Die ungeheuren Fluten wirkten sich überall anders aus und brachten gelegentlich sogar merkwürdige Begleiterscheinungen mit sich, während die Wassermassen, die der neue Planet angezogen hatte, um den Erdball wanderten.
In Meeresstraßen wie bei Dover, Florida, Malakka und Juan de Fuca wurde die Strömung so gewaltig, daß selbst größere Schiffe nicht mehr dagegen ankamen. Kleine Schiffe und Fischerboote gingen spurlos unter und verschwanden wie Holzstücke in den Wirbeln eines Gebirgsbaches.
Weitgespannte Brücken, die ihrer Konstruktion nach nur dem Wind Widerstand leisten sollten, mußten plötzlich beweisen, daß sie auch dem Ansturm des Wassers gewachsen waren. Sie bildeten Hindernisse für Wasserfahrzeuge aller Art, die an ihnen strandeten und zerschellten.
Vor Anker liegende Schiffe rissen sich von den Hafendocks los und trieben aufs Meer hinaus oder wurden von der Strömung durch die Straßen der Hafenstädte getragen, bis sie zwischen Wolkenkratzern hängenblieben.
Leuchtschiffe sprengten ihre schweren Ankerketten oder wurden von ihnen in die Tiefe gezogen. Leuchttürme verschwanden unter Wasser. Der Scheinwerfer von Eddystone leuchtete noch stundenlang in der Tiefe weiter, nachdem der Turm überspült worden war.
Das Eis an den Küsten Sibiriens und Alaskas wurde nach oben gedrückt und zum Schmelzen gebracht. In Amerika und der Sowjetunion standen Tausende von Atomraketen in ihren Silos unter Wasser. Hochspannungsleitungen wurden kurzgeschlossen und tauchten sechs Stunden später mit Trümmern aller Art beladen wieder aus dem Wasser auf.
Die sonst so unbedeutenden Gezeiten des Mittelmeers veränderten sich so sehr, daß die Flut ausreichte, um in den angrenzenden Ländern Verwüstungen anzurichten, die bisher nur aus tiefliegenden Hafenstädten bekannt waren, wenn ein Hurrikan mit der Flut zusammentraf.
Überall auf der Welt kam es zu ähnlichen Veränderungen wie an der Mündung des Mississippis, dessen Süßwasser plötzlich nur noch eine dünne Schicht auf den salzigen Fluten bildete, die landeinwärts strömten, bis sie die Straßen von New Orleans knietief bedeckten.
Die Einwohner der großen Hafenstädte fanden eine Zuflucht auf landeinwärts gelegenen Hügeln oder — allerdings weniger sicher — in den oberen Stockwerken der größten Gebäude, wo es in zahlreichen Fällen zu blutigen Kämpfen um den beschränkten Lebensraum kam. Rasch eingerichtete Luftbrücken retteten Hunderte von Menschen vor dem nassen Tod aber selbst diese gutgemeinten Anstrengungen konnten unmöglich allen Hilfe bringen, die in Lebensgefahr schwebten. Heroisch veranlagte oder sture und ungläubige Menschen blieben in vielen Fällen unbeirrt auf ihren Posten.
Von denen, die vor den Fluten die Flucht ergriffen hatten, gerieten viele in andere gefährliche Situationen, die sie die Bedrohung durch das Wasser vergessen ließen. Gegen Mittag — nach Pazifischer Standardzeit — fuhren der gelbe Schulbus und der Lieferwagen mit Docs kleiner Gruppe mit dem Feuer um die Wette. Weit vor ihnen leckten die Flammen bereits gierig an dem trockenen Unterholz des Hügelrückens, über den die Straße in den Santa-Monica-Bergen verläuft.
Barbara Katz beobachtete die niedrige Bugwelle vor dem linken Vorderrad der schweren Limousine. Die Wellenbewegung setzte sich in einem spitzen Winkel über die Straße fort und verlor sich dann in den niedrigen Büschen und dem hohen Gras am Straßenrand. Benjy fuhr absichtlich nicht schneller als fünfzig Stundenkilometer, nachdem er gemerkt hatte, daß der Wagen bei höheren Geschwindigkeiten sofort ins Schwimmen geriet. Als Kommandant des Fahrzeugs — jedenfalls hielt Barbara sich dafür — hätte sie eigentlich vorn neben dem Chauffeur sitzen müssen, aber Barbara hatte sich überlegt, daß es vermutlich wichtiger war die direkte Verbindung zu ihrem Millionär nicht abreißen zu lassen. Deshalb saß sie jetzt neben dem alten KKK hinter Benjy auf dem Rücksitz, auf dem auch Hester Platz gefunden hatte, so daß Helen vorn mit dem Chauffeur und einem Stapel Koffer sitzen mußte.
Die Sonne strahlte hoch aus dem Himmel durch die Windschutzscheibe der Limousine, als sie in westlicher Richtung durch die Everglades von Florida fuhr. Die Fenster an Barbaras Seite waren fest geschlossen, so daß sie unter der Hitze litt. Sie wußte daß der Okeechobee-See irgendwo rechts und nördlich dieser Straße liegen mußte, aber von hier aus war nur eine weite Moorlandschaft zu sehen, in der gelegentlich einige düstere Zypressen aufragten, die Barbara an Friedhöfe erinnerten. Die Straße war auf weite Entfernungen hin überschwemmt, aber das Wasser stand nirgends höher als zwei oder drei Zentimeter — bis jetzt.
