8 Eine einfache Frau vom Lande

Das Lager befand sich ungefähr eine Meile weiter, ein gutes Stück von der Straße entfernt zwischen niedrigen, bewaldeten Hügeln unmittelbar jenseits eines Wasserlaufs, der auf zehn Fuß Breite Steine und nur auf fünf Fuß Breite Wasser aufwies und niemals tiefer war als bis zu den Knien eines Menschen. Kleine grüne und silberne Fische schossen vor den Pferdehufen davon. Gelegentlich Vorübergehende würden hier kaum jemanden vermuten. Der nächste Bauernhof war über eine Meile entfernt, und Perrin hatte sich selbst davon überzeugt, daß diese Leute ihr Vieh anderswo tränkten.

Er hatte wirklich versucht, jegliches Aufsehen so weit wie möglich zu vermeiden, indem sie auf Nebenstraßen und kleinsten Landwegen geritten waren, wenn sie nicht in den Wäldern bleiben konnten. Aber es war vergebliche Mühe gewesen. Die Pferde konnten geweidet werden, wo immer es Gras gab, aber sie benötigten zumindest auch etwas Hafer, und selbst ein kleines Heer mußte Nahrung erstehen, viel Nahrung. Jeder Mann verbrauchte vier Pfund am Tag, in Mehl und Bohnen und Fleisch gemessen. Die Gerüchte mußten schon in ganz Ghealdan kursieren, aber mit ein wenig Glück würde niemand vermuten, wer sie waren. Perrin verzog das Gesicht. Vielleicht solange nicht, bis er hinging und den Mund öffnete. Dennoch hätte er niemals anders gehandelt.

Tatsächlich waren es drei Lager, die dicht beieinander lagen und nicht weit vom Wasserlauf entfernt waren. Sie reisten zusammen, folgten alle Perrin, gehorchten ihm vermutlich, aber es waren zu viele Persönlichkeiten im Spiel, und niemand war vollkommen sicher, daß die anderen dasselbe Ziel verfolgten. Ungefähr neunhundert Beflügelte Wächter hatten ihre Herdfeuer zwischen Reihen angepflockter Pferde auf einer weiten Wiese mit niedergetretenem braunem Gras geschürt. Perrin versuchte, seine Nase vor den vermischten Gerüchen von Pferden, Schweiß, Dung und kochendem Ziegenfleisch, die unangenehme Zusammenstellung eines heißen Tages, zu verschließen. Ein Dutzend berittene Wachen umrundeten jeweils zu zweit gemächlich das Lager, ihre langen, mit roten Wimpeln versehenen Speere alle genau im gleichen Winkel gehalten, aber die übrigen Mayener hatten ihre Brustharnische und Helme abgelegt. In der Sonne ohne Jacke und oft auch ohne Hemd, lagen, sie ausgestreckt auf ihren Decken oder würfelten, während sie auf das Essen warteten. Einige schauten auf, als Perrin vorüberritt, einige ließen von ihren Tätigkeiten ab, um die Neuzugänge in seiner Gruppe zu betrachten, aber niemand lief herbei. Also waren die Spähtrupps noch immer draußen. Kleine Spähtrupps ohne Speere, die sehen konnten, ohne gesehen zu werden. Nun, das hoffte er zumindest. Das hatte er gehofft.

Eine Handvoll Gai'schain verrichteten zwischen den niedrigen, graubraunen Zelten auf dem spärlich bewaldeten Hügelkamm über den Mayenern verschiedene Aufgaben. Auf diese Entfernung schienen die weiß gekleideten Gestalten harmlos, die Augen gesenkt und sanftmütig. Aus der Nähe betrachtet, würden sie ebenso wirken, aber die meisten waren Shaido. Die Weisen Frauen behaupteten, Gai'schain seien Gai'schain. Perrin traute keinem Shaido außer Sichtweite. An einer Seite des Hangs knieten unter einem kümmerlichen Tupelobaum ungefähr ein Dutzend Töchter des Speers im Cadin'sor in einem Kreis um Sulin, die trotz ihres weißen Haars die Zäheste unter ihnen war. Sie hatte ebenfalls Kundschafter ausgesandt, Frauen, die zu Fuß ebenso schnell waren wie die Mayener zu Pferde und wahrscheinlich weitaus weniger Aufmerksamkeit erregen würden. Keine der Weisen Frauen dort oben zeigte sich, nur eine schlanke Frau, die in einem großen Kessel den Eintopf umrührte, richtete sich auf und rieb sich den Rücken, während sie Perrin und die anderen vorüberziehen sah. Eine Frau in einem grünen Seidenreitgewand.

Er konnte den düsteren Ausdruck auf Masuris Gesicht erkennen. Aes Sedai rührten nicht in Kesseln, noch vollführten sie zwanzig weitere Aufgaben, welche die Weisen Frauen ihr und Seonid aufgetragen hatten. Masuri tat es für Rand, aber Rand war nicht hier, doch Perrin war hier. Bekäme sie auch nur halbwegs die Gelegenheit dazu, würde sie ihm das Fell über die Ohren ziehen.

Edarra und Nevarin tauchten aus jener Richtung auf und wirbelten selbst in ihren bauschigen Gewändern kaum die Schichten toten Laubs auf, die den Boden bedeckten. Seonid folgte ihnen, den Knebel noch immer im Mund. Sie wandte sich in ihrem Sattel um und blickte zu Perrin. Wenn er hätte glauben können, daß eine Aes Sedai ängstlich wirken konnte, hätte er dies bei ihr vermutet. Furen und Teryl ritten mit finsteren Mienen hinter ihr her.

Masuri sah sie näher kommen und beugte sich hastig wieder über den schwarzen Kessel, rührte mit neuerlicher Energie darin herum und versuchte den Eindruck zu erwecken, sie hätte niemals damit aufgehört. Solange Masuri den Weisen Frauen diente, glaubte Perrin keine Befürchtung um sein Fell hegen zu müssen. Die Weisen Frauen hielten sie anscheinend sehr kurz.

Nevarin schaute über die Schulter zu ihm zurück, ein weiterer dieser düsteren Blicke, die ihm von ihr und Edarra zugedacht wurden, seit er seine Warnung —seine Drohung — über den stoppelbärtigen Burschen ausgesprochen hatte. Perrin stieß verärgert den Atem aus. Er mußte sich solange nicht um sein Fell sorgen, bis die Weisen Frauen beschlossen, daß sie es wollten. Zu viele Persönlichkeiten. Zu viele Ziele.

Maighdin ritt neben Faile und beachtete scheinbar nicht, woran sie vorüberritten, aber er hätte keine Kupfermünze darauf verwettet. Ihre Augen hatten sich kaum merklich geweitet, als sie die mayenischen Wachen gesehen hatte. Sie wußte ebenso gewiß, was rote Brustharnische und Helme, die wie mit einem Rand versehene Töpfe aussahen, bedeuteten, wie sie ein Aes Sedai-Gesicht erkannt hatte. Die meisten Menschen hätten beides nicht vermocht, besonders nicht Menschen, die wie sie gekleidet waren. Diese Maighdin war ein Rätsel. Sie schien ihm aus einem unbestimmten Grund vage vertraut.

Lini und Tallanvor — so hatte er Maighdin den Burschen nennen hören, der hinter ihr hergeritten war, der ›junge‹ Tallanvor, obwohl ihr Altersunterschied höchstens vier oder fünf Jahre betragen konnte —blieben so dicht hinter Maighdin wie möglich, während Aram Perrin dichtauf zu folgen versuchte. Ebenso ein hartnäckiger kleiner Bursche namens Balwer, der noch weniger auf ihre Umgebung zu achten schien, als Maighdin vorgab. Dennoch glaubte Perrin, daß Balwer mehr sah als sie. Er konnte nicht genau sagen warum, aber die wenigen Male, als er den Geruch des hageren kleinen Mannes erhaschte, wurde er an einen in der Luft schnuppernden Wolf erinnert. Seltsamerweise war Balwer nicht ängstlich, ihn durchströmte lediglich eine wellenförmig schnell unterdrückte Verärgerung, begleitet vom zitternden Geruch der Ungeduld. Die dritte Frau, Breane, flüsterte heftig mit einem ungeschlachten Burschen, der die Augen gesenkt hielt, manchmal schweigend nickte und manchmal den Kopf schüttelte. Wenn es jemals einen rauhen Burschen gegeben hatte, dann war er es, aber die kleine Frau strahlte ebenfalls Zähigkeit aus. Der letzte Mann verbarg sich hinter diesen beiden, ein gedrungener Bursche mit einem ramponierten, tief ins Gesicht gezogenen Strohhut. Bei ihm wirkte das Schwert, das alle Männer trugen, genauso fremd wie bei Balwer.

Der dritte Teil des Lagers, der sich unter den Bäumen unmittelbar hinter der Biegung des Hügels der Mayener ausbreitete, nahm genausoviel Raum ein wie die Beflügelten Wachen, obwohl hier weitaus weniger Menschen verweilten. Hier waren die Pferde ein gutes Stück von den Herdfeuern entfernt angepflockt, so daß reiner Essensgeruch die Luft erfüllte. Dieses Mal geröstete Ziege und harte Rüben, welche die Bauern wahrscheinlich ihren Schweinen hatten verfüttern wollen, auch wenn die Zeiten sehr hart waren. Annähernd dreihundert Leute von den Zwei Flüssen, die Perrin von zu Hause gefolgt waren, kümmerten sich um Fleischspieße, flickten Kleidung oder überprüften Pfeile und Bogen, alle in zufälligen Gruppen von fünf oder sechs Freunden um ein Feuer versammelt. Fast alle winkten und riefen Grüße, obwohl zu häufig »Lord Perrin« und »Perrin Goldauge« erklang, als daß es ihm gefallen hätte. Faile hatte jedoch ein Recht auf die Titel, mit denen sie bedacht wurde.

