27

Margo und Hunter saßen in Decken gewickelt nebeneinander auf dem leicht nach außen ansteigenden Felsvorsprung, den McHeath und Doddsy mit einer alten Plane aus dem Lieferwagen gepolstert hatten. Am Himmel über ihnen glitzerten im Westen einzelne Sterne zwischen den Wolken, aber nach Osten hin erstreckte sich noch immer eine dunkle Wand, die keinen Lichtschein durchließ. Unter ihnen lag ein heller Strahl auf den beiden verschlossenen Limousinen und der Straße, die weiter nach Los Angeles führte. Nachdem Doddsy mehrere Batterien für seinen Handscheinwerfer hatte, war Doc auf den Gedanken gekommen, die Lampe auf den Felsen zu stellen, der die Straße absperrte.

»Auf diese Weise sehen die Posten wenigstens gleich wer die Straße entlangschleicht«, hatte er gesagt. »Wahrscheinlich sieht sich der Besuch zuerst das Licht aus der Nähe an — und wenn er freundliche Absichten hat, ruft er bestimmt seinen Namen. Trotzdem dürfen wir nicht gleich schießen, nur weil jemand den Mund hält. Wir müssen die Leute vorher anrufen und ihnen Gelegenheit geben, ihre Anwesenheit zu erklären. Vor allem dürft ihr nicht das ganze Lager aufwecken, wenn wir Besuch bekommen. Aber ich mochte gefälligst verständigt werden.«

Hunter und Margo rauchten, was Docs Hinterhalt etwas weniger vollkommen machte — aber nicht ernsthaft, hatten sie sich überlegt. Margos Gesicht wurde rötlich beleuchtet, als sie an der Zigarette zog.

Hunter sah sie bewundernd an. »Sie erinnern mich an eine Walküre, Margo«, stellte er leise fest.

Margo holte die graue Pistole unter ihrer Decke hervor und hielt sie hoch, so daß das graue Metall das Glühen der Zigarette reflektierte. »Ich komme mir fast wie eine vor«, flüsterte sie dabei. »Deshalb habe ich die Pistole auch nur ungern aus der Hand gegeben, obwohl Doddsy interessante Einzelheiten festgestellt hat.«

Während McHeath und er Wache stehen mußten, hatte der kleine Mann die Pistole im Licht seiner Taschenlampe mit einer Lupe untersucht. Dabei war ihm aufgefallen, daß der violette Strich, der die zur Verfügung stehende Ladung anzeigte, durch hauchdünne Linien in zwanzig gleichgroße Abschnitte unterteilt war. »Folglich ist die Waffe von Lebewesen hergestellt worden, die bessere Augen als wir haben«, hatte er daraus geschlossen. Außerdem hatte er eine weitere Entdeckung gemacht, die Margo bisher noch nicht aufgefallen war: Ein kleiner Hebel an der Unterseite des Laufes — der Hebel befand sich neben einer ebenfalls schlecht sichtbaren Skala und zeigte jetzt auf die Mündung. Da niemand bestimmt sagen konnte, wozu er diente, war beschlossen worden, nicht mit ihm zu experimentieren.

»Psst — haben Sie eben etwas gehört?« wisperte Margo. Sie drückten ihre Zigaretten aus und horchten angestrengt. Dann kroch Hunter vorsichtig auf dem Weg, den er sich vorher überlegt hatte, bis an den Rand des Felsabsturzes vor und suchte von dort aus ihre Umgebung ab.

Das Lager war ruhig und friedlich. Nirgendwo waren ungewohnte Geräusche zu hören oder Bewegungen zu erkennen. Aber der leise Wind ließ Margo und Hunter zusammenzucken, als sie an die Leiche dachten, die ganz in ihrer Nähe in der Höhle lag. Wenige Minuten später nahmen sie wieder ihre Plätze ein und zündeten sich neue Zigaretten an.

