Kapitel 21

Ein melodisches Zwischenspiel

Ts, ts, ts«, machte Lord Mandible gespielt vorwurfsvoll, nahm Percy vom Cembalo, küsste ihn auf die Nase und setzte ihn behutsam auf dem Boden ab. »Nun such schon deine heiß geliebte Schwester, such Posset«, sagte er schmeichelnd. Der Kater trottete davon, während Lord Mandible mit einer raschen Bewegung seine Frackschöße zur Seite schnipste und vorsichtig sein stattliches seidenbehostes Hinterteil auf dem Lederhocker vor dem Cembalo niederließ. Das Hinsetzen war nicht ganz einfach wegen seines steifen Beins und des allzu straff sitzenden Fracks. Schuld an Letzterem waren Mrs Malherbes Pasteten. Er wusste, er sollte sich zurückhalten, aber sie waren einfach zu köstlich.

Einigermaßen affektiert krümmte er die Finger, ließ sie in den Gelenken knacken und begann schließlich, auf dem eleganten Instrument zu spielen. Es war ein italienisches Cembalo aus der Werkstatt der berühmten Brüder Funiculi in Rom. Sein Vater hatte es ausgezeichnet gespielt, und zwar buchstäblich bis zum Augenblick seines Todes: Der Arme war mitten im Spiel über den Tasten zusammengebrochen und gestorben. Um das Andenken an seinen Vater zu ehren, hatte Mandible dieses Instrument erlernt, aber ihm fehlte das Talent des Vaters. Er spielte eifrig, aber schlecht, und sein Lehrer, der neben ihm stand, hütete sich, ihm die Wahrheit zu sagen.

»Euer Lordschaft«, sagte er, als die Melodie zu Ende war, »darf ich Euch loben, Ihr habt jede Note gespielt!« Tatsächlich hatte Mandible jede Note gespielt, nur nicht unbedingt in der angegebenen Reihenfolge oder Tonlage. »Ich kann längst keine Vergleiche mehr zwischen Eurem Spiel und dem meiner anderen Schüler ziehen«, fügte er mit aufgesetztem Lächeln hinzu. »Ihr seid zweifellos eine Klasse für sich.«

Mandible war hocherfreut.

»Trotzdem möchte ich zur Vorsicht raten, Euer Lordschaft«, warnte der Lehrer. »Ich weiß, Ihr wollt auf dem Mittwinterfest spielen, aber ich bin nicht sicher, ob die ungeübten Ohren der Gäste Eure besondere Begabung erkennen werden.«

Mandible überging diesen Einwand und verkündete: »Das Mittwinterfest ist eine perfekte Gelegenheit, mein Talent unter Beweis zu stellen. Eine Melodie habe ich bereits ausgearbeitet, nun brauche ich nur noch den Text. Möchtet Ihr die Melodie hören?«

Der Lehrer nickte und fügte sich in das Unvermeidliche. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass sich von allen Abenden des Jahres der des Mittwinterfestes wahrscheinlich am besten für Mandibles Vortrag eignete. Nach den Erfahrungen vergangener Jahre würden die Feiernden schnell so betrunken sein, dass sich für ihre abgestumpften Ohren vermutlich auch das gequälte Röcheln einer strangulierten Katze wie lieblichste Musik anhören würde.

Es klopfte an der Tür und unmittelbar darauf trat Gerulphus ein. »Lady Mandible wünscht Euch zu sprechen, Euer Lordschaft«, sagte er.

»Ausgerechnet jetzt, wo ich dabei bin, das Stück geistig zu durchdringen!«, murrte Mandible. »Weiß sie nicht, dass ich zu tun habe?«

»Sie besteht darauf.«

Genau genommen hatte Lysandra gesagt: »Sollte der Schwachkopf wieder auf seinem Cembalo klimpern, so kannst du ihm von mir aus den Deckel auf seine Gummifinger krachen lassen – vielleicht verbessert das sein Spiel. Sag ihm, er soll herkommen.«

Gerulphus hatte den langen Weg von den Gemächern seiner Herrin zum Musikzimmer genutzt, um sich für diese Botschaft andere Worte zurechtzulegen. Während Mandible nun hinter ihm herlief, hörte er dessen Hose im Rhythmus seines hinkenden Gangs rascheln.

