19 Der Traum der Lerche

Sturm dämmerte halbwach vor sich hin, als der Karren tiefer in den Wald fuhr. Wenn er die Augen aufschlug, sah er ein dunkelgrünes Blätterdach und glaubte, es wäre Nacht. Er mußte den Tag verschlafen haben.

Aber wohin fuhr er? Und von wo? Er konnte sich nur noch vage an die Ereignisse des Morgens erinnern – irgend etwas mit einem laufenden Baum, einem bewaffneten Gegner. Auch an Vertumnus erinnerte er sich, und es tauchte immer wieder ein unklares Bild um ihn auf, wie Jack Derry auf einem Streitwagen aus Weidenholz auf eine Lichtung gefahren war.

Umwölkt von Grün und Fieber, döste er wieder ein. Seinen Schlaf störten nur irgendwelche Liedfetzen, ein fernes Lied ohne Echo, gedämpft, als käme es aus dem Inneren einer Lampe oder einer Flasche.

Mit geschlossenen Augen lauschte er einen kurzen Moment. Rastlos lief der Schatten einer kupferroten Spinne vor seinem inneren Auge herum, wie ein Bild, das einer Lichtflut folgt. Er dachte an Cyren, dann an Mara, doch die Gedanken versanken wieder in Finsternis und Schlaf, und der Nachmittag war von Träumen erfüllt, an die er sich nie erinnern würde.


Plötzlich war das Bett im Karren von Licht überströmt. Sturm blinzelte, holte erschrocken Luft, versuchte, sich aufzusetzen, und kippte gelähmt vom Fieber wieder um. Starke Hände machten sich an ihm zu schaffen, dessen war er sich sicher, und das Licht über ihm wurde schneller, wie es so durch die Blätter und Nadeln fiel, und die Luft war augenblicklich frisch und voller Pinienduft.

Einmal vermeinte er, Jack Derry über sich stehen zu sehen, aber die Luft war so grün und grell, daß er sich nicht sicher war. Zweimal hörte er Gesprächsfetzen, die von den Dryaden stammen mußten, denn die Stimmen waren hoch, rein und musikalisch wie der Klang von gläsernen Windpfeifen.

»Stirbt er?« fragte die eine, und »Ach, was«, antwortete die andere.

Dann erschrak er und versuchte vergeblich, sich zu bewegen. Denn wer sich über ihn beugte, war die Druidin Ragnell, die nach Kräutern und Torf roch. Ihr runzliges Gesicht war ein einziges Rätsel.

Sie haben mich nach Dun Ringberg zurückgebracht, dachte Sturm, dessen Angst und Zorn mit dem Fieber stiegen. Aber das Gesicht über ihm verschwamm, als wenn es von aufgestörtem Wasser gespiegelt wurde, und als es wieder klar wurde, war es schön und dunkel und grünäugig, das Gesicht einer höchstens vierzigjährigen Frau, deren schwarzes Haar von einem glänzenden Stechpalmenkranz gekrönt war.

Sturm sah in den Tiefen ihrer Augen die Lady Ilys, aber es war nicht Ilys. Trotz seines Fiebers wußte er das genau. »Laßt uns anfangen«, flüsterte sie, und hinter ihr begann ein ganzer Vogelschwarm zu singen.


Der ruhige Teich vor Sturm kräuselte sich von einem Windhauch, und der Baum öffnete sich um ihn herum, um eine Art rustikalen Stuhl anzubieten, damit er ruhig und ungestört schlafen konnte.

Schwatzend, die dünnen Röcke über die Knie hochgehoben, tanzten die Nymphen in den Wald hinein und ließen den verwundeten Solamnier mit den anderen dreien zurück. Ob Lady Hollis’ Heilkünste erfolgreich sein oder fehlschlagen würden, war ihnen gleichgültig, nachdem das großartige Schauspiel des Zweikampfes zwischen Ritter und Baumriese seinen spektakulären Schluß gefunden hatte.

Und sie haßten Lady Hollis, die verschrumpelte, alte Druidin, die drüben in Dun Ringberg unter dem Namen Ragnell bekannt war und die nach ihren Angriffen auf solamnische Schlösser vor gut sechs Jahren eine kleine Berühmtheit geworden war. Aus unerfindlichen Gründen hatte der Herr der Wildnis sie als Braut erwählt.