»Wissen Sie, worüber ich vorher nachgedacht habe, Margo?« begann Hunter. Als sie den Kopf schüttelte, fuhr er fort: »Ich habe mir überlegt, wie sehr Sie sich seit heute verändert haben. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß Sie erst jetzt völlig erwachsen sind.«

Margo nickte zustimmend. »Alles ist jetzt wirklicher als zuvor«, antwortete sie langsam. »Ich glaube fast, daß ich bisher gar nicht richtig gelebt habe. Es ist wunderbar.«

»Die Erfahrung hat Sie schön gemacht«, sagte er und nahm ihre Hand in seine. »Noch schöner. Eine wunderschöne Walküre namens Margo.«

»Wer Sie jetzt hören könnte, müßte annehmen, daß Sie Absichten auf mich haben, Ross«, stellte Margo ernsthaft fest.

»Das habe ich auch«, antwortete er und hielt ihre Hand noch fester.

»Sie haben aber eine Frau und zwei Söhne in Oregon«, flüsterte Margo. Sie machte eine Bewegung, als wolle sie ihm ihre Hand entziehen.

»Das spielt jetzt keine Rolle, obwohl ich mir ihretwegen ständig Sorgen mache«, sagte Hunter. »Wir leben nur noch von Tag zu Tag. Jede Minute kann die letzte sein. Margo, ich ...«

»Wir kennen uns erst seit gestern, Ross. Sie sind viel älter als ich und ...«

»Bestenfalls zehn Jahre«, protestierte er heftig. »Margo, die ganzen verknöcherten Moralbegriffe gelten hier nicht mehr. Rudi hat ganz richtig festgestellt, daß wir in einer Para-Realität leben, in der es keine ...«

In diesem Augenblick riß hoch über ihnen die dichte Wolkendecke auf, so daß der Wanderer mit seinem Mandala-Gesicht zum Vorschein kam. Die Trümmer des Mondes bildeten einen glitzernden Halbkreis um den neuen Planeten. Margo zog ihre Hand zurück und zeigte nach oben.

»Mein Verlobter ist dort«, sagte sie. »Er war auf diesem Trümmerhaufen stationiert. Aber vielleicht ist er mit dem Leben davongekommen; vielleicht ist er jetzt sogar auf dem Wanderer.«

»Ich weiß«, antwortete Hunter und sah ihr ins Gesicht das im Licht des Wanderers deutlicher als zuvor sichtbar war. »Ich habe in den Zeitungen genügend über Ihre Romanze mit Don Merriam gelesen. Auf den Bildern sind Sie mir immer wie eine freche, naseweise Göre vorgekommen, die vom Leben erst einmal richtig durchgeschüttelt werden müßte, um richtig erwachsen zu werden.«

»Und das hätten Sie gern übernommen, wie?« Margo lächelte spöttisch und schüttelte den Kopf. »Außerdem muß ich auch an Paul denken«, fuhr sie rasch fort. »Schließlich ist er an Bord der Untertasse verschleppt worden. Er ist ganz verrückt nach mir aber irgendwie innerlich verkrampft. Vielleicht tragen seine jetzigen Erlebnisse dazu bei, daß er etwas normaler wird.«

»Die beiden sind mir völlig gleichgültig«, sagte Hunter. Er richtete sich auf den Knien auf und hielt Margo an den Schultern fest. »Ich habe keinerlei moralische Bedenken, wenn ich den Vorteil ausnütze, den ich im Augenblick noch gegenüber jüngeren Männern habe, die bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken, obwohl sie verrückt nach Ihnen sind. Außerdem kenne ich Sie besser, als diese jungen Männer Sie je kennen werden; ich habe die Veränderung in Ihnen beobachtet, und ich bin verrückter nach Ihnen als die anderen. Im Augenblick zählt nichts anderes als Sie und ich. Margo, wir ...«

»Nein!« sagte sie plötzlich und stand ruckartig auf. »Ich freue mich, daß Sie nach mir verrückt sind, aber ich brauche Sie nicht, ich brauche überhaupt keinen anderen Menschen. Die neue Wirklichkeit nimmt mich völlig in Anspruch; ich brauche keine weiteren Aufregungen. Haben Sie das verstanden?«