Lady Mandible war höchst zufrieden, dass ihr Mann so eifrig Cembalo spielte. So hatte er wenigstens etwas zu tun und kam ihr nicht in die Quere. Dasselbe galt für die vielen Stunden, die er im Wald mit der erfolglosen Jagd auf Schweine zubrachte. Das alles war besser als die Situation in den Tagen kurz nach dem Tod seines Vaters, als er nur weinend und jammernd im Haus gesessen und geklagt hatte, dass er nicht das Format seines Vaters besaß und niemals besitzen würde. In Lysandras Augen war sie der Mann, der Mandible hätte sein sollen, und das kam ihr ganz zupass.

Als Lord Mandible ins Zimmer seiner Frau kam, grüßte ihn Lysandra und streckte ihm die Hand zum Kuss entgegen.

»Ah, meine Teuerste«, sagte er, wie die Manieren es verlangten, und drückte die Lippen auf ihre immer kühle Alabasterhaut. »Ich darf wohl sagen, dass Ihr heute besonders gut ausseht.«

Lady Mandible dankte für das Kompliment mit einem Nicken, das schon deshalb nur andeutungsweise ausfallen konnte, weil ihre drei Frisiermädchen gerade dabei waren, ihre Locken in Form eines voll aufgetakelten Marineschiffs aufzutürmen.

»Mein Teurer«, sagte sie mit einer winzigen Spur von Verachtung in der Stimme (was aber nicht heißen soll, dass sie nicht so gut erzogen war wie ihr Mann), »ich wollte Euch etwas fragen, doch fürchtete ich, Ihr seid bereits auf der Jagd.«

»Ach, nein«, lachte Lord Mandible – es war ein dünnes Kichern, wie man es vielleicht von einer Maus erwarten würde, wenn eine Maus lachen könnte. Er setzte sich in einen Sessel, den er bisher noch nicht gesehen hatte (er gehörte zu Lady Mandibles letzten Neuerwerbungen). »Ich habe mir bloß an meinem Instrument die Zeit vertrieben. Habe ich Euch schon erzählt, dass mein Lehrer sagt, ich sei begabt wie kein anderer?«

»Das glaube ich gern«, sagte sie gelassen. »Ich jedenfalls habe dergleichen noch nie gehört.«

Mandible schien entzückt. Er schlug die Beine übereinander, löste sie wieder und kreuzte sie noch einmal, alles Bewegungen, die seine Satinhosen beängstigend knistern und rascheln ließen. »Was möchtet Ihr mich fragen?«

»Ich möchte gern wissen, ob Ihr ein Borstenrückenschwein heranschaffen könnt, sozusagen als Krönung unserer Festtafel, oder ob ich einen der anderen Jäger schicken muss … wie gewöhnlich. Es sind immerhin nur noch ein paar Tage Zeit.«

»Keine Sorge, meine Teuerste«, erwiderte Mandible. »Ich werde das Schwein bringen. Ich bin überzeugt, dass sich mein Glück jetzt wenden wird.«

»Ihr hättet vielleicht mehr Glück mit Eurer Muskete, wenn Ihr damit auf einige dieser Wilderer schießen würdet«, sagte Lysandra amüsiert. »Ich glaube nicht, dass die so schnell laufen können wie Schweine.« Sie warf den Kopf zurück und lachte spöttisch, was bei ihren besorgten Mädchen eine kleinere Panik auslöste. Wenn sie an vergangene Unternehmungen ihres Mannes dachte, bezweifelte sie seine Behauptung eher – trotz seiner idiotischen Beharrlichkeit und seines Optimismus. Für den Notfall hatte sie längst einem ihrer eigenen Jäger befohlen, ein Schwein zu schießen. Doch sie konnte nun mal keine Gelegenheit auslassen, ihren Mann an seine Unzulänglichkeiten zu erinnern.

