sturm wieder gelegt, und Donner und Blitz zogen ostwärts weiter. Die durstige Erde saugte die herabgefallenen Regentropfen augenblicklich auf, die Sonne brannte so heftig wie je, und nur flackerndes Licht am Himmel und verhallendes Donnern bezeugten, daß überhaupt etwas geschehen war. Die Soldaten sahen einander unsicher an. Gallenne löste mit offensichtlicher Mühe die Finger von seinem Schwertheft.
»Das ... das kann nicht das Werk des Dunklen Königs sein«, sagte Aram und zuckte zusammen. Niemand hatte jemals einen Sturm wie diesen erlebt. »Bedeutet das nicht, daß sich das Wetter ändert, Lord Perrin? Das Wetter wird sich wieder einpendeln?«
Perrin öffnete den Mund, um dem Mann diese Anrede zu verbieten, schloß ihn dann aber seufzend wieder. »Ich weiß es nicht«, antwortete er. Was hatte Gaul noch gesagt? »Alles ändert sich, Aram.« Er hätte nur niemals gedacht, daß er sich auch ändern müßte.