1.

Es war der erste Tag des Sommers und Doug Albins erster Tag in Freiheit. Er stand auf der Veranda und blickte auf den mit Kiefern bestandenen Hügelkamm oberhalb der Stadt. Genau genommen war es nicht der erste Sommertag; der war erst in drei Wochen. Es war nicht einmal Dougs erster Ferientag; der war schon am Samstag gewesen. Aber es war der erste Tag, an dem die Schule geschlossen war. Als Doug nun am Geländer stand und die Aussicht genoss, fühlte er sich großartig. Er atmete tief ein und roch den würzigen Duft der Kiefern, vermischt mit dem Aroma von Schinkenspeck und Pfannkuchen, der vom Nachbarhaus herüberwehte. Düfte des Morgens.

Es war kühl draußen, und es ging eine leichte Brise, aber Doug wusste, dass es nicht lange so bleiben würde. Der Himmel war tiefblau, ohne die kleinste Wolke; gegen Mittag würde die Temperatur weit über dreißig Grad liegen. Doug suchte den Horizont ab. Ein Falke kreiste gemächlich über seinem Kopf und bewegte sich in immer größeren Kreisen von ihm weg. Auf dem Hügelkamm konnte Doug den dünnen grauen Rauchfaden eines Lagerfeuers erkennen, der über den Bäumen aufstieg. In der Nähe sah er kleinere Tiere: Kaninchen, Eichhörnchen, sogar ein paar Kolibris.

Doug war mit der Sonne aufgestanden, wie jeden Montagmorgen; diesmal aber nicht aus Notwendigkeit, sondern aus freien Stücken und ohne den Druck eines bevorstehenden Arbeitstages, der ihm sonst den Morgen verdarb. Er brauchte sich beim Anziehen nicht zu beeilen, musste sein Frühstück nicht herunterschlingen und konnte mehr als nur die Schlagzeilen der Zeitung lesen. Er musste überhaupt nichts. Der ganze Tag lag vor ihm, und er konnte damit anfangen, was er wollte.

Die Eingangstür hinter ihm öffnete sich. Doug blickte sich um, als er den Riegel klicken hörte.

Trish steckte den Kopf hinter dem Fliegengitter hervor. »Was willst du zum Frühstück?«

Doug betrachtete ihre zerzauste Haarmähne und ihr verschlafenes Gesicht und lächelte. »Nichts. Ich hab keinen Hunger. Komm raus zu mir.«

Trish schüttelte den Kopf. »Nee, ist mir zu kalt. Sag schon, was möchtest du? Du kannst das Frühstück nicht auslassen, nur weil du Ferien hast. Es ist ...«

»... die wichtigste Mahlzeit des Tages«, beendete er den Satz für sie. »Ich weiß.«

»Wie wär's mit Toast? Oder Waffeln?«

Doug roch wieder das Frühstück im Nachbarhaus. »Eier«, sagte er. »Mit Speck.«

»Nichts da«, entgegnete Trish. »Es gibt Müsli und Weizentoast. Du hast in letzter Zeit genug fettes Essen verschlungen. Denk an dein Cholesterin.«

»Warum hast du mich dann überhaupt gefragt?«

»Eine Prüfung. Du bist durchgefallen.« Sie schloss die Gittertür. »Sobald du deine Zwiesprache mit Mutter Natur beendet hast, komm rein. Und mach die Tür zu. Es friert heute Morgen.«

Er lachte. »So kalt ist es auch wieder nicht.«

Doch Trish hatte die Tür schon geschlossen, und er stand allein auf der Veranda und blickte über die Ponderosa-Kiefern hinweg auf die felsigen Klippen der Hügelkette hinter der Stadt. Der dünne Rauchfaden des Lagerfeuers wurde vom Wind zerfasert und bildete nun einen grauen Streifen am meerblauen Himmel. Noch einmal nahm Doug einen tiefen Atemzug, hungrig nach dem Sommer, voller Verlangen, die köstliche Freiheit zu atmen. Doch irgendetwas hatte sich verändert: Die Brise trug einen bittersüßen Geruch heran, der Doug auf unbestimmte Weise vertraut war und ein seltsames Gefühl des Verlusts in ihm weckte, das er nicht zuordnen konnte.

