13.

Hobie kam kurz nach dem Frühstück vorbei, klopfte aus Höflichkeit einmal an den Türrahmen, ehe er die Gittertür öffnete, und ging ins Wohnzimmer. Er zeigte mit dem Finger auf Billy, der sich auf der Couch ausgestreckt hatte. »Hallo, Billy.«

Doug räumte gerade das letzte Frühstücksgeschirr weg und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, als Hobie erschien. »Du schon? Es ist erst halb neun.«

»Ich weiß, das Meeting fängt erst um zehn an. Aber ich dachte, wir sollten eher hingehen, die Lage peilen und uns überlegen, was wir sagen wollen. Nachdem ich gestern Nachmittag am Pool fertig war, habe ich versucht, dich anzurufen, aber eine Computerstimme hat immer wieder gesagt, deine Verbindung sei stillgelegt worden.«

Doug nickte. »Irgendjemand hat einen Brief von mir gefälscht und an die Telefongesellschaft geschickt, dass ich umziehe und mein Telefon abmelden wollte.«

»Wirklich?«, fragte Hobie.

»Ja. Auch ans Gas- und Wasserwerk wurden Briefe geschickt, dass sie Strom und Wasser abstellen sollen.«

Hobie schüttelte den Kopf. »Verrückt. Ein einziger Brief könnte ja noch ein Scherz gewesen sein, aber zwei. Was meinst du, wer das war?«

Der Postbote, wollte Doug sagen; stattdessen zuckte er mit den Schultern.

»Glaubst du, dass es ein Schüler war? Wen hast du dieses Jahr durchrasseln lassen?«

»Niemanden. Außerdem glaube ich nicht, dass ich Schüler habe, die mich hassen. Am ehesten könnte ich mir Duke Johnson vorstellen, aber selbst der würde so einen Schwachsinn nicht machen.«

»Hast du die Cops angerufen?«

»Ja. Ich hab denen alles erzählt und ihnen Kopien von den Briefen gegeben, aber sie haben gesagt, dass sie wenig tun könnten.«

Hobie schnaubte. »Na toll!«

Doug wischte die Küchentheke ab und hängte das Geschirrtuch auf. »Willst du jetzt gleich losfahren?«

»Ja. Ich habe Mark Pettigrew angerufen, der trifft sich dort mit uns. Ich habe auch versucht, den Trainer und Donovan zu erreichen, aber beide waren nicht zu Hause. Wahrscheinlich sind sie im Urlaub. Donovan wollte nach Durango.«

»Na gut, bringen wir es hinter uns.«

Doug ging in den Flur und klopfte an die Badezimmertür. »Ich bin mit Hobie weg, okay?«

»Okay«, sagte Trish durch die geschlossene Tür. »Viel Glück. Ich hoffe, ihr kriegt eure Bücher.«

»Na, ich rechne eher nicht damit.« Doug kehrte durch die Küche ins Wohnzimmer zurück, während Hobie bereits die Gittertür öffnete und nach draußen ging. Doug wandte sich an Billy, der immer noch auf der Couch lag. »Pass auf deine Mutter auf.«

»Tu ich doch immer.«

Doug lachte. »Das möchte ich erleben.« Er folgte Hobie zu dessen Wagen.

»Wo wir gerade von Wasser und Gas reden - ich habe diesen Monat gar keine Rechnung bekommen«, bemerkte Hobie.

»Tatsache? Wir haben überhaupt keine Rechnungen gekriegt.«

Hobie schüttelte den Kopf. »Ist das nicht verrückt? Ich sollte ja nichts Schlechtes über den neuen Postboten sagen - er fängt gerade erst an und muss noch lernen, wie das hier läuft -, aber ich glaube, mit dem Typen stimmt was nicht. Normalerweise kriege ich jeden Tag eine Tonne Briefe. In letzter Zeit sind es höchstens zwei oder drei, an manchen Tagen überhaupt keine.«

Doug stieg ins Auto und schlug die Tür zu; dann grub er aus dem Schlitz zwischen den Sitzen den Sicherheitsgurt hervor. »Es kommen keine Rechnungen und keine Reklame, stimmt's?«

»Ja, genau.« Hobie schien überrascht zu sein. »Bei euch auch nicht? Vielleicht sollte ich mal zu Howard gehen und ihm sagen, dass er sich mal um die Sache kümmern soll.« Er ließ den Motor an, setzte aus der Einfahrt zurück, wendete und fuhr auf die Straße.

