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Doc übernahm die Leitung der Aufbruchsvorbereitungen, als der Himmel im Osten eben erst zitronengelb geworden war. Er äußerte sich allerdings dabei nicht über das Ziel der geplanten Fahrt und weigerte sich auch, endlich zu erklären, wie er den Felsen beseitigen wollte, der die Straße blockierte. Statt dessen reduzierte er die von Ida und McHeath vorbereiteten Frühstücksportionen um ein Drittel, gab Ray Hanks zwei Penicillintabletten und beantwortete Hixons Vorschlag, das Lager beizubehalten und nur kleinere Trupps zur Proviantsuche auszuschicken, mit einem Kopfschütteln.

Die beiden Limousinen wurden durchsucht. Im Handschuhfach der ersten lag ein geladener Revolver, auf dem Rücksitz ein schwarzer Hut. Doc beschlagnahmte beide Gegenstände für sich, steckte die Waffe ein und setzte den Hut sofort auf. »Paßt ausgezeichnet«, stellte er grinsend fest.

»Nehmen Sie ihn wieder ab, Doc. Das bringt Unglück«, protestierte Wojtowicz.

»Ein Sonnenbrand ist schlimmer«, antwortete Doc ungerührt. Er behielt den Hut auf dem Kopf.

Der Motor des ersten Wagens sprang sofort an, als Doc den Zündschlüssel umdrehte, aber die Batterie des zweiten schien erschöpft zu sein. Doc ließ nicht zu, daß Wojtowicz sich unter der Haube zu schaffen machte, sondern füllte das vorhandene Benzin und Öl in zwei Kanister ab und schob den Wagen dann über den Rand der Straße. Sekunden später zeigte ein Krachen an, daß der Wagen in der Schlucht zerschellt war.

Unmittelbar nach dem Frühstück versammelte Doc Hunter, Rama Joan, Margo und Clarence Dodd um sich und verschwand mit ihnen hinter dem Bus.

»Was machen wir jetzt?« fragte er. »Fahren wir in der bisherigen Richtung weiter — oder versuchen wir es mit Cornell und Malibu Heights? Wir müssen in Bewegung bleiben, sonst kommen die Leute auf dumme Gedanken.«

»Wie schaffen wir den Felsen weg, wenn wir weiterfahren wollen?« erkundigte der kleine Mann sich.

»Lassen wir das vorläufig, Doddsy«, meinte Doc wegwerfend. »Zuerst müssen wir wissen, was wir wollen.«

»Ein paar von uns könnten die Limousine nehmen und eine Erkundungsfahrt machen«, schlug Hunter vor.

Doc schüttelte den Kopf. »Kommt nicht in Frage. Unsere Gruppe ist so klein, daß wir uns nicht zersplittern dürfen.«

»Ich habe Freunde in Malibu«, begann Rama Joan zögernd.

»Und ich habe welche in Cape Cod«, antwortete Doc grinsend. »Wahrscheinlich schwimmen sie inzwischen schon in Richtung Plymouth Rock.«

»Aber ich wollte sagen«, fuhr Rama Joan lächelnd fort, »daß ich für das Tal stimme.«

»Weiß jemand, wie hoch das Tal liegt?« fragte der kleine Mann. »Vielleicht ist es ebenfalls überflutet.«

»Das merken wir früh genug«, meinte Doc.

»Wir müssen weiter«, warf Margo ein. »Vandenberg drei liegt am Ende dieser Straße. Und wir haben uns darauf geeinigt, daß Morton Opperly die Trägheitspistole untersuchen soll.«

Doc sah sich fragend um. »Gut, wir fahren in Richtung Tal«, stellte er dann fest. Er wandte sich an Margo. »Ich finde allerdings, daß ›Impulspistole‹ ein besserer Name dafür ist.«

»Aber der Felsen ...«, begann der kleine Mann.

Doc machte eine wegwerfende Handbewegung. »Keine Schwierigkeit«, meinte er. »Kommen Sie, ich möchte Ihnen zeigen, was ich meine.« Er ging auf den Felsen zu.

Die restlichen Mitglieder der Gruppe versammelten sich neugierig, als Doc auf den Felsvorsprung über der Straße kletterte und Margo mit einer kurzen Geste zu sich heraufbat.

»Ich habe gesehen, daß der Felsen sich bewegte, als Sie auf den Mann mit dem Revolver schossen«, erklärte er ihr. »Versuchen Sie es mit einem längeren Feuerstoß — ich möchte wetten, daß er sich dann in Bewegung setzt. Alles zwanzig Meter weit zurück!«

Margo nahm die Pistole in die Hand, zielte auf den Felsen und drückte auf den Knopf. Zunächst war nichts zu sehen, aber dann kam der Felsen in Bewegung. Margo ließ sofort den Knopf los. Der Felsen überschlug sich, rollte in die Schlucht hinab und zerschellte dort.