Die friedliche Stimmung verflog, und er wandte sich vom Geländer der Veranda ab. Ein Kolibri summte auf dem Weg zur Futterstelle neben dem Küchenfenster an seinem Kopf vorbei, als er das Haus betrat. Trish bereitete das Frühstück und schnitt Scheiben vom selbstgebackenen Brot ab. Auf Müsli hatte sie zu Dougs Erleichterung verzichtet, doch er sah eine offene Pappschachtel mit Haferbrei neben dem Topf auf dem Herd. Ein Krug Orangensaft stand auf der Anrichte. Trish blickte auf, als Doug ins Zimmer kam.

»Du könntest Billy wecken«, sagte sie.

»Lass den Jungen schlafen«, entgegnete Doug. »Es ist Ferienzeit.«

»Ich will nicht, dass er den ganzen Tag im Bett vertrödelt.«

»Es ist halb sieben.«

»Bring ihn einfach dazu, dass er aufsteht.«

Trish widmete sich wieder dem Brot und schnitt den runden Laib in gleichmäßig dünne Scheiben.

Doug stieg absichtlich laut die Treppe zum Dachgeschoss des Hauses hinauf und hoffte, dass seine polternden Schritte den Jungen weckten. Doch Billys Füße lugten noch unter der Decke am Kopfende des Bettes hervor, und sein Kopf auf dem Kissen am Fußende war zugedeckt. Doug stieg über Unterwäsche, Socken, Hemd und Hose hinweg, die über den Boden verstreut waren. Das Sonnenlicht fiel durch einen Spalt zwischen den grünen Vorhängen - ein Keil heller Strahlen, der die Poster von Rockstars und Sportlern an den Dachschrägen beleuchtete. Doug zog die Decke vom Kopf seines Sohnes. »Okay, du Penner, hoch mit dir.«

Billy stöhnte und griff nach der Decke, um sie sich wieder über den Kopf zu ziehen.

»Wie spät isses?«

»Fast neun.«

Ein Auge öffnete sich, um auf die Armbanduhr zu blinzeln, die an einem Band von der schrägen Decke über dem Bett hing. »Es ist erst sechs! Was soll der Scheiß?« Wieder griff er nach der Decke, diesmal aggressiver.

»Viertel vor sieben. Komm, steh auf.«

»Okay. Ich bin ja schon hoch. Lass mich jetzt!«

Doug lächelte. Der Junge kam nach seiner Mutter. Nach dem Aufstehen war Trishs Laune oft so, als hätte sie die halbe Nacht durchgefeiert: Sie war kaum ansprechbar und unausstehlich. Doug war das genaue Gegenteil. Er war morgens »unerträglich gut drauf«, wie einer seiner alten Mitbewohner es ausgedrückt hatte. Deshalb hatten er und Trish es sich angewöhnt, sich in der ersten halben Stunde nach dem Aufstehen aus dem Weg zu gehen.

Er ließ Billy die Decke, und obwohl der Junge sofort wieder den Kopf darunter versteckte, wusste Doug, dass er bald nach unten kommen würde.

Ehe Doug die Treppe hinunterstieg, verabschiedete er sich mit einem »Nun komm schon, steh auf«, auf das er jedoch keine Antwort erhielt. Er setzte sich an die Theke aus Resopal, die Wohnzimmer und Küche trennte und die sie als Frühstückstisch benutzten.