Grady und Neald, die in ihren nachtschwarzen Umhängen nicht schwitzten, grüßten nicht. Sie standen neben dem Herdfeuer, das sie ein Stück von allen anderen entfernt entzündet hatten, und sahen ihn nur an. Erwartungsvolle Blicke, dachte er. Was erwarteten sie? Das war die Frage, die er sich bei ihnen stets stellte. Die Asha'man bereiteten ihm mehr Unbehagen als die Aes Sedai oder die Weisen Frauen. Es war natürlich, daß Frauen die Macht lenkten, auch wenn ein Mann sich dabei nicht wirklich wohl fühlte. Grady mit dem gewöhnlichen Gesicht wirkte trotz Umhang und Schwert wie ein Bauer und Neald mit seinem gezwirbelten Schnurrbart wie ein Geck, und doch konnte Perrin nicht vergessen, was sie waren und was sie an den Brunnen von Dumai getan hatten. Aber andererseits war er auch dort gewesen. Das Licht helfe ihm, so war es. Er nahm seine Hand von der Streitaxt an seinem Gürtel und stieg ab.

Diener — Männer und Frauen von Lord Dobraines Ländereien in Cairhien — liefen von den Reihen angepflockter Pferde herbei und übernahmen ihre Reittiere. Keiner reichte über Perrins Schulter hinaus, ländlich gekleidete Leute, die sich ständig willfährig verbeugten und Hofknickse vollführten. Faile sagte, er verwirre sie, wenn er sie aufforderte, damit aufzuhören oder es ihm gegenüber nicht mehr so häufig zu tun. Tatsächlich rochen sie verwirrt, wenn er es tat, und verbeugten sich eine oder zwei Stunden später doch wieder. Andere, fast so viele wie die Leute von den Zwei Flüssen, beschäftigten sich mit den Pferden oder mit den langen Reihen hochrädriger Karren, auf denen sämtliche Vorräte transportiert wurden. Einige wenige eilten in ein großes rotweißes Zelt oder kamen daraus hervor.

Dieses Zelt veranlaßte Perrin, wie üblich düster zu stöhnen. Berelain besaß im mayenischen Teil des Lagers ein noch größeres Zelt sowie eines für ihre beiden Dienerinnen und ein weiteres für die beiden Diebfänger, die sie unbedingt mitbringen wollte. Auch Annoura hatte ein eigenes Zelt und Gallenne ebenfalls, aber nur er und Faile besaßen hier eines. Was ihn betraf, so hätte er wie die anderen Männer von zu Hause unter freiem Himmel geschlafen. Sie hatten nachts nichts außer einer Decke über sich. Es war gewiß kein Regen zu befürchten. Auch die cairhienischen Diener schliefen im Freien neben den Karren. Er konnte Faile jedoch nicht darum bitten, wenn Berelain ein Zelt hatte. Wenn er Berelain nur in Cairhien hätte zurücklassen können. Aber dann hätte er Faile nach Bethai hineinschicken müssen.

Zwei Banner an hohen, frisch zugeschnittenen Pfählen inmitten einer freien Fläche in der Nähe des Zelts verdüsterten seine Stimmung noch mehr. Die Brise war ein wenig aufgefrischt, obwohl es noch immer zu warm war. Er glaubte, den Donner erneut zu hören, ein schwaches Grollen im Westen. Die Banner entfalteten sich wellenförmig langsam, sackten unter ihrem eigenen Gewicht wieder zusammen und öffneten sich erneut in Wellen. Sein karmesinrot gesäumter Roter Wolfskopf und der Rote Adler des lange versunkenen Manetheren wurden entgegen seinen Befehlen erneut öffentlich gezeigt. Vielleicht hatte er es in gewisser Weise aufgegeben, sich zu verbergen, aber unbestreitbar war, daß Ghealdan ein Teil von Manetheren gewesen war. Alliandre würde nicht beruhigt sein, wenn sie von diesem Banner hörte! Es gelang ihm, eine freundliche Miene und ein Lächeln für die stämmige Frau aufzusetzen, die einen tiefen Hofknicks vollführte und Traber davonführte.

Die Fäuste in die Hüften gestemmt, stand Maighdin da und betrachtete die sich entfaltenden Banner, während ihr Pferd mit den anderen fortgeführt wurde. Überraschenderweise trug Breane ihre beiden Bündel, hielt sie jedoch unbeholfen fest. Sie betrachtete verdrießlich die anderen Frauen. »Ich habe von solchen Bannern gehört«, sagte Maighdin unvermittelt. Kein Zorn klang in ihrer Stimme mit, die ebenso glatt war wie ihr Gesicht, aber Perrin konnte ihre Wut riechen. »Sie wurden von Männern in Andor gehißt, in den Zwei Flüssen, die sich gegen ihren rechtmäßigen Herrscher auflehnten. Aybara ist wohl ein Name aus den Zwei Flüssen.«

»Wir wissen nicht viel über rechtmäßige Herrscher in den Zwei Flüssen, Herrin Maighdin«, grollte er. Er würde jedem das Fell über die Ohren ziehen, der sie dieses Mal gehißt hatte. Wenn sich die Geschichten über die Aufstände schon so weit verbreitet hatten... Er stand bereits zu vielen Schwierigkeiten gegenüber, als daß er noch mehr hätte gebrauchen können. »Morgase war vermutlich eine gute Königin, aber wir mußten uns allein durchs Leben schlagen, und das haben wir getan.« Ihm wurde jäh bewußt, an wen sie ihn erinnerte. An Elayne. Nicht daß es etwas bedeutet hätte. Er hatte Männer tausend Meilen von den Zwei Flüssen entfernt gesehen, die zu Familien gehören konnten, die er zu Hause gekannt hatte. Dennoch mußte es einen Grund für ihren Zorn geben. Ihr Akzent konnte andoranisch sein. »Die Dinge stehen in Andor nicht so schlecht wie Ihr vielleicht gehört habt«, belehrte er sie. »In Caemlyn war es friedlich, als ich das letzte Mal dort war, und Rand — der Wiedergeborene Drache — will Morgases Tochter Elayne auf den Löwenthron bringen.«

Maighdin war absolut nicht besänftigt, vielmehr drehte sie sich mit blitzenden Augen zu ihm um. »Er beabsichtigt, sie auf den Thron zu bringen? Niemand bringt eine Königin auf den Löwenthron! Elayne wird den Thron von Andor rechtmäßig beanspruchen!«

Perrin kratzte sich den Kopf und wünschte, Faile würde aufhören, die Frau lediglich aufmerksam zu beobachten, und etwas sagen. Aber sie steckte nur ihre Reithandschuhe hinter ihren Gürtel. Bevor er darüber nachdenken konnte, was er erwidern sollte, mischte sich Lini ein, ergriff Maighdins Arm und schüttelte sie so fest, daß ihre Zähne klapperten.

»Ihr werdet Euch entschuldigen!« befahl die alte Frau barsch. »Dieser Mann hat Euch das Leben gerettet, Maighdin, und Ihr vergeßt Euch. Wie kann eine einfache Frau vom Lande so mit einem Lord sprechen! Erinnert Euch daran, wer Ihr seid, und bringt Euch mit Euren Worten nicht in Teufels Küche! Wenn dieser junge Lord Streit mit Morgase hatte — nun, jedermann weiß, daß sie tot ist, und es geht Euch gewiß nichts an! Jetzt entschuldigt Euch, bevor er ärgerlich wird!«

Maighdin sah Lini an, ihre Lippen bebten, und sie war noch bestürzter als Perrin. Sie überraschte ihn jedoch erneut. Anstatt die weißhaarige Frau zurechtzuweisen, richtete sie sich langsam auf, straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. »Lini hat vollkommen recht. Es war ungehörig von mir, so mit Euch zu sprechen, Lord Aybara. Ich entschuldige mich. Demütig. Und ich bitte Euch um Verzeihung.« Demütig? Ihr Kinn war angespannt, ihr Tonfall dem Stolz einer Aes Sedai angemessen, und ihr Geruch besagte, daß sie noch immer äußerst wütend war.

»Es ist verziehen«, sagte Perrin hastig. Was sie anscheinend auch nicht besänftigte. Sie lächelte, und vielleicht wollte sie damit Dankbarkeit zeigen, aber er konnte sie mit den Zähnen knirschen hören. Waren Frauen alle verrückt?

»Diese Leute sind von der Reise erhitzt und schmutzig, mein Gemahl«, sagte Faile schließlich einlenkend, »und die letzten Stunden waren gewiß anstrengend für sie. Aram kann den Männern zeigen, wo sie sich säubern können. Ich werde die Frauen mit mir nehmen. Ich werde feuchte Tücher bringen lassen, damit Ihr Euch Gesicht und Hände waschen könnt«, sagte sie an Maighdin und Lini gewandt. Sie bedeutete Breane mit einer Geste, sich anzuschließen, und drängte sie zum Zelt. Auf ein Nicken von Perrin hin forderte Aram die Männer auf ihm zu folgen.

»Sobald Ihr Euch erfrischt habt, Meister Gill, würde ich gern mit Euch sprechen«, sagte Perrin.

Er hätte ebensogut das sich drehende Feuerrad gestalten können. Maighdin fuhr herum und starrte ihn an, und die anderen beiden Frauen erstarrten in der Bewegung. Tallanvor ergriff plötzlich erneut sein Schwertheft, und Balwer stellte sich auf Zehenspitzen und spähte über sein Bündel hinweg, den Kopf einmal hierhin und einmal dorthin geneigt. Vielleicht nicht wie ein Wolf, sondern eher wie ein Vogel, der sich vor Katzen in acht nimmt. Der untersetzte Mann, Basel Gill, ließ seine Habe fallen und schrak zusammen.

»Warum, Perrin?« stotterte er und riß sich den Strohhut vom Kopf. Der Schweiß hinterließ Spuren im Staub auf seinen Wangen. Er beugte sich herab, um sein Bündel aufzuheben, überlegte es sich dann aber anders und richtete sich erneut hastig auf. »Ich meine, Lord Perrin, ich ... ehm ... ich dachte, Ihr wärt es, aber ... aber als sie Euch Lord nannten, war ich mir nicht mehr sicher, ob Ihr einen alten Wirt noch kennen wolltet.« Er rieb sich mit einem Taschentuch über seinen fast kahlen Kopf und lachte nervös. »Natürlich werde ich mit Euch sprechen. Das Waschen kann noch eine Weile warten.«

»Hallo, Perrin«, sagte ein ungeschlachter Mann. Lamgwin Dorn wirkte wegen seiner schweren Lider trotz der Muskeln und der Narben auf Gesicht und Händen träge. »Meister Gill und ich haben davon gehört, daß der junge Rand der Wiedergeborene Drache ist. Wir hätten uns denken können, daß Ihr auch auftaucht. Perrin Aybara ist ein guter Mann, Herrin Maighdin. Ich denke, Ihr könnt ihm alles anvertrauen, was Ihr wollt.« Er war nicht träge, und er war auch nicht dumm.