Diona, die nie so recht glauben konnte, wie dumm die Menschen waren, drehte sich noch einmal um, bevor Vertumnus hinter einem Dickicht blauer Ewigkeitsbäume überhaupt nicht mehr zu sehen war. Sie legte die Hand an ein kleines Bäumchen, teilte die Zweige und spähte auf die Lichtung. Einen Augenblick glaubte sie besorgt, daß die Druidin unglaublich jung aussah, daß ihre Haare schwarz und ihr Rücken geschmeidig und gerade war.

Evanthe rief nach ihr, so daß die kleinere Nymphe anmutig kehrtmachte und in den Wald lief. Die Zweige des Ewigkeitsbaums, die sie berührt hatte, waren plötzlich über und über mit weißgoldenen Blüten bedeckt.

Natürlich sahen weder Vertumnus noch Jack Derry, die in der Lichtung neben der Druidin standen, wie alt die Frau war, die anmutig neben dem verwundeten Jungen kniete. Ihre makellosen Züge waren besorgt verzogen.

»Kannst du ihn retten, Mutter?« fragte Jack Derry, worauf die Frau ihn ansah.

»Es war richtig, daß du ihn so schnell zu mir gebracht hast«, stellte sie fest. »Du hast deine Sache gut gemacht, mein Sohn. Jetzt sind dein Vater und ich an der Reihe.«

»Du hast durch den Blitz also Frieden gefunden?« fragte Jack, dessen Stimme vor Sorge zitterte.

»Es gibt Zeiten«, entgegnete die Druidin, »wo das Gesetz sich dem Mut und dem Herzen beugt. Der Baumhirte wird heilen, und das Gesetz wird überleben.«

Sie lächelte Jack zu und widmete sich wieder Sturm. Jetzt breitete sie die Arme über ihm aus, so daß ihr Mantel ihn ganz umgab. »Bringt erst die Eule her«, flüsterte sie.

Der Vogel zwinkerte, hüpfte Vertumnus von der Schulter, breitete die Flügel aus und glitt lautlos durch die Lichtung, um in den Zweigen über dem Bewußtlosen Platz zu nehmen.

»Jetzt«, hauchte Hollis. Vertumnus hob die Flöte an die Lippen. Zuerst vorsichtig, dann immer spielerischer und frecher begleitete er das Lied der Eule mit einer eigenen Melodie. In den Pausen tanzten seine Finger nur so über das Instrument. Hollis hob dem Schlafenden eine schwammige, gelbe Masse aus Flechten an die Nase, und über Vertumnus formte sich ein seltsamer Wirbel aus Nebel und Licht in der Luft zu einem blauen Zeichen für Unendlichkeit, als der erste der drei Träume zu Sturm kam und die Heilung begann.

Er träumte, er läge in den nebelverhangenen Zweigen einer Eiche.

Sturm holte tief Luft und runzelte die Stirn. Er sah sich nach Vertumnus um, nach Ragnell oder Mara oder Jack Derry. Aber er war allein, und selbst von seinem luftigen Aussichtspunkt gute vierzig Fuß über dem Waldboden sah er nichts als Grün und Nebel.

Er war in Grün gewandet, in eine aus Gras und Blättern gewebte Tunika.

Irgendwie wußte er, daß dies nicht der Finsterwald war.

»Und außerdem«, flüsterte er, »weiß ich irgendwie, daß ich gar nicht wach bin.«

Rasch sprach er das Elfte und das Zwölfte Gebet, um vor Hinterhalten im Land der Träume geschützt zu sein, und kletterte vorsichtig vom Baum. Auf halbem Wege, an einem schwierigen Stück, hängte er sich an einen dicken, festen Ast und ließ dann – im Vertrauen auf die merkwürdige körperliche Sicherheit im Traum – einfach los.

Er hatte recht. Von einem warmen Wind getragen, sank er auf das trockene Gras und die Tannennadeln, als wäre er in Wasser eingesunken. Zu seinem Erstaunen trug er wieder seine geerbte Rüstung, Schild und Schwert.