Trish, die den Haferbrei umrührte, drehte sich um. »Welche Pläne hast du für heute?«

Er grinste. »Es ist Sommer. Ich habe keine Pläne.«

Sie lachte. »Das hatte ich befürchtet.« Sie drehte die Herdflamme aus, ging zum Küchenschrank und nahm drei Schalen heraus. »Ich dachte, du wolltest Billy wecken.«

»Er ist auf.«

»Er ist nicht am Tisch, und ich höre oben keine Geräusche.«

»Soll ich ihn holen?«

Trish schüttelte den Kopf. »Ich mach das schon.« Sie ging ins Wohnzimmer und blickte zum Geländer des halb offenen Dachgeschosses hinauf. »Billy!«, rief sie. In ihrer Stimme lag ein Unterton von Zorn; ob echt oder nicht, konnte Doug nicht sagen. »Frühstück ist fertig.«

Sie hörten einen gedämpften Fluch, gefolgt vom Tappen nackter Füße in Billys Zimmer. Zwei Minuten später kam er die Treppe herunter.


Nach dem Frühstück ging Trish nach draußen, um im Garten zu arbeiten. Billy schaute sich die Today-Show an und fuhr dann mit seinem Rad los, um im Wald zu üben. Gegen Ende Juli gab es einen Mountainbike-Wettbewerb, an dem er teilnehmen wollte. »Sei vorsichtig!«, rief Doug ihm von der Veranda hinterher, als der Junge wild in die Pedale trat und über den Feldweg raste, der zwischen den Bäumen hindurch auf die Hügel führte, doch entweder hörte Billy ihn nicht, oder er hatte nicht die Absicht, vorsichtig zu sein.

Trish blickte vom Unkrautjäten auf. »Ich mag es nicht, wenn er so verrückt Rad fährt.«

»Das ist schon okay.«

»Es ist nicht okay. Es ist gefährlich. Eines Tages wird er sich einen Arm oder ein Bein brechen. Ich wünschte, du würdest ihn nicht noch bestärken.«

»Ich bestärke ihn doch gar nicht.«

Sie lächelte schelmisch. »Erzähl mir nicht, dass es dir nicht gefällt, wenn er mit dem Rennrad ...«

»Es ist kein Rennrad, es ist ein Mountainbike.«

»Schon gut, Herr Lehrer. Es sind Sommerferien. Du brauchst mir keinen Unterricht zu erteilen.«

Doug kicherte. »Einmal Lehrer, immer Lehrer.«

Spielerisch streckte sie ihm die Zunge heraus und widmete sich dann wieder dem Unkrautjäten.

Doug ging ins Haus zurück und machte den Fernseher aus. Einen Augenblick stand er im Wohnzimmer und überlegte: Es gab ein paar Dinge, um die er sich an diesem Morgen noch kümmern musste - Korrespondenz, die er in den letzten beiden Wochen wegen der Abschlussarbeiten seiner Schüler vernachlässigt hatte. Er beschloss, diese Dinge zu erledigen, ehe er sich an seine wichtigen Vorhaben machte, darunter sein großes Projekt für diesen Sommer, den Lagerschuppen. Es war jetzt drei Jahre her, dass er Trish versprochen hatte, hinter dem Haus einen Schuppen zu bauen, um ihre Werkzeuge und Gartengeräte, das Brennholz und die Abfälle darin zu deponieren. Obwohl Doug noch in jedem Juni geschworen hatte, den Schuppen zu bauen, hatte er sich irgendwie nie dazu aufraffen können. Dieses Jahr aber hatte er Nägel mit Köpfen gemacht und einen Schuppen aus vorgefertigten Bauteilen gekauft.

Doch er beschloss, erst einmal die Büroarbeit zu erledigen und die Woche dann mit Lesen und Nichtstun zu verbringen. Da er seine Ungeschicklichkeit mit Werkzeugen und seine Aversion gegen körperliche Arbeit kannte, würde der Geräteschuppen - theoretisch ein Projekt von einer oder zwei Wochen - wahrscheinlich den ganzen Sommer in Anspruch nehmen, und er wollte wenigstens einen Teil seiner Ferien genießen.