»Ja«, gab Hunter nach einer kurzen Pause zu. »Schließlich bleibt mir nichts anderes übrig.« Er wandte sich ab und meinte dann: »Sehen wir uns lieber richtig um, nachdem jetzt genügend Licht vorhanden ist. Sie nehmen die linke Hälfte, aber warten Sie, bis Ihre Augen sich an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt haben.«

Sie suchten einige Minuten lang schweigend ihre Umgebung mit den Augen ab. Dann begann Hunter wieder leise zu sprechen. »Ich gebe zu, daß Sie jetzt wahrscheinlich genügend mit sich selbst zu tun haben, bezweifle aber gleichzeitig, daß Sie jemals in Ihrem Leben wirklich verliebt gewesen sind. Paul haben Sie nur herumkommandiert und ausgenützt — das war ganz offensichtlich. Ich stelle mir vor, daß Sie Don von sich abhängig gemacht haben, indem Sie seiner Männlichkeit ab und zu geschmeichelt haben.«

»Interessant«, murmelte Margo.

»Ich bezweifle, daß die beiden jüngeren Männer ernsthafte Rivalen wären«, fuhr Hunter gelassen fort. »Morton Opperly ist schon gefährlicher, weil er eine symbolische Vatergestalt darstellt: ein unwiderstehlich anziehender Magier, der — ich möchte wetten, daß Sie davon träumen! — unsere junge Walküre eines Tages in sein stolzes Felsenschloß im Land der Höheren Mathematik entführen wird.«

»Sehr interessant«, stellte Margo fest. »Ich sehe ein schwaches Leuchten im Osten. Vielleicht kommt es von der Autobahn her.«

Hunter schwieg fast fünf Minuten lang. »Mein Gott, ist das eine Hundekälte!« sagte er dann spontan. »Wenn wir etwas näher zusammenrücken würden ...«

»Kommt nicht in Frage, Ross«, unterbrach Margo ihn rasch.

»Ich wollte keineswegs eine neue Masche ausprobieren«, widersprach er beleidigt. »Das wäre nur eine praktische Lösung. Ich bin schon fast erfroren, Margo.«

»Wickeln Sie sich fester in Ihre Decke«, schlug Margo lächelnd vor. »Oder nehmen Sie sich ein Beispiel an mir — ich bin nicht auf eine Wärmflasche angewiesen.«

»Eiskaltes Weibsbild«, sagte Hunter anklagend.

»Richtig«, gab Margo ungerührt zu. Sie stand vorsichtig auf. »Ich mache jetzt einen kleinen Erkundungsvorstoß die Straße entlang«, erklärte sie ihm. »Ich nehme das Gewehr mit. Sie bleiben hier und geben mir mit der Pistole Feuerschutz.«

Er fluchte leise hinter ihr her, als sie den Abhang hinabkletterte.

Der Wanderer war wieder hinter den Wolken verschwunden, als sie Doc weckten, weil es Zeit für die Wachablösung war. Er unterdrückte ein lautes Gähnen, reckte sich umständlich und wachte dann allmählich auf.

»Die Lampe auf dem Felsen braucht eine neue Batterie«, stellte er fest. »Ich habe sie hier in der Tasche. Wir hätten einen der Wagen umdrehen sollen, dann könnten wir die Scheinwerfer benützen. Aber jetzt ist es dazu zu spät — wir würden das ganze Lager aufwecken.«

Als Margo Rama Joans Platz im Führerhaus des Lieferwagens eingenommen hatte, war der Wanderer wieder am Himmel zu sehen. Ann lehnte mit offenen Augen in ihrer Ecke. Seit den Erlebnissen des vergangenen Nachmittags war das kleine Mädchen, das angeblich ›alles gern hatte‹, sehr nachdenklich geworden.

»Warum muß Mommy fort?« fragte Ann.

Margo erklärte ihr, daß ihre Mutter jetzt Wache halten müßte.

»Mommy ist gern mit Mister Brecht zusammen, glaube ich«, sagte Ann trübselig.