»Was ist denn das für eine Lektion?« fragte er laut. Denn die alten Philosophen meinten, daß Träume Fragen beantworteten. Schnell sah Sturm sich nach Omen um, nach dem Eisvogel, der eine Erhebung in den Orden bedeutet, nach Schwert oder Krone.

»Grün«, befand er und setzte sich schwerfällig an einen Eichenstamm. »Nichts als Grün über Grün und immer nur Grün.«

Er stützte sein Kinn in die Hände, worauf urplötzlich ein Pferd hinter einem dicken Wacholderstrauch wieherte. Hellwach, das Schwert gegen mögliche Monster und Feinde und alle Traumdiebe erhoben, jagte Sturm wie der Wind dem Geräusch entgegen… und die Zweige glitten an ihm vorbei und durch ihn hindurch, ohne daß er etwas spürte.

Er stand am Rand einer Lichtung unter großen, behauenen Felsentürmen. Die Mauern um die einschüchternden, schwarzen Steingebilde formten ein gleichseitiges Dreieck, in dem an jeder Ecke ein kleiner Turm wie ein drohender, schwarzer Bienenstock herausragte.

»Wayreth!« flüsterte Sturm rauh. »Die Türme der Erzmagier!« Es stand geschrieben, daß nur Eingeladene zu ihnen vordringen konnten.

»Aber warum?« fragte Sturm. »Was soll ich im Zaubererland?«

Da hörte er die Stimmen, sah Caramon und Raistlin aus den Bäumen reiten und unsicher vor den Türmen halten. Ihre braunen Pferde tänzelten nervös. Sie waren so weit weg, daß er sie weder verstehen noch ihre Gesichter sehen konnte. Aber eine leise, tiefe Stimme raunte Sturm etwas zu, als würde ihm ein altes Minnelied, eine Sage oder ein Märchen vorgelesen.

Er fuhr herum und sah den Herrn der Wildnis, der zurück auf die Türme und die Zwillinge deutete und mit der Geschichte fortfuhr.

»Die legendären Türme der Erzmagier«, sagte Raistlin und musterte sie ehrfürchtig.

Die drei hohen Steintürme glichen Skelettfingern, die sich aus einem Grab emporstreckten.

Vorsichtig und widerstrebend wandte sich Sturm wieder der Traumszene zu, die sich zu Vertumnus’ Erzählung auftat. Während der Herr der Wildnis sprach, sah Sturm Caramon und Raistlin zu den Worten des grünen Mannes den Mund bewegen.

»Wir können immer noch umkehren«, krächzte Caramon mit heiserer Stimme.

Raistlin sah seinen Bruder erstaunt an.

Raistlin drehte sich zu Caramon um. Sturm schüttelte heftig den Kopf, um ihn irgendwie von Spinnweben und Träumen und dunklen Einflüsterungen zu befreien.

Zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, fuhr Vertumnus fort, erlebte Raistlin, daß Caramon Angst hatte. Der junge Zauberer empfand eine ungewöhnliche Gefühlsregung – Wärme breitete sich in ihm aus. Er streckte seine Hand aus und legte sie auf den bebenden Arm seines Bruders. »Hab keine Angst«, sagte Raistlin. »Ich bin bei dir.«

Caramon sah Raistlin an und lachte nervös auf. Dann spornte er sein Pferd wieder an.

Wie durch die Worte gelenkt, drehten sich Caramon und Raistlin automatisch um und redeten, und als Vertumnus weitersprach, ging Raistlin hinein und verschwand. Den zitternden Caramon ließ er am Tor des Turms zurück.

Sturms Herz fühlte mit Caramon, der allein am Rand des Mysteriums wartete. Ohne den Zwilling lag die Hälfte des großen Kriegers im Schatten begraben.

»Er… er ist wie eine fadenscheinige Flagge!« flüsterte Sturm, und neben ihm nahm Vertumnus das Erzählen wieder auf. Irgendwann trat Raistlin aus dem Turm in das Traumlicht, und Caramon stand auf, um ihn zu begrüßen. Das war nicht mehr Raistlin, sondern ein verrenkter, gebrochener Mann, der seine Hand hob, mit den Daumen auf seinen sich nähernden Bruder zeigte… und…

Die Magie jagte durch seinen Körper und flammte aus seinen Händen hervor. Er beobachtete, wie das Feuer flackerte, wie es einen Ring bildete und Caramon einzingelte.

