41.

Nach dem Frühstück machte Doug mehrere Anrufe und versuchte, jemanden zu finden, der das Fenster ersetzte. Die Firma Harmons brachte das Glas, doch es stand niemand zur Verfügung, der es einsetzen konnte. Hobie hätte gewusst, wie das geht, aber Doug selbst würde nicht einmal den Versuch unternehmen. Abgesehen von den einfachsten und notwendigsten Handgriffen im Haushalt war er für solche Arbeiten völlig ungeeignet. Der Geräteschuppen war eine Sache - er war für Leute wie ihn gedacht und wurde mit einer einfachen Bauanleitung geliefert -, aber das Fenster war etwas anderes.

Doug rief mehrere Handwerker an, die im Telefonbuch aufgelistet waren, aber zwei meldeten sich nicht, und einer lehnte den Auftrag ab. Der Einzige, der in Betracht zog, den Job zu erledigen, ließ Doug wissen, dass die Arbeit über hundertfünfzig Dollar kosten würde und dass er in den nächsten zwei Wochen sowieso nicht dazu kommen würde.

Doug war versucht, das Loch einfach mit Brettern zu vernageln und das Bild eines Fensters davorzuhängen.

Er machte noch ein paar Anrufe und kehrte dann zu dem ursprünglichen Handwerker zurück, dessen Preis nun auf hundertfünfundsiebzig Dollar gestiegen war, offensichtlich als Strafe dafür, dass Doug sich umgehört und jemand anderen zu finden versucht hatte.

Doug legte auf und spürte Trishs Hand auf seiner Schulter. »Hast du die Schlüssel?«

»Wo willst du denn hin?«

»Zu Irene. Ich mache mir wirklich Sorgen. Ständig versuche ich, sie anzurufen, aber sie geht nicht ran, und nach dem, was mit Hobie geschehen ist ...« Ihre Stimme verlor sich; sie brauchte den Satz nicht zu beenden.

Doug holte die Schlüssel aus der Hosentasche. »Ich fahre mit.«

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich allein hingehe. Ich weiß nicht mal, ob Irene mich sehen will. Bleib du lieber hier bei Billy.«

Doug blickte ihr in die Augen und sah tiefe Besorgnis darin. »Es ist gefährlich da draußen.«

»Ich weiß. Ich pass schon auf.«

»Ich könnte dich doch bei Irene absetzen und unten an der Straße parken ...«

»Nein«, entgegnete Trish entschlossen und nahm ihm die Schlüssel aus der Hand. »Ist schon okay. Ich sehe nur nach ihr und komme sofort wieder zurück. Du wirst nicht mal merken, dass ich weg bin.«

»Warum lässt du nicht die Polizei nach ihr sehen? Irene ist eine alte, gebrechliche Frau. Sag ihnen, sie könnte in der Badewanne ausgerutscht sein und sich etwas gebrochen haben, dann schicken die einen Streifenwagen hin.«

»Nein«, sagte Trish und gab ihm einen raschen Kuss. »In zwanzig Minuten bin ich wieder da.«

»Der Tank ist fast leer, aber bis zu Irene und zurück reicht es noch. Geh nicht tanken. Das mach ich später.«

»Okay«, sagte sie.

Mit ungutem Gefühl beobachtete Doug, wie Trish in den Wagen stieg, auf die Auffahrt zurücksetzte und zwischen den Bäumen hindurch zur Stadt fuhr.


Irgendetwas stimmte nicht. Trish spürte es im selben Augenblick, als sie aus dem Wagen stieg. Die Atmosphäre war auf merkwürdige, undefinierbare Weise anders. Die Luft war absolut reglos, sogar die Vögel und Insekten waren verstummt, als wäre eine Art riesiger Lärmschutz über das Grundstück gestülpt worden. Das Haus selbst erschien leer und verlassen, obwohl sich äußerlich nichts verändert hatte. Trish wusste es so sicher, wie sie wusste, dass heute Dienstag war. Doch sie verdrängte den Gedanken. Das war dumm und abergläubisch.

Trish zwang sich, zur Haustür zu gehen. Als sie durch den Spitzenvorhang spähte, konnte sie keinerlei Bewegung erkennen.

Sie klopfte an die Tür. »Irene?«

Ihre Stimme verhallte, ohne die geringste Spur eines Echos.

