10.

Nachdem sie vom Picknick zurückgekehrt waren, versuchte Doug, Howard anzurufen, doch er war nicht zu Hause und auch nicht im Postamt. Und wenn er doch da war, ging er nicht ans Telefon. Doug ließ es fünfzehn Mal durchschellen, ehe er auflegte. »Dafür wird dieser Postbote gefeuert«, sagte er zu Trish. »Es ist strafbar, sich an der Post zu vergreifen. Wahrscheinlich wandert der Kerl in den Knast.«

Er hoffte jedenfalls, dass der Bursche ins Gefängnis gehen würde.

Sie hatten mehrere Umschläge am Bach aufgehoben und mitgenommen. Nun suchten sie nach Briefen, die an sie selbst gerichtet waren, konnten aber keine finden; also beschränkten sie sich auf Umschläge, die an Leute adressiert waren, die sie kannten. Die gerettete Post lag noch im Wagen. Doug hatte vor, sie Howard als Beweis zu zeigen.

Er verbrachte den Rest des Nachmittags mit dem Versuch, Howard anzurufen, zu lesen, Radio zu hören und mit dem Lagerschuppen anzufangen, doch er machte sich Sorgen, war aufgedreht und konnte sich nicht konzentrieren.

Es gab Spaghetti zum Abendessen. Billy nörgelte, weil sie selbst gemacht waren, mit Kräutern und Gemüse aus dem Garten, aß sie aber trotzdem. »Nächstes Mal«, sagte er, »essen wir sie mit Hackfleischsauce wie normale Leute.«

»Das hier ist besser als alles, was du im Laden kaufen kannst«, erklärte ihm sein Vater.

»Und gesünder«, ergänzte seine Mutter.

Billy verzog das Gesicht, während er die Nudeln herunterschluckte.

Nach dem Abendessen versuchte Doug noch einmal, Howard anzurufen, doch als er den Hörer abnahm, war die Leitung tot, kein Klicken, kein Freizeichen. »Irgendwas stimmt mit dem Telefon nicht«, sagte er. »Hat einer von euch vor kurzem telefoniert?«

»Seitdem du versucht hast, Howard anzurufen, hat niemand den Apparat angefasst«, sagte Trish und räumte weiter den Tisch ab.

»Ich versuche es vom Telefon im Schlafzimmer aus«, sagte Doug und verschwand durch die Tür. Er nahm den Hörer ab, aber auch dieser Apparat war tot. Er schlug mit dem Hörer einmal fest gegen den Nachttisch, hielt ihn ans Ohr und lauschte. Nichts. »Verdammt«, murmelte er und knallte den Hörer auf die Gabel. Er würde morgen sowohl dem Postamt als auch der Telefongesellschaft einen Besuch abstatten müssen.

Doug starrte auf den weißen Apparat aus Kunststoff. Er hasste es, dass er zur Telefongesellschaft musste. Jedes Mal, wenn er in ihr Büro ging, sah er dort vier oder fünf Mitarbeiter herumsitzen, aber wann immer er darum bat, jemanden vorbeizuschicken, dauerte es wenigstens drei Tage, bis jemand erschien, egal, wie dringend es war.

»Nichts?«, fragte Trish, als Doug wieder in den Flur kam.

Er schüttelte den Kopf. »Es ist tot.«

»Tja, bis morgen können wir nichts machen.« Sie hatte das Geschirr ins Spülbecken gestellt. »Willst du spülen oder abtrocknen?«

»Abtrocknen«, antwortete er müde.

Sie gab ihm ein Geschirrtuch.

Im Fernsehen gab es nichts Vernünftiges, sodass sie beschlossen, ein Video einzulegen, nachdem sie gespült hatten. »Etwas, auf das wir alle uns einigen können«, sagte Trish.

Billy schlurfte die Treppe hinauf. »Ich guck mir das normale Programm an.«

»He! Ich sagte doch, wir schauen uns etwas an, auf das wir alle uns einigen können«, rief Trish ihm hinterher.

»Fernsehshows sind besser als Filme«, rief Billy zurück.

Sie blickte Doug an. »Fernsehshows sind besser als Filme? Hast du das gehört? Irgendwas ist bei dem Jungen völlig schiefgelaufen.«

Doug kicherte. »Okay, was soll es denn sein? Deep Throat? Oder Göttinnen der Liebe?«

Sie stieß ihn an. »Sei still. Billy kann dich hören.«

»Ja, kann ich«, rief Billy von oben.

