Im Südlichen Finsterwald rührte Vertumnus, der über dem klaren, grünen Teich in der Mitte der Lichtung kniete, spielerisch das Wasser um. Seine Finger strichen über die Wasseroberfläche und ließen Tröpfchen auf das Bild von Sturm und Mara regnen, die meilenweit entfernt in einem Regensturm gefangen waren. Evanthe und Diona schauten entzückt zu, wie das Bild waberte, sich auflöste und sich neu formte.
»Laß sie ertrinken!« zischte Evanthe böse. Ihre blassen Hände strichen dem grünen Mann eine Locke aus der Stirn.
»Weich sie richtig auf!« drängte Diona.
»Nur ein Regen«, lachte Vertumnus, der wieder im Wasser rührte. »Das Gras muß gegossen werden.«
»Nur ein Regen?« flüsterte Evanthe. »Nur ein Regen, wo du solche Wunder vollbringen könntest…«
»Daß der Wind ewig davon künden würde«, schmeichelte Diona, die den Satz ihrer Schwester zu Ende brachte. »Was du alles tun könntest, Herr der Wildnis, wenn du den Sinn und die Vorstellungskraft und… und den Mumm dazu hättest!«
Vertumnus beachtete die Dryaden nicht, sondern hockte da und blies auf das Wasser.
Im nebligen Spiegelbild des Teiches sah man wie von fern, wie durch eine Kristallkugel oder eine Kugel der Drachen, den jungen Mann und das Elfenmädchen, die sich als graue Gestalten im peitschenden Regen zusammendrängten. Plötzlich hob sich aus dem dunklen Bündel ein Arm, der zu einem Hügel zeigte, welcher Schutz bot. Sie hasteten darauf zu, so daß ihre Umrisse im Vorhang des Regens verschwammen. Hinter ihnen huschte zahm eine triefnasse Spinne, die mit sich selbst piepste.
»Regen fällt auf die Gerechten«, murmelte Vertumnus, der mit der Hand über den Teich strich, »und die Ungerechten.«
Der Nebel über der Wasseroberfläche teilte sich und zeigte ein Lager im Wald – ein zerrissenes Netz zwischen zwei Lärchen und eine erst kürzlich verlassene, strohgedeckte Hütte. Das Wasser im Teich beruhigte sich, und am Rand des Bildes tanzte ein abgeschirmtes Licht von einem gespiegelten Baum zum nächsten – eine Laterne in der Hand einer dunklen Gestalt mit Mantel.
»Ah«, seufzte der Herr der Wildnis und beugte sich vor, bis sein Gesicht fast die Wasseroberfläche berührte. Leise pfiff er etwas aus der magischen zehnten Weise, die alte Barden verwenden, um durch Steine oder um in die Ferne oder manchmal in die Zukunft zu blicken.
Das Bild zitterte, und der dunkle Mann im Wald hob die Laterne, so daß sein undurchschaubares Gesicht erkennbar wurde.
»Bonifaz!« rief Vertumnus aus. »Natürlich!«
Still und gründlich untersuchte der beste Schwertkämpfer von Solamnia Lichtung und Lager. Er trat in die Hütte und tauchte fast augenblicklich wieder auf, um sich stirnrunzelnd umzusehen. Während er seinen langen, dunklen Schnurrbart streichelte, stand er scheinbar gedankenverloren unter den zerschnittenen Spinnweben. Schließlich drehte er sich um und verschwand von der Lichtung, als hätte er die ganze Zeit gewußt, wohin seine Suche ihn führen würde. Die blauen Ewigkeitsbäume schlossen sich hinter ihm wie die Wasseroberfläche über einem Taucher.
»Wer ist das?« hauchte Evanthe.
»Ja«, echote Diona. »Wer ist das? Und warum verfolgt er sie?«
»Nur ein Schatten im Schnee«, erwiderte Vertumnus. »Aber wo ist die Herrin? Denn ihr Weg wird den seinen kreuzen.«
Die Dryaden sahen einander enttäuscht an.
»Diese alte Hexe?« fragte Diona verächtlich. »Was willst du von der, wenn du jemanden wie uns hier hast?«
»Diese alte Eule«, sagte Evanthe. »Die stinkt nach schwarzer Erde und Tod. Nicht einmal frische Kräuter können diesen Geruch überdecken.«
»Wo ist sie?« wiederholte Vertumnus.