Doug ging durch die Küche und über den kurzen Flur zum Schlafzimmer. Sein Schreibtisch stand auf der anderen Seite des Bettes, ungünstig nahe beim Kleiderschrank. Ein Stapel Bücher und Papiere lag neben der staubigen, nicht abgedeckten Schreibmaschine. Doug schob alles zur Seite, als er sich auf den harten Metallstuhl setzte, den er anstelle des hölzernen Drehstuhls benutzte, den er ursprünglich haben wollte. Rasch blätterte er den Stapel durch. Rechnungen. Rechnungen. Noch mehr Rechnungen. Ein Brief von einem ehemaligen Schüler, der in die US Army eingetreten war.

Sein Antrag für ein Forschungsjahr.

Doug ließ alles andere auf den Tisch fallen, hielt das gelbe Antragsformular hoch und starrte wie benommen darauf. Bei dem Antrag ging es um ein Programm der Regierung, das Lehrern mit bestimmten Unterrichtsfächern eine einjährige Befreiung vom Schuldienst bot, sodass sie sich mit Forschungsarbeiten beschäftigen konnten. Es gab nichts, was Doug wirklich erforschen wollte oder konnte, aber er war scharf auf das unterrichtsfreie Jahr und hatte zu diesem Zweck eine ziemliche überzeugende Bewerbung geschrieben. Allerdings war er sicher gewesen, den Antrag bereits vergangenen Monat abgeschickt zu haben, was aber offensichtlich nicht der Fall war. Er blickte auf die Abgabefrist auf dem Formular.

Siebter Juni.

In fünf Tagen.

»Scheiße«, murmelte er. Er steckte den Antrag in einen Umschlag, adressierte ihn, klebte eine Marke darauf, ging nach draußen und stieg die Stufen der Veranda hinunter.

»Was ist das?«, fragte Trish.

»Mein Antrag auf das Forschungsjahr. Ich hab vergessen, ihn abzuschicken.«

Sie grinste ihn an. »Einmal Lehrer, immer Lehrer.«

»Sehr witzig.« Doug ging über die Kiesauffahrt zum Briefkasten, öffnete den Metalldeckel, legte den Umschlag hinein und richtete den roten Wimpel auf. Dann ging er über den Kies zurück, wobei er seine nackten Füße vorsichtig setzte. Bob Ronda, der Postbote, würde den Brief gegen Mittag abholen; gegen vier würde er auf der Post sein, am nächsten Morgen in Phoenix ankommen und wahrscheinlich zwei oder drei Tage später in Washington eintreffen. Es wurde eng, aber wahrscheinlich würde es noch reichen.

Doug ging ins Haus, um sich den Rechnungen zu widmen.


Doug und Trish aßen auf der Veranda Sandwiches zu Mittag, während Billy drinnen aß und sich eine Wiederholung von Andy Griffith anschaute. Es war hochsommerlich, und sie neigten den Sonnenschirm über dem Tisch, um die Gluthitze und das grelle Licht abzuhalten. Danach machte Doug den Abwasch, und sie zogen sich beide auf die gepolsterten Gartenstühle auf der Veranda zurück, um zu lesen.

Eine Stunde verging, doch Doug konnte sich einfach nicht entspannen. Immer wieder sah er von seinem Buch auf und horchte vergeblich auf das stotternde Husten, das Bob Rondas Auto von sich gab, auf das metallische Quietschen alter Bremsen. Er dachte daran, dass seine Bewerbung im Postkasten nutzlos vergammelte, und war verärgert, dass der Postbote nicht pünktlich aufgetaucht war. Er blickte zu Trish hinüber. »Die Post ist noch nicht durch, oder?«

»Ich glaube nicht.«

»Mist«, murmelte Doug. Er wusste, dass er Bob Ronda nicht zum Sündenbock machen konnte; schließlich war es seine eigene Dummheit gewesen, so lange mit dem Abschicken des Antrags für das Forschungsjahr zu warten. Aber Doug konnte nicht anders: Er ärgerte sich über den Postboten. Wo blieb der Kerl?