Aram machte eine ungeduldige Kopfbewegung, und Lamgwin und die beiden anderen folgten ihm, aber Tallanvor und Balwer ließen sich Zeit und warfen Perrin und Meister Gill verwunderte Blicke zu. Besorgte Blicke. Und den Frauen. Faile drängte sie ebenfalls vorwärts, wenn sie Perrin, Meister Gill und den Aram folgenden Männern auch viele rasche Blicke zuwarfen. Plötzlich waren sie nicht mehr so erfreut darüber, getrennt zu werden.

Meister Gill wischte sich über die Stirn und lächelte unbehaglich. Licht, warum roch er ängstlich? fragte sich Perrin. Aus Angst vor ihm? Vor einem an den Wiedergeborenen Drachen gebundenen Mann, der sich Lord nannte und ein Heer anführte, wie klein auch immer es war, und somit den Propheten bedrohte? Man könnte auch noch das Knebeln von Aes Sedai erwähnen. Dafür würde er auf die eine oder andere Art verantwortlich gemacht werden. Nein, dachte Perrin, daran ist nichts, was jemanden ängstigen könnte. Wahrscheinlich hatten diese Menschen Angst, daß er sie alle töten könnte.

In dem Versuch, Meister Gill zu beruhigen, führte er den Mann zu einer hundert Schritt von dem rotweißen Zelt entfernten Eiche. Die meisten der großen Blätter des Baumes waren abgefallen, und die Hälfte des verbliebenen Laubs war braun, aber tief herabhängende Zweige spendeten ein wenig Schatten, und einige der knorrigen Wurzeln ragten so weit über die Erde, um als Bänke dienen zu können. Perrin hatte eine davon bereits benutzt und Däumchen gedreht, während das Lager errichtet wurde. Wann immer er etwas Nützliches zu tun versuchte, entrissen es ihm stets zehn Hände.

Basel Gill war jedoch nicht beruhigt, wie bemüht sich Perrin auch nach dem Wohlergehen der Königin und seinem Gasthaus in Caemlyn erkundigte oder seinen eigenen Besuch dort in Erinnerung rief. Andererseits erinnerte sich Gill vielleicht daran, daß sein Besuch durch Aes Sedai und Gerede vom Dunklen König und einer nächtlichen Flucht nichts Beruhigendes gehabt hatte. Meister Gill schritt besorgt hin und her, preßte das Bündel an seine Brust, wechselte es von einem Arm in den anderen und antwortete nur sehr einsilbig, während er zwischendurch seine Lippen benetzte.

»Meister Gill«, sagte Perrin schließlich, »nennt mich nicht immer Lord Perrin. Es ist kompliziert, aber ich bin kein Lord. Das wißt Ihr.«

»Natürlich«, erwiderte der rundliche Mann, der sich schließlich auf einer der Eichenwurzeln niederließ. Er schien sein Bündel nicht gern abzulegen und zog die Hände nur zögernd davon zurück. »Wie Ihr meint, Lord Perrin. Ehm, Rand ... der Lord Drache ... er will die Lady Elayne wirklich auf den Thron bringen? Natürlich möchte ich Eure Worte nicht anzweifeln«, fügte er eilig hinzu. Er nahm seinen Hut ab und begann erneut, sich über die Stirn zu wischen. Er schien selbst für einen solch rundlichen Mann doppelt so stark zu schwitzen, wie es die Hitze gerechtfertigt hätte. »Gewiß wird der Lord Drache genau das tun, was Ihr gesagt habt.« Er lachte unsicher. »Ihr wolltet mit mir sprechen. Und sicher nicht über mein altes Gasthaus.«

Perrin stieß erschöpft den Atem aus. Er hatte geglaubt, nichts könnte schlimmer sein als alte Freunde und Nachbarn, die katzbuckelten, aber sie vergaßen es zumindest gelegentlich und sprachen dann frei heraus. Und keiner von ihnen hatte Angst vor ihm. »Ihr seid weit von zu Hause fort«, sagte er freundlich.

Es bestand kein Grund zur Eile, nicht bei einem Mann, der bereits fast außer sich war. »Ich frage mich, was Euch hierher geführt hat. Hoffentlich keine Schwierigkeiten?«

»Redet gerade heraus, Basel Gill«, forderte Lini ihn barsch auf, während sie auf die beiden zukam. »Keine Umschweife.« Sie war noch nicht allzu lange fort gewesen, und doch hatte sie irgendwie die Zeit gefunden, sich Gesicht und Hände zu waschen, ihr Haar im Nacken zu einem ordentlichen weißen Knoten aufzustecken und sich den meisten Staub von ihrem einfachen Tuchgewand zu klopfen. Sie vollführte vor Perrin einen flüchtigen Hofknicks, wandte sich dann zu Meister Gill um und drohte ihm mit einem knorrigen Finger. »›Drei Dinge ärgern über alle Maßen: ein schmerzender Zahn, ein zu enger Schuh und ein geschwätziger Mann.‹ Haltet Euch also an das Wesentliche und erzählt dem jungen Lord nicht mehr, als er hören will.« Sie bedachte den staunenden Wirt mit einem warnenden Blick und vollführte dann vor Perrin jäh einen weiteren Hofknicks. »Er liebt den Klang seiner eigenen Stimme — die meisten Männer tun das —, aber er wird Euch jetzt angemessen antworten, mein Lord.«

Meister Gill sah sie finster an und murmelte leise etwas, als sie ihm barsch zu sprechen bedeutete. »Knöcherne, alte...«, verstand Perrin. »Was geschehen ist ... einfach und gerade heraus...«. Der rundliche Mann sah Lini erneut an, aber sie schien es nicht zu bemerken. »...ist, daß ich geschäftlich in Lugard zu tun hatte. Eine Gelegenheit, Wein einzuführen. Aber das wird Euch nicht interessieren. Ich habe Lamgwin natürlich mitgenommen, und Breane, weil sie ihn keinen Moment aus den Augen läßt, wenn es nicht unumgänglich ist. Unterwegs begegneten wir Herrin Dorlain — Herrin Maighdin, wie wir sie nennen — und Lini und Tallanvor. Und natürlich Balwer. Auf der Straße. In der Nähe von Lugard.«

»Maighdin und ich waren in Murandy in Stellung«, warf Lini ungeduldig ein. »Bis die Unruhen begannen. Tallanvor war Waffenträger des Hauses und Balwer der Schreiber. Räuber zündeten das Gut an, und unsere Herrin konnte es sich nicht mehr leisten, uns zu behalten, so daß wir beschlossen, aus Sicherheitsgründen zusammen zu reisen.«

»Das wollte ich gerade erzählen, Lini«, brummte Meister Gill, während er sich hinter dem Ohr kratzte.

»Der Weinhändler war aus einem unbestimmten Grund von Lugard aufs Land gegangen, und...« Er schüttelte den Kopf. »Es würde zu weit führen, alles zu erzählen, Perrin. Lord Perrin, meine ich. Verzeiht. Ihr wißt, daß es heutzutage überall Unruhen der einen oder anderen Art gibt. Anscheinend trafen wir jedes Mal, wenn wir Unruhen der einen Art entronnen waren, auf Unruhen der anderen Art und entfernten uns immer weiter von Caemlyn. Bis wir hierher kamen, müde und für ein wenig Ruhe dankbar. Das ist die Geschichte in wenigen Worten.«

Perrin nickte gemächlich. Das konnte die einfache Wahrheit sein, obwohl er gelernt hatte, daß Menschen hundert Gründe haben mochten, zu lügen oder die Wahrheit schlicht zu verschleiern. Er verzog das Gesicht und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Licht! Er wurde langsam so mißtrauisch wie ein Cairhiener, und je tiefer Rand ihn in alles hineingezogen hatte, desto schlimmer war es geworden. Warum, um alles in der Welt, sollte Basel Gill ihn belügen? Die Dienerin einer Lady, die an Privilegien gewöhnt war und dann harte Zeiten erlebte — das erklärte Maighdins Verhalten. Einiges war einfach.

Lini hatte die Hände an der Taille gefaltet, aber sie beobachtete ihn genau, erinnerte selbst überaus an einen Falken, und Meister Gill begann unruhig zu werden, sobald er seine Erzählung beendet hatte. Er schien Perrins Miene als Aufforderung zu verstehen, noch mehr zu berichten. Er lachte nervös. »Ich habe seit dem Aiel-Krieg nicht viel von der Welt gesehen, und ich war damals erheblich magerer. Nun, wir sind bis Amador gekommen. Natürlich haben wir es wieder verlassen, nachdem die Seanchaner die Stadt einnahmen, aber sie sind in Wahrheit nicht schlimmer als die Weißmäntel, soweit ich...« Er brach ab, als sich Perrin jäh vorbeugte und seinen Rockaufschlag ergriff.