Der kleine Mann holte sein Notizbuch aus der Tasche. »Das war wirklich unwahrscheinlich«, sagte er und schlug eine neue Seite auf.

»Ein gutes Drittel der Ladung ist noch übrig«, stellte Margo fest.

Doc untersuchte die Stelle, an der vorher der Felsen gelegen hatte. Die glatte Straßenoberfläche wies dort eine zwei Meter breite und etwa fünfzig Zentimeter tiefe Mulde auf, die sich über die Straße zog. Doc nickte plötzlich zufrieden.

»Ich weiß nicht recht«, meinte Hunter zweifelnd. »Ein kleiner Ausrutscher ...«

Aber Doc ging bereits auf den Thunderbird zu. Er setzte sich ans Steuer, hupte einmal, um den Weg frei zu machen, und fuhr dann zügig durch die schräge Mulde, ohne mehr als wenige Zentimeter zur Seite zu rutschen. Dann stieg er aus dem Wagen und rief: »Alles aussteigen — jetzt ist der Bus dran!«

Pop, der Busfahrer, kam heran, um Einwände zu erheben. »Die Hinterreifen sind völlig abgefahren«, protestierte er. »Wenn der Karren durch das Loch muß, rutscht er bestimmt zur Seite und ...«

Doc kümmerte sich gar nicht um ihn, sondern ging zurück, bestieg den Bus und fuhr ihn auf die andere Seite. Pop hatte recht gehabt — die Reifen rutschten tatsächlich ein gutes Stück.

Nachdem alle Fahrzeuge das Hindernis überwunden hatten bestimmte Doc die Reihenfolge, in der gefahren werden sollte. »Rama Joan, Ann und ich sitzen in dem Thunderbird, der die Spitze übernimmt. Dann kommt die Limousine, hinter ihr der Bus und schließlich der Lieferwagen. Alle mit zehn Meter Abstand! Sie fahren die Limousine, Ross. Margo, Sie behalten die Pistole und bleiben bei ihm. Sie sind unsere schwere Artillerie, falls wir in Schwierigkeiten kommen, aber warten Sie auf Befehle von mir. McHeath, Sie behalten Doddsys Gewehr und beobachten von dem Lieferwagen aus nach rückwärts.

Wenn ich dreimal hupe, heißt das langsamer! Viermal bedeutet halt! Und fünfmal heißt, daß irgend jemand von uns Schwierigkeiten hat. Verstanden? Okay, dann fahren wir!«


Paul Hagbolt betrachtete Nordeuropa aus tausend Kilometer Höhe. Die Sichtverhältnisse waren ausgezeichnet, aber über dem Atlantik kroch eine Regenfront auf Irland zu.

Unmittelbar unter ihm lag die Nordsee, die aus dieser Höhe täuschende Ähnlichkeit mit einer Seite aus einem Atlas hatte. Das Wasser war bleifarben und glitzerte nur in der Straße von Dover, denn dort schien jetzt die Sonne.

Die Britischen Inseln, die südliche Hälfte von Skandinavien, Norddeutschland und die Niederlande bildeten drei weitere Atlasseiten, die vor Paul ausgebreitet lagen. Zunächst hatte er die Szene vor seinen Augen gespannt beobachtet, aber allmählich war der Reiz des Neuen verflogen. Jetzt empfand Paul nur noch Mitleid, wenn er an die Bevölkerung der weiten Landstriche dachte, die von der Nordsee überflutet worden waren. Er sah zu Tigerishka hinüber, aber sie kümmerte sich nicht um ihn, sondern setzte ihre Beobachtungen fort.

Vor zwei Stunden hatte sie ihn von der Fessel an seinem Fuß befreit und ihm erklärt, wie er sich im schwerelosen Zustand zu bewegen hätte. Dann hatte sie ihre Tätigkeit wiederaufgenommen, ohne sich weiter mit Paul zu befassen, der die Mahlzeit einnahm, die sie ihm vorgesetzt hatte — ein Dutzend Proteinpillen und ein Glas Wasser. Die Pillen lagen ihm noch immer schwer im Magen.

»Machst du dir Sorgen wegen der Erde?« fragte Tigerishka plötzlich. »Ich habe dir doch geschildert, was wir alles unternehmen, um eure geliebten Städte zu retten.«

»Retten?« wiederholte Paul ungläubig. »Ja, aber erst, nachdem Millionen von Menschen umgekommen sind — und ich weiß nicht einmal, ob die Rettung nicht schlimmer als die Katastrophe ist! Tigerishka, wie habt ihr es nur über euch gebracht, unsere Welt zu zerstören, nur um schneller zu Treibstoff zu kommen? Wovor habt ihr so schreckliche Angst, daß euch unser Schicksal völlig gleichgültig ist?«

»Davon will ich nichts mehr hören, Paul!« fauchte Tigerishka. »Ich habe dich schon einmal gewarnt!«

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