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Paul Hagbolt mußte zugeben, daß der lange Marsch durch den Sand ermüdend war, obwohl er ihn in Gesellschaft neuer Freunde im Licht eines neuen Planeten unternahm. Die zuversichtliche Stimmung, aus der heraus er Major Humphreys' Vorschlag abgelehnt hatte, war rasch wieder verflogen. Jetzt fühlte er sich statt dessen müde und niedergeschlagen.

»Ein komisches Gefühl, nicht wahr?« fragte Rama Joan. »Sie haben sich von Ihren Beschützern losgesagt und Ihr Schicksal und das Ihres Mädchens mit dem eines Haufens Verrückter verknüpft — und das alles, um beim Begräbnis eines Hundes dabei sein zu können.«

Paul grinste unwillkürlich. »Sie irren sich«, antwortete er. »Margo ist nicht wirklich mein Mädchen. Wir sind nur gute Freunde.«

Rama Joan warf einen kurzen Blick auf die Tragbahre die Clarence Dodd und Wojtowicz trugen. »So?« meinte sie dann. »Man kann sein Leben aber auch mit einer Freundschaft vergeuden, Paul.«

Paul nickte unglücklich. »Das behauptet Margo auch«, gab er zu. »Sie meint, daß ich nur deshalb zufrieden bin, weil ich den edlen Ritter spielen kann, der auf sie aufpaßt, bis Don wieder zurück ist.«

»Vielleicht«, antwortete Rama Joan. Sie zuckte mit den Schultern. »Aber das Verhältnis zwischen Don, Margo und Ihnen ist nicht ganz natürlich.«

»In gewisser Beziehung ist es das doch«, versicherte Paul. »Wir kennen uns schon seit der Volksschule und sind immer unzertrennliche Freunde gewesen. Später stellte Margo fest, daß ihr Don lieber war als ich, deshalb verlobte sie sich mit ihm, bevor er zum Mond flog. Damit war vorläufig alles entschieden — aber vielleicht nur deshalb, weil unsere Gesellschaft nichts von Dreiecksverhältnissen hält.«

»Ich kann Ihnen sagen, weshalb ich hier bin«, fuhr die Rotblonde fort, als Paul schwieg. »Normalerweise würde ich in Manhattan als Frau eines erfolgreichen Werbemannes leben. Ann könnte auf eine vornehme Schule gehen, während ich selbst in der Frauenvereinigung eine gewisse Rolle spielen würde. Statt dessen bin ich geschieden, lebe recht und schlecht von Vorträgen und garniere den Mystizismus mit Karnevalskostümen.« Sie lachte spöttisch und zeigte auf ihren Abendanzug. »›Maskuliner Protest‹, behaupten meine Freunde. ›Nein, nur menschlicher Protest‹, antworte ich ihnen. Ich möchte alles sagen können, was ich denke, und ich möchte, daß Ann eine wirkliche Mutter hat — nicht nur eine elegant angezogene statistische Zahl.«

»Glauben Sie wirklich an das, was Sie sagen?« fragte Paul. »Buddhismus und so weiter?«

»Ich möchte gern mehr daran glauben und gebe mir große Mühe, es aufrichtig zu tun«, antwortete Rama Joan. »Vielleicht habe ich in dieser Beziehung gewisse Ähnlichkeit mit Charlie Fulby, dessen Planeten auch nur in seiner Phantasie und Intuition existieren.«

»Der Kerl ist paranoid«, murmelte Paul und sah nach vorn, wo der Ladestock zwischen Wanda und der hageren Frau marschierte. »Sind die beiden Frauen seine Schülerinnen oder Anhängerinnen?« erkundigte er sich dann.

»Ich glaube auch, daß er etwas paranoid ist«, gab Rama Joan zu. »Aber Sie sind doch nicht etwa der Meinung, daß nur die geistig Gesunden die Wahrheit erkennen können? Nein, ich glaube, er ist mit ihnen verheiratet — er gehört einer Sekte an, die Vielweiberei gestattet. Oh, Paul, Sie finden uns alle ziemlich seltsam, nicht wahr?«

»Nicht wirklich«, protestierte er. »Andererseits ist es natürlich beruhigend, auf der Seite der Mehrheit zu stehen.«

»Und auf der Seite, die Geld und Einfluß hat«, stimmte Rama Joan zu. »Aber trösten Sie sich — die Mehrheit und die Verrückten verbringen die meiste Zeit mit der gleichen Beschäftigung: der Befriedigung wichtiger Bedürfnisse. Wir marschieren alle zu dem Haus am Strand zurück, weil wir hoffen, daß es dort Kaffee und Sandwiches gibt.«

An der Spitze des Zuges erklärte Hunter Margo fast den gleichen Tatbestand mit anderen Worten. »Ich habe mich den Untertassen-Beobachtern eigentlich nur angeschlossen, weil ich ein Buch über sie schreiben wollte«, gab er zu. »Aber nach einiger Zeit wurde mir klar, daß ich nur deshalb zu den Versammlungen verschiedener Gruppen ging, weil mich das Thema selbst interessierte.«

»Weshalb, Professor Hunter?« fragte Margo. Sie drückte Miau fester an sich, weil sie fror, seitdem sie ihre Jacke ausgezogen hatte.

