6 Im Finsterwald

Tief im Südlichen Finsterwald lag in einer Hängematte aus Weinranken und Blättern der Herr der Wildnis. Er schloß die Augen und setzte die Flöte ab. Das Licht um ihn her war grün und bernsteinfarben, als wäre der Wald aus dunklem, gewölbtem Glas.

Die Hängematte baumelte zwischen zwei alten Eichen über den Grundmauern einer noch älteren Ruine. Moosbedeckte Steine sprenkelten die Lichtung wie abgenutzte Zähne; es waren die Grundmauern eines kleinen Gebäudes, vielleicht einer kleinen Burg oder einem Kloster, das ohne Zweifel bereits im Zeitalter der Macht verlassen und dem Verfall anheim gegeben worden war.

Vertumnus’ Augen öffneten sich plötzlich. Über ihm in den Zweigen der alten Eiche hockten zwei Dryaden, die ihn erstaunt anstarrten.

»Du hättest ihn töten können!« zischte die kleinere der beiden, deren schwarzes Haar zu einer langen Schlinge geknotet war. Ihre Stimme klang voll und boshaft, wie der Wind, der in tote Blätter fährt.

Vertumnus antwortete nicht. Langsam faltete er die Hände über seiner Brust, und einen Augenblick sah er aus wie die Statue eines aufgebahrten Königs, still und königlich und undurchschaubar. Die Dryaden über ihm rutschten unruhig herum, und die Große krabbelte so geschickt wie eine Spinne im Netz am Rand der Hängematte entlang, bis sie neben dem grünen Mann ruhte und sich an ihn kuscheln konnte. Sie vergrub ihr Gesicht im grünen Dickicht seines Barts.

»Ich weiß, du willst ihn nicht töten«, flüsterte sie verführerisch. Ihre Stimme klang wie Flötentöne, und ihre Berührung war leicht wie das Flattern eines Flügels. »Und uns ist das egal. Aber hänsel ihn und verwirr ihn und schick ihn ganz konfus zurück zu seinen eidtreuen Brüdern. Tu es! Tu es jetzt!«

Vertumnus lachte, und der Wind pfiff durch sein Lachen.

»Ihr seid so blutrünstig wie Klesche, euer ganzer eichenbewohnender Haufen«, grollte er. »Und so dumm und stur wie Elstern.«

Blätter raschelten, als er die Dryaden fortschickte.

»Fort mit euch! Es ist Morgen und damit Zeit für mich zu schlafen.«

Er streckte sich, und die Dryade an seiner Seite krabbelte von der Hängematte hinunter auf die trockenen Blätter des Waldbodens. Sie zog einen Schmollmund und starrte den grünen Kerl an, der in den Zweigen über ihr eindöste und dessen Stimme voll fremdartigem Zauber war.

»Du bist keiner von uns«, klagte sie ihn an. »Noch nicht. Und keiner mehr von ihnen, auch wenn du dich vielleicht nach den Tagen von einst sehnst.«

Vertumnus lachte nur und drehte sich in der Hängematte um. Er schüttelte den Kopf, so daß Eicheln durch die verknüpften Schlingpflanzen regneten, und einen Moment lang schimmerte die Luft von tausend wirbelnden Flügelchen. Mit glitzernden, schwarzen Augen und warmem, aber unlesbarem Blick sah er belustigt die Dryade an.

»Wer bist du, kleine Evanthe, daß du sagen willst, wonach ich mich sehne und was ich mir wünsche?«

Irgendwo aus den dicken, ausladenden Lärchenzweigen flog eine große Eule mit einem Zweig mit knallblauen Beeren im Schnabel herunter. Sie setzte sich auf die Befestigung der Hängematte. Vertumnus zwinkerte der Eule zu und warf noch einen ironischen Blick auf die eingeschnappten Nymphen unter sich.

»Und jetzt«, gähnte er, »trollt euch in eine Eiche, damit meine Freundin und ich schlafen können, denn wir wollen die weisen Träume der Nachtschwärmer träumen.« Vertumnus zog eine Augenbraue hoch, drehte sich zu der Eule um und winkte den Nymphen noch einmal – diesmal ungeduldiger.