»Seanchaner, Meister Gill? Seid Ihr Euch dessen sicher? Oder ist das nur wieder eines dieser Gerüchte wie das über die Aiel oder die Aes Sedai?«

»Ich habe sie gesehen«, erwiderte Gill und wechselte unsichere Blicke mit Lini. »Sie haben sich sogar selbst als Seanchaner bezeichnet. Es überrascht mich, daß Ihr nichts davon wißt. Die Nachricht ist uns den ganzen Weg von Amador vorausgeeilt. Diese Seanchaner wollen, daß die Menschen wissen, was sie vorhaben. Seltsame Leute mit seltsamen Wesen.« Seine Stimme wurde angespannter. »Wie Schattengezücht. Große, lederartige Flugwesen, die Menschen tragen, und Wesen, die Eidechsen ähneln, nur daß sie so groß sind wie Pferde und drei Augen haben. Ich habe sie gesehen! Wahrhaftig!«

»Ich glaube Euch«, sagte Perrin und ließ die Jacke des Mannes los. »Ich habe sie auch gesehen.« In Falme, wo tausend Weißmäntel in Minuten starben, und es waren tote Helden aus der Legende nötig gewesen, vom Horn von Valere herbeigerufen, um die Seanchaner zurückzudrängen. Rand hatte gesagt, sie würden zurückkehren, aber wie konnte ihnen das so bald gelungen sein? Licht! Wenn sie Amador besetzt hielten, mußten sie auch Tarabon in ihrer Gewalt haben, oder zumindest den größten Teil Tarabons. Nur ein Narr tötete einen Hirsch, wenn er wußte, daß ein verletzter Bär hinter ihm war. Wie viele Städte hatten sie bereits eingenommen? «Ich kann Euch nicht sofort nach Caemlyn schicken, Meister Gill, aber wenn Ihr noch ein wenig bei mir bleibt, werde ich dafür sorgen, daß Ihr in Sicherheit seid.« Wenn es überhaupt noch sicher war, bei ihm zu bleiben. Der Prophet, Weißmäntel und jetzt vielleicht auch noch Seanchaner.

»Ich glaube, Ihr seid ein guter Mann«, sagte Lini plötzlich. »Ich fürchte, wir haben Euch nicht die ganze Wahrheit gesagt, aber vielleicht sollten wir es jetzt tun.«

»Lini, was redet Ihr da?« rief Meister Gill aus und sprang auf. »Ich glaube, die Hitze macht ihr zu schaffen«, sagte er zu Perrin. »Und die lange Reise. Sie hat manchmal seltsame Anwandlungen. Ihr wißt, wie alte Leute werden können. Still jetzt, Lini!«

Lini wehrte seine Hand ab, die er ihr über den Mund legen wollte. »Vorsicht, Basel Gill! Ich habe Euch gewarnt! Maighdin ist sozusagen vor Tallanvor davongelaufen, und er ist ihr nachgejagt. Wir alle sind seit inzwischen vier Tagen unterwegs und hätten beinahe uns selbst und die Pferde getötet. Nun, es ist kein Wunder, daß sie häufig wie abwesend ist. Ihr Männer verwirrt den Verstand einer Frau, so daß sie kaum noch denken kann, und dann gebt Ihr vor, überhaupt nichts getan zu haben. Ihr solltet alle aus Prinzip geohrfeigt werden. Das Mädchen fürchtet ihr eigenes Herz! Die beiden sollten verheiratet werden, je schneller, desto besser.«

Meister Gill starrte sie an, und Perrin konnte nicht ausschließen, daß nicht auch er mit offenem Mund dastand. »Ich bin nicht sicher, ob ich genau verstanden habe, was Ihr von mir erwartet«, sagte er zögerlich, doch die weißhaarige Frau antwortete fast schon, bevor er ganz geendet hatte.

»Stellt Euch nicht dumm. Das würde ich Euch keinen Moment abnehmen. Ihr seid klüger als die meisten. Das ist die schlimmste Angewohnheit von Männern, daß sie vorgeben, nicht zu bemerken, was vor ihrer Nase passiert.« Was war aus all den Hofknicksen geworden? Sie verschränkte ihre dünnen Arme vor der Brust und sah ihn streng an. »Nun, wenn Ihr Euch doch dumm stellen wollt, werde ich es Euch erklären. Euer Lord Drache tut, was immer er will, soweit ich gehört habe. Euer Prophet wählt Leute aus und verheiratet sie augenblicklich. Sehr gut. Ihr nehmt Maighdin und Tallanvor und verheiratet sie. Er wird es Euch danken, und sie ebenfalls. Wenn sie wieder zu sich kommt.«

Perrin blickte verblüfft zu Meister Gill, der mit den Achseln zuckte und kläglich grinste. »Entschuldigt mich«, sagte Perrin zu der finster dreinblickenden Frau, »ich muß mich um einiges kümmern.« Er eilte davon und schaute nur einmal zurück. Lini drohte Meister Gill mit dem Finger und schalt ihn trotz seines Protests aus. Die Brise verhinderte, daß Perrin ihre Worte verstand. Aber das wollte er in Wahrheit auch nicht. Sie waren alle verrückt!

Berelain hatte vielleicht ihre beiden Dienerinnen und ihre Diebfänger, aber Faile hatte gewissermaßen auch Bedienstete. Fast zwanzig junge Tairener und Cairhiener saßen mit gekreuzten Beinen in der Nähe des Zelts, die Frauen in Jacken und Hosen und genau wie die Männer mit Schwertgürteln. Niemand trug das Haar länger als bis zur Schulter, und sowohl Männer als auch Frauen hatten es mit einem Band zurückgenommen in Anlehnung an den Aiel-Pferdeschwanz. Perrin fragte sich, wo die übrigen waren. Sie entfernten sich selten weit aus der Reichweite von Failes Stimme. Er hoffte, daß sie keine Schwierigkeiten machten. Sie hatte sie unter ihre Fittiche genommen, um sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten, sagte sie, und das Licht wußte, daß sie hineingeraten wären, wenn sie mit einer Menge weiterer junger Toren wie sie in Cairhien zurückgeblieben wären. Perrins Meinung nach brauchten sie alle einen raschen Tritt in die Kehrseite, um ein wenig zu Verstand zu kommen. Sich zu duellieren, Ji'e'toh zu spielen und vorzugeben, eine Art Aiel zu sein! Dummheit!

Lacile erhob sich, als Perrin näher kam, eine blasse kleine Frau mit roten Bändern an ihren Aufschlägen, kleinen goldenen Creolen in den Ohren und einem herausfordernden Blick, der Leute aus den Zwei Flüssen manchmal zu der Annahme veranlaßte, sie würde trotz ihres Schwerts gern geküßt. Im Moment lag knallharte Herausforderung in ihrem Blick. Kurz nach ihr erhob sich auch Arrela, groß und dunkel, das Haar so kurz geschnitten wie bei einer Tochter des Speers und die Kleidung einfacher als die der meisten Männer. Anders als Lacile wirkte Arrela vollkommen abweisend. Die beiden machten Anstalten, vor das Zelt zu treten, um Perrin den Weg zu versperren, aber ein Bursche mit kantigem Kinn in einer Jacke mit bauschigen Ärmeln stieß einen barschen Befehl aus, und sie setzten sich wieder hin. Widerwillig. Parelean hatte einen Bart getragen, als Perrin ihn zum ersten Mal gesehen hatte — das galt für mehrere der tairenischen Männer —, aber Aiel trugen keine Barte.

Perrin murrte leise etwas über Torheit. Sie waren Faile absolut treu ergeben, und die Tatsache, daß er ihr Ehemann war, bedeutete ihnen wenig. Er konnte den Blick der jungen Dummköpfe auf sich spüren, als er das Zelt betrat Faile würde ihm das Fell über die Ohren ziehen, wenn sie jemals erführe, daß er gehofft hatte, sie würden sie vor Schwierigkeiten bewahren.

Das Zelt war hoch und geräumig und mit einem mit Blumen verzierten Teppich und spärlichen Möbeln ausgestattet, die man überwiegend zusammengeklappt auf einem Karren verstauen konnte. Der schwere Standspiegel gehörte jedoch nicht dazu. Bis auf mit bestickten Tüchern verzierte und als zusätzliche Tische zu zweit zusammengestellte messingbeschlagene Kisten wurde alles von den geraden Linien funkelnder Goldverzierungen dominiert, die alles bis hin zum Waschgestell und dem dazugehörigen Spiegel schmückten. Ein Dutzend widergespiegelte Lampen machten das Innere des Zelts fast ebenso hell wie die Außenwelt, wenn es auch erheblich kühler war, und es hingen sogar zwei Seidenvorhänge von den oberen Zeltstangen herab — für Perrins Geschmack zu überladen und zu starr, da die Vögel und Blumen in Reihen und Winkeln angeordnet waren. Dobraine hatte sie bedrängt, wie cairhienische Adlige zu reisen, aber Perrin war es gelungen, das Schlimmste zu verhindern. Es war beispielsweise lächerlich, das große Bett mit auf eine Reise zu nehmen. Es hatte allein fast einen Karren beansprucht.

Faile und Maighdin saßen zusammen etwas abseits, verzierte Silberbecher in Händen. Sie schienen einander auf den Zahn zu fühlen, äußerlich lächelnd, aber doch mit einer gewissen Schärfe in den Augen, ein Hinweis darauf, daß sie auf etwas hinter den Worten lauschten, aber nicht darauf lauerten, ob sie sich im nächsten Moment umarmen oder die Dolche ziehen würden. Nun, er glaubte, daß die meisten Frauen nicht soweit gehen würden, tatsächlich den Dolch zu ziehen, aber Faile könnte es. Maighdin schien sich weitgehend von der Reise erholt zu haben, hatte sich inzwischen gewaschen und gekämmt und den Staub von ihrer Kleidung geklopft. Auf einem kleinen Tisch mit einer Mosaikoberfläche zwischen ihnen standen mehrere Becher und ein Silberkrug, der den Geruch von herbem Minztee verströmte. Beide Frauen sahen sich um, als er eintrat, und sie wiesen einen Augenblick fast die gleichen Mienen auf, kühle Verwunderung darüber, wer sich da hereindrängte, und überhaupt nicht erfreut über die Unterbrechung. Zumindest milderte Faile ihre Miene sofort durch ein Lächeln.

»Meister Gill hat mir Eure Geschichte erzählt, Herrin Dorlain«, sagte er. »Ihr habt harte Zeiten durchgestanden, aber seid versichert, daß Euch hier nichts geschehen kann, bis Ihr Euch zu gehen entschließt.« Die Frau murmelte über den Rand ihres Bechers hinweg einen Dank, aber sie roch wachsam und versuchte, ihn mit ihrem Blick wie ein offenes Buch zu lesen.

»Maighdin hat mir ihre Geschichte auch erzählt, Perrin«, sagte Faile, »und ich möchte ihr ein Angebot machen. Maighdin, Ihr und Eure Freunde habt bedrückende Monate durchgestanden und mir gesagt, daß Ihr keine Aussichten auf Besserung seht. Warum tretet Ihr nicht alle in meinen Dienst ein? Ihr werdet weiterhin reisen müssen, aber die Umstände werden weitaus angenehmer sein. Ich zahle gut, und ich bin keine strenge Herrin.« Perrin zeigte sich sofort einverstanden. Wenn Faile ihren Launen nachgehen wollte, indem sie Heimatlose aufnahm, wollte er diesen Leuten auch helfen. Vielleicht wären sie zudem bei ihm sicherer, als wenn sie allein umherzogen.