Hinter ihnen spritzte der Kies hoch, als Hobie beschleunigte. Doug stützte sich mit einer Hand am Armaturenbrett ab. Obwohl Hobie Fahrstunden gab, war er ein grauenhafter Fahrer.

Während sie zur Stadt fuhren, erzählte Doug vom Picknick am Clear Creek und den am Ufer verstreuten Briefen. Zwar sagte er nicht, dass er den neuen Postboten verdächtigte, die Briefe gestohlen und weggeworfen zu haben, doch die Andeutung war unmissverständlich. Während Doug sprach, wurde Hobies Gesicht immer ernster.

Als sie am Wohnwagenpark vorbeifuhren und nach links auf den Highway einbogen, sagte Hobie: »Offenbar passieren in letzter Zeit viele merkwürdige Dinge. Sehr merkwürdige Dinge.«

Doug fragte ihn, was er damit meinte und ob er irgendetwas Ungewöhnliches im Zusammenhang mit der Post erlebt hatte, doch Hobie runzelte nur die Stirn, schüttelte den Kopf und wollte nicht antworten. Beide schwiegen, während sie durch die Stadt fuhren und sich der Schule näherten.


Die Willis Highschool wurde von Eichen, Akazien und Ponderosa-Kiefern umschlossen und befand sich neben dem Edward G. Willis Memorial Park. Das Footballfeld war an einem Ende einer natürlichen Wiese angelegt worden. Das Schwimmbad, das Schule und Park sich teilten, befand sich am anderen Ende.

Als sie eintrafen, hatte sich eine Menschenmenge angesammelt, die neben der offenen Tür der Sporthalle stand. Auf dem Schulparkplatz standen zwei Streifenwagen sowie ein Rettungswagen mit flackernden Lichtern, obwohl Doug und Hobie den ganzen Morgen keine Sirenen gehört hatten. Doug warf seinem Freund einen fragenden Blick zu und schaute dann aus dem Fenster auf die Szene vor ihnen. Ein seltsames Gefühl erfasste ihn: Er war angespannt und wie betäubt zugleich, als er die Menge betrachtete. Er wusste, es würde schlimm werden.

»Da ist was passiert«, sagte er.

Hobie fuhr den Wagen unter einen Baum, damit er im Schatten stand; dann stiegen sie aus und eilten zur Sporthalle. Mehrere andere Lehrer waren dort, außerdem Anwohner aus der Nachbarschaft sowie ein Mitglied des Schulvorstandes.

Doug ging zu Jim Maxwell, der in der neunten Klasse Sozialkunde unterrichtete. »Was ist denn los?«

»Bernie Rogers hat sich in der Sporthalle aufgehängt.«

»Was!« Doug sah Hobie schockiert an. Er hatte das Gefühl, als hätte jemand ihm in den Magen getreten. Er wusste zwar nicht, was er eigentlich erwartet hatte, aber das bestimmt nicht. Bernie Rogers, ein Schüler der Oberstufe, der das Jahr mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, war sowohl in den akademischen Fächern als auch sportlich sehr begabt. Er war Star-Stürmer des Basketballteams und zugleich der beste Oberstufenschüler in Englisch und Geschichte. Außerdem war er der Einzige, der sowohl an Dougs Kurs für amerikanische Literatur als auch an Hobies Autokurs für Fortgeschrittene teilgenommen hatte, beide Male mit hervorragenden Leistungen.

»Lass mich sehen«, sagte Hobie und schob sich durch die Menge zur Tür durch. Doug folgte ihm und schlängelte sich an den Leuten vorbei, bis er durch die Tür und in der Sporthalle war.

