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Leutnant Don Merriam, USSF, starrte durch das Fenster seines unförmigen Helmes, das noch auf halbe Polarisation eingestellt war, um seine Augen vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen. Er beobachtete den Rand der Sonnenscheibe, der jetzt durch die Erdatmosphäre verschwommen wirkte, als die Sonne langsam hinter der Erde verschwand.

Die letzten orangeroten Strahlen erinnerten an die Wintersonne, die hinter den unbelaubten Bäumen in der Nähe des Farmhauses in Minnesota versank, in dem Don Merriam seine Kindheit verbracht hatte.

Jetzt drehte er den Kopf nach rechts und betätigte einen Schalter mit der Zungenspitze, um die Polarisation zu verringern.

Plötzlich waren wieder alle Sterne deutlich sichtbar — glänzende Lichtpunkte in der unendlichen Dunkelheit. Die Erde war von einem rötlichen Lichtschein umgeben, der nach etwa einem Vierteldurchmesser rasch abnahm und schließlich völlig verschwand. Don stellte gelangweilt fest, daß die Erde jetzt so schwarz wie nie zuvor wirkte, weil sie nicht mehr von dem reflektierten Licht des Mondes erhellt wurde, das ihre Kontinente sonst schwach erglühen ließ.

Bisher hatte Don sich weit zurückgelehnt und nur auf einen Arm gestützt, um die Erde besser sehen zu können, die schon fast ihren Zenit erreicht hatte. Jetzt richtete er sich mit leichtem Schwung auf und sah sich um. Im Licht der Sterne und der von der Erde fast verdeckten Sonne hatte der dunkelgraue Staub zu seinen Füßen sich in eine bronzefarbene Mischung aus pulverisierter Lava und magnetischem Eisenoxyd verwandelt.

Damals, als Cromwell noch über England herrschte, hatte Hevelius diesen Krater als den Großen Schwarzen See bezeichnet. Selbst bei vollem Sonnenschein hätte Don die Wälle des Kraters Plato nicht sehen können. Der eineinhalb Kilometer hohe Ringwall, der in allen Himmelsrichtungen etwa fünfzig Kilometer von Don entfernt war, lag hinter der stark gekrümmten Mondoberfläche verborgen.

Der gleiche Krümmungsradius verdeckte auch den Unterteil des Schutzbaues, den die Astronauten ihre ›Hütte‹ nannten. Don freute sich jedesmal wieder über die fünf beleuchteten Bullaugen an der Grenze zwischen der dunklen Ebene und den Sternenfeldern. In ihrer Nähe ragten die drei kegelförmigen Raumschiffe des Stützpunktes vor den Sternen auf; mit ihren Spinnenbeinen wirkten sie aus dieser Entfernung wie vorsintflutliche Ungeheuer.

»Wie sieht die völlige Dunkelheit aus?« fragte Johannsens Stimme aus Dons Kopfhörer.

»Warm und gemütlich. Schöne Grüße von Susie«, antwortete Don.

»Außentemperatur?«

Don warf einen Blick auf die Anzeige des Thermometers in seinem Helm. »Sinkt weiter unter zweihundert Grad Kelvin«, meldete er dann. Die Temperatur lag also fast genau hundert Grad unter dem Nullpunkt der Fahrenheitskala, die in englischsprechenden Ländern noch immer gebräuchlich war.

»Funktioniert dein SOS?« wollte Johannsen wissen.

Don betätigte einen Schalter mit der Zunge und hörte ein melodisches Summen im Kopfhörer. »Laut und klar, mon capitaine«, sagte er dann schwungvoll.

»Schon gehört«, antwortete Johannsen mürrisch. Don schaltete das SOS wieder aus.

»Hast du die Behälter schon gesammelt?« erkundigte Johannsen sich dann. Er sprach von den winzigen Dosen, die regelmäßig ausgelegt und wieder eingesammelt wurden, um die Bewegungen des Mondstaubes und anderer Materialien zu kontrollieren, zu denen auch radioaktive Stoffe gehörten, die in unterschiedlichen Abständen von der Hütte ausgelegt worden waren.

»Ich habe noch nicht geerntet«, antwortete Don.

»Laß dir ruhig Zeit«, meinte Johannsen mit einem leichten Seufzer und unterbrach die Verbindung. Don und er wußten nur zu gut, daß das Auslegen und Einsammeln der Behälter nur als Entschuldigung dafür diente, einen Mann außerhalb der Hütte zu haben, wenn ein Mondbeben bevorstehen konnte. Das war immer der Fall, wenn Sonne und Erde aus der gleichen Richtung auf den Mond einwirkten, wie es jetzt der Fall war, oder wenn sie den Mond genau zwischen sich hatten, was in vierzehn Tagen eintreffen würde.