Maighdin verschluckte sich an ihrem Tee und hätte beinahe den Becher fallen lassen. Sie sah Faile blinzelnd an, während sie mit einem spitzengesäumten Leinentaschentuch die Flüssigkeit von ihrem Kinn tupfte, und ihr Stuhl knarrte leise, als sie sich seltsamerweise zu Perrin umwandte. »Ich ... danke Euch«, sagte sie schließlich zögernd. »Ich denke...« Sie blickte Perrin weiterhin prüfend an und sprach dann weiter. »Ja, ich danke Euch, und ich nehme Euer freundliches Angebot gerne an. Ich muß es sogleich meinen Begleitern erzählen.« Sie erhob sich, zögerte, bevor sie ihren Becher auf das Tablett stellte, und richtete sich dann nur auf, um ihre Röcke in einem Hofknicks auszubreiten, der jedem Palast zur Ehre gereicht hätte. »Ich werde versuchen, Euch eine gute Dienerin zu sein, Herrin«, sagte sie ruhig. »Darf ich mich zurückziehen?« Auf Failes Erlaubnis hin vollführte sie erneut einen Hofknicks und wich zwei Schritte zurück, bevor sie sich umwandte und ging! Perrin kratzte sich den Bart. Noch eine Frau, die es auf ihn abgesehen hätte, wann immer Faile sich umdrehte.

Der Zelteingang war kaum hinter Maighdin zugefallen, als Faile ihren Becher absetzte, auflachte und mit den Fersen auf den Teppich trommelte. »Oh, ich mag sie, Perrin. Sie hat Mut! Ich wette, sie hätte dir über jene Banner hinweg den Bart versengt, wenn ich dich nicht gerettet hätte. O ja. Mut!«

Perrin brummte. Das war genau das, was er brauchte — noch eine Frau, die ihm den Bart versengte. »Ich habe Meister Gill versprochen, mich um sie zu kümmern, Faile, aber... Kannst du dir vorstellen, was Lini gesagt hat? Sie wollte, daß ich Maighdin mit diesem Burschen Tallanvor verheirate. Sie einfach verheirate, egal, was sie sagen! Sie hat behauptet, die beiden wollten es.« Er goß Tee in einen Silberbecher und ließ sich auf den von Maighdin verlassenen Stuhl fallen, ohne auf sein alarmierendes Knarren unter seinem plötzlichen Gewicht zu achten. »Auf jeden Fall ist dieser Unsinn nur die geringste meiner Sorgen. Meister Gill sagt, die Seanchaner hätten Amador eingenommen, und ich glaube ihm. Licht! Die Seanchaner!«

Faile legte die Fingerspitzen aneinander und starrte darüber hinweg ins Leere. »Vielleicht ist es genau das«, sann sie. »Die meisten Diener arbeiten besser, wenn sie verheiratet sind. Vielleicht sollte ich es arrangieren. Und auch für Breane. So wie sie hier herausgestürmt ist, um diesen großen Burschen abzufangen, sobald ihr Gesicht gesäubert war, vermute ich, daß sie bereits verheiratet sein sollten. Ihre Augen schimmerten. Ich will ein solches Verhalten bei meinen Dienern nicht, Perrin. Es führt nur zu Tränen und Beschuldigungen und Schmollen.«

Perrin starrte sie an. »Hast du mir zugehört?« fragte er leise. »Die Seanchaner haben Amador eingenommen! Die Seanchaner, Faile!«

Sie zuckte zusammen — sie hatte wirklich darüber nachgedacht, diese Frauen zu verheiraten! — und lächelte ihn dann belustigt an. »Amador ist noch weit entfernt, und wenn wir diesen Seanchanern begegnen, wirst du gewiß mit ihnen fertig werden. Immerhin hast du mich gezähmt, nicht wahr?« Das behauptete sie, obwohl er niemals ein Anzeichen davon bemerkt hatte.

»Sie sind vielleicht ein wenig schwieriger, als du es warst«, sagte er trocken, und sie lächelte erneut. Sie roch aus einem unbestimmten Grund höchst erfreut. »Ich erwäge, Grady oder Neald loszuschicken, um Rand zu warnen, egal was er gesagt hat.« Sie schüttelte heftig den Kopf, und ihr Lächeln schwand, aber er fuhr fort. »Wenn ich wüßte, wie ich ihn finden könnte, würde ich es tun. Es muß eine Möglichkeit geben, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, ohne daß jemand etwas davon erfährt.« Rand hatte darauf noch nachdrücklicher beharrt als auf der Geheimhaltung um Masema. Perrin war aus Rands Umgebung verbannt worden, und niemand sollte wissen, daß zwischen ihnen noch etwas anderes als Feindschaft geblieben war.

»Er weiß es, Perrin. Dessen bin ich mir sicher. Maighdin hat überall in Amador Taubenschläge gesehen, aber die Seanchaner haben ihnen anscheinend keinen zweiten Blick gegönnt. Inzwischen hat jeder Händler, der in Amador Handel betreibt, davon gehört, und die Weiße Burg ebenfalls. Glaub mir, Rand muß es auch erfahren haben. Du mußt darauf —vertrauen, daß er am besten weiß, was zu tun ist. In diesem Fall weiß er es.« Sie war sich dessen nicht immer so sicher.

»Vielleicht«, murmelte Perrin verärgert. Er versuchte, sich nicht um Rands geistige Gesundheit zu sorgen, aber Rand ließ Perrin, wenn er am mißtrauischsten war, wie ein argloses Kind wirken. Wie weit vertraute ihm Rand? Er hielt Dinge zurück und hatte Pläne, die er niemals verlauten ließ.

Perrin atmete geräuschvoll aus, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und trank einen Schluck Tee. Tatsächlich aber hatte Rand, ob wahnsinnig oder nicht, recht. Wenn die Verlorenen ahnten, was er vorhatte, oder wenn die Weiße Burg es ahnte, würden sie eine Möglichkeit finden, ihm Steine in den Weg zu legen. »Zumindest kann ich den Augen-und-Ohren der Burg weniger Grund zum Reden geben. Dieses Mal werde ich das verdammte Banner verbrennen.« Und den Wolfskopf ebenfalls. Er mußte vielleicht einen Lord spielen, aber er konnte es ohne ein verdammtes Banner tun!

Faile schürzte die vollen Lippen und schüttelte leicht den Kopf. Sie glitt von ihrem Stuhl, kniete sich neben ihn und nahm seine Hand. Perrin erwiderte ihren ruhigen Blick bedachtsam. Wenn sie ihn so intensiv ansah, so ernst, wollte sie ihm etwas Wichtiges mitteilen. Entweder das oder ihn kräftig zurechtweisen. Ihr Geruch vermittelte ihm nichts. Er versuchte aufzuhören, sie riechen zu wollen. Er konnte sich in ihrem Geruch nur zu leicht verlieren, und dann würde sie ihn zurechtweisen. Eines hatte er seit ihrer Heirat gelernt: Ein Mann brauchte seinen ganzen Verstand, wenn er mit einer Frau zu tun hatte. Und nur allzu häufig genügte nicht einmal das. Frauen taten ebenso gewiß wie Aes Sedai, was sie wollten.

»Du willst es dir vielleicht noch einmal überlegen, Gemahl«, murmelte sie. Ein leises Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als wüßte sie erneut, was er dachte.

»Ich bezweifle, daß irgend jemand, der uns gesehen hat, seit wir Ghealdan betreten haben, erkannt hat, was der Rote Adler bedeutet. In der Nähe einer Stadt von der Größe Bethals werden jedoch einige das Banner erkennen. Und je länger wir Masema verfolgen müssen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit.«

Er machte sich nicht die Mühe zu erwähnen, daß dies um so mehr ein Grund dafür wäre, das Banner loszuwerden. Faile war keine Närrin, und sie dachte viel rascher als er. »Warum sollten wir es also behalten«, fragte er gemächlich, »wenn es nur bewirkt, Aufmerksamkeit auf den Dummkopf zu ziehen, von dem alle glauben werden, er wolle Manetheren aus seinem Grab befreien?« Männer hatten das früher schon versucht, und Frauen ebenfalls. Der Name Manetheren barg mächtige Erinnerungen, und er kam jedermann recht, der einen Aufstand anzetteln wollte.

»Weil es tatsächlich Aufmerksamkeit erregen wird.« Sie beugte sich angespannt zu ihm. »Aufmerksamkeit für einen Mann, der Manetheren wieder auferstehen lassen will. Das niedere Volk wird dir ins Gesicht lächeln, hoffen, daß du bald weiterziehst, und versuchen, dich so schnell wie möglich zu vergessen. Und die Höhergestellten haben im Moment zu viele andere Sorgen, um zweimal hinzusehen, es sei denn, du zwingst sie dazu. Verglichen mit den Seanchanern oder dem Propheten oder den Weißmänteln ist ein Mann, der versucht, Manetheren wieder auferstehen zu lassen, unwichtig. Und ich glaube, man kann mit Gewißheit sagen, daß die Burg im Moment auch nicht zweimal hinsehen wird.« Ihr Lächeln verstärkte sich, und das Funkeln in ihren Augen besagte, daß sie nun auf den Punkt käme. »Aber das wichtigste ist, daß niemand denken wird, daß dieser Mann etwas anderes vorhat.« Ihr Lächeln schwand jäh. »Und bezeichne dich nicht als Dummkopf, Perrin t'Bashere Aybara. Nicht einmal beiläufig. Du bist kein Dummkopf, und ich mag es nicht, wenn du es sagst.« Ihr Geruch erinnerte an winzige Dornen. Es war nicht wirklicher Zorn, aber entschiedenes Mißfallen.

Quecksilber. Ein schneller als ein Gedanke vorüber huschender Eisvogel. Sicherlich schneller als seine Gedanken. Es wäre ihm niemals in den Sinn gekommen, sich so ... schändlich zu verbergen. Aber er konnte den Sinn erkennen. Es war, als würde man die Tatsache verbergen, daß man ein Mörder war, indem man vorgab, ein Dieb zu sein. Und doch könnte es funktionieren.

