Die kleine Fahrzeugkolonne aus Sportwagen, Limousine, Schulbus und Lieferwagen hielt auf dem höchsten Punkt des letzten Hügels an, bevor die Straße ins Tal hinabfiel. Doc, Rama Joan, Hunter, Margo, der kleine Mann und die anderen standen um den Thunderbird herum und starrten ungläubig auf die Autobahn hinab, die sich durch das Tal zog. Dort unten standen in beiden Richtungen Stoßstange an Stoßstange unzählige Autos in einer einzigen riesigen Schlange, die bis zum Horizont reichte. Doc hatte einen Feldstecher vor den Augen und schilderte, was er beobachtete — Hunderte von Jugendlichen, die von Wagen zu Wagen zogen, grölend Schnapsflaschen schwenkten und jeden bedrohten, der sie aufzuhalten versuchte; ein halbes Dutzend Streifenwagen der Polizei, die am Straßenrand zu einem Halbkreis aufgefahren waren; Auseinandersetzungen zwischen Halbstarken auf der einen und Polizisten und Familienvätern auf der anderen Seite; sinnlose Zerstörungen, fröhlich tanzende Jugendliche, die eine Jazzband zusammengestellt hatten, eine Gruppe, die sich an die Streifenwagen anschlich ...
»Aber bevor dort unten der große Kampf beginnt, sind wir bereits nach Mulholland unterwegs«, schloß Doc seinen Bericht. Er gab Rama Joan das Fernglas zurück und drehte sich um. »Doddsy! McHeath! Pop und Hixon sollen ihre Fahrzeuge wenden — hier ist Platz genug — und ...«
»Soll das heißen, daß wir weglaufen?« erkundigte Hixon sich. »Wir können doch nicht stillschweigend zusehen, wie dort unten harmlose Leute terrorisiert werden! Mit der Schwerkraftpistole ...«
»Nein!« antwortete Doc fest. »Wir müssen vor allem dafür sorgen, daß die Pistole in die Hände qualifizierter Wissenschaftler kommt — solange sie noch Ladung enthält. Wieviel ist noch drin, Margo?«
»Ungefähr ein Drittel«, erklärte sie.
»Sehen Sie?« fuhr Doc zu Hixon gewendet fort. »Das sind bestenfalls vier oder fünf Schüsse, mit denen wir gegen die Verrückten dort unten bestimmt nichts ausrichten. Wir dürfen uns nicht einmischen — das wäre nur ein Eimer Wasser auf ein brennendes Haus. Nein, wir fahren zurück! Hixon, Sie ...«
»Augenblick, Doc!« warf Margo ein. »Das dort drüben ist Vandenberg drei.« Sie zeigte mit der Pistole auf eine Gruppe von Gebäuden jenseits der Autobahn. »Vielleicht hält Morton Opperly sich noch dort auf. Das müssen wir nachprüfen.«
»Ausgeschlossen!« protestierte Doc. »Opperly ist bestimmt schon längst evakuiert worden. Nein!«
»Aber wir wissen es nicht sicher«, antwortete Margo ebenso fest. Sie zeigte auf die Pistole. »Ich habe mir vorgenommen, sie Opperly zu zeigen — und wenn es sein muß, gehe ich zu Fuß hinunter.«
»Bravo!« rief Hixon.
»Gut, Miß Eisenherz, dann hören Sie mir zu«, sagte Doc. »Wenn Sie sich mit der Pistole dort hinunter wagen und dabei einen ... äh ... Unfall haben, bekommt Opperly die Pistole nie, weil sie dann in die Hände der Verrückten fällt. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag, Miß Gelhorn. Fahren Sie ohne die Pistole hinunter — ich gebe Ihnen meinen Revolver — und stellen Sie fest, ob Morton Opperly wirklich dort ist. Was halten Sie davon?«
Margo sah zu Hunter hinüber. »Fahren Sie mich?« Er nickte und ging auf die Limousine zu. Margo streckte Doc die Pistole entgegen. »Gut, ich tausche«, sagte sie dabei.
»Ich komme mit«, warf Hixon ein.
»Einverstanden?« fragte Doc Margo. Als sie nickte meinte er: »Okay, aber mehr können wir nicht entbehren. Keine Freiwilligen mehr!« rief er McHeath zu, der eifrig herangekommen war.
Hunter, Margo und Hixon kletterten in ihren Wagen Doc gab ihnen noch einige Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg, dann schoß die Limousine davon und verschwand um die erste Kurve.
Barbara Katz saß auf dem obersten Ast des riesigen Magnolienbaumes, ließ sich die Sonne auf den Rücken scheinen und starrte nach Osten, wo der Atlantik bald wieder aus Richtung Daytona Beach den nördlichsten Teil Floridas überfluten würde. Von Zeit zu Zeit warf sie auch einen kurzen Blick auf das alte Kalenderblatt, auf dem die Gezeitenabstände angegeben waren, obwohl sie wußte, daß sie kaum noch zutreffen würden. Aber die Flut hatte morgens um drei ihren höchsten Stand erreicht, so daß zu erwarten war, daß sie heute nachmittag wieder das Land überfluten würde. Die ersten Anzeichen dafür waren bereits sichtbar.
Unter Barbara war der alte KKK an seinem Platz festgebunden. Hester saß neben ihm und stützte seinen Kopf. Dicht dahinter hockten Benjy und Helen auf einem dicken Ast. Benjy hatte sich das Seil um die Schultern geschlungen, mit dem er den Alten nach oben gezogen hatte.
Dicht unter dem Baum, der auf einer leichten Anhöhe stand, war der schmutzverkrustete Rolls-Royce geparkt. Barbara sah zu ihm hinab und beobachtete gespannt, wie das Wasser immer höher stieg, bis es auch das Dach des Wagens bedeckte. Dann zuckte sie mit den Schultern und wandte sich ab.
»Ich weiß nicht recht, Miß Barbara«, sagte Benjy, der sie dabei beobachtet hatte. »Batterie, Verteiler und ein paar andere Teile sind ausgebaut. Den Rest habe ich gut eingefettet — vielleicht hilft das. Der Benzintank ist wasserdicht verschlossen, die Auspuffrohre ebenfalls. Wenn das Wasser wieder sinkt, fährt der Rolls vielleicht wieder, obwohl ich selbst überrascht wäre.«
Der Baum zitterte unter dem Ansturm der Wassermassen. Helen stieß einen erschrockenen Seufzer aus. Hester klammerte sich an ihr fest. Benjy lachte nur. Er sagte zu Barbara: »Aber ich hoffe noch immer — ein bißchen.«