»Nennen Sie mich doch einfach Ross. Mir fiel vor allem angenehm auf, daß diese Leute sich für ein Gebiet interessieren, das aller Voraussicht nach niemals einen Gewinn abwerfen wird. Und das ist in unserer Gesellschaft selten, in der die Profitgier eine so wichtige Rolle spielt. Im Laufe der Zeit gefiel mir die Idee immer besser, bis ich jetzt schon fast so fanatisch wie Doc bin, der seine Klaviere so rasch wie möglich verkauft, damit er genügend Freizeit für seine drei Lieblingsbeschäftigungen hat: Untertassen, Schach und hübsche Mädchen.«

»Aber Doc ist Junggeselle, während Sie Familie haben nicht wahr, Ross?« fragte Margo mit einem leicht spöttischen Lächeln.

»Richtig«, stimmte Hunter ohne große Begeisterung zu. »In Portland gibt es eine Mrs. Hunter und zwei Jungen, die der Meinung sind, daß Daddy sich zuviel mit diesen Verrückten herumtreibt, wenn man berücksichtigt, daß sein Buch noch immer nicht fertig ist und daß sein Ruf in akademischen Kreisen dadurch nicht gerade gefördert wird.«

In diesem Augenblick tauchte die grüne Laterne vor ihnen auf, die den Eingang des Hauses bezeichnete. Hunter seufzte unwillkürlich erleichtert, als er die Stühle, den langen Tisch, unter dem einige Kartons standen, und Docs zusammengerollten Schirm sah. Jetzt wußte er plötzlich, weshalb sie alle an diesen Ort zurückgekehrt waren — hier hatten sie gemeinsam die Veränderungen am Himmel beobachtet, und jeder von ihnen ahnte, daß dies der vorläufig letzte Zufluchtsort war.

Wanda, die hagere Frau und Harry gingen ohne Eile auf die Kartons unter dem Tisch zu.

Wojtowicz und der kleine Mann setzten die Tragbahre ab, auf der Ragnarok halb unter Margos Jacke verdeckt lag.

Wojtowicz sah sich um, zeigte auf den Schirm und sagte: »Das wäre eigentlich die beste Stelle — wenn Sie nichts dagegen haben«, fügte er noch hinzu und wandte sich dabei an Doc, der schweigend neben dem kleinen Mann marschiert war.

»Nein, selbstverständlich nicht«, antwortete Doc sofort.

Sie brachten die Tragbahre an die angegebene Stelle. Doc holte sich seinen Schirm wieder. Dann nahm Wojtowicz einen Spaten, der unter der Matratze gelegen hatte, und begann zu graben.

»Kein Wunder, daß mich dauernd etwas gedrückt hat!« rief die Dicke von der Plattform herunter.

Wojtowicz machte eine Pause und antwortete laut: »Seien Sie lieber froh, daß Sie nicht laufen mußten, weil wir dachten, Sie hätten einen Herzanfall!«

»Hören Sie, wenn ich einen Herzanfall habe, ist er wirklich schlimm, das können Sie mir glauben«, erwiderte Wanda aufgebracht. »Aber wenn mein Herzanfall vorbei ist, ist er eben vorbei.«

»Schon gut«, murmelte Wojtowicz vor sich hin. Er grub rasch weiter und richtete sich nach wenigen Minuten wieder auf.

»Tiefer darf ich nicht graben, sonst kommt Wasser«, sagte er zu Clarence Dodd.

Der kleine Mann, Doc und Wojtowicz standen vor der Tragbahre mit dem toten Ragnarok. Der kleine Mann hakte die Leine von dem breiten Halsband los und griff nach der Jacke die den Körper des Hundes fast verdeckte. Als Margo den Kopf schüttelte, ließ er sie wieder fallen und hob Ragnarok mit Hilfe der beiden anderen Männer in das Grab.



Wojtowicz schaufelte das Loch zu. Doc nahm dem kleinen Mann die Leine aus der Hand, wickelte sie fest um den Griff des Schirmes und verknotete sie dort. Nachdem Wojtowicz den Sand mit dem Spaten festgeklopft hatte und zurückgetreten war, steckte Doc den Schirm mitten in das Grab.

»Jetzt hat er sogar noch eine Art Grabstein, Doddsy«, sagte er und legte dem kleinen Mann tröstend den Arm um die Schultern.

Von der Plattform her rief die hagere Frau: »Alle herkommen! Der Kaffee ist noch ganz heiß!«

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