Die verärgerten Dryaden glitten mitten in den Wald, wobei sie sich noch zweimal nach diesem unbeeinflußbaren, grünen Mysterium ihrer Heimat umsahen.

»Du wirst nie einer von uns sein!« schrie die kleinere spöttisch. »Auch wenn du grün wie ein Schößling bist, wie ein Sommerlauch, wirst du nie wie wir sein, Herr der Wildnis!« Dann verschwanden die beiden im Dämmerlicht des Waldes.

Vertumnus lächelte und schloß die Augen.

»Diona«, flüsterte er, während er die Flöte an die Lippen setzte, »du hast keine Ahnung, wie wenig mir das ausmacht.«

Heiter blickte der grüne Mann in das dunkle Dach des Waldes hinein. Er setzte die Flöte an, nahm sie jedoch wieder runter, um zuerst ein paar beruhigende Worte an die Eule zu richten. Seine Stimme klang wie Pfeifen und leises Heulen und wie das Streichen des Windes durch die höchsten Äste, und dann machte der große Vogel es sich im flutenden Dickicht seiner Haare bequem. Vertumnus setzte die Flöte wieder an, woraufhin die anderen aus den Schatten kamen: Nachtigall und Falke, Elch und Eichhorn und Fledermaus und ein bernsteinäugiger Luchs.

Langsam begann der Herr der Wildnis mit der gemessenen, neunten Weise, die die Barden das Lied des Branchala nennen. Die überraschte Eule schlug mit den Flügeln, als in der Hängematte des Mannes neue Blätter sprossen. Obwohl Welt und Wetter um ihn her noch im zähen Griff des Winters hingen, war plötzlich Hochsommer.

Vertumnus spielte, bis Blumen um ihn her aufkeimten und blühten und ihre dünnen, hohlen Stengel durch seinen Bart und sein Haar schoben. Rasch wechselte er zur zehnten Weise, dem heiteren, lispelnden Lied von Mater, und in der Luft wehten süße Düfte. Auf den Zweigen über ihm nickten die Singvögel, die von den lieblichen Düften verführt wurden, und begannen allmählich mitzusingen – wie in dem Nebel auf der Solamnischen Ebene.

Die Augen des grünen Mannes blitzten vor Vergnügen. Denn als nächstes kam die elfte Weise, das Solinarische, das Lied vom Weißen Mond, der die Visionen schenkt. In ganz Ansalon spitzten sich die Ohren, sah man in die Luft, wenn leise und fast unmerklich die Töne aus dem Südlichen Finsterwald in die Welt hineinklangen.

Behende tanzten die grünen Finger über den Leib der Flöte, den man kaum noch sah, als die Musik schneller wurde. Vertumnus blickte zu dem grauen Fleck Morgenhimmel über sich auf, den man durch das schleierhafte Netz der Zweige sehen konnte, und sah zu, wie er langsam vom weißen Gesicht Solinaris ausgefüllt wurde.

Die Augen von Vertumnus blitzten auf. Der Tanz begann. Jetzt verdunkelten die Zweige nicht länger den Himmel, denn im Bann der Musik und des Lichts schienen sie zu einem Narbengewirr auf der Haut eines grandiosen Mondes zu schrumpfen.

Die schimmernde Oberfläche des Kreises wurde grün, während Vertumnus spielte, weil sie von einem fernen Himmelssturm verdeckt wurde. Die Wolken wirbelten und brodelten schweigend, bis aus ihrer Mitte Bilder erwuchsen, die die Oberfläche des Mondes bevölkerten.

Es war wie ein Wunder, wie eine Szene, die lebendiger war als eine Erinnerung, aber weniger lebendig als ein Anblick. Über die Oberfläche von Solinari trotteten ein Dutzend Zwerge von einem unsichtbaren Fels zum nächsten.

Vertumnus verdrehte die Augen und spielte weiter.