Lord Mandible verließ hastig das Zimmer und ihr schrilles Gelächter klang ihm noch lange in den Ohren. Er würde es ihr schon zeigen und auch seinen Vater würde er mit Stolz erfüllen. Er war wild entschlossen, ein Schwein zu erlegen. Letzte Nacht hatte er einen wunderbaren Traum vom Mittwinterfest gehabt. Er hatte an der Stirnseite der Tafel im großen Speisesaal gesessen und direkt in die toten Augen eines gebratenen, fettglänzenden Borstenrückenschweins geschaut. Ihm war, als wollte es sagen: »Gewonnen, Euer Lordschaft. Letztendlich habt Ihr mich erwischt.«

Der Traum gipfelte in einem lärmenden Trinkspruch, und als Mandible aufgewacht war, klangen ihm noch das Zusammenstoßen der silbernen Kelche und die Hurrarufe der Adligen in den Ohren. Und mit ein wenig Vorausplanung können Träume wahr werden! Bei nächster Gelegenheit würde er mit diesem Schmetterlingsjungen sprechen, beschloss er. Schließlich war im ganzen Haus bekannt, dass der immer gern einen Extraauftrag übernahm.

Gereizt scheuchte Lady Mandible ihre Mädchen aus dem Zimmer und ging in ihr Schlafgemach. Sie streckte sich auf dem Bett aus, starrte auf den silbrig schimmernden Seidenhimmel über ihr, und während sie über die Frage des Barons nachdachte, verzogen sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln.

Sie musste tief seufzen bei ihren Überlegungen.

Er war ohne Frage ein charmanter Mann, schlagfertig und gut aussehend, wenn auch mit einem etwas kantigen Profil – aber konnte man ihm trauen? Lady Mandible war zu dem Entschluss gekommen, dass ihm nicht zu trauen war. Sie bedauerte nicht etwa, ihn engagiert zu haben – er war ihr sehr nützlich gewesen –, außerdem amüsierte sie sein ulkiges Gehabe mit seinen Glasaugen und der knallbunten Garderobe. Doch nun neigte sich Bovriks Lebensdauer dem Ende zu. Seine übereifrige Art und seine aufopfernde Hingabe konnten nicht länger wettmachen, dass er ihr inzwischen ausgesprochen unangenehm war. Ständig hing er an ihrer Seite, fortwährend pflichtete er ihr bei, streichelte die Samtvorhänge, fuhr mit der Hand über die Teppiche und verströmte dabei überall seinen widerlichen Zitronengeruch. Sie hatte es satt. Und dann dieser Blick in seinem gesunden Auge, wenn sie ihm etwas abschlug – wie ein Hündchen, das man geschlagen hatte. Igitt! Sie konnte es nicht ertragen. Es machte ihn zu einem Waschlappen. Der Gedanke ließ sie schaudern. Nie wäre sie dort, wo sie heute war, wenn sie sich je so schwach gezeigt hätte. Und, noch schlimmer, er bestahl sie! Glaubte er denn wirklich, sie würde nichts bemerken? Gerulphus hatte jeden einzelnen Gegenstand notiert.

Nein, es war keine Frage, Bovrik würde verschwinden müssen, und er würde zahlen für seinen Verrat. Aber alles zu seiner Zeit und auf keinen Fall vor dem Fest. Nichts durfte das Fest verderben. Bis dahin war er ihr vielleicht noch nützlich, er las ihr schließlich jeden Wunsch von den Augen ab, wenn es um ihre besonderen … Vorlieben ging. Bei dem Gedanken an das Fest musste Lysandra lächeln. Es war ihr erstes als Herrin von Withypitts, und sie würde es zu einem Fest machen, das man nicht vergaß. Sie konnte nicht leugnen, dass Bovriks Vorschlag einer Neuinszenierung von Trimalchios Festgelage ein Geniestreich war. Doch der Höhepunkt, die Sache mit den Schmetterlingen, war ihre Idee, allein ihre. Niemand würde vor dem Fest erfahren, was es damit auf sich hatte!

Geistesabwesend streckte sie die Hand aus und griff nach der letzten Ausgabe des Nordstadt-Journals, die an diesem Morgen gekommen war. Eine Schlagzeile fiel ihr ins Auge: »Attraktiver Thronerbe aus dem Osten trifft unter großem Jubel in Urbs Umida ein«. Wie interessant! Sie musste unbedingt bald wieder einmal in die Stadt, um zu sehen, was diese Aufregung zu bedeuten hatte. In diesem Augenblick sagte ihr das Bimmeln einer Glocke, dass im Nebenzimmer Gerulphus mit ihrem Essen eingetreten war.

»Einer Person kann ich trauen – im Großen und Ganzen«, sagte sie laut. »Im Großen und Ganzen« deshalb, weil Lady Mandible jeden Menschen so streng beurteilte wie sich selbst, und sich selbst traute sie am allerwenigsten.

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