»Siehst du?« Sie nahm die Liste ihrer Videos vom Tisch und ging sie durch. »Lass uns den Stadtneurotiker anschauen«, sagte sie schließlich. »Den hab ich schon ziemlich lange nicht mehr gesehen.«

»Okay.« Doug stand auf, ging zum Bücherschrank und neigte den Kopf, damit er die Titel auf den Videohüllen lesen konnte. Der Stadtneurotiker war auf demselben Band wie Das Geisterschloss und Landhaus der toten Seelen, wie in einem Sandwich eingeklemmt zwischen den beiden Horrorstreifen. Doug musste den Schnellvorlauf betätigen, um den Anfang des Films zu erreichen.

»Letzte Chance«, rief er nach oben, als der Vorspann anlief.

Billy machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten.

Doug war froh, dass sie sich für eine Komödie entschieden hatten. Es half ihm, seine Gedanken von allem anderen abzulenken, das vor sich ging.

Woody betrat gerade Christopher Walkens Zimmer, um über Nachtfahrten zu reden, als plötzlich die Lichter im Haus erloschen und der Fernseher ausging, vor statischer Elektrizität knisternd. Der Videorecorder summte, als er langsam zum Stehen kam.

»Stromausfall«, stellte Trish fest. Sie stand auf und tastete sich in die Küche, wo sie eine Taschenlampe aus der Schublade mit dem Krimskrams holte. Außerdem nahm sie Streichhölzer und zwei Kerzen heraus. »Kommst du runter?«, rief sie zu Billy hinauf.

»Nee. Ich geh ins Bett.«

»Um halb neun?«

»Ich weiß nichts Besseres.«

»Du könntest runterkommen und mit uns bei Kerzenlicht lesen«, schlug Doug spöttisch vor.

Billy imitierte spöttisch ein lautes Schnarchen.

Trish zündete die Kerzen an und steckte sie in Kerzenhalter, während Doug sich zum Fenster bewegte. »Irgendwie unheimlich, ein Stromausfall ohne Gewitter«, sagte er und schob die Vorhänge zur Seite. Er spähte nach draußen in Richtung der anderen Häuser an der Straße und glaubte, gelbes Licht durch die Äste der Bäume sickern zu sehen. »Merkwürdig«, murmelte er.

»Was?«

»Ich glaube, die Nelsons haben noch Strom.«

»Ich könnte sie anrufen ...«

»Kein Telefon«, erinnerte er sie.

Trish lachte. »Das ist eine Verschwörung.«

»Es ist ein Abenteuer. Wir sind von der Welt abgeschnitten, ganz allein. Irgendwie aufregend, findest du nicht?«

»Und romantisch.« Sie trat neben ihn und stellte eine Kerze auf die Fensterbank.

»Ich bin noch wach!«, rief Billy. »Tut lieber nichts, das euch später peinlich ist.«

Beide mussten lachen, und Doug spürte, wie Trishs Arm sich um seine Taille legte. Sie zog ihn an sich und gab ihm einen leichten Kuss, der nur knapp seine Lippen verfehlte. »Wir warten, bis er schläft«, versprach sie flüsternd.


Trish wachte mitten in der Nacht auf, weil sie ins Badezimmer musste. Doug schlief neben ihr, regelmäßig atmend, leise schnarchend, und sie schob vorsichtig die Bettdecke von ihrem Körper, um kein Geräusch zu machen, schwang die Beine über die Bettkante und warf dabei einen Blick auf die Uhr auf dem Toilettentisch. Viertel nach drei. Nachdem sie sich geliebt hatten, hatte sie Slip und Nachthemd angezogen; nun schlüpfte sie trotzdem noch in einen Morgenmantel, ehe sie über den Flur ins Bad ging. Trish hatte sich noch nie wohl gefühlt, wenn sie unbekleidet im Haus herumging. Der Vollmond schien wie eine Straßenlaterne durch das Milchglasfenster oberhalb der Badewanne und beleuchtete einen Teil des kleinen Raumes. Als Trish fertig war, zog sie den Slip hoch, spülte ab und ging in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.

Die Nacht war still, aber nicht so still, wie sie hätte sein sollen. Unter der melodisch zirpenden Musik der Grillen und dem gelegentlichen Schrei eines Nachtvogels lag noch ein anderes, weniger natürliches Geräusch: ein tiefes, gleichmäßiges Grummeln, das immer näher kam.