»Sieh den Wanderer an«, schlug Margo vor. »Der Mond ist jetzt wirklich zu einem Ring geworden. Er hat seinen Kokon abgestreift und breitet seine Flügel aus.«

»Ja, wunderbar, nicht wahr?« meinte Ann verträumt. »Purpurfarbene Wälder und goldene Meere ...«

In dem Bus lehnte Mrs. Hixon sich nach vorn und flüsterte Mister Hixon ins Ohr: »Bill, was wird, wenn diese Leute herausbekommen, daß wir nicht wirklich verheiratet sind?«

»Ich bezweifle, daß ihnen das etwas ausmachen würde, Liebling«, antwortete er ebenso leise.

Sie seufzte. »Ich weiß nicht recht ...«


Als Paul aufwachte, schien er ganz allein irgendwo im All zu sein — so hoch über der Erde, daß die Sterne über dem sichelförmig gekrümmten schwarzen Horizont klarer leuchteten, als er sie jemals gesehen hatte. Trotzdem fühlte er sich so erholt und ausgeruht, und der Übergang in den wachen Zustand war so allmählich erfolgt, daß er keinerlei Angst empfand. Zudem hatte er eine unsichtbare glasharte Oberfläche unter sich, an die er mit dem rechten Fuß gefesselt war, was ihn in diesem Augenblick beruhigte. Er wußte, daß er vor den Gefahren des Alls sicher war, und gab sich deshalb unbesorgt dem herrlichen Anblick hin.

Offenbar schwebte die Untertasse etwa hundertfünfzig Kilometer über Arizona, stellte Paul nach einem kurzen Rundblick fest. Von hier aus erkannte er ganz Südkalifornien und den Nordwesten von Mexiko. Weiter westlich erstreckte sich der Pazifik bis zum Horizont. Dieses Bild war unverkennbar.

Paul erkannte auch die Lichter von San Diego — oder jedenfalls ein stadtähnliches Glühen an der Stelle, wo seiner Erinnerung nach San Diego liegen mußte. Zu seiner Überraschung stellte er fest, daß ihn diese Beobachtung auf unerklärliche Weise erleichterte.

Der Himmel war wolkenlos. Im Westen schwebte der Wanderer inmitten seines Ringes aus Mondtrümmern. Sein violettgelbes Licht bildete eine breite Leuchtspur auf dem Pazifik, aber auch auf dem Wasser des Golfs von Kalifornien, so daß alle Küstenlinien deutlich hervortraten.

Das Festland reflektierte das Licht des Wanderers ebenfalls aber wesentlich schwächer als die weiten Wasserflächen, die in dem Lichtschein geradezu unwirklich glitzerten. Dann erkannte Paul erschrocken, daß der Golf von Kalifornien sich mindestens hundertfünfzig Kilometer weiter als sonst nach Nordwesten erstreckte — wie eine glänzende Zunge, die zunächst schmal war aber dann wesentlich breiter wurde. Diese Abweichung von dem früheren Zustand war unverkennbar.

Entweder die Erdbeben oder die Springfluten — oder beide — waren daran schuld, daß das Salzwasser die niedrige Barriere überflutet hatte, die es von dem umliegenden Land trennte, das durchschnittlich tiefer als der Meeresspiegel lag. Die Wassermassen hatten das Tal und den allmählich versumpfenden Salton-See überschwemmt und reichten jetzt bis in die Umgebung von Palm Springs. Paul erinnerte sich, daß eine der Städte in diesem Gebiet, sogar eine ziemlich große, Brawley geheißen hatte, und eine andere war Volcano gewesen ...

Die durchsichtige Fläche vor seinem Gesicht verwandelte sich in eine rosafarbene Wand. Dann rief eine kühle Stimme: »Guten Morgen, Affe.«

Paul kniff die Augen zusammen und drehte sich langsam um, soweit das mit dem gefesselten Fuß möglich war. Tigerishka schwebte vor dem Kontrollpult, als sitze sie auf einer unsichtbaren Schaukel. Miau saß auf ihrem Schoß und putzte sich eifrig.

Paul schluckte trocken und betastete dann verwundert seine Lippen. Der Knebel war verschwunden.

Tigerishka lächelte. »Du hast sieben Stunden geschlafen«, erklärte sie ihm. »Fühlst du dich jetzt besser?«

Paul räusperte sich, hielt aber den Mund und sah Tigerishka nur an.