Immer noch keine Bewegung im Innern. Irgendetwas war definitiv nicht in Ordnung. Trish klopfte stärker an die Tür, klingelte. »Irene!«

Was, wenn die alte Frau wirklich hingefallen war, sich etwas gebrochen hatte und sich nicht bewegen konnte? Wenn sie einen Herzinfarkt erlitten hatte oder einen Schlaganfall?

Was, wenn der Postbote sie hatte?

»Irene!« Trish rüttelte am Türknauf, doch es war abgeschlossen, wie üblich. Voller Sorge ging sie um das Haus herum zur Hintertür, wobei Unkraut ihre nackten Fußknöchel zerkratzte. Die Hintertür war nicht verschlossen, und Trish drückte sie vorsichtig auf. Ein schlechtes Zeichen. Irene schloss immer beide Türen ab.

Vielleicht war er im Haus.

Der Postbote.

»Irene ...?«

Totenstille.

Trishs Herz schlug wie verrückt in einem angsterfüllten Rhythmus, den sie in Bauch und Hals spürte und im Kopf hören konnte. Sie sollte von hier verschwinden, und zwar schnell. Sie sollte geradewegs zur Polizeiwache fahren und jemanden holen. Auf gar keinen Fall aber sollte sie die Lage auf eigene Faust weiter erkunden. Doch ihre Füße trugen sie vorwärts in die Küche. Der Fußboden war übersät mit Töpfen und Pfannen und zerbrochenem Porzellan. Vorsichtig setzte Trish ihre Schritte zwischen die Scherben. Auf der Arbeitsfläche sah sie einen Laib selbstgebackenes Brot, der von grünem Schimmel überzogen war. Irenes Pflanzen vor dem Fenster hatten wild ausgetrieben, ehe sie aus Wassermangel vertrocknet waren. Der Raum war erfüllt von einem Gemisch verschiedenster Gerüche: Gewürze und Kräuter, Verfall und Verwesung.

»Irene!«, rief Trish.

Keine Antwort.

Sie ging weiter durch die Tür ins Wohnzimmer, warf einen Blick auf die aufgeschlitzten Polster der antiken Möbel, sah den umgestürzten Fernseher und begriff, dass Irene nicht hier war.

Trish erinnerte sich an die Päckchen in Jaspers Zimmer - und plötzlich glaubte sie zu wissen, in welchem Raum sie ihre Freundin finden würde. Sie spürte in der Magengrube, wie sie der Mut verließ. »Irene!«, rief sie noch einmal.

Keine Antwort.

Trish wusste, sie hätte verschwinden oder wenigstens die Polizei rufen sollen, doch sie ging weiter, tiefer ins Haus hinein. Zuerst würde sie in die anderen Räume schauen. Wenn Irene in keinem dieser Räume war, stand fest, dass sie sich in Jaspers Zimmer aufhielt - und dann würde Trish die Polizei rufen.

Langsam ging sie über den Flur und blickte ins Schlafzimmer. Die Kopfkissen waren aufgerissen. Überall lagen Federn herum, aber nirgends gab es eine Spur von Irene. Trish sah ihr eigenes Spiegelbild in der gesprungenen Spiegeltür des aufgebrochenen Kleiderschranks. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie viel Angst sie wirklich hatte, bis sie den Ausdruck auf ihrem blassen Gesicht sah.

Sie ging über den Flur bis zum Badezimmer.

Der Fliesenboden war mit zerrissenem Packpapier, Paketschnüren und geöffneten Schachteln übersät.

Irene lag in der Wanne, mit aufgeschlitzten Handgelenken.

Trish starrte auf ihre Freundin. Irene lag offensichtlich schon einige Zeit dort. Die Haut ihres Körpers war weiß, faltig und vom Wasser aufgequollen, ihre leeren Augen wie vom grauen Star weiß eingetrübt. Um sie herum trieben Körperteile ihres Mannes. Arme. Beine. Hände. Der Kopf. Die Teile waren weiß und blutleer und dümpelten dicht an dicht im Wasser.

Trish wollte wegsehen, aber sie konnte es nicht. Ihr Blick war starr auf die Badewanne gerichtet.

Ihr war nicht bewusst, dass sie schrie, bis ihre Kehle schmerzte.

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