Kapitel 30
Ein besonderes Geschenk
Im Speisesaal prasselten Feuer in drei großen Kaminen, lautes Gelächter stieg zur Decke auf, und während weitere Gerichte aufgetragen wurden, nahm das Mittwinterfest auch ohne Lady Mandible seinen Fortgang.
In dem Hochgefühl, in das ihn die begeisterte Aufnahme seines Cembalovortrags versetzt hatte, war Lord Mandibles Appetit viermal so groß wie sonst. Der Applaus, die Anerkennung, das alles hatte ihm die Tränen in die Augen getrieben. Er aß hungrig und leckte und saugte das Fett von seinen Fingern.
Aber ach, wie heiß war es heute Abend im Saal! Er spürte, wie ihm der Schweiß über die Stirn lief, und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augenbrauen. Ihm war ein wenig übel. Die Überbleibsel, die von dem Schwein noch auf der Platte lagen, blickten ihn trübsinnig vom anderen Ende der Tafel an, und plötzlich brachte er keinen Bissen mehr hinunter. Er holte tief Luft. Bestimmt würde die leichte Übelkeit gleich vorbeigehen. Vielleicht war die Aufregung einfach ein bisschen zu viel gewesen. »Ich bin nun mal Künstler«, sagte er sich. »Künstler sind zart besaitet.«
In diesem Augenblick schwangen langsam die Flügel der Saaltür wieder auf. Der Zeremonienmeister klopfte mit seinem Stab zweimal auf den Boden und kündigte an: »Ihre Ladyship, Lady Lysandra Mandible.«
Alle Köpfe wandten sich der Tür zu, während beide Flügel langsam und lautlos über den Marmorboden glitten. Erst als sie ganz offen standen, erschien Lady Mandible. Auf den ersten Blick sah sie kaum anders aus als vorher. Sie trug dasselbe Kleid, sie hatte nichts in der Hand. Lord Mandible schien verwirrt.
Er setzte sich schwerfällig. Allmählich wünschte er, dass alles vorüber wäre. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich niederzulegen. Langsam kam seine Frau auf ihn zu, und erst jetzt fiel ihm – wie auch den anderen Gästen – auf, dass sie einen Umhang trug.
Es war ein Umhang aus prachtvollem hellem Samt, mit schneeweißem Hermelin versehen. Zwei Silberknöpfe funkelten am Hals, Silberfäden durchzogen die Stofffülle. Aber niemand hatte einen Blick für die Knöpfe, niemand begutachtete die Qualität des Hermelinpelzes, keiner machte eine Bemerkung über den Samt oder die Art, wie anmutig der Umhang von ihren Schultern fiel, sich wie Wellen hinter ihr kräuselte und weich über den Boden glitt. Stattdessen wurden verwunderte Rufe laut: »Was ist das nur für ein Zauber, der einen Umhang so schimmern lässt?«
Denn tatsächlich wirkte der Umhang so strahlend und glanzvoll, als wäre jede einzelne Farbe lebendig und Lady Mandible selbst in eine konturlose, in allen Schattierungen funkelnde Wolke gehüllt. Die Gäste waren gleichermaßen verwirrt und hingerissen von so viel Schönheit. Und langsam, wie eine Welle sich aufbaut, bevor sie an der Küste zerschellt, dämmerte ihnen, was sie da vor sich sahen. Hector, die Weste immer noch dick und prall wegen der Katze, schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das kann nicht sein!«, flüsterte er. »Das kann doch nicht sein!«
Denn der Umhang wehte und schimmerte nur deshalb in allen Schattierungen, weil er tatsächlich lebendig war – wenn auch schon im Todeskampf. Lysandra streckte jetzt die Arme aus und drehte sich langsam auf der Stelle, um ihrem verblüfften Publikum die ganze Pracht ihrer Kreation vorzuführen. Ihr Gesicht war ein einziger Ausdruck von Triumph und grausamer Schönheit. Nun konnte jeder deutlich erkennen, was sie getan hatte. Bovrik stand wie angewurzelt und starrte sprachlos und staunend auf die Erscheinung vor seinen Augen.
»Oh nein!«, flüsterte Hector entsetzt. Seine farbenprächtigen Schmetterlinge waren mit feinen unsichtbaren Nadeln an den Stoff geheftet, so dicht aneinander, dass sie von den Schultern bis zum Saum nahezu jeden Zentimeter bedeckten, und jeder von ihnen flatterte vergeblich, während sein Leben langsam erlosch. Der feine farbige Schleier um Lysandras Kopf, der sich als glitzernder Puder auf ihre Haut senkte, bestand aus unzähligen, sich von den verzweifelt flatternden Flügeln lösenden, perlmuttschimmernden Schuppen.