»Oh, wir haben also eine Kleinigkeit dazugelernt, wie?« schnurrte Tigerishka. »Wenn der Affe nicht schwatzt, kommen wir besser miteinander aus. Aber jetzt darfst du sprechen.«

Paul schwieg weiter.

»Benimm dich nicht lächerlich, Paul«, wies Tigerishka ihn an. »Ich weiß, daß du deiner Meinung nach zivilisiert bist, aber ich habe dich geknebelt, gefesselt und dich als Affen bezeichnet, um dir eine Lehre zu erteilen. Du solltest merken, daß du in Wirklichkeit gar nicht so wichtig bist, denn andere können dich so behandeln, wie du ein potentiell überlegenes Lebewesen wie Miau hier behandelt hast. Außerdem hast du eine Erfahrung dieser Art dringend nötig, was dir jeder Psychologe bestätigen kann.«

Paul sah ihr in die Augen und schüttelte dann langsam den Kopf.

»Was soll das heißen?« fragte Tigerishka sofort. »Weshalb habe ich das alles deiner Meinung nach getan?«

Paul betonte jede Silbe so sorgfältig, als stehe er auf der Bühne, als er sagte: »Du behauptest, mir geistig weit überlegen zu sein, was in gewisser Beziehung offenbar zutrifft. Aber trotzdem hast du gestern meine Gedanken fast zwanzig Minuten lang mit denen des hübschen, aber geistig kaum entwickelten Tieres auf deinem Schoß verwechselt. Deshalb hast du deine Wut über diesen dummen Fehler an mir ausgelassen.«

»Das ist nicht wahr!« widersprach Tigerishka erregt. Sie richtete sich auf, aber dann lehnte sie sich wieder zurück und zuckte mit den violett gestreiften Schultern. »Eigentlich hast du recht«, gab sie zu. »Das hat mein Verhalten jedenfalls beeinflußt. Ich war enttäuscht, weil meine Hoffnung, eine andere intelligente Katzenrasse zu finden, sich nicht erfüllt hatte. Das hast du gut beobachtet. Nicht schlecht — für einen Affen.«

»Du hast trotzdem einen gewaltigen Fehler gemacht«, meinte Paul ruhig. »Wie konntest du annehmen, daß ein so kleines Tier wie Miau ein voll ausgebildetes Gehirn haben könnte?«

»Ich habe mir eingebildet, es sei miniaturisiert«, antwortete Tigerishka rasch. »Das war allerdings ein Versehen, denn ich hätte es gleich überprüfen müssen, anstatt mich auf eine telepathische Verständigung zu verlassen.« Sie streichelte Miau. »Noch mehr Affenfragen?«

Paul machte eine kurze Pause, bevor er sagte: »Du hast behauptet, einer superzivilisierten galaktischen Kultur anzugehören, aber trotzdem zeigst du eine beachtliche Xenophobie. Ich stelle mir vor, daß ein echter galaktischer Bürger mit allen möglichen Lebewesen auskommen müßte: mit Meeresbewohnern, Säugetieren, Tausendfüßlern, geflügelten Wesen, Wölfen und anderen Fleischfressern wie ihr selbst — und sogar mit Menschen.«

Tigerishka zuckte leicht zusammen, als Paul von ›Wölfen und anderen Fleischfressern‹ sprach, aber dann antwortete sie freundlich: »Affen sind bei weitem die schlimmste Art, Paul.« Nach einer Pause fügte sie noch hinzu: »Außerdem ist das Leben im Kosmos nicht so freundlich und gutnachbarlich, wie du anzunehmen scheinst.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, stimmte Paul zu. »Aber du behauptest, fast allwissend zu sein und großen Respekt vor dem Leben zu haben — jedenfalls hast du dich mir gegenüber gerühmt, zwei Städte vor dem Feuer gerettet zu haben —, und trotzdem habt ihr den Mond zertrümmert, ohne auf die Anwesenheit einiger Menschen Rücksicht zu nehmen. Mein bester Freund ist ebenfalls dort gewesen.«

