13

Paul Hagbolt stand Major Buford Humphreys an dem noch immer geschlossenen Tor von Vandenberg zwei gegenüber. Margo neben ihm hielt Miau auf dem Arm, während die Untertassen-Beobachter sich hinter ihnen zusammendrängten.

Der Jeep, in dem Major Humphreys gekommen war, stand mit laufendem Motor und eingeschalteten Scheinwerfern am Tor. Der Fahrer war hinter dem Steuer geblieben, aber der zweite Soldat hatte seinen Platz verlassen und lehnte an der Motorhaube. Der schwerbewaffnete Wachtposten stand außerhalb des Zaunes in dem dunklen Eingang des Wachtturmes. Er beobachtete den Major, hielt aber seine Maschinenpistole auf die Zivilisten gerichtet.

Major Humphreys wirkte normalerweise wie ein verbitterter Lehrer, aber im Augenblick trug sein langes Gesicht den gleichen Ausdruck, der sich auf dem des Soldaten abgezeichnet hatte — mühsam beherrschte Erregung, hinter der sich eine verständliche Angst verbarg.

»Ich habe schon gehofft, daß Sie kommen würden, Major«, sagte Paul. »Jetzt brauchen wir wenigstens keine langen Erklärungen mehr.«

»Sie haben Glück gehabt, weil ich nicht Ihretwegen gekommen bin«, antwortete Humphreys und fügte rasch hinzu: »Ein paar andere aus Los Angeles haben es noch rechtzeitig geschafft, bevor die Küstenstraße verschüttet wurde. Wir hoffen, daß die übrigen durch das Tal kommen — über die Bergstraße bei Santa Monica oder über Oxnard. Oder wir evakuieren sie mit Hubschraubern, nachdem Pasadena von dem zweiten Beben schwer mitgenommen worden ist.« Er schüttelte verwirrt den Kopf, als ihm einfiel, daß er bereits zuviel gesagt hatte, und sprach laut weiter: »Okay, Paul, ich habe nicht die ganze Nacht lang Zeit — eigentlich nicht einmal eine Minute. Warum sind Sie nicht durch den Haupteingang gekommen? Ich kenne natürlich Miß Gelhorn ...« Er nickte Margo zu. »Aber wer sind die anderen?« Humphreys warf einen kurzen Blick auf die kleine Gruppe und starrte Hunters Vollbart mißtrauisch an.

Paul zögerte.

Doc, der mit seiner Glatze und den dicken Brillengläsern wie ein moderner Sokrates aussah, räusperte sich. »Wir sind Angestellte in Mister Hagbolts Abteilung«, wollte er sagen, weil er annahm, daß hier nur ein Bluff helfen konnte.

Aber Doc hatte ebenfalls einen Augenblick zu lange gezögert, denn jetzt drängte sich der kleine Mann in die erste Reihe und erklärte statt dessen: »Ich bin der Generalsekretär und die anderen sind Mitglieder des Südkalifornischen Meteor- und UFO-Klubs. Wir haben unten am Strand ein Symposium veranstaltet und dazu auch die Genehmigung der Luftwaffe eingeholt, obwohl sie nicht unbedingt erforderlich gewesen wäre.«

Doc stöhnte leise.

Major Humphreys erstarrte förmlich. »Sie wollten Fliegende Untertassen beobachten?«

»Richtig«, antwortete der kleine Mann und zog Ragnarok zurück, der leise knurrte. »Wir ...«

»Ihre Fahrzeuge sind von einem Erdrutsch verschüttet worden Major«, warf Paul ein. »Mein Wagen übrigens auch. Miß Gelhorn und ich wären ohne ihre Hilfe kaum hierher gelangt. Die Leute wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen. Eine der Frauen hat einen Herzanfall. Außerdem gehört zu der Gruppe auch ein Kind.«

Major Humphreys warf einen Blick auf Rama Joan und zuckte merklich zusammen, als er ihre schulterlangen rotblonden Haare über dem Abendanzug sah. Dann trat Ann neben ihre Mutter und betrachtete den verblüfften Offizier gelassen.

»Ich bin das Kind«, erklärte sie ihm.