Zwei von den Zwergen unterbrachen ihren geisterhaften Weg, wodurch ihre Schatten auf die Lippe des Mondes fielen. Sie sahen sich an, schnüffelten und schüttelten verwirrt den Kopf, als wollten sie etwas aus dem Ohr bekommen.

Vertumnus lächelte, ohne seine Lippen vom Mundstück der Flöte zu nehmen. So war es immer: Die Musik erreichte sie wie ein störender Gedanke, etwas Flüchtiges, an das sie sich nicht mehr erinnern würden, sobald sie es nicht mehr hörten. Aber das Lied von Solinari war ein Lied der Veränderung. Wer es hörte, wurde von der Musik verändert – jedenfalls wenn er zuhörte. Mancher veränderte sich kaum merklich, mancher von Grund auf, aber jeder, der Ohren hatte zu hören, wurde irgendwo im tiefsten Inneren seines Herzens berührt, und die Musik würde ihn nie mehr loslassen.

Die Zwerge verschwanden so rasch, wie sie aus den Wolken vor dem Mond aufgestiegen waren, und an ihrer Stelle ritten drei Ritter vorbei, die sich gegen den scharfen Winterwind einen Schal vor das Gesicht gebunden hatten.

Einer von ihnen trug keine Kopfbedeckung. Seine dunklen Haare waren von Grau durchzogen. Er zügelte sein Pferd an einem schneebedeckten Lärchenwäldchen. Halb versteckt im Schatten der Nadelbäume und im unsteten Licht des Mondes wandte er sein Gesicht dem Himmel zu, um konzentriert der Musik zu lauschen.

Etwas an seiner Art wirkte vertraut… doch, vertraut…

Aber bevor Vertumnus genauer hinsehen konnte, war er im grünen Tumult von Wolken vor dem Mond verschwunden. Da setzte Vertumnus die Flöte ab, und plötzlich war es, als wäre ein Wind über die Oberfläche von Solinari gefegt, so silbern blitzte der Mond auf…

Dann begann er plötzlich und übergangslos abzunehmen.

Vertumnus schüttelte traurig den Kopf, wobei seine langen, grünen Locken vor Tau trieften. Jetzt mußte er den Jungen wiederfinden, bevor der Mond zum Halbmond und zur Sichel wurde und dann ganz in die Dunkelheit abtauchte. Er mußte den finden, der ihn bis zum ersten Frühlingstag beschäftigen würde. Kurz und lustig spielte er einen einfachen Tanz aus der neunten Weise, so einfach, daß kaum Zauberei daran war. Die Dryaden, die das Lied in ihrem Bau tief im Wald gehört hatten, kamen aus den Bäumen zu ihm und zogen Eichenblätter und ein seltsames, silbernes Licht hinter sich her.

»Es gibt viel interessantere Tänzer, Vertumnus«, drängte Diona.

»Einer von den Rittern«, meinte Evanthe abwertend. »Selbst ein paar Zwerge wären unterhaltsamer.«

Vertumnus spielte, als ob er sie nicht hörte. Sturm sah vielleicht wirklich wenig vielversprechend aus, ein einzelner, phantasieloser, junger Mann, der von Brauchtum und Sitte gebunden war. Was die Nymphen nicht wußten, war, wie sehr dieser Feuerklinge ihn beschäftigte – wie der Zwischenfall beim Julfest Vertumnus monatelang aufgestört hatte. Es war Zeit, daß der Junge eine schwierige Lektion lernte, über Blut und Geduld und über den Betrug, der im Herzen seines geliebten Ordens schimmerte. Da er keinen Vater mehr hatte, hatte Vertumnus es übernommen, ihn das zu lehren.

Evanthe hatte vorhin recht gehabt. Vertumnus hätte Sturm Feuerklinge einmal, zweimal, vielleicht viele Male töten können. Denn das dunkle Wesen, das dem Jungen auf der nebelverhangenen Ebene gefolgt war, das keinem Menschen und nur wenigen Göttern gehorchte, tanzte nach der Musik von Vertumnus. Es hatte sich dem Jungen genähert, hatte ihn fast überwältigt, doch im letzten Moment hatte der grüne Mann es nach Norden gerufen, nach Kalaman und in die Bucht dahinter.