Doug seufzte, widmete sich wieder seinem Buch und versuchte zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren und gab es bald auf. Seine Gedanken schweiften ständig ab, und er ertappte sich dabei, dass er immer wieder denselben Satz las, ohne ihn zu begreifen. Schließlich legte er das Buch auf den Tisch, ließ sich tiefer in den Stuhl rutschen und schloss für einen Moment die Augen. Er hörte, wie Trish aufstand und ins Haus ging; dann war das summende Rauschen von Wasser in der Leitung zu vernehmen, als Trish sich in der Küche etwas zu trinken einschenkte.

Der Wagen des Postboten kam und kam nicht.

Trish kam wieder nach draußen. Die Dielen der Veranda knarrten laut unter ihren nackten Füßen, und Doug schlug die Augen auf. Irgendetwas stimmte nicht. Bob Ronda erschien jeden Tag gegen elf, spätestens zwölf Uhr. Er unterhielt sich dann gern und blieb oft noch ein Weilchen, um mit den Leuten zu plaudern. Aber er kannte auch seine Aufgaben und erledigte seine Arbeit pünktlich und effizient. Jedes Jahr kamen auf Bob Rondas Runde neue Leute hinzu - Familien bezogen in den Ferien ihre Sommerhäuser in dieser Gegend -, doch irgendwie fand er jedes Mal die Zeit, ein Schwätzchen zu halten und seine Runde trotzdem gegen vier Uhr zu beenden. Bob stellte nun schon seit zwanzig Jahren die Post zu, als das Städtchen Willis noch so wenige Einwohner gehabt hatte, dass der Job des Postboten eine Teilzeitstelle gewesen war. Jetzt trug Bob Ronda eine Mütze des US Postal Service, dazu Levi's Jeans und Westernkleidung, und fuhr immer noch seinen verbeulten blauen Dodge. Bob Ronda war ein großer, schwerer Mann mit weißem Vollbart, der sein Postboten-Credo sehr ernst nahm und die Post selbst dann noch zustellte, wenn er sich erkältet hatte oder sonst wie erkrankt war. Deshalb kam bei Bob die Post nie zu spät.

Bis heute.

Doug blickte auf die Uhr. Es war Viertel nach zwei.

Er stand auf. »Ich fahre in die Stadt und gebe meinen Antrag direkt im Postamt auf. Ich kann nicht länger warten. Die Post wird um vier Uhr weitergeschickt. Wenn der Antrag nicht rechtzeitig da ist, kann ich das Forschungsjahr vergessen.«

»Du hättest nicht so lange warten sollen.«

»Ich weiß. Aber ich dachte, ich hätte das verdammte Formular schon abgeschickt.«

Trish stand auf und zupfte an ihren verschwitzten Shorts, die an ihrem Hintern klebten. »Ich gebe den Brief ab. Ich fahre sowieso in die Stadt.«

»Wieso?«

»Das Abendessen. Ich habe gestern alles vergessen, was ich dafür brauche.«

»Lass mich fahren.«

Trish schüttelte den Kopf. »Du bleibst hier und ruhst dich aus, weil du morgen die Veranda streichen wirst.«

»Ach ja?«

»Ja. Jetzt geh und hol deinen Antrag. Ich ziehe mir inzwischen die Schuhe an und sortiere meine Einkaufsgutscheine.«

Kichernd ging Doug über die Auffahrt zum Briefkasten. Er holte den Umschlag heraus und kam zum Haus zurück. Die Vorhänge in den Fenstern vorn heraus waren zugezogen, um die Nachmittagssonne abzuhalten, und auf dem kleinen Tisch neben der Hutablage war ein Ventilator aufgestellt, der in einem Winkel von neunzig Grad hin und her schwenkte und für eine Brise sorgte, die so ziemlich alles kühlte - vom Kamin und dem Bücherschrank an der linken Wand bis zu der Couch, auf der Billy lag und sich Familie Feuerstein anschaute.