Und während er ihre Ankunft erwartete, starrte er auf die ruhiger werdende Oberfläche des Teiches und hob die Flöte an die Lippen.»Das wird eine Art Unterstand«, prustete Sturm, während er seinen Umhang über die langen Äste einer Eiche und eines Wasserahorns breitete. Es war so ähnlich wie ein Zelt, aber das Tuch war von dem Platzregen bereits triefend naß.
»Eine Art, ja«, sagte Mara. »Aber keine gute. Der Stein hier ist Kalkstein. Bestimmt gibt es irgendwo eine Höhle.«
»Dann such von mir aus nach einer Höhle«, meinte Sturm kurz angebunden. Der lange Marsch und der Regen hatten seine Geduld erschöpft. Schweigend knotete er die letzte Ecke seines Umhangs an einen Ahornzweig und trat zurück, um sein Werk zu bewundern.
Von Cyrens gewölbtem, schwarzen Bauch perlte das Wasser herunter, als er eifrig unter den zusammengeschusterten Regenschutz krabbelte. Er duckte sich, wurde von einem Dickicht seiner eigenen Beine verdeckt und knurrte zufrieden, während Mara, die draußen im Regen stand, sich ungeduldig zu ihrem solamnischen Begleiter umdrehte.
»Du bist kein Waldläufer, oder?« fragte sie, als der Umhang sich mit Wasser füllte und die Zweige sich immer tiefer beugten.
Sturm sah betreten zu, wie sein Zelt zusammenbrach und ein keckernder, fiepender Cyren in den Regen hinaus und halb die nächste Eiche hoch raste. In diesem Augenblick setzte die Musik erneut ein, drang durch den Regen und erhob sich laut über Cyrens Gezeter und die wiederholten Donnerschläge. Mara sah Sturm erstaunt an.
Der wiederum sah sie an, wobei er seine eigene Überraschung verbarg.
»Wir folgen der Musik«, sagte er. »Und wenn wir hier eine Höhle finden sollen… nun, dann finden wir sie.«
Die Elfe öffnete den Mund zum Widerspruch, doch ihr merkwürdiger Begleiter mit seinem ernsten Gehabe und der schlecht sitzenden Rüstung hatte sich umgedreht und war in den strömenden Regen aufgebrochen.
Mara konnte Sturms glückliches Lächeln nicht sehen. Diese Zaubermusik konnte ihn verführen und ablenken, ihn in die Irre führen oder irgendwo in einem Sumpf versinken lassen. Aber dieses eine Mal hatte Vertumnus ihm zwei Gefallen getan: Die Musik führte ihn wenigstens irgendwo hin. Und sie hatte das ewige Mäkeln der Elfe für einen Moment unterbrochen. Die Höhle war weniger als eine Meile von den Bäumen entfernt. Cyren sah sie zuerst. Mit aufgeregtem Gebrabbel lenkte er seine Gefährten zu dem kleinen, von Brombeeren verdeckten Höhleneingang. Aber seine Begeisterung ließ nach, als Sturm darauf bestand, daß Cyren in die Dunkelheit vorauskriechen sollte. Die Idee dahinter war natürlich, daß eine Riesenspinne eine eindrucksvollere Vorhut abgab als ein junger Mann oder ein Elfenmädchen, doch Cyren bewegte sich vorsichtig, streckte erst ein Bein vor, dann noch eins, dann ein drittes, als würde er über heiße Kohlen laufen. Er klickte nervös, erschrak über sein eigenes Echo und steckte den Kopf in die Höhle, um ihn gleich wieder herauszuziehen. Er starrte Sturm so klagend an, daß man geradezu Mitleid mit ihm hätte haben können, wäre er nicht so häßlich gewesen.
Sturm winkte die Spinne einmal, zweimal, ein drittes Mal zurück in die Höhle, jedesmal etwas ungeduldiger. Als Cyren schließlich wieder zurückzuckte, zog der Junge sein Schwert und winkte ruhig, aber entschieden noch einmal.
Brabbelnd betrat das Tier die Finsternis und hockte voller Panik im Höhleneingang. Nachdem er endlich sicher war, daß der Platz leer und sicher war, spann sich der verzauberte Prinz ein Netz in der hintersten Ecke und überließ sich zufrieden seinen seltsamen Träumen, in denen Elfentürme und schöne Mädchen Seite an Seite mit Fledermäusen, Schwalben und fliegenden Eichhörnchen standen – zahllose saftige, geflügelte Tiere, die sich in klebrigen Fäden verfingen. Als nächstes trat Luin ein, die warm und tropfend in der Mitte der Höhle stehenblieb, bis auch sie einschlief und die unergründlichen Träume der Pferde träumte.
