20 Der letzte Traum

Das Vogelgezwitscher erklang durchdringend schrill über ihm – Eichelhäher und Sperling, die abfallenden Töne des Rotkehlchens und hoch über allem das Lied der Lerche, das seine Ohren noch verfolgte, als er sich bewegte und der Gesang erstarb.

Sturm setzte sich auf und sah sich um. Er war an dem Ort, zu dem sie ihn gebracht hatten, so viel erkannte er in seinen fiebrigen, unruhigen, wachen Momenten. Da war der Teich, da die Eiche, da die grasbewachsene Lichtung in der Sonne, aber Vertumnus und seine Begleiter waren verschwunden – kein Jack Derry, keine Dryaden, keine Druidin. Sturm lag allein unter der Eiche. Schwert und Rüstung lagen säuberlich neben ihm wie eine leere Schale oder ein verlassener Kokon.

Er streckte die Hand aus und berührte den Brustharnisch. Der bronzene Eisvogel war unnatürlich warm, und er war grün angelaufen, als hätte die Rüstung lange niemand mehr poliert. Nachdenklich zog Sturm den Schild heran. Er zwinkerte, als ihm das vom Staub gedämpfte Sonnenlicht aus der eingedellten Wölbung in die Augen fiel.

Plötzlich hustete jemand hinter ihm. Er zuckte vor Schreck zusammen und fuhr herum.

Am Rand der Lichtung stand Ragnell, deren dunkle Augen ihn fixierten.

»I-Ihr!« rief Sturm und griff nach seinem Schwert. Augenblicklich wies er sich zurecht. Schließlich war sie eine alte Frau, und der Maßstab verbot –

»Meine Absichten sind friedlich«, erklärte Ragnell. »Friedlich, aber lehrreich.«

»Ich… ich war wohl verwundet«, meinte Sturm. Das Licht tat in seinen Augen weh, und die Lichtung verschwamm und drehte sich. »Ich war wohl… wohl…«

Ragnell nickte. »Sieben Tage«, sagte sie. »Du hast eine ganze Woche geschlafen. Und gewiß hast du geträumt. Bedeutsame Träume von Dingen, die geschehen werden, die du Prophezeiungen nennen könntest, ich aber eher als Vorahnung ansehen würde…«

Ihre Worte verwirrten ihn, doch ihre Stimme sprach langsam und eindringlich. Sie schlich sich so heimlich wie Unkraut in Sturms Gedanken, bis er nicht mehr sicher war, ob er die Worte dachte oder ob sie sie sagte. Er schüttelte den Kopf, um diese Stimme loszuwerden. Als das fehlschlug, wollte er aufstehen.

»Ich bin immer noch verwundet«, sagte er mit trockener, atemloser Stimme.

»Natürlich bist du das, Sturm Feuerklinge«, gab die Druidin zurück. Ihr braunes, runzliges Gesicht zeigte keine Regung. »Der Dorn ist immer noch in dir, tief in deiner Schulter, neben deinem Herzen.« Ragnell beobachtete ihn prüfend. »Schau mal deine Hände an«, wies sie ihn an.

Sturm gehorchte und hielt vor Schreck die Luft an. In seinen Adern floß Grün. Auch seine Fingernägel waren grün. Seine Hände waren dunkel und lederartig wie die des Herrn der Wildnis.

»Was…«, setzte er an, aber Ragnells Stimme erklang unwiderstehlich in seinem Hinterkopf und legte sich wie dicke, fesselnde Ranken über seine Gedanken.

»Er erwachte…«, begann die Stimme, und die Lichtung verschwamm im Nebel und ließ nichts mehr zurück als die Frau und das schimmernde Wasser und die Nacht. Plötzlich stieg hinter ihr der weiße Mond auf, dessen Licht eine feine Korona um ihre grünen, bauschigen Roben legte. Sturm bäumte sich wütend auf, weil er endlich erkannte, daß er immer noch träumte.

Aus der Wunde in seiner Schulter sickerte es grün, dann violett, dann tiefschwarz, bis sich die Farbe nicht mehr veränderte, während der Saft herausströmte und gerann. Sprachlos schaute er seine Hände an. Anstatt von dem Blutverlust oder Saftverlust – oder was auch immer aus seiner Schulter floß – blaß zu werden, leuchteten sie nun in einem Hellgrün, das jedes Licht zurückwarf.