»Mach das aus«, sagte Doug. »Warum verschwendest du deinen Tag vor der Glotze?«

»He, das ist Familie Feuerstein. Außerdem ist Sommer. Was soll ich sonst machen? Lesen?«

»Zum Beispiel.«

»Man liest doch nicht zum Vergnügen.«

»Deine Mutter und ich schon.«

»Ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich lese, wenn ich muss. Das reicht.«

Doug schüttelte den Kopf. »Wenn die Sendung vorbei ist, machst du den Kasten aus und suchst dir eine sinnvolle Beschäftigung.«

»Ja, ja, schon okay«, sagte Billy gereizt.

Trish kam aus dem Schlafzimmer, setzte ihre Sonnenbrille auf und zog ihre Tasche über die Schulter, die Schlüssel in der Hand. Sie trug weiße Shorts und ein dünnes weißes Matrosenhemd und hatte ihr langes braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. »Was meinst du?«, fragte sie und drehte sich um die eigene Achse wie ein Model. »Susan St. James?«

»Ich würde eher sagen, Susan Secondhand.«

Sie stieß ihn mehr oder weniger freundschaftlich an.

»He, das hat wehgetan.«

»Das sollte es auch.« Sie nahm ihre Einkaufsliste von der Theke. »Brauchen wir sonst noch was außer Milch, Brot und Essen für heute Abend?«

»Cola«, sagte Billy.

»Mal sehen«, sagte sie und steckte die Liste in ihre Tasche.

Doug reichte ihr den Umschlag mit dem Antragsformular und folgte ihr zum Ford Bronco.

»Cola!«, rief Billy noch einmal von drinnen.

Trish lächelte und stieg in den Wagen. »In ungefähr einer Stunde bin ich wieder da.«

Doug küsste sie durch das geöffnete Fenster. »Okay. Danke.«

»Aber morgen streichst du.«

»Morgen streiche ich.«

Trish setzte aus der Auffahrt zurück und fuhr über den ungepflasterten Weg in Richtung Stadt, wobei sie die Seitenfenster hochfahren ließ, um den Staub draußen zu halten; dann schaltete sie die Klimaanlage ein. Der erste Schwall Luft, der aus den Lüftungsdüsen drang, war abgestanden und feucht, wurde aber rasch erfrischend kühl und trocken, als sie an den anderen Häusern vorbeifuhr, die verstreut an dem Waldstück standen. Die Straße wand sich um die Flanke des Hügels und führte dann hinunter zu einem Bach.

Mit der routinierten Sicherheit einer Einheimischen fuhr Trish durch die niedrige Furt. Die Reifen des Bronco ließen das Wasser aufspritzen, als sie durch den Bach holperten.

Als Trish auf die gepflasterte Straße gelangte, fuhr sie langsamer und kreuzte die erste Querstraße. Sie war froh, dass Sommer war und Doug nicht arbeiten musste; aber sie wusste, dass sie ein paar Verhaltensregeln würde festlegen müssen, so wie sie es jeden Sommer tat. Doug hatte Ferien, und das war gut, aber auch sie brauchte Freizeit - nur gab es leider keine Möglichkeit, als Hausfrau und Mutter viel freie Zeit abzuzweigen. Diese Jobs waren Vollzeitbeschäftigungen, die obendrein das ganze Jahr andauerten. Wenn sie Doug sich selbst überließ, würde er den ganzen Sommer herumhängen, auf der Veranda liegen und lesen und rein gar nichts tun. Es war an ihr, ihm klarzumachen, dass die Mahlzeiten, die sie aßen, gekocht werden mussten, dass anschließend das Geschirr gespült werden musste und dass das Haus sich nicht von selbst in Schuss hielt. Man konnte von Doug nicht erwarten, Hausfrauenarbeit zu erledigen, aber er konnte wenigstens mithelfen: Staub saugen, Geschirr spülen, den Hof harken. Sie, Trish, würde immer noch den Löwenanteil der Arbeit erledigen, aber es würde ihr schon sehr helfen, wenn Doug ein paar Pflichten mit ihr teilte.