Es war zu früh für dunkle Wesen, zu früh, um den Jungen so schwer zu prüfen. Es würden noch genug Gefahren auf ihn zukommen, vielleicht auch der Tod. Aber jetzt noch nicht, denn der Tanz hatte erst begonnen. Und bis zum Frühling waren es noch vierzehn Tage.

Im Nebel und im Mondlicht suchte Vertumnus rasch nach Feuerklinge. Wie ein Wind wehte die Musik über die Ebene, kreiste über Burg Vingaard, bis Burg Thelgaard den großen Fluß hinunter und suchte ganz Solamnia ab, bis…

Bei den letzten, feierlichen Tönen der Melodie löste sich der Nebel vor einer alten, verlassenen Burgruine auf. Vertumnus’ dunkle Augen wurden groß.

Die Dryaden tauschten undurchschaubare Blicke aus.

»Da ist er, Evanthe«, flüsterte Vertumnus. Der Rest des Nebels verflog, und da saß Feuerklinge unsicher auf seinem ausgepumpten Pferd. Verängstigt vom Nebel, vom Feuer und von dem halsbrecherischen Ritt wirkte er geschrumpft und klein in der grotesken Rüstung von Solamnia.

»Geradezu mitleiderregend«, sagte Diona, deren dunkle Hand auf der Schulter des grünen Mannes lag.

»Für mich nicht«, antwortete Vertumnus, in dessen Stimme ein letzter Hauch Winter lag. »Meine Zweige kennen kein Erbarmen.«

So sahen er und die Eule und die Dryaden zu, wie der Junge durch die baufälligen Tore von Kastell di Caela ritt.

»Du kennst diesen Ort, Herr der Wildnis?« flüsterte Evanthe dem grünen Mann neckisch ins Ohr. Vertumnus lächelte, antwortete aber nicht.

Sturm stieg ab und führte die Stute über die bemoosten Steine des Hofs, an Ställen und verfallenen Häusern vorbei, zu den Mahagonitüren der eigentlichen Burg. Sie waren verwittert, aber noch intakt. Mit einiger Kraft gelang es dem Jungen, die Tür aufzustoßen.

»Ist stark, dein Tänzer!« spottete Diona. Vertumnus legte seinen langen, grünen Finger an ihre Lippen, und die Dryade wich zurück.

Jetzt ging der Junge hinein, und das Mittagslicht erhellte kurz die Dunkelheit der Burg.

»Jetzt ist er in der großen Halle«, murmelte Vertumnus, »mit den Wandbehängen, den goldenen Vögeln und dem Marmorgeländer.«

»Erzähl uns davon«, flüsterte Evanthe. »Erzähl, Vertumnus.«

Der Herr der Wildnis schloß die Augen und hob die Flöte an die Lippen. Etwas Heiteres, vielleicht mit ein bißchen mehr Zauber, oder etwas durchdringend Helles…

»Vertumnus! Sieh!« zischte Diona. Er schlug die Augen auf, als eine schattenhafte Gestalt wie ein unerwünschtes Gespenst in einem Traum über den fernen Hof lief. Der Mann, der Mantel und Kapuze trug, huschte von Schatten zu Schatten und drückte sich an den Mauern entlang. Er kam an die große Mahagonitür der Burg, legte die Hand daran…

… und schlug sie plötzlich mit Gewalt zu, um sie dann mit einem Dolch zu verschließen. So schnell, wie sie gekommen war, schlüpfte die Gestalt wieder davon, und aus der Burg kam ein gedämpftes Geräusch, als der Junge verzweifelt und hilflos gegen die verschlossene Tür schlug.

Vertumnus legte sich wieder in die Hängematte. Seine Flöte schwieg, als seine Finger ziellos darüber tanzten.