Sturm schrie auf und bedeckte seine Augen. Das konnte nicht sein! Das konnte auch keine Prophezeiung sein! Raistlin und Caramon waren in Solace. Niemand würde sie nach Wayreth schicken, wenn Wayreth sie überhaupt aufnehmen würde.

Und Raistlin. Raistlin würde doch nie…

Vertumnus legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Keine Angst, Sturm«, flüsterte Vertumnus, als er Sturms Arm ergriff. »Ich bin bei dir. Versteck dich nicht vor mir.«

Sturm wollte sich losreißen, doch der Herr der Wildnis hielt ihn nur noch fester.

»Verstehst du, Sturm?« flüsterte Vertumnus, dessen Atem nach Zedernholz roch. »Verstehst du jetzt?«

Dann merkte Sturm, wie er sich hob. Die Zweige teilten sich vor seinem Flug, und plötzlich trug ihn eine frische, kühle Brise in den Herbsthimmel, wo über ihm das blaue Zeichen für Unendlichkeit funkelte, bis er in einen kurzen, traumlosen Schlummer fiel.»Jetzt schicken wir ihm den zweiten Traum«, drängte Hollis, die sich die schwarzen Haare aus dem dunklen Gesicht strich. »Denn jetzt wird der Junge leben. Da bin ich sicher. Er hat sich aus dem Dickicht des Todes erhoben, und jetzt wird er leben. Die Raben werden entscheiden, wie.«

Die Raben waren während des ersten Lieds und Traums leise krächzend über ihnen gekreist. Jetzt saßen die drei Vögel vieldeutig auf den Zweigen eines riesigen Vallenholzbaums. Sie waren so groß wie kleine Hunde und krächzten ihr Lied so trocken, als würden sie es am liebsten überhaupt nicht singen. Hollis legte dem Jungen ein anderes Heilkraut, diesmal eine graue Lotusblume, an die Lippen, und bei der Berührung und dem Geschmack erschauerte er. Einen Augenblick schien es, als würde eine gehörnte Streitaxt über Sturm schweben, die unbarmherzig auf Schuldige wie Unschuldige herniederfahren würde. In diesem bedrohlichen Licht ließ sich Sturm zum Lied der Raben vom zweiten Traum gefangennehmen.

Diesmal war er im Turm des Oberklerikers auf den Zinnen und blickte auf den Hof.

Sturm schwebte im Rauch der Lagerfeuer über den Soldaten. Denn im Turm lagerten Soldaten, die sich an die Mauern drängten, welche sie vor dem Winter, dem Schnee und etwas anderem beschützten, etwas… das draußen vor diesen Mauern wartete.

So hatte sich Sturm eine Belagerung immer vorgestellt. Er schluckte nervös und trieb von Feuer zu Feuer, immer getragen vom Rauch der Flammen.

Es waren gemeine Fußsoldaten. Manche trugen das Zeichen Uth Wistans, manche das der Merkenins, manche das der Kronenhüter – alles durcheinander. Alle trugen die Zeichen einer geschlagenen Armee. Sie waren vom Schnee durchnäßt, ihre Augen blickten stumpf und gehetzt vor sich hin. Die Ritter streiften wie Viehhüter zwischen ihnen hindurch, ohne daß zwischen Ritter und Soldat ein Wort fiel.

»Was ist das?« rief Sturm dem einen Ritter zu. »Was ist… hat Neraka…«

Ohne ihn zu hören, drehte der Ritter sich um und starrte durch ihn hindurch. Es war Gunthar Uth Wistan, der mit grauen Haaren und grauem Bart fast nicht zu erkennen war.

Was auch geschehen war, er mußte durch die Schlacht um zehn Jahre gealtert sein. Plötzlich wurde es im Hof totenstill. Das Gemurmel der Armee, das Knistern des Feuers und das Geklirr vom Waffenputzen verschwanden, und eine vertraute Stimme erhob sich neben ihm.

Vertumnus stand auf den Zinnen – ausgerechnet in der Rüstung der Blitzklinges! Er war wild und unbändig, ein grüner Angriff Feuerklinge, und Sturm war von der Ähnlichkeit überwältigt. Der Herr der Wildnis zeigte auf den Hof und begann wieder mit tiefer, eindringlicher Stimme zu erzählen.