»Ja, ja, ich sehe schon«, meinte der Major und nickte hastig, als er sich abwandte. »Hören Sie, Paul«, sagte er rasch, »mir tut das alles wirklich leid, aber Vandenberg kann unmöglich Erdbebenflüchtlinge aufnehmen. Über diese Frage ist bereits entschieden worden. Sie wissen selbst, daß die Sicherheitsbestimmungen in Katastrophenfällen noch strenger gehandhabt werden.«

»Hat das Erdbeben in der Gegend von Los Angeles wirklich großen Schaden angerichtet?« erkundigte Wojtowicz sich neugierig.

»Machen Sie die Augen auf, dann sehen Sie das Feuer selbst«, antwortete Humphreys. »Nein, ich kann keine Fragen beantworten. Kommen Sie durch den Turm herein, Paul. Und Miß Gelhorn.«

»Aber diese Leute sind keine gewöhnlichen Flüchtlinge, Major«, protestierte Paul. »Vielleicht können sie uns helfen. Sie haben schon einige interessante Theorien über den Wanderer aufgestellt.«

Major Humphreys machte ein mißtrauisches Gesicht. »Wanderer?« fragte er. »Wie sind Sie auf den Namen gekommen? Was wissen Sie über den ... Himmelskörper?«

»Himmelskörper?« wiederholte Doc spöttisch. »Unterdessen muß doch auch der Dümmste sehen, daß wir es mit einem Planeten zu tun haben.«

»Wir können aber nichts dafür, falls Sie das meinen«, warf Rama Joan ein. »Wir haben ihn nicht heraufbeschworen.«

»Richtig, wir wissen nicht einmal, wo der Körper vorher begraben war«, fügte Doc hinzu. »Einige von uns nehmen jedoch an, daß irgendwo im Hyperraum ein Friedhof existieren muß.«

Hunter gab ihm einen Tritt gegen das Schienbein. »Der Name ›Wanderer‹ ist nur eine Übertragung des Wortes ›Planet‹«, erklärte er Major Humphreys.

»Wanderer genügt vorläufig, obwohl der richtige Name Ispan lautet«, sagte der Ladestock plötzlich mit hohler Stimme. Dann fügte er noch hinzu: »Mich dünkt, die Weisen sind unlängst in Washington eingezogen.«

Der Offizier fuhr zusammen, als habe er einen Schlag zwischen die Schulterblätter erhalten. »Kommen Sie herein«, sagte er zu Paul. »Und Miß Gelhorn — ohne die verdammte Katze.«

»Soll das heißen, daß Sie die anderen abweisen?« erkundigte Paul sich ungläubig. »Obwohl ich mich für sie verbürge? Obwohl eine der Frauen krank ist?«

»Wer hat den Herzanfall?« fragte der Major nervös.

Paul drehte sich um und wollte auf die improvisierte Tragbahre zeigen, aber in diesem Augenblick watschelte Wanda zwischen Hunter und Rama Joan nach vorn. »Ich!« verkündete sie triumphierend.

Doc stöhnte nochmals. Wojtowicz warf der Dicken einen wütenden Blick zu und rieb sich die rechte Schulter, die vom Tragen der schweren Last schmerzte.

Major Humphreys schüttelte den Kopf. »Kommen Sie mit Miß Gelhorn herein«, sagte er zu Paul und wandte sich seinem Jeep zu.

»Gehen Sie lieber, bevor er es sich anders überlegt«, murmelte Hunter Margo zu. »Dann sind Sie und Paul wenigstens in Sicherheit.«

»Und was wird aus Miau?« fragte Margo.

»Wir passen auf sie auf«, bot Ann ihr sofort an.

Diese impulsive Großzügigkeit des Mädchens mit den rotblonden Zöpfen gab den Ausschlag für Paul, der bisher noch gezögert hatte.

»Danke, ich bleibe hier«, rief er plötzlich.

»Machen Sie keinen Unsinn, Paul«, antwortete Major Humphreys scharf. »Sie haben keine andere Wahl. Sie können doch nicht einfach desertieren!«

»Natürlich kann ich das!« brüllte Paul zurück.

Humphreys zuckte mit den Schultern und kletterte in den Jeep. Der Posten schloß die Tür des Wachtturms hinter sich und kam auf die Gruppe zu. »Los, verschwindet endlich, Leute!« sagte er nervös und hob die Mündung seiner Maschinenpistole. In der linken Hand hielt er eine Drahtschlaufe — die Steuerung des Treibsatzes auf seinem Rücken.