Mara und Sturm saßen an einem schwelenden Feuer nahe beim Höhleneingang zusammen, denn sie waren zu naß und durchgefroren, um zu schlafen. Sturm hatte seinen Brustpanzer abgelegt, wobei er mehr als einmal vorsichtig zur Spinne sah. Sorgfältig, fast geziert, hatte er seine Stiefel ausgezogen, das Wasser ausgeleert und sie zum Trocknen ans Feuer gestellt. Mara hatte nichts dergleichen getan. Und so, wie sie in ihren nassen Pelzen zitterte, während das dunkle Haar naß an ihrer Stirn klebte, mußte sie sich eine Lungenentzündung holen.
Sie hätte das Naheliegende, Gesunde tun können, nämlich sich abzutrocknen und aus den Pelzen in eine warme Decke zu schlüpfen. Sturms Versprechen, daß er woanders hinsehen würde, ließ sie auch einen Augenblick zögern, bis sie ihm fest in die Augen sah und beschloß, daß sie ihm nicht trauen konnte. Statt dessen hob sie triefend und zitternd ihre Flöte an die Lippen und begann zu spielen. Es war eine ernste, kleine Volksweise von den Que-Shu, dem Volk aus den Ebenen, die Sturm erkannte. Sie verfolgte ihn, denn sie weckte Erinnerungen an seine Jahre am Krystallmirsee, weit im Süden in Abanasinia.
Zusätzlich zu allen anderen Schwierigkeiten bekam er von der Musik nun auch noch Heimweh.
»Für diesen Winter habe ich genug Gepiepe gehört«, schimpfte Sturm mürrisch und streckte seine Hände zum wärmenden Feuer aus. Zwischen nassem Pelz und nassem Pferd und dem Rauch des notdürftig entfachten Feuers entwickelte sich allmählich ein unerträglicher Geruch in der Höhle, und alles – Wetter, Begleitung und Situation gleichermaßen – schien sich gegen ihn verschworen zu haben.
»Genug Gepiepe?« fragte Mara mit durchtriebenem Lächeln, als sie die Flöte absetzte. »Hast du Angst, ich würde dich in noch eine Spinne verwandeln?«
»Mach doch«, meinte Sturm trübsinnig. »Cyren da oben sieht doch ganz glücklich aus in seinem Netz. Oder, wenn du schon flöten mußt, dann flöte die Weise von Chislev, damit wenigstens irgendwo unter uns Harmonie herrscht.«
»Du weißt also etwas über Bardenweisen«, stellte Mara fest. Sie war nicht sonderlich beeindruckt.
»Nicht mehr als das, was alle Solamnier lernen«, antwortete Sturm. »Sieben Weisen aus dem Zeitalter der Träume. Für jeden neutralen Gott eine. Die Philosophen behaupten, daß Musik und der Geist der Menschen so subtil verknüpft sind wie… wie Cyrens Netz da drüben. Gefährliches Zeug allerdings. Die roten Götter sind trügerische Gefolgsleute.«
»Wirklich nicht mehr als das, was alle Solamnier lernen«, schimpfte Mara, und Sturm runzelte die Stirn. »Die roten Weisen sind nicht verräterischer als Tonpfeifenlieder. Sie machen dich zuversichtlich, weil man dir beigebracht hat, glücklich zu sein, wenn du ein flottes Stück in Dur hörst, und nachdenklich bis melancholisch, wenn das Lied langsam und in Moll ist. Mit den weißen Weisen ist das natürlich anders…«
Sie hob die Flöte an die Lippen.
»Die weißen Weisen?« fragte Sturm, und wieder begann Mara, das kleine Lied aus den Ebenen zu spielen, doch diesmal rasten ihre Finger über die Flöte. Obwohl es dieselbe Musik war und das Elfenmädchen sie ebenso langsam und ruhig spielte wie vorher, lag ein anderer Unterton in der Musik, als wenn sie irgendwie plötzlich voller Tiefe und Richtung wäre. Cyrens Netz zitterte und summte antwortend, und der Regen wich vom Höhleneingang zurück. Auf dem nassen Boden vor dem Eingang formte sich ein Regenbogen.
»Hast du das gemacht?« fragte Sturm skeptisch. Dann blieb ihm der Mund offenstehen, als er die Elfe ansah. Denn ihre Haare und Kleider waren trocken, als hätte die Musik sie wie ein heißer, trockener Wind umweht; Mara legte sich jetzt wohlig durchwärmt zurück und nickte beinahe ein.