»Wirklich schade, Paul«, meinte Tigerishka gelassen. »Aber sie befanden sich auf einem Planeten ohne Atmosphäre und hatten ihre Schiffe dort. Vielleicht sind sie rechtzeitig geflohen.«

»Richtig, wir könnten hoffen, daß ihnen die Flucht gelungen ist«, gab Paul ebenso gelassen zurück, »aber ich bezweifle, daß ihr überhaupt gewußt habt, daß sie dort oben waren! Ich glaube nicht einmal, daß ihr nach eurem Übertritt aus dem Hyperraum gewußt habt, daß auf der Erde intelligente Lebewesen existieren. Oder wenn ihr es gewußt haben solltet, war es euch völlig gleichgültig.«

Tigerishka veränderte ihre Stellung nicht, streichelte aber Miau etwas rascher — wie eine nervöse Frau, die mit ihrer Perlenkette spielt. »Du hast wieder ein bißchen recht, Paul«, gab sie zu. »Im Hyperraum ist es uns schlecht gegangen: Stürme und so weiter. Wir brauchten dringend Treibstoff und waren deshalb auf den Mond angewiesen. Außerdem hat die letzte Untersuchung dieses Sektors keine Anzeichen für die Existenz intelligenter Lebensformen ergeben. Damals wurde nur festgestellt, daß hier vielversprechende Katzenarten lebten.« Dabei grinste sie Paul an.

Er ignorierte ihre letzte Bemerkung und fuhr fort: »Ich habe noch einen weiteren Beweis für meine Theorie, daß ihr in eurer Eile keine Rücksicht auf andere Lebewesen nehmen könnt: Als du Miau aus dem Meer gerettet hast — und mich dazu, weil du irrtümlich annahmst, ich sei eine Art Haustier der Katze —, hast du ein Dutzend wertvoller Menschen, zu denen auch meine Freundin gehörte, hilflos in den Wellen zurückgelassen.«

»Schon wieder eine Lüge, Paul!« antwortete Tigerishka heftig. »Ich habe die Wogen beruhigt, damit deine Freunde sich in Sicherheit bringen konnten. Dabei habe ich sogar meine Impulspistole verloren.«

»Schon wieder ein Versehen?« fragte Paul mit einem spöttischen Lächeln. »Immerhin war das großzügig, deshalb wollen wir uns nicht weiter damit beschäftigen. Aber ...«

Paul machte eine Pause, weil ihm plötzlich eingefallen war, wie lächerlich seine Vorwürfe wirken mußten, denn schließlich befand er sich noch immer hilflos in Tigerishkas Gewalt und war an das Deck gefesselt. Befand er sich nicht in der gleichen Lage wie ein Affe, der immer wieder versuchte, einen Tiger zu ärgern?

Aber dann erinnerte er sich an Brawley und Volcano.

»Du hast also jetzt eine Freundin, wie Paul?« erkundigte Tigerishka sich sarkastisch. »Stimmt das wirklich? Weiß Margo überhaupt etwas davon? Und ist das Don gegenüber fair?«

Paul überging diesen Ablenkungsversuch mit einem Schulterzucken und sagte eindringlich: »Aber das stärkste Argument gegen eure angeblich so hohe Kulturstufe ist die Tatsache, daß in diesem Augenblick Menschen sterben müssen, weil der Wanderer durch seine Anziehungskraft Erdbeben und Springfluten erzeugt hat. Daran seid ihr allein schuld, weil ihr euch nicht die Mühe gemacht habt, eine geeignete Treibstoffquelle zu suchen — zum Beispiel die Jupitermonde oder die Monde des Saturn. Ich gebe zu, daß ihr einige Brände gelöscht habt, aber erst nachdem Tausende und vermutlich Hunderttausende in den Bränden und während der vorhergegangenen Erdbeben ums Leben gekommen sind. Und jetzt werden ganze Städte von den Fluten zerstört, die der Wanderer verursacht. Wenn das so weitergeht ...«