Alle wichen zurück — sogar Ragnarok, denn sein Besitzer hatte vor Aufregung die Leine losgelassen —, aber der kleine Mann blieb stehen und starrte aufgebracht durch den Stacheldraht.

»Major!« rief der kleine Mann laut. »Sie können sich darauf verlassen, daß ich mich über Ihr Verhalten beschweren werde! Ich bin schließlich Steuerzahler, Sir! Von meinem Geld werden Einrichtungen wie Vandenberg finanziert und Leute wie Sie besoldet! Wollen Sie Ihre Entscheidung nicht ...«

Der Posten kam auf ihn zu. »Halten Sie den Mund und verschwinden Sie!« schnauzte er den kleinen Mann an. Dann stieß er ihm die Mündung der Maschinenpistole leicht zwischen die Rippen.

In diesem Augenblick drängte Ragnarok sich heiser knurrend zwischen den Beinen der anderen durch und stürzte sich auf den Posten.

Der Soldat reagierte blitzschnell, zündete den Treibsatz und schwebte rückwärts durch die Luft. Dabei erwies er sich als hervorragender Schütze, denn er gab einen kurzen Feuerstoß aus seiner Maschinenpistole ab, der sein Ziel genau traf. Der große Schäferhund blieb bewegungslos liegen.

Die Gruppe stand wie erstarrt.

Der Posten segelte über den Zaun und setzte weich auf, wobei nochmals ein orangeroter Feuerstrahl aus der Düse auf seinem Rücken schoß.

Der kleine Mann kniete neben seinem Hund. »Ragnarok ist tot«, flüsterte er dann ungläubig.

Wojtowicz griff nach der Tragbahre und kam damit herbeigerannt.

»Ihm ist nicht mehr zu helfen«, murmelte der kleine Mann.

»Wir können ihn doch nicht einfach hier liegen lassen«, sagte Wojtowicz.

Sie hoben den toten Hund gemeinsam auf die Tragbahre. Margo drückte Paul Miau in den Arm, zog ihre Jacke aus und legte sie über Ragnarok. Der kleine Mann nickte wortlos.

Dann marschierte die Gruppe wieder den Weg zurück, den sie gekommen war. Das ungewisse Zwielicht vor Tagesanbruch wurde noch immer von dem Purpur und Rot des Wanderers beherrscht.

Harry McHeath zeigte plötzlich nach oben. »Da!« sagte er. »Ein weißer Schimmer. Der Mond kommt wieder zum Vorschein.«


Die Einwohner Neuseelands und Polynesiens rannten vor dem Abendessen auf die Straßen, um die Erscheinung am Himmel zu beobachten, die mit zunehmender Dunkelheit immer deutlicher sichtbar wurde. Viele von ihnen vermuteten der Wanderer sei in Wirklichkeit der Mond, der von amerikanischen oder sowjetischen Atomexplosionen deformiert worden sei. Aber die Mehrzahl der Bewohner Australiens, Asiens Afrikas und Europas ging noch immer ihrem gewohnten Tagewerk nach. Für sie war der Wanderer nur eine Zeitungsente oder bestenfalls ein typisch amerikanisches Phänomen, das in die gleiche Kategorie wie Senatoren, Filmstars, religiöse Sekten und Coca Cola gehörte. Nur wenige Wissenschaftler brachten die verrückten Meldungen über den Mond mit den ernsten Berichten in Verbindung, in denen von schweren Erdbebenschäden die Rede war.

Der Atlantik befand sich jetzt ebenfalls auf der Tagseite der Erde, aber hier verlief die Reaktion anders, denn die meisten Schiffe mit Kurs auf Europa oder Amerika hatten den Wanderer in den letzten Nachtstunden beobachtet. Die Kapitäne dieser Schiffe hörten nacheinander sämtliche Kurzwellenbänder ab und versuchten angestrengt, ihre Reedereien oder die Schiffahrtsbehörden zu erreichen, um sich weitere Anweisungen geben zu lassen. Einige Schiffe liefen die nächsten Häfen an, weil die Kapitäne glaubten, dort eher Unterstützung zu finden. Andere Kapitäne schienen jedoch bereits von düsteren Vorahnungen geplagt zu sein, denn sie änderten den Kurs ihrer Schiffe und steuerten auf die hohe See hinaus, was sich später als richtig erweisen sollte.

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