Der Stützpunkt hatte bisher nur sehr schwache Erschütterungen registriert, bei denen die Nadel des Seismographen, der auf den massiven Felsen unter der Hütte ruhte, kaum ausgeschlagen hatte. Trotzdem achtete Gompert sorgfältig darauf, alle vierzehn Tage einen Mann für mehrere Stunden nach draußen zu schicken. Falls das Unerwartete doch einmal eintreten sollte und die Hütte schwer beschädigt wurde, hatte Gompert wenigstens nicht alle Eier in einem Korb.

Don sah nochmals zur Erde auf. Der Strahlenkranz hatte sich inzwischen verändert und war gleichmäßiger geworden. Er konnte nichts auf der tiefschwarzen Oberfläche unterscheiden obwohl er wußte, daß der östliche Pazifik und die beiden Amerikas links und der Atlantik und die westlichen Ausläufer Europas und Afrikas rechts lagen. Er dachte an die liebe Margo, die leicht hysterisch war, und an den guten alten Paul mit seinen Komplexen — nette kleine Käfer, die in der Erdatmosphäre wie unter einer Baumrinde hin und her liefen.

Als er wieder zu Boden sah, stand er auf glitzernden Kristallen, die täuschend an frischgefallenen Schnee in Minnesota erinnerten. Kohlenstoffdioxydgas war durch den Staub nach oben gedrungen und hatte sich an der Oberfläche sofort in Kristalle verwandelt.


Die warme Abendluft wehte um das Kabriolett, in dem Paul Hagbolt, Margo Gelhorn und die Katze Miau die Küstenstraße entlangfuhren. In fast regelmäßigen Abständen tauchte ein verwittertes Warnschild im Scheinwerferlicht auf, warnte deutlich vor ERDRUTSCHGEFAHR! oder VORSICHT — STEINSCHLAG und verschwand wieder in der Dunkelheit. Die Straße führte dicht am Pazifik entlang an fast senkrechten Wänden vorüber, die zum Teil nur aus Sandstein, Kies und anderen jungen Ablagerungen bestanden, obwohl gelegentlich größere Felsen sichtbar wurden.

Margo saß mit wehenden Haaren neben Paul. Sie hatte ihre Jacke über die Knie gebreitet und hielt Miau darauf fest, die sich zusammengerollt hatte.

»Jetzt sind wir bald in der Nähe von Vandenberg zwei«, stellte Paul fest. »Wenn du Lust hast, könnten wir dort den Mond durch ein Teleskop beobachten.«

»Ist Morton Opperly auch dort?« fragte Margo.

»Nein«, antwortete Paul mit einem schwachen Lächeln. »Er ist nach Vandenberg drei gefahren, um sich vor den anderen Theoretikern als oberster Hexenmeister aufzuspielen.«

Margo zuckte mit den Schultern und sah nach oben. »Wird der Mond eigentlich nicht völlig dunkel?« erkundigte sie sich. »Vorläufig ist er noch kupferfarben.«

Paul erklärte ihr die ringförmige Strahlung am Erdrand.

»Wie lange dauert die Mondfinsternis überhaupt?« wollte sie dann wissen.

»Zwei Stunden«, erwiderte Paul geduldig.

»Ich dachte, Mondfinsternisse sind in wenigen Sekunden vorbei«, wandte Margo ein.

»Das sind Sonnenfinsternisse — aber auch nur die totalen.«

Margo lächelte und lehnte sich zurück. »Jetzt können wir über die Fotografien sprechen«, meinte sie. »Hier hört uns kein Mensch zu. Und ich bin bestimmt nicht mehr aufgeregt. Ich mache mir wegen Don keine Sorgen mehr.«

Paul zögerte.

Sie lächelte nochmals. »Ich verspreche dir, daß ich mich nicht wieder aufrege. Ich möchte nur wissen, was das alles zu bedeuten hat.«

»Wahrscheinlich erwartest du zuviel von mir«, meinte Paul. »Selbst die besten Astronomen sind wie vor den Kopf geschlagen. Opperly übrigens auch.«

»Also?«

Paul nickte schicksalergeben. »Normalerweise werden Sternenfotos nicht wie Familienbilder herumgezeigt«, sagte er, »aber die Astronomen des Mondprojekts haben mit ihren Kollegen in den Sternwarten vereinbart, daß sie alle ungewöhnlichen Veränderungen zu sehen bekommen. Auf diese Weise hatten sie die Fotos schon am nächsten Tag vor sich auf dem Tisch liegen.