Die Straße wand sich am Wohnwagenpark vorbei, ehe sie auf die Hauptstraße traf. Trish setzte den Blinker und bog links ab. In der Stadt war es ruhiger als sonst. Auf dem Parkplatz bei Bayless standen ein paar Wagen, und mehrere Wohnmobile waren auf der Straße unterwegs, deren Besitzer zu den Seen fuhren oder von dort kamen. Doch es herrschte nicht der gewohnt dichte Berufsverkehr des Montagnachmittags. Trish fuhr an der Exxon-Tankstelle vorbei und die Pine Street entlang zur Post.

Im Postamt war es immer voll, und der heutige Tag machte da keine Ausnahme. Der kleine Parkplatz stand voller Limousinen und staubiger Pick-ups. Drei Wagen bildeten bereits eine Mini-Schlange auf der Straße und warteten auf den nächsten freien Platz.

Anstatt zu warten, fuhr Trish auf den Parkplatz des Chiropraktikers nebenan und ging das kurze Stück bis zur Post zu Fuß. Sie parkte im Schatten einer Ponderosa-Kiefer und ging um die kleine Ziegelmauer herum, die das Postamt und die Praxis des Chiropraktikers trennte. Trish bemerkte, dass das Sternenbanner sowie die Flagge von Arizona vor dem Postamt auf Halbmast wehten. Sie versuchte sich zu erinnern, ob heute der Gedenktag für irgendeine historische Persönlichkeit oder ein geschichtliches Ereignis war. Ihr fiel nichts ein. Vielleicht war kürzlich irgendein Politiker gestorben, und sie hatte noch nicht davon gehört.

Sie stieg die Stufen hinauf, öffnete die Tür und trat ein. Der Verdunstungskühler auf dem Dach des Postamts hatte die Innentemperatur gesenkt, die Luftfeuchtigkeit jedoch erhöht, sodass es praktisch gar nichts brachte. Die Schlange am Schalter war lang und erstreckte sich durch die Doppeltür bis in die Halle neben den Postfächern. Howard Crowell, der örtliche Postchef, stand hinter dem Schalter. Trish sah sofort, dass er eine schwarze Armbinde trug. Sofort bekam sie ein flaues Gefühl im Magen. Sie stellte sich ans Ende der Warteschlange hinter Grady Daniels.

Daniels drehte sich um und blickte Trish an. »Eine Schande«, sagte er. »Eine verdammte Schande.«

»Was?«

»Bob Ronda«, sagte er.

»Was ist passiert?«

»Sie haben es noch nicht gehört?«

Trish schüttelte den Kopf.

Grady senkte die Stimme. »Er hat sich heute Morgen das Hirn weggepustet. Mit einer Schrotflinte.«

Der Postchef blickte wie benommen hoch, als der Kunde ging, den er soeben bedient hatte. »Der Nächste.«

Trish richtete den Blick die ganze Zeit auf Howard, während sie sich in der Schlange voranbewegte. Ihr war kalt geworden. Howards Augen waren rot und feucht, seine Wangen gerötet. Es war offensichtlich, dass die Tragödie ihn zutiefst schockiert hatte. Seine Stimme, normalerweise laut und polterig, war rau und gedämpft, und seine Hände zitterten, als er Briefmarken und Wechselgeld herausgab. Bob Ronda war nicht nur Howards einziger Angestellter gewesen, sondern auch sein bester Freund. Es hatte kaum einen Samstagabend gegeben, an dem die beiden nicht den Corral besucht hatten, die örtliche Kneipe, wo sie dem Countryswing der Toronto Trailblazers lauschten, ein paar kühle Bierchen zischten und über Gott und die Welt diskutierten. Es war kein Geheimnis, dass Howards Frau ihn vor zwei Jahren verlassen hatte, auch wenn er darauf beharrte, dass sie in Tucson ihre behinderte Mutter pflegte; seit jener Zeit waren Howard und Bob Ronda fast unzertrennlich gewesen. Ellen, Rondas Frau, hatte sich sogar beklagt, dass ihr Mann mehr Zeit mit Howard verbrachte als mit ihr.