»Ich will nichts mehr davon hören, Affe!« fauchte Tigerishka. Miau sprang erschrocken auf und verschwand in dem nächsten Blumenbeet. »Hör gut zu, Paul«, fuhr Tigerishka fort und beherrschte sich dabei sichtlich. »Ich habe dir gegenüber nie behauptet, eine besondere Vorliebe für Menschen, Affen oder andere Lebewesen des Universums zu haben! Wir Katzen besitzen eine Kultur, die in gewisser Beziehung grausam ist — aber das sind andere Kulturen auch! Der Tod ist überall ein Teil des Lebens. Irgend jemand leidet immer. Unsere Treibstoffaufnahme ist ein ganz normaler Vorgang, der nur zufällig ...«

Sie sprach nicht weiter, als Paul abwehrend die Hand hob. Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet, weil er eben erkannt zu haben glaubte, was dieser Verteidigungsversuch wirklich bedeutete, den Tigerishka unternommen hatte.

»Ich glaube dir kein Wort«, sagte er laut. »Tigerishka, ich bin davon überzeugt, daß eure übermäßige Eile, in der ihr euch nicht einmal Zeit zu den primitivsten Vorbereitungen genommen habt, und eure nachträglichen Anstrengungen, wenigstens einen Teil des angerichteten Schadens wiedergutzumachen, nur der Beweis dafür sind, daß ihr so schnell handeln müßtet, weil ihr euch vor irgend etwas fürchtet.«

Tigerishka knurrte wütend, warf sich mit einem Satz auf Paul und drückte ihn auf das Deck, dort umklammerte sie seinen Hals und hielt eine Tatze mit ausgestreckten Krallen zwanzig Zentimeter über sein Gesicht.

»Das war eine unverschämte Lüge, Paul Hagbolt!« sagte sie drohend. »Ich verlange, daß du deine Behauptungen auf der Stelle zurücknimmst!«

»Nein«, antwortete Paul fest, obwohl Tigerishkas harter Griff ihm vor Schmerzen Tränen in die Augen trieb. »Ihr fürchtet euch entsetzlich vor irgend etwas.«


Als Barbara Katz die Mündung der doppelläufigen Schrotflinte sah, die in dem vorderen Seitenfester über Benjys Schulter erschien, dachte sie zuerst nur daran, daß dies schon wieder ein Teil des Treibguts sei, an dem sie in den drei Stunden seit Tagesanbruch vorübergefahren waren. Entwurzelte Bäume und Büsche; zertrümmerte Autos und Landmaschinen; Tierkadaver und tote Menschen; Drahtzäune — Stacheldraht war besonders gefährlich, denn er konnte die Reifen durchlöchern. Einmal hatten sie lange nach Brettern suchen müssen, um den Rolls-Royce heil über einen Zaun zu bringen, der die Straße versperrte. Gelegentlich hatten sie Häuser und Scheunen gesehen, die teilweise zerstört, aber in vielen Fällen fast unbeschädigt waren. Selbstverständlich waren sie auch lebenden Menschen begegnet, aber nicht sehr vielen; einige von ihnen arbeiteten daran, ihre höher gelegenen Häuser vor der nächsten Flut zu verbarrikadieren, andere machten ihre Autos für eine lange Fahrt fertig oder ritten sogar auf Pferden davon. Einmal war ein kleines Flugzeug über die Straße gebrummt, aber sonst waren nur Vögel am Himmel zu sehen.

Barbaras zweite Reaktion auf die Schrotflinte bestand aus der Erkenntnis, daß es sich hier um den häßlichen Zwischenfall handelte, den sie schon immer erwartet hatte. Gleichzeitig genoß sie das beruhigende Gefühl, unter der Decke rechts neben sich einen Revolver zu haben. Sie nahm an, daß es ihr gelingen würde, die Waffe unauffällig nach oben zu bringen und zu schießen — aber wenn das nur bewirkte, daß Benjy und Hester auf dem Vordersitz aus nächster Entfernung eine Schrotladung abbekamen hatte das nicht viel Sinn, obwohl der Motor des Wagens lief. Hätten sie nur ein paar Sekunden Vorsprung gehabt ...