Mit schweren Augenlidern sah sie Sturm an. Sie sagte nichts. Nur die Fäden des Spinnennetzes summten weiter wie ein Echo auf die verebbte Musik und wiederholten die Melodie noch einmal, bis auch sie zum Schweigen kamen.
»Was glaubst du denn?« fragte sie schließlich mit ferner, hallender Stimme, als wenn sie von irgendwo tief hinten in der Höhle zu Sturm spräche. »Das war die weiße Weise – der kriegerische Kiri-Jolith zusammen mit einer Regenhymne der Que-Shu, die das Wasser von deiner Schwelle treiben soll.«
»Aber ich habe nichts gehört – ich meine nichts, was wirklich anders war als vorher.«
»Wie traurig für dich«, sagte Mara, die die Flöte in den Feuerschein hielt und sie müßig betrachtete. »Wie traurig… und wie eigenartig.«
»Eigenartig?« fragte Sturm. »Wieso eigenartig? Es war doch die gleiche Melodie, oder?«
»Die eine schon«, stimmte Mara zu. »Aber die andere, die weiße, füllt die Pausen der roten, die Pausen zwischen den Noten des Lieds aus den Ebenen. Du hast sie nicht gehört, weil du sie nicht erwartet hast. Manche Leute können sie nicht einmal hören, wenn sie danach lauschen. Sie sind wohl so geboren. Vielleicht bist du einer von denen.«
»Was meinst du damit?« fragte Sturm gereizt. Er hielt sich wirklich nicht für unmusikalisch. Aber an diesem verregneten Nachmittag hatten sich die beiden Melodien genau geglichen, und doch hatte in der zweiten all diese Magie gelegen.
»Was meinst du?« wiederholte er, doch plötzlich war das Mädchen aufgesprungen und stand lauschend da wie ein wildes Tier, wenn etwas Fremdes in sein Revier eindringt.
»Schsch!« hauchte sie. »Hast du das gehört?«
»Was gehört?« fragte Sturm ärgerlich. Wieder und wieder wurden anscheinend seine Sinne in Frage gestellt. Mara gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen, um dann mit dem Dolch in der Hand zum Eingang der Höhle zu schleichen. Hinter ihnen wurde Luin nervös, und Cyren klickte und pfiff irgendwo hinten in der Finsternis.
»Da draußen ist etwas«, flüsterte Mara. »Etwas bewegt sich auf der anderen Seite dieses Abhangs durch das hohe Gras.«
Sie sahen einander unsicher an.
»Zurück, Lady Mara«, befahl Sturm, dessen Zuversicht nicht besonders groß war. »Ich nehme an, das fällt mehr in mein Aufgabengebiet.«
Indem er sein Schwert zog, trat er in den Regen, beeindruckt von seiner eigenen Tapferkeit. Mara sah ihn zweifelnd an, was er jedoch kaum mitbekam. Erst als er schon halb den fraglichen Hang erreicht hatte, merkte er, daß er Helm, Brustpanzer und Schild vergessen hatte.
»So viel zu Feuereifer«, keuchte er, während ihm der Regen in Strömen über das Gesicht lief. »Jetzt gibt es kein Zurück mehr.«
Geduckt umrundete er den Hang in Richtung Süden. Einen Augenblick lang stand er unter einem riesigen, einzelnen blauen Ewigkeitsbaum, und alles um ihn herum war trocken und voller Duft und laut vom Trommeln des Regens auf die Zweige. Dann brach er schnell aus dem Schatten, das Schwert kampfbereit und einen wilden Schlachtruf auf den Lippen.
Keine zwanzig Schritte entfernt lief etwas Dunkles von Baum zu Baum und huschte hinter einen großen, bemoosten Felsen. Sturm wurde nicht langsamer. Weil er den Überraschungsvorteil hatte, rannte er über die Lichtung und überwand den Felsen mit einem einzigen, athletischen Sprung, wobei er die verhüllte Gestalt unter sich umwarf, bevor der Unbekannte seine Waffe erheben, sich ducken oder überhaupt etwas tun konnte.
In einem Gewirr aus Gliedmaßen, Roben und Wasser rutschten und kullerten die beiden den Hügel hinunter und wühlten beim Ringen den durchnäßten Boden auf. Irgendwann bei einem Würgegriff ließ Sturm sein Schwert fallen. Er wollte schreien, doch er landete mit dem Gesicht im Matsch und kam atemlos und spuckend hoch.