»Die hohe Flut, die Sie vorausgesagt haben, ist wirklich gekommen, Miß Katz«, stellte Benjy grinsend fest. »Ich habe noch nie von einer gehört, die das Land bis hierher überschwemmt hätte.«
»Leise, Benjy«, mahnte Hester. »Mister K. schläft noch.«
Barbara wünschte sich, sie wäre so überzeugt von ihrer eigenen Weisheit, wie Benjy es zu sein schien. Sie warf einen Blick auf ihre alte Armbanduhr — sie zeigte vierzehn Uhr zehn — und einen zweiten auf die Rückseite des Kalenderblattes, auf dem zu lesen stand, daß die Flut um dreizehn Uhr fünfundvierzig ihren Höhepunkt erreicht haben sollte. Aber wurde dieser höchste Stand landeinwärts nicht erst später erreicht? So war es doch jedenfalls bei Flüssen, glaubte Barbara sich zu erinnern. Sie mußte zugeben, daß sie nicht genug über dieses Thema wußte.
Ein offener Wagen raste mit erheblich höherer Geschwindigkeit an ihnen vorüber und überschüttete den Rolls-Royce mit einem Wasserschauer. Er entfernte sich rasch und zog eine lange Wasserfahne hinter sich her. Das Kabriolett war mit vier Männern besetzt gewesen.
»Schon wieder einer dieser verrückten Fahrer«, murmelte Hester.
»Wenn er so weiterfährt, landet er noch im Straßengraben«, stellte Benjy fest.
Dieser Zwischenfall hatte den alten KKK aufgeweckt, der jetzt Barbara zum erstenmal an diesem Tag hellwach ansah. Er hatte die Vorbereitungen zur Abfahrt in einer Art Trancezustand über sich ergehen lassen, der Barbara, aber nicht Hester beunruhigt hatte. »Er hat nur nicht genügend Schlaf gehabt«, hatte Hester ihr erklärt. »Wenn er erst einmal ausgeschlafen hat, geht es ihm wieder besser.«
Jetzt sagte er energisch: »Rufen Sie den Flugplatz an, Miß Katz. Lassen Sie zwei Plätze nach Denver in der nächsten Maschine buchen. Sagen Sie dem Mann am Schalter, daß ich ihm, dem Piloten und der Gesellschaft eine hohe Belohnung verspreche. Denver liegt fünfzehnhundert Meter hoch und ist für die Flut unerreichbar. Ich habe dort gute Freunde.«
Barbara warf ihm einen ängstlichen Blick zu und wies dann schweigend aus dem Fenster.
»Ja, jetzt erinnere ich mich wieder«, sagte KKK langsam. »Aber warum sind Sie nicht selbst auf die Idee mit dem Flugzeug gekommen, Miß Katz?« klagte er dann und sah auf ihre schwarze Tasche, die ein Reklamegeschenk einer Fluggesellschaft war.
»Ich habe die Tasche von einer Freundin bekommen. Ich bin per Anhalter von New York nach Florida gefahren. Ich fliege nicht oft«, gab Barbara bedrückt zu. Sie hätte sich in diesem Augenblick am liebsten selbst geohrfeigt. Sie hatte ihren Millionär auf so brillante Weise retten wollen — und hatte sich von einem Rolls-Royce so blenden lassen, daß sie die einzig richtige Methode übersehen hatte. Vielleicht war sie jetzt daran schuld, daß sie alle elend umkamen. Großer Gott, weshalb hatte sie nicht wie ein Millionär gedacht!
Während sie diesen trübseligen Gedanken nachhing, fragte sie sich gleichzeitig, ob der alte KKK sich nicht geirrt hatte, als er von nur zwei Tickets sprach. Er mußte doch fünf gemeint haben — schließlich sprach er mit Hester und Helen und Benjy, als seien sie seine Kinder.
»Haben wir wenigstens genügend Bargeld mitgenommen?« erkundigte er sich jetzt.
»Selbstverständlich Mister Kettering, wir haben die Wandsafes ausgeräumt«, versicherte Barbara ihm. Sie legte die Hand auf ihre Tasche und genoß das beruhigende Gefühl, das ihr die dicken Bündel Geldscheine vermittelten.
Der Rolls-Royce fuhr langsamer. Der letzte Wagen, der sie überholt hatte, stand schräg im Straßengraben, so daß seine Motorhaube kaum noch aus dem Wasser ragte. Die vier Männer, die in dem Wagen gesessen hatten, blockierten jetzt die Straße und winkten aufgeregt.
Dieser Anblick machte Barbara nervös. »Nicht langsamer werden!« rief sie Benjy zu und klammerte sich an der Rückenlehne seines Sitzes fest. »Fahren Sie geradeaus weiter!«
Benjy fuhr noch langsamer.
»Tun Sie, was Miß Katz Ihnen gesagt hat, Benjamin«, befahl der alte KKK. »Schneller!« fügte er noch hinzu und bekam einen Hustenanfall.
Barbara sah, daß Benjy den Kopf zwischen die Schultern einzog, und stellte sich vor, wie er die Augen zusammenkniff, während er auf das Gaspedal trat.
Die vier Männer warteten, bis die Limousine kaum noch fünf Meter von ihnen entfernt war. Erst dann sprangen sie fluchend und schreiend zur Seite. Ihr Bluff war von Anfang an nicht sehr überzeugend gewesen.
Barbara warf einen Blick aus dem Rückfenster und sah, daß einer der Männer eine Pistole gezogen hatte. Aber die anderen warfen sich auf ihn, so daß er nicht zum Schuß kam.
Vielleicht hätten wir doch anhalten sollen, überlegte Barbara.