Ihre dritte Reaktion auf die Schrotflinte bestand daraus, daß sie die frischen Rostspuren auf dem Lauf bemerkte und sich fragte, ob die Patronen vielleicht naß geworden waren. In diesem Fall brauchte sie wahrscheinlich gar nicht zu schießen, sondern nur zu drohen — aber das war nur eine Vermutung.

Die Stimme hinter der Flinte klang heiser und nachlässig, aber trotzdem drohend.

»Hier ist eine Kontrollstelle. Wir kassieren Wegzoll. Was haben Sie in ...«

»Wir haben nur einen Reifen gewechselt«, warf Barbara ein.

»... Trilby gemacht?« fragte der Mann.

Das war also der Name des kümmerlichen Nestes, durch dessen einzige Straße sie vor zwanzig Minuten im Zick-Zack gefahren waren!

»Wir sind nur auf der Durchfahrt«, sagte Barbara rasch. »Wir zahlen gern einen Wegzoll.« Aber als sie mit der linken Hand den Reißverschluß ihrer schwarzen Tasche öffnen wollte, griffen zwei rote Hände danach und hielten sie fest. Dann wurde die Tasche durch das Fenster gezogen, und die Stimme sagte: »Der alte Knabe muß einer der Millionäre von Palm Beach sein. In der Tasche ist ein Haufen Papiergeld.«

»Er ist sehr krank«, stellte Barbara fest. »Wir müssen ihn in das nächste ...«

»Einer von den verfluchten Yankees«, unterbrach die heisere Stimme sie, »die hierher kommen und sich als große Herren aufspielen und den Niggern viel zu hohe Löhne zahlen und dann wie Hasen davonrennen, wenn der Herr uns prüft. Wir behalten das Geld für den Jubiläumsfonds. Die beiden Niggermädchen bleiben ebenfalls hier — wir brauchen jemand, der uns das Leben auf dem Hügel ein bißchen gemütlicher macht. Los, steigt aus, sonst bekommt der schwarze Hundesohn am Steuer eine Ladung ab!«

Jetzt, dachte Barbara, aber als sie den Revolver heben wollte, spürte sie, daß der alte KKK ihre Hand festhielt. Er räusperte sich und sprach dann so laut, wie sie ihn noch nie gehört hatte.

»Hat vielleicht jemand etwas gegen meinen Fahrer Benjy einzuwenden? Wem paßt seine Hautfarbe nicht? Ich dachte, hier lebten ehrliche Leute, aber anscheinend habe ich mich getäuscht.«

Draußen wurde ein zorniges, aber unsicheres Gemurmel laut. Der alte KKK lehnte sich aus dem Seitenfenster und starrte die Männer in den blauen Overalls an. Dann fragte er nachdrücklich: »Wann hat die Schwarze Nacht ein Ende?«

Der Mann mit der heiseren Stimme zögerte und antwortete fast widerwillig: »Wenn der Weiße Tag heraufzieht.«

»Halleluja!« erwiderte der alte KKK. »Bestellen Sie dem Großmeister von Dade City einen Gruß von dem Großmeister von Palm Springs. Benjy, ich wünsche, daß du weiterfährst!«

Der Rolls-Royce setzte sich in Bewegung — einen Meter ... drei ... fünf ... zehn. Dann fuhren sie immer rascher und Hester sagte aufgeregt: »Vorsicht, da ist ein Baumstumpf, Benjy!« Der Wagen wich aus, wäre fast ins Schleudern gekommen und fuhr im letzten Augenblick geradeaus weiter. Benjy lachte begeistert, aber leicht hysterisch. »Der alte KKK hat wirklich bewiesen, daß er seinen Namen zu Recht trägt«, meinte er schließlich atemlos. Dann warf er einen Blick über die Schulter. »Entschuldigung ... Dad!«

»Er hat nichts mehr gehört, Benjy«, sagte Hester. »Er ist wieder halb bewußtlos. Die Anstrengung hat ihn völlig erschöpft.«

Helen starrte den Alten ängstlich von der Seite an. »Ich hätte nie gedacht, daß er zum Ku-Klux-Klan gehört«, flüsterte sie. »Und dabei ist er sogar Großmeister von ...«

»Sei lieber froh, daß er Klansman ist«, unterbrach Hester sie.

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