Doug fuhr ohne Hemd durch die Nacht, das Haar noch ungekämmt, nur mit seiner Levis und einem Paar Tennisschuhen bekleidet. Er war diese Strecke tausendmal gefahren, aber nun schien er sich in Zeitlupe zu bewegen, und der Bronco fuhr mit einer jämmerlich unangemessenen Geschwindigkeit. Wütend auf den Wagen und auf sich selbst schlug Doug auf das Lenkrad, so fest er konnte. Die Hupe ertönte, und beinahe wäre er gegen einen Baum gefahren, als er eine Kurve zu scharf nahm, doch kaum hatte er den Wagen wieder unter Kontrolle, trat er das Gaspedal wieder herunter.
Er hatte in letzter Zeit viel Angst gehabt und geglaubt, die Grenze des Schreckens erreicht zu haben, doch als das Klingeln des Telefons ihn aus tiefem Schlaf gerissen hatte und er Hobie mit panischer, schriller Stimme etwas von Blut und Jungfrauen kreischen hörte, während im Hintergrund ein Polizeifunkgerät rauschte und knackte, da wusste Doug, dass Angst keine Grenzen hatte. Sie war bodenlos, und er versank immer tiefer darin.
Schon von weitem sah er am Ende der Straße die Lichter der Polizeifahrzeuge - ein rotblaues Flackern vor den Bäumen und Häusern des Viertels. Die Streifenwagen und die Ambulanz standen direkt vor Hobies Wohnwagen, sodass Doug ein gutes Stück entfernt parken musste. Er warf die Tür ins Schloss und rannte über den schmutzigen Bürgersteig. Eine Gruppe von Männern und Frauen in Morgenmänteln - offenbar Hobies Nachbarn - stand hinter dem gelben Band, mit dem Hobies Wohnwagen abgesperrt worden war. Doug schob sich zwischen den Leuten durch zur Auffahrt.
»He!«, schrie ein Polizist ihn an. »Was haben Sie vor?«
»Ich möchte Hobie sehen«, rief Doug.
»Tut mir leid.« Der Polizist trat ihm in den Weg. »Sie dürfen nicht hinter die Absperrung.«
»Ich habe ihn angerufen«, rief Hobie von der Tür her. »Gottverdammt! Lasst ihn rein!«
Doug blickte zu seinem Freund hinüber. Hobies Augen waren weit aufgerissen. Sein Blick war irre, und sein kurzes Haar stand in wirren Büscheln in allen Richtungen vom Kopf ab. Er trug nur Boxershorts und ein T-Shirt, und Doug sah mit Entsetzen, dass beide Kleidungsstücke mit Blut beschmiert waren.
»Lasst ihn durch«, befahl Tim Hibbard, der hinter Hobie stand. Doug duckte sich unter das Absperrband und überquerte den Hof. Versiegelte Kunststoffbehälter und Kartons mit der Aufschrift »Willis Police Departement« waren neben dem Bürgersteig abgestellt worden, und aus dem Innern des Wohnwagens erklang das Rauschen von Funkgeräten, das Piepen elektronischer Geräte und raue Stimmen, in denen Angst und Abscheu mitschwangen.
»Das war ich nicht, Doug.« Hobies Stimme war hoch und voller Angst. »Ich ...«
Doug ging bis zur Tür. »Sag nichts, bis du einen Anwalt hast«, sagte er.
»Ich habe ...«
»Sag nichts.« Beruhigend legte Doug seinem Freund die Hand auf die Schulter und hoffte, dass er selbst ruhiger wirkte, als er sich fühlte. Etwas Furchtbares war hier passiert - irgendetwas, das Hobie in dieses verängstigte, bibbernde Geschöpf verwandelt hatte. Einen grausamen Augenblick lang wünschte Doug sich, er hätte Hobie nie kennen gelernt und wäre bloß einer von Hunderten anderer Menschen in Willis, die jetzt schliefen und nicht ahnten, was hier vor sich ging. Aber dann sah Doug den Ausdruck unendlicher Not auf dem Gesicht seines Freundes, und es tat ihm leid, dass ihm solch ein Gedanke überhaupt in den Sinn gekommen war. Er wandte sich an den Polizisten, der am nächsten bei ihm stand, ein Mann mittleren Alters mit Schnurrbart. »Was ist hier eigentlich passiert?«
Der Polizist musterte ihn voller Verachtung. »Sie wollen wissen, was hier passiert ist? Sie wollen sehen, was Ihr Kumpel getan hat? Kommen Sie mit ins Schlafzimmer.«
»Ich war es nicht«, jammerte Hobie. »Ich schwöre ...«
»Halt den Mund«, unterbrach ihn Doug. »Sag überhaupt nichts.« Er folgte dem uniformierten Officer ins Schlafzimmer, wo eine andere Gruppe von Polizisten den Kleiderschrank durchsuchte.
Sofort schlug Doug der Geruch entgegen: Ein intensiver, süß-säuerlicher Gestank, der ihm Übelkeit verursachte, sodass er würgen musste.
Blut.
»O Gott«, flüsterte Doug.
Die Leiche des Mädchens lag auf dem Bett. Neben den Messern. Sie war nackt und lag auf dem Bauch, das Gesicht abgewandt. Durch das blutige Loch in ihrer Kopfhaut war der hintere Teil ihres Schädels sichtbar. Der Knochen war an mehreren Stellen abgesplittert, sodass die blassen Windungen des Gehirns sichtbar wurden. Ihr Rücken war mit Dutzenden von Stichen und Schnitten übersät, und die Haut ihrer Hinterbacken war abgezogen worden, sodass der Muskel darunter freigelegt war. Blut tränkte das Bettlaken.