Ein Automotor.

Trish ging ins Wohnzimmer hinüber und beugte sich vor, um durch einen Spalt in den geschlossenen Vorhängen zu spähen. Wer sollte um diese Zeit hier herumkurven? Sicher nicht die Nelsons oder die Tuckers oder sonst jemand, der in der Umgebung wohnte. Trish zog den Vorhang ein Stück weiter auf.

Ihr stockte der Atem. Ganz leise konnte sie die Klänge eines Rock 'n' Roll-Songs aus dem Stereogerät des Wagens hören. Während sie weiter beobachtete, streckte sich eine schmale, blasse Hand aus dem Fenster der Fahrertür und öffnete die Klappe des Briefkastens, während die andere Hand mehrere Umschläge darin deponierte. Das Gesicht des Postboten erschien weiß vor dem schwarzen Hintergrund am Wagenfenster. Er blickte in Trishs Richtung und schien genau zu wissen, wo sie war, obwohl er den dünnen Spalt zwischen den Vorhängen bei dieser Dunkelheit unmöglich gesehen haben konnte. Er lächelte - ein wissendes, gerissenes, hässliches Lächeln, das Dinge versprach, an die Trish nicht einmal denken wollte, Dinge, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen.

Sie wollte wegschauen, wollte sich aus dem Blick des Mannes zurückziehen, doch sie hatte Angst, dass er sehen würde, wie die Vorhänge sich bewegten, und so blieb sie völlig regungslos stehen. Obwohl sich nur ein Auge und ein Teil ihrer rechten Wange in der Nähe des Schlitzes im Vorhang befanden, war ihr überdeutlich bewusst, dass sie fast nackt war, dass ihr Nachthemd über ihren Slip gerutscht war, während sie sich vorgebeugt hatte. Sie war verlegen und fühlte sich gedemütigt, als wäre sie beim Masturbieren überrascht worden.

Der Postbote winkte ihr kurz zu und grinste sie breit an; dann fuhr er in die Dunkelheit davon, und das Geräusch des Motors wurde leiser.

Erst jetzt wurde Trish bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte, und sie schloss die Augen, atmete tief durch und versuchte sich zu entspannten, während der Wagen sich auf der unbefestigten Straße entfernte.

Sie ließ den Vorhang fallen, stand einen Augenblick da und hielt sich am Tisch fest, ehe sie sich schließlich ins Schlafzimmer zurückzog, ins Bett stieg und sich in die Sicherheit der Bettdecke kuschelte. Dougs Körper neben ihr fühlte sich warm und stark an und versprach Geborgenheit.

Die Nacht war jetzt vollkommen still; selbst die Grillen machten kein Geräusch, und es kam Trish vor, als ob sie eine Ewigkeit wach läge, bevor sie endlich einschlief.

Sie träumte vom Postboten.

Er trug die Post aus, doch statt bei ihrem Briefkasten zu halten, fuhr er in die Auffahrt und parkte direkt neben dem Haus. Durch das Fenster sah sie, wie er aus dem Wagen stieg. Er lächelte. Sie rannte durchs Haus, ins Schlafzimmer, ins Bad, ins Loft und suchte nach Doug oder Billy, doch sie war ganz allein. Das Haus war leer. Sie versuchte, durch die Hintertür zu entkommen, aber die ließ sich nicht öffnen. Hinter sich hörte sie die Schritte des Postboten, die das Wohnzimmer und dann die Küche durchquerten. Trish stürmte ins Schlafzimmer und wollte die Tür verschließen und verbarrikadieren, entdeckte aber, dass da keine Tür war.

Breit grinsend betrat der Postbote den Raum.

Er trug keine Hose.

Und dann war er auf ihr und in ihr; sein unnatürlich langer Penis war heiß, und sie spürte die brennenden Schmerzen, als er in ihr pumpte. Sie schrie auf, doch mit einem scheußlichen Gefühl des Widerwillens wurde ihr bewusst, dass dieser schreckliche, brennende Schmerz auch mit Lust vermischt war und dass ein Teil ihres Körpers dies alles genoss ...

Schweißgebadet wachte sie auf. Ihr Haar und das Kissen waren feucht. Sie kuschelte sich an Doug, um die Angst wegzuschieben. Draußen, weit entfernt, glaubte sie das sonore, gleichmäßige Geräusch eines Autormotors zu hören, der sich in den Wald zurückzog. Der Wagen des Postboten.

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