Ragnells Aussehen veränderte sich, als sie langsam, aber stetig auf ihn zukam. Aus der weisen Alten, die schurkenhaft und verschlagen gewirkt hatte, wurde eine wunderschöne Frau – schwarze Haare, dunkle Haut und dunkle Augen, und sie lächelte so freundlich, daß es sein Herz berührte. Er fiel auf die Knie, denn er wollte nur noch bei ihr sein, auch wenn er nicht hätte sagen können, ob er als Kind oder als Mann geliebt werden wollte.

Das ist eine Versuchung, dachte er, als er durch den grünen Stoff die weiche Linie ihrer Brüste sah. Das macht der grüne Mann. Eine Falle. Ich soll… soll…

Ich weiß nicht, was ich soll, außer daß ich widerstehen muß.

Die Luft duftete nach Zedern, und irgendwo jenseits von Nacht und Mondlicht und Gedanken erhob sich wieder der Klang der Flöte.

Vielleicht ist das die letzte Versuchung, dachte Sturm. Vielleicht wartet hinter diesem Traum Vertumnus, und die Suche ist endlich vorbei.

Die Frau blieb stehen und zog ihre Hand zurück. Sie verschränkte die Arme über der Brust, und ihre Lippen bewegten sich, um Worte zu formen, die durch Sturms Gedankenwelt zogen. Aber er konnte nicht sagen, daß er sie hörte, und es war auch nicht Ragnells Stimme, die da sprach, sondern eine tiefere, vertraute Stimme, die ihn an irgend jemanden erinnerte.

Es war eine Männerstimme, und sie beschwor etwas herauf, das mit Schnee und Mitternacht und eiligem Aufbruch zu tun hatte.

Sturm machte die Tunika auf und untersuchte die Wunde in seiner Schulter. Der Dorn war tief, zerfranst und häßlich neben seinem Brustknochen eingedrungen. Erschrocken sah Sturm, daß er immer tiefer eindrang. Bald würde er nicht mehr zu sehen oder zurückzuholen sein, in seinem tiefsten Inneren versinken und dort den letzten, unheilbaren Schaden anrichten.

Ragnell beugte sich herunter und berührte die Wunde. Sturm schrie auf und schlug ihre Hand weg.

»Nein!« rief er aus. »Dieser Wald hat mir genug angetan! Ihr habt viel Schlimmes angerichtet – bei mir, beim Orden und bei meinem Vater während der Belagerung von Schloß Feuerklinge!«

Die Druidin schüttelte langsam den Kopf. Sie lächelte. »Viele Ritter von Solamnia fielen in jenem – ›Aufstand‹, wie ihr es nennt. Aber dein Vater war ein anständiger Mann, und ich habe ihn nicht getötet.«

»Dann… dann…« Sturm wollte etwas entgegnen, aber die Lichtung um ihn herum verschwamm vor seinen Augen, und er taumelte und sackte auf die Knie.

Ragnell hielt den Jungen vorsichtig an der Tunika fest, aber er riß sich los.

Ragnell lächelte unglaublich lieblich. »Nun denn«, sagte sie still und strich mit der Hand über die Wellen. »Wenn ich eine Versuchung bin, dann wollen wird doch mal sehen, wozu.«

Bei ihrer Berührung wurde der Teich still, und umrahmt vom weißen Mondlicht sah Sturm sein seltsam verwandeltes Spiegelbild – ein dunkler Bursche ganz in Grün, voller Blätter und Ranken, das Haar taubenetzt und von Stechpalme und Lorbeer geschmückt.

»Bei Huma!« fluchte er. »Das ist Jack Derry!«

»Nicht Jack Derry, sondern du«, verkündete die Druidin. »Es ist dein übertragenes Ich, Sturm Feuerklinge. Jenseits von Eid und Maßstab in den Tiefen deines Wesens.«

»Noch ein Druidentraum!« widersprach Sturm verächtlich und wandte den Kopf von dem Spiegelbild ab.

»Und… und das liegt in meinem tiefsten Inneren?« fragte Sturm.

Ragnell legte ihm die Hand auf die Schulter. Ihr Spiegelbild tauchte im Wasser auf – uralt und gebeugt neben seinem knienden Baumabbild.