Bernie war nackt, sein Körper aufgedunsen. Seine Augen waren geöffnet, starrten ins Leere und wirkten gespenstisch weiß im Kontrast zur dunkel verfärbten Haut. Auf Bernies Brust war ein Zettel befestigt; die Nadeln waren unter die Haut geschoben. Blut war über das Blatt gelaufen und hatte verdeckt, was immer dort geschrieben stand. Der Junge hatte sich die Schlinge offensichtlich selbst um den Hals gelegt und war von der Tribüne gesprungen. Doug fragte sich allerdings, wie Bernie ohne Leiter das Ende des Seils am Dachbalken befestigt haben konnte.

Zwei Polizisten, ein Fotograf und ein Gerichtsmediziner standen neben der Leiche und sprachen miteinander. Zwei Rettungssanitäter hatten sich an der hinteren Wand postiert und warteten. Ein weiterer Polizist hielt die Menge davon ab, zu nahe zu kommen.

»Du lieber Himmel«, stieß Hobie hervor. Die übliche Prahlerei und Aggressivität waren aus seiner Stimme verschwunden, und sein Gesicht war aschfahl. Er trat zur Seite, als sich zwei weitere Polizisten - der eine mit einer Gartenschere, der andere mit einer ausziehbaren Trittleiter - durch die Sporthallentür hinter ihm schoben.

»Ich kannte Bernie«, sagte Hobie. »Er war ein guter Junge.«

Doug nickte. Er sah schweigend zu, als die Polizisten die Leiter aufstellten und die Leiche abschnitten. Offenbar hatte der Fotograf seine Bilder bereits gemacht, bevor sie angekommen waren. Bernies Körper war steif, Arme und Beine erstarrt. Die Männer legten ihn vorsichtig auf eine weiße Kunststoffplane, die einer der Rettungssanitäter auf dem Boden ausgebreitet hatte. Der Gerichtsmediziner kam nach vorn, um sich den Leichnam anzusehen, ging auf ein Knie und öffnete seine schwarze Tasche.

»Ich habe erst letzte Woche mit ihm gesprochen«, erklang eine Männerstimme. »Nachdem die Schule zu Ende war.«

Doug blickte nach rechts und sah Ed Montgomery, den Trainer. Er schüttelte langsam den Kopf. »Er sagte, dass er diesen Sommer einen Teilzeitjob im Postamt bekommen würde. Davon wollte er im Herbst die Kosten für die Schule bezahlen. Sein Stipendium reichte nicht für die Bücher und das Essen, nur für die Studiengebühren.«

Doug spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken herunterlief. »Wo sollte er einen Job kriegen?«, fragte er den Trainer.

Ed sah ihn verständnislos an. »Im Postamt. Er hatte es schon mit Howard abgesprochen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, warum der Junge so etwas Schreckliches getan hat. Es lief doch alles gut für ihn!« Der Trainer blickte Doug fragend an. »Glaubst du, es könnte Mord gewesen sein?«

»Ich weiß nicht«, antwortete Doug. Und er wusste es wirklich nicht. Plötzlich wollte er unbedingt sehen, was auf dem Zettel stand, der an Bernies Brust steckte. Er trat einen Schritt vor.

»Bleiben Sie bitte zurück«, warnte ihn der Polizist.

»Ich war Bernies Lehrer und ...«

»Nur offizielles Personal und Familienmitglieder dürfen in die Nähe der Leiche.«

»Nur für eine Sekunde.«

»Tut mir leid«, entgegnete der Polizist.

Doug drehte sich um und ging aus der Sporthalle hinaus an die frische Luft. Er brauchte Platz, Raum zum Atmen. In seinen Schläfen pochte das Blut.

Bernie Rogers hatte einen Teilzeitjob im Postamt übernehmen wollen.

Das Postamt.

Es ergab zwar keinen Sinn, doch auf irgendeine verdrehte Weise passte es - und das machte Doug eine Heidenangst.

Er drängte sich durch die Menschenmenge, lehnte sich gegen einen Baum und atmete gierig die frische Luft ein. Als er ein Fahrzeug hörte, blickte er zur Straße.

Durch die Kiefern hindurch glaubte er zu sehen, wie ein roter Wagen vom Park in Richtung Stadtzentrum fuhr.

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