Während er sprach, trat eine verzweifelte Truppe an den Toren an. Ein grauer Sergeant an der Spitze der Kolonne sah zu den Zinnen hoch, und seine Augen trafen sich mit denen von Sturm, als Vertumnus die unausweichliche, düstere Geschichte erzählte.

Mit den Rüstungen und Schwertern und Spießen sahen sie klein und zerbrechlich aus, als sie sich versammelten, mit den Füßen aufstampften, um die Kälte zu vertreiben, und sich hinter den Rittern auf Pferden aufreihten. In der ersten Kolonne konnte ich Breca ausmachen, da er einen Kopf größer war als die anderen. Einmal glaubte ich, daß er zu dem Fenster aufschaute, an dem ich stand, und ich meinte, die Ausdruckslosigkeit in seinen Augen zu erkennen, trotz der Entfernung…

Denn wenn ein Ausdruck nichtssagend sein kann, ohne Angst, Entsetzen und Hoffnung, wenn er überhaupt nur noch Niedergeschlagenheit und Entschlossenheit enthält, dann war das Brecas Ausdruck und der seiner Gefährten, der aussagt: »Es ist nicht so schlimm, wie ich mir das vorgestellt habe, aber schlimmer, als ich erwartet habe.« Und nichts weiter sagte dieser Ausdruck, während sich die unheilvollen Tore öffneten… »Keine Angst, Sturm«, flüsterte Vertumnus, dessen Augen sich drehten wie Monde, die aus ihrer Umlaufbahn geschleudert wurden. »Ich bin bei dir. Verstehst du, Sturm? Verstehst du es jetzt?«

»Ich… ich glaube«, sagte Sturm in den glitzernden Blick des Herrn der Wildnis. »Nämlich… daß sogar Eid und Maßstab von… von Wahnsinn verraten werden können.«

»Nein«, sagte Vertumnus, dessen Stimme wie ein Flüstern durch Sturms Gedanken ging. »Das ist noch nicht alles.« Wieder lächelte er, doch dieses Mal böser. »Du siehst… Eid und Maßstab sind der Wahnsinn!«

Vertumnus packte Sturm an den Schultern und drehte ihn zu der Armee hin, die sich unter ihnen zusammenscharte. »Das sind die, die der Maßstab umbringt«, flüsterte er eindringlich, als die Soldaten unsicher ihre Waffen ausprobierten. »Das ist das Blut, auf dem deine Ehre schwimmt, es sind die Knochen, auf denen dein Kodex steht. Dieses riesige solamnische Spiel ist immer bei uns, so einfach und vergiftet wie unser eigenes, stolzes Herz!«

So spricht ein Verrückter, dachte Sturm, der aus dem Traum in eine beunruhigende Dunkelheit fiel. Sturm würde nie erfahren, wie lange er geschlafen hatte.»Nun gut«, erklärte die Druidin.

Der Nachmittag war in Abend übergegangen. In der Ferne war der Wald von den Rufen der Nachttiere erfüllt, und über der Lichtung glänzten die ersten Sterne: die grüne Harfe von Branchala und der rote Sirrion, der wie eine brennende Galeere in die Weite des Himmels trieb.

Hollis sah zu Vertumnus hoch. Ihr Gesicht war noch jünger als zu Beginn der Heilung. »Er hat die ersten zwei Träume überlebt. Der dritte ist leicht, wenn er den Willen und den Mumm dazu hat.«

»Keiner von ihnen ist leicht, Hollis«, erwiderte Vertumnus mit merkwürdigem Lächeln. »Du bist nicht aus Solamnia, darum erscheint dir der Traum der Wahl leichter als die anderen. Tatsächlich aber ist es für Sturm der schmerzlichste.«

In der Ferne fing die Lerche zu singen an. Hollis nickte ernst und berührte Sturms Augenlider mit einer Rose, die zwei Blüten hatte – die eine rot, die andere grün wie ein Blatt. Vertumnus begann, auf der Flöte zu spielen, und während er das tat, schob sich der silberne Solinari über die Lichtung und ließ die Blätter des Vallenholzbaums und der Eiche, die Stechpalmenkrone der Druidin und die grünen Locken des Herrn der Wildnis glitzern.

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