»Dieser Mann«, überlegte er, »der mit der Kapuze…«

Mit erfreutem Lächeln drehte er sich zu Evanthe um.

»Ich kenne ihn! Ich habe seinen Gang erkannt, seine Bewegungen.«

Lachend wuschelte er den Dryaden durch die Haare und scheuchte sie spielerisch aus der Hängematte.

»Geht zur Fürstin, Evanthe! Diona! Sagt ihr, der Tanz ist noch viel interessanter geworden!«

Und als die Nymphen durch den dichten immergrünen Wald davonliefen, sprang Vertumnus aus der Hängematte und schüttelte den Nebel aus seinen langen, grünen Locken. Er steckte die Flöte in den Gürtel und kletterte vom Baum. Eine lange Reise lag vor ihm, aber sie war kurz im Vergleich zu der Straße, die er vor sechs Jahren betreten hatte.

»Bonifaz!« flüsterte er. »Bei allen Glücks- und Unglückssternen, Fürst Bonifaz Kronenhüter von Nebelhafen! Er führt etwas im Schilde. Jetzt wird die Musik schneller.«

Bonifaz wandte sich von der Burgtür ab und schüttelte den Kopf, um das komische Summen aus den Ohren zu verbannen.

Jetzt war er zufrieden. Äußerst zufrieden. Denn jetzt war der neugierige Junge im Turm eingesperrt.

Es hatte ihm alles an Reitkunst abverlangt, um vor Sturm Feuerklinge in der Burg anzukommen. Er war in den dunklen Ställen abgestiegen und über den Hof gehuscht. Es war ihm gerade so eben gelungen, alle Türen der Burg zu verschließen, damit der Junge, wenn er erst einmal drinnen war, unmöglich wieder herauskam. Im ganzen Erdgeschoß des tausend Jahre alten Turms waren die Türen nicht mehr zu öffnen. Und allein die Höhe der oberen Fenster verhinderte ein Herauskommen durch sie.

Bonifaz seufzte, während er Luin zu einem Trog mit Regenwasser führte, aus dem die kleine Stute geräuschvoll trank. Das Schlürfen der Stute überdeckte das Hämmern und Rufen an der dicken Tür und das unnatürliche Mückengesumm in der Winterluft.

Es war keine besonders angenehme Aufgabe, Jungen in Türme einzusperren. Höchstwahrscheinlich würde Sturm verhungern, und selbst wenn er mit viel Glück entkommen konnte, würde er lange genug von seiner Verabredung im Wald abgehalten werden, damit seine Ehre – wie hatte es der grüne Mann ausgedrückt? – »für immer dahin« war.

Deswegen war es aber nötig geworden, sagte sich Bonifaz, als er Luin zu dem dunklen Stall führte. Es war nötig geworden, weil Sturm durch sein Fragen nach seinem Vater womöglich die Wahrheit über die Belagerung von Schloß Feuerklinge herausbekommen hätte. Er war zu jung, um jene Wahrheit zu verstehen, wie Angriff das Leben des Ordens bedroht hatte.

Bonifaz lehnte seine Stirn an die warme Flanke des Pferdes, während er sich erinnerte. Er erinnerte sich, wie Angriff voller Visionen aus Neraka zurückgekehrt war, seine Seele zutiefst in Gefahr. Sofort war allen die Veränderung an dem Mann aufgefallen, wie seine Schwertkunst erblüht war, wie er erfahrener, kühner und einfallsreicher geworden war. Damals hatten sie ihn Feuerklinge getauft.

Irgendwie hatte es sie etwas, hm, verunsichert. Schließlich war Angriff damals frisch verheiratet gewesen und sein Vater, Lord Emelin, erst vor kurzem zu Huma gegangen. Die Obhut für Schloß Feuerklinge war an Angriff gefallen. Man hätte einfach gedacht, daß er, hm, traditionsbewußter wäre.

Bonifaz zuckte mit den Achseln und lehnte sich an die Tränke.