Das erste Foto kam vor einer Woche an; es zeigte ein Sternenfeld mit dem Planeten Pluto im Vordergrund. Aber während der Belichtung hatte sich dort irgend etwas ereignet, wodurch die Sterne entweder verdeckt wurden oder ihre Position veränderten. Ich habe es selbst gesehen — drei sehr schwache Spuren, wo die hellsten Sterne sich bewegt hatten. Schwarze Streifen auf weißem Hintergrund, denn die echten Astronomen sehen natürlich nur die Negative an.«

»Aha«, entgegnete Margo. »Paul!« sagte sie dann aufgeregt. »Heute morgen stand in der Zeitung eine Meldung über einen Mann, der gesehen haben will, daß die Sterne sich bewegt haben. Ich erinnere mich noch an die Schlagzeile: STERNE HABEN GESCHWANKT, SAGT AUTOSÜNDER.«

»Ich habe sie auch gesehen«, erklärte Paul etwas mürrisch. »Der Kerl ist in einem offenen Wagen gefahren und hat einen Unfall verursacht — weil die Sterne ihn fasziniert hatten, behauptet er. Bei der Blutprobe hat sich dann herausgestellt, daß er einen sitzen hatte.«

»Ja, aber die Mitfahrer haben die gleiche Geschichte erzählt. Und später hat die Sternwarte Hunderte von Anrufen bekommen, in denen seine Behauptung bestätigt wurde.«

»Ich weiß, wir haben auch einige bekommen«, sagte Paul, »aber das war nur eine der häufigen Massensuggestionen. Hör zu, Margo, ich spreche von einer Aufnahme, die vor einer Woche gemacht worden ist — mit einem lichtstarken Objektiv, das mehr als das menschliche Auge registriert. Dergleichen Unsinn überlassen wir lieber Leuten, die auch an Fliegende Untertassen glauben. Wir haben also ein Foto von Pluto und Umgebung, auf dem drei Sterne ihre Position verändert zu haben scheinen. Aber Pluto nicht! Er war nach wie vor ein schwarzer Punkt.«

»Was ist daran so erstaunlich?«

»Normalerweise wundern die Astronomen sich nicht weiter, wenn Fotografien verschwommen wirken. Daran ist die Erdatmosphäre schuld, die auch das angebliche Glitzern der Sterne verursacht. Aber in diesem Fall war die Erscheinung auf das Gebiet jenseits von Pluto beschränkt.«

»Wie weit ist Pluto entfernt?«

»Fast vierzigmal weiter als die Sonne.«

»Was könnte die Veränderung bewirkt haben?«

»Darüber sind sich die Experten noch nicht ganz einig. Vielleicht ein elektrisches oder magnetisches Feld, das allerdings sehr stark sein müßte.«

»Wie steht es mit den anderen Fotos?« fragte Margo weiter.

Paul schwieg, bis er einen Lastzug überholt hatte. »Die zweite Aufnahme ist vier Tage später von unserem Astro-Satelliten aus gemacht worden. Wieder die gleiche Erscheinung, aber diesmal erheblich größer und in der Nähe von Jupiter.«

»Das heißt also, daß die Ursache näher gewesen sein muß?« meinte Margo.

»Vielleicht. Die dritte Aufnahme, die ich gestern gesehen habe, zeigt eine noch größere Verzerrung um die Venus herum. Aber diesmal hat sich auch die Venus bewegt — sogar erheblich.«

»Als ob die Ursache der Veränderung zwischen ihr und der Erde läge?«

»Ja, zwischen Venus und Erde. Selbstverständlich hätte es sich diesmal um atmosphärische Störungen handeln können, aber die Fachleute sind anderer Meinung.« Paul schwieg bedrückt.

»Du hast vorher von vier Aufnahmen gesprochen«, warf Margo ein.

»Die vierte habe ich heute zu Gesicht bekommen«, sagte er vorsichtig. »Sie ist letzte Nacht aufgenommen worden und zeigt noch größere Verzerrungen. Diesmal reichen sie bis an den Mond, aber der Mond selbst ist nicht davon betroffen.«

»Paul! Der Mann in dem Kabriolett muß die gleiche Erscheinung gesehen haben. Das war am selben Abend.«

»Ziemlich unwahrscheinlich«, wehrte Paul ab. »Mit bloßen Augen sieht man in Mondnähe kaum Sterne. Außerdem sind diese Augenzeugenberichte von Laien nur in seltenen Fällen etwas wert.«

»Aber du mußt doch zugeben, daß alles danach aussieht, als kröche etwas auf den Mond zu«, erwiderte Margo. »Zuerst Pluto, dann Jupiter und schließlich Venus — von Mal zu Mal näher.«

»Augenblick, Margo!« widersprach Paul und hob abwehrend die rechte Hand. »Ich bin selbst auf den gleichen Gedanken gekommen und habe deshalb Van Bruster danach gefragt. Er sagt, daß ein einziges Feld, das sich durch den Raum bewegt, unmöglich für die vier Verzerrungen verantwortlich sein kann. Seiner Meinung nach handelt es sich um vier verschiedene Felder, die nicht miteinander in Verbindung stehen — folglich kann niemand behaupten, etwas bewege sich auf den Mond zu.