Er kicherte und küßte ihre Fingerspitzen. »Das Banner bleibt«, sagte er. Vermutlich bedeutete das, daß auch der Wolfskopf blieb. Blut und blutige Asche! »Alliandre muß jedoch die Wahrheit erfahren. Wenn sie glaubt, Rand wolle mich zum König von Manetheren ernennen und ihr Land einnehmen...«

Faile erhob sich so jäh und wandte sich so plötzlich ab, daß er befürchtete, er hätte einen Fehler begangen, als er die Königin erwähnt hatte. Alliandre konnte nur zu leicht zu Berelain führen, und Faile roch ... heikel ... wachsam. Aber sie sagte über die Schulter: »Alliandre wird Perrin Goldauge keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Dieser Vogel ist so gut wie gefangen, Gemahl, also sollten wir überlegen, wie wir Masema finden.« Sie kniete sich anmutig neben eine Kiste an der Zeltwand, die als einzige nicht abgedeckt war, hob den Deckel an und begann zusammengerollte Landkarten hervorzuholen.

Perrin hoffte, daß sie mit ihrer Einschätzung Alliandres recht hatte, weil er nicht wußte, was er tun sollte, wenn sie sich irrte. Wenn er nur halbwegs der wäre, für den sie ihn hielt. Alliandre war ein gefangener Vogel, die Seanchaner würden für Perrin Goldauge wie Puppen katzbuckeln, und er würde sich den Propheten greifen und ihn zu Rand bringen, während Masema zehntausend Männer um sich geschart hatte. Er erkannte nicht zum ersten Mal, daß er ihre Enttäuschung fürchtete, wie sehr ihr Zorn ihn auch verletzte und verwirrte. Wenn er jemals Enttäuschung in ihren Augen sähe, würde es ihm das Herz brechen.

Er kniete sich neben sie, half ihr, die größte Karte auszubreiten, die den Süden Ghealdans und den Norden Amadicias zeigte, und betrachtete sie so, als würde ihn Masemas Name von dem Pergament anspringen. Er hatte mehr Grund als Rand, erfolgreich sein zu wollen. Was auch immer geschehen mochte —er durfte Faile nicht enttäuschen.

Faile lag in der Dunkelheit, lauschte, bis sie sicher war, daß Perrin fest schlief, und schlüpfte dann unter den Decken hervor, die sie miteinander teilten. Reumütige Belustigung vereinnahmte sie, während sie sich ihr Leinennachtgewand über den Kopf zog. Glaubte er wirklich, sie würde nicht herausfinden, daß er das Bett eines Morgens tief in einem Gebüsch verborgen hatte, während die Karren entladen wurden? Nicht daß es ihr etwas ausmachte. Zumindest nicht viel. Sie hatte sicherlich ebenso häufig auf dem Boden geschlafen wie er. Sie hatte natürlich Überraschung geheuchelt und die Geschichte heruntergespielt. Bei jeder anderen Reaktion hätte er sich entschuldigt und wäre vielleicht sogar zurückgegangen, um das Bett wieder zu holen. Zu wissen, wie man einen Gemahl zu nehmen hatte, war eine Kunst, hatte ihre Mutter stets gesagt. Hatte Deira ni Ghaline es jemals als so schwierig empfunden?

Sie schlüpfte barfuß in ihre Pantoffeln, zog ein Seidengewand über, zögerte dann und schaute auf Perrin hinab. Er würde sie deutlich sehen können, wenn er aufwachte, aber er war für sie nur eine umschattete Erhebung. Sie wünschte, ihre Mutter wäre jetzt hier, um ihr einen Rat zu geben. Sie liebte Perrin mit jeder Faser ihres Seins, aber er verwirrte sie vollkommen. Es war natürlich nicht möglich, Männer wirklich zu verstehen, aber er war so anders als alle, mit denen sie aufgewachsen war. Er prahlte niemals, und anstatt über sich selbst zu lachen, war er ... bescheiden. Sie hatte nicht geglaubt, daß ein Mann bescheiden sein konnte. Er beharrte darauf, daß nur der Zufall ihn zum Anführer gemacht hatte, behauptete nicht zu wissen, wie man Menschen führte, obwohl Menschen, die ihm begegneten, ihm bereits nach einer Stunde bereitwillig folgten. Er tat sein Denken als schwerfällig ab, obwohl er so einfühlsam war, daß sie sich sehr anstrengen mußte, wenn sie überhaupt irgendwelche Geheimnisse vor ihm bewahren wollte. Er war ein wundervoller Mann, ihr Wolf mit dem lockigen Haar. So stark und so sanft. Sie seufzte und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zelt. Sein scharfes Gehör hatte ihr schon früher Probleme bereitet.

Das Lager der Soldaten lag still unter einem zunehmenden Mond, der am wolkenlosen Himmel ebensoviel Licht spendete, wie es ein Vollmond vermocht hätte, eine Helligkeit, welche die Sterne verblassen ließ. Verschiedene Nachtvögel schrien schrill und wurden dann beim Ruf einer Eule still. Eine leichte Brise wehte, und sie schien wundersamerweise tatsächlich ein wenig kühl. Wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Die Nächte waren nur im Vergleich zu den Tagen kühl.

Die meisten Männer schliefen, dunkle Erhebungen in den Schatten unter den Bäumen. Einige wenige blieben wach und unterhielten sich um die spärlichen noch brennenden Feuer. Sie gab sich keine Mühe, im Verborgenen zu bleiben, aber niemand achtete auf sie. Einige schienen im Sitzen mit gesenkten Köpfen halbwegs zu schlafen. Wenn sie nicht gewußt hätte, wie gut die wachhabenden Männer aufpaßten, hätte sie vielleicht geglaubt, das Lager könnte sogar von einer Herde wilder Tiere überrascht werden. Natürlich würden die Töchter des Speers in der Nacht ebenfalls wachen. Aber es war auch bei ihnen unwichtig, ob sie von ihnen gesehen wurde.

Die hochrädrigen Karren bildeten lange, beschattete Reihen, unter denen die Diener bereits wohlig schliefen und schnarchten. Die meisten Diener. Ein Feuer brannte auch dort noch, um das Maighdin und ihre Freunde saßen. Tallanvor sprach gerade und gestikulierte wild, aber anscheinend hörten ihm nur die anderen Männer zu, obwohl sein Blick auf Maighdin gerichtet zu sein schien. Es überraschte nicht, daß sie in ihren Bündeln bessere Kleidung mit sich trugen als die lumpenähnliche, die sie vorher am Körper getragen hatten, und ihre frühere Herrin mußte sehr großzügig Seide an ihre Leute verteilt haben, denn Maighdin trug tatsächlich sehr gut geschnittene Seide in einem gedämpften Blau. Niemand von den anderen war so gut gekleidet, so daß Maighdin vielleicht von ihrer Herrin bevorzugt worden war.

Ein Zweig knackte unter Failes Fuß, Kopfe fuhren herum, und Tallanvor sprang auf und zog beinahe sein Schwert, bevor er sie im Mondlicht ihr Gewand raffen sah. Sie waren wachsamer als die Leute aus den Zwei Flüssen hinter ihr. Einen Moment sahen alle sie nur an. Dann erhob sich Maighdin anmutig und vollführte einen tiefen Hofknicks, und die übrigen folgten ihrem Beispiel rasch mit unterschiedlicher Geschicklichkeit. Nur Maighdin und Balwer schienen entspannt, während sich auf Gills Gesicht ein nervöses Lächeln zeigte.

»Laßt Euch nicht stören«, wies Faile sie freundlich an. »Aber bleibt nicht zu lange wach. Morgen wird ein anstrengender Tag sein.« Sie ging weiter, aber als sie zurückschaute, standen sie noch immer da und spähten hinter ihr her. Ihre Reisen mußten sie zu äußerster Wachsamkeit erzogen haben, so daß sie ständig auf der Hut waren. Sie fragte sich, wie gut sie sich einfügen würden. Sie würde während der nächsten Wochen damit beschäftigt sein, ihnen ihre Art beizubringen, wie auch selbst deren Art kennenzulernen. Das eine war für einen gut funktionierenden Haushalt ebenso wichtig wie das andere. Die Zeit mußte man sich nehmen.

Sie dachte in dieser Nacht jedoch nicht mehr lange an sie. Faile war bald an den Karren vorbei gelangt, noch nicht ganz bis zu der Stelle, wo Leute aus den Zwei Flüssen von den Baumkronen aus aufmerksam wachen würden. Nichts Größeres als eine Maus würde ungesehen an ihnen vorbeikommen — selbst einige der Töchter des Speers waren gelegentlich bemerkt worden —, aber sie hielten nach jedermann Ausschau, der ins Lager zu schleichen versuchte. Ihre Leute warteten auf einer kleinen mondbeschienenen Lichtung.

Einige der Männer verbeugten sich, und Parelean fiel dabei fast auf ein Knie, bevor er sich wieder fing. Mehrere Frauen vollführten ohne nachzudenken Hofknickse, was in ihrer Männerkleidung recht seltsam wirkte, und senkten dann ihre Blicke oder regten sich verlegen, als sie erkannten, was sie getan hatten. Sie waren mit höfischem Verhalten aufgewachsen, obwohl sie sich sehr bemühten, die Art der Aiel anzunehmen. Zumindest was sie für die Art der Aiel hielten. Manchmal erschreckten sie die Töchter des Speers mit ihren Vorstellungen. Perrin nannte sie Narren, und das waren sie in gewisser Weise auch, aber diese Cairhiener und Tairener hatten ihr Treue geschworen — sie nannten es den Wassereid, in versuchter Nachahmung der Aiel —, und dadurch waren sie ihre Leute. Untereinander nannten sie ihre Gemeinschaft Cha Faile, die Klaue des Falken, hatten aber die Notwendigkeit eingesehen, dies geheimzuhalten. Sie waren nicht in jeder Beziehung Narren. Tatsächlich waren sie den jungen Männern und Frauen, mit denen Faile aufgewachsen war, in mancherlei Hinsicht gar nicht so unähnlich.