Angriff war allen ein Rätsel gewesen. Ein ewiges Rätsel. Wie damals im Garten kurz nach seiner Rückkehr, als die beiden einen engen, blumengesäumten Weg entlangspaziert waren, Bonifaz ein Stück hinter ihm, und die Luft erfüllt vom Gezirpe der Finken und Sperlinge.

Bonifaz war um einen Busch getreten und hatte gesehen, wie sein Freund sich gebückt und mit dem Handschuh vorsichtig die Blütenblätter einer silbriggrünen Rose berührt hatte. Es war, als wäre Angriff, hm, einen Moment abwesend gewesen, als hätte in der Blume etwas verborgen gelegen, an das er sich verzweifelt erinnern wollte.

Bonifaz hatte dagestanden, während sein Freund in Gedanken von ungewöhnlicher Zartheit versunken war und die Maisonne durch die Blätter der Kalvineiche fiel, so daß sie alle – Ritter, Pfad und Silberblume – in ein eigenartiges Grün getaucht waren. Das war kaum ein Ort für verquere Gedanken gewesen.

Aber Bonifaz hatte, wenn auch halb unbewußt und rein taktisch, gedacht, daß das ein passender Platz für einen Hinterhalt wäre.

Er war erschauert und hatte den dunklen Gedanken abgeschüttelt.

Wenn Bonifaz jetzt daran dachte, lächelte er. Er war wirklich sehr jung gewesen, an jenem Tag im Garten.

Dennoch waren seine Gedanken wieder abgeschweift, zu der Rose, die Fürst Angriff in der Hand hielt und zu anderen, freundlicheren Gedanken. Aber plötzlich hatte Angriff das Schwert gezogen und sich aufgerichtet. Er hatte um eine Wegbiegung gesehen unter einen Nadelstrauch, war herumgewirbelt und zu dem wunderschönen Eisenpavillon auf der Terrasse in der Mitte des Gartens gelaufen. Seine Schritte hatten unsicher und abgelenkt gewirkt. Dann hatte er sich an den verschnörkelten Eingang des kleinen Bauwerks gelehnt, als hätte ihn unvermittelt eine seltsame Krankheit befallen.

Da hatte Bonifaz die Diener gerufen, weil er glaubte, er würde Hilfe brauchen, um Angriff zur Krankenstation zu tragen.

Die Diener waren sofort angelaufen gekommen, doch bis dahin hatte sich Angriff wieder gefangen und war ganz bei sich gewesen. Er hatte Bonifaz’ stützende Hand zur Seite geschoben und den Männern befohlen, den Garten zu durchsuchen. Die waren bald zurückgekommen, um den Rittern zu versichern, daß das Gelände sicher sei.

Dann hatte Angriff sich erschöpft zu ihm umgedreht.

»Tut mir leid wegen dieses unwürdigen Auftritts, Bonano«, hatte er gesagt. Bonifaz haßte den Kosenamen seiner Kindheit. »Aber als ich mich bückte, um diese Silberrose zu bewundern, da überfiel mich plötzlich eine Veränderung in den… Energien des Gartens. Das ist es, was man in Neraka lernt, angesichts der Räuber mit ihren Schwertern. Da müssen Herz und Schwertarm lernen, die Absichten der Feinde zu spüren. Ich habe es jetzt hier im Garten gespürt«, hatte er gesagt. »Und ich habe nur dich gesehen. Nicht einmal ein Eichhörnchen oder einen Hund.«

Angriff hatte gegrinst und sich müde die dunklen Haare zurückgestrichen. »Ich bin wohl erschöpfter, als ich dachte«, hatte er schließlich eingeräumt.

Dieser Augenblick war für Bonifaz wichtiger als alle Aufsässigkeiten, alle Respektlosigkeit beim Turnier oder bei den Ratssitzungen gewesen. Im Laufe der Jahre war er in der Erinnerung immer eindrucksvoller geworden. Das hatte Angriffs Zukunft für Bonifaz besiegelt. Darum mußten die Feuerklinges für immer verschwinden.

Und darum mußte logischerweise auch der Junge verschwinden.

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