Van Bruster ist außerdem keineswegs über die Aufnahmen überrascht. Er hat mir erzählt, daß die Astronomen schon seit Jahren von der Existenz solcher Felder überzeugt sind. Der Beweis dafür, daß es sich dabei nicht nur um eine theoretische Möglichkeit handelt, wird erst jetzt erbracht, weil die neuen lichtstarken Objekte und empfindlichen Emulsionen zuvor noch nicht einsatzbereit waren. Die Verzerrungen sind nämlich nur auf Schnappschüssen zu sehen, während sie auf länger belichteten Platten nicht klar genug herauskommen.«

»Was hat Morton Opperly zu den Aufnahmen gesagt?« fragte Margo.

»Er hat nicht einmal ... Nein, warte, er hat den Kurs der Verzerrungen zwischen Pluto und Mond berechnen lassen. Jetzt sind wir eben am Monica Mountainway vorbeigefahren! Das ist die schöne neue Straße, die nach Vandenberg drei führt, wo Opperly sich im Augenblick aufhält.«

»War der Kurs zwischen Pluto und Mond gerade?« fragte Margo weiter, ohne sich vom Thema abbringen zu lassen.

»Nein, es war ein ziemlich komplizierter Zick-Zack-Kurs.«

»Was hat Opperly dazu gesagt?« erkundigte Margo sich.

Paul zögerte und antwortete dann: »Oh, er hat nur gegrinst und etwas vor sich hin gemurmelt. ›Wenn sie es auf den Mond oder die Erde abgesehen haben, liegt jeder Schuß näher am Ziel‹ — oder so ähnlich.«


Barbara Katz, eine abenteuerlustige junge Dame und eifrige SF-Leserin, schlich unhörbar über den gepflegten Rasen. Sie wich vor dem Licht der Straßenlaternen und dem Strahl des Handscheinwerfers des Polizisten aus und versteckte sich rasch hinter der nächsten Stechpalme, bevor der helle Lichtstrahl in ihre Richtung wanderte. Sie war ihrem Hausgott dafür dankbar, daß sie einen schwarzen Hosenanzug und dazu passende schwarze Stiefel trug — hätte sie eine der jetzt so beliebten Pastellfarben getragen, wäre sie längst entdeckt worden. Sie brauchte sich wegen ihres Gesichts und ihrer Arme keine Sorgen zu machen, denn sie waren dunkel genug, um nicht aufzufallen — und Barbara bei Tageslicht fast als Negerin erscheinen zu lassen. Sie hatte wahrhaftig nichts gegen die Integration zwischen Schwarz und Weiß einzuwenden, aber gelegentlich bedauerte sie doch, daß sie so rasch dunkelbraun wurde, wenn sie in der Sonne lag.

Damit mußte sie sich eben abfinden, hätte ihr Vater vermutlich gesagt, obwohl sie bezweifelte, daß er sich zustimmend über seine tapfere kleine Tochter geäußert hätte, die in Florida auf Millionärsjagd ging. Er wäre bestimmt nicht damit einverstanden gewesen, daß sie außerdem einen Bikini in der schwarzen Tasche mit sich herumtrug, die sie aus dem Flugzeug mitgenommen hatte, ohne lange um Erlaubnis zu fragen.

Der Polizist leuchtete jetzt die Büsche auf der anderen Straßenseite ab. Barbara richtete sich aus ihrer gebückten Haltung auf und schlich geräuschlos über den Rasen, der unter ihren Füßen wie Schaumgummi nachgab. Sie wußte genau, daß sie das Haus vor sich hatte, in dessen Nähe ein Objektiv aufgeblitzt war, als sie kurz vor Sonnenuntergang gebadet hatte.

Um sie herum war es jetzt sehr dunkel, weil die Straßenlaternen zu weit entfernt standen, um noch ausreichend Licht zu geben. Als sie um eine der zahlreichen Buschgruppen bog, stieß sie fast mit einem Mann im weißen Anzug zusammen, der vor einem riesigen Teleskop saß, das auf den Himmel im Westen gerichtet war.

Der Mann stand mit einer ruckartigen Bewegung auf, die deutlich zeigte, daß ein Krückstock daran beteiligt war, und fragte mit zitternder Stimme: »Wer da?«

»Guten Abend«, antwortete Barbara Katz mit ihrer wärmsten Stimme. »Sie kennen mich bereits, glaube ich — ich bin das Mädchen, das den gelben Bikini mit schwarzen Streifen anhatte. Darf ich die Mondfinsternis durch Ihr Teleskop beobachten?«

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