Jene, die sie heute morgen ausgesandt hatte, waren gerade zurückgekehrt, denn die Frauen unter ihnen wechselten soeben die aus Notwendigkeit getragene Kleidung. Selbst eine wie ein Mann gekleidete Frau hätte in Bethai Aufmerksamkeit erregt, ganz zu schweigen von fünf. Auf der Lichtung wirbelten Röcke und Jacken, Hemden und Hosen umher. Es machte den Frauen scheinbar nichts aus, vor den ändern, einschließlich den Männern, unbekleidet zu sein, da es den Aiel offensichtlich nichts ausmachte, aber ihre Eile und ihr heftiges Atmen straften sie Lügen. Die Männer regten sich unbehaglich und wandten die Köpfe, hin- und hergerissen zwischen den Möglichkeiten, anstandshalber fortzublicken oder hinzusehen. Faile hielt ihr Gewand fest über ihrem Nachthemd geschlossen. Sie hätte sich nicht weiter anziehen können, ohne Perrin aufzuwecken, aber sie behauptete nicht, sich wohl zu fühlen. Sie war keine Domani, die ihre Gefolgsleute im Bad empfing.

»Verzeiht unsere Verspätung, Mylady Faile«, schnaufte Selande, während sie ihre Jacke anzog. Die kleine Frau sprach mit scharfem cairhienischem Akzent. Sie war selbst für eine Cairhienerin nicht groß, vermittelte jedoch in der Neigung ihres Kopfes und der Haltung ihrer Schultern glaubwürdigen Stolz und eine angemessene Kühnheit. »Wir wären schon eher zurückgekehrt, aber die Torwächter wollten uns nicht hinauslassen.«

»Sie wollten Euch nicht hinauslassen?« fragte Faile scharf. Wenn sie es nur mit eigenen Augen hätte sehen können, und nicht nur diese Frauen. Wenn Perrin nur sie anstatt dieses Frauenzimmers hätte gehen lassen. Nein, sie würde nicht über Berelain nachdenken. Es war nicht Perrins Schuld. Das sagte sie sich zwanzigmal am Tag, wie ein Gebet. Aber warum war der Mann so blind? »Mit welcher Begründung wollten sie Euch daran hindern?« Sie schnaubte verärgert. Schwierigkeiten mit dem Ehemann sollten den Ton, den man gegenüber seinen Untergebenen anschlug, nicht beeinflussen.

»Mit nichts Wichtigem, Mylady.« Selande schloß ihren Schwertgürtel und richtete ihn. »Sie ließen einige Burschen vor uns mit ihren Wagen passieren, ohne sie eines zweiten Blickes zu würdigen, aber sie wollten Frauen nicht ohne weiteres in die Nacht hinausgehen lassen.« Einige der anderen Frauen lachten, und die fünf Männer, die mit nach Bethai gegangen waren, regten sich unbehaglich, zweifellos, weil man sie nicht als ausreichenden Schutz angesehen hatte. Die restlichen Cha Faile bildeten hinter jenen zehn einen dichten Halbkreis, beobachteten Faile genau und hörten aufmerksam zu. Mondlicht beschien ihre Gesichter.

»Erzählt mir, was Ihr gesehen habt«, befahl Faile in jetzt ruhigerem Tonfall. Viel besser.

Selande berichtete kurz, und trotz Failes Wunsch, selbst gegangen zu sein, mußte sie zugeben, daß sie fast soviel gesehen hatten, wie sie sich nur hatte wünschen können. Die Straßen von Bethai waren selbst zur geschäftigsten Stunde des Tages fast leer. Die Leute blieben soweit wie möglich in den Häusern. Es wurde etwas Handel getrieben, aber nur wenige Händler wagten sich in diesen Teil Ghealdans, und es wurde kaum genug Nahrung vom Land hereingebracht, um alle zu ernähren. Die meisten Stadtbewohner waren wie betäubt, hatten Angst vor dem, was außerhalb der Mauern lag, und versanken immer tiefer in Teilnahmslosigkeit und Verzweiflung. Alle hielten aus Angst vor den Spionen des Propheten den Mund und — aus Angst davor, für Spione gehalten zu werden — auch die Augen geschlossen. Der Prophet besaß starke Wirkung. Beispielsweise waren alle Taschendiebe und Straßenräuber aus Bethai verschwunden, auch wenn unzählige die Hügel durchstreiften. Es hieß, die Strafe des Propheten für einen Dieb wäre das Abschlagen der Hände. Obwohl das für seine eigenen Leute anscheinend nicht galt.

»Die Königin zeigt sich jeden Tag in der Stadt, um den Leuten Mut zu machen«, sagte Selande, »aber ich glaube nicht, daß es viel hilft. Sie reist auch hierher in den Süden, um die Menschen daran zu erinnern, daß sie eine Königin haben. Vielleicht hatte sie woanders mehr Erfolg. Die Wache auf den Stadtmauern wurde verstärkt, und auch die Anzahl ihrer Soldaten. Vielleicht bewirkt dies, daß sich die Stadtbewohner sicherer fühlen. Bis sie weiterzieht. Anders als ihre Untertanen empfindet Alliandre selbst anscheinend keine Angst davor, daß der Prophet über die Mauern stürmen könnte. Sie geht morgens und abends allein in den Gärten von Lord Telabins Palast spazieren und behält nur wenige Soldaten in ihrer Nähe, die ihre Zeit zumeist in den Küchen verbringen. Jedermann in der Stadt macht sich anscheinend ebenso viele Sorgen über die schwindenden Nahrungsvorräte wie über den Propheten. In Wahrheit, Mylady, denke ich, daß sie trotz all der Wachen auf den Mauern Masema die Stadt übergeben würden, auch wenn er allein an den Toren erschiene.«

»Das würden sie wahrhaftig tun«, warf Meralda verächtlich ein, während auch sie ihren Schwertgürtel schloß, »und noch um Gnade bitten.« Meralda war dunkel und stämmig und so groß wie Faile, aber die Tairenerin zog auf einen finsteren Blick von Selande hin den Kopf zwischen die Schultern und murmelte eine Entschuldigung. Es bestand kein Zweifel, wer die Cha Faile — nach Faile — anführte.

Faile war froh gewesen, daß kein Grund bestanden hatte, die Rangordnung zu ändern, die sie aufgestellt hatten. Selande war, von Parelean vielleicht abgesehen, die klügste von allen, und nur Arella und Camaille waren flinker. Selande besaß zudem noch eine zusätzliche Eigenschaft, eine Unerschrockenheit, als hätte sie bereits der schlimmsten Bedrohung in ihrem Leben gegenübergestanden, so daß nichts jemals wieder so schlimm werden könnte. Natürlich wollte sie eine Narbe haben, wie die Töchter des Speers sie hatten. Faile besaß mehrere kleine Narben, fast alle Ehrenmale, aber es war Dummheit, eine Narbe regelrecht anzustreben. Zumindest war die Frau in dieser Angelegenheit nicht allzu eifrig.

»Wir haben eine Landkarte erstellt, wie Ihr gefordert habt, Mylady«, bemerkte die kleine Frau mit einem letzten warnenden Blick zu Meralda. »Wir haben die Rückseite von Lord Telabins Palast so deutlich wie möglich aufgeführt, aber ich fürchte, es handelt sich nur um Gärten und Ställe.«

Faile versuchte nicht, die Linien auf dem Papier, das sie im Mondlicht entfaltete, zu erkennen. Schade, daß sie nicht selbst hatte gehen können. Sie hätte auch das Innere aufzeichnen können. Nein. Was geschehen war, war geschehen, wie Perrin gerne sagte. Und es genügte. »Und Ihr seid sicher, daß niemand die aus der Stadt hinausfahrenden Wagen durchsucht?« Sie konnte selbst in dem fahlen Licht Verwirrung auf vielen der vor ihr befindlichen Gesichter erkennen. Niemand wußte, warum sie einige von ihnen nach Bethai geschickt hatte.

Selande wirkte nicht verwirrt. »Ja, Mylady«, sagte sie ruhig.

Der Wind frischte einen Moment auf und ließ das Laub auf den Bäumen und das tote Laub am Boden rascheln. Faile wünschte, sie besäße Perrins Gehör und auch seine Nase und Augen. Es war unwichtig, wenn jemand sie hier mit ihren Gefolgsleuten sah, aber Lauscher wären etwas anderes. »Ihr habt es sehr gut gemacht, Selande. Ihr alle.« Perrin kannte die Gefahren, die hier genauso real waren wie irgendwo weiter im Süden. Er wußte darum, aber er dachte wie die meisten Männer ebenso oft mit dem Herzen wie mit dem Verstand. Eine Ehefrau mußte praktisch denken, um ihren Gemahl aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Das war der allererste Rat gewesen, den ihre Mutter ihr zum Thema Ehe gegeben hatte. »Ihr werdet beim ersten Tageslicht nach Bethai zurückkehren, und wenn Ihr Nachricht von mir erhaltet, werdet Ihr Folgendes tun...«

Selbst Selandes Augen weiteten sich entsetzt, während Faile fortfuhr, aber niemand äußerte auch nur den geringsten Protest. Es hätte Faile auch überrascht, wenn jemand dies getan hätte. Ihre Anweisungen waren sehr genau. Ihr Vorhaben würde Gefahren bergen, aber unter den gegebenen Umständen nicht annähernd so viele, wie sonst zu erwarten waren.

»Gibt es noch Fragen?« sagte sie schließlich. »Haben alle verstanden?«

Cha Faile antwortete einstimmig. »Wir leben für den Dienst an unserer Lady Faile.« Und das würde bedeuten, daß sie ihrem geliebten Wolf dienen würden, ob er diese Leute nun wollte oder nicht.

Maighdin regte sich unter ihren Decken auf dem harten Boden, während sich der Schlaf ihr entzog. Das war jetzt ihr Name. Ein neuer Name für ein neues Leben. Maighdin für ihre Mutter und Dorlain für eine Familie auf Ländereien, die ihr gehört hatten. Ein neues Leben für ein altes, vergangenes, aber Herzensbande konnten nicht getrennt werden. Und jetzt ... jetzt...