Doug konnte den Anblick nicht ertragen und blickte hoch. An der Wand über dem Bett waren Schnappschüsse anderer nackter Mädchen an die Wandverkleidung geklebt worden. Dutzende von Fotos. Alle Mädchen waren verstümmelt - mit Messern, die denen glichen, die auf dem Bett lagen.
»Ich habe das nicht getan!«, rief Hobie. »Ich schwöre bei Gott, ich habe das nicht getan! Ich bin nach Hause gekommen und fand sie ...«
Die Männer beim Kleiderschrank drehten sich um. Chief Catfields Augen weiteten sich, als er Doug sah. »Bringt ihn hier raus!«, brüllte er.
»Aber ... Ich wollte nur, dass er sieht, was sein Freund getan hat«, stammelte der schnurrbärtige Polizist.
»Es ist mir scheißegal, was Sie wollten!«
Doug stolperte rückwärts aus dem Raum und rang nach Luft; man brauchte ihm gar nicht zu sagen, dass er verschwinden sollte. Er konnte immer noch den schweren, Übelkeit erregenden Geruch von frischem Blut riechen und hatte seinen abstoßend salzigen Moschusgeschmack im Mund. Einen Augenblick stand er keuchend da, die Hände auf die Knie gestützt, und versuchte, das Würgen zu unterdrücken.
»Ich war das nicht«, sagte Hobie. »Das war der Postbote!« Er packte Doug bei den Schultern, und Doug konnte kleine Blutspritzer auf Hobies Wangen sehen. »Er hat mir eine Falle gestellt!«
»Sag nichts, bevor du einen Anwalt hast«, sagte Doug und starrte seinen Freund an. Hobie blickte unterwürfig zur Seite.
»Wir haben dich am Wickel, Hobie, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche«, sagte der schnurrbärtige Polizist. »Du bist erledigt.«
»Ich war es nicht ...«
»Halt die Schnauze!«, rief Doug.
»Wir sind es, die hier bestimmen, wer die Schnauze hält.« Der Chief kam aus dem Schlafzimmer. »Was haben Sie überhaupt hier zu suchen?«
Doug versuchte immer noch, den Geschmack auf der Zunge und den Geruch in der Nase loszuwerden. »Hobie hat mich angerufen.«
»Sind Sie sein Anwalt?«
»Nein. Ich bin sein Freund.«
»Und wer hat Sie durchgelassen? Freunde sind normalerweise an Tatorten nicht zugelassen.«
Doug hob die Hände. »Wenn Sie wollen, dass ich gehen soll, dann gehe ich.«
»Nein!«, protestierte Hobie.
»Ich besorg dir einen Anwalt«, versprach Doug. »Ich beschaffe dir alles, was du brauchst. Mach dir keine Sorgen. Hier kann ich sowieso nichts für dich tun.«
»Ich war es nicht ...«, schluchzte Hobie. Tränen liefen ihm über die Wangen und färbten sich rosa, als sie sich mit den Blutspritzern auf seiner Haut vermischten.
»Ich weiß, dass du es nicht warst. Und wir werden dich hier rausholen.«
»Nein, das werden Sie nicht«, widersprach der Chief.
»Aber du wirst ein paar Tage im Gefängnis bleiben müssen, bis alles geklärt ist. Soll ich jemanden für dich anrufen? Deine Eltern?«
»Nein!«
»Okay. Ich werde tun, was ich kann. Wir sehen uns am Morgen.«
»Jeff!« Catfield winkte den schnauzbärtigen Polizisten zu sich. »Begleiten Sie Mister Albin zur Straße.«
Der Polizist nickte. »Ja, Sir.«
»Wir werden dich rausholen, Hobie«, versprach Doug.
Auf der Straße redeten die Nachbarn laut und aufgebracht über das, was ihrer Meinung nach in Hobies Wohnwagen geschehen war. Eine stämmige, hässliche Frau mit Lockenwicklern rief, sie habe schon seit Jahren gewusst, dass Hobie praktizierender Satanist sei.
Doug ging langsam zu seinem Wagen. Am liebsten wäre er losgerannt, so heiß brodelte das Adrenalin in seinen Adern, doch er zwang sich, bewusst langsam zu gehen und die gegensätzlichen Gefühle, die in seinem Innern tobten, unter Kontrolle zu halten. Es gab jetzt viel zu tun. Er musste einen Anwalt suchen, einen guten Anwalt, und herausfinden, welche Rechte Hobie hatte und ob er in Willis bleiben, ins County-Gefängnis oder ins Staatsgefängnis in Florence gebracht würde. Aber bis zum Morgen konnte er nichts tun.
Doug ließ den Motor des Bronco an und setzte zurück. Ihm wurde klar, dass er nichts erreicht und seinem Freund in keiner Weise geholfen hatte. Es war ihm höchstens gelungen, Hobie dazu zu bringen, keine Aussage zu machen, bis er einen Anwalt hatte.
Am wichtigsten war jetzt, den Postboten festzunageln und zu beweisen, dass er den Mord begangen hatte. Aber das war sehr schwierig. Es hatte keine Zeugen gegeben, und Hobie selbst war bereits zu weit in den Wahnsinn abgedriftet, als dass ihm noch irgendjemand glaubte.
Doug ging um eine Hausecke und erstarrte, als er auf der anderen Straßenseite den Wagen des Postboten sah. Er beobachtete, wie die blasse Hand des Mannes den Briefkasten vor einem Haus öffnete und einen Stapel Briefe hineinlegte.
Die Hand erhob sich über das Wagendach und winkte träge, ehe der Wagen davonglitt.