Fast sofort warf der Mann im Umhang Sturm wieder gegen den Felsen. Obwohl Sturm fast blindlings im Matsch nach seinem Schwert, einem Stein oder einem ordentlichen Ast tastete, fand er nichts als eine Handvoll Gras, Kies und Wurzeln, die er mit einem Schrei auf seinen Gegner schleuderte.
Der verhüllte Mann wich geschmeidig aus – die Bewegung eines Tänzers oder eines Akrobaten – und Sturms armseliges Geschoß verfehlte nutzlos sein Ziel. Obwohl er von der Wucht seines Wurfes taumelte und auf dem schlüpfrigen, regendurchtränkten Abhang ins Rutschen kam, gelang es Sturm, sich aufzurichten und erstmals einen näheren Blick auf seinen Gegner zu werfen.
So wie der Mann in seinem von Gras und alten Schlingpflanzen durchzogenen Mantel vor Matsch triefte, sah er aus wie eine Statue, die aus Wald und Nacht bestand. Langsam und ungehalten klopfte er seinen Umhang ab.
Sturm stockte der Atem und seine Augen suchten verzweifelt Felsen, Büsche und Hang nach seinem Schwert ab. Ganz links mitten im plattgewälzten, hohen Gras bemerkte er einen schwachen Metallschimmer.
Der Mann schwieg, und sein Gesicht war von Kapuze und Regen verdeckt, doch seine Bewegungen waren beunruhigend vertraut. Sturm hatte jedoch keine Zeit für Ratespielchen. Schlitternd sprang er den Hang hoch, wobei er mehr als einmal gegen den Felsen prallte, bis er sein Schwert erreichte, einen Augenblick bevor der Mann im Umhang ihn eingeholt hatte. Ein Handschuh legte sich mit festem, kräftigem Griff um sein Handgelenk, und Sturm flog gegen den Felsen. Die Welt blitzte weiß auf, als ihm die Luft wegblieb.
Langsam stand Sturm auf. Er staunte, daß es ihm gelungen war, das Schwert festzuhalten. Schmerzerfüllt hob er es hoch und wartete – getreu der festen Regeln zum Zweikampf aus dem Maßstab –, daß sein Gegner zum Schwert griff. Aber der Gegner stand reglos da, eine dunkle Silhouette im strömenden Regen. Sturm schwang das Schwert über seinem Kopf, aber dennoch tat der Mann nichts.
Dann ertönte wie aus der wassernassen Erde um sie herum der Klang einer Flöte durch die Regenluft.
Während Angst und Ärger um die Vorherrschaft rangen, schrie Sturm wieder: »Bei Paladin, ich fordere dich zum Kampf!«
Er hielt verwirrt inne, denn die Worte waren aus ihm herausgeplatzt, bevor er es sich noch einmal überlegt hatte. Aus Ärger und Angst hatte er beim Höchsten aller Götter geschworen. Eid und Maßstab banden ihn. Es gab kein Zurück.
Widerstrebend, fast als könnte er die Gedanken des Jungen vor sich lesen, zog der Mann mit der Kapuze sein Schwert. Sturms Klinge beschrieb einen schwerfälligen Bogen. Das Schwert des anderen wehrte den Schlag mit schneller, katzenhafter Anmut ab. Wieder griff Sturm seinen Gegner an, diesmal mit einem kräftigen Stoß, doch dieser parierte ihn leicht, fast gedankenlos. Sturm taumelte nach vorn, denn der bodenlose Leichtsinn seiner eigenen Attacke hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er fiel auf ein Knie und rutschte über den nassen Grund und kam erst wieder auf die Beine, als der Kapuzenmann lauthals lachte.
Wütend fuhr Sturm herum, hob das Schwert über seinen Kopf und ließ es mit einer plötzlichen, blitzschnellen Bewegung heruntersausen. Der andere konnte nur noch sein Schwert erheben. Eisen prallte auf Eisen, und der regennasse Hang hallte von dem Klingen wider.
Beide Männer taumelten zurück, denn beide waren von der Wucht des Schlags überrascht. Schweigend sahen sie einander durch den nachlassenden Regen an. Der Hang war von ihrem verrückten Kampf durchfurcht und zerwühlt.
Der Mann mit der Kapuze rieb sich die Schulter und wechselte das Schwert in die linke Hand. Langsam und selbstsicher deutete er mit der Klinge auf Sturm, der sein eigenes Schwert anstarrte, das geborsten und nutzlos in seiner Hand lag.
Verzweifelt zog Sturm sein Messer, trat zurück und starrte in die glitzernden Augen seines Feindes, der selbstsicher näher kam. Er bereitete sich auf den letzten Schlag vor.