Das schwache Knacken von totem Laub ließ sie den Kopf heben, und sie beobachtete, wie ein dunkler Schatten durch die Bäume schlich. Lady Faile, die von dort, wo auch immer sie gewesen war, zu ihrem Zelt zurückkehrte. Eine angenehme junge Frau, freundlich und höflich im Ausdruck. Woher ihr Gemahl auch stammen mochte — sie war gewiß adliger Herkunft. Aber jung. Unerfahren. Das half vielleicht.

Maighdin ließ den Kopf wieder auf die Jacke sinken, die sie als Kissen zusammengerollt hatte. Licht, was tat sie hier? Den Dienst für eine Lady aufzunehmen! Nein. Sie würde letztendlich an ihrer Zuversicht festhalten, die konnte sie noch immer finden. Sie konnte es. Wenn sie tief genug forschte. Sie hielt beim Geräusch von Schritten in der Nähe die Luft an.

Tallanvor kniete sich anmutig neben sie. Er trug kein Hemd, und das Mondlicht glänzte auf seinen geschmeidigen Brust- und Schultermuskeln, während sein Gesicht im Schatten lag. Eine leichte Brise zauste sein Haar. »Welcher Wahnsinn ist das?« fragte er leise. »In Dienst zu treten? Was habt Ihr vor? Und erzählt mir nichts von dem Unsinn, ein neues Leben beginnen zu wollen. Ich glaube es nicht. Niemand glaubt es.«

Sie versuchte, sich abzuwenden, aber er legte ihr eine Hand auf die Schulter. Er übte keinen Druck aus, und doch ließ er sie sofort innehalten, Licht, bitte laß mich nicht zittern. Das Licht hörte nicht auf sie, aber es gelang ihr zumindest, ihre Stimme ruhig zu halten. »Falls Ihr es noch nicht bemerkt habt — ich muß jetzt meinen Weg in der Welt gehen. Besser als Dienerin einer Lady denn als Schankmädchen. Ihr könnt gern allein weiterziehen, wenn Euch der Dienst hier nicht gefällt.«

»Ihr habt Euren Verstand oder Euren Stolz nicht abgelegt als Ihr den Thron aufgegeben habt«, murrte er. Verdammt sei Lini, daß sie das enthüllt hatte! »Wenn Ihr vorgeben wollt, das getan zu haben, solltet Ihr Lini lieber aus dem Weg gehen.« Der Mann verspottete sie! Er spottete — und wie! »Sie will sich mit Maighdin unterhalten, und ich argwöhne, daß sie mit ihr nicht so sanft umgehen wird wie mit Morgase.«

Sie setzte sich verärgert auf und streifte seine Hand ab. »Seid Ihr blind und taub? Der Wiedergeborene Drache hat Pläne für Elayne! Licht, es würde mir schon nicht gefallen, wenn er auch nur ihren Namen wüßte! Es muß mehr als ein Zufall sein, was mich zu einem seiner Gefolgsleute geführt hat, Tallanvor. So muß es sein!«

»Verdammt, ich wußte, daß es das sein mußte. Ich hoffte, ich würde mich irren, aber...«Er klang ebenso verärgert wie sie. Er hatte kein Recht, verärgert zu sein! »Elayne ist in der Weißen Burg in Sicherheit. Der Amyrlin-Sitz wird sie nicht in die Nähe eines Mannes gelangen lassen, der die Macht lenken kann, selbst wenn er der Wiedergeborene Drache ist —besonders wenn er es ist! —, und Maighdin Dorlain kann am Amyrlin-Sitz, dem Wiedergeborenen Drachen oder dem Löwenthron nichts ändern. Ihr kann nur das Genick gebrochen oder die Kehle durchschnitten werden, oder...!«

»Maighdin Dorlain kann aufpassen!« unterbrach sie ihn, um diese schreckliche Litanei zu beenden. »Sie kann zuhören! Sie kann...!« Sie brach verärgert ab. Was konnte sie tatsächlich tun? Plötzlich erkannte sie, daß sie nur in ihrem dünnen Nachthemd dasaß, und schlug rasch die Decken um sich. Die Nacht schien wirklich ein wenig kühl. Oder vielleicht kam die Gänsehaut von Tallanvors unsichtbar auf ihr ruhendem Blick. Der Gedanke ließ sie erröten, was er hoffentlich nicht sehen konnte. Glücklicherweise verlieh es aber auch ihrer Stimme Kraft. Sie war kein Mädchen mehr, das errötete, weil ein Mann es ansah! »Ich werde tun, was ich kann, was auch immer das ist. Die Gelegenheit wird kommen, etwas zu erfahren oder zu tun, was Elayne helfen wird. Und ich werde die Gelegenheit ergreifen!«

»Eine gefährliche Entscheidung«, belehrte er sie ruhig. Sie wünschte, sie könnte sein Gesicht in der Dunkelheit erkennen. Natürlich nur, um seine Miene zu ergründen. »Ihr habt gehört, wie er gedroht hat, jedermann zu hängen, der ihn schief ansähe. Ich kann das einem Mann mit solchen Augen glauben. Augen wie ein Tier. Ich war überrascht, daß er diesen Burschen gehen ließ. Ich dachte, er würde ihm die Kehle herausreißen! Wenn er entdeckt, wer Ihr seid, wer Ihr früher wart... Balwer könnte Euch verraten. Er hat niemals glaubhaft erklärt, warum er uns geholfen hat, aus Amador zu entkommen. Vielleicht hoffte er, Königin Morgase würde ihm eine neue Stellung geben. Jetzt weiß er, daß er keine Aussicht darauf hat, und will bei seinem neuen Herrn und seiner neuen Herrin vielleicht um Gunst buhlen.«

»Habt Ihr Angst vor Lord Perrin Goldauge?« fragte sie verächtlich. Licht, der Mann versetzte sie in Angst! Diese Augen gehörten zu einem Wolf. »Balwer weiß genug, um den Mund zu halten. Alles, was er sagt, wird auf ihn zurückfallen. Er kam immerhin mit mir. Wenn Ihr Angst habt, dann reitet doch weiter!«

»Das schleudert Ihr mir immer ins Gesicht«, seufzte er und setzte sich auf die Fersen zurück. Sie konnte seine Augen nicht sehen, aber sie konnte seinen Blick spüren. »Ihr sagt, ich solle weiterreiten, wenn ich wollte. Es gab einmal einen Soldaten, der eine Königin aus der Ferne liebte, wohl wissend, daß es hoffnungslos war, wohl wissend, daß er niemals wagen dürfte, darüber zu sprechen. Jetzt ist die Königin fort, und nur eine Frau ist geblieben, und ich hoffe. Ich brenne vor Hoffnung! Wenn Ihr wollt, daß ich gehe, Maighdin, dann sagt es. Ein Wort. ›Geh!‹ Ein einfaches Wort.«

Sie öffnete den Mund. Ein einfaches Wort, dachte sie. Licht, es ist nur ein Wort! Warum kann ich es nicht sagen? Licht, bitte! Das Licht ließ sie zum zweiten Mal in dieser Nacht im Stich. Sie saß in ihre Decken gekauert wie eine Närrin, den Mund geöffnet, das Gesicht gerötet.

Wenn er sie erneut verspottet hätte, dann hätte sie ihren Gürteldolch in ihn versenkt. Wenn er gelacht oder irgendein Zeichen des Triumphs von sich gegeben hätte... Statt dessen beugte er sich vor und küßte sie sanft auf die Augenlider. Sie stieß tief in der Kehle einen Laut aus. Sie konnte sich anscheinend nicht bewegen. Sie beobachtete mit geweiteten Augen, wie er sich erhob. Er ragte im Mondlicht über ihr auf. Sie war eine Königin — sie war eine Königin gewesen —, die es gewohnt war zu befehlen, die es gewohnt war, in schweren Zeiten harte Entscheidungen zu treffen, aber in diesem Moment überwog ihr pochender Herzschlag ihre Gedanken.

»Wenn Ihr gesagt hättet ›geh‹«, bemerkte er, »hätte ich die Hoffnung begraben, aber ich könnte Euch niemals verlassen.«

Erst als er wieder unter seine eigenen Decken gekrochen war, konnte sie sich dazu bringen, sich wieder hinzulegen und ihre Decken um sich zu ziehen. Ihr Atem flog. Die Nacht war kühl. Sie schauderte eher, als daß sie zitterte. Tallanvor war zu jung. Zu jung! Schlimmer noch — er hatte recht. Verdammt sei er dafür! Die Dienerin einer Lady konnte die Ereignisse in keiner Weise beeinflussen, und wenn der wolfsäugige Mörder des Wiedergeborenen Drachen erfuhr, daß er Morgase von Andor in Händen hatte, konnte sie gegen Elayne benutzt werden, anstatt ihr helfen zu können. Er hatte kein Recht, recht zu haben, wenn sie wollte, daß er sich irrte! Die Unlogik dieses Gedankens erzürnte sie. Es bestand wirklich die Möglichkeit für sie, etwas Gutes zu tun! So mußte es sein!

Eine leise Stimme lachte in ihrem Hinterkopf. Du kannst nicht vergessen, daß du Morgase Trakand bist, belehrte sie die Stimme verächtlich, und selbst nachdem sie ihren Thron aufgegeben hat, kann Königin Morgase nicht damit aufhören, sich in die Angelegenheiten der Mächtigen einzumischen, gleichgültig, wieviel Schaden sie dadurch bisher schon angerichtet hat. Und sie kann einen Mann auch nicht fortschicken, weil sie nicht aufhören kann, daran zu denken, wie stark seine Hände sind und wie sich seine Lippen kräuseln, wenn er lächelt und...

Sie zog sich wütend die Decken über den Kopf und versuchte auf diese Weise, die Stimme auszuschließen. Sie blieb nicht, weil sie nicht von der Macht lassen konnte. Und was Tallanvor betraf..

Sie würde ihn energisch an seinen Platz verweisen. Dieses Mal würde sie es tun! Aber... Wo war sein Platz in Gegenwart einer Frau, die keine Königin mehr war? Sie versuchte, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, und sie versuchte, diese spöttische Stimme zu ignorieren, die keine Ruhe geben wollte, aber als der Schlaf schließlich kam, konnte sie noch immer den Druck seiner Lippen auf ihren Augenlidern spüren.

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