Die Schlange bewegte sich weiter voran, bis Trish und Grady ganz vorn standen.

»Der Nächste«, sagte Howard.

Grady trat vor. »Ich möchte meine Post abholen«, sagte er.

Trish fiel ein Schild ins Auge, das mit Klebeband am Schalter befestigt war:

»Die Post wird nur noch montags, mittwochs und freitags zugestellt, bis ein neuer Postbote eingestellt wurde. Das Postamt ist vorübergehend nur dienstags und donnerstags geöffnet. Danke für Ihr Verständnis.«

Neben dem Schild befand sich eine Todesanzeige für Bob Ronda.

»Wie lange wird es dauern, bis wir einen neuen Postboten haben?«, fragte Grady.

»Von mir wird der nicht eingestellt«, antwortete Howard. »Das Hauptpostamt in Phoenix schreibt einmal im Jahr offene Stellen aus, und die kümmern sich dann um alles Weitere. Ich habe heute Morgen angerufen und einen Antrag für einen neuen Postboten gestellt, aber es wird wohl ein paar Wochen dauern, ehe sie jemanden schicken.«

»Es ist eine Schande, was mit Bob passiert ist«, sagte Grady. »Eine verdammte Schande.«

Howard nickte schweigend.

Grady bekam seine Post, winkte zum Abschied, und Trish trat an den Schalter vor. »Wie geht es Ihnen, Howard?«, fragte sie mitfühlend und legte ihre Hand auf seine.

Er zuckte mit den Achseln; sein Blick war verschwommen und ging ins Leere. »So gut, wie man's erwarten kann.«

»Ich habe es gerade erst gehört. Es ist schrecklich.«

»Ja.«

»Bob schien nicht ... ich meine, er machte nicht den Eindruck, als ob er so etwas tun könnte.«

»Das habe ich den Leuten schon den ganzen Tag gesagt. Ich kann nicht glauben, dass er sich umgebracht hat. Die Leute sagen das immer, wenn so was passiert, aber normalerweise gibt es doch Gründe dafür. Scheidung, Tod des Ehepartners, Verlust des Arbeitsplatzes. Aber da ist nichts! Ich war gestern Abend noch bei Bob zu Hause. Er, Ellen und ich haben zu Abend gegessen und uns nett miteinander unterhalten. Alles war normal. Bob war überhaupt nicht deprimiert oder so. Er war nicht glücklicher als sonst und nicht trauriger, weder gesprächiger noch weniger gesprächig. Es war wie immer. Er hat sich auch nicht mit Ellen gestritten. Wenn das mal vorkam, sind Bob und ich immer auswärts essen gegangen, ohne Ellen.« Er schüttelte den Kopf und starrte für einen Augenblick auf den Schalter; dann blickte er Trish an und versuchte zu lächeln. Das Ergebnis sah auf seinem schmerzerfüllten Gesicht schaurig aus. »Tja, Trish, was kann ich für Sie tun?«

»Ich bin nur gekommen, um einen Brief abzugeben und ein Briefmarkenheftchen zu kaufen.«

»Ein Briefmarkenheftchen, okay«, sagte Howard und schob die Briefmarken zu ihr über den Schalter.

Trish bezahlte und drückte dann leicht seine Hand. »Wenn Sie irgendwas brauchen, rufen Sie an«, sagte sie. »Egal wann.«

Howard nickte müde. »Mach ich.«

Trish entfernte sich vom Schalter. Hinter sich hörte sie Howards benommene Stimme: »Der Nächste.«

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