»Das und noch viel mehr, Sturm Feuerklinge«, sagte sie. »Eine große Weisheit jenseits von Eid und Maßstab. Aber du hast die Wahl. Ich kann den Dorn entfernen oder… ihn in Musik verwandeln.«

»In Musik?«

Die Druidin nickte. »Eine innere Musik, die dein geteiltes Herz wie die Nadel eines Schneiders durchstechen und zusammenziehen wird, um es zu etwas Ganzem zu machen, dem nichts mehr etwas anhaben kann. Die Musik wird dich den Rest deines Lebens begleiten und dich von Grund auf verändern. Oder ich kann den Dorn entfernen.«

Sie beugte sich vor und wirbelte das Wasser im Teich auf. »Es ist auf jeden Fall deine Wahl«, drängte sie.

Sturm schluckte.

»Wähle«, drängte die Druidin. Sie zeigte auf die Wunde in seiner Schulter. Während sie gesprochen hatte, hatte sich der Dorn noch tiefer in Sturms Fleisch gebohrt. Jetzt lag er zwischen Muskel und Knochen. Sturm konnte den Arm kaum bewegen. Bis zum Ellenbogen war er jetzt grün, und die Farbe stieg langsam höher.

»Er wird tiefer eindringen und tödliche Arbeit leisten«, erklärte Ragnell. »Keine Angst vor der Musik. Bald, Sturm Feuerklinge, bist du Teil des Waldes und des gewaltigen Grüns des Mittsommers.«

»Nein!« schrie Sturm. Über ihm hörte er die schrillen, erschreckten Rufe aufgescheuchter Vögel. »Entferne den Dorn, Ragnell!«

»Wenn ich das tue«, drohte die Druidin, »siehst du deinen Vater nie wieder.« Sie drehte sich um und ging zum Rand der Lichtung.

Sie lügt, dachte Sturm, der ihr folgte. Sie lügt. Und Caramon und Raistlin waren auch nicht im Turm der Erzmagier, und Vertumnus war nicht auf den Mauern des Rittersporn. Sie ist ein Traum, und sie lügt, und diese ganze Traumdeuterei ist einfach dumm, und ich sollte…

»Ragnell!« schrie er. Tief in dem dicken, blauen Ewigkeitsbaum hinter ihr huschte etwas eilig davon. »Hol den Dorn aus meiner Schulter!«

»Nein.« Ihre Antwort kam leise und unsicher.

»Ich kann wählen«, sagte Sturm triumphierend. Die Worte entfuhren ihm schnell und prompt und sicher, und einen Augenblick lang dachte er, es wären nicht seine eigenen. »Schließlich«, sagte er, »kann ich wählen.«

»Das kannst du, Sturm Feuerklinge«, pflichtete ihm die Druidin nach einer langen Pause bei. Das Flötenlied wich dem einsamen Gesang einer einzelnen Lerche, und gleich darauf war auch diese Musik verklungen. »Dann nimm dein Schwert und deinen Eid und Maßstab.«

Sie drehte sich zu ihm um, und mit einem merkwürdig traurigen Blick griff sie ihm an die Schulter und entfernte den Dorn.

»Die Kraft kehrt sofort zurück«, sagte sie, als alles – Dorn und Druidin, Teich und Lichtung – vor den Augen des erstaunten Jungen zu verschwinden begann.

»Und du mußt nie wieder wählen.«Mara trug den Körper der Spinne zu einem kleinen Hügel am Rand des Waldes, wo die Bäume dem Gras, den Steinen und dem Mondlicht Raum gaben und wo man durch das dünner werdende Blattwerk im Westen die Lichter von Dun Ringberg sehen konnte.

Für ein so großes Wesen war Cyren überraschend leicht. Es war, als hätte die Spinne bei ihrem Tod nur eine dünne, papierartige Hülle zurückgelassen, wie einen zerbrochenen Kokon oder eine Krebsschale.

Seine Beine waren jetzt schon trocken und brüchig.

Mara wußte kaum, wohin sie ihn trug, und noch weniger, weshalb sie das tat. Der Wald um sie herum war laut drohend und dunkel, voller Grunzen und Pfeifen und knackendem Unterholz. Sie kletterte über einen umgestürzten Ahorn, dann durch ein Dornendickicht, das ihr die Haut zerkratzte und an ihren Kleidern zerrte.

Sehr selten schien Mondlicht durch die Zweige. Dann konnte Mara zum offenen Himmel hochschauen, zu den Sternen im immer dunkleren Violett der Nacht.

Es war, als hätte sich der Wald gegen sie verschworen, als wäre alles in ihrem Elfenblut voll Angst und in der Schwebe. Immer wieder knurrte es rauh und unvertraut im Unterholz, etwas Gieriges, Verwundetes, Zorniges. Kurz darauf kamen dann wieder ein paar kurze, silberne Flötentöne aus der Nähe, so schön und vielsagend, daß sie dachte, sie hätte das Lied geträumt. Mehr als einmal hätte sie am liebsten den toten Cyren zurückgelassen und wäre ins Freie gestürmt, wo sie Licht und kühler Wind erwarteten. Wäre am liebsten einen Vallenholzbaum bis zum Dach des Waldes hinaufgeklettert, wo der Himmel sich auf tun würde.

Und die ganze Zeit weinte sie.

»Zauberei!« murmelte sie bitter, als sie das Tier um eine flache Felsnase schleppte. »Das ist doch genau verkehrt rum. Prinzen und Könige werden in Frösche oder Vögel oder zu Stein verwandelt oder müssen hundert Jahre schlafen. Die alten Märchen lügen, denn offenbar kann auch ein Stein, ein Frosch oder ein Vogel zum Prinzen werden. Ich war in Calottes Blendwerk verliebt.«

Auf einmal fand sie die ganze Geschichte komisch. Sie fing an, fassungslos zu lachen, setzte sich auf einen Stein, sah der Spinne tief in ihre vielen, trüben Augen und lachte, bis sie wieder weinen mußte.

Dann kam ihr ein unglaublicher Zufall zu Hilfe, denn sie bemerkte den schwachen Geruch von Holzrauch in der Luft, der von irgendwo rechts zu ihr herüberwehte. Wieder hob sie mühsam Cyrens Körper auf, der schwerer wurde, je länger sie unterwegs war, und trottete dem Geruch nach.

Mit der Spinne auf den Schultern kletterte sie einen Hang hoch. Das letzte, steile Stückchen überwand sie nur, indem sie ihre Füße gegen den dünnen Stamm einer jungen Weide stützte. Dann erreichte sie frische, leichte Luft und eine windgepeitschte Lichtung über dem zurückweichenden Wald.

Zärtlich setzte sie die Spinne ab. Sie kniete oben auf dem Hügel und zog ihr Messer. Konzentriert, fast ehrfürchtig, begann sie, ein Grab in den steinigen Boden zu graben. Dabei sang sie eine Totenklage aus dem Westen, die sie auf ihren Reisen mit dem Tier, das sie begraben wollte, gelernt hatte.»

Bis heut hast du mir stets erklärt,

Warum die Erde dunkel wird

Und wie das Dunkel den Regen begehrt

Und Farn und Blumen dann gebiert.

Schon heute könnt’ ich nicht mehr sagen,

Wie Goldminen es überstehen,

Wenn tausend Lenze an ihnen nagen,

Wenn tausend Leben vorüberziehen.

Nun füllt der Winter meinen Geist,

Der Herbst und auch des Sommers Pracht –

Doch jeder Lenz von nun an heißt

Ein weit’res Jahr für mich zur Nacht.«

So grub sie und sang das Lied noch einmal, bis hinter ihr ein Pferd wieherte und ein Schatten über sie fiel. Jack Derry kam näher und kniete sich neben sie. Schweigend, mit der gesunden Zuversicht, der sie auf ihrem gemeinsamen Weg zu vertrauen gelernt hatte, und auch mit ungewohntem Ernst zog der Gärtner sein Messer heraus und grub mit ihr.

Bis Mitternacht hatten sie das Tier feierlich auf ein Blätterbett gelegt. Dann deckte Jack es zu, während Mara eine alte Elfenmelodie spielte, die süß und getragen durch die tiefblaue Nacht zog. Während sie spielte, stieg langsam und völlig unerwartet der rote Mond Lunitari hinter einer Gruppe Pappeln auf und vereinte sich mit dem weißen Solinari darüber.

Erstaunt sah Mara an den hohen, wolkenlosen Himmel über Lemisch jenseits der überraschenden Vereinigung der Monde. Da leuchtete am frühen Morgenhimmel blau und weiß die helle Spirale der Mishakal. Jack lächelte.


Es war später am Morgen oder an einem Morgen bald darauf, als Sturm mitten im Wald erwachte. In voller Rüstung lag er neben einem träge fließenden Bach, an einem seltsamen, einsamen Ort, den er noch nie gesehen hatte. Ranken, Schlingpflanzen und Dornengestrüpp umwucherten ihn, und das Blattwerk um ihn herum war völlig unberührt, als hätte man ihn vorsichtig von weit oben an diesen Ort gelegt.

Er rieb sich die Augen und stand auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er merkte, daß er sich anders bewegte. Er hatte wieder Kraft in der Schulter. Überrascht betrachtete er seine Hände, die gerötet wie früher und nicht mehr grün waren.

»Träume…«, murmelte er und betastete seine Schulter. Die Haut war weich und zeigte keine Narbe, und sein Arm ließ sich bewegen und war völlig geheilt.

»Wann hören die Träume auf?« fragte er sich und bahnte sich mühsam einen Weg durch das Dickicht.

Den ganzen Tag wanderte Sturm Feuerklinge mit wachsender Erregung durch den Südlichen Finsterwald. Er erinnerte sich an die Worte des Herrn der Wildnis am Julfest: »Triffst du mich nicht am genannten Ort zur genannten Zeit, so ist deine Ehre für immer dahin.« Und so suchte er nach Vertumnus, doch sein Eifer verwandelte sich in Verwirrung, als ihn alle Pfade, die er beschritt, auf die Ebene von Lemisch führten, wo er nördlich vom Rauch und den geduckten Hütten von Dun Ringberg herauskam. Wie ein von einem eigenwilligen Förster ersonnener Irrgarten führte ihn jeder Pfad zu derselben Stelle zurück, und jedesmal staunte Sturm, daß der Pfad, der aus dem Wald kam, anders aussah, als der vorherige.

Er verbrachte die Nacht am Waldrand. Die Bäume schienen vor seinem kleinen Lagerfeuer zurückzuschrecken, und am Morgen stellte er fest, daß sich entweder sein Lager bewegt hatte oder der Wald zurückgewichen war, denn es lag gut hundert Schritt von seinem ursprünglichen Ort entfernt.

Durcheinander und immer noch etwas schlaftrunken ging er zum Wald, doch der Pfad war verschwunden. Jeder kurze Ausflug in den Wald führte ihn an dieselbe Stelle zurück, und allmählich dämmerte ihm, daß der Wald selbst ihn zurückwies. Gleich, welche Richtung er einschlug, bald stände er wieder auf der Ebene.

»Die erste Frühlingsnacht ist vorüber«, sagte sich Sturm mit wachsender Verzweiflung, als ein weiterer Pfad in den Wald ihn zu seinem Lager zurückführte. »Ich habe meine Verabredung mit dem Herrn der Wildnis versäumt. Ich habe mein Gelübde gebrochen.«

Und doch lebte er. Die Wunde in seiner Schulter war nicht auf geheimnisvolle, tödliche Weise »aufgeblüht«. Nein, wenn er seine Schulter untersuchte, fand er keine Spur mehr von der Wunde – nur ein ganz leises, unbehagliches Gefühl, wenn seine Finger zu fest auf die Stelle drückten.

Etwas sagte ihm, daß die Mühen nicht vorbei waren, daß er den Herrn der Wildnis treffen würde, wenn er noch ein wenig länger suchte. Er beschirmte die Augen mit der Hand und starrte erst an der dicken, undurchdringlichen Grenze aus Bäumen und Dornen entlang nach Norden und Süden, um sich dann auf den Weg nach Dun Ringberg zu machen.

»Von allen Orten, die ich kenne«, flüsterte er, nachdem er sein Schwert wie eine Pike an die Schulter gelegt hatte, »bin ich in diesem Dorf wohl am wenigsten willkommen, aber bestimmt liegt dort der Schlüssel